Titel:
Suspendierung des Einbürgerungsanspruchs
Normenkette:
StAG § 10 Abs. 1 Nr. 5, § 12a Abs. 3 S. 1 Hs. 1, § 12a Abs. 2
Leitsatz:
Die Entscheidung über die Einbürgerung ist nach § 12a Abs. 3 S. 1 Halbs. 1 StAG nicht lediglich bis zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens im engeren Sinne, sondern bis zum Abschluss des Strafverfahrens insgesamt auszusetzen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Staatsangehörigkeitsrecht, Anspruchseinbürgerung, Aussetzung des Verfahrens bei laufendem Ermittlungsverfahren, Strafverfahren mitsamt Haftbefehl in den USA ohne Verfolgungsverjährung, Staatsangehörigkeit, Aussetzung des Verfahrens, Ermittlungsverfahren in USA, Haftbefehl (USA), Verfolgungsverjährung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 12307
Tenor
I.Soweit die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.Von den Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten jeweils ½.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt Rechtsschutz hinsichtlich einer ablehnenden Entscheidung des Landratsamts … über seinen Einbürgerungsantrag.
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Der in den USA geborene, 62-jährige Kläger ist USamerikanischer Staatsangehöriger. Er reiste in den 1960er Jahren gemeinsam mit seinen Eltern, einer in … geborenen deutschen Staatsangehörigen und einem US-Amerikanischen Soldaten, ins Bundesgebiet ein. Seither lebt der Kläger – abgesehen von zwei etwa dreimonatigen USA-Aufenthalten in den Jahren 1988 und 1994 – in der Bundesrepublik. Er verfügt bis zuletzt über eine Niederlassungserlaubnis.
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Nachdem am … … … ein Passantrag des Klägers vom USamerikanischen Generalkonsulat in München unter Verweis auf einen Haftbefehl aufgrund des Vorwurfs des Betrugs und Nichterscheinens aus dem Jahr 1994 abgelehnt worden war, stellte der Kläger am … … … beim zu diesem Zeitpunkt örtlich zuständigen Landratsamt … einen Antrag auf Einbürgerung. Dabei gab er insbesondere einen USA-Aufenthalt von Februar 1988 bis Mai 1988 sowie ein im Jahr 1988 in den USA wegen des Vorwurfs von Betrug eingeleitetes Verfahren an.
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In der Folge wurde das Verwaltungsverfahren mehrmals ausgesetzt, der Kläger versuchte unter Beauftragung von Rechtsanwälten Nachweise zum Haftbefehl sowie zum Stand des Ermittlungsverfahrens beizubringen. Nach einem vom Kläger beigebrachten Schreiben des … … … … … … vom … … … habe das Verfahren gegen den Kläger nach einem Gerichtsprotokoll des Amtsgerichts von … … …, im Jahr 1993 begonnen. Gegenstand der Beschuldigung sei ein Diebstahl durch Täuschung oder falsche Darstellung gem. § 3922 Buchst. a Nr. 1 des Kapitel 18 der Zusammenfassungsgesetze des US-Bundesstaates … Beim Grad des Deliktes handele es sich um ein Verbrechen dritten Grades, der niedrigsten Stufe eines Verbrechens. Das Verfahren habe den Status „nicht aktiv“. Die maximal zu erwartende Freiheitsstrafe für das verfahrensgegenständliche Delikt betrage 7 Jahre. Nach einer weiteren Mitteilung des … … … … … … vom … … … sei in … aus den beiden Gründen, dass eine Anklage vorliege und der Kläger im Jahr 1993 das Hoheitsgebiet von … verlassen habe, keine Verjährung der gegen den Kläger erhobenen Anklage möglich.
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Aufgrund eines Umzugs des Klägers wechselte im August 2019 die Zuständigkeit vom Landratsamt … auf das Landratsamt … (im Folgenden: Landratsamt).
