Inhalt

OLG München, Hinweisbeschluss v. 16.05.2023 – 34 U 285/23 e
Titel:

Kein Schadensersatz wegen angeblicher Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen

Normenkette:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Leitsätze:
1. Ein Automobilhersteller durfte davon ausgehen, dass ein Thermofenster aus Gründen des Motor- oder Bauteilschutzes zulässig ist. Insoweit befand er sich in einem unvermeidlichen Rechtsirrtum, da bis dahin nahezu alle europäischen Hersteller ihre Dieselfahrzeuge mit einem Thermofenster ausgerüstet hatten und dies trotz umfangreicher Untersuchungen von den zuständigen Überwachungsbehörden auch nicht beanstandet wurde. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus erhöhten Abgaswerten außerhalb des Prüfstandbetriebs ergibt sich keineswegs per se, dass eine unzulässige Abschaltvorrichtung vorhanden sein muss. Vielmehr liegt auf der Hand, dass eine eventuelle Überschreitung der Grenzwerte ohne weiteres darauf zurückzuführen sein kann, dass der Motor im realen Fahrbetrieb aufgrund der konkreten Verkehrsverhältnisse deutlich mehr Schadstoffe emittiert als in einem zu Vergleichszwecken festgelegten, standardisierten Fahrzyklus. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
EA 288, Thermofenster, Fahrkurvenerkennung, Manipulation des OBD-Systems, Abgaswerte
Vorinstanz:
LG München II, Endurteil vom 22.12.2022 – 13 O 4329/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 12102

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München vom 22.12.2022, Az. 13 O 4329/21, gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
3. Binnen derselben Frist können sich die Parteien auch zum Streitwert des Berufungsverfahrens äußern, den der Senat auf bis zu 16.000,- € festzusetzen beabsichtigt.
4. Dem Kläger wird anheimgestellt, die Berufung aus Kostengründen zurückzunehmen.

Entscheidungsgründe

1
Der Kläger macht Schadensersatz wegen des Erwerbs eines Dieselfahrzeugs geltend.
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Nach den Feststellungen des Landgerichts bestellte der Kläger am 29.1.2015 bei einem Autohaus ein Gebrauchtfahrzeug VW Golf Highline 2.0 TDI 110 kW, Fahrzeugidentifikationsnummer zu einem Kaufpreis von 25.900,00 € und mit einem Kilometerstand von 8.641; das Fahrzeug wurde durch ein Darlehen finanziert und am 27.12.2015 übergeben. Der Kläger leistete Zinsen in Höhe von 1.755,03 €. Das Kraftfahrzeug wurde von der Beklagten in Verkehr gebracht. Darin ist ein von der Beklagten entwickelter und hergestellter Motor des Typs EA288 eingebaut. Es unterliegt der Euro-6-Norm. Die Erstzulassung erfolgte am 24.6.2014. Für das Fahrzeug wurde vom KBA eine Typgenehmigung erteilt. Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 204.204 auf.
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Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, im Fahrzeug seien mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig im Rahmen der Verhängung eines Bußgelds gegen die Beklagte und die Staatsanwaltschaft München im Rahmen der Verhängung eines Bußgelds gegen die Audi AG explizit neben dem Motor EA189 auch den Motor EA288 aufführten. Da es sich bei dem Motor EA288 um den Nachfolger des Motors EA189 handle, sei auf die bekannte illegale Motorsteuerungssoftware aufgebaut und das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer illegalen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden. Das in dem Fahrzeug verbaute Thermofenster sei unzulässig. Des Weiteren seien eine Fahrkurvenerkennung/Zykluserkennung, eine zeitbasierte Prüfstanderkennung, eine unzulässige Lenkwinkelerkennung, eine Motorhaubenerkennung sowie eine weitere unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, die die AGR-Rate manipuliere; zudem verwende das Fahrzeug eine unzulässige Aufwärmstrategie. Eine weitere unzulässige Abschalteinrichtung aktiviere bzw. deaktiviere die Abgasrückführung bei bestimmten Drehzahl- und Drehmomentbereichen. Schließlich sei das OBD-System manipuliert worden. Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 17.346,72 nebst Zinsen zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW VW Golf Highline, FIN: festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des genannten Pkw im Annahmeverzug befinde, und die Beklagte weiter zu verurteilen, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.680,28 € nebst Zinsen freizustellen; im Übrigen hat der Kläger den Rechtsstreit für erledigt erklärt.
