Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 20.01.2023 – Verg 17/22
Titel:

Mehrstufiges Vergabeverfahren: Zulässigkeit eines Losentscheids im Teilnahmewettbewerb nach Bekanntgabe eines Nachprüfungsantrages; Zulässigkeit der Nichtausschreibung der Leistungsphase 1 des § 51 HOAI

Normenketten:
GWB § 97 Abs. 1 S. 2, § 97 Abs. 6, § 153 Abs. 1 S. 3, § 156 Abs. 2, § 168 Abs. 2 S. 2, § 169 Abs. 1, § 172 Abs. 1, § 173 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 1, S. 2, S. 4
VgV § 31 Abs. 6
Leitsätze:
1. Bei einer Vergabe im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, bei dem zur Angebotsabgabe nur eine begrenzte Zahl von Bewerbern aufgefordert werden soll, die im Falle eines Punktgleichstandes zuvor durch Los ausgewählt werden, verletzt die Durchführung des Losentscheids nach Bekanntgabe eines Nachprüfungsantrags eines Bewerbers diesen nicht in seinem Anspruch auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren (§ 97 Abs. 6 GWB). (Rn. 62 – 64) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 169 Abs. 1 GWB untersagt dem Auftraggeber nur die Erteilung des Zuschlags, während alle sonstigen Maßnahmen zur Durchführung des Vergabeverfahrens erlaubt bleiben. (Rn. 63) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Durchführung eines Losentscheids zur Auswahl derjenigen Bewerber, welche zur Angebotsabgabe aufgefordert werden sollen, kann der untersagten Erteilung des Zuschlags nicht gleichgestellt werden, weil sie – anders als der wirksame Zuschlag nach der gesetzlichen Wertung des § 168 Abs. 2 S. 1 GWB – nicht zwingend im Nachprüfungs- oder Beschwerdeverfahren irreversible Tatsachen schafft, sondern grundsätzlich durch eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Abschluss des Teilnahmewettbewerbs wieder aufgehoben werden kann, wenn dies zur Behebung eines geltend gemachten Rechtsverstoßes geboten ist. (Rn. 64) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei der Vergabe von Leistungen der Tragwerksplanung gemäß § 51 HOAI verletzt die Nichtausschreibung der Leistungen der Leistungsphase 1 einen Bewerber nicht in seinen Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB, wenn der zu beauftragende Tragwerksplaner mit den ausgeschriebenen Leistungen auf bereits durch Dritte erbrachte Leistungen der Leistungsphase 1 aufsetzen kann. (Rn. 69 – 71) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Mehrstufiges Vergabeverfahren, Teilnahmewettbewerb, Maximalzahl, Losentscheid, Nachprüfungsantrag, Erteilung des Zuschlags, irreversible Tatsache, Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in das Stadium vor Abschluss des Teilnahmewettbewerbs, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Nichtausschreibung der Leistungsphase 1
Vorinstanz:
Vergabekammer München, Beschluss vom 03.11.2022 – 3194. Z3-3_01-22-17
Rechtsmittelinstanzen:
BayObLG, Beschluss vom 08.02.2023 – Verg 17/22
BayObLG, Beschluss vom 26.05.2023 – Verg 17/22
Fundstellen:
VergabeR 2023, 679
BeckRS 2023, 12141
ZfBR 2023, 722
LSK 2023, 12141

Tenor

1. Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 3. November 2022, Az.: 3194.Z3-3_01-22-17, bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde zu verlängern, wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin erhält Gelegenheit, bis 20. Februar 2023 mitzuteilen, ob sie die sofortige Beschwerde aufrechterhält.
3. Die Beteiligten erhalten Gelegenheit, sich bis 20. Februar 2023 zum Streitwert des Beschwerdeverfahrens zu äußern.

Gründe

I.
1
Die Antragsgegnerin beabsichtigt, Leistungen der Tragwerksplanung gemäß § 51 HOAI, Leistungsphasen 2 bis 6 und 8, für den Neubau eines Schulzentrums am … in M. im Wege eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb zu vergeben.
2
Unter Ziffer II.2.9) der europaweiten Auftragsbekanntmachung vom 7. März 2022 wurde hinsichtlich einer etwaigen Beschränkung der Zahl der Bewerber, die zur Angebotsabgabe aufgefordert werden sollten, folgendes bestimmt:
„Geplante Mindestzahl: 3
Höchstzahl: 5
Objektive Kriterien für die Auswahl der begrenzten Zahl von Bewerbern:
Sollte die Durchführung des Teilnahmewettbewerbs ergeben, dass mehr Bewerber grundsätzlich geeignet sind, als zur Abgabe eines Angebots aufgefordert werden sollen, so wird der Auftraggeber die Bewerber auswählen, welche die unter Ziff. III.1.1. bis III.1.3 aufgeführten Eignungsvoraussetzungen am besten erfüllen. Um dies zu ermitteln, wird der Auftraggeber eine Auswahlmatrix verwenden.
Die Referenzangaben werden auf der Grundlage der unter Ziff. III.1.3 genannten Unterkriterien bewertet; Einzelheiten sind dem Bewerberbogen sowie der Auswahlmatrix zu entnehmen.
(…)
Erfüllen mehrere Bewerber an dem Teilnahmewettbewerb gleichermaßen die Anforderungen und ist die Bewerberanzahl nach einer objektiven Auswahl entsprechend der Auswahlmatrix zu hoch, kann die Auswahl unter den verbleibenden Bewerbern durch Los getroffen werden.“
3
Nach Ziffer III.1.3) der Bekanntmachung wurde hinsichtlich des Nachweises der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit unter anderem Folgendes festgelegt:
„(…)
Vorlage von max. 3 Referenzen vergleichbarer Leistungen des Bewerbers aus dem Referenzzeitraum 2011 – Ende der Bewerbungsfrist, die anhand folgender Kriterien bewertet werden (Wichtung 90%):
(…)
Die bestmögliche Bewertung zu Ziff. III.1.3 Nr. 1 wird nur erreicht, wenn die max. zulässige Anzahl an Referenzen (s.o.) die o.g. Kriterien vollumfänglich erfüllen.
(…)
Die teilweise Erfüllung der o.g. Kriterien führt nicht zum Ausschluss, sondern zu einer entsprechend geringeren Bewertung.“
4
Ausweislich Ziffer II.2.11) der Bekanntmachung sowie § 3 Ziffer 1 i. V. m. § 4 des Vertrags über die Tragwerksplanung (im Folgenden: „Vertrag“) erfolgt die Beauftragung stufenweise, wobei als erste Stufe die Leistungsphase 2 nach § 51 HOAI festgelegt ist.
5
Nach der Regelung in § 3 Ziffer 2 des Vertrags beabsichtigt der Auftraggeber,
„(…) dem Auftragnehmer bei Fortsetzung der Planung und Durchführung der Baumaßnahme weitere Leistungen nach § 4 einzeln oder im Ganzen zu übertragen.
(…)
Ein Rechtsanspruch auf Übertragung weiterer Leistungen besteht nicht.
Der Auftragnehmer ist verpflichtet, diese weiteren Leistungen zu erbringen, wenn sie an ihn innerhalb von 24 Monaten nach Fertigstellung der jeweils zuletzt übertragenen Leistungen vergeben werden. (…) Aus der stufenweisen Beauftragung kann der Auftragnehmer keine Erhöhung seines Honorars oder sonstige Ansprüche ableiten.“
6
Ausweislich Ziffer 1 des Formblatts „Honorarangebot zum Vertrag“ wurden die anrechenbaren Kosten auf voraussichtlich 17.800.000,00 € veranschlagt. Unter Ziffer 5 wurden für Leistungen, die nach Stundensätzen zu vergüten sind, nach der Qualifikation des jeweiligen Mitarbeiters gestaffelte Maximalstundensätze festgelegt.
7
Sowohl die Antragstellerin als auch zahlreiche weitere Bewerber reichten fristgerecht bis zum 5. April 2022 Teilnahmeanträge ein.
8
Mit Schreiben vom 17. März 2022 rügte die Antragstellerin die unterbliebene Ausschreibung der Leistungen der Leistungsphase 1 nach der HOAI, die fehlende Nachvollziehbarkeit der im Vordruck „Honorarangebot zum Vertrag“ angegebenen anrechenbaren Kosten von 17,8 Millionen Euro, die Sittenwidrigkeit und Unangemessenheit der in § 7 Ziffer 2 des Vertrags angegebenen Maximalstundensätze sowie die Unangemessenheit der in § 3 Ziffer 2 des Vertrags vorgesehenen Bindefrist von 24 Monaten nach Fertigstellung der jeweils zuletzt übertragenen Leistungen. Außerdem beanstandete sie „Unzureichende Wertungskriterien bei der Liste geeigneter Referenzen (Anlage zu 4.3.1 – Bewertungsbogen)“. Mit weiterem Schreiben vom 4. April 2022 rügte die Antragstellerin die Beschränkung der Anzahl der einzureichenden Referenzen auf drei. Die Antragsgegnerin wies die Rügen mit Schreiben vom 28. März 2022 und 5. April 2022 zurück.
9
Daraufhin stellte die Antragstellerin mit Schreiben vom 12. April 2022 einen Nachprüfungsantrag, mit dem sie beantragte, der Antragsgegnerin aufzugeben, das Vergabeverfahren in den Stand vor Abfassung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen, die Vergabeunterlagen unter Berücksichtigung der Auffassung der Vergabekammer zu überarbeiten und das Vergabeverfahren ab diesem Zeitpunkt zu wiederholen.
10
Zur Begründung führte sie – soweit im Beschwerdeverfahren noch von Interesse – im Wesentlichen aus:
11
Die Antragsgegnerin habe eine vergaberechtswidrige Beschränkung der Anzahl der einzureichenden Referenzen vorgenommen. Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf stelle dies aufgrund eines abschreckenden Effekts auf die am Auftrag interessierten Bieter einen Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz (§ 97 Abs. 1 GWB) dar.
12
Die vergaberechtswidrige Nichtbeauftragung der Leistungsphase 1 nach der HOAI führe dazu, dass der spätere Auftragnehmer gezwungen sei, diese Leistung unentgeltlich zu erbringen. In dem Formblatt „Honorarangebot“ habe die Antragsgegnerin nicht nachvollziehbare und intransparente Angaben gemacht. Dadurch würden die Bieter in der Angebotsphase dazu verleitet, aufgrund hoher Abschläge auf die Basishonorarsätze der HOAI möglichst günstige Angebote abzugeben. Eine Vergleichbarkeit der Angebote sei dadurch nicht mehr gewährleistet. Nach der Regelung in § 3 Ziffer 2 des Vertrags beabsichtige die Antragsgegnerin, dem Auftragnehmer bei Fortsetzung der Planung und Durchführung der Baumaßnahme die Leistungen der Leistungsphasen 3 bis 6 und 8 jeweils als einzelne Stufe zu übertragen und ihn zu deren Erbringung mit einer Frist von jeweils 24 Monaten nach Fertigstellung der jeweils zuletzt übertragenen Leistung zu verpflichten. Dies habe zur Folge, dass unter Berücksichtigung von § 6 Ziffer 1 des Vertrags die Leistungen der Leistungsphase 6 spätestens im Jahr 2031 beauftragt werden könnten. Eine derart weitreichende und einseitige Bindung an das Vertragsverhältnis stelle eine unangemessene Benachteiligung der Antragstellerin dar. Entsprechendes gelte für die Festlegung der Maximalstundensätze in § 7 Ziffer 2 des Vertrags sowie die Regelung zur Anpassung der vereinbarten Stundensätze im Falle einer Änderung der Orientierungswerte des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr für freiberufliche Planerleistungen.
13
Die im Schreiben vom 17. März 2022 geltend gemachte Rüge unzureichender Wertungskriterien machte sie nicht zum Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens.