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Nach einer ebenfalls vom Kläger veranlassten Mitteilung von Rechtsanwältin … … vom … … … sei auch nach mehrmaligen, und mehrmals schriftlichen Anfragen an die zuständige US-Behörde, dem … … …, eine richterliche Rückmeldung nicht eingegangen, weshalb der Verfahrensstand bei den US-Behörden nicht abgefragt werden könne.
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Der Kläger wurde durch das Landratsamt mit Schreiben vom 22. Juni 2020 sowie vom 9. August 2021 zu einer beabsichtigten Ablehnung angehört. Nach der zweiten Anhörung erfolgte keine Äußerung mehr.
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Mit Bescheid des Landratsamts vom 23. Februar 2022, wurde der Antrag auf Einbürgerung nach § 10 Abs. 1 StAG vom … … … abgelehnt (Nr. 1) und im Rahmen der Kostentragung (Nr. 2) Gebühren in Höhe von 191,25 EUR festgesetzt und Auslagen in Höhe von 1,00 EUR erhoben (Nr. 3). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine Anspruchseinbürgerung nicht vorlägen. Eine Voraussetzung nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG sei, dass keine Verurteilung zu einer Strafe aufgrund einer rechtswidrigen Tat erfolgt sei. Gegen den Kläger sei durch die US-Behörden ein Haftbefehl erlassen worden, sodass nach § 12a Abs. 3 StAG das Einbürgerungsverfahren bis zum Abschluss des Strafverfahrens auszusetzen sei. Nach Aktenlage gebe es keine Möglichkeit des Klägers, das Verfahren selbst zu klären, da er befürchte, bei Einreise festgenommen zu werden. Auch durch die beauftragten Rechtsanwälte sei ein Verfahrensabschluss nicht zu erwirken gewesen. Nach der Mitteilung des bereits außergerichtlich Bevollmächtigten sehe das USamerikanische Recht eine Verjährung nicht vor. Da es dem Kläger innerhalb von vier Jahren seit der Antragstellung nicht gelungen sei, dass Strafverfahren in den USA abzuschließen und eine Verjährung nicht erfolgt sei, lägen die Voraussetzungen einer Einbürgerung nicht vollständig vor und könnten auf absehbare Zeit auch nicht erfüllt werden.
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Der Kläger ließ am 24. März 2022 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben und hierbei zunächst hauptsächlich beantragen, die Beklagte unter Bescheidsaufhebung zur Einbürgerung zu verpflichten. Zuletzt lässt er beantragen,
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1. die Beklagte zu verpflichten, den Kläger in den deutschen Staatsverband einzubürgern;
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2. hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen;
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3. weiter hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband unter der Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
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Zur Begründung der Klage wird im Wesentlichen ausgeführt, dass hinsichtlich der Einbürgerungsvoraussetzungen einzig § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG streitig sei. Das seit dem 1994 in den USA anhängig Strafverfahren sei jedoch nicht durch Verhängung einer Strafe im Sinne der Norm rechtskräftig geworden. Die Aussetzungsregelung des § 12a Abs. 3 StAG sei nicht anwendbar. Denn das Ermittlungsverfahren sei durch Anklageerhebung beendet, sodass sich das Verfahren nach deutschem Verfahrensrecht im Zwischenverfahren befinde. Eine Ermittlung im Sinne des Gesetzes liege somit nicht mehr vor. Auch eine Verurteilung in den USA werde in Abwesenheit des Klägers nicht erfolgen. Mangels eines rechtsstaatlichen Verfahrens sei dem Kläger eine Anwesenheit nicht zumutbar. Mangels Verjährung nach Anklageerhebung werde eine Verfolgungsverjährung nicht eintreten.
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Die Beklagte beantragt
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und bezieht sich zur Begründung auf die im Bescheid genannten Gründe.
