Inhalt

VGH München, Beschluss v. 24.05.2023 – 7 CE 23.330
Titel:

Ablehnung des Nachteilsausgleichs wegen Epilepsie

Normenketten:
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1
PSO § 7, § 14
Leitsätze:
1. Leiden, die als persönlichkeitsbedingte Eigenschaften das Leistungsbild des Prüflings prägen, sind nicht ausgleichsfähig. Der Nachteilsausgleich dient dem Ausgleich der durch eine Erkrankung oder Behinderung bedingten Einschränkung der Fähigkeit zur Darstellung der tatsächlich vorhandenen Leistungsfähigkeit des Prüflings, nicht dagegen dem Ausgleich einer durch die Erkrankung oder Behinderung bedingten Einschränkung der mit der Prüfung nachzuweisenden Eignung für einen bestimmten Beruf (BVerwG NVwZ 2016, 541). (Rn. 8 – 11 und 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Leistungsschwäche, die aufgrund der Medikation als auch der Erkrankung die erforderliche Denkleistung mindert, kann aus Gründen der Chancengleichheit nicht durch Gewährung eines Nachteilsausgleichs ausgeglichen werden. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Universität R., Bachelorstudiengang Psychologie, Nachteilsausgleich, Epilepsie, Migräne., kognitive Leistungsfähigkeit, Chancengleichheit
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 01.02.2023 – RO 3 E 23.151
Fundstelle:
BeckRS 2023, 12087

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, ihr während ihres (gesamten) Studiums – hilfsweise während ihres zweiten Fachsemesters – im Bachelorstudiengang Psychologie für die Anfertigung schriftlicher Prüfungsaufgaben vorläufig Nachteilsausgleich (zuletzt: Verlängerung der Arbeitszeit um 25% sowie zusätzliche Pausen im Umfang von zusätzlich 10%) zu gewähren.
2
Die Antragstellerin studiert seit dem Wintersemester 2022/2023 bei der Antragsgegnerin im Bachelorstudiengang Psychologie. Sie leidet an einer primär generalisierten Epilepsie mit Grandmal und Absencen sowie komplizierter Migräne mit Aura und hat hierfür eine gutachterliche Stellungnahme ihres behandelnden Facharztes vom 11. November 2022 vorgelegt, der ausführt, die Antragstellerin habe durch die Erkrankung sowie durch die nebenwirkungsträchtige Medikation (Levetiracetam, Topiramat, Rivotril und Triptane) „verlangsamte kognitive Prozesse, eine verstärkt kognitive Beeinträchtigung“. Die Antragstellerin ist zudem schwerbehindert mit einem Grad der Schwerbehinderung von 90 und den Merkzeichen G und B. Mit Bescheid vom 1. Februar 2023 lehnte die Antragsgegnerin den von der Antragstellerin mit Schreiben vom 23. November 2022, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 8. Dezember 2022, gestellten Antrag auf Gewährung von Nachteilsausgleich ab.
3
Mit Beschluss vom 1. Februar 2023 verpflichtete das Verwaltungsgericht Regensburg die Antragsgegnerin, der Antragstellerin zu gestatten, im ersten Fachsemester ihres Bachelorstudiums die Anfertigung von schriftlichen Klausuren in einem separaten Prüfungsraum zu gestatten. Im Übrigen lehnte es den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Die glaubhaft gemachten Erkrankungen sowie die durch die notwendige Medikation ausgelösten Nebenwirkungen führten zu erheblichen Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörungen, Störungen der Aufmerksamkeit und Verminderung der Merkfähigkeit. Diese Beeinträchtigungen hätten Verzögerungen und Beeinträchtigungen der Arbeitsgeschwindigkeit und Leistungsfähigkeit zur Folge. Damit liege jedoch gerade eine Beeinträchtigung vor, die einen prüfungsrelevanten Gegenstand betreffe. Die Krankheiten der Antragstellerin beeinträchtigten das abzuprüfende Leistungsbild, sowohl die abgeprüften kognitiven Fähigkeiten als solche als auch die Fähigkeit, die Prüfungsaufgabe in der vorgegebenen Zeit zu lösen. Es liege keine bloße Beeinträchtigung der Darstellungsfähigkeit vor, sondern die Antragstellerin sei bereits in der Lösungsfindung eingeschränkt. Die Gewährung von Nachteilsausgleich sei daher nicht möglich.