14
Die Antragsgegnerin nahm eine Wertung der insgesamt 28 eingegangenen Teilnahmeanträge entsprechend der Auswahlmatrix vor; diese ergab, dass 24 Teilnahmeanträgen, darunter demjenigen der Antragstellerin, die erste Rangstelle zugewiesen wurde. Am 28. April 2022 führte die Antragsgegnerin den in Ziffer II.2.9) der Auftragsbekanntmachung für den Fall, dass mehr als fünf Bewerber gleichermaßen die Anforderungen erfüllen sollten, vorgesehenen Losentscheid durch. Die Antragstellerin wurde nicht als einer der fünf Bewerber, die zur Angebotsabgabe aufgefordert werden sollten, ausgelost.
15
Im Hinblick auf den durchgeführten Losentscheid beantragte die Antragsgegnerin, das Nachprüfungsverfahren einzustellen. Da die Antragstellerin weder als Bieterin noch als Nachrückerin gezogen worden sei, habe sich mit dem Abschluss des Teilnahmewettbewerbs das Nachprüfungsverfahren für die Antragstellerin erledigt.
16
Der Nachprüfungsantrag sei auch unbegründet. Die Antragstellerin verfolge mit ihrem Nachprüfungsantrag keine Ansprüche nach § 97 Abs. 6 GWB oder solche, die auf die Vornahme oder das Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren gerichtet seien, sondern Ansprüche, die den Vertragsvollzug beträfen.
17
Soweit die Antragstellerin die Beschränkung auf drei Referenzen zum Nachweis der Eignung beanstande, sei die zitierte Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragbar. Unabhängig davon habe die Antragsgegnerin die Anzahl der Referenzen beschränken dürfen, da dieses Kriterium weder zur Verneinung der Eignung noch zur Zulassung zum Wettbewerb herangezogen werden sollte.
18
Die von § 156 Abs. 2 GWB nicht umfassten Beanstandungen gegen die vorgesehenen vertraglichen Regelungen hätten keine Vergaberechtsverstöße zu Lasten der Bewerber begründet. Von der Ausschreibung der Leistungsphase 1 habe sie absehen können, da sie klargestellt habe, dass sie diese Leistung selbst erbringen werde. Zu Unrecht rüge die Antragstellerin die Intransparenz der Angaben aus dem Formblatt zum Honorarangebot; tatsächlich beanstande sie die dem Formblatt zugrunde liegende – zutreffende – Schätzung des Auftragswerts. Die Höhe der Maximalstundensätze unterliege dem Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers und basiere auf den Orientierungsvorgaben des Freistaats Bayern. Die Bindefrist von 24 Monaten für den Fall der stufenweisen Beauftragung sei vom Leistungsbestimmungsrecht der Antragsgegnerin gedeckt und führe nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung der Antragstellerin.
19
Die Antragstellerin widersprach der Ansicht der Antragsgegnerin, dass sich ihr Nachprüfungsantrag durch die Ablehnung ihres Teilnahmeantrags nach Durchführung des Losentscheids erledigt habe. Sollten sich die von ihr gerügten Vergaberechtsverstöße bestätigen, hätte sie aufgrund der dann gebotenen Zurückversetzung des Vergabeverfahrens eine erneute Möglichkeit, sich am Teilnahmewettbewerb zu beteiligen, weshalb ihre Antragsbefugnis fortbestehe und ihre Beschwer nicht entfallen sei. Andernfalls würde ihr trotz ordnungsgemäßer Rüge und Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens der Primärrechtsschutz verwehrt. Sie mache potentielle Vergaberechtsverstöße geltend, die zwingend im Wege vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes zu klären seien. Nur so könne vermieden werden, dass Angebote auf unterschiedlichen Grundlagen kalkuliert würden und so eine Vergleichbarkeit nicht mehr gewährleistet sei.
20
Die Vergabekammer wies mit Schreiben vom 5. August 2022 auf die nach ihrer vorläufigen Rechtsansicht bestehende Aussichtslosigkeit des Nachprüfungsantrags hin und regte dessen Zurücknahme an.
21
In ihrer Stellungnahme vom 25. August 2022 wandte die Antragstellerin ein, dass sie trotz nicht gerügter Durchführung einer Losentscheidung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt sein könne; die Fortsetzung des Vergabeverfahrens dürfe ihren Primärrechtsschutz nicht leerlaufen lassen. Wäre die Anzahl der Referenzen nicht unzulässigerweise auf drei beschränkt worden, hätte die Antragstellerin gegebenenfalls beim Teilnahmewettbewerb besser abgeschnitten. Es sei zumindest nicht ausgeschlossen, dass dann ein Losentscheid überhaupt nicht oder zumindest mit weniger Mitbewerbern hätte stattfinden müssen.
22
Mit Beschluss vom 3. November 2022 hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen und der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin mit Ausnahme von deren Rechtsanwaltskosten auferlegt. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin hat sie für nicht notwendig erklärt.
23
Zur Begründung ihrer Entscheidung führt sie aus, der zulässige Nachprüfungsantrag sei offensichtlich nicht begründet. Der Antrag habe sich zwar durch die Losentscheidung nicht erledigt, weil die Antragstellerin eine Rückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor dem Teilnahmewettbewerb anstrebe. Die von der Antragstellerin nicht gerügte Durchführung einer Losentscheidung, bei der sie nicht zur Angebotsabgabe ausgelost worden sei, führe allerdings dazu, dass sie durch etwaige Vergabeverstöße, die lediglich die Angebotsphase bzw. die vertraglichen Beziehungen zwischen dem künftigen Auftragnehmer und der Auftraggeberin berührten, nicht mehr in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt sein könne.
