Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 26.05.2023 – Verg 2/23
Titel:

Ausschluss eines Bieters wegen fehlerhafter Eigenerklärung

Normenketten:
VgV § 45 Abs. 2, Abs. 4, § 48 Abs. 2, § 57 Abs. 1
GWB § 122 Abs. 4
Leitsätze:
1. „Objektiv fehlerhaften Eigenerklärungen kommt kein Beweiswert zu. Sie können nicht Grundlage der vom Antragsgegner vorzunehmenden Eignungsprüfung sein. (Rn. 70 und 75 – 77)
2. Das Angebot eines Bieters ist nach § 57 Abs. 1 Halbsatz 1 VgV zwingend auszuschließen, wenn er infolge einer objektiv fehlerhaften Eigenerklärung seine Eignung nicht nachweisen kann.“ (Rn. 70 und 79 – 80)
1. Dem öffentlichen Auftraggeber steht bei der Auswahl der Eignungskriterien ein Beurteilungsspielraum zu. Die Eignungskriterien müssen jedoch mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Eignungskriterien sind für den Bieter verständlich in der Auftragsbekanntmachung aufzuführen und die vorzulegenden Eignungsnachweise müssen nach Art, Inhalt und Zeitpunkt der Vorlage eindeutig bestimmt sein. Ausreichend kann allerdings schon die singuläre Forderung eines Belegs der Eignung ohne Rückbezug zu eigenständig definierten Eignungskriterien sein, sofern daraus für den Bieter Rückschlüsse auf damit mittelbar gestellte Eignungskriterien möglich sind. (Rn. 44 und 47) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wird ein Auftrag losweise vergeben, ist zum Schutze mittelständischer Unternehmen auch die geforderte Eignung losbezogen zu prüfen. (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Lose, Dienstleistung, Eignung, Ausschluss, Referenzen, Eignungsnachweis, Leistungsfähigkeit, Eigenerklärung, Angemessenheit, Transparenz
Vorinstanz:
Vergabekammer München, Beschluss vom 10.01.2023 – 3194.Z3-3_01-22-24
Fundstellen:
VergabeR 2023, 647
LSK 2023, 12133
BeckRS 2023, 12133
ZfBR 2023, 611

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 10. Januar 2023, Gz. 3194.Z3-3_01-22-24, in den Ziffern 1., 2. und 4. aufgehoben.
2. Dem Antragsgegner wird untersagt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Er wird verpflichtet, bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht die Rechtsauffassung des Senats zu beachten.
3. Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer als Gesamtschuldner, wobei sich der Kostenanteil der Beigeladenen im Außenverhältnis auf ein Halb reduziert. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der durch das Verfahren nach § 173 GWB verursachten Kosten tragen der Antragsgegner und die Beigeladene als Gesamtschuldner.
Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin tragen der Antragsgegner und die Beigeladene je zur Hälfte. Die Beigeladene und der Antragsgegner tragen ihre notwendigen Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung jeweils selbst.
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer war notwendig.
5. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 750.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsgegner, ein Landkreis, schrieb mit Bekanntmachung vom 2. Februar 2022 im offenen Verfahren verschiedene abfallwirtschaftliche Dienstleistungen aus.
2
Streitgegenständlich ist das Los 1 „Einsammlung von Hausmüll und Bioabfall“.
3
Die Lose sind in Ziffer II.1.4) der Bekanntmachung genannt:
4
Los 1: Einsammlung von Hausmüll und Bioabfall; Los 2: Bioabfallverwertung; Los 3: Sperrmüll; Los 4: Bauschutt, Gipskarton, Porenbeton und Flachglas; Los 5: Altkunststoffe (stoffgleiche Nichtverpackungen); Los 6: Altholz AI bis AIII; Los 7 Altholz AIV und Teppiche; Los 8: Altmetall; Los 9: Buntmetalle und Bleiakkus; Los 10: Altreifen; Los 11: Druckerzeugnisse; Los 12: Elektro- und Elektronikaltgeräte; Los 13: Grüngut; Los 14: Mobile Problemabfallsammlung.
5
Die Lose 3 bis 13 umfassen die Containergestellung an Recyclinghöfen.
6
Unter Ziffer II.2) der Bekanntmachung wird der Auftrag bezüglich des streitgegenständlichen Loses wie folgt beschrieben:
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II.2.1) Bezeichnung des Auftrags:
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Los 1: Einsammlung von Hausmüll und Bioabfall Los-Nr.: 1
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II.2.2) Weitere(r) CPV-Code(s)
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90511000 Abholung von Siedlungsabfällen 90512000 Transport von Haushaltsabfällen 90514000 Recycling von Siedlungsabfällen 90511200 Einsammeln von Hausmüll 90511100 Einsammeln von kommunalem Müll 90511300 Müllsammlung
11
90511400 Altpapiersammlung …
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II.2.4) Beschreibung der Beschaffung: 14-tägliche Abfuhr von Restabfall und alternierend von Bioabfall Transport von Restabfall zur weiteren Behandlung zum Abfallheizkraftwerk … Transport von Bioabfall zur Übernahmestelle des Auftragnehmers von Los 2
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Die in Ziffer II.2.2) genannten CPV-Codes sind bei allen Losen identisch.
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Im Abschnitt III. der Bekanntmachung werden zur Eignung insbesondere folgende Angaben verlangt:
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III.1.2) Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit Auflistung und kurze Beschreibung der Eignungskriterien:
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- Angaben zum Gesamtumsatz des Unternehmens sowie zum Umsatz im Bereich der ausgeschriebenen Leistung, jeweils bezogen und aufgegliedert auf die letzten 3
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Geschäftsjahre – Jahresabschluss …
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III.1.3) Technische und berufliche Leistungsfähigkeit Auflistung und kurze Beschreibung der Eignungskriterien:
- …
- Liste der Referenzprojekte über ausgeführte vergleichbare Leistungen aus den letzten 3 Jahren, jeweils mit Angabe des Leistungsumfangs (Mengen), des Leistungszeitraums sowie der Auftraggeber mit Ansprechpartner
- …
- Los 1 Einsammlung von Hausmüll und Bioabfall: Anzahl und Art der Fahrzeuge, getrennt für die Rest- und Bioabfallsammlung. Die Fahrzeuge müssen mind. der Abgasnorm EURO 6 entsprechen. … Die Antragstellerin und die Beigeladene gaben jeweils fristgerecht ein Angebot ab.
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Dem Angebot der Beigeladenen war eine Referenzliste mit vier Aufträgen beigefügt, welche die Sammlung von Bio- und Restmüll in vier Städten zum Inhalt hatten. Der Umfang dieser Referenzaufträge war hinsichtlich des Restmülls jeweils deutlich geringer als die im streitgegenständlichen Auftrag zu erbringende Leistung. Selbst die jeweils größte Referenz umfasste bei der Restmüllsammlung und der Biomüllsammlung nur ungefähr ein Fünftel des Umfangs des streitgegenständlichen Auftrags.
20
Mit Schreiben vom 10. März 2022 bat der Antragsgegner die Beigeladene „gemäß § 56 Abs. 2 VgV“, u. a. zu den vergleichbaren Referenzen und Umsätzen im Leistungsbereich Los 1 ergänzend Stellung zu nehmen. Sie solle auf Grund des geringen Umfangs der Einzelreferenzen die Leistungsfähigkeit ihres Unternehmens für den streitgegenständlichen Auftrag darstellen und dabei insbesondere auf die Sicherstellung der Disposition und die Abwicklung der Abfuhr in einem Gebiet der streitgegenständlich ausgeschriebenen Größe eingehen. Zudem solle sie darstellen, wie die im Angebot angegebenen Umsätze für vergleichbare Leistungen im Los 1 und die für dieses Los benannten Referenzen in Beziehung stünden.
