Titel:
Bescheid, Vollziehung, Verwaltungsakt, Anfechtungsklage, Ermessensentscheidung, Sportwetten, Untersagung, Befristung, Anordnung, Nebenbestimmung, Erlaubnis, Vollzugsinteresse, Konzession, Spielsucht, aufschiebende Wirkung, sofortige Vollziehung, Anordnung der sofortigen Vollziehung
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
GlüStV 2021 § 9 Abs. 4 S. 2
AGGlüStV Art. 7 Abs. 2 Nr. 4
AGGlüStV Art. 15 Abs. 2
AGGlüStV Art. 16 Abs. 2
Schlagworte:
Bescheid, Vollziehung, Verwaltungsakt, Anfechtungsklage, Ermessensentscheidung, Sportwetten, Untersagung, Befristung, Anordnung, Nebenbestimmung, Erlaubnis, Vollzugsinteresse, Konzession, Spielsucht, aufschiebende Wirkung, sofortige Vollziehung, Anordnung der sofortigen Vollziehung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 12236
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin (Sportwettvermittlerin) begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Befristung einer ihr erteilten Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten.
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1. Die Antragstellerin ist Vertragspartnerin des Sportwettveranstaltungsunternehmens .... (Sportwettveranstalterin) und vermittelt Sportwetten am Standort K.-Straße ... in F. an diese Sportwettveranstalterin. Die streitgegenständliche Wettvermittlungsstelle wurde zuletzt mit Bescheid des Antragsgegners vom 16. Juni 2017, zuletzt geändert mit Bescheid vom 1. März 2018, mit Wirkung bis zum 30. Juni 2021 (formal) geduldet.
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Mit Schreiben vom 23. März 2022 beantragte die Sportwettveranstalterin für die Antragstellerin die Erteilung einer Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten in der Wettvermittlungsstelle am Standort K.-Straße ... in F.
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Mit Schreiben vom 5. April 2022 wurde die Antragstellerin zu einer beabsichtigten Untersagung der Erlaubnis angehört, auf eine im Umkreis von 250 Metern Entfernung gelegene Suchtberatungs- und Behandlungsstelle wurde hingewiesen.
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Die damalige Bevollmächtigte der Antragstellerin nahm mit Schriftsatz vom 21. Juni 2022 zur Anhörung Stellung. Der der Untersagung zugrunde gelegte Versagungsgrund des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV sei wegen der formalen Duldung der Wettvermittlungsstelle nach Art. 15 Abs. 2 AGGlüStV nicht anwendbar. Zwar sei die Duldung gegenüber dem früheren Wettvermittler ergangen. Aufgrund dieser Duldung bestehe jedoch auch vorliegend ein schützenswertes Interesse am Betrieb der erlaubt betriebenen Wettvermittlungsstelle. Für die im Umkreis von 250 Metern liegende Suchtberatungsstelle sei eine Ausnahme geboten, da nach den örtlichen Verhältnissen kein Sichtkontakt zwischen der Wettvermittlungsstelle und der Einrichtung bestehe. Wie sich aus den vor Ort gefertigten Lichtbildern ergebe, sei die Wettvermittlungsstelle aufgrund des Bewuchses im Straßenraum und der Straßenführung von der Suchtberatungsstelle aus nicht erkennbar. Auch die fußläufige Verbindung zwischen Bahnhof und Beratungsstelle führe nicht zwingend an der Wettvermittlungsstelle vorbei. Es sei fraglich, ob die Wettvermittlungsstelle von den Nutzern der Suchtambulanz überhaupt wahrgenommen werde, zumal die Werbung eher auf ein Café mit Sportübertragungen hindeute. Die Antragstellerin sei vertraglich unbefristet mit einem Mietvertrag für den Standort gebunden, der Betrieb des Cafés ohne Wettvermittlung rechne sich für den vereinbarten Mietzins nicht.
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Mit Bescheid vom 5. Dezember 2022 erteilte der Antragsgegner der Antragstellerin die Erlaubnis, in der Wettvermittlungsstelle K.-Straße ... in F., Sportwetten an die mit Konzession des zuständigen Regierungspräsidiums D. erlaubten Sportwettveranstalterin zu vermitteln (Ziffer 1), wobei die Erlaubnis widerruflich erteilt wurde (Ziffer 2). Die Erlaubnis gilt bis zum 31. Dezember 2022, sie erlischt mit Beendigung des Wettvermittlungsvertrags oder mit dem Verlust der Konzession des Veranstalters (Ziffer 3). In Ziffer 4 des Bescheids wurden verschiedene Nebenbestimmungen sowie in Ziffer 5 des Bescheids die sofortige Vollziehung der Nebenbestimmungen in Ziffern 3 und 4 des Bescheids angeordnet. Ferner enthielt der Bescheid eine Kostenentscheidung sowie eine Gebührenfestsetzung (Ziffern 6 und 7).