24
Eine vergaberechtswidrige Nichtbeauftragung der Leistungsphase 1 würde eine Rückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor der Bekanntmachung allenfalls dann erforderlich machen, wenn man in der Vergabe der Leistung unter Einschluss der Leistungsphase 1 ein aliud zum derzeitigen Leistungsumfang sähe. Es erschließe sich aber nicht, warum eine etwaige Aufnahme der Leistungsphase 1 in das Leistungssoll nicht im Rahmen einer Korrekturbekanntmachung erfolgen könnte. Im Übrigen sehe die Vergabekammer in der Nichtbeauftragung der Leistungsphase 1 keine Rechtsverletzung der Antragstellerin. Dem Auftraggeber stehe das Bestimmungsrecht zu, ob und welchen Gegenstand er beschaffen wolle. Wenn die Antragsgegnerin der Auffassung sei, sie könne die Leistungen der Leistungsphase 1 so erbringen, dass ein Tragwerksplaner darauf aufsetzend sogleich mit den weiteren Leistungsphasen weiterarbeiten könne, sei sie nicht verpflichtet, die Leistungsphase 1 zu vergeben. Die von der Antragstellerin aufgezeigten – naheliegenden – Probleme bei der Erarbeitung der weiteren Leistungsphasen benachteiligten nicht speziell die Antragstellerin, sondern drohten allen Bietern. Die Leistungsbestimmung der Antragsgegnerin sei damit weder diskriminierend noch wettbewerbseinschränkend, sondern führe lediglich zu erhöhten Risiken bei der Durchführung des Auftrags und sei möglicherweise unzweckmäßig. Alle Bieter hätten sich aufgrund der Nichtbeauftragung der Leistungsphase 1 bei ihrer Kalkulation entscheiden müssen, ob sie Aufwand für das Erbringen von Leistungen der Leistungsphase 1 einkalkulieren oder auf die Zusagen der Antragsgegnerin vertrauen, dass sie diese Leistungen für den Tragwerksplaner ausreichend erbringen werde.
25
Durch die Beschränkung der einzureichenden Referenzen auf drei sei die Antragstellerin nicht in ihren Zuschlagschancen beeinträchtigt worden, da ihre Referenzen mit voller Punktzahl bewertet worden seien und sie im Teilnahmewettbewerb zusammen mit 24 (recte: 23) weiteren Bewerbern den ersten Rang belegt habe.
26
Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin das Losverfahren unter Verstoß gegen vergaberechtliche Bestimmungen durchgeführt habe. Die Vergabekammer, die nach § 153 Abs. 1 Satz 3 GWB nicht zu einer umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle des Vergabeverfahrens verpflichtet sei, habe die Prüfung der Teilnahmeanträge nachvollzogen und bei den zum Losverfahren zugelassenen Bewerbern die Angaben in den Teilnahmeanträgen mit der Bewertung der Antragsgegnerin abgeglichen. Eine ungerechtfertigte Zulassung eines Bewerbers zum Losverfahren habe sie nicht feststellen können.
27
Gegen die ihr am 8. November 2022 zugestellte Zurückweisung ihres Nachprüfungsantrags hat die Antragstellerin am 22. November 2022 sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, die von ihr nicht gerügte Durchführung einer Losentscheidung, bei der sie nicht zur Angebotsabgabe ausgelost worden sei, führe entgegen der Ansicht der Vergabekammer nicht dazu, dass sie nicht mehr in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt sein könne. Denn das Vergabeverfahren sei wegen der gerügten Vergaberechtsverstöße in den Stand vor Abfassung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen und nach entsprechender Überarbeitung der Vergabeunterlagen unter Berücksichtigung des neuerlichen Teilnahmeantrags der Antragstellerin zu wiederholen.
28
Die Vergabekammer verkenne, dass die Antragstellerin durch die Beschränkung der Anzahl der einzureichenden Referenzen auf drei in ihren Zuschlagschancen beeinträchtigt worden sei. Denn es sei gerade nicht ausgeschlossen, dass sie bei der zulässigen Vorlage einer Vielzahl von Referenzen ein besseres Ergebnis im Teilnahmewettbewerb hätte erreichen können. Die weiteren Rügen der Antragstellerin beträfen entgegen der Ansicht der Vergabekammer nicht lediglich die Angebotsphase. Vielmehr wiesen sowohl die gerügten Vertragsbedingungen als auch die gerügte Nichtbeauftragung der Leistungsphase 1 Kalkulationsrelevanz auf, weshalb die Rügen Bieterrechte beträfen, deren Verletzung von der Vergabekammer zu überprüfen sei.
29
Für die ordnungs- und vertragsgemäße Auftragsausführung sei es unerlässlich, dass der Tragwerksplaner im Rahmen der Leistungsphase 1 aufgrund der Vorgaben oder der Bedarfsplanung des Auftraggebers die Aufgabenstellung im Benehmen mit dem Objektplaner kläre. Dazu gehöre die Klärung der Frage, welche Art von Tragwerk der Tragwerksplaner konzipieren und dann in den weiteren Leistungsphasen bis zur Ausführungsreife weiterentwickeln solle. Damit sei es von vorneherein unmöglich, dass die Leistungsphase 1 durch die Antragsgegnerin als Auftraggeberin erbracht werde. Wegen der nicht vorgesehenen Beauftragung der Leistungsphase 1 sei völlig offen, auf welcher Grundlage die Bieter ihre Angebotskalkulation vornähmen.
30
Das Formblatt „Honorarangebot“ (BF 5) enthalte nicht nachvollziehbare und damit zumindest irreführende, wenn nicht gar falsche und intransparente Angaben. Die anrechenbaren Kosten betrügen gemäß Ziffer 1. des Formblatts 17,8 Mio. Euro. Diese seien jedoch weder anhand der in Ziffer 11. 2.4) der Bekanntmachung veröffentlichten Nutzfläche noch der dort genannten Bruttogeschoßfläche nachvollziehbar. Die Angabe der anrechenbaren Kosten sei jedoch essenziell, um ein Angebot kalkulieren zu können.
31
Hinsichtlich der als vergaberechtswidrig beanstandeten Vertragsklauseln wiederholt die Antragstellerin in der Sache ihre Argumentation vor der Vergabekammer.
32
Die Antragstellerin führt aus, sie habe die beanstandeten Vertragsbedingungen und die Nichtbeauftragung der Leistungsphase 1 vor Ablauf der Frist für die Einreichung der Teilnahmeanträge und damit rechtzeitig gerügt. Zu diesem Zeitpunkt sei noch nicht klar gewesen, ob ein Losentscheid durchzuführen sei und wie dieser ausgehen werde. Erst seit der Herbeiführung des Losentscheides sei eine Rechtsverletzung der Antragstellerin in „Auftragnehmerrechten“ nicht mehr möglich. Maßgeblich für die Entscheidung, ob eine Rechtsverletzung vorliege oder nicht, müsse jedoch der Zeitpunkt des Nachprüfungsantrages bzw. des Ausspruchs des Zuschlagsverbots sein, nicht der Zeitpunkt der Entscheidung der Vergabekammer in der Sache.
