Titel:
Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens in Österreich
Normenkette:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a
Leitsatz:
Es ist nicht anzunehmen, dass ein Asylbewerber auf Grund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in Österreich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dublin-Verfahren, Zielstaat Österreich, Systemische Mängel (verneint)
Fundstelle:
BeckRS 2023, 12316
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
Gründe
1
Die Antragsteller begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen die Abschiebung nach Österreich im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
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Die Antragsteller, eine Familie mit türkischer Staatsangehörigkeit und mit kurdischer Volkszugehörigkeit (Ehepartner mit vier minderjährigen Kindern), reisten am 23. November 2022 über Ungarn und Österreich in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie verließen die Türkei am 11. November 2022 mit dem Ziel, in Deutschland Asyl zu beantragen. Diese Angaben beruhen auf den eigenen Aussagen der Antragsteller, Dokumente wurden nicht vorgelegt. Von dem Asylgesuch erlangte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 25. November 2022 schriftlich Kenntnis. Am 25. Januar 2023 stellten die Antragsteller einen förmlichen Asylantrag.
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Eine Eurodac-Recherche am 25. November 2022 ergab einen Treffer der Kategorie 2 für Österreich (Abnahme von Fingerabdrücken am 17.11.2022, Bl. 10 ff., 31 f. der Asylakte).
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Bei ihrer Anhörung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats beim Bundesamt am 20. Februar 2023 gaben die Antragsteller Folgendes an: Österreich habe sie verpflichtet, Fingerabdrücke abzugeben. Die Tür ihrer Wohnung im Flüchtlingscamp sei hierzu durch die Polizei eingetreten worden. Eine Belehrung, dass ein Asylantrag in Österreich gestellt werden kann, sei nicht erfolgt. Die Antragstellerin zu 2 habe in der Vergangenheit Traumata erlebt und leide unter psychischen Problemen, die sich insbesondere in Panikattacken äußerten. Sie müsse starke Medikamente nehmen. In Deutschland gehe es ihr besser. Der Antragsteller zu 3 leide an einer spastischen Bewegungsstörung (Zerebralparese). In der Türkei habe er sechs Monate Medikamente zu sich nehmen müssen, derzeit müsse er keine Medikamente zu sich nehmen. Die Antragsteller geben außerdem an, die Familie habe in Deutschland – anders als in Österreich – Verwandtschaft, insbesondere habe der Antragsteller zu 1 einen Bruder in Freiburg, der dort seit zwanzig Jahren lebe und arbeite und gut integriert sei.
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Das Bundesamt stellte am 17. Januar 2023 ein Übernahmeersuchen an Österreich, für das eine Zugangsbestätigung vorliegt, das aber bisher nicht beantwortet wurde.
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Mit Bescheid vom 9. März 2023, zugestellt am 15. März 2023, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Österreich an (Nr. 3) und setzte ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von zwölf Monaten ab dem Tag der Abschiebung nach § 11 Abs. 1 AufenthG fest (Nr. 4). Zur Begründung führte es insbesondere aus, dass Österreich aufgrund der dort abgegebenen Fingerabdrücke für dessen Behandlung zuständig sei. Gründe zur Annahme systemischer Mängel im österreichischen Asylverfahren und der dortigen Aufnahmebedingungen lägen angesichts der dargestellten Abläufe hinsichtlich Unterbringung, Verfahren und Gesundheitsversorgung nicht vor. Der Wunsch, das Asylverfahren in einem bestimmten EU-Staat zu betreiben, begründe keinen schutzwürdigen Belang.
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Am 20. März 2023 erhoben die Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht München (M 19 K 23.50284). Gleichzeitig beantragten sie,
die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Anordnung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids anzuordnen.
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Das Bundesamt legte die Asylakte auf elektronischem Weg vor und beantragte, den Antrag abzulehnen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Verfahren und die vorgelegte Asylakte Bezug genommen.
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Der Antrag nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids hat keinen Erfolg.
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Er ist zwar zulässig, insbesondere kommt der Klage insoweit nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung zu und der Antrag wurde innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gestellt.