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Die Kammer hat am 11. Mai 2023 mündlich zur Sache verhandelt. In der mündlichen Verhandlung hob das Landratsamt den Bescheid vom 23. Februar 2022 auf, woraufhin die Beteiligten übereinstimmend diesbezüglich die Hauptsache für erledigt erklärten.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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I. Soweit das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
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II. Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat keinen mit dem Hauptantrag geltend gemachten Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 StAG, keinen hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) oder Anspruch auf ermessensfehlerfreie (Neu-)Entscheidung über seinen Einbürgerungsantrag (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Einbürgerung.
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a. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1913 in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gl.Nr. 102-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Art. 2 G.v. 21. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2847) – StAG – ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig im Sinne des Staatsangehörigkeitsgesetzes oder gesetzlich vertreten ist, auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt ist und er – neben weiteren Voraussetzungen – weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn aufgrund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist.
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Wenn gegen einen Ausländer, der die Einbürgerung beantragt hat, wegen des Verdachts einer Straftat ermittelt wird, ist gem. § 12a Abs. 3 Satz 1 StAG die Entscheidung über die Einbürgerung bis zum Abschluss des Verfahrens, im Falle einer Verurteilung bis zum Eintritt der Rechtskraft des Urteils auszusetzen.
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b. Daran gemessen hat der Kläger keinen Anspruch auf Einbürgerung. Auch wenn bei ihm die negative Voraussetzung § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG nicht vorliegt, ist dem Antrag nicht stattzugeben, sondern die Entscheidung über den Einbürgerungsantrag nach § 12a Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 StAG auszusetzen.
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aa. Die Vorschrift ist entgegen der klägerseitigen Auffassung auf den Fall anwendbar.
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Es kann dahinstehen, ob der Verfahrensstand in den USA mit dem deutschen Zwischenverfahren gem. §§ 199 ff. StPO vergleichbar ist. Denn sowohl nach dem Wortlaut als auch dem Gesetzeszweck ist eine Aussetzung auch nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens im engeren Sinne erforderlich. Abzustellen ist auf den Abschluss des Strafverfahrens insgesamt, nicht lediglich auf das Ermittlungsverfahren. Maßgeblich ist somit das Strafverfahren im Ganzen.
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Dies ergibt sich systematisch in Zusammenschau mit dem zweiten Halbsatz des § 12a Abs. 3 Satz 1 AufenthG, der die Aussetzung bis zum Eintritt der Rechtskraft der Verurteilung vorschreibt, somit über das Ermittlungsverfahren hinaus auch im Zwischen- und Hauptverfahren (so wohl auch die h.M. in der Literatur (für Fälle einer vorläufigen Einstellung im strafrechtlich Zwischenverfahren), vgl. Hailbronner in: Hailbronner u.a., Staatsangehörigkeitsrecht, 7. Auflage 2022, § 12a StAG Rn. 47; Kluth in: BeckOK AuslR, Stand 1.7.2021, § 12a StAG Rn. 18; Schneider in: BeckOK MigR, Stand 15.10.2022, § 12a StAG Rn. 45).
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Desweiteren gilt § 12a Abs. 3 Satz 1 StAG grundsätzlich auch für ausländische strafrechtliche Ermittlungsverfahren. Voraussetzung für eine Einbürgerung ist grundsätzlich eine strafrechtliche „Unbescholtenheit“ (vgl. BT-Drs. 11/6321 v. 27.1.1990, S. 48). Folgerichtig steht deshalb gem. § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG unter anderem die Verurteilung zu einer Strafe wegen einer rechtswidrigen Tat einem Anspruch auf Einbürgerung entgegen.
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Tatbestand:lich ist § 12a Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 StAG somit aufgrund des in den USA nach wie vor bestehenden offenen Haftbefehls sowie des damit zusammenhängenden Strafverfahrens gegeben. In der Rechtsfolge des § 12a Abs. 3 Satz 1 StAG ist somit – zwar nicht das Einbürgerungsverfahren als solches, aber – die Entscheidung über die Einbürgerung auszusetzen (vgl. Geyer in: Hofmann, Ausländerrecht, 3. Auflage 2023, § 12a StAG Rn. 20).
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bb. Nichts anderes ergibt sich aus dem Rechtsgedanken des § 12a Abs. 1 und 2 StAG.
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Nach § 12a Abs. 2 StAG sind ausländische Verurteilungen zu Strafen zu berücksichtigen, wenn (1.) die Tat im Inland als strafbar anzusehen ist, (2.) die Verurteilung in einem rechtsstaatlichen Verfahren ausgesprochen worden ist und (3.) das Strafmaß verhältnismäßig ist. Ein solche Verurteilung kann dann nicht mehr berücksichtigt werden, wenn sie nach dem Bundeszentralregistergesetz zu tilgen wäre. Für ausländische Verurteilungen gilt § 12a Abs. 1 StAG entsprechend, sodass geringfügige Verurteilungen außer Betracht bleiben können.
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Es kann offenbleiben, ob insoweit eine vergleichbare Interessenlage zwischen einer schon ergangenen und einer noch ausstehenden ausländischen Verurteilung vorliegt, wenn hinreichend sicher zu erwarten ist, dass auch nach Ergehen des Urteils das abgeurteilte Verhalten im Inland als nicht strafbar, das Verfahren nicht als rechtsstaatlich, das Strafmaß als unverhältnis oder als Bagatellverurteilung anzusehen wäre, somit eine Aussetzung aufgrund der absehbaren Unbeachtlichkeit leerlaufen und deshalb ausnahmsweise vom Abwarten der Verfahrensbeendigung abgesehen werden könnte (vgl. Geyer in: Hofmann, Ausländerrecht, 3. Auflage 2023, § 12a StAG Rn. 21 zu erwartbar geringfügigen Verurteilungen). Denn dies kommt im konkreten Fall jedenfalls nicht in Betracht.
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Nach der Strafhöchstandrohung von 7 Jahren Freiheitsstrafe im Verfahren gegen den Kläger kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine spätere Verurteilung in jedem Fall nach § 12a Abs. 1 und 2 Satz 3 StAG außer Acht bleiben kann.
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Der Gegenstand des Ermittlungsverfahren ist auch im Inland als strafbar anzusehen. Die vorgeworfene Tat eines Diebstahls durch Täuschung oder falsche Darstellung gem. § 3922 Buchst. a Nr. 1 des Kapitel 18 der Zusammenfassungsgesetze des US-Bundesstaates … entspricht im Wesentlichen einem Diebstahl gem. § 242 Abs. 1 StGB bzw. einem Betrug gem. § 263 Abs. 1 StGB.
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Stichhaltige Anhaltspunkte für den klägerseitigen Einwand, dass eine Verurteilung des Klägers in den USA in einem rechtsstaatswidrigen Verfahren ergehen und damit außer Betracht bleiben könnte, sind nicht ersichtlich. Insbesondere führt allein der Umstand, dass nach den klägerseitig beigebrachten Informationen eine Verfolgungsverjährung im Fall des Klägers nach Anklageerhebung und Ausreise nicht eintritt, nicht zu einer Rechtsstaatswidrigkeit. Als Maßstab für die Beurteilung der Rechtsstaatlichkeit kann nicht ausschließlich auf die in der Bundesrepublik geltenden materiellen und verfahrensrechtlichen Erfordernisse abgestellt werden, die das Rechtsstaatsgebot des Grundgesetztes konkretisieren. Vielmehr ist maßgeblich, ob die strafgerichtliche Verurteilung auch unter Berücksichtigung abweichender materieller und prozessualer Normen den im europäischen Rechtsraum geltenden Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit genügen, wie sie auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 6 EMRK – Recht auf ein faires Verfahren) und der EU-Charta der Grundrechte (Art. 49 GRCh – Grundsätze der Gesetzesmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit) niedergelegt sind (vgl. Hailbronner in: Hailbronner u.a., Staatsangehörigkeitsrecht, 7. Auflage 2022, § 12a StAG Rn. 41). Grundsätzlich besteht für die Regelung der Verjährung als Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen der Allgemeinheit an bestimmten Eingriffen und des Einzelnen an Rechtssicherheit ein weiter Gestaltungspielraum, der dadurch begrenzt ist, dass berechtigte Interssen der vom Eingriff belasteten Bürger nicht völlig unberücksichtigt bleiben dürfen und ganz von einer Regelung abgesehen wird, die dem Eintritt der Belastung eine bestimmte zeitliche Grenze setzt (vgl. Grzeszick in: Dürig/Herzog/Scholz, GG-Kommentar, Stand 09/2022, Art. 20 GG, VII. Rechtsstaat, Rn. 108). Allein daraus ergibt sich jedoch nicht, dass ein Strafrecht, das gesetzgeberisch intendiert für bestimmte Konstellationen eine Unverjährbarkeit der Strafverfolgung vorsieht, rechtsstaatswidrig wäre (vgl. BVerfG, B.v. 21.6.2006 – 2 BvR 750/06 – juris Rn. 20, das die Unverjährbarkeit des Mordes in § 78 Abs. 2 StGB nicht beanstandet).
