Titel:
naturschutzrechtliches Vorkaufsrecht, naturschutzrechtliche Rechtfertigung, Ermessensausübung
Normenketten:
VwGO § 114
BayNatSchG Art. 39
Schlagworte:
naturschutzrechtliches Vorkaufsrecht, naturschutzrechtliche Rechtfertigung, Ermessensausübung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 16.06.2023 – 14 ZB 23.945
Fundstelle:
BeckRS 2023, 12280
Tenor
I.Der Bescheid des Beklagten vom 2. Juni 2022 wird aufgehoben.
II.Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.
III.Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig voll-streckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu voll-streckenden Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich als Verkäuferin der Grundstücke mit den Fl.Nrn. …6 und …7 der Gemarkung A* … gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts nach Art. 39 BayNatSchG durch den Beklagten.
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Am 12. Mai 2022 legte der beurkundende Notar der Stadt A* … einen notariellen Kaufvertrag vom 30. Dezember 2021 betreffend die Grundstücke Fl.Nr. …6 „D* … …“, Wohnhaus, Nebengebäude, Hofraum, Garten zu 589 m², Gemarkung A* …, und Fl.Nr. …7 „Nähe Al* …“, Gebäude- und Freifläche zu 1.197 m², Gemarkung A* …, vor. Danach sollten diese Grundstücke zu einem Kaufpreis von insgesamt 900.000,00 EUR an den Beigeladenen veräußert werden. Die Klägerin wurde hierbei durch ihre gerichtlich bestellte Betreuerin vertreten. Das Grundstück Fl.Nr. …7, Gemarkung A* …, liegt vollständig innerhalb des geschützten Landschaftsbestandteils (gLB) „Unterer Kühruhgraben“ sowie des Stadtbiotops Nr. 1177. Des Weiteren befindet sich ca. auf der Hälfte des Grundstücks ein nach § 30 BNatSchG gesetzlich geschütztes Biotop.
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Mit Bescheid vom 2. Juni 2022 übte der Beklagte, vertreten durch die kreisfreie Stadt Aschaffenburg, das gesetzliche Vorkaufsrecht an dem mit notariellem Kaufvertrag vom 30. Dezember 2021 veräußerten Grundstück Fl.Nr. …7 der Gemarkung A* … „Nähe Al* …“ in vollem Umfang zu 1.197 m² nach Art. 39 BayNatSchG zu Gunsten der Stadt Aschaffenburg aus. Die Ausübung erfolgte zum Verkehrswert in Höhe von 5,00 EUR pro m², somit zu 5.985,00 EUR.
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Zur Begründung wurde auf die Lage des Grundstücks hingewiesen. Zur Vermeidung von Beeinträchtigungen und der Verwirklichung der Ziele von Naturschutz und Landschaftspflege sei der Erwerb der kompletten Fläche erforderlich. Die Ausübung des Vorkaufsrechts und der damit verbundene Übergang der hiervon betroffenen Fläche in das Eigentum der Stadt Aschaffenburg sei auch geeignet, um den dauerhaften Schutz des Uferbereichs des Kühruhgrabens sowie des geschützten Landschaftsbestandteils zu gewährleisten. Im weiteren erfolgten Ausführungen des Beklagten zur Höhe des Kaufpreises.
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Mit Schriftsatz vom 4. Juli 2022 ließ die Klägerin Klage erheben und beantragte sinngemäß,
den Bescheid des Beklagten vom 2. Juni 2022 wegen Ausübung des gesetzlichen Vorkaufsrechts bezüglich des Kaufvertrags des Notars S* … …, A* …, vom 30. Dezember 2021, UR-Nr. …, Verkauf der Grundstücke Fl.Nrn. …6 und …7, beide Gemarkung A* … an den Beigeladenen aufzuheben.
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Zur Begründung wurde vorgetragen, der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig und daher aufzuheben. Die Ausübung des Vorkaufsrechts könne bereits deshalb keine Wirkung entfalten, da die Klägerin unter Betreuung stehe. Der Bescheid bezüglich der Ausübung des Vorkaufsrechts sei aber auch deshalb rechtswidrig, da ein einheitliches Rechtsgeschäft künstlich in zwei Teile aufgespalten werde. Das Rechtsgeschäft wäre jedoch so nie abgeschlossen worden, erst recht nicht zu den entsprechenden Bedingungen. Schließlich verstoße die Stadt gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Klägerin hätte das Grundstück auch niemals zu einem Kaufpreis von 5,00 EUR je m² verkauft.
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Der Beklagte beantragte mit Schreiben vom 10. August 2022 die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass weder das BGB noch die Anspruchsgrundlage im BayNatSchG die Ausübung eines Vorkaufsrechts verbiete, wenn der Veräußerer unter Betreuung stehe. Der Beklagte habe auch keine Kaufpreisreduzierung vorgenommen. Würde man unterstellen, dass ein Vorkaufsrecht nur einheitlich für die gesamte Vertragsfläche ausgeübt werden könne, würde dies bedeuten, dass die Ausübung eines Vorkaufsrechts von vornherein unterbunden werden könnte. Entgegen der Auffassung der Klägerin könne die öffentliche Hand auch die Ziele des Naturschutzes sicherer gewährleisten. Schließlich habe die Klägerin auch die Nutzung offensichtlich aufgegeben. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werde gewahrt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Behördenakten sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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1. Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren ist der Bescheid des Beklagten vom 2. Juni 2022. Mit diesem übte der Beklagte, vertreten durch die kreisfreie Stadt Aschaffenburg, das gesetzliche Vorkaufsrecht an dem mit notariellem Kaufvertrag veräußerten Grundstück Fl.Nr. …7 der Gemarkung A* … „Nähe Al* …“ in vollem Umfang zu 1.197 m² nach Art. 39 BayNatSchG zugunsten der Stadt Aschaffenburg aus. Die Klägerin begehrt die Aufhebung dieses Bescheids.
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Die aus diesem Grund erhobene Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 2. Juni 2022 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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2. Das Gericht hat zunächst keine Zweifel, dass die Anfechtungsklage zulässig ist, insbesondere ist die Klägerin als Verkäuferin auch aufgrund Art. 39 BayNatSchG klagebefugt i.S.v. § 42 Abs. 2 VwGO (vgl. BayVGH, U.v. 1.7.2021 – 14 BV 19.1075 – juris Rn. 21 ff. m.w.N.).
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3. Die Klage ist auch begründet.
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Rechtsgrundlage für die Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts ist, auch wenn der Beklagte diese Vorschrift nicht ausdrücklich nennt, Art. 39 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayNatSchG. Gegen die Gültigkeit der Regelung über das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht in Art. 39 BayNatSchG als zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums bestehen nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes keine Bedenken, auch wenn die Vorkaufrechtsausübung nicht für den Freistaat Bayern, sondern zugunsten eines Dritten, hier der Stadt Aschaffenburg, erfolgt (vgl. BayVGH, U.v. 1.10.2019 – 14 BV 17.419 – NuR 2020, 199 Rn. 25).
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Gemäß Art. 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BayNatSchG steht u.a. dem Freistaat Bayern beim Verkauf von Grundstücken, auf denen sich Naturdenkmäler, geschützte Landschaftsbestandsteile oder an solchen einstweilig sichergestellte Schutzgegenstände befinden, ein Vorkaufsrecht zu. Nach Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG kann dieses allerdings nur dann ausgeübt werden, wenn dies gegenwärtig oder zukünftig die Belange des Naturschutzes oder der Landschaftspflege oder das Bedürfnis der Allgemeinheit nach Naturgenuss und Erholung in der freien Natur rechtfertigen. Die Ausübung erfolgt nach Art. 39 Abs. 3 Satz 1 BayNatSchG durch den Freistaat Bayern. Der Freistaat Bayern hat jedoch das Vorkaufsrecht zugunsten eines anderen Vorkaufsberechtigten nach Abs. 1 auszuüben, wenn dieser es verlangt (Art. 39 Abs. 3 Satz 4 BayNatSchG).
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4. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausübung des Vorkaufsrechts ist die Sach- und Rechtlage zum Zeitpunkt des Entstehens des Vorkaufsrechts – mithin der Zeitpunkt des Vertragsschlusses – hier der 30. Dezember 2021 (vgl. BayVGH, U.v. 1.7.2021 – 14 BV 19.1075 – juris Rn. 27).
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5. Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Ausführungen ist der streitgegenständliche Bescheid vom 2. Juni 2022 zwar formell rechtmäßig, allerdings materiell rechtswidrig.
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Insbesondere war der Freistaat Bayern, vertreten durch die kreisfreie Stadt Aschaffenburg, für die Ausübung des Vorkaufsrechts zugunsten der Stadt Aschaffenburg zuständig. Die nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG erforderliche Anhörung der Klägerin erfolgte mit Schreiben vom 5. Mai 2022.
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Die Ausübung des Vorkaufrechts erfolgte zudem innerhalb der zweimonatigen Ausübungsfrist nach Art. 39 Abs. 7 BayNatSchG, § 469 Abs. 2 Satz 1 BGB. In Übereinstimmung mit der zivilgerichtlichen Rechtsprechung zu § 469 BGB ist in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes geklärt, dass auch die Ausübungsfrist des Art. 39 Abs. 7 BayNatSchG erst mit dem Zugang des richtigen, vollständigen und wirksamen Vertrags in Lauf gesetzt wird (vgl. BayVGH, U.v. 1.10.2019 – 14 BV 17.419 – NuR 2020, 199 Rn. 26). Da nach Mitteilung des Notariats eine Abschrift des Kaufvertrags über das streitgegenständliche Grundstück erst am 12. Mai 2022 bei der Stadt Aschaffenburg einging, was von Klägerseite auch nicht bestritten wird, war die mit Bescheid vom 2. Juni 2022 geltend gemachte Vorkaufsrechtsausübung innerhalb der Zwei-Monats-Frist.
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6. Allerdings liegen die materiellen Voraussetzungen für die Vorkaufsrechtsausübung nach Art. 39 BayNatSchG nicht vor, zudem erfolgte die Ermessensausübung rechtswidrig (§ 114 Abs. 1 und 2 VwGO).
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Art. 39 BayNatSchG knüpft ein naturschutzrechtliches Vorkaufsrecht an mehrere kumulative Voraussetzungen. Die in Art. 39 Abs. 1 Nr. 3 BayNatSchG genannten Eigenschaften, wegen derer ein Grundstück dem Vorkaufsrecht unterliegt, sind auf die Relevanz dieser Flächen für Maßnahmen zugunsten der Belange des Naturschutzes zugeschnitten.
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Das tatbestandliche Vorliegen der Rechtfertigungsgründe für die Ausübung des Vorkaufsrechts unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung. Die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege ergeben sich aus den in § 1 BNatSchG und Art. 1a, 2 BayNatSchG genannten Zielen, sowie dem Erholungsinteresse der Allgemeinheit. Deren Tragweite ist auf den konkreten Einzelfall bezogen darzustellen (vgl. Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt/Mühlbauer, Naturschutzrecht in Bayern, Stand: Oktober 2022, Art. 39 Rn. 18 f.). Gesetzliche Vorkaufsrechte gestalten das Eigentum i.S.d. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG aus. Eine Abwendungsbefugnis des Käufers besteht nicht (vgl. Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt/Mühlbauer, a.a.O., Rn. 21c).