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Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
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Nach § 80 Abs. 5 VwGO Satz 1 kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfes. Ein gewichtiges Indiz ist dabei die Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, hat das Interesse der Antragsteller regelmäßig zurückzutreten. Erweist sich dagegen der Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen zu beurteilen, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
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Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe geht die Interessenabwägung hier im Ergebnis zu Lasten der Antragsteller aus. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage zum gegenwärtigen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) sind die Erfolgsaussichten ihrer Klage gegen die Abschiebungsanordnung als gering anzusehen. Die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung erweist sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig.
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Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung unter anderem in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass diese durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
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1. Österreich ist für das Asylverfahren zuständig.
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Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 v. 29.6.2013, S. 31) – im Folgenden: Dublin III-VO – für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
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Ausgehend von den Eurodac-Daten und dem Vortrag der Antragsteller ist vorliegend Österreich für die Prüfung des Asylantrags im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG zuständig. Die Zuständigkeit Österreichs für die Asylanträge der Antragsteller ergibt sich aus Art. 22 Abs. 7 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Buchst. a Dublin III-VO.
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Diese Zuständigkeit ist aufgrund der Antragstellung binnen Jahresfrist nach dem illegalen Grenzübertritt nicht nach Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO entfallen. Auch trat kein Zuständigkeitsübergang auf die Antragsgegnerin nach Maßgabe von Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO ein, weil das Übernahmegesuch für die Antragsteller fristgerecht innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung erfolgte. Die österreichischen Behörden haben hierauf nicht geantwortet, so dass davon auszugehen ist, dass dem Übernahmegesuch stattgegeben wurde (Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO). Österreich ist daher nach Art. 22 Abs. 7 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Buchst. a innerhalb der offenen sechsmonatigen Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO verpflichtet, die Antragsteller aufzunehmen.
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2. Die Überstellung an Österreich ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Dies würde voraussetzen, dass es wesentliche Gründe für die Annahme gäbe, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Österreich systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) mit sich bringen. Dies ist nicht der Fall.
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Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der EMRK und der GR-Charta entspricht. Zwar ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Die nationalen Behörden und Gerichte sind aber nur bei Vorliegen von Anhaltspunkten, die auf ein ernsthaftes Risiko von Verstößen gegen Art. 4 GR-Charta hindeuten, verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen. Diese müssen zudem eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die nur vorliegt, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden des Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass einem Asylbewerber gerade aufgrund seiner besonderen Schutzbedürftigkeit und unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen eine Situation extremer materieller Not drohen würde, die es ihm nicht erlauben würde, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigen oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzen würde (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 < Jawo > – juris Rn. 92, 95).
22
Ausgehend von diesen Maßstäben ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht anzunehmen, dass die Antragsteller aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Österreich tatsächlich Gefahr laufen, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
23
In der neueren verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass das österreichische Asylsystem aktuell nicht an systemischen Mängeln leidet. Auch wenn in bestimmten Bereichen noch Schwächen vorhanden sind und die Lebensbedingungen in Österreich für Asylbewerber schwieriger sein mögen als in Deutschland, führen diese Umstände nicht zur Mangelhaftigkeit des Gesamtsystems (vgl. VG München, B.v. 23.8.2022 – M 5 S 22. 50459 – juris; VG Augsburg, U.v. 21.6.2022 – Au 6 K 22.50123 – juris; VG Chemnitz, B.v. 30.12.2021 – 6 L 496/21.A – juris; VG Leipzig, B.v. 13.8.2021 – 6 L 454/21.A – juris; VG München, B.v. 27.1.2021 – M 30 S 21.50046; B.v. 12.8.2019 – M 5 S 17.52517 – juris Rn. 14 ff.; B.v. 23.8.2018 – M 23 S 18.52483; U.v. 15.3.2017 – M 9 K 17.50031 – juris Rn. 41; VG Greifswald, B.v. 9.11.2017 – 4 B 2196.17 As HGW – juris Rn. 14). Das Gericht schließt sich insoweit der ganz herrschenden Rechtsprechung an. Österreich verfügt über ein ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren.