33
Eine Rüge gegen die Herbeiführung der Losentscheidung hätte an der Sach- und Rechtslage im Übrigen nichts geändert. Die Losentscheidung als solche sei – soweit ersichtlich – vergaberechtmäßig gewesen. Entscheidend sei jedoch die Fortsetzung des Vergabeverfahrens durch die Beschwerdegegnerin, nämlich die Herbeiführung der Losentscheidung, die nun nach Auffassung der Vergabekammer zu einem Rechtsverlust geführt habe.
34
Die Antragstellerin beantragt,
I. den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 3. November 2022 (Geschäftszeichen: 3194.Z3-3_01-22-17) aufzuheben,
II. die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, das Vergabeverfahren in den Stand vor Abfassung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen, die Vergabeunterlagen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des angerufenen Gerichts zu überarbeiten und das Vergabeverfahren sodann ab diesem Zeitpunkt zu wiederholen,
III. hilfsweise, die Vergabekammer Südbayern zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des angerufenen Gerichts über die Sache erneut zu entscheiden,
IV. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten durch die Beschwerdeführerin für notwendig zu erklären und V. der Beschwerdegegnerin die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen aufzuerlegen.
35
Außerdem beantragt sie,
VI. gemäß § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung hierüber zu verlängern.
36
Die Antragsgegnerin beantragt,
1.
Die sofortige Beschwerde vom 22. November 2022 gegen den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 3. November 2022 (Az. 3194.Z3-3_01-22-17) wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2.
Der Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde nach § 173 Abs. 1 Satz 3 wird kostenpflichtig abgewiesen.
37
Die Antragsgegnerin hat ihrerseits sofortige Beschwerde gegen den vorgenannten Beschluss der Vergabekammer Südbayern erhoben mit dem Antrag,
den Beschluss dahingehend abzuändern, dass die Hinzuziehung der anwaltlichen Bevollmächtigten durch die Antragsgegnerin für erforderlich erklärt und die Antragstellerin dazu verpflichtet wird, die notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin einschließlich der Kosten der Bevollmächtigten zu tragen.
38
In Erwiderung auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin und deren Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung führt die Antragsgegnerin im Wesentlichen aus, die Antragstellerin könne schon deshalb nicht in eigenen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt worden sein, da sie nicht zur Angebotsabgabe ausgelost worden sei.
39
Keiner der behaupteten etwaigen Vergabeverstöße könne für eine Verschlechterung der Zuschlagschancen der Antragstellerin kausal geworden sein.
40
Durch die Beschränkung der Anzahl der einzureichenden Referenzen auf drei seien die Zuschlagschancen der Antragstellerin nicht beeinträchtigt worden. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin habe die Antragsgegnerin die Anzahl der anzugebenden Referenzen beschränken dürfen. Denn der Verzicht auf eine solche Beschränkung hätte eine „Belohnung“ desjenigen Bewerbers, der über die meisten Referenzen verfüge, zur Folge und führe somit – ohne sachlichen Grund – zu einer „feindlichen Bestimmung“ für mittelständische Unternehmen.
41
Unmaßgeblich seien die weiteren Beanstandungen der Antragstellerin, welche lediglich die Angebotsphase bzw. die späteren vertraglichen Beziehungen zwischen dem Auftragnehmer und dem Auftraggeber beträfen. Die Vergabekammer habe zutreffend ausgeführt, dass selbst dann, wenn insoweit Vergabeverstöße vorlägen, nur eine Rückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs erforderlich sei, an dem nur diejenigen Bieter zu beteiligen wären, die in diesen Verfahrensabschnitt vorgedrungen seien.
42
Durch die Nichtbeauftragung der Leistungsphase 1 sei die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt worden. Klarzustellen sei im Übrigen, dass die Antragsgegnerin aus guten Gründen von einer Beauftragung der Leistungsphase 1 abgesehen habe. Vor der gegenständlichen Ausschreibung der Tragwerksplanung sei der Auftragnehmer für die Objektplanung in einem VgV-Verfahren ermittelt worden. In der zweiten Stufe dieses Verfahrens hätten die ausgewählten Bewerber Lösungsvorschläge vorlegen müssen, die vergütet worden seien. Vor Abgabe seines Angebots habe der Verfasser des Siegerentwurfs diesen mit einem Tragwerksplaner eingehend auf Machbarkeit und mögliche Probleme besprochen. Somit sei eine Grundlage vorhanden, auf die der Tragwerksplaner mit der ausgeschriebenen Leistung aufsetzen könne und die eine nochmalige Erbringung aller Leistungen der Leistungsphase 1 entbehrlich mache.
43
Die angegebenen anrechenbaren Kosten seien weder überhöht noch nicht nachvollziehbar oder intransparent. Auch die weiteren Rügen der Antragstellerin seien aus den bereits im Verfahren vor der Vergabekammer dargelegten Gründen unberechtigt.
44
Der Senat hat mit Beschlüssen vom 2. Dezember 2022 und 16. Januar 2023 die aufschiebende Wirkung einstweilen verlängert.
II.
45
Der Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde ist gemäß § 173 Abs. 2 Satz 1 GWB abzulehnen. Unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen überwiegen die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde die mit einer weiteren Verzögerung verbundenen Vorteile. Dies gilt namentlich bei Berücksichtigung des Interesses der Allgemeinheit an einer wirtschaftlichen Erfüllung der Aufgaben der Antragsgegnerin nach § 173 Abs. 2 Satz 2 GWB sowie der in § 173 Abs. 2 Satz 4 GWB genannten Gesichtspunkte, darunter insbesondere der Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde.