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Da die Ausübung eines naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts keine Enteignung darstellt (vgl. BVerwG, B.v. 7.11.2000 – 6 B 19.00 – juris), gelten nicht die gleichen strengen Anforderungen, wie sie bei der Zulässigkeit einer Enteignung vorliegen müssen (vgl. BayVGH, B.v. 9.3.2015 – 14 ZB 13.2250 – NuR 2015, 427 Rn. 6 m.w.N.).
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Anders als eine Enteignung, die nur zulässig ist, wenn das Wohl der Allgemeinheit sie erfordert und der Enteignungszweck auf andere zumutbare Weise nicht erreichbar ist, kann die Ausübung des Vorkaufsrechts schon dann gerechtfertigt sein, wenn der Erwerb eines Grundstücks vorteilhafte Auswirkungen auf die in Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG genannten Belange hat (vgl. BayVGH, B.v. 19.9.2022 – 14 ZB 22.1545 – juris Rn. 6). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Grundstücke im Eigentum der öffentlichen Hand die Verwirklichung der Ziele von Naturschutz und Landschaftspflege besser und sicherer gewährleisten als Grundstücke in der Hand von Privatpersonen, deren privatnützige Interessen leicht in Konflikt mit den Anforderungen von Naturschutz und Landschaftspflege geraten können (vgl. BayVGH, U.v. 3.5.2016 – 14 B 15.205 – juris Rn. 54 m.w.N.).
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Als Rechtfertigungsgründe sind nicht nur die von der Behörde innerhalb der Frist von zwei Monaten benannten, sondern auch die im weiteren Verfahren vorgetragenen bzw. sich herausstellenden Gründe heranzuziehen. Da maßgebend für die Rechtswirksamkeit und Rechtmäßigkeit der Ausübung der Zeitpunkt des Entstehens des Vorkaufsrechts mit Abschluss eines wirksamen Kaufvertrages ist, ist allerdings Voraussetzung, dass diese Rechtfertigungsgründe nicht erst nach diesem Zeitpunkt entstanden sind (vgl. BayVGH, U.v. 1.10.2019 – 14 BV 17.419 – NuR 2020, 199). Es ist auch nicht Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Ausübung des Vorkaufsrechts, dass bereits eine konkretisierte Planung über durchzuführende Optimierungsmaßnahmen vorliegt (vgl. BayVGH, U.v. 22.5.1995 – 9 B 92.1183 – juris). Es reicht grundsätzlich aus, dass der Vorkaufsberechtigte eine ökologische Aufwertung eines Grundstücks im Sinne der von ihm benannten Zielrichtung durchführen will (vgl. BayVGH, B.v. 12.10.2018 – 14 ZB 16.280 – juris Rn. 8). Die Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts nach Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG ist sowohl auf gegenwärtige als auch auf zukünftige Gestaltungen gerichtet.
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Die rechtlich geschützten Privatinteressen sind nicht auf der Tatbestandsseite bei der Prüfung der Rechtfertigung i.S.v. Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG zu prüfen, sondern im Rahmen der behördlichen Ermessensausübung abzuwägen (vgl. BayVGH, U.v. 9.7.2020 – 14 B 19.96 – BayVBl 2021, 454), wobei die Ermessenserwägungen in der Begründung (Art. 39 BayNatSchG) niederzulegen sind (vgl. BayVGH, U.v. 1.10.2019 – 14 BV 17.419 – NuR 2020, 199 Rn. 62 f.).
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Ausgehend von diesen allgemeinen Überlegungen und Grundsätzen ist die Ausübung des Vorkaufsrechts für das streitgegenständliche Grundstück vorliegend bereits nicht durch Belange des Naturschutzes i.S.v. Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG gerechtfertigt. Ausgangspunkt für die – rein objektive – Prüfung der Rechtfertigung ist der streitgegenständliche Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts (vgl. BayVGH, U.v. 9.7.2020 – 14 B 19.96 – BayVBl 2021, 454, Rn. 33).
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Zweifellos ist zunächst ein Verkauf von Grundstücken i.S.v. Art. 39 BayNatSchG gegeben, denn das streitgegenständliche Grundstück ist am 28. Dezember 2021 mit notariell beurkundeten Kaufvertrag von der Klägerin an den Beigeladenen verkauft worden. Im Übrigen ist dem Inhalt dieses Kaufvertrags kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass Leistungen und Gegenleistungen nach der maßgeblichen subjektiven Wertung der Vertragsparteien nicht als äquivalent angesehen wurden; mit diesem Inhalt hat der notarielle Vertrag die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit für sich (vgl. BayVGH, U.v. 1.10.2019 – 14 BV 17.419 – NuR 2020, 199).
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Der Beklagte ist als Freistaat Bayern nach Art. 39 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG grundsätzlich auch vorkaufsberechtigt.
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Das verfahrensgegenständliche Grundstück Fl.Nr. …7 der Gemarkung Aschaffenburg „Nähe Al* …“ unterliegt zudem dem naturschutzrechtlichen Vorkaufsrecht, denn es liegt vollumfänglich innerhalb des Geltungsbereichs der Verordnung über den geschützten Landschaftsbestandsteil „Unterer Kühruhgraben“ vom 31. März 1992. Auf dem gesamten Grundstück befinden sich demnach geschützte Landschaftsbestandteile i.S.v. Art. 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BayNatSchG, so dass sich das Vorkaufsrecht auf die gesamte Grundstücksfläche erstreckt. Dies ist zwischen den Beteiligten offensichtlich auch unstreitig.
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Allerdings ist die Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts nach Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG nicht gerechtfertigt.
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Die Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts ist, wie bereits ausgeführt, sowohl auf gegenwärtige als auch auf zukünftige Gestaltungen gerichtet. Die Rechtfertigungsgründe sind demnach auf eine langfristige Wirkung angelegt. Die zur Rechtfertigung der Vorkaufsrechtsausübung angeführten Vorstellungen der Behörde über durchzuführende Optimierungsmaßnahmen müssen noch nicht in einer entsprechenden Planung konkretisiert sein. Es genügt, dass beispielhaft genannte Möglichkeiten als geeignete Maßnahmen einer ökologischen Optimierung in Betracht kommen (vgl. BayVGH, U.v. 1.10.2019 – 14 BV 17.419 – NuR 2020, 199).
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Dem streitgegenständlichen Grundstück soll offenbar nach Auffassung des Beklagten und der Begründung des Bescheides vom 2. Juni 2022 eine besondere ökologische Bedeutung zukommen. Aufgrund der Nähe zum oberirdischen Fließgewässer „Kühruhgraben“ stelle die Fläche eine wichtige ökologische Verbindungslinie dar (Biotopvernetzung). Im Weiteren handele es sich bei dem geschützten Landschaftsbestandsteil „Unterer Kühruhgraben“ um eine wichtige Kaltluftschneise und Trenngrün zwischen den zwei angrenzenden Baugebieten.
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Diese vom Beklagten hervorgehobene besondere ökologische Bedeutung wird allerdings bereits konterkariert durch die o.g. Verordnung über den geschützten Landschaftsbestandsteil „Unterer Kühruhgraben“ vom 31. März 1992. Nach dessen § 4 Nr. 1 wird das streitgegenständliche Grundstück nämlich von allen Verboten nach § 3 der Verordnung ausgenommen und eine extensive Nutzung als Haus- bzw. Kleingarten für zulässig erklärt.