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Die Beklagte hat sich der Teilerledigterklärung widersetzt und Klageabweisung beantragt. Sie hat vorgetragen, es drohe keine Stilllegung des streitgegenständlichen Fahrzeugs. In diesem sei keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. Dies habe das Kraftfahrt-Bundesamt wiederholt bestätigt. Der Sachvortrag des Klägers erfolge ins Blaue hinein und rechtfertige insbesondere keine Beweiserhebung. Das Vorhandensein einer Fahrkurvenerkennung allein begründe keine unzulässige Abschalteinrichtung, wenn diese keine Emissionsminderungen bewirke, die erforderlich seien, um die gesetzlichen Grenzwerte im Prüfzyklus einzuhalten. Das OBD-System sei nicht manipuliert worden, ebensowenig liege eine Akustikfunktion, eine Aufwärmfunktion, eine Lenkwinkelerkennung, eine Motorhaubenerkennung oder eine zeitbasierte Prüfstanderkennung vor. Die Ausführungen zur Aktivierung der Abgasrückführung bei bestimmten Drehzahl- und Drehmomentbereichen und zur Deaktivierung ab gewissen Grenzen seien unsubstantiiert. Die temperaturabhängige Abgasrückführung werde in sämtlichen in der EU produzierten Dieselfahrzeugen eingesetzt, sei technisch-physikalisch unverzichtbar und in der konkreten Ausgestaltung von dem jeweiligen Stand der Technik abhängig. Das KBA habe den Vorwurf eines unzulässigen Thermofensters bereits überprüft und zugunsten der Beklagten verneint.
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Das Landgericht hat die Klage mit am 22.12.2022 verkündetem Endurteil abgewiesen. Ein Schadensersatzanspruch ergebe sich nicht aus § 826 BGB. Das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit einem Thermofenster sei nicht als sittenwidrige Handlung zu bewerten. Soweit sich der Kläger darauf stütze, die Beklagte habe das mit dem Motor EA288 ausgestattete Fahrzeug mit Zykluserkennungen und verschiedenen anderen Abschalteinrichtungen in Verkehr gebracht, erfolgten diese Behauptungen pauschal und ersichtlich ins Blaue hinein. Eine Beweiserhebung liefe auf einen in der ZPO nicht vorgesehenen Ausforschungsbeweis hinaus. Im Übrigen liege auch kein Schaden vor. Der Bundesgerichtshof habe den Schaden in den Verfahren zum Motor EA189 maßgeblich auf die drohende Betriebsbeschränkung oder -untersagung aufgrund des Rückrufbescheids des Kraftfahrt-Bundesamtes gestützt und dabei darauf abgestellt, dass das Fahrzeug im Zeitpunkt des Erwerbs für die Zwecke des Käufers nicht voll brauchbar gewesen sei, weil es einen verdeckten Sachmangel aufgewiesen habe, der zu einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung hätte führen können. Für einen solchen Sachmangel gebe es vorliegend jedoch gerade keine Anhaltspunkte, denn das KBA habe nach mehrfacher sorgfältiger Prüfung keine unzulässige Abschaltvorrichtung festzustellen vermocht, weshalb das abstrakte Risiko eines Widerrufs mit Null bezeichnet werden könne. Der Kläger habe auch keinen Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6, 27 EG-FGV, da diese Vorschriften nicht vor ungewollten Verbindlichkeiten schützen sollten. Jedenfalls fehle es an dem erforderlichen Verschulden der Beklagten. Da das KBA die Verwendung von Thermofenstern bisher nicht als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft habe, habe die Beklagte davon ausgehen dürfen, dass dies auch weiterhin der Fall sein werde. Dem Kläger stehe auch kein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB zu, da bei einem Gebrauchtwagenkauf der erstrebte Vermögensvorteil und der eingetretene Vermögensnachteil nicht durch dieselbe Vermögensverfügung vermittelt würden.