46
Das Rechtsmittel der Antragstellerin wird aller Voraussicht nach erfolglos bleiben. Dem Interesse der Antragsgegnerin an einem raschen Abschluss des Verfahrens ist schon aus diesem Grund der Vorrang zu gewähren (h. M., vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 3. Juni 2022, Verg 7/22, VergabeR 2022, 772 [juris Rn. 55]; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. August 2018, Verg 30/18, juris Rn. 39). Nach summarischer Prüfung erachtet der Senat die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags durch die Vergabekammer für zutreffend. Die Antragstellerin bringt in ihrer Beschwerdebegründung keine Argumente vor, welche die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung in Frage stellen.
47
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 172 GWB) eingelegt worden. Die Antragstellerin ist durch die angefochtene Entscheidung der Vergabekammer formell und materiell beschwert, da ihr Rechtsschutzziel, der Antragsgegnerin aufzugeben, das Vergabeverfahren in den Stand vor Abfassung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen, die Vergabeunterlagen unter Berücksichtigung der Auffassung der Vergabekammer zu überarbeiten und das Vergabeverfahren ab diesem Zeitpunkt zu wiederholen, abgelehnt worden ist.
48
2. In der Sache wird die sofortige Beschwerde aber voraussichtlich keinen Erfolg haben. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, aber nach summarischer Überprüfung unbegründet.
49
Der Nachprüfungsantrag hat sich, wie die Vergabekammer zutreffend erkannt hat, durch den Losentscheid, bei dem die Antragstellerin nicht zur Angebotsabgabe ausgelost worden ist, nicht erledigt. Denn eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor dem Teilnahmewettbewerb wäre grundsätzlich möglich.
50
Das Ergebnis des Losentscheids, dessen Durchführung als solche die Antragstellerin nicht beanstandet, führt jedoch dazu, dass Rügen, die lediglich eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in das Stadium nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs rechtfertigen könnten, durch den Fortgang des Verfahrens überholt sind. Denn solche Rügen können dem mit dem Rechtsmittel verfolgten Ziel, das Vergabeverfahren in das Stadium vor Abfassung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen, nicht zum Erfolg verhelfen und verschaffen der Antragstellerin deshalb keine „zweite Chance“ auf das Losglück.
51
Soweit die Antragstellerin Vergabeverstöße rügt, deren Vorliegen eine Wiederholung des Teilnahmeverfahrens gebieten könnten, sind ihre Rügen nach dem Ergebnis einer summarischen Prüfung in der Sache nicht berechtigt.
52
a) Die Antragsgegnerin hat den Teilnahmewettbewerb ordnungsgemäß durchgeführt.
53
aa) Die noch vor der Vergabekammer erhobenen Rügen, dass die Antragsgegnerin den Losentscheid vor der Prüfung und Wertung der Teilnahmeanträge durchgeführt habe und dass nicht nur einer der beiden von einer Bietergemeinschaft eingereichten identischen Teilnahmeanträge Nr. 3 und Nr. 8 auszuschließen gewesen wären, sondern beide, verfolgt die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren nicht weiter.
54
bb) Gegen die Durchführung des Losentscheids als solche wendet sich die Antragstellerin ausdrücklich nicht.
55
cc) Fehler bei der Auswahl der Teilnehmer, die in den Losentscheid einbezogen wurden, sind nicht ersichtlich. Soweit die Antragstellerin an ihrer Auffassung festhält, die – ihrer Ansicht nach rechtswidrige – Beschränkung der Zahl der Referenzen auf drei sei geeignet, sich auf den Teilnahmewettbewerb auszuwirken, ist ihre Argumentation nicht stichhaltig.
56
(1) Die Vergaberechtswidrigkeit der aus der Auftragsbekanntmachung ersichtlichen Wertungskriterien für die Auswahl der zum Losentscheid zugelassenen Bewerber, insbesondere der Kriterien, nach denen die für Referenzen erzielbaren Punkte in der von der Antragsgegnerin zugrunde gelegten Auswahlmatrix vergeben werden, hat die Antragstellerin weder vor der Vergabekammer noch im Beschwerdeverfahren beanstandet.
57
In ihrem Schreiben vom 17. März 2022 hatte die Antragstellerin unter Ziffer 2
„unzureichende Wertungskriterien bei der Liste geeigneter Referenzen (Anlage zu 4.3.1 – Bewerbungsbogen)“ gerügt. Die Abfrage der Qualifikation des Bewerbers für den Auftragsgegenstand hielt sie aber nur deshalb für unzureichend, weil wesentliche, auch in der Tragwerksplanung zu berücksichtigende Anforderungen, die sich aus der Objektbeschreibung hinsichtlich Ökologie und Energieeffizienz ergäben, nicht bewertet würden und der Auftraggeber nicht angebe, um welches Tragwerk es sich handele. Nur an diese angeblichen Versäumnisse der Antragsgegnerin knüpfte die Antragstellerin die Rüge, dass eine ordentliche Wertung der Kompetenz des zu beauftragenden Tragwerksplanungsbüros „somit“ nicht möglich sei.
58
Die Beschränkung der Anzahl der vorzulegenden Referenzen auf drei rügte die Antragstellerin zwar mit Schreiben vom 4. April 2022. Diese Rüge wurde jedoch ausschließlich damit begründet, dass eine „mengenmäßige“ Beschränkung der Anzahl der Referenzen unzulässig sei, da eine solche Vorgabe gegen den Wettbewerbsgrundsatz (§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB) verstoße. Einen Bezug dieser Rüge zu der bereits zuvor erhobenen Beanstandung unzureichender Wertungskriterien im Zusammenhang mit den vorzulegenden Referenzen stellte die Antragstellerin weder in ihrem Rügeschreiben noch im Nachprüfungsverfahren her. Die mit Schreiben vom 17. März 2022 erhobene Rüge „unzureichender Wertungskriterien bei der Liste geeigneter Referenzen“ hat sie nach deren Zurückweisung durch die Antragsgegnerin nicht zum Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens gemacht.
59
(2) Unter Zugrundelegung der von der Antragstellerin nicht angegriffenen Wertungskriterien kann sich die gerügte Beschränkung der Anzahl der vorzulegenden Referenzen auf drei im vorliegenden Fall auf die Auswahl der in das Losverfahren einbezogenen Teilnahmeanträge nicht ausgewirkt haben.
60
Die Antragstellerin begründet ihre gegenteilige Ansicht damit, dass sie, wenn die Antragsgegnerin nicht vergaberechtswidrig eine Beschränkung der einzureichenden Referenzen vorgesehen hätte, mehr als drei Referenzen hätte einreichen und damit im Vergleich zu den weiteren interessierten Unternehmen bei der Wertung der Referenzen mehr Punkte hätte erzielen können. Es sei deshalb nicht ausgeschlossen, dass der Losentscheid möglicherweise überhaupt nicht oder aber mit weniger als gleich gut eingestuften Mitbewerbern hätte stattfinden müssen.
61
Diese Darstellung ist unzutreffend. Die Antragstellerin blendet aus, dass die Antragsgegnerin die von ihr eingereichten Referenzen mit der nach der für die Wertung maßgeblichen Auswahlmatrix maximal erreichbaren Punktzahl bewertet hat. Eine höhere als die maximal erreichbare Punktzahl hätte die Antragstellerin auch bei einer zulässigen Einreichung von mehr als drei Referenzen nicht erzielen können. Wie die Vergabekammer zutreffend ausführt, hätte die Antragstellerin deshalb auch bei Vorlage einer Vielzahl von Referenzen kein besseres Ergebnis im Teilnahmewettbewerb erreichen und damit den Losentscheid vermeiden können. Auch die Anzahl der in das Losverfahren einzubeziehenden Mitbewerber hätte sich bei unveränderter Anwendung der Auswahlmatrix nicht verkleinert, wenn die Bewerber mehr als drei Referenzen hätten vorlegen dürfen.
62
dd) Die Antragstellerin wird entgegen ihrer Ansicht auch nicht dadurch in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt, dass die Antragsgegnerin den Losentscheid am 28. April 2022 durchgeführt hat, nachdem ihr der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 12. April 2022 bekanntgegeben worden war.
63
Gemäß § 169 Abs. 1 GWB darf der Auftraggeber zwar bis zum Ablauf der Beschwerdefrist nach § 172 Abs. 1 GWB den Zuschlag nicht erteilen, nachdem er von der Vergabekammer über den Nachprüfungsantrag unterrichtet worden ist. Untersagt wird dem Auftraggeber durch diese Vorschrift aber nur die Erteilung des Zuschlags. Alle sonstigen Maßnahmen zur Durchführung des Vergabeverfahrens bleiben dagegen erlaubt; deshalb kann der Auftraggeber auch nach Eintritt des Zuschlagsverbots etwa die Prüfung und Wertung der Angebote vornehmen (vgl. Antweiler in Burgi/ Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, § 169 GWB Rn. 16; Vavra/Willner, ebenda, § 176 Rn. 5; Blöcker in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, 5. Aufl. 2020, § 168 Rn. 87).
64
Die Durchführung eines Losentscheids zur Auswahl derjenigen Bewerber, welche zur Angebotsabgabe aufgefordert werden sollen, kann der untersagten Erteilung des Zuschlags nicht gleichgestellt werden. Der Losentscheid nimmt den nicht zur Angebotsabgabe ausgelosten Bietern zwar die Chancen auf die Erteilung des Zuschlags. Er kann auch zur Folge haben, dass einzelne Rügen durch den Fortgang des Verfahrens überholt sind, schafft aber – anders als der wirksame Zuschlag nach der gesetzlichen Wertung des § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB – nicht zwingend im Nachprüfungs- oder Beschwerdeverfahren irreversible Tatsachen. Die durch den Losentscheid herbeigeführte Auswahl kann vielmehr grundsätzlich durch eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Abschluss des Teilnahmewettbewerbs wieder aufgehoben werden, wenn dies zur Behebung eines geltend gemachten Rechtsverstoßes geboten ist.
65
b) Die Antragstellerin, die in dem ordnungsgemäß durchgeführten Teilnahmewettbewerb nicht zur Angebotsabgabe ausgelost worden ist, hat indes keinen aus dem Gleichbehandlungsgebot (§ 97 Abs. 1 Satz 2 GWB) abgeleiteten Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin das laufende Vergabeverfahren in das Stadium vor Abschluss des Teilnahmewettbewerbs zurückversetzt und ihr dadurch eine „zweite Chance“ eröffnet, zur Angebotsabgabe ausgelost zu werden.
66
aa) Eine Zurückversetzung ist allerdings geboten, wenn das eingeleitete Vergabeverfahren nicht ohne weiteres durch Zuschlag beendet werden darf und zur Bedarfsdeckung eine Neuausschreibung in Betracht kommt, etwa weil die falsche Verfahrensart gewählt wurde (vgl. zum Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb: BGH, Beschluss vom 10. November 2009, X ZB 8/09 – Endoskopiesystem, BGHZ 183, 95 Rn. 31).
67
Nicht jeder Fehler gebietet jedoch eine vollständige Zurückversetzung des Vergabeverfahrens. Im zweistufigen Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb kommt eine Zurückversetzung in das Stadium vor Abschluss des Teilnahmewettbewerbs in Betracht, wenn eine Zuschlagserteilung bei Fortsetzung des Verfahrens deshalb unmöglich ist, weil es schon an einer tragfähigen Auswahl der Bewerber fehlt oder bei ordnungsgemäßer Prüfung der Teilnahmeanträge kein Bewerber die Voraussetzungen für eine Aufforderung zur Angebotsabgabe erfüllt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Eignungsvoraussetzungen fehlerhaft oder unverhältnismäßig sind. Denn die Behebung dieses Verstoßes setzt ein Zurückversetzen des bisherigen Vergabeverfahrens auf die (Neu-)Bestimmung der Eignungskriterien voraus (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 30. März 2021, 11 Verg 18/20, juris Rn. 61).
68
bb) Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in das Stadium vor Abschluss des Teilnahmewettbewerbs nicht erfüllt.
69
(1) Durch die Nichtausschreibung der Leistungen der Leistungsphase 1 wird die Antragstellerin nicht in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt.