4
Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Rechtsschutzziel weiter. Die Antragsgegnerin widersetzt sich der Beschwerde.
5
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verfahrensakten Bezug genommen.
II.
6
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
7
Das Verwaltungsgericht hat den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt. Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach Maßgabe von § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Abänderung des angegriffenen Beschlusses. Der Senat folgt den Gründen des streitgegenständlichen Beschlusses des Verwaltungsgerichts und nimmt hierauf Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend ist im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen zu bemerken:
8
1. § 14 Abs. 1 der Prüfungs- und Studienordnung für den Bachelorstudiengang Psychologie an der Universität R. (v. 30.9.2020 – PSO) bestimmt, dass die besondere Lage von Studierenden mit Behinderung oder chronischer Erkrankung in besonderer Weise zu berücksichtigen ist. Weist der oder die Studierende nach, dass er oder sie wegen einer Behinderung oder chronischen Erkrankung nicht in der Lage ist, Studien- und Prüfungsleistungen gemäß § 7 PSO ganz oder teilweise in der vorgesehenen Form oder innerhalb der vorgesehenen Frist abzulegen, gestattet der Prüfungsausschuss die Verlängerung der Bearbeitungszeit bzw. der Fristen für das Ablegen von Studien- und Prüfungsleistungen oder das Ablegen gleichwertiger Prüfungs- und Studienleistungen in einer bedarfsgerechten Form. § 14 PSO dient der Sicherung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG).
9
Das Gebot der Chancengleichheit soll sicherstellen, dass alle Prüflinge möglichst gleiche Chancen haben, die an sie gestellten Leistungsanforderungen zu erfüllen. Zu diesem Zweck sollen die Bedingungen, unter denen die Prüfung abgelegt wird, für alle Prüflinge möglichst gleich sein. Es müssen grundsätzlich einheitliche Regeln für Form und Verlauf der Prüfungen gelten; die tatsächlichen Verhältnisse während der Prüfung müssen gleichartig sein (stRspr vgl. BVerwG, U.v. 29.7.2015 – 6 C 35.14 – juris Rn. 15; BayVGH, U.v. 2.6.2022 – 7 B 21.349 – juris Rn. 29). Allerdings sind einheitliche Prüfungsbedingungen geeignet, die Chancengleichheit derjenigen Prüflinge zu verletzen, deren Fähigkeit, ihr vorhandenes Leistungsvermögen darzustellen, erheblich beeinträchtigt ist. Daher steht diesen Prüflingen ein Anspruch auf Änderung der einheitlichen Prüfungsbedingungen im jeweiligen Einzelfall unmittelbar aufgrund des Gebots der Chancengleichheit nach Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG zu. Den Schwierigkeiten des Prüflings, seine vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten unter Geltung der einheitlichen Bedingungen darzustellen, muss durch geeignete Ausgleichsmaßnahmen Rechnung getragen werden. Dieser Nachteilsausgleich ist erforderlich, um chancengleiche äußere Bedingungen für die Erfüllung der Leistungsanforderungen herzustellen (stRspr. vgl. BVerwG, U.v. 29.7.2015 – 6 C 35.14 – juris Rn. 16).