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Wenn aber bereits die mit der Verordnung verfolgte Schutzzweckbestimmung vorliegend ausdrücklich eine umfassende Nutzung des Grundstücks als Haus- und Kleingarten vorsieht, besteht, insbesondere unter Berücksichtigung des sich aus Art. 14 GG ergebenden Rechtsgedankens, grundsätzlich kein qualifiziertes, sachlich objektiv öffentliches Interesse an der Ausübung eines Vorkaufsrechts aus Gründen des Naturschutzes oder der Landschaftspflege. Mit anderen Worten: Bei den bereits unter Schutz gestellten Flächen i.S.v. Art. 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 BayNatSchG beantwortet sich die Frage nach den dort verfolgten Zielen primär anhand der Schutzzweckbestimmung, die von der jeweiligen Schutzerklärung umfasst ist. Das streitgegenständliche Grundstück ist nach der in der Verordnung normierten Schutzzweckbestimmung aber gerade nicht von den in § 2 i.V.m. § 3 der Verordnung verfolgten Zielen umfasst, denn die Stadt Aschaffenburg hat es ausdrücklich von den in § 3 normierten Verboten ausgenommen und für eine extensive Nutzung als Haus- bzw. Kleingarten vorgesehen. In einem solchen Fall reicht es daher für die Rechtfertigung nicht aus, auf den Schutzzweck der Verordnung hinzuweisen und dass die dort festgestellte gesteigerte ökologische Bedeutung die Ausübung des Vorkaufsrechts nach Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG rechtfertige.
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7. Daneben ist aber auch die vom Beklagten erfolgte Ermessensausübung nicht rechtmäßig (§ 114 Abs. 1 und 2 VwGO).
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Die Rechtsfolge des Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG besteht in der Einräumung einer Ermessensentscheidung. Die Begründung des Bescheides hat den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ermessensausübung zu entsprechen (vgl. BayVGH, U.v. 1.10.2019 – 14 BV 17.419 – NVwZ-RR 2020, 593 Rn. 59 m.w.N.). Es ist kein Fall des intendierten Ermessens gegeben (vgl. BayVGH, U.v. 9.7.2020 – 14 B 19.765 – BayVBl 2021, 529 Rn. 37). Dabei hat die Verwaltung sämtliche Bestandteile des zu entscheidenden Sachverhalts zu bewerten, alle entscheidungserheblichen Sachverhaltsbestandteile im Verhältnis zueinander zu gewichten und zu entscheiden, ob sie trotz gegebenenfalls gegenstehender rechtlich relevanter privater Belange, das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht ausübt. Dabei lässt sich die zur Begründung erforderliche Argumentationstiefe nicht abstrakt bestimmen, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalles und u.a. davon ab, wie gewichtig die im jeweiligen Fall im Raum stehenden rechtlich geschützten Privatinteressen sind (vgl. BayVGH, U.v. 9.7.2020 – 14 B 19.96 – a.a.O., Rn. 28). Zwar können die Ermessenserwägungen auch noch nachträglich im gerichtlichen Verfahren ergänzt werden, doch gilt dies nicht schrankenlos. Der Verwaltungsakt darf durch das Nachschieben von ergänzenden Ermessenserwägungen nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden. Hinzu kommt, dass neue Gründe für einen Verwaltungsakt grundsätzlich nur nachgeschoben werden dürfen, wenn sie schon bei Erlass des Verwaltungsaktes vorlagen (zum Ganzen, vgl. BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 8 C 46,12 – BVerwGE 147, 81 Rn. 31 ff.).
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Ausgehend von diesen allgemeinen Grundsätzen ist die – gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare (vgl. § 114 Satz 1 VwGO) – Ermessensentscheidung des Beklagten zur Vorkaufsrechtsausübung zu beanstanden, denn sie erweist sich als fehlerhaft. Der Beklagte hat in seiner Ermessensentscheidung nicht berücksichtigt, dass die Verordnung über den geschützten Landschaftsbestandteil „Unterer Kühruhgraben“ vom 31. März 1992 in § 4 der Verordnung für das streitgegenständliche Grundstück ausdrücklich die extensive Nutzung als Haus- bzw. Kleingarten vorsieht.
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Zwar führt der Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid (S. 5) aus, dass der „Bestandsschutz“, den die Verordnung über den geschützten Landschaftsbestandteil „Unterer Kühruhgraben“ aufgrund von § 4 biete, insbesondere nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit der Ausübung führe, jedoch stellt die weitere Begründung im streitgegenständlichen Bescheid offensichtlich eine sachfremde Erwägung dar. Gemäß den Ausführungen des Beklagten hat die Veräußerin, also die Klägerin, durch die Bereitschaft zum Verkauf des Grundstücks und damit zur Aufgabe des Eigentums bekundet, dass sie eine weitere Nutzung des Grundstücks im Rahmen der Ausnahme nicht mehr aufrechterhalten wolle. Zum anderen sei bei einer Ortsbesichtigung am 1. Juni 2022 festgestellt worden, dass die Nutzung des Grundstücks als Haus- bzw. Kleingarten offenkundig bereits seit Jahren nicht mehr erfolgt sei. Das Grundstück sei inzwischen von der Natur vollständig vereinnahmt worden.
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Der Beklagte geht offensichtlich, folgt man dieser Begründung, davon aus, dass diejenigen Grundstückseigentümer, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung über den geschützten Landschaftsbestandteil „Unterer Kühruhgraben“ ihre Grundstücke als Haus- und Kleingärten nutzen, „Bestandsschutz“ haben. Wird diese Nutzung allerdings aufgegeben, etwa durch den Verkauf des Grundstücks oder durch Nichtnutzung über mehrere Jahre hinweg, würde die extensive Nutzungsmöglichkeit entfallen, das Grundstück würde also seinen Ausnahmecharakter nach § 4 der Verordnung verlieren.
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Hierbei handelt es sich nach Überzeugung des Gerichts allerdings um sachfremde, nicht durch den Zweck der Verordnung gedeckte Erwägungen. Der Beklagte geht von rechtlichen Voraussetzungen aus, die in Wahrheit nicht gegeben sind.
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Dem Beklagten ist zwar zuzustimmen, dass es wohl Sinn und Zweck der Verordnung war, den Grundstückeigentümern, die ihre Grundstücke zum Zeitpunkt des Verordnungserlasses als Haus- und Gartengrundstücke nutzten, die Weiternutzung zu ermöglichen. Allerdings ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik noch aus dem Sinn und Zweck der Verordnung der vom Beklagten nunmehr gezogene Schluss, dass beim Grundstückverkauf oder bei Nichtnutzung als Haus- und Kleingarten über mehrere Jahre die extensive Nutzungsmöglichkeit der in § 4 Nr. 1 der Verordnung genannten Grundstücke entfallen soll. Vielmehr zeigt § 4 Satz 2 der Verordnung, dass nur bei solchen Grundstücken der Ausnahmetatbestand des § 4 der Verordnung entfällt, die im Eigentum der Stadt Aschaffenburg stehen oder bei denen ein bestehendes Pachtverhältnis endet.
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Demgemäß ist vorliegend von einem Ermessensfehlgebrauch auszugehen, denn der Beklagte hat von dem ihm von Gesetzeswegen eingeräumten Ermessen nicht im Sinne des Gesetzes, d.h. der in der Verordnung insgesamt zum Ausdruck kommende Zwecksetzung Gebrauch gemacht. Er hat vielmehr sachfremde, nicht durch den Zweck der Verordnung gedeckte Erwägungen angestellt, die ebenso zur Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 2. Juni 2022 führen.
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Die Klägerin wird hierdurch auch in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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8. Der Klage war demgemäß stattzugeben, der Bescheid des Beklagten vom 2. Juni 2022 war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO aufzuheben. Nachdem der Beigeladene einen Sachantrag gestellt und sich demnach auch dem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, auch dem Beigeladenen einen Kostenerstattungsanspruch zuzubilligen (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.