Der Vortrag der Antragsteller, sie selbst seien nicht über die Möglichkeit der Stellung eines Asylantrags belehrt worden, kann für sich genommen keine allgemeinen oder ganze Personengruppen betreffenden systemischen Mängel begründen. Zudem kooperiert Österreich zum Schutz von Asylsuchenden mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen. Asylbewerber erhalten in Österreich eine Grundversorgung und eine Unterkunft (U.S. Department of State, „Country Report on Human Rights Austria 2022“, Section 2. Respect for Civil Liberties, sub-point E). Das Gericht ist daher der Auffassung, dass in Österreich die elementaren menschlichen Bedürfnisse der Asylsuchenden befriedigt werden.
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3. Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO notwendig machen, sind nicht ersichtlich. Der Abschiebung stehen zudem keine individuellen Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder ein Selbsteintrittsrecht nach Art. 16 Dublin III-VO entgegen, sodass sie auch im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG durchgeführt werden kann.
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Es besteht zunächst kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG, wonach eine Abschiebung unzulässig ist, wenn sie sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundrechte (EMRK) – insbesondere aus Art. 3 EMRK – ergibt. Der EGMR (EGMR, Entsch.v. 21.1.2011 – Nr. 30696/09, M. S. S. / Belgien und Griechenland; EGMR, Entsch.v. 2.4.2013 – Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u.a. / Niederlande und Italien, Rn. 70 f.) setzt hier strenge Maßstäbe an und hat ausdrücklich festgestellt, dass allein außergewöhnliche, schwerwiegende humanitäre Gründe einer Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens entgegenstehen. Es muss ernsthafte und stichhaltige Gründe für die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Zielstaat geben (EGMR, U.v. 2.4.2013 – Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u.a. / Niederlande und Italien, Rn. 71).
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Gemessen hieran ergibt sich aus dem Vortrag der Antragsteller, sie seien in Österreich zur Abnahme der Fingerabdrücke verpflichtet gewesen und diese seien durch Zwang durchgesetzt worden, kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Dem Gericht liegen – auch nach dem Vortrag der Antragsteller – keine Anhaltspunkte dafür vor, dass gegen diese rechtswidrig Zwang ausgeübt worden sei oder körperliche Übergriffe stattgefunden hätten. Insbesondere waren die getroffenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen – neben der Gefahrenabwehr – gerade auch für die Umsetzung der Dublin III-VO zur späteren Feststellbarkeit der Zuständigkeit im Dublin-Verfahren erforderlich.
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Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hält das Gericht nach gebotener, aber auch ausreichender summarischer Prüfung nicht für wahrscheinlich. Hiernach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen im Sinn dieser Vorschrift liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Nach § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG).
Für ein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen ist erforderlich, dass sich eine nachgewiesenermaßen vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, das heißt, dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 – juris Rn. 15). Bei dem gesundheitlichen Grund muss es sich um äußerst gravierende, insbesondere lebensbedrohliche Erkrankungen handeln (vgl. Koch in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand 1.7.2020, § 60 AufenthG, Rn. 40 mit Verweis auf BT-Drs. 18/7538, 18). An die Gefahrenprognose hinsichtlich der Erheblichkeit der Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist der Maßstab der hohen Wahrscheinlichkeit anzulegen, der dann erfüllt ist, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr in den Abschiebungszielstaat einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 13 m.w.N.), aufgrund derer er gewissermaßen sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgesetzt wäre (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2015 – 9 ZB 14.30457 – juris Rn. 11 m.w.N.). Konkret ist die Gefahr, wenn die Verschlechterung alsbald nach der Abschiebung des Betroffenen einträte (BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3.11 – juris Rn. 34).