10
Ein Nachteilsausgleich darf aber nur insoweit gewährt werden, als ein Prüfling aufgrund seines Leidens gehindert ist, seine tatsächlich vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten nachzuweisen. Nachteilsausgleich dient dem Ausgleich der durch eine Erkrankung oder Behinderung bedingten Einschränkung der Fähigkeit zur Darstellung der tatsächlich vorhandenen Leistungsfähigkeit des Prüflings, nicht dagegen dem Ausgleich einer durch die Erkrankung oder Behinderung bedingten Einschränkung der mit der Prüfung nachzuweisenden Leistungsfähigkeit selbst (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.2015 – 6 C 35.14 – juris Rn. 18 f.; OVG NW, B.v. 13.7.2021 – 6 B 986/21 – juris Rn. 10; Jeremias, NVwZ 2019, 839/840 f.). Ein Nachteilsausgleich ist somit dann zu gewähren, wenn lediglich die Beeinträchtigung vorliegt, eine an sich vorhandene Leistungsfähigkeit technisch umsetzen zu können, nicht jedoch, wenn bereits die Leistungsfähigkeit im Hinblick auf die jeweils geforderten Prüfungsleistungen aufgrund in der Person des Prüflings liegender persönlichkeitsbedingter Einschränkungen dem Grunde nach vermindert ist (vgl. Quapp, DVBl 2018, 80/82). Leiden, die als persönlichkeitsbedingte Eigenschaften das Leistungsbild des Prüflings prägen, sind daher nicht ausgleichsfähig. Bei einer (dauerhaften) Einschränkung der Leistungsfähigkeit kommt eine Rücksichtnahme auf persönliche Belastungen des Prüflings in Form eines Nachteilausgleichs nicht in Betracht, wenn dieser (auch) erweisen soll, dass er mit solchen Schwierigkeiten fertig wird und mithin die Grundvoraussetzungen der durch die Prüfung zu ermittelnden Eignung für einen bestimmten Beruf oder eine bestimmte Ausbildung besitzt (vgl. OVG NW, B.v. 13.7.2021 – 6 B 986/21 – juris Rn. 12). Würde man derartige persönlichkeitsbedingte Erschwernisse berücksichtigten, führte dies prüfungsrechtswidrig dazu, durch Prüfungsvergünstigungen Leistungsschwächen auszugleichen, die für Art und Umfang der Eignung und Befähigung, die mit dem Leistungsnachweis gerade festgestellt werden sollen, von wesentlicher Bedeutung sind (vgl. Jeremias in Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 301e m.w.N.).
11
Ob eine geltend gemachte Erkrankung die Leistungsfähigkeit eines Prüflings mindert oder lediglich zu einer Beeinträchtigung der Darstellungsfähigkeit der eigentlich vorhandenen Leistungsfähigkeit führt, lässt sich nur unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls anhand einer tatsächlichen und rechtlichen Beurteilung klären, die unter Berücksichtigung der in der Prüfung abverlangten Leistungen und der späteren Anforderungen im angestrebten Beruf vorzunehmen ist (vgl. NdsOVG, B.v. 22.6.20 – 2 LA 461/20 – juris Rn. 17; VGH BW, B.v. 22.2.2021 – 9 S 556/21 – juris Rn. 5; Jeremias in Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, Rn. 301d).
12
2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat die Antragstellerin den geltend gemachten Anspruch auf Nachteilsausgleich durch eine Verlängerung der Schreibzeit sowie gesonderte Pausenzeiten nicht i.S.v. § 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht. Gegen die Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die bei der Antragstellerin vorliegenden Beeinträchtigungen stellten eine generelle Einschränkung ihrer Leistungsfähigkeit dar und erschwerten nicht lediglich die Darstellung der abgeprüften Kenntnisse und Befähigungen, ist auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nichts zu erinnern.