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Die Beigeladene erläuterte fristgerecht ihre Umsatzangaben. Sie habe nur eine Auswahl ihrer Referenzen angegeben, die sich auf die behältergestützte Hausmüll- und Biomüllsammlung bezögen. Die im Formblatt dargestellten Referenzen stellten aber nicht die einzigen vergleichbaren Leistungen ihres Unternehmens dar. Bei der Angabe des Umsatzes für vergleichbare Leistungen habe sie weitere Aufträge einbezogen, nämlich die behältergestützte Papiersammlung über die Blaue Tonne in einem Sammlungsgebiet mit etwa 300.000 Einwohnern sowie die behältergestützte Sammlung des Gelben Sacks („Gelber Sack in Blauer Tonne“) in einem Landkreis mit etwa 200.000 Einwohnern. Sie sei für Abfallsammlungen der ausgeschriebenen Größe leistungsfähig. Sie erläuterte zudem ihre Disposition.
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Nachdem die Antragstellerin am 13. Mai 2022 gemäß § 134 GWB darüber informiert worden war, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag der Beigeladenen zu erteilen, rügte sie mit Schreiben vom 16. und 19. Mai 2022 vor allem, die Beigeladene sei nach den aufgestellten Eignungskriterien ungeeignet. Ausweislich einer Internetrecherche sei sie mit der Einsammlung von Abfällen lediglich in kleineren kreisangehörigen Kommunen beauftragt; soweit diese Leistungen die tonnengestütze Sammlung von Hausmüll oder Biomüll beträfen, seien sie nicht mit den ausgeschriebenen Leistungen vergleichbar. Die Abfuhr von Papiertonnen sei mit der Einsammlung von Hausmüll oder Bioabfall nicht vergleichbar.
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Mit dem nach Zurückweisung der ersten Rüge am 19. Mai 2022 gestellten Nachprüfungsantrag hat die Antragstellerin ihre Argumentation vertieft.
24
Die Antragstellerin hat beantragt,
Dem Antragsgegner wird untersagt, den Zuschlag zu Los 1 auf ein Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Angebote unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu bewerten.
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Der Antragsgegner und die Beigeladene haben beantragt, den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 19. Mai 2022 zurückzuweisen.
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Der Antragsgegner hält den Nachprüfungsantrag für unbegründet. Die Beigeladene sei insbesondere geeignet. Die Angebotsaufklärung sei kein Hinweis darauf, dass er die Referenzen nicht für vergleichbar gehalten habe. Er habe zudem Umstände aufklären dürfen, die über die verlangten Eignungsnachweise hinausgingen. Das Angebot der Beigeladenen sei nicht deshalb auszuschließen, weil die von ihr zum Los 1 angegebenen „Umsätze im Bereich der ausgeschriebenen Leistungen“ auch Umsätze aus der Leerung blauer Papiertonnen beinhalteten. Die Vorgabe sei nicht auf die Abfuhr von Haus- und Biomüll beschränkt, sondern erfasse auch andere kommunale tonnengestützte Abfuhrleistungen. Die Formulierung Umsätze „im Bereich“ der ausgeschriebenen Leistung verstehe ein mit derartigen Ausschreibungen befasster Bieter aus seiner Sicht im gleichen Sinne wie die Formulierung „mit vergleichbaren Leistungen“. Bei der Beschreibung des Loses 1 seien unter Ziffer II.2.2) der Bekanntmachung zudem weitere CPV-Codes angegeben, u. a. für die „Altpapiersammlung“. Aus der objektiven Sicht eines verständigen Bieters sei dies so zu verstehen, dass zu den „Umsätzen im Bereich der ausgeschriebenen Leistungen“ alle Umsätze aus den genannten Leistungsbereichen gehörten. Gehe man von unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten aus, könne das Angebot der Beigeladenen nicht ausgeschlossen werden. Es liege auch kein Fall der Korrektur einer fehlerhaften Erklärung vor, die Beigeladene habe ihre Umsatzangaben lediglich erläutert.
27
Die Beigeladene ist der Ansicht, die Antragstellerin habe ins Blaue hinein substanzlose Behauptungen aufgestellt. Sie, die Beigeladene, habe vergleichbare Referenzen nachgewiesen. Der Antragsgegner habe ihre Eignung über die in der Auftragsbekanntmachung verlangten und vorgelegten Eignungsnachweise hinaus ergänzend gemäß § 15 Abs. 5 VgV aufklären dürfen. Das Verhältnis von Umsatz und eingereichten Referenzen sei lückenlos aufklärbar gewesen. Gegen die Bewertung, dass ihre Referenzen vergleichbar seien, sei nichts einzuwenden. Anders als die Anforderungen an die technische und berufliche Leistungsfähigkeit in Ziffer III.1.3) der Bekanntmachung differenzierten die Anforderungen an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit in Ziffer III.1.2) der Bekanntmachung nicht nach den einzelnen Losen. Aus dem maßgebenden objektiven Empfängerhorizont eines verständigen Bieters sei damit weder der tätigkeitsbezogene Umsatz auf die Einsammlung von Hausmüll und Bioabfall als Abfallfraktion beschränkt noch sei eine wirksame Mindestanforderung, d. h. eine Mindesthöhe des Umsatzes oder ein Umsatz mit einer bestimmten Abfallfraktion, bekannt gegeben worden. Sie habe ihre Umsatzangaben zudem nicht in der Höhe nach unten korrigiert, sondern lediglich ergänzend erläutert, wie sich die aus ihrer Sicht mit der ausgeschriebenen Leistung vergleichbaren Umsätze zusammensetzten. Eine solche Klarstellung sei nach § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV zulässig.
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Mit Beschluss vom 10. Januar 2023, der der Antragstellerin am 12. Januar 2023 zugestellt worden ist, hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen und die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner und die Beigeladene für notwendig erklärt. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, der Nachprüfungsantrag sei überwiegend zulässig, aber unbegründet. Die vom Antragsgegner vorgenommene Bewertung der Vergleichbarkeit der Referenzen der Beigeladenen sei nicht zu beanstanden [wird ausgeführt]. Das Angebot der Beigeladenen sei nicht wegen der Umsatzangaben im Bereich der ausgeschriebenen Leistungen auszuschließen, da die Vorgaben der Vergabeunterlagen bezüglich der Frage, welche Umsätze einzubeziehen seien, nicht hinreichend klar gewesen seien. In Ziffer II.2.1) der Bekanntmachung werde der Auftrag zwar mit „Einsammlung von Hausmüll und Bioabfall“ beschrieben, durch die Angabe der CPV-Codes in Ziffer II.2.2) der Bekanntmachung würde der Leistungsbereich aber erweitert. Dass die Beigeladene auch Umsätze aus der dort genannten Altpapiersammlung berücksichtigt habe, könne ihr angesichts der unklaren Vorgaben des Antragsgegners nicht zum Nachteil gereichen. Im Übrigen komme ein Ausschluss des Angebots der Beigeladenen nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV wegen unzureichender Angaben zu den geforderten Umsätzen im Bereich der ausgeschriebenen Leistungen nicht in Betracht, da selbst eine inhaltlich unzureichende Unterlage nicht mit einer fehlenden gleichzusetzen sei.
29
Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 26. Januar 2023. Sie rügt insbesondere, der Antragsgegner habe die Eignung der Beigeladenen fehlerhaft bejaht. Die Beigeladene sei ungeeignet, weil sie lediglich Referenzen nachgewiesen habe, die in ihrem Umfang entscheidend hinter der ausgeschriebenen Leistung zurückblieben. Das erforderliche „Mindestmaß der Vergleichbarkeit“ der von der Beigeladenen benannten Referenzleistungen mit dem ausgeschriebenen Auftragsgegenstand werde bei Weitem nicht erreicht [wird ausgeführt]. Die Vorgabe „Umsatz im Bereich der ausgeschriebenen Leistung“ sei aus der Sicht eines verständigen Bieters eindeutig. Sie beziehe sich auf die Umsätze, die der Bieter mit der Durchführung konkret derjenigen Leistungen erzielt habe, die im jeweiligen Los ausgeschrieben worden seien. Die Beigeladene habe jedoch Umsätze genannt, die sie zu ca. 50% mit Leistungen erwirtschaftet habe, die nicht die tonnengestützte Sammlung von Hausmüll und Bioabfall, sondern die Einsammlung von Papier beträfen. Diese unzutreffenden Angaben der Beigeladenen müssten zum Ausschluss ihres Angebots führen, weil eine Prüfung der Eignung der Beigeladenen im Hinblick auf die verlangten Umsätze im Bereich der ausgeschriebenen Leistung auf der Grundlage der von der Beigeladenen im Angebot benannten Umsätze nicht möglich gewesen sei. Dass die Eignungsprüfung auf der Basis unzutreffender bzw. fehlerhafter Umsatzangaben nicht erfolgen könne, liege auf der Hand.
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Die Antragstellerin beantragt,
1.
Der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 10. Januar 2023 wird aufgehoben.
2.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Wertung der Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats zu wiederholen.
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Hilfsweise – für den Fall, dass die Anträge zu den Ziffern 1 und 2 ohne Erfolg bleiben – beantragt die Antragstellerin, den Beschluss der Vergabekammer dahin abzuändern, dass die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch den Antragsgegner nicht notwendig war.
32
Der Antragsgegner und die Beigeladene beantragen, die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.
33
Der Antragsgegner verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer. Nach Durchführung der Aufklärung habe kein Anlass bestanden, der Beigeladenen die Eignung abzusprechen [wird ausgeführt]. Zu Recht habe die Vergabekammer festgestellt, dass das Angebot der Beigeladenen auch nicht deshalb auszuschließen sei, weil die von ihr zum Los 1 (Einsammlung von Haus- und Biomüll) im Angebot angegebenen „Umsätze im Bereich der ausgeschriebenen Leistungen“ auch Umsätze aus der Leerung blauer Papiertonnen beinhalteten. Die abstrakte Formulierung Umsätze „im Bereich der ausgeschriebenen Leistung“ werde ein mit derartigen Ausschreibungen befasster Bieter im gleichen Sinne verstehen, wie die Formulierung „mit vergleichbaren Leistungen“. Die Umsatzabfrage auf die behältergestützte Abfuhr von Haus- und Biomüll zu verengen, würde weder der bewusst gewählten abstrakten Formulierung der Anforderung noch dem Verständnis des einschlägigen Bieterkreises gerecht. Jedenfalls sei die Vorgabe nicht dahingehend eindeutig, dass bei Los 1 nur Umsätze anzugeben seien, die mit der Sammlung von Hausmüll und Bioabfall erwirtschaftet worden seien. Ein Ausschluss nach § 57 VgV komme hier im Übrigen nicht in Betracht. Einen Ausschlusstatbestand wegen „überschießender“ oder „fehlerhafter“ Erklärungen enthalte § 57 VgV nicht. § 57 Abs. 1 Halbsatz 2 VgV sei nicht einschlägig. Unter den Tatbestand des § 57 Abs. 1 Halbsatz 1 VgV lasse sich der Fall nicht subsumieren, es gehe nicht um die Nichterfüllung eines Eignungskriteriums. Die Annahme, eine (vermeintlich) fehlerhafte Erklärung falle unter diesen Ausschlusstatbestand, begegne schon deshalb dogmatischen Bedenken, weil die Ausschlusstatbestände in § 57 VgV abschließend geregelt seien und nicht erweiternd ausgelegt werden dürften. Es habe sich um eine Aufklärung nach § 15 Abs. 5 VgV gehandelt.
34
Auch die Beigeladene verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer. Sie legt dar, warum sie die von ihr benannten Referenzaufträge als vergleichbar ansieht. Die Anforderung, den Umsatz im Bereich der ausgeschriebenen Leistung anzugeben, habe ein verständiger Bieter so verstehen können, dass auch die Umsätze aus artverwandten, d. h. inhaltlich gleichgelagerten und mit vergleichbaren Anforderungen an Disposition und sonstige Auftragsdurchführung verbundenen behältergestützten Sammlungen anderer Abfallfraktionen, etwa von Papier und „Gelbem Sack“ angesetzt werden können. Ein Ausschluss ihres Angebots nach § 57 Abs. 1 Halbsatz 1 VgV komme mangels hinreichend bestimmter Eignungskriterien nicht in Betracht. Es bestünden zudem erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der vergaberechtlichen Rechtsprechung zu § 56 Abs. 2 VgV, wonach ein Nachreichen weiterer Referenzen als Korrektur unternehmensbezogener Unterlagen unzulässig sei.
35
Der Senat hat mit Beschluss vom 7. Februar 2023 die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde vorläufig bis zum 21. März 2023 und mit Beschluss vom 8. März 2023 bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde verlängert.
36
Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze und das Sitzungsprotokoll vom 26. April 2023 Bezug genommen.
II.
37
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
38
Über den Hilfsantrag war daher nicht zu entscheiden.
39
Das Angebot der Beigeladenen ist nach § 57 Abs. 1 Halbsatz 1 VgV mangels Nachweises ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit zwingend auszuschließen.
40
Keiner Entscheidung bedarf dagegen die Frage, ob der Antragsgegner in vergaberechtlich nicht zu beanstandender Weise die technische und berufliche Leistungsfähigkeit der Beigeladenen bejaht hat.
41
1. Der Nachprüfungsantrag ist aus den von der Vergabekammer darlegten Gründen hinsichtlich der Rüge, die unzutreffenden Angaben der Beigeladenen zu ihren Umsätzen im Bereich der ausgeschriebenen Leistung müssten zum Ausschluss ihres Angebots führen, zulässig.
42
2. Die Angaben im Angebot der Beigeladenen zu ihren Umsätzen „im Bereich der ausgeschriebenen Leistung“ entsprechen nicht den vom Antragsgegner in Ziffer III.1.2) der Bekanntmachung im Einklang mit § 122 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, Abs. 4 GWB, § 45 Abs. 4 Nr. 4 VgV gemachten Vorgaben. Umsätze, die mit gewerblichen Altpapiersammlungen erwirtschaftet wurden, gehören bei Los 1 eindeutig nicht zum
„Umsatz im Bereich der ausgeschriebenen Leistung“.
43
a) Dem Auftraggeber steht bei der Auswahl der Eignungskriterien ein Beurteilungsspielraum zu, der seine Grenze in § 122 Abs. 4 GWB findet. Es dürfen demnach nur solche Eignungskriterien gestellt werden, die mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. Dezember 2021, 11 Verg 6/21, juris Rn. 71 m. w. N.). Die Anforderung der Angemessenheit unterwirft die Auswahl der Eignungskriterien dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. Hausmann/von Hoff in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, 5. Aufl. 2020, § 122 Rn. 41 ff.). § 45 VgV bestimmt den rechtlichen Rahmen für die Festlegung der Kriterien zur Beurteilung der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit eines Bieters (§ 122 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 GWB). Nach § 45 Abs. 4 Nr. 4 VgV darf insbesondere eine Erklärung über den Gesamtumsatz und den Umsatz in dem Tätigkeitsbereich des Auftrags verlangt werden.