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Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.
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Er beantragt,
Das Urteil des Landgerichts München Az. 13 O 4329/21 wird aufgehoben.
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei € 14.712,74 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.11.2020 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Pkw VW Golf Highline, FIN:
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Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Antrag Ziffer genannten Pkw im Annahmeverzug befindet.
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IV. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.680,28 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten seit dem 17.11.2020 freizustellen.
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Im Übrigen wird Erledigung erklärt.
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Der Kläger stützt die Berufung zum einen auf eine Verletzung des Verfahrensrechts, die zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung geführt habe, zum anderen darauf, dass das Landgericht auch das materielle Recht fehlerhaft angewandt habe. Das Thermofenster führe dazu, dass das Fahrzeug nur unter Prüfstandsbedingungen den gesetzlichen Grenzwert für NOx-Emissionen von 80 mg/km einhalte, der Grenzwert jedoch außerhalb dieser Bedingungen, etwa bei Außentemperaturen von 7 bis 10° C erheblich überschritten werde, bei Autobahnfahrten gar um ein Mehrfaches. Darüber hinaus habe der Kläger vorgetragen und unter Sachverständigenbeweis gestellt, dass auch die Wirkungsweise des NSK-Katalysators mittels der Zykluserkennung manipuliert worden sei. Während des erkannten Befahrens des NEFZ werde die Regeneration des NSK-Katalysators ausschließlich in den ersten 20 – 25 Minuten, d.h. im genormten NEFZ-Zeitfenster platziert. Das KBA müsse sich bei der Erteilung und der Aufrechterhaltung der Typengenehmigung auch an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 5 VO (EG) 715/2007 orientieren. Da das Fahrzeug mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet sei, sei auch von einer zumindest fahrlässigen Schutzgesetzverletzung gemäß § 823 Abs. 3 [gemeint wohl: Abs. 2] BGB i.V.m. §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV auszugehen. Das Urteil beruhe überdies auf mehreren Verfahrensfehlern. Das Landgericht stelle sich auf den Standpunkt, das verwendete Thermofenster begründe keine Sittenwidrigkeit. Weitere Abschalteinrichtungen seien nicht hinreichend dargetan. Fehlerhaft stelle das Landgericht darauf ab, die Klagepartei habe hierzu nicht schlüssig vorgetragen. Vielmehr übergehe es den Vortrag zu den weiteren Abschalteinrichtungen. Auch verkürze es ihn. Dies stelle einen Verstoß gegen den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör dar. Zum Kaufzeitpunkt seien die Fahrkurve sowie die damit verbundenen Abschalteinrichtungen vorhanden gewesen. Warum der Vortrag der Klagepartei schlicht ignoriert werde, der Vortrag der Beklagten aber als wahr unterstellt werde, erschließe sich nicht. Eher gelte doch der Vortrag der Klagepartei als zugestanden, nachdem die Beklagte diesem trotz Substantiierung nicht entgegengetreten ist. Schließlich sei die Beklagte der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen. Ferner ignoriere das Gericht den Vortrag zum OBD-System. Auch liege ein Schaden vor, da doch eine Stilllegung oder eine Betriebsbeschränkung drohe. Dies sei spätestens seit der jüngsten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nicht länger zu leugnen.
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Die Beklagte beantragt,
Die Berufung der Klagepartei wird zurückgewiesen.
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Sie trägt vor, das streitgegenständliche Fahrzeug sei von einer freiwilligen Service-Maßnahme im Rahmen des Nationalen Forums Diesel erfasst; solche Maßnahmen und das Vorliegen von unzulässigen Abschalteinrichtungen schlössen sich aber gegenseitig aus. Umfangreiche Überprüfungen durch das KBA würden belegen, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz komme. Die Fahrkurvenerkennung und das Thermofenster im streitgegenständlichen Fahrzeug würden keine solche darstellen. Jedenfalls läge kein Verschulden vor, denn die Beklagte wäre einem unvermeidbaren Verbotsirrtum erlegen. Im konkreten Fall komme ein Anspruch der Klagepartei außerdem nicht in Betracht, weil die Vorschriften des EG-Typgenehmigungsrechts auf den hier streitgegenständlichen Gebrauchtwagen keine Anwendung fänden.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien, das Protokoll über die mündliche Verhandlung und das Urteil des Landgerichts Bezug genommen.