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Zur Begründung der Befristung der Erlaubnis wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass jede Vermittlung öffentlicher Glücksspiele gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV 2021 der Erlaubnis bedürfe. Eine Erlaubnis sei nach § 9 Abs. 4 Satz 2 GlüStV 2021 widerruflich zu erteilen und zu befristen. Vorliegend stehe der Erlaubniserteilung ein Versagungsgrund i.S.v. Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV entgegen. Innerhalb des 250-Meter-Radius um die Wettvermittlungsstelle befinde sich eine Suchtberatungs- und Behandlungsstelle, die zu den im Sinne der gesetzlichen Regelung geschützten Einrichtungen gehöre. Dort würde u.a. auch Information und Beratung bei Gefährdung durch Glücksspiel stattfinden. Eine Ausnahme von der Mindestabstandsregelung werde bei pflichtgemäßer Ermessensausübung nicht erteilt. Ein atypischer Einzelfall im Sinne besonderer örtlicher Verhältnisse liege nicht vor, die Wettvermittlungsstelle sei ohne größere Beschwerlichkeiten erreichbar. Die im Straßenraum vorhandenen Sichtbehinderungen stellten keine Grundlage für einen Ausnahmefall dar, dem Schutz vulnerabler Gruppen werde der Vorrang eingeräumt. Auch durch den Verzicht auf großflächige Werbung werde dem Schutzinteresse gefährdeter Personen nicht genügt. Die Befristung der erteilten Erlaubnis berücksichtige die Übergangsregelung in Art. 15 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 AGGlüStV für die geduldete Wettvermittlungsstelle. Ein weiterer Bestandsschutz über den Übergangszeitraum hinaus erwachse daraus nicht.
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Zur Begründung der sofortigen Vollziehung der Befristungsregelung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 VwGO die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse von der Behörde besonders angeordnet werde. Die Befristung diene der Einhaltung der Zielsetzungen des § 1 GlüStV, insbesondere dem Schutz vulnerabler Gruppen. Dadurch werde sichergestellt, dass die Vermittlung von Sportwetten gemäß den Zielen des § 1 GlüStV erfolge. Zudem sei die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit notwendig, um die Voraussetzungen zu schaffen, dass illegales Glücksspiel rechtssicher unterbunden werden könne.
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2. Hiergegen ließ die Antragstellerin am 1. Januar 2023 Klage erheben mit dem Ziel der Aufhebung der Befristungsregelung in Ziffer 3 des Bescheids vom 5. Dezember 2022. Hilfsweise wurde für den Fall, dass die isolierte Aufhebung der Befristungsregelung unzulässig sei, die Verpflichtung des Antragsgegners zur Erteilung einer Erlaubnis befristet bis zum 5. Dezember 2027 begehrt, höchst hilfsweise die Entscheidung über die begehrte Erlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (Au 8 K 23.1).
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Eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren ist noch nicht ergangen.
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Gleichzeitig lässt die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren beantragen,
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bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage gegen den Bescheid vom 5. Dezember 2022 die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen,
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vorsorglich den Antragsgegner zu verpflichten, bis zur Entscheidung über den Eilantrag der Antragstellerin von Vollstreckungsmaßnahmen bezüglich der in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids getroffenen Befristungsanordnung abzusehen.
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Zur Begründung wird im Antragsschriftsatz und mit weiteren Schriftsätzen im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO in statthafter Weise zulässig erhoben sei. Der Antrag sei auch begründet. Der angefochtene Verwaltungsakt sei hinsichtlich der Befristung der erteilten Erlaubnis offensichtlich rechtswidrig. Aber auch bei offenem Verfahrensausgang sei im Rahmen der Interessenabwägung dem Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage das größere Gewicht einzuräumen.
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Die Vollziehungsanordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO sei unzureichend begründet und deshalb formell rechtswidrig. Die Begründung sei formelhaft, sie lasse gerade nicht erkennen, dass sich die anordnende Behörde besonderer Umstände des Einzelfalls überhaupt bewusst gewesen sei. Vielmehr habe sie eine allgemeine, grundsätzlich für alle gleichlaufenden glücksspielrechtlichen Verfahren verwendbare Begründung gewählt. Sie setzte sich auch nicht damit auseinander, dass mit dem Zeitablauf zum 31. Dezember 2022 die Erlaubnis wegfalle und damit eine weitere sofortige Vollstreckbarkeit nicht notwendig sei.
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Die Befristungsregelung sei mit den Zielsetzungen des § 1 GlüStV unvereinbar, eine wirksame Bekämpfung der Spielsucht sei dadurch nicht zu erreichen. Die der Befristungsentscheidung zugrundeliegende Mindestabstandsregelung in Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV stelle eine unverhältnismäßige Ungleichbehandlung gegenüber dem Betrieb von Spielhallen und dem Angebot in staatlichen Sportwettvermittlungsstellen dar. Es fehle an jeder wissenschaftlichen Grundlage zum Nachweis der Geeignetheit der Mindestabstandsregelung zur Erreichung der Ziele des § 1 GlüStV. Sie sei im Übrigen auch inkohärent im Vergleich zum ubiquitär verfügbaren Glücksspielangebot im Internet. Damit verletze das Mindestabstandsgebot die verfassungsmäßigen Rechte der Antragstellerin aus Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG und verstoße gegen die unionsrechtlich garantierte Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV.
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Der Bescheid sei rechtsfehlerhaft an die Antragstellerin adressiert. Diese habe zu keinem Zeitpunkt einen Erlaubnisantrag gestellt. Antragsbefugt und damit richtiger Adressat der Erlaubnis sei nur die Sportwettenanbieterin.