13
a) Gegen die Feststellungen des Verwaltungsgerichts wendet die Antragstellerin ein, sie habe keine Konzentrationsschwierigkeiten, solange sie keine Antiepileptika, insbesondere das Medikament Topiramat, nehme, sie habe bezüglich der Klausurfragen das Ergebnis der Aufgabenstellung korrekt im Kopf, benötige jedoch mehr Zeit, die Lösung in korrekter Formulierung niederzuschreiben. Eine Unfähigkeit, die Lösungen bzw. Antworten zu generieren, liege nicht vor. Topiramat beeinflusse die Darstellung einer kognitiv erarbeiteten Lösung. Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, es sei Teil der Leistungsanforderung, die gestellten Aufgaben innerhalb der vorgegebenen Prüfungszeit zu bearbeiten, sei schon deshalb nicht haltbar, weil § 14 Abs. 1 Satz 2 PSO eine Verlängerung der Bearbeitungszeit ermögliche. Ferner beinhalte die Tätigkeit eines Psychologen in der Regel keine Situationen, in denen unter Zeitdruck auf Situationsveränderungen reagiert werden müsse.
14
Dieses Vorbringen rechtfertigt keine Änderung des angefochtenen Beschlusses. Die Ausführungen der Antragstellerin stehen bereits im Widerspruch zur Begründung ihres Antrags sowie zur vorgelegten gutachterlichen Stellungnahme. Die Antragstellerin brachte in ihrem Antrag auf Gewährung von Nachteilsausgleich vom 23. November 2022 selbst vor, in „Folge der Erkrankungen und bedingt durch Nebenwirkungen der erforderlichen Medikamente“ seien „kognitive Prozesse verlangsamt sowie die Aufmerksamkeit und die Konzentrations- und Merkfähigkeit beeinträchtigt“. Diese Einschätzungen werden durch die von der Antragstellerin einzig vorgelegten gutachterlichen Stellungnahme ihres behandelnden Facharztes vom 11. November 2022 bestätigt. Danach bewirken die bei der Antragstellerin festgestellten Erkrankungen sowie die nebenwirkungsträchtige Medikation verlangsamte kognitive Prozesse, eine verstärkte kognitive Beeinträchtigung sowie erhebliche Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörungen, Störung der Aufmerksamkeit, Verminderung der Merkfähigkeit und im Rahmen von Prüfungen vermehrt ein Auftreten von epileptischen Anfällen. Durch diese Einschränkungen habe die Antragstellerin eine deutlich verlangsamte Arbeitsweise. Durch die geistigen und seelischen Funktionsstörungen komme es zu einer Verzögerung und Beeinträchtigung der Arbeitsgeschwindigkeit und der Leistungsfähigkeit und damit der Fähigkeit, Prüfungen zügig durchzuführen.
15
Nach Einschätzung ihres behandelnden Arztes ist die Antragstellerin demnach durch Erkrankung und Medikation nicht lediglich daran gehindert, ihre Leistungsfähigkeit innerhalb des erforderlichen Zeitbudgets darzustellen, sondern sowohl die Medikation als auch die Erkrankung vermindern ihre Fähigkeit, die erforderliche Denkleistung innerhalb des vorgegebenen zeitlichen Rahmens zu erbringen. Eine derartige Leistungsschwäche kann aus Gründen der Chancengleichheit nicht durch Gewährung eines Nachteilsausgleichs ausgeglichen werden. Dass die Erkrankung selbst keine Auswirkungen auf die Denkleistung und damit die in der Prüfung abgeprüfte geistige Leistungsfähigkeit der Antragstellerin hat, ergibt sich aus der gutachterlichen Stellungnahme gerade nicht und ist damit von der Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Die erforderliche Glaubhaftmachung in der nach § 14 Abs. 4 PSO vorgeschriebenen Form folgt auch nicht aus den von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren schlicht referierten Studienergebnissen der Universität von Minesota aus dem Jahr 2020 zu Auswirkungen des Medikaments Topiramat auf das Arbeitsgedächtnis und damit verbundene kognitive Beeinträchtigungen.
16
b) Soweit sich die Antragstellerin darauf beruft, § 14 Abs. 1 Satz 2 PSO ermögliche gerade eine Verlängerung der Bearbeitungszeit, vermag auch dies ihrer Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen.