44
Wegen des Transparenzgebots und der bei Nichtbeachtung von Ausschreibungsbedingungen drohenden Gefahr eines Angebotsausschlusses müssen die Bieter der Ausschreibung klar entnehmen können, welche Voraussetzungen an ihre Eignung gestellt werden und welche Erklärungen und Nachweise von ihnen in diesem Zusammenhang verlangt werden (BGH, Urt. v. 3. April 2012, X ZR 130/10 – Straßenausbau, NZBau 2012, 513 Rn. 9; OLG München, Beschluss vom 30. November 2020, Verg 6/20, juris Rn. 104). Die Eignungskriterien sind nach § 122 Abs. 4 GWB in der Auftragsbekanntmachung aufzuführen. Die vorzulegenden Eignungsnachweise müssen nach Art, Inhalt und Zeitpunkt der Vorlage eindeutig gefordert sein (Dittmann in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, 2. Aufl. 2022, § 57 Rn. 100).
45
Für das Verständnis maßgeblich ist der objektive Empfängerhorizont der potenziellen Bieter, also eines abstrakt bestimmten Adressatenkreises (BGH – Straßenausbau, NZBau 2012, 513 Rn. 10). Dass Bieter oder Bewerber Vergabeunterlagen auslegen müssen, um das vom öffentlichen Auftraggeber Verlangte zu erkennen, ist als solches nicht vergaberechtswidrig (OLG München, Beschluss vom 30. November 2020, Verg 6/20, juris Rn. 105; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12. Dezember 2017, Verg 19/17, juris Rn. 56 ff.). Wurden Eignungskriterien nicht ausdrücklich formuliert, muss aus dem Umfang der von den Bietern vorzulegenden Unterlagen und abzugebenden Erklärungen ein Rückschluss auf den Inhalt des Eignungskriteriums gezogen werden (OLG Dresden, Beschluss vom 5. Februar 2021, Verg 4/20, NZBau 2021, 817 Rn. 29 [juris Rn. 34]). Bestehen nach der Auslegung noch Unklarheiten und Widersprüche, gehen sie zu Lasten des Auftraggebers (OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. Dezember 2021, 11 Verg 6/21, juris Rn. 74; OLG Düsseldorf a. a. O. Rn. 64; Friton in BeckOK Vergaberecht, 27. Ed. Stand: 31. Oktober 2022, GWB § 122 Rn. 58).
46
b) Der Einwand, der Antragsgegner habe kein Eignungskriterium aufgestellt, greift nicht durch.
47
Der Antragsgegner hat zwar nur Angaben zu den Umsätzen verlangt, also Belege der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit (§ 45 Abs. 4 Nr. 4, § 48 Abs. 1 VgV). Die singuläre Forderung eines Belegs der Eignung ohne Rückbezug zu eigenständig definierten Eignungskriterien ist nach der Rechtsprechung allerdings zulässig, sofern daraus Rückschlüsse auf damit mittelbar gestellte Eignungskriterien möglich sind. Der Beleg stellt in einem solchen Fall nicht nur einen Nachweis für die Eignung dar, sondern definiert zugleich konkludent die materiellen Eignungskriterien (vgl. BayObLG, Beschluss vom 29. Juli 2022, Verg 16/21, juris Rn. 122; OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. Dezember 2021, 11 Verg 6/21, juris Rn. 73 m. w. N. – jeweils zu § 46 VgV). Der öffentliche Auftraggeber kann zwar unter den Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 VgV Mindestumsätze festlegen, ist dazu aber nicht verpflichtet. Hier hat sich der Antragsgegner dafür entschieden, nach § 45 Abs. 4 Nr. 4 VgV Angaben zum Gesamtumsatz des Unternehmens sowie zum Umsatz im Bereich der ausgeschriebenen Leistung in den letzten drei Geschäftsjahren zu verlangen. Anders als in den von der Beigeladenen zitierten Entscheidungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Beschluss vom 11. Juli 2018, Verg 24/18, juris Rn. 55 f.) und des Oberlandesgerichts München (Beschluss vom 25. Februar 2019, Verg 11/18, juris Rn. 53 ff.) ergibt sich die Anforderung unmittelbar aus der Bekanntmachung (§ 122 Abs. 4 GWB) und nicht aus einem Verweis auf die Vergabeunterlagen.
48
Die geforderten Angaben zu den Umsätzen in den letzten drei Jahren sollen dem Auftraggeber eine Prognoseentscheidung über die finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit Bezug auf den konkreten Leistungsgegenstand ermöglichen und Aufschluss darüber geben, mit Aufträgen welcher Größe die Unternehmen umgegangen sind und daher voraussichtlich umgehen können (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 25. September 2012, 1 Verg 5/12, NZBau 2013, 63 [juris Rn. 7]; von Hoff in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 45 Rn. 19 und 21). Der Gesamtumsatz gibt Auskunft über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Bewerbers überhaupt. Aus Angaben über den Umsatz für entsprechende Leistungen lässt sich abschätzen, wie sich bisher die fraglichen Leistungen in wirtschaftlicher Sicht in die gesamte Tätigkeit des Bewerbers einordneten (vgl. Voppel in Voppel/Osenbrück/Bubert, VgV, 4. Aufl. 2018, § 45 Rn. 28).
49
Mit der Anforderung, Angaben zu den Umsätzen zu machen, hat der Antragsgegner somit als materielles Eignungskriterium insbesondere die Höhe der Umsätze festgelegt, die der Bieter in den letzten drei Geschäftsjahren im Bereich der ausgeschriebenen Leistung erwirtschaftet hat. Hat der Auftraggeber – wie hier – keinen Mindestumsatz festgelegt, muss er anhand aller Informationen, die er zu den einzelnen Kriterien der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit (§ 122 Abs. 2 Nr. 2 GWB) erhalten hat, beurteilen, ob der Bieter insoweit geeignet ist (vgl. Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 6. Aufl. Stand: 4. Mai 2023, § 122 GWB Rn. 131 f.).
50
c) Der anzugebende Umsatz „im Bereich der ausgeschriebenen Leistung“ bezieht sich eindeutig nur auf den Bereich des jeweiligen Loses und umfasst nicht auch Umsätze aus der tonnengestützten Altpapiersammlung (s. u. aa]). Der Annahme der Vergabekammer, die Vorgaben in der Bekanntmachung seien hinsichtlich der Frage, welche Umsätze einzubeziehen seien, wegen des unter Ziffer II.2.2) aufgeführten CPV-Codes „90511400 Altpapiersammlung“ nicht hinreichend klar, folgt der Senat nicht (s. u. bb]).
51
aa) „Umsatz im Bereich der ausgeschriebenen Leistung“ ist aus Sicht des verständigen Bieters dahin zu verstehen, dass der Umsatz mit Tätigkeiten erzielt wurde, die auch Gegenstand des ausgeschriebenen Loses sind, auf das sich das Angebot bezieht (s. u. [1]). Umsätze aus der gewerblichen Altpapiersammlung (Blaue Tonne) gehören nicht zum Umsatz im Bereich der Einsammlung von Hausmüll und Bioabfall (s. u. [2]).
52
(1) Fehl geht die Annahme der Beigeladenen, Bezugspunkt für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit sei der in Ziffer II.1.1) bekanntgemachte Auftragsgegenstand. Die Beigeladene blendet zudem aus, dass die tonnengestützte Altpapiersammlung hier nicht ausgeschrieben wurde (s. u. [2]).
53
Die Eignung ist losbezogen zu prüfen. Anderenfalls würde der Zweck der gemäß § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB vergaberechtlich vorgeschriebenen Losbildung konterkariert, der es mittelständischen Unternehmen ermöglichen soll, sich zumindest um einen Auftragsteil erfolgsversprechend zu bewerben, wenn sie nicht in der Lage wären, den Gesamtauftrag zu erfüllen (VK Bund, Beschluss vom 18. Januar 2013, VK 1 – 139/12, juris Rn. 77). Aus der von der Beigeladenen zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle (Beschluss vom 11. Juni 2015, 13 Verg 4/15) ergibt sich nichts anderes. Dort wird ausgeführt, hinsichtlich der Leistungsfähigkeit eines Bieters sei zu prüfen, ob dieser über die erforderlichen Mittel und Kapazitäten in technischer, kaufmännischer, personeller und finanzieller Hinsicht verfüge, die er zur ordnungsgemäßen und vertragsgemäßen Ausführung des ausgeschriebenen Auftrags benötige (juris Rn. 47). Ausgeführt wird ein – losweise ausgeschriebener – Auftrag jedoch nur hinsichtlich der Lose, für die der Bieter ein Angebot abgegeben hat.
54
Entgegen der Ansicht der Beigeladenen spricht der Umstand, dass in der Bekanntmachung für alle 14 Fachlose gleichlautend in Ziffer III.1.2) Angaben „zum Umsatz im Bereich der ausgeschriebenen Leistung“ verlangt werden, während bei der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit in Ziffer III.1.3) auch losspezifische Anforderungen gestellt wurden, nicht dafür, dass mit „Bereich der ausgeschriebenen Leistung“ allgemein die Erbringung abfallwirtschaftlicher Leistungen gemeint ist. Da der Antragsgegner keine Mindestumsätze verlangt hat, bedurfte es keiner „differenzierenden“ Formulierung bei den einzelnen Losen, um eindeutig zum Ausdruck zu bringen, dass für jedes Los Angaben zum Umsatz im Bereich des ausgeschriebenen Loses verlangt werden. Die Gestaltung des Formblatts, in das die Umsätze einzutragen waren, entspricht dieser Auslegung.
55
Auch der Einwand der Beigeladenen, weder in Ziffer II.1.1) der Bekanntmachung noch in der insoweit gleichlautenden Ziffer 9 der Checkliste zur Zusammenstellung des Angebots stehe, dass die Umsätze „im Bereich des jeweiligen Loses“ anzugeben seien, greift nicht durch. Die vom Antragsgegner gewählte Formulierung orientiert sich ersichtlich am Wortlaut des § 45 Abs. 4 Nr. 4 VgV.
56
Zu berücksichtigen ist zudem, dass der Umsatz im Bereich der ausgeschriebenen Leistung zusätzlich zu dem Gesamtumsatz anzugeben ist. Dadurch soll dem Antragsgegner die Einschätzung ermöglicht werden, welchen Anteil die Umsätze im Bereich der ausgeschriebenen Leistung am Gesamtumsatz des Bieters haben. Umsätze aus Tätigkeitsbereichen, die in anderen Losen ausgeschrieben wurden oder die gar nicht Gegenstand des Auftrags sind, sind dafür nicht aussagekräftig. Im Übrigen hat die Beigeladene, auf deren Verständnis es wegen der objektiven Betrachtungsweise allerdings nicht ankommt, in ihrem Angebot zu Los 1 und zu Los 14 unterschiedliche Umsätze genannt.
57
Nicht nachvollzogen werden kann die Argumentation der Beigeladenen, es sei eine mittelstandsfeindliche Auslegung, Angaben zum Umsatz im Bereich der ausgeschriebenen Leistung dahin zu verstehen, dass nur Angaben zu den Umsätzen zu machen sind, die im Bereich des Loses erwirtschaftet wurden, auf das sich das Angebot bezieht. Mindestumsätze waren nicht gefordert. Newcomer werden zudem durch § 45 Abs. 4 Nr. 4 Halbsatz 2 VgV geschützt (vgl. von Hoff in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 57 Rn. 22). Wurde ein Mindestjahresumsatz verlangt, ist nach § 45 Abs. 3 Satz 1 VgV das jeweils in Frage stehende Los Bezugsgröße der Anforderungen (von Hoff in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 45 Rn. 8). Umsätze in dem Tätigkeitsbereich des Auftrags (§ 45 Abs. 4 Nr. 4 VgV) dagegen nicht auf das Los zu beziehen, wäre systemwidrig.
58
Schließlich überzeugt auch der Einwand nicht, die Auslegung des Senats berücksichtige die Wertung des § 45 Abs. 5 VgV unzureichend. Ob es einem Bieter objektiv unmöglich war, die vom öffentlichen Auftraggeber geforderten Nachweise beizubringen (vgl. EuGH, Urt. v. 13. Juli 2017, C-76/16, juris Rn. 45), ist eine Frage des Einzelfalls, nicht der Auslegung der gestellten Anforderungen an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit. Es liegt im Übrigen auch kein Fall des § 45 Abs. 4 Nr. 4 Halbsatz 2 VgV vor, denn es wäre der Beigeladenen ohne weiteres möglich gewesen, nur ihre im Bereich der Sammlung von Restmüll und Bioabfall erwirtschafteten Umsätze anzugeben.
59
(2) Der Senat vermag auch der Ansicht des Antragsgegners nicht zu folgen, dass zwar nicht jede abfallwirtschaftliche Tätigkeit zum Bereich des Loses 1 gehöre, der Bereich der ausgeschriebenen Leistungen aber nicht auf die Abfuhr von Haus- und Biomüll beschränkt sei, sondern auch andere kommunale tonnengestützte Abfuhrleistungen umfasse.
60
Auch wenn unter Umsätzen „in dem Tätigkeitsbereich des Auftrags“ nach § 45 Abs. 4 Nr. 4 VgV Umsätze zu verstehen sind, die dem ausgeschriebenen Leistungsgegenstand (hier: Einsammlung von Hausmüll und Bioabfall) entsprechen, die in dem „vom Auftrag abgedeckten Bereich“ liegen (vgl. Art. 58 Abs. 3 RL 2014/24/EU) oder die aus „inhaltlich vergleichbaren Aufträgen“ (vgl. Voppel in Voppel/Osenbrück/Bubert, VgV, § 45 Rn. 27) stammen, sind Umsätze aus gewerblichen Altpapiersammlungen mittels der Blauen Tonne – bei Los 1 – eindeutig nicht von den Umsätzen „im Bereich der ausgeschriebenen Leistung“ umfasst.
61
Die Ausführungen des Antragsgegners, es sei bewusst die abstrakte Formulierung „Bereich“ gewählt und es seien dementsprechend auch mehrere CPV-Codes angegeben worden (s. u. [3]), um angesichts des beschränkten Bietermarktes für die Einsammlung von Hausmüll und Bioabfall den Wettbewerb nicht zu sehr einzuschränken, begründen nicht seine Ansicht, bei Los 1 seien auch Umsätze aus gewerblichen Altpapiersammlungen zu berücksichtigen.
62
Als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 122 Abs. 4 GWB) müssen zwar Eignungsanforderungen, die wettbewerbsbeschränkende Wirkung entfalten, durch umso gewichtigere Gründe gerechtfertigt sein, je höhere Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des Auftragnehmers gestellt werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. Juni 2018, Verg 4/18, juris Rn. 50). Hier hat der Antragsgegner aber keine Mindestumsätze gefordert, sondern sich darauf beschränkt, Angaben zu den Umsätzen zu fordern. Die Bestimmung, die Umsätze der letzten drei Geschäftsjahre anzugeben, beinhaltet auch nicht die Mindestanforderung, in allen drei Jahren mit Tätigkeiten auf dem Gebiet der ausgeschriebenen Leistungen überhaupt Umsatz gemacht zu haben (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 5. Februar 2021, Verg 5/20, juris Rn. 34; OLG Koblenz, NZBau 2013, 63 [juris Rn. 6]). Auch Unternehmen, die noch nicht drei Geschäftsjahre in dem Bereich tätig waren, hätten sich wegen § 45 Abs. 4 Nr. 4 Halbsatz 2 VgV mit Erfolgsaussichten bewerben können. In der Forderung, Umsätze im Bereich der ausgeschriebenen Leistung anzugeben, vermag der Senat – auch bei einem im Vergleich zur Ansicht des Antragsgegners engeren Verständnis dieses Begriffs – schon keine relevante Wettbewerbsbeschränkung zu erkennen.
63
Zudem ist es hinsichtlich der hier in Rede stehenden Frage der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit ohne Bedeutung, ob die Anforderungen bezüglich Disposition und Tourenplanung bei der behältergestützen Sammlung von Hausmüll und Bioabfall einerseits und von Altpapier andererseits vergleichbar sind. Anders als bei der Einsammlung von Hausmüll und Bioabfall und deren Transport zum Abfallheizkraftwerk bzw. der Übernahmestelle des Auftragnehmers von Los 2 (Bioabfallverwertung), kommt es bei der Altpapiersammlung wirtschaftlich wesentlich auf die Verwertungserlöse an. Dies gilt insbesondere bei gewerblichen Sammlungen, die von der Pflicht zur Überlassung an den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger ausgenommen sind (§ 17 Abs. 2 Nr. 4 KrWG). Umsätze aus dem Verkauf von Altpapier an eine Papierfabrik sind ggf. im Gesamtumsatz des Unternehmens enthalten. In die Prognoseentscheidung, ob der Bieter voraussichtlich über die finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügt, ist jedoch im Streitfall auch einzustellen, welchen Anteil der Bieter mit der Einsammlung von Hausmüll und Bioabfall erwirtschaftet hat. Dafür sind Verwertungserlöse von Altpapier nicht aussagekräftig.
64
Die von dem Antragsgegner zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts München (Beschluss vom 12. November 2012, Verg 23/12) befasst sich mit der Frage, ob bei der Prüfung der technischen Leistungsfähigkeit die Erfassung von Leichtverpackungen als mit der Abfuhr von Hausmüll vergleichbar angesehen werden durfte. Dies wurde insbesondere deshalb bejaht, weil bei der LVPErfassung in entsprechender Weise wie bei der Hausmüllsammlung eine funktionierende Logistik und Tourenplanung aufgebaut werden muss (juris Rn. 51). Für die vorliegende Fragestellung lässt sich dieser Entscheidung nichts entnehmen.
65
bb) Auch die Angabe des CPV-Codes (Common Procurement Vocabulary [Gemeinsames Vokabular für öffentliche Aufträge]) „90511400 Altpapiersammlung“ unter Ziffer II.2.2) der Bekanntmachung führt nicht zu einer Unklarheit der Anforderungen an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit.
66
Diese Angabe ist aus Sicht des verständigen Bieters, der die Bekanntmachung sorgfältig liest (vgl. BayObLG, Beschluss vom 31. August 2022, Verg 18/21, juris Rn. 76), offensichtlich ungeeignet, den Bereich der ausgeschriebenen Leistung, hier der Einsammlung von Hausmüll und Bioabfall, zu beschreiben.
67
Denn für alle ausgeschriebenen Lose sind jeweils unter Ziffer II.2.2) der Bekanntmachung dieselben CPV-Codes angegeben.
68
Die tonnengestütze Altpapiersammlung ist nicht Gegenstand des Auftrags. Ausgeschrieben ist in Los 11 lediglich die Containergestellung zur Erfassung von Druckerzeugnissen an Recyclinghöfen, der Tausch der Container und die Übernahme und Vermarktung der Druckerzeugnisse. In Ziffer 1.15.1 der Leistungsbeschreibung wird dazu ausgeführt, Zeitungen und Zeitschriften würden als Druckerzeugnisse getrennt am Recyclinghof erfasst; Altpapier, welches über die Papiertonne erfasst werde, sowie ebenfalls an den Recyclinghöfen getrennt erfasste Kartonagen seien nicht Gegenstand dieser Ausschreibung. Grund dafür ist, dass im Bezirk des Antragsgegners für die Altpapiersammlung eine gewerbliche Sammlung besteht. Die Angabe „90511400 Altpapiersammlung“ ist nur für Los 11 zutreffend. Die Dienstleistungen im Zusammenhang mit Siedlungs- und anderen Abfällen betreffenden CPV-Codes 90500000 ff. (vgl. Anhang I der Verordnung [EG] Nr. 213/2008) unterscheiden nicht danach, ob es sich um eine „behältergestützte Sammlung“ handelt oder nicht. Aus der Angabe des CPV-Codes „90511400 Altpapiersammlung“ ergibt sich somit kein Indiz dafür, dass auch eine tonnengestützte Altpapiersammlung Auftragsgegenstand sein könnte.
69
Für den in Abschnitt II der Bekanntmachung beschriebenen Gegenstand der Beschaffung haben die CVP-Codes aus den oben dargelegten Gründen keine Aussagekraft. Die Bekanntmachung enthält keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die zwischen der Bezeichnung des Auftrags (Ziffer II.2.1] der Bekanntmachung) und der Beschreibung der Beschaffung (Ziffer II.2.4] der Bekanntmachung) stehenden CPV-Codes nur für den in Ziffer III.1.2) der Bekanntmachung verwendeten Begriff „Bereich der ausgeschriebenen Leistung“ Bedeutung haben könnten.
70
3. Das Angebot der Beigeladenen ist zwingend nach § 57 Abs. 1 Halbsatz 1 VgV auszuschließen. Die Beigeladene hat nicht nur Umsätze angegeben, die sie mit der Einsammlung von Hausmüll und Bioabfall erwirtschaftet hat, sondern auch Umsätze aus gewerblichen Altpapiersammlungen. Ihre Eigenerklärung zu den im Bereich der ausgeschriebenen Leistung erwirtschafteten Umsätzen ist objektiv unzutreffend und damit als Nachweis ihrer Eignung ungeeignet.
71
a) Die von der Beigeladenen angegebenen Umsätze im Bereich der ausgeschriebenen Leistung sind objektiv unzutreffend.
72
Seine Eignungsprognose darf und soll der öffentliche Auftraggeber gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 VgV in der Regel auf Eigenerklärungen stützen. Hat er konkrete Zweifel an der Richtigkeit der Eigenerklärung, ist er gehalten, weitere Nachforschungen anzustellen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. August 2021, Verg 27/21, juris Rn. 41; Beschluss vom 2. Dezember 2009, Verg 39/09, juris Rn. 89; Mager in Burgi/Dreher, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2, 3. Aufl. 2019, VgV § 48 Rn. 30; Goldbrunner in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, VgV, § 48 Rn. 8).
73
Hier hat der Antragsgegner die Beigeladene mit Schreiben vom 10. März 2022 u. a. um Erläuterung gebeten, in welcher Beziehung die im Angebot angegebenen Umsätze für vergleichbare Leistungen im Los 1 und die für dieses Los benannten Referenzen zueinander stehen. Ergebnis dieser Aufklärung war, dass die Umsätze im Bereich der Einsammlung von Hausmüll und Bioabfall in den Jahren 2018 bis 2020 nur etwa 50% der angegebenen Umsätze betrugen. Auch wenn sich die Aufklärung insgesamt vor allem auf die technische und berufliche Leistungsfähigkeit bezog, musste der Antragsgegner diese Erkenntnisse auch im Rahmen seiner Eignungsprüfung bezüglich der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit berücksichtigen.
74
Die Argumentation der Beigeladenen und des Antragsgegners, es habe sich um eine „überschießende“ Umsatzangabe gehandelt, überzeugt nicht. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Beigeladene ihre im Bereich der Einsammlung von Hausmüll und Bioabfall erwirtschafteten Umsätze einerseits und ihre im Bereich der Entsorgung von Altpapier bzw. der Sammlung von Gelben Säcken erwirtschafteten Umsätze andererseits getrennt angegeben hätte.
75
b) Eigenerklärungen, die nicht richtig sind, sind als Nachweis der Eignung ungeeignet (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. November 2018, Verg 39/18, juris  Rn. 50; Beschluss vom 6. Juli 2005, Verg 22/05, juris Rn. 53; Hausmann/Schiefner in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 48 VgV Rn. 8; Mager in Burgi/Dreher, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2, VgV § 48 Rn. 29; Wagner-Cardenal in Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV, UVgO, 3. Aufl. 2022, VgV § 48 Rn. 23).
76
c) Kommt einer wirksam geforderten Eigenerklärung kein Beweiswert zu, fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die vom Antragsgegner vorzunehmende Eignungsprüfung. Damit korrespondierend kann ein Bieter mit einer objektiv falschen Eigenerklärung die Erfüllung eines Eignungskriteriums (§ 57 Abs. 1 Halbsatz 1 VgV) nicht nachweisen. Denn es obliegt grundsätzlich allein dem Unternehmen, dem Auftraggeber die Informationen zu verschaffen, auf deren Grundlage dieser seine Schlussfolgerungen über die materielle Eignung treffen kann (vgl. Dittmann in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 57 Rn. 123; von Wietersheim in BeckOK Vergaberecht, 28. Ed. Stand: 30. April 2023, § 57 VgV Rn. 15) .
77
aa) Der Auftraggeber ist – aufgrund der vergaberechtlichen Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung – an die einmal vorgegebenen Eignungskriterien gebunden (vgl. von Wietersheim in BeckOK Vergaberecht, § 57 VgV Rn. 2; Pape in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Aufl. 2019, § 57 VgV Rn. 6 f.). Auf der Grundlage einer Eigenerklärung, in der – wie hier – deutlich zu hohe Umsätze angegeben werden und der deshalb kein Beweiswert zukommt, ist eine materielle Eignungsprüfung nicht möglich, die auch ohne eine Festlegung von Mindestanforderungen vorzunehmen ist und die alle wirksam bekanntgemachten Eignungskriterien, hier insbesondere auch die Höhe der im Bereich der ausgeschriebenen Leistung erwirtschafteten Umsätze im Vergleich zu den Gesamtumsätzen des Unternehmens, einbeziehen muss.
78
Entgegen der Ansicht des Antragsgegners handelt es sich dabei nicht nur um einen „formalen Aspekt“. Die Eignungsprüfung bezieht sich in formeller Hinsicht auf das Vorliegen der geforderten Eignungsbelege. Im Rahmen der materiellen Prüfung entscheidet der öffentliche Auftraggeber, ob die Eignungsvoraussetzungen tatsächlich vorliegen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. April 2019, Verg 36/18, juris Rn. 60). Die von der Beigeladenen für den Bereich der ausgeschriebenen Leistung angegebenen Umsätze hat die Beigeladene zum Großteil in einem anderen Bereich erwirtschaftet (s. o.). Ihre Angaben entsprechen somit inhaltlich nicht den Vorgaben und weisen nicht nur formale Mängel auf, die es rechtfertigen könnten, sie als „fehlende“ Unterlagen zu qualifizieren (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Juni 2021, Verg 48/20, juris Rn. 51; OLG München, Beschluss vom 17. Dezember 2019, Verg 25/19, juris Rn. 16; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. September 2019, Verg 10/19, NZBau 2020, 613 [juris Rn. 39]; OLG München, Beschluss vom 27. Juli 2018, Verg 02/18, juris Rn. 82 jeweils m. w. N.). bb) Das Angebot der Beigeladenen ist gemäß § 57 Abs. 1 Halbsatz 1 VgV mangels Nachweises ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit zwingend auszuschließen.
79
(1) Der Ausschlusstatbestand ist gegeben, wenn ein wirksam bekanntgemachtes Mindestkriterium nicht erfüllt ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 20. Januar 2023, Verg 14/22, juris Rn. 95; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Juni 2021, Verg 48/20, juris Rn. 39). Ein Bieter ist aber auch dann auszuschließen, wenn der öffentliche Auftragnehmer – bei offen formulierten Eignungskriterien – beurteilungsfehlerfrei dessen Eignung verneint.
80
Dementsprechend ist der Ausschlusstatbestand § 57 Abs. 1 Halbsatz 1 VgV auch erfüllt, wenn der Bieter zu einem Kriterium ohne Mindestangaben, hier der Höhe der Umsätze im Bereich der Einsammlung von Hausmüll und Bioabfall, in einer zum Nachweis seiner Eignung verlangten Eigenerklärung objektiv fehlerhafte Angaben macht.
81
Die vom Antragsgegner zitierte Kommentierung stützt dessen gegenteilige Ansicht nicht. Danach ist der Ausschluss nach dieser Norm zwingend, wenn der Auftraggeber beurteilungsfehlerfrei zu dem Ergebnis kommt, dass der Bieter ein Eignungskriterium nicht erfüllt. Das gilt insbesondere, wenn ein Bieter in der Bekanntmachung festgelegte (materielle) Mindestanforderungen nicht erfüllt (vgl. Stolz/Klein in Willenbruch/Wieddeking/Hübner, Vergaberecht, 5. Aufl. 2023, § 57 VgV Rn. 5).
82
(2) Bieter haben zwar die Möglichkeit, Zweifel des Auftraggebers an der Richtigkeit ihrer Eigenerklärung z. B. durch Vorlage von Bestätigungen auszuräumen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. August 2021, Verg 27/21, juris Rn. 42 [Bestätigung des Auftraggebers des benannten Referenzauftrags]; Beschluss vom 2. Dezember 2009, Verg 39/09, juris Rn. 90 [Bestätigung der Architektenkammer]). Die Beigeladene hat jedoch nicht durch weitere Unterlagen nachgewiesen, dass sie die angegebenen Umsätze tatsächlich im Bereich der ausgeschriebenen Leistung (Einsammlung von Hausmüll und Bioabfall) erzielt hat, sondern sie hat ihre Angaben korrigiert. Die Darlegung, wie sich die für Los 1 genannten Umsätze im Bereich der ausgeschriebenen Leistung zusammensetzen, stellt hier keine zulässige Erläuterung dar, sondern eine inhaltliche Änderung der Angaben. Diese korrigierten Umsätze können nicht Grundlage der Eignungsprüfung sein, denn ein den Ausschluss des Angebots rechtfertigender Mangel des Angebots kann nicht im Wege der Aufklärung nach § 15 Abs. 5 VgV beseitigt werden (Rechten in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 15 Rn. 45).
83
Dies steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung, dass der öffentliche Auftraggeber einem Unternehmen im Wege der Nachforderung nach § 56 Abs. 2 VgV nicht die Möglichkeit einräumen darf, bereits vorgelegte Unterlagen in inhaltlicher Hinsicht nachzubessern (vgl. BayObLG, Beschluss vom 20. Januar 2023, Verg 14/22 Rn. 97; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Juni 2021, Verg 48/20, juris Rn. 47; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14. August 2019, 15 Verg 10/19, juris Rn. 39 f. jeweils m. w. N.; Dittmann in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 56 Rn. 46). Der Ansicht der Beigeladenen, die Nachforderung sei nach § 56 Abs. 2 VgV zulässig, weil die Norm über den Wortlaut des Art. 56 Abs. 3 RL 2014/24/EU hinausgehend auch die Korrektur unternehmensbezogener Unterlagen vorsehe, folgt der Senat nicht. Aus Gründen der Gleichbehandlung und der Rechtsklarheit sind nur die Behebung „offensichtlicher sachlicher Fehler“ und „offensichtlich gebotene Klarstellungen“ in einzelnen Punkten zulässig, vorausgesetzt dadurch wird nicht der Inhalt einer unternehmensbezogenen Unterlage verändert (vgl. OLG Düsseldorf, a. a. O. Rn. 52). Der Streitfall gibt keinen Anlass, von dieser gefestigten Rechtsprechung abzuweichen. Die im Bereich der Einsammlung von Hausmüll und Bioabfall erwirtschafteten Umsätze sind zwar Angaben, die bei Angebotsabgabe bereits vorlagen und nicht veränderbar sind. Die Angaben sind jedoch Grundlage der Eignungsprüfung, sodass eine weitergehende Korrekturmöglichkeit ein unzulässiges Nachverhandeln darstellen würde, da auch die Person des Bieters und damit seine Eignung den Auftragsinhalt wesentlich mitbestimmt (vgl. Dittmann in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 56 Rn. 32 m. w. N.; a. A. Haak/Hogeweg in Burgi/Dreher, Beck'scher Vergaberechtskommentar, VgV § 56 Rn. 41; Kirch NZBau 2021, 579).
84
Eine – in der mündlichen Verhandlung von den Beteiligten thematisierte – Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union ist nicht geboten (Art. 267 AEUV). Die öffentlichen Auftraggeber können gemäß Art. 56 Abs. 3 der RL 2014/24/EU die Wirtschaftsteilnehmer insbesondere auffordern, fehlerhaft erscheinende Unterlagen zu erläutern. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur früheren Rechtslage können Bieter im Rahmen der Erläuterung ihrer Angaben, die insbesondere ihre wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen, „bloße Klarstellungen“ vornehmen oder „offensichtliche sachliche Fehler“ beheben, aber kein „neues Angebot“ vorlegen (zu Art. 51 der RL 2004/18/EG: EuGH, Urt. v. 28. Februar 2018, C-523/16 u. a. Rn. 45, 50 und 52 m. w. N.). Es bestehen keine vernünftigen Zweifel daran, dass dieser Maßstab auch im Rahmen des Art. 56 Abs. 3 der RL 2014/24/EU gilt, auch wenn dort erstmals ausdrücklich „fehlerhafte“ Unterlagen erwähnt werden (vgl. Dittmann in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 56 Rn. 32 m. w. N.; zweifelnd: Haak/Hogeweg in Burgi/Dreher, Beck'scher Vergaberechtskommentar, VgV § 56 Rn. 15). Die generell geltenden und in Art. 56 Abs. 3 der RL 2014/24/EU ausdrücklich hervorgehobenen Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz stehen einer weitergehenden Korrekturmöglichkeit entgegen (vgl. EuGH, Urt. v. 11. Mai 2017, C-131/16, juris Rn. 27; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Juni 2021, Verg 48/20, juris Rn. 52).
85
Der Einwand des Antragsgegners, bei Zugrundlegung des oben dargestellten Auslegungsergebnisses habe die Aufklärung keinesfalls zu einer wettbewerbsrelevanten Nachbesserung, sondern – wegen der Reduzierung der berücksichtigungsfähigen Umsätze – allenfalls zu einer Verschlechterung geführt, greift nicht durch. Hätte die Beigeladene nur ihre im Bereich der Einsammlung von Hausmüll und Bioabfall erwirtschafteten Umsätze angegeben, wäre der Antragsgegner in der Lage gewesen, auf der Grundlage dieser Angaben die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit der Beigeladenen zu beurteilen. Mangels Angaben der Beigeladenen dazu mit Beweiswert war ihm dies nicht möglich (s. o.).
86
(3) Erfolglos beruft sich der Antragsgegner schließlich auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18. Juni 2019 (X ZR 86/17 – Straßenbauarbeiten, NZBau 2019, 661), mit der „die vom Gedanken formaler Ordnung geprägte strenge Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs namentlich zur Handhabung der Angebotsausschlussgründe“ nicht generell überholt ist (vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 31. August 2022, Verg 18/21, juris Rn. 87; Beschluss vom 17. Juni 2021, Verg 6/21, juris Rn. 56 ff.). Die vorliegende Fallkonstellation ist mit der vom Bundesgerichtshof erwähnten, bei der es um den Ausschluss eines Bieters wegen abweichender Zahlungsmodalitäten ging, nicht vergleichbar. Bei Hinwegdenken der Angaben zu den Umsätzen im Bereich des Loses 1 läge hier kein vollständiges Angebot mehr vor (vgl. BGH, NZBau 2019, 661 Rn. 26). Ein „Herausrechnen“ der Umsätze im Bereich der Blauen Tonne aus den angegebenen Umsätzen ist danach nicht möglich.
87
(4) Entgegen der Ansicht der Beigeladenen ist die Nichtberücksichtigung ihres Angebots nicht an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen. Das Freiheitsrecht des Art. 12 Abs. 1 GG schützt das berufsbezogene Verhalten einzelner Personen oder Unternehmen am Markt. Erfolgt die unternehmerische Berufstätigkeit am Markt nach den Grundsätzen des Wettbewerbs, wird die Reichweite des Freiheitsschutzes auch durch die rechtlichen Regeln mitbestimmt, die den Wettbewerb ermöglichen und begrenzen. Art. 12 Abs. 1 GG sichert in diesem Rahmen die Teilhabe am Wettbewerb nach Maßgabe seiner  Funktionsbedingungen. Dagegen umfasst das Grundrecht keinen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb und auf Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten (BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2006, 1 BvR 1160/03, BVerfGE 116, 135 Rn. 60).
88
4. Ohne Erfolg wendet die Beigeladene schließlich ein, es müsse sich wohl eher die Antragstellerin, die bezüglich der der Beigeladenen zur Verfügung stehenden Fahrzeuge unwahre Tatsachen behauptet habe, einen Ausschlussgrund nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 Buchst.c) GWB entgegenhalten lassen. Für eine unzulässige Beeinflussung des Vergabeverfahrens durch die Antragstellerin bestehen keine Anhaltspunkte. Der Antragsgegner hat das Schreiben der Antragstellerin vom 19. Mai 2022 zum Anlass für weitere Nachfragen bei der Beigeladenen genommen. Zur Konkretisierung seiner Rüge vorgetragene Behauptungen, die ein Bieter aufgrund seines Informationsstands redlicherweise für wahrscheinlich oder möglich halten darf, können seinen Ausschluss nicht rechtfertigen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 31. August 2022, Verg 18/21, juris Rn. 73; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. Oktober 2021, Verg 4/21, juris Rn. 77).
89
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 3 Sätze 1 und 2, Abs. 4 Satz 1, § 175 Abs. 2 i. V. m. § 71 Satz 1 GWB. Die Beigeladene hat sich am Verfahren aktiv auf Seiten des Antragsgegners beteiligt. Wegen ihres Unterliegens entspricht es der Billigkeit, dem Antragsgegner und der Beigeladenen die Verfahrenskosten gesamtschuldnerisch aufzuerlegen, wobei die Gebührenbefreiung des Antragsgegners nach § 182 Abs. 1 S. 2 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG (Bund) vom 23. Juni 1970 (BGBl. I S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung zu berücksichtigen ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Februar 2018, Verg 55/17, juris Rn. 30; VK Südbayern, Beschl. vom 12. Januar 2021, 3194.Z33_01-20-15, juris Rn. 147; Krohn in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Aufl. 2022, § 182 Rn. 25). Für die Auslagen der Antragstellerin haften der Antragsgegner und die Beigeladene nach Kopfteilen (vgl. Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, § 175 GWB, Rn. 88).
90
Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten auf Seiten der Antragstellerin für das Verfahren vor der Vergabekammer war gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i. V. m. § 80 Abs. 2 VwVfG für notwendig zu erklären.
91
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 50 Abs. 2 GKG.