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Die Mindestabstandsregelung in Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV stehe der unbefristeten Erlaubniserteilung nicht entgegen. Die vom Antragsgegner insoweit vorgenommene Ermessensentscheidung sei rechtsfehlerhaft, das alleinige Abstellen auf den Abstand zwischen der Wettvermittlungsstelle und der Suchtbehandlungseinrichtung verkenne den Regelungszweck des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV. Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergebe sich nicht, dass nur auf die örtlichen Gegebenheiten abzustellen sei. Vielmehr müssten alle Umstände des Einzelfalls in die Abwägungsentscheidung eingestellt werden. Dabei sei insbesondere zugunsten der Antragstellerin auch zu berücksichtigen, dass diese ihre Bereitschaft zur zurückhaltenden Außengestaltung der Wettvermittlungsstelle und die Anpassung von Öffnungszeiten an die Öffnungszeiten der Suchtbehandlungseinrichtung erklärt habe. Auch berücksichtige der Antragsgegner bei seiner Ermessenentscheidung nicht die im näheren Umkreis zur Suchtambulanz befindlichen Spielhallen und Wettannahmestellen nach Art. 7a AGGlüStV.
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Die Mindestabstandsregelung in Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV sei verfassungs- und unionsrechtswidrig. Die früher ergangene Rechtsprechung zum Mindestabstandsgebot bei Spielhallen sei nicht übertragbar, der Glücksspielstaatsvertrag 2021 schaffe eine neue Rechtsgrundlage. Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergebe sich, dass die Kohärenzprüfung nicht nur sektoral erfolgen dürfe, sie müsse alle Lotterien und Glücksspielformen einbeziehen. Insoweit fehle es auch an einer wissenschaftlichen Grundlage für die Einführung des Mindestabstandsgebots. Jedenfalls liege auch eine Ungleichbehandlung gegenüber Annahmestellen nach Art. 7a AGGlüStV vor, da diese ohne Mindestabstand zu geschützten Einrichtungen betrieben werden dürften. Auch Spielhallen müssten keinen Mindestabstand zu den geschützten Einrichtungen einhalten.
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Die Befristungsentscheidung verkenne auch den durch die Duldung des Betriebs erworbenen Vertrauensschutz.
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Schließlich falle auch die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene Interessenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin aus. Die Beendigung des Geschäftsbetriebs zum 31. Dezember 2022 könne bei einem Erfolg in der Hauptsache tatsächlich nicht mehr rückgängig gemacht werden. Hingegen stelle die vorläufige Weiterführung der Wettvermittlungsstelle keine gravierende Gefährdung des Gemeinwohls dar, so dass sie in Abwägung zwischen den gegenseitigen Interessen hingenommen werden könne.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Anträge abzulehnen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Antrag zumindest unbegründet sei. Die sofortige Vollziehung sei formell rechtmäßig angeordnet worden, die Maßgaben des § 80 Abs. 3 VwGO seien erfüllt. Die schriftliche Begründung lasse in nachvollziehbarer Weise die Erwägungen erkennen, die zur Anordnung der sofortigen Vollziehung geführt hätten. Dies sei auch bezogen auf die konkreten Umstände im vorliegenden Einzelfall geschehen. Es handele sich nicht um lediglich formelhafte Wendungen. Die in der Hauptsache erhobene isolierte Anfechtungsklage gegen die Befristung sei offensichtlich unzulässig. Im Bereich des Glücksspielrechts sei wegen § 9 Abs. 4 Satz 2 GlüStV 2021 offensichtlich, dass ohne die Befristung ein rechtswidriger Rest-Verwaltungsakt übrigbliebe. Die isolierte Anfechtungsklage gegen die Befristung wäre zudem offensichtlich unbegründet. Eine Befristung vormals formal geduldeter Wettvermittlungsstellen aufgrund von Art. 15 Abs. 2 i.V.m. Art. 16 Abs. 2 AGGlüStV bis zum 31. Dezember 2022 sei rechtlich nicht zu beanstanden. Die Abstandsregelungen des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV würden keinen unions- oder verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Auch eine reine Interessensabwägung fiele zu Ungunsten der Antragstellerin aus.
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Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie die vorliegende Behördenakte Bezug genommen. Die Verfahrensakte des Hauptsacheverfahrens Au 8 K 23.1 wurde beigezogen.
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Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz bleibt ohne Erfolg. Keine eigenständige Bedeutung kommt daneben dem vorsorglichen Antrag auf Erlass eines sogenannten „Hängebeschlusses“ (mehr) zu.
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Der Antrag der Antragstellerin nach § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung ihrer erhobenen Klage wiederherzustellen, ist bereits unzulässig (dazu unter 1.). Selbst wenn man den Antrag als zulässig erachten wollte, bliebe er ohne Erfolg. Denn die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell rechtmäßig (dazu unter 2.) und die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO durch das Verwaltungsgericht vorzunehmende eigenständige Abwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin und dem öffentlichen Vollzugsinteresse fällt zu Lasten der Antragstellerin aus. Die Befristung in Ziffer 3 des Bescheids vom 5. Dezember 2022 erweist sich aller Voraussicht nach als rechtmäßig und verletzt damit die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (dazu unter 3.). Gründe, gleichwohl im Interesse der Antragstellerin die aufschiebende Wirkung ihrer erhobenen Klage anzuordnen, sind nicht ersichtlich. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens (dazu unter 4.).
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In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO niedergelegten Kriterien zu treffen. Es hat zu prüfen, ob das Vollzugsinteresse so gewichtig ist, dass der Verwaltungsakt sofort vollzogen werden darf, oder ob das gegenläufige Interesse der Antragstellerin an der Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage (bzw. ihres Widerspruchs) überwiegt. Wesentliches Element im Rahmen der insoweit gebotenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann. Erweist sich der Rechtsbehelf als offensichtlich Erfolg versprechend, so wird das Interesse der Antragstellerin an einer Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage stärker zu gewichten sein, als das gegenläufige Interesse des Antragsgegners. Umgekehrt wird eine Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage grundsätzlich nicht in Frage kommen, wenn sich der Rechtsbehelf als offensichtlich aussichtslos darstellt. Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs nicht eindeutig zu beurteilen, sondern nur tendenziell abschätzbar, so darf dies bei der Gewichtung der widerstreitenden Interessen – dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin einerseits sowie dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners andererseits – nicht außer Acht gelassen werden. Lassen sich nach summarischer Überprüfung noch keine Aussagen über die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs machen, ist also der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. zum Ganzen BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BVerwG, B.v. 11.11.2020 – 7 VR 5.20 u.a. – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 52 ff. und Rn. 65 ff.; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Auflage 2022, § 80 Rn. 80 ff. und Rn. 120 ff.; Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand: 43. EL August 2022, § 80 Rn. 326 ff.).
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Soweit die Behörde die sofortige Vollziehung ausdrücklich gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat, d.h. die aufschiebende Wirkung der Klage nicht bereits kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, hat das Gericht zunächst zu prüfen, ob sich bereits die Anordnung der sofortigen Vollziehung als formell rechtswidrig erweist, insbesondere ob sich die behördliche Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung als im Sinne des § 80 Abs. 3 VwGO als nicht ausreichend erweist; ist dies der Fall, hat das Gericht ohne weitere Sachprüfung die Vollziehungsanordnung aufzuheben (vgl. Eyermann/Hoppe, VwGO, § 80 Rn. 54 ff., 98).
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1. Der Antrag der Antragstellerin gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage isoliert hinsichtlich der im Bescheid vom 5. Dezember 2022 angeordneten Befristung wiederherzustellen, ist bereits unzulässig, er ist nicht statthaft (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Eine isolierte Anfechtung der streitgegenständlichen Befristung der glücksspielrechtlichen Erlaubnis ist unzulässig, weil eine isolierte Aufhebung der Befristung offenkundig von vornherein ausscheidet.
31
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können Nebenbestimmungen zwar im Einzelfall isoliert angefochten werden (vgl. etwa BVerwG, U.v. 22.11.2000 – 11 C 2.00 – BVerwGE 112, 221 m.w.N.). Dies gilt auch für (wie hier) mit einem begünstigenden Verwaltungsakt erlassene belastende Nebenbestimmungen wie z.B. Befristungen. Ob eine solche Klage zur isolierten Aufhebung der Nebenbestimmung führen kann, hängt hierbei davon ab, ob der begünstigende Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann (zur isolierten Anfechtung der Befristung unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des BVerwG: VG Würzburg, B.v. 10.1.2023 – 5 W E 22.1986 – juris Rn. 24 m.w.N.). Dies ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des Anfechtungsbegehrens, sofern nicht eine isolierte Aufhebbarkeit offenkundig von vornherein ausscheidet (vgl. BVerwG, a.a.O.; vgl. dazu auch VGH BW, B.v. 11.8.2022 – 6 S 790/22 – juris Rn. 16). Letzteres ist der Fall, wenn die fragliche Bestimmung den Regelungsgehalt des Hauptverwaltungsakts definiert (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.2019 – 8 B 10.18 – juris Rn. 5).
32
b) Bei einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 21a Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2021, Art. 2 und 7 AGGlüStV zum Betrieb einer Wettvermittlungsstelle, die schon nach ihrer gesetzlichen Konzeption ausdrücklich eine Befristung vorsieht (vgl. § 9 Abs. 4 Satz 2 GlüStV 2021), ist eine Befristung integraler Bestandteil des Hauptverwaltungsakts. Ließe man die isolierte Anfechtung der befristeten Erlaubnis zu, ist offensichtlich, dass bei ihrer Aufhebung eine glücksspielrechtliche Erlaubnis entstehen würde, die rechtmäßig nicht bestehen bleiben kann. Eine unbefristete glücksspielrechtliche Erlaubnis stünde dazu in eklatantem, nicht hinnehmbarem Widerspruch (vgl. bereits VGH BW, B.v. 11.8.2022 – 6 S 790/22 – juris Rn. 16 für die Befristung von glücksspielrechtlichen Erlaubnissen für Spielhallen; im vorgenannten Sinn ausdrücklich nunmehr VG Würzburg, B.v. 10.1.2023 – W 5 E 22.1986 – juris Rn. 25; a.A. VG München, U.v. 1.12.2022 – M 27 K 22.5829 – juris, das die Zulässigkeit einer isolierten Anfechtbarkeit zwar bejaht (a.a.O. Rn. 13), gleichwohl im Rahmen der Begründetheit aber festhält (a.a.O. Rn. 18), dass eine Erlaubnis nach § 9 Abs. 4 Satz 2 GlüStV 2021 „in jedem Fall“ zu befristen sei; die Frage der isolierten Anfechtbarkeit offen lassend etwa BayVGH, B.v. 1.6.2021 – 23 ZB 20.532 – juris Rn. 11).
33
2. Wenn entgegen der vorstehenden Ausführungen der Antrag als zulässig zu erachten wäre, bliebe er ohne Erfolg. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell rechtmäßig, insbesondere sind entgegen der Antragsbegründung die sich aus § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ergebenden Begründungserfordernisse gewahrt.
34
a) An die Begründung i.S.d. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO sind keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen. Es reicht jede schriftliche Begründung, welche zu erkennen gibt, dass die anordnende Behörde eine Anordnung des Sofortvollzugs im konkreten Fall für geboten erachtet. Die Begründung muss kenntlich machen, dass sich die Behörde bewusst ist, von einem rechtlichen Ausnahmefall Gebrauch zu machen. Es müssen die besonderen, auf den konkreten Fall bezogenen Gründe angegeben werden, welche die Behörde dazu bewogen haben, den Suspensiveffekt aus § 80 Abs. 1 VwGO auszuschließen. Bei immer wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen kann sich die Behörde darauf beschränken, die insoweit typische Interessenlage zur Rechtfertigung der Anordnung aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass nach ihrer Auffassung diese Interessenlage auch im konkreten Fall vorliegt. Auf die inhaltliche Richtigkeit oder Tragfähigkeit der Begründung kommt es für die Frage ihrer formellen Rechtmäßigkeit nicht an (vgl. Eyermann/Hoppe, VwGO, § 80 Rn. 54 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 84 ff. je m.w.N.).
35
b) Die vorliegend vom Antragsgegner gegebene Begründung genügt den Anforderungen i.S.d. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
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Angesichts der Gefahren des Glücksspiels besteht ein überragendes Interesse der Allgemeinheit daran, diese Risiken möglichst gering zu halten bzw. eine effektive Vermeidung und Bekämpfung von Glücksspielsucht und u.a. die Gewährleistung von Jugend- und Spielerschutz (§ 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 GlüStV 2021) zu bewerkstelligen. Auf diese für den Betrieb einer Wettvermittlungsstelle typische Interessenslage (vgl. Eyermann/Hoppe, VwGO, § 80 Rn. 55) hat auch im konkreten Fall in nicht zu beanstandender Weise der Antragsgegner abgestellt. Zusätzlich dazu hat der Antragsgegner angeführt, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Befristungsregelung notwendig sei, um die Voraussetzungen zu schaffen, dass nach dem Auslaufen der befristet erteilten Erlaubnis nach dem 31. Dezember 2022 illegales Glückspiel rechtssicher unterbunden werden könne.
37
Der Antragsgegner hat der Sache nach die widerstreitenden Interessen erkannt und seiner konkreten Abwägung und Prüfung im Lichte der besonderen Gefährdungslage im Rahmen des Glückspielrechts, auch unter Berücksichtigung der Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 1 GlüStV 2021, zugrunde gelegt. Er hat auch zu erkennen gegeben, weswegen er eine Anordnung des Sofortvollzugs für geboten erachtet. Ob diese Aspekte das besondere Vollzugsinteresse nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO tragen, ist für die Frage der formellen Rechtmäßigkeit des Sofortvollzugs unerheblich.
38
3. Selbst wenn man den Antrag der Antragstellerin nach § 80 Abs. 5 VwGO als zulässig erachten wollte, bliebe der Antrag in der Sache ohne Erfolg. Denn die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotene, aber auch ausreichende summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass auch unter Beachtung sowohl nationalen, insbesondere Verfassungsrechts, als auch Unionsrechts, insbesondere der Marktfreiheiten, die angeordnete Befristung bis zum 31. Dezember 2022 aller Voraussicht nach rechtmäßig ist und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
39
Es wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen auf die detaillierten Begründungen im Bescheid vom 5. Dezember 2022, denen sich die Kammer anschließt (§§ 122 Abs. 2, 117 Abs. 5 (analog) VwGO).
40
Lediglich ergänzend ausgeführt:
41
a) Soweit der Bevollmächtigte der Antragstellerin vorträgt, dass der angefochtene Bescheid vom 5. Dezember 2022 bereits formell rechtswidrig und deshalb aufzuheben ist, weil dieser Bescheid rechtsfehlerhaft an die Antragstellerin – und nicht an die Sportwettveranstalterin ... – adressiert ist, ist dies zu verneinen.
42
Die Sportwettveranstalterin ... hat nach der gesetzlichen Konzeption des § 29 Abs. 2 Satz 2 GlüStV 2021 für die Antragstellerin als Sportwettvermittlerin, die in die Vertriebsorganisation des Veranstalters eingegliedert ist, den Antrag auf die Erteilung einer Erlaubnis zu stellen. Die Entscheidung über die Erteilung der Erlaubnis kann nach Art. 41 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG auch gegenüber der Antragstellerin bekanntgegeben werden, da diese Inhaltsadressat einer entsprechenden Erlaubniserteilung ist (vgl. BayVGH, B.v. 19.5.2022 – 23 C 22.1156 – juris Rn. 5). Die Entscheidung über den von der Sportwettveranstalterin ... zu stellenden Antrag erging aufgrund des Erlaubnisvorbehalts nach §§ 4 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 21a Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2021, Art. 2 und 7 AGGlüStV nach alledem zu Recht allein gegenüber der Antragstellerin (vgl. ausführlich bereits VG Augsburg, B.v. 4.7.2022 – Au 8 S 22.765 – juris Rn. 77 ff.).
43
b) Zur Überzeugung des Gerichts hat das Verwaltungsgericht München in seinem Urteil vom 1. Dezember 2022 (M 27 K 22.5829 – juris) zu einem mit dem vorliegenden Verfahren vergleichbaren Sachverhalt zutreffend herausgearbeitet, dass die Abstandsregelung des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV intertemporal anwendbar ist. Aus der Gesetzesbegründung zum AGGlüStV ergibt sich, dass diejenigen Betreiber einer Wettvermittlungsstelle, die sich freiwillig einem Duldungsverfahren unterworfen haben und deren Wettvermittlungsstelle weiterhin einen zuverlässigen Betreiber aufweist, in ihren Investitionen, welche sie im Vertrauen auf den Bestand des formalen Duldungsbescheides getätigt haben, in begrenztem Maße schutzwürdig sind bzw. waren und „daher für eine Übergangszeit von den Regelungen zu Mindestabständen befreit werden“ soll(t) en (vgl. LT-Drs. 18/14870, S. 17). Daraus ergibt sich, dass nach Ablauf der „Übergangszeit“ – also nach dem 31. Dezember 2022 – auch für Bestandsbetriebe die Abstandsvorgabe zur Anwendung kommen soll, sodass bei Nichteinhaltung der Abstände nach dem 31. Dezember 2022 regelmäßig ein Versagungsgrund vorliegt. Insoweit greifen auch die Einwände zum formellen Bestandsschutz nicht durch, weil der Gesetzgeber die diesbezügliche Problematik erkannt und sich angesichts des nur begrenzten Vertrauens in bereits getätigte Investitionen für einen Ausgleich mittels eines Übergangszeitraums im Rahmen seiner legislativen Einschätzungsprärogative in rechtlich nicht zu beanstandender Weise entschieden hat. Außerdem existiert kein Rechtssatz, der Vertrauensschutz dergestalt vermittelt, dass eine Betriebsstätte nicht zukünftigen Beschränkungen unterworfen werden dürfte (zum Ganzen VG München, U.v. 1.12.2022 – M 27 K 22.5829 – juris Rn. 15; vgl. auch bereits zu Fragen des nur begrenzt schutzwürdigen Vertrauens i.R.v. Art. 15 Abs. 2 AGGlüStV: VG Augsburg, B.v. 4.7.2022 – Au 8 S 22.765 – juris Rn. 93 ff. m.w.N.; dem folgend: VG Würzburg, B.v. 10.1.22023 – W 5 E 22.1986 – juris Rn. 48).
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c) Die Abstandsregelung des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV verstößt auch nicht gegen höherrangiges Unions- und/oder Verfassungsrecht.
45
aa) Diesbezüglich nimmt die Kammer zunächst umfassend auf ihre bisherige Rechtsprechung (VG Augsburg, B.v. 4.7.2022 – Au 8 S 22.765 – juris; VG Augsburg, B.v. 14.9.2022 – Au 8 S 22.1659 – juris; VG Augsburg, B.v. 26.9.2022 – Au 8 S 22.1578 – juris) Bezug, die sich ausführlich mit der Verfassungs- und Unionsrechtskonformität der Abstandsregelung auseinandersetzt und von den übrigen bayerischen Verwaltungsgerichten geteilt wird (vgl. VG München, U.v. 21.7.2022 – M 27 K 22.1195 – juris Rn. 23; VG München, U.v. 21.7.2022 – M 27 K 22.1646 – juris Rn. 21; VG München, U.v. 1.12.2022 – M 27 K 22.5829 – juris Rn. 16; VG Regensburg, B.v. 15.11.2022 – RN 5 S 22.1333 – juris Rn. 62 ff.; VG Würzburg, B.v. 10.1.2023 – W 5 E 22.1986 – juris Rn. 35 ff.).
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bb) Aus dem Klage- und Antragsvorbringen der Antragstellerin ergeben sich für die entscheidende Kammer keine Umstände, die eine hiervon abweichende Bewertung rechtfertigen könnten.
47
(1) Die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Grundlage zum Nachweis der Geeignetheit der Mindestabstandsregelung zur Erreichung der Ziele des § 1 GlüStV, die von der Antragstellerseite geltend gemacht wird, hat die Kammer unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH verneint. Danach ist der (nationale) Gesetzgeber „nicht gezwungen, vor der Einführung von Maßnahmen eine Untersuchung vorzulegen, die deren Verhältnismäßigkeit belegt“ (VG Augsburg, B.v. 4.7.2022 – Au 8 S 22.765 – juris Rn. 85). Eine derartige Verpflichtung ergibt sich auch nicht aus den Grundfreiheiten und der im Antragsschriftsatz in Bezug genommenen Rechtsprechung des EuGH (vgl. dazu im Einzelnen VG Augsburg, B.v. 4.7.2022 a.a.O.).
48
(2) Die weitere – bis zum 30. Juni 2024 beschränkte – Zulassung von Wettvermittlungsstellen nach Art. 7a AGGlüStV (Wettvermittlung in Annahmestellen) für die staatlichen Toto-/Lotto-Annahmestellen ohne die Einhaltung des Mindestabstandsgebots begründet entgegen der Auffassung der Antragstellerseite ebenfalls keine Bedenken gegen die Unionsrechtskonformität des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV. Auch insoweit kann die entscheidende Kammer im Einzelnen auf ihre Darlegungen im Beschluss vom 4. Juli 2022 (VG Augsburg, B.v. 4.7.2022 – Au 8 S 22.765 – juris Rn. 101 f.) verweisen. Insbesondere die zeitlich befristete Übergangsregelung und die Vermittlung im Nebengeschäft begründen eine hinreichende Differenzierung.
49
(3) Soweit die Antragstellerin vorbringt, dass die unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen zwischen Wettvermittlungsstellen und Spielhallen im Bestand im Hinblick auf die Mindestabstände zu Einrichtungen für Kinder und Jugendliche sowie Suchtberatungs- und Suchtbehandlungsstätten weder aus Gleichheitsgesichtspunkten (Art. 3 Abs. 1 GG) noch aus Kohärenzgesichtspunkten (Art. 56 AEUV) gerechtfertigt seien, ergeben sich für die Kammer bei summarischer Prüfung weder Zweifel an der Verfassungs- noch an der Unionrechtskonformität des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV. Bei der Prüfung des Gleichbehandlungsgrundsatzes – sei dieser im Einzelnen entweder grundgesetzlich oder unionsrechtlich abgeleitet – ist lediglich das Vorliegen eines sachlichen Grundes für die unterschiedliche Handhabung zu fordern, da die Unterscheidungsmerkmale nicht personen-, sondern sachverhaltsbezogen sind (vgl. hierzu etwa BeckOK-GG, 53. Edition, Stand: 15. November 2022, Art. 3 GG Rn. 30 ff.; Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, Art. 57 Rn. 75 ff. je m.w.N.). Dieser sachliche Grund ist in der besonderen Empfänglichkeit von Kindern und Jugendlichen (sowie analog von Betroffenen von Suchtberatungs- und Suchtbehandlungsstellen) gerade für Sportwetten begründet (vgl. auch bereits VG Augsburg, B.v. 4.7.2022 – Au 8 S 22.765 – juris Rn. 81 ff.; VG München, U.v. 1.12.2022 – M 27 K 22.5829 – juris Rn. 16; VG Regensburg, B.v. 15.11.2022 – RN 5 S 22.1333 – juris Rn. 63 ff.; VG Würzburg, B.v. 10.1.2023 – W 5 E 22.1986 – juris Rn. 45). Insoweit steht dem Gesetzgeber, der die unterschiedliche Handhabung von Abständen im Gesetzgebungsverfahren durchaus thematisiert hatte (vgl. LT-Drs. 18/16499, Plenarprotokoll vom 16.6.2021, S. 6), eine der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle weitestgehend entzogene Einschätzungsprärogative zu. Hiergegen gibt es rechtlich, zumal bei summarischer Prüfung, nichts zu erinnern, insbesondere obliegt es im vorliegenden Verfahren nicht der Kammer, zu beurteilen, ob Abstandsgebote auch für Spielhallen oder Betriebe, in welchen Geldspielgeräte aufgestellt sind, ebenfalls zweckmäßig gewesen wären (vgl. zur rechtlichen Unbedenklichkeit von Abstandsgeboten für Spielhallen nach § 2 Abs. 1 Satz 4 Spielhallengesetz Berlin: BVerfG, B.v. 7.3.2017 – 1 BvR 1314/12 u.a. – BVerfGE 145, 20 – juris Rn. 96 ff., 136 f., 141 f., 152).
50
(4) Dasselbe gilt für die Frage der Geeignetheit der Abstandsvorgabe zur Erreichung des Jugend- und Spielerschutzes bzw. der Bekämpfung von Spielsucht als wesentliches Ziel des GlüStV 2021 vor dem Hintergrund, dass auch in den Medien für Sportwetten geworben wird (vgl. VG Leipzig, B.v. 31.1.2022 – 5 L 23/22 – juris Rn. 65), zumal eine offensichtliche Ungeeignetheit für die Kammer vorliegend nicht ersichtlich ist und dem Gesetzgeber auch insoweit eine legislative Einschätzungsprärogative zukommt (zum Ganzen VG München, U.v. 1.12.2022 – M 27 K 22.5829 – juris Rn. 16 m.w.N.).
51
d) Die im Bereich des Radius von 250 Metern Entfernung zur streitgegenständlichen Wettvermittlungsstelle liegenden Suchtberatungs- und Behandlungsstelle stellt eine als schützenswert im Sinne des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV zu qualifizierende Einrichtung dar.
52
aa) Im Hinblick darauf, dass der Antragsgegner nach dem 31. Dezember 2022 die Erlaubnis für den Betrieb der streitgegenständlichen Wettvermittlungsstelle wegen Nichteinhaltung des Abstandsgebots ohnehin hätte versagen müssen (Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV), weil die streitgegenständliche Wettvermittlungsstelle den gesetzlichen vorgegebenen Abstand zur o.g. Einrichtung nach Aktenlage unterschreitet, war es auch nicht ermessensfehlerhaft, die Erlaubnis von vornherein bis zu dem längst möglichen Zeitpunkt, nach dem der Betrieb nicht mehr erlaubnisfähig gewesen wäre, zu befristen, zumal die Erlaubnis gemäß § 9 Abs. 4 Satz 2 GlüStV 2021 in jedem Fall zu befristen ist. Gerichtlich überprüfbare Ermessensfehler nach § 114 Satz 1 VwGO sind, zumal bei summarischer Prüfung, nicht ersichtlich. Insbesondere ein Ermessensausfall liegt angesichts der Ausführungen im Bescheid vom 5. Dezember 2022 u.a. zur Frage eines atypischen Falls nicht vor (zum Ganzen VG München, U.v. 1.12.2022 – M 27 K 22.5829 – juris Rn. 18).
