Titel:
Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs durch Werbeanlage
Normenkette:
BayBO Art. 14 Abs. 2
Leitsatz:
Die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs wird durch eine bauliche Anlage bereits dann – konkret – gefährdet, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit hinreichender oder – anders ausgedrückt – „bloßer“ Wahrscheinlichkeit ein Verkehrsunfall oder doch eine Verkehrsbehinderung in überschaubarer Zukunft zu erwarten ist. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
LED-Mediaboard an Verkehrskreuzung, Baugenehmigung, Werbeanlage, konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs, Durchschnittsfahrer
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 23.11.2022 – M 29 K 21.4867
Fundstelle:
BeckRS 2023, 12074
Tenor
I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000, – € festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung nach §§ 124, 124a Abs. 4 VwGO hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
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1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet im Rahmen der dargelegten Zulassungsgründe keinen ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung für die Werbetafel – ein LED-Mediaboard – hat und durch deren Ablehnung nicht in ihren Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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a) Die Beklagte hat ihre Ablehnung der Baugenehmigung zu Recht auf Art. 14 Abs. 2 BayBO gestützt. Hiernach darf durch bauliche Anlagen und deren Nutzung die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs nicht gefährdet werden.
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Für eine konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs im bauordnungsrechtlichen Sinn ist nicht die überwiegende oder hohe Wahrscheinlichkeit erforderlich, dass durch die Werbeanlage ein Verkehrsunfall verursacht oder der Verkehr in seinem Ablauf behindert wird. Vielmehr ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs durch eine bauliche Anlage bereits dann – konkret – gefährdet wird, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit hinreichender oder – anders ausgedrückt – „bloßer“ Wahrscheinlichkeit ein Verkehrsunfall oder doch eine Verkehrsbehinderung in überschaubarer Zukunft zu erwarten ist (vgl. BayVGH, B.v. 29.9.2014 – 15 ZB 13.568 – juris Rn. 4; B.v. 27.10.2011 – 15 ZB 10.2409 – juris Rn. 6; B.v. 24.2.2003 – 2 CS 02.2730 – juris Rn. 16), insbesondere ein Durchschnittsfahrer durch sie abgelenkt wird. Der Nachweis, dass jederzeit mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist oder eine hohe Wahrscheinlichkeit hierfür sind nicht erforderlich. Zur Annahme einer die Ablehnung der Baugenehmigung rechtfertigenden Gefahrenlage genügt die Feststellung, dass die konkrete Situation die Befürchtung nahelegt, dass – möglicherweise durch Zusammentreffen mehrerer gefahrenträchtiger Umstände – irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die zu bekämpfende Gefahrenlage eintritt. Geht es dabei – wie hier – um die Gefährdung von Leben und Gesundheit, sind an die Feststellung der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen. Entscheidend für das Vorliegen einer Verkehrsgefährdung sind insofern die konkreten Umstände des Einzelfalls (Nolte/Robl in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 149. EL Januar 2023, Art. 14 Rn. 23).
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Bei Anwendung dieser Grundsätze und Würdigung aller Gesamtumstände des konkreten Einzelfalls spricht vieles dafür, dass die verfahrensgegenständliche Werbeanlage am beantragten Standort und in der beantragten Ausführung eine konkrete Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs darstellt. Entgegen dem klägerischen Vortrag ist insbesondere am geplanten Aufstellungsort von einer komplexen Verkehrssituation auszugehen, die die volle Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer erfordert. Das Verwaltungsgericht hat überzeugend ausgeführt, dass die Verkehrssituation an der Kreuzung V.straße die besondere Aufmerksamkeit des rechtsabbiegenden Verkehrsteilnehmers für Radfahrer und Fußgänger erfordere und in Verbindung mit einer in besonderem Maße aufmerksamkeitserregenden Werbeanlage zu einer Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs führe. Gegen die geplante Werbeanlage spreche der Umstand, dass es sich bei der V.straße um eine stark befahrene Verkehrsader handle, für Radfahrer bereits derzeit das hohe Risiko bestehe, von rechts abbiegenden Kraftfahrern übersehen zu werden und dass die Anlage an einem Verkehrsbereich angebracht werden solle, der den Schülern der nahegelegenen Grundschule als Schulweg diene. Insoweit wird zunächst nach § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des erstgerichtlichen Urteils vom 23. November 2022 Bezug genommen.
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Angesichts der dargelegten ständigen Rechtsprechung gelangt der Senat zu keiner anderen Beurteilung als das Verwaltungsgericht. Die Werbeanlage soll an der Kreuzung der V.straße, einer ganztägig stark frequentierten, vierspurigen Straße, die eine wichtige Ost-West Tangente zur ... ist, und der M.straße, einer der wichtigsten Nord-Südverbindungen im … …, angebracht werden. Westlich des geplanten Standortes der Werbeanlage und aus dem Kreuzungsbereich herausgenommen, also von der V.straße gesehen etwas nach Westen eingerückt, steht eine Ampelanlage, die jedoch keine eigene Grünphase für Rechtsabbieger aufweist. Kraftfahrer, die von der V.straße kommen und eine direkte Blickbeziehung zur Werbeanlage haben, müssen beim Rechtsabbiegen sowohl auf den Radweg als auch auf die die Ampelschaltung nutzenden Fußgänger achten. Auch wenn die sonst an Kreuzungen oft gegebene schwierige Linksabbiegersituation nicht vorliegt, müssen die Autofahrer dennoch an der fraglichen Stelle ihre volle Konzentration der Beurteilung der Verkehrssituation widmen. Gleichzeitig befände sich in der unmittelbaren Blickbeziehung die von der Klägerin beantragte Werbewechselanlage. Dieser kommt im vorliegenden Fall ein besonderes Ablenkungspotenzial zu, da auf dieser, anders als bei den meisten sonstigen Werbeanlagen im Stadtgebiet, nicht nur die üblichen, wechselnden Werbeplakate, sondern auch bewegte Szenen und Animationen sowie sogenannte Cinemagramme, also einzelne, bewegte Bildteile, gezeigt werden sollen. Damit unterscheidet sich die Werbeanlage deutlich vom Regelfall der in der Stadt üblichen wechselnden Werbeplakatflächen. Eine Ablenkung der Verkehrsteilnehmer durch die verfahrensgegenständliche Werbeanlage mit teilbewegten Bildern ist daher grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen. Dies gilt selbst angesichts des Umstands, dass Verkehrsteilnehmer in innerörtlichen, gewerblich geprägten Lagen an das Vorhandensein von Werbeanlagen gewohnt sind (vgl. BayVGH, B.v. 30.7.2012 – 9 ZB 11.2280 – juris Rn. 10), wie von der Klägerin vorgebracht.
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Auch wenn die Fußgängerampel hier etwas westlich des Kreuzungsbereichs angebracht ist und so aus dem Kreuzungsbereich herausgenommen ist, rechtfertigen das Zusammentreffen der verschiedenen gefahrenträchtigen Umstände in der konkreten Situation – starkes Verkehrsaufkommen, Kreuzungssituation, Ampelanlage, Fahrradweg, Fußgänger – die Befürchtung, dass irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine zu bekämpfende Gefahrenlage eintritt. Erschwerend hinzu kommt, dass nach Aussage des Polizeipräsidiums, die von der Klägerin nicht substantiiert in Frage gestