Inhalt

LG München I, Endurteil v. 07.03.2023 – 13 S 11558/22
Titel:

Außerordentliche Kündigung eines Fitness-Studio-Vertrags infolge Corona-Maßnahmen

Normenkette:
BGB § 307 Abs. 1, § 314 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung gem. § 314 Abs. 1 S. 2 BGB durch den Nutzer eines Fitness-Studios liegt nicht vor, wenn der Gesetzgeber aus Anlass der Corona-Pandemie Zutrittsbeschränkungen erlässt, die den Nutzer besonders treffen, weil er nicht genesen und nicht geimpft ist, und wenn zudem bei Abschluss des Zeitvertrages bereits erkennbar war, dass für die Nutzung des Studios ein Test notwendig sein könnte. (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine AGB-Klausel, wonach der Betreiber eines Fitness-Studios für den Fall, dass ein Nutzer mit zwei Monatsbeiträgen in Rückstand kommt, berechtigt ist, auch ohne Kündigung den bis zum nächstmöglichen Kündigungstermin fällig werdenden Restbetrag geltend zu machen, benachteiligt den Nutzer unangemessen gem. § 307 Abs. 1 ZPO. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
außerordentliche Kündigung, Fitness-Studio-Vertrag, Corona-Maßnahmen, Pandemie, Corona-Test, Zutrittsbeschränkung, Rückstand, Verzug, unangemessene Benachteiligung
Vorinstanz:
AG München, Endurteil vom 08.09.2022 – 161 C 2028/22
Fundstellen:
NJOZ 2023, 1452
BeckRS 2023, 12299
LSK 2023, 12299

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 08.09.2022, Az. 161 C 2028/22, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte zur Zahlung von Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
aus einem Betrag von 444,- € seit 20.02.2022,
aus einem Betrag von 74,- € seit 01.03.2022,
aus einem Betrag von 74,- € seit 01.04.2022,
aus einem Betrag von 74,- € seit 01.05.2022,
aus einem Betrag von 74,- € seit 01.06.2022,
aus einem Betrag von 74,- € seit 01.07.2022,
aus einem Betrag von 74,- € seit 01.08.2022,
aus einem Betrag von 74,- € seit 01.09.2022,
aus einem Betrag von 74,- € seit 01.10.2022,
aus einem Betrag von 74,- € seit 01.11.2022
aus einem Betrag von 74,- € und 01.12.2022
verpflichtet ist.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts München ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 1.184,00 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
1
1. Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Endurteil des Amtsgerichts München wird Bezug genommen.
2
2. Im Berufungsverfahren beantragt die Beklagte
Klageabweisung.
3
Die Klägerin beantragt
Zurückweisung der Berufung.
II.
4
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Die Beklagte schuldet die ausstehenden Mitgliedsbeiträge. Hinsichtlich der geltend gemachten Zinsen ist der Zinslauf abzuändern.
5
1. Nachdem das Fitnessstudio zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht – aufgrund hoheitlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona Pandemie – geschlossen war, ist der Anspruch der Klägerin auf Zahlung der nach Kündigung nicht mehr bezahlten Mitgliedsbeiträge nicht wegen rechtlicher Unmöglichkeit, der Beklagten die Möglichkeit der vertragsgemäßen Nutzung des Fitnessstudios zu gewähren, nach §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 BGB entfallen (vgl. BGH Urteil vom 04.05.2022, XII ZR 64/21).
6
2. Ein Recht zur Kündigung stand der Beklagten nicht zu. Von daher schuldet sie die ausstehenden monatlichen Beträge für den Zeitraum September 2021 bis Dezember 2022 (16 mal 74,- €). Auf die Kosten der Corona Testung kommt es für die Entscheidung nicht an.
7
2.1. Nachdem die Klägerin einen Vertrag mit fester Laufzeit (18 Monate) geschlossen hat, steht ihr ein ordentliches Kündigungsrecht nicht zu.
8
2.2. Die Klägerin hat auch kein Recht zur außerordentlichen Kündigung. Die in den unstreitig einbezogenen AGBs der Beklagten unter Ziffer 13 geregelten Gründe für eine außerordentliche Beendigung der Mitgliedschaft liegen nicht vor.
9
2.3. Über die in den AGBs in Ziffer 13 geregelten Gründe hinaus kann der zwischen den Parteien bestehende Vertrag, bei dem es sich um ein Dauerschuldverhältnis handelt, unter den in § 314 BGB geregelten Voraussetzungen außerordentlich gekündigt werden (BeckOGK/Martens, 1.1.2023, BGB § 314 Rn. 16.1). Ob ein wichtiger Grund i.S.d. Abs. 1 S. 2 vorliegt, ist unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln (BeckOGK/Martens, 1.1.2023, BGB § 314 Rn. 27). Eine fristlose Kündigung wird im Allgemeinen nur dann gerechtfertigt sein, wenn die Gründe, auf die sie gestützt wird, im Risikobereich des Kündigungsgegners liegen. Vorgänge, auf die der Kündigungsgegner keinen Einfluss hat oder die aus der eigenen Interessensphäre des Kündigenden selbst herrühren, können nur in seltenen Ausnahmefällen zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigen (BeckOGK/Martens, 1.1.2023, BGB § 314 Rn. 28).
10
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist ein Recht zur außerordentlichen Kündigung nicht anzunehmen. Die Klägerin hat die auf dem Bayerischen Landesrecht (13. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung) beruhenden Zutrittsbeschränkungen weder zu vertreten noch konnte sie diese beeinflussen. Dass die Beklagte weder genesen noch geimpft war und sie somit auf die Vorlage von Tests angewiesen war, sind Umstände, die ausschließlich ihrer eigenen Interessensphäre zuzuordnen sind. Besonderes Gewicht kommt dem Umstand zu, dass es bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (07.06.2021) für die Beklagte jedenfalls erkennbar war, dass für sie die Vorlage von Tests zur Nutzung des Studios je nach 7-Tage-Inzidenz erforderlich werden könnte. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses sah § 12 der 13. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung die Notwendigkeit eines Testnachweises bei Sportausübung in Landkreisen und kreisfreien Städten mit einer 7-Tage-Inzidenz zwischen 50 und 100 vor. Die gebotene Abwägung führt unter diesen Umständen zu dem Ergebnis, dass der Beklagten die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung zuzumuten war.
11
3. Die Beklagte kann sich auch nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen, da die Corona bedingten Zutrittsbeschränkungen für Fitnessstudios nicht erst nach Vertragsschluss angeordnet wurden, sondern – je nach 7-Tage-Inzidenz – schon vorher galten (wie oben 2.3 dargelegt). § 313 Abs. 1 BGB kommt aber nur dann zur Anwendung, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben. Davon kann vorliegend nicht die Rede sein.
12
2. Die Berufung ist hinsichtlich des Zinslaufs begründet.
13
2.1. Die in den von der Klägerin verwendeten AGBs enthaltene Regelung in 10 a) Satz 1 ist unwirksam. Die Regelung berechtigt die Klägerin für den Fall, dass ein Mitglied mit zwei Monatsbeiträgen in Rückstand kommt, auch ohne Kündigung, den bis zum nächstmöglichen Kündigungstermin fällig werdenden Restbetrag geltend zu machen.
14
Es ist zwar richtig, dass die Ziffer 10 die Überschrift Verzugsfolge trägt. Anders als bei den anderen in 10 getroffenen Regelungen, in denen ausdrücklich von Verzugsschaden, ab Verzugseintritt, bei wiederholtem Zahlungsverzug die Rede ist, heißt es bei der Regelung in Satz 1 des Absatzes a) nur Rückstand. Dass damit nur ein Rückstand gemeint sein soll, bei dem zugleich auch die Voraussetzungen des Verzugs gegeben sind, lässt sich dem Wortlaut nicht entnehmen. Die Regelung ist gemessen an der Verständnismöglichkeit der Durchschnittskunden und ausgehend von der „kundenfeindlichsten“ Möglichkeit dahingehend auszulegen, dass auch ein nicht verschuldeter Rückstand genügt. Mit diesem Inhalt stellt die Regelung eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB dar, da auch ein nicht verschuldeter Zahlungsrückstand genügt (BGH Urteil vom 21.02.1985, Staudinger/Bieder, 2019, Anh zu §§ 305-310 Rn. E 183).
15
2.2. Die Klägerin hat Anspruch auf die geltend gemachten kapitalisierten Altzinsen für den Zeitraum vom 02.09.2021 bis 09.02.2022 in Höhe von 3,97 €, da sich die Beklagte mit den Monatsbeiträgen für diesen Zeitraum in Verzug befand (§§ 288, 286 BGB). Diese Zinsen wurden der Klägerin bereits zugesprochen und sind von der abändernden Entscheidung in Ziffer 1 des Tenors nicht berührt. Die abändernde Entscheidung bezieht sich nur auf die als Nebenforderung geltend gemachten weiteren Zinsen.
16
2.3. Die Klägerin hat weiter Anspruch auf Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB ab Eintritt der Rechtshängigkeit, dh. ab dem 20.02.2022. Für den Beginn der Verzinsung findet § 187 BGB entsprechende Anwendung. Zinsen sind damit erst ab dem auf den ersten Tag der Rechtshängigkeit folgenden Tag zu entrichten (BeckOGK/Dornis, 1.10.2022, BGB § 291 Rn. 22). Die Klageschrift wurde am 19.02.2022 zugestellt.
17
Dies gilt nur für die bis zu diesem Zeitpunkt bereits fälligen Monatsbeiträge (September 2021 bis einschließlich Februar 2022, insgesamt 444,- €), also nicht für die Beiträge für März 2022 bis einschließlich Dezember 2022.
18
Hinsichtlich dieser Beiträge (jeweils 74,- €) ist die Fälligkeit jeweils am Monatsersten eingetreten (Ziffer 4 der AGBs), also am 01.03.2022, 01.04.2022, 01.05.2022, 01.06.2022, 01.07.2022, 01.08.2022, 01.09.2022, 01.10.2022, 01.11.2022 und 01.12.2022.
19
Prozesszinsen können für diese Beiträge jeweils erst ab Fälligkeit verlangt werden (BeckOGK/Dornis, 1.10.2022, BGB § 291 Rn. 14: Wird ein Anspruch geltend gemacht, bevor er fällig ist (vgl. §§ 257 ff. ZPO), beginnt die Verzinsung im Zeitpunkt der Fälligkeit, § 291 S. 1 Hs. 2).
III.
20
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
21
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708, 713 ZPO.
22
3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, das Gründe hierfür nicht vorliegen (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die aufgeworfenen Rechtsfragen weisen nicht über den Einzelfall hinaus. Die Frage der (Un-)Wirksamkeit der AGB Regelung 10a) ist bereits höchstrichterlich geklärt.