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Dies zugrunde gelegt kann der Vortrag der Antragstellerin zu 2, sie leide unter psychischen Problemen und es gehe ihr in Deutschland besser, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht begründen. Die ärztlichen Atteste von September bzw. November 2022, die noch aus der Türkei stammen, diagnostizieren im Wesentlichen eine Angststörung. Bei Wut treten demnach Ohnmacht, Panikattacken und Erstickungsgefühle auf. Es ist schon mehr als zweifelhaft, ob diese Diagnose eine schwerwiegende Krankheit darstellt, die einer lebensgefährlichen Krankheit gleichkommt. Die Antragstellerin zu 2 ist – wenngleich sie starke Medikamente nehmen muss – auf keine stationäre Behandlung angewiesen und kann mit Medikamenten stabilisiert werden. Jedenfalls kann sie nicht darlegen, aus welchen Gründen sich ihr Gesundheitszustand alsbald nach Abschiebung nach Österreich gravierend verschlechtern würde, weil die Gesundheitsversorgung in Österreich die Behandlung ihrer Krankheit nicht ermöglichen könnte. Österreich hat ein solides Gesundheitssystem. Asylbewerber sind dort krankenversichert (U.S. Department of State, „Country Report on Human Rights Austria 2022“, Section 2. Respect for Civil Liberties, sub-point E). Zudem genügt die vorgelegte Bescheinigung einer deutschen hausärztlichen Praxis vom 12. April 2023, in welcher der Antragstellerin zu 2 eine mögliche eingeschränkte Reisefähigkeit attestiert wird, nicht den Kriterien in § 60a Abs. 2c i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Hier hat der Gesetzgeber Vorgaben für ärztliche Atteste zur hinreichenden Substantiierung gesundheitlicher Beeinträchtigungen aufgestellt. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Insbesondere müssen die konkreten Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, im Attest enthalten sein. Die vorgelegten hausärztlichen Bescheinigungen genügen diesen Anforderungen nicht. Es ist nicht ersichtlich, an welchen Traumata und an welchen konkreten Beschwerden die Antragstellerin zu 2 trotz Medikation akut leidet. Es bleibt auch unklar, welche Umstände genau bei ihr eine Panikstörung auslösen und warum sie in ihrer Reisefähigkeit beschränkt erscheint, obwohl sie erst vor kurzem die lange Reise nach Deutschland auf sich nehmen konnte und sich ihr Zustand nach eigenen Angaben verbessert hat. Insbesondere ist dem Attest nicht zu entnehmen, dass die Antragstellerin zu 2 reiseunfähig ist und ein Umzug ihren Zustand absehbar verschlechtern wird, sondern lediglich, dass dies der Fall sein könnte.
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Auch der Gesundheitszustand des Antragstellers zu 3 begründet kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Atteste aus der Türkei und die Bescheinigung des Kinderarztes in Deutschland ergeben, dass der Antragsteller zu 3 zwar ein leicht einseitiges Gangbild zeigt und seine grobmotorischen Bewegungen verlangsamt sind, jedoch keine anfallstypischen Auffälligkeiten oder spastischen Lähmungserscheinungen vorliegen. Eine medikamentöse Behandlung ist derzeit nicht erforderlich. Nach den Attesten wirkt sich vor allem die persönliche Förderung durch den Antragsteller zu 1 positiv auf die Gesundheit des Antragstellers zu 3 aus. Dieser sei Lehrer und mache mit dem Antragsteller zu 3 regelmäßig krankengymnastische Übungen. Damit geht das Gericht weder von einer schweren Krankheit noch von einer fehlenden Behandlungsmöglichkeit des Antragstellers zu 3 in Österreich aus.
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Die persönliche Bindung der Antragsteller zu dem in Freiburg lebenden Bruder des Antragstellers zu 1 führt – wie die Antragsgegnerin richtig vorträgt – nicht zu einem Zuständigkeitswechsel wegen Anspruchs auf Selbsteintritt der Bundesrepublik gemäß Art. 16 i.V.m. Art. 7 ff. Dublin III-VO (vgl. hierzu VG Trier, U.v. 3.4.2019 – 7 K 5601/18.TR – juris Rn. 55 ff.), weil ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis wegen schwerer Krankheit in Form eines Betreuungsbedarfs weder vorgebracht noch sonst erkennbar ist. Zudem ist das Verwandtschaftsverhältnis nicht von der Dublin III-VO unter Schutz gestellt, da Geschwister nicht von Art. 2 Buchst. g Dublin III-VO umfasst sind.
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Zielstaatsbezogene oder inländische Abschiebungshindernisse liegen damit nicht vor. Anderweitige Gründe im Sinne von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG, dass die Abschiebung nicht durchgeführt werden könnte, sind derzeit ebenso wenig ersichtlich. Insbesondere sind etwaige Asylgründe noch kein Prüfungsinhalt des vorliegenden Verfahrens zur Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats.
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Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
33
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).