70
Dem Auftraggeber steht das Bestimmungsrecht zu, ob und welchen Gegenstand er beschaffen will. Indessen unterliegt die Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers und damit auch die Frage, welche Anforderungen an die zu beschaffenden Leistungen gestellt werden dürfen, allgemeinen vergaberechtlichen Grenzen. Die konkrete Bestimmung des Auftragsgegenstands durch den öffentlichen Auftraggeber muss sachlich gerechtfertigt sein und es bedarf nachvollziehbarer, objektiver und auftragsbezogener Gründe hierfür. Die Festlegung hat willkür- und diskriminierungsfrei zu erfolgen und die Vorgaben des § 31 Abs. 6 VgV zu beachten (st. Rspr., vgl. BayObLG, Beschluss vom 29. Juli 2022, Verg 13/21, VergabeR 2022, 737 juris Rn. 45; OLG Rostock, Beschluss vom 1. September 2021, 17 Verg 2/21 – LUCA-App I, juris Rn. 43; OLG München, Beschluss vom 26. März 2020, Verg 22/19, juris Rn. 128).
71
In ihrer Beschwerdeerwiderung vom 1. Dezember 2022 legt die Antragsgegnerin nachvollziehbar dar, warum sie von einer Ausschreibung der Leistungen der Leistungsphase 1 abgesehen hat. Sie führt hierzu aus, vor der verfahrensgegenständlichen Ausschreibung der Tragwerksplanung sei in einem Vergabeverfahren nach der Vergabeverordnung der Auftragnehmer für die Objektplanung ermittelt worden. In der zweiten Stufe des letztgenannten Verfahrens hätten die ausgewählten Bewerber Lösungsvorschläge vorgelegt; vor Abgabe seines Angebots habe der Verfasser des Siegerentwurfs diesen mit einem Tragwerksplaner eingehend auf Machbarkeit, mögliche Probleme und andere Fragen besprochen. Auf dieser Grundlage könne der zu beauftragende Tragwerksplaner mit seiner Leistung aufsetzen; eine (nochmalige) Erbringung aller Leistungen der Leistungsphase 1 sei somit entbehrlich.
72
Diesem konkretisierten Vorbringen der Antragsgegnerin ist die Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 15. Dezember 2022 nicht entgegengetreten.
73
In der Sache behauptet die Antragsgegnerin damit unwidersprochen, dass die vom Tragwerksplaner im Rahmen der Leistungsphase 1 zu erbringenden Teilleistungen im Wesentlichen bereits durch die vorliegende Objektplanung erbracht worden seien. Die Argumentation der Antragstellerin, durch die unterbliebene Ausschreibung der Leistungsphase 1 werde der Auftragnehmer gezwungen, diese Leistungen unentgeltlich zu erbringen, kann vor diesem Hintergrund nicht nachvollzogen werden. Die pauschale und nicht mit fallbezogenen Argumenten untermauerte Behauptung, dass bei der Ausschreibung von Leistungen der Tragwerksplanung auf die Beauftragung der Leistungsphase 1 keinesfalls verzichtet werden könne, hält der Senat nicht für überzeugend.
74
(2) Die weiteren Rügen der Antragstellerin – die als unklar und intransparent beanstandeten Angaben im Formblatt „Honorarangebot“, die Festlegung von Maximalstundensätzen und die Festlegung einer Bindefrist von 24 Monaten nach Fertigstellung der jeweils zuletzt übertragenen Leistungen – berühren, wie die Vergabekammer zutreffend erkannt hat, allenfalls die Angebotsphase bzw. die späteren vertraglichen Beziehungen zwischen dem künftigen Auftragnehmer und der Antragsgegnerin. Wenn die gerügten Vergabeverstöße vorlägen, käme deshalb allenfalls eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs in Betracht.
75
Bei der Beseitigung etwaiger Vergabeverstöße ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 97 Abs. 1 Satz 2 GWB) zu beachten. Es dürfen nur diejenigen Maßnahmen getroffen werden, die geeignet und erforderlich sind, um den festgestellten Vergaberechtsverstoß zu beseitigen und – soweit geboten – darüber hinaus die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens zu gewährleisten (Blöcker in Röwekamp/Kus/Portz/ Prieß, GWB, § 168 Rn. 17). Geboten ist demnach eine Rückversetzung und Wiederholung des Vergabeverfahrens bis zu dem Stand, in dem der geltend gemachte Rechtsverstoß behoben werden kann. Weisen die Leistungsbeschreibung oder die bekannt gegebenen Zuschlagskriterien Mängel auf, genügt im Allgemeinen eine Wiederholung des Verfahrens von der Aufforderung zur Angebotsabgabe an, mit der zumindest den Unternehmen, die ein Angebot abgegeben haben, eine berichtigte Leistungsbeschreibung zu übersenden und korrigierte Zuschlagskriterien bekannt zu geben sind (vgl. Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 160 GWB Rn. 25).
76
Die von der Antragstellerin beanstandeten Angaben im Formblatt „Honorarangebot“ sowie die als unangemessen gerügten Vertragsbedingungen gebieten nach diesen Grundsätzen keine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in das Stadium vor Abfassung der Vergabeunterlagen. Die insoweit gerügten Vergabeverstöße beträfen weder die Zuschlagskriterien noch die Beschreibung der vom Auftragnehmer auszuführenden Leistungen. Die Höhe der anrechenbaren Kosten wirkt sich lediglich auf die Berechnung der Vergütung aus, die der Auftragnehmer nach der HOAI beanspruchen kann. Falls die gerügten Rechtsverstöße vorlägen, würde es deshalb auch insoweit genügen, zu ihrer Behebung das Vergabeverfahren in das Stadium nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs zurückzuversetzen. Ihr Vorliegen würde aber nicht dem von der Antragsgegnerin durchgeführten Losentscheid die Grundlage entziehen, weshalb sie nicht geeignet wären, der Antragstellerin eine zweite Chance zur Erlangung des Auftrags zu verschaffen. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch darauf, dass das Verfahren wegen Vergabeverstößen, die sie wegen des durchgeführten Losentscheids nicht (mehr) in ihren Rechten beeinträchtigen können, weitergehend zurückversetzt wird, als zur Beseitigung des behaupteten Verstoßes nötig, nur um ihr eine neue Teilnahmechance zu eröffnen.