17
Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 PSO wird durch die Bachelorprüfung festgestellt, ob der oder die Studierende die Zusammenhänge des Fachs überblickt und kritisch beurteilen kann, die Fähigkeit besitzt, dessen wissenschaftliche Methoden und Erkenntnisse anzuwenden sowie die für den Übergang in die Berufspraxis notwendigen Fachkenntnisse und Schlüsselqualifikationen erworben hat. Zudem erfüllt der Studiengang eine der Voraussetzungen für eine spätere Erteilung der Approbation als Psychotherapeut oder Psychotherapeutin (§ 2 Abs. 1 Satz 3 PSO). Bestandteile der Bachelorprüfung sind gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 PSO in der Mehrzahl studienbegleitende Klausuren sowie vereinzelt Hausarbeiten. Zudem haben die Studierenden Schlüsselqualifikationen und ergänzende Studienleistungen nachzuweisen, an Forschungsarbeiten des Instituts für Psychologie als Versuchsperson teilzunehmen und eine Bachelorarbeit anzufertigen (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 PSO). Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 PSO beträgt die Prüfungsdauer bei schriftlichen Prüfungen in Form einer Klausur mindestens 60 und höchstens 90 Minuten. Durch diese in der Prüfungsordnung genannten Anforderungen soll ermittelt werden, ob Prüflinge die Eignung und Befähigung für den Beruf einer Psychologin bzw. eines Psychologen besitzen. Die Prüfungsordnung regelt somit normativ sowohl den fachlichen Gegenstand als auch die Ausgestaltung der studienbegleitend abzulegenden Bachelorprüfung. Diese beinhaltet somit den Nachweis von fachlichen Inhalten und Kompetenzen sowie die Fähigkeit, diese – soweit sie durch Klausuren erfolgt – innerhalb eines bestimmten zeitlichen Rahmens in einer bestimmten Qualität abrufen und darstellen zu können. Damit ist nach den Vorgaben des Normgebers die Fähigkeit, sich über die Dauer einer schriftlichen Klausur hinweg zu konzentrieren, die gestellten Aufgaben zu erfassen und in der vorgegebenen Zeit zu bewältigen, ein zentrales Kriterium der Prüfungsanforderungen und in der Regel ein entscheidender Faktor für die Leistungsbewertung der Prüflinge. Hierauf weist der Antragsgegner zu Recht hin. Dass dieses Prüfungsverfahren grundsätzlich ungeeignet ist, die für den Beruf einer Psychologin erforderliche Qualifikation nachzuweisen, trägt die Antragstellerin nicht vor.
18
Für Prüflinge, deren Fähigkeit, ihr vorhandenes Leistungsvermögen darzustellen, erheblich beeinträchtigt ist, ermöglicht § 14 Abs. 1 Satz 2 PSO eine Modifikation dieser Studien- und Prüfungsleistungen und trägt auf diese Weise dem verfassungsrechtlich durch Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG verbürgten Anspruch auf gleiche Prüfungsbedingungen Rechnung. Das durch die Prüfungsordnung vorgegebene allgemeine Prüfungsregime von im Grundsatz zeitbegrenzten Klausuren als Instrument der Leistungsmessung wird durch § 14 Abs. 1 PSO nicht berührt. Denn berechtigt, insbesondere eine Verlängerung der Arbeitszeit zu erlangen, ist nur derjenige, der die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 2 PSO für sich in Anspruch nehmen kann. Auf das Verhältnis von Klausuren (mit Zeitbudget) zu Hausarbeiten (ohne Zeitbudget) kommt es insoweit nicht an. Anders als die Antragstellerin meint, ergibt sich aus § 14 Abs. 1 Satz 1 PSO kein pauschales „Recht von Studierenden mit Behinderung oder chronischer Erkrankung eine Verlängerung der Bearbeitungszeit zu bekommen, wenn sie nicht in der Lage sind, die Prüfungsleistungen in der vorgesehenen Form abzulegen“. Wie bereits ausgeführt kommt eine Arbeitszeitverlängerung unter Berücksichtigung der Chancengleichheit aller Prüflinge nur dann in Betracht, wenn die geltend gemachte Beeinträchtigung nicht die in der Prüfung zu ermittelnde wissenschaftliche Leistungsfähigkeit an sich betrifft, sondern lediglich den Nachweis dieser Befähigung erschwert. Ebenfalls nicht entscheidungserheblich ist, ob das Berufsbild eines Psychologen oder einer Psychologin ein Arbeiten unter Zeitdruck verlangt bzw. (auch) Tätigkeiten ermöglicht, in denen ohne jeglichen zeitlichen Druck gearbeitet werden kann. Die Antragstellerin hat bereits nicht glaubhaft gemacht, dass ihre Erkrankung lediglich zu einer Beeinträchtigung der Darstellungsfähigkeit ihrer eigentlich vorhandenen Leistungsfähigkeit führt.
19
Aus diesem Grund verhilft der Antragstellerin auch die von ihr in Bezug genommene Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. Januar 2006 – 8 TG 3292/05 – (juris Rn. 10) nicht zum Erfolg. Die kognitive Beeinträchtigung der Antragstellerin ist mit der Legasthenie-Erkrankung des dortigen Antragstellers, der lediglich in seiner Lese- und Schreibtätigkeit beeinträchtigt war, nicht vergleichbar. Denn anders als in dem der Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs zugrundeliegenden Sachverhalt beeinträchtigt die Erkrankung die Antragstellerin ausweislich der vorgelegten gutachterlichen Stellungnahme bereits auf der Ebene der kognitiven Leistungsfähigkeit – sie benötigt schon mehr Zeit zur Lösungsfindung – und nicht nur auf der Ebene der Darstellung der innerhalb der vorgegebenen Zeit gefundenen Lösung. Wenn, wie vorliegend, normative Prüfungsanforderungen eine bestimmte Leistung (im Rahmen eines vorgegebenen Zeitbudgets) mit dem Ziel abfordern, Aufschluss über Eignung und Befähigung des Prüfungskandidaten zu erlangen, dürfen diese nicht an dessen individuelle Leistungsfähigkeit angepasst werden; andernfalls würde die Prüfung ihren Zweck von vornherein verfehlen (vgl. Jeremias in Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, Rn. 301e). Das Gebot der Chancengleichheit nach Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG vermittelt keinen Anspruch auf eine Leistungsbewertung, die das individuelle Leistungsvermögen berücksichtigt (vgl. zum Notenschutz BVerwG, U.v. 29.7.2015 – 6 C 35.14 – juris Rn. 20, 22 ff.).
20
c) Aus dem von der Antragstellerin vorgebrachten Umstand, dass an Epilepsie erkrankten Studierenden an der Charité möglicherweise Nachteilsausgleich gewährt wird, ergibt sich für die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin kein Anspruch auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 GG). Ungeachtet dessen, dass Fragen des Nachteilsausgleichs stets nur im Einzelfall zu beantworten sind, ergibt sich ein Anspruch auf Gleichbehandlung immer nur gegenüber dem nach der Kompetenzverteilung konkret zuständigen Träger öffentlicher Gewalt, hier der Antragsgegnerin.
21
Auch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG steht der Versagung eines Nachteilsausgleichs nicht entgegen. Zwar steht die Schwerbehinderteneigenschaft der Antragstellerin mit einem Grad von 90 fest. Aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG erwächst jedoch auch im Fall einer Behinderung kein vom Vorliegen der oben dargestellten Voraussetzungen unabhängiger (genereller) Anspruch auf Nachteilsausgleich. Andernfalls läge eine Bevorzugung behinderter Prüflinge vor, die weder mit dem Prüfungszweck noch mit dem Grundsatz der Chancengleichheit vereinbar wäre (vgl. OVG NW, B.v. 13.7.2021 – 6 B 986/21 – juris Rn. 25).
22
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 36.4 und 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022) und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
23
5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).