53
bb) Der Standort der Wettvermittlungsstelle ist mit der Abstandsregelung des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV unvereinbar. Der maßgebliche Mindestabstand zu der nach der gesetzlichen Regelung als schützenswert anzusehenden Einrichtung wird gemessen von Eingangstür zur Eingangstür unterschritten. Die Berechnung der Mindestabstände ist nicht in Zweifel gezogen, aus dem Akteninhalt ergibt sich ebenfalls nichts Anderes.
54
(cc) Eine ausnahmsweise Zulassung scheidet aus.
55
Der Antragsgegner hat erkannt, dass die Entscheidung über eine mögliche Abweichung nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 Hs. 2 AGGlüStV in seinem Ermessen steht, dieses in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt sowie alle relevanten Belange mit dem ihnen zustehenden Gewicht in die Entscheidung eingestellt. Ermessensfehler sind, zumal bei summarischer Prüfung, nicht ersichtlich (§ 114 Satz 1 VwGO). Nach derzeitiger Aktenlage scheidet eine Ausnahme von der Mindestabstandsregelung aus.
56
Nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 Hs. 2 AGGlüStV kann die zuständige Erlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Umfeld des jeweiligen Standorts und der Lage des Einzelfalls Ausnahmen von dem Mindestabstand zulassen. Der Antragsgegner hat in seiner Ermessensentscheidung zutreffend zugrunde gelegt, dass die Erteilung einer Ausnahme von der Mindestabstandsregelung einen atypischen Sachverhalt erfordert – namentlich besondere topografische Verhältnisse im Umfeld des Standortes, durch welche ein Verstoß gegen das Abstandsgebot maßgeblich relativiert wird. Denn im Regelfall soll nach der Gesetzessystematik der Mindestabstand von 250 m Luftlinie eingehalten werden (vgl. VG Leipzig, B.v. 31.1.2022 – 5 L 23/22 – juris Rn. 35).
57
Der gesetzlichen Formulierung wegen sind Ausnahmen nur restriktiv zuzulassen. Etwaige Friktionen, die sich aus einer im Lichte von § 1 GlüStV 2021 „typisierenden“ Mindestabstandsregel ergeben können, sind hinzunehmen. Vor diesem Hintergrund folgt die Kammer auch nicht den Ausführungen der Antragstellerseite zur Unanwendbarkeit der Mindestabstandsregelung für die Fälle, in denen keine örtlichen Besonderheiten festzustellen sind.
58
Für eine nach o.g. Maßgaben die Abweichung vom Abstandsgebot rechtfertigende örtliche Besonderheit – namentlich einen topografisch atypischen Sachverhalt – ist vorliegend nichts ersichtlich. Auf die etwaig fehlende unmittelbare „Nähe- bzw. Sichtbeziehung“ oder etwaig geringere „Anziehungskraft“ aufgrund eines angebotenen Verzichts auf Außenwerbung und -darstellung bzw. der Einschränkungen der Öffnungszeiten kommt es nicht an. Beides ändert nämlich nichts an der (leichten) Erreichbarkeit der streitgegenständlichen Wettvermittlungsstelle ohne größere „Beschwerlichkeiten oder Hindernisse“. Gerade aber auf den Gesichtspunkt einer leichten Erreichbarkeit hat der Gesetzgeber mit seiner typisierenden Regelung eines Mindestabstandes abgestellt, wenn und weil er insbesondere den Besuch oder Aufenthalt von – in Bezug auf Glücksspiel – suchtgefährdeten Personen verhindern wollte, um auf diese Weise das Glücksspielangebot vor Ort und Anreize zum Spiel zu verringern respektive einem Werbe- und Gewöhnungseffekt entgegenzuwirken (vgl. hierzu LT-Drs. 18/5861, S. 9 für die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe bzw. für die Einrichtungen der Suchtberatung bzw. -behandlung; vgl. auch BVerwG, U.v. 5.4.2017 – 8 C 16.16 – NJW 2017, 14 Rn. 37 m.w.N.; VG Leipzig, B.v. 31.1.2022 – 5 L 23/22 – juris Rn. 36).
59
4. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO ist im vorliegenden Verfahren nicht in ausdrücklicher Weise gestellt. Im Gegensatz zum Hauptsacheverfahren hat die Antragstellerin im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren keinen (hilfsweisen) Verpflichtungsantrag gestellt. Das Begehren der anwaltlich vertretenen Antragstellerin beschränkt sich im vorliegenden Verfahren in der Antragstellung ausdrücklich auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer erhobenen isolierten Anfechtungsklage. Eine über solch ein explizit formuliertes Antragsbegehren hinausgehende Auslegung ist dem Gericht verwehrt, §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO.
60
Dessen ungeachtet bliebe ein Antrag nach § 123 VwGO nach den vorstehenden Ausführungen, auf welche entsprechend Bezug genommen wird, ebenfalls ohne Erfolg, weil sich die Befristung voraussichtlich als rechtmäßig erweist und die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch – gerichtet auf eine Verpflichtung des Antragsgegners, eine (über den 31. Dezember 2022 hinausreichende) „anderweitige“ Befristungsentscheidung zu treffen – glaubhaft zu machen vermag.
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5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
62
6. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffern 1.5 und 54.2.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. auch VG München, U.v. 1.12.2022 – M 27 K 22.5829 – juris).