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Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen, da er einstimmig davon überzeugt ist, dass sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg und die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
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Gemäß § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung i.S. von § 546 ZPO beruht oder nach § 529 ZPO zugrundezulegende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Nach dieser Maßgabe hat das Landgericht die Klage jedenfalls im Ergebnis zutreffend abgewiesen.
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1. Auf das unstreitig vorhandene Thermofenster lässt sich weder ein Anspruch aus § 826 noch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz stützen. Auf die Frage der Zurechenbarkeit gemäß § 31 BGB kommt es daher nicht an. Eine Haftung aus § 831 BGB scheidet damit ebenfalls aus.
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a) Zwar ist nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ein Thermofenster in bestimmten Ausgestaltungen eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S. von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 715/2007 (EuGH EuZW 2022, 1073 f.). Ob eine solche Ausgestaltung hier gegeben ist, kann indes offenbleiben. Denn die Beklagte durfte jedenfalls bis zu der genannten Entscheidung davon ausgehen, dass ein Thermofenster aus Gründen des Motor- oder Bauteilschutzes im Rahmen einer weiten Auslegung von Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. a VO (EG) 715/2007 zulässig sei. Insoweit befand sie sich in einem unvermeidlichen Rechtsirrtum, da bis dahin nahezu alle europäischen Hersteller ihre Dieselfahrzeuge mit einem Thermofenster ausgerüstet hatten und dies trotz umfangreicher Untersuchungen von den zuständigen Überwachungsbehörden auch nicht beanstandet wurde (OLG Schleswig BeckRS 2022, 19428 Rn. 23). Hierauf hat sich die Beklagte auch bereits erstinstanzlich berufen. Damit fehlt es aber nicht nur am nach § 826 BGB erforderlichen Vorsatz, sondern auch am nach § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB erforderlichen Verschulden selbst in Gestalt einfacher Fahrlässigkeit. Die gebotene Sorgfalt ist stets unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bewerten; hierzu gehören auch die üblichen und jahrelang hingenommenen Verwaltungsabläufe. Es war im Zuge des damaligen Typgenehmigungsverfahrens den zuständigen Behörden und Herstellern allgemein bekannt, dass die Messwerte der Fahrzeuge im Realbetrieb von den Messwerten im NEFZ angesichts der gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die Messungen erfolgen, abweichen. Dies gilt erst recht im Lichte des für das gesamte Gebiet der Europäischen Union gleichförmig ausgestalteten Mess- und Grenzwerte-Systems. Zudem sind Hersteller erst seit dem 22.4.2016 gemäß Art. 5 Abs. 11 VO (EG) 692/2008 verpflichtet, für neu zu genehmigende Fahrzeugtypen der zuständigen Behörde im Rahmen des Antrags auf Typgenehmigung detailliert darzustellen, welche Emissionsstrategien dort zum Einsatz kommen. Angesichts dieser Umstände ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte weitergehende Pflichten i.S. von § 276 Abs. 2 BGB schuldhaft verletzt hätte (vgl. KG BeckRS 2022, 24950 Rn. 20).