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Auch eine Unverhältnismäßigkeit des (zu erwartenden) Strafmaßes kommt nicht in Betracht. Dass für eine diebstahls- bzw. betrugsähnliche Tat (Strafrahmen nach § 242 Abs. 1 StGB bzw. § 263 Abs. 1 StGB bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe) eine Strafe von bis zu 7 Jahren Freiheitsstrafe angedroht wird, lässt nicht erwarten, dass die Strafe dem Unrechts- und Schuldgehalt in keiner Weise gerecht werden wird (vgl. zum Maßstab Hailbronner in: Hailbronner u.a., Staatsangehörigkeitsgesetz, 7. Auflage 2022, § 12a Rn. 45).
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Auch ein Zeitablauf seit der (vorgeworfenen) Tatbegehung, Verfahrenseinleitung, Anklageerhebung sowie Haftbefehlserlass kann eine Beendigung der Entscheidungsaussetzung nicht begründen. Solches ist gesetzlich nicht vorgesehen.
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Im Hinblick auf die für die Einbürgerung grundsätzlich geforderte Unbescholtenheit sind die nach § 51 Abs. 1 BZRG getilgten Vorverurteilungen einbürgerungs-unschädlich. Die Tilgungsvorschriften des § 51 Abs. 1 BZRG sind jedoch auf laufende Ermittlungsverfahren nicht entsprechend anzuwenden (vgl. Schneider in BeckOK MigR, Stand 15.1.2023, § 12a StAG Rn. 39, § 8 StAG Rn. 77 und 81 unter Verweis auf BVerwG, U.v. 20.3.2012 – 5 C 1.11 – juris Rn. 41). Denn Sinn und Zweck der Norm ist die Tilgung des Makels der Verurteilung und die Erleichterung der Resozialisierung, eine solche ohne Verurteilung nicht erforderlich. Die Unbescholtenheit des Einbürgerungsantragstellers kann somit erst dann durch Zeitablauf wiederhergestellt sein, wenn das Strafverfahren zu einem Abschluss gekommen ist.
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Es ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass dies im konkreten Fall des Klägers aufgrund einer dauerhaft gehemmten Verfolgungsverjährung in den USA dazu führt, dass für den Kläger allein durch Zeitablauf eine Klärung der Unbescholtenheit im Sinne des Staatsangehörigkeitsrechts nicht eintreten kann, ohne dass er sich aktiv um eine anderweitige Beendigung des Strafverfahrens in den USA bemüht.
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Art. 116 Abs. 1 Var. 1 GG verfügt über einen weitreichenden Gesetzesvorbehalt (vgl. Giegerich in: Dürig/Herzog/Scholz, GG-Kommentar, Stand 09/2022, Art. 116 Rn. 30), sodass die Regelung der Staatsangehörigkeit ohne weitere Vorgaben durch den nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG ausschließlich zuständigen Bundesgesetzgeber erfolgen kann. Das heißt, dass sich der Erwerb und – vorbehaltlich des Art. 16 Abs. 1 GG – der Verlust der Staatsangehörigkeit grundsätzlich nach dem einfachgesetzlichen Staatsangehörigkeitsgesetz der jeweils geltenden Fassung richtet (vgl. Giegerich, a.a.O., Rn. 34). Abgesehen von einem Willkürverbot und der institutionellen Garantie der Staatsangehörigkeit (vgl. Giegerich, a.a.O., Rn. 88) kann der Gesetzgeber den Zugang zum verfassungsrechtlichen Status des Deutschen sowohl erweiternd als auch einengend frei steuern (vgl. Giegerich, a.a.O., Rn. 86).
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Dass der Kläger aufgrund der Unverjährbarkeit des Ermittlungsverfahrens in den USA ohne eine anderweitige Beendigung gegebenenfalls auf Dauer nicht einzubürgern ist, führt weder zu einer Abschaffung der Institution der deutschen Staatsangehörigkeit noch besteht insoweit eine gesetzgeberische Willkür. Das gesetzgeberische Ziel einer Suspendierung des Einbürgerungsanspruchs aufgrund von im Ausland geführte Ermittlungs- und Strafverfahren ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, B. v. 22.12.1993 – 2 BvR 2632/93 – juris Rn. 6 zu §§ 85 ff. AuslG). Durch den Erwerb der Staatsangehörigkeit wird ein besonderes, zu wechselseitigem Schutz und Treue verpflichtendes Rechtsverhältnis zwischen Staat und Bürger (vgl. Hillgruber in: BeckOK GG, Stand: 15.2.2023, Art. 116 Rn. 2) mit demokratischer Teilhabefunktion (vgl. Giegerich in Dürig/Herzog/Scholz, GG-Kommentar, Stand 09/2022, Art. 116 Rn. 31) begründet. Die gesetzgeberische Entscheidung, dieses Rechtsverhältnis bis zur Klärung der Unbescholtenheit des Einbürgerungsantragstellers nicht zu begründen, ist sachlich und damit willkürfrei.
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2. Da somit derzeit eine Entscheidung über den Einbürgerungsantrag des Klägers nicht in Betracht kommt, bedarf es auch keiner hilfsweise begehrten, zur Aufgabe der früheren Staatsangehörigkeit erforderlichen (vgl. Weber in: BeckOK AuslR, Stand 1.1.2023, § 10 StAG Rn. 65 ff.) Einbürgerungszusicherung.
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3. Da als Folge des § 12a Abs. 3 Satz 1 StAG die Entscheidung über den Einbürgerungsantrag auszusetzen ist, kommt auch eine Verpflichtung des Beklagten zur Neuentscheidung nicht in Betracht.
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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 161 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, die Kosten hinsichtlich des für erledigt erklärten Teils dem Beklagten aufzuerlegen. Denn nach Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Hauptsacheerledigung hatte die Klage hinsichtlich der Bescheidsaufhebung Aussicht auf Erfolg. Die Rechtsfolge des tatbestandlich eröffneten § 12a Abs. 3 Satz 1 StAG ist nicht die Ablehnung des Einbürgerungsantrags mangels Vorliegens der Voraussetzungen in § 10 Abs. 1 StAG, sondern die Aussetzung der Entscheidung über die Einbürgerung. Die für den Antrag zuständige Einbürgerungsbehörde darf sich den Folgen der Entscheidungsaussetzung, insbesondere der fortbestehenden Amtsermittlungspflicht bzw. Befugnis, die weiteren Erteilungsvoraussetzungen zu prüfen und gegebenenfalls eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen (vgl. Geyer in: Hofmann, Ausländerrecht, 3. Auflage 2023, § 12a StAG Rn. 20), nicht durch Antragsablehnung entziehen. Im Verhältnis zum übrigen Unterliegen des Klägers ergibt sich die aus dem Tenor ersichtliche Kostenquote.
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IV. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit sowie zur Abwendungsbefugnis ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.