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b) Selbst wenn man die Frage der Fahrlässigkeit abweichend beurteilen würde, bestünde gleichwohl kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 18 Abs. 1, 26 Abs. 1, 46 RL 2007/46/EG, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007. Zwar legt der Europäische Gerichtshof neuerdings diesen Bestimmungen grundsätzlich die Eigenschaft eines Schutzgesetzes i.S. von § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB bei (EuGH NJW 2023, 1111). Die eine Haftung des Herstellers rechtfertigende unmittelbare Verbindung zwischen ihm und dem individuellen Käufer eines Fahrzeugs resultiert indes aus der Pflicht zur Aushändigung der Übereinstimmungsbescheinigung (EuGH NJW 2023, 1111/1115). Diese besteht aber nur gegenüber dem Erstkäufer. Denn die RL 2007/46/EG und die VO (EG) 715/2007 sind nach ihrem Wortlaut und Sachzusammenhang nur auf den Verkauf neu hergestellter Fahrzeuge und auf die Vereinfachung von deren Erstzulassung ausgerichtet durch Vorlage der Übereinstimmungsbescheinigung. Dies betrifft indes gemäß § 6 FZV nur die Erstzulassung eines Fahrzeugs, während bei späteren Zulassungen die Vorlage der bisher ausgestellten Papiere, nämlich der Zulassungsbescheinigung Teil und genügt (OLG Braunschweig BeckRS 2020, 8602 Rn. 55). Letzteres trifft auch für den Kläger des vorliegenden Rechtsstreits zu, der sein Fahrzeug unstreitig als Gebrauchtwagen erworben hat.
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2. Auch im Hinblick auf die Fahrkurvenerkennung kommt ein Anspruch aus § 826 oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz nicht in Betracht.
22
Unstreitig hat das KBA die Fahrkurvenerkennung im – auch beim streitgegenständlichen Fahrzeug verwendeten – Motortyp EA288 in der Vergangenheit nicht als unzulässige Abschalteinrichtung qualifiziert und tut dies immer noch nicht (OLG Schleswig BeckRS 2022, 24982 Rn. 34). Vorliegend wird dies durch den gerichtsbekannten Umstand unterstrichen, dass das KBA, wenn es eine unzulässige Abschalteinrichtung feststellt, darauf mit einem verpflichtenden Rückruf und nicht wie hier mit der Freigabe eines freiwilligen Software-Updates reagiert (OLG Schleswig BeckRS 2022, 19428 Rn. 17; OLG Stuttgart BeckRS 2022, 16112 Rn. 63). Wenn aber schon die zuständige Aufsichtsbehörde ein Einschreiten nicht für geboten hält, kann dem Hersteller kein vorsätzlicher oder fahrlässige Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 715/2007 zur Last gelegt werden. Insoweit gelten die Ausführungen unter 1. a) entsprechend. Greifbare Anhaltspunkte für die Annahme, die Beklagte habe das KBA über Funktionsweise und Wirkung der Fahrkurve getäuscht, bestehen nicht. Für einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 18 Abs. 1, 26 Abs. 1, 46 RL 2007/46/EG, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 fehlt es zudem wiederum schon an der erforderlichen Schutzrichtung zugunsten des Klägers, siehe oben 1. b).
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3. Hinsichtlich der behaupteten Manipulation des OBD-Systems fehlt es schon allein deswegen an einem beachtlichen Klagevortrag im Hinblick auf die genannten Anspruchsgrundlagen, weil dieses System der Prüfung der Funktion emissionsrelevanter Bauteile oder Systeme dient, selbst aber nicht den Schadstoffausstoß fehlfunktionsunabhängig überwacht (OLG Karlsruhe BeckRS 2022, 10880 Rn. 45). Es ist auch nicht Aufgabe des OBD-Systems, zwischen einer rechtlich zulässigen und einer rechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung zu unterscheiden (BGH BeckRS 2021, 44235 Rn. 91).
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4. Greifbare Anhaltspunkte für das Vorhandensein sonstiger unzulässiger Abschalteinrichtungen, die dem KBA – aus welchen Gründen auch immer – verborgen geblieben wären und daher Anlass gäben, den Beweisangeboten des Klägers unter dem Aspekt der genannten Anspruchsgrundlagen nachzukommen, bestehen nicht. Fehlt es wie hier nämlich an einem Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeugs, so bedarf es anderer gewichtiger Indizien für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung (OLG München BeckRS 2021, 9658 Rn. 36). Solche sind jedoch nicht vorgetragen. Eine Beweiserhebung zu den einschlägigen Behauptungen des Klägers würde sich daher als unzulässiger Ausforschungsbeweis (vgl. BGH NJW 2012, 2427/2431) darstellen.
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a) Unergiebig ist der Verweis auf angeblich erhöhte Abgaswerte außerhalb des Prüfstandbetriebs. Denn aus diesen ergibt sich keineswegs per se, dass eine unzulässige Abschaltvorrichtung vorhanden sein muss (BGH BeckRS 2021, 37995 Rn. 30; OLG München BeckRS 2022, 29312 Rn. 18). Vielmehr liegt auf der Hand, dass eine eventuelle Überschreitung der Grenzwerte ohne weiteres darauf zurückzuführen sein kann, dass der Motor im realen Fahrbetrieb aufgrund der konkreten Verkehrsverhältnisse deutlich mehr Schadstoffe emittiert als in einem zu Vergleichszwecken festgelegten, standardisierten Fahrzyklus. Dergleichen ist auch bei Herstellerangaben zum Kraftstoffverbrauch allgemein bekannt. Da der europäische Gesetzgeber für die Schadstoffnormen Euro 5 und Euro 6 im Jahr 2013 die Messung allein im Prüfstandbetrieb festgelegt hatte und erst seit Kurzem für Neufahrzeuge Messungen im Normalbetrieb nach WLTP-Standard vorschreibt, kommt es nicht darauf an, ob im Normalbetrieb die der Zulassung zugrundeliegenden Werte im NEFZ eingehalten werden (OLG Braunschweig BeckRS 2019, 38719).
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b) Es ist auch nicht statthaft, alle Fahrzeuge der Beklagten dahingehend gleichsam über einen Kamm zu scheren, dass, wenn eine unzulässige Abschalteinrichtung in einem Motor eines Fahrzeugherstellers vorliege, dies im Regelfall die gesamte Motorenreihe oder gar alle Fahrzeuge dieses Herstellers bzw. dieses Konzerns betreffe (OLG Hamm BeckRS 2021, 31189 Rn. 78; OLG Koblenz BeckRS 2019, 18418 Rn. 22). Ein solcher Erfahrungssatz kann nicht angenommen werden, schon weil damit sämtliche Motoren einer Motorenfamilie bzw. einer Baureihe ohne Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen technischen Merkmale einem Generalverdacht unterworfen würden (OLG München BeckRS 2021, 9658 Rn. 23; OLG Brandenburg BeckRS 2020, 41726 Rn. 29). Daher ist auch der Verweis des Klägers auf durchgeführte Bußgeldverfahren unergiebig.
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c) Die Aussagen des vom Kläger zitierten Urteil des Oberlandesgerichts Köln sind nicht auf den hiesigen Fall übertragbar, da ihnen eine andere Konstellation zugrundelag. Im dortigen Fall war das Fahrzeug mit einem SCR-Katalysator ausgestattet, während hier die NSK-Technik zur Anwendung kommt. Zudem war im Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht Köln im Gegensatz zum vorliegenden Verfahren unstreitig, dass die Fahrkurvenerkennung bewirkte, dass auch nach Erreichen einer optimalen Betriebstemperatur des SCR-Katalysators von 200° C die bis dahin gegebene hohe AGR-Rate weiter parallel bestehen blieb, was außerhalb des Prüfstands nicht der Fall war; diese Strategie war gegenüber dem KBA im Typgenehmigungsverfahren nicht offengelegt worden (vgl. OLG Köln BeckRS 2022, 5661 Rn. 2).
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5. Stehen dem Kläger demnach weder der geltend gemachte Zahlungsanspruch noch Nebenforderungen zu, so befindet sich die Beklagte auch nicht in Annahmeverzug. Ebensowenig kommt eine Teilerledigterklärung in Betracht.
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Den Streitwert beabsichtigt der Senat gemäß §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO auf bis zu 16.000 € festzusetzen.
IV.
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Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat und die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht gegeben sind, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme nahe. In diesem Falle ermäßigen sich die Gerichtsgebühren gemäß Nr. 1222 KV-GKG von 4,0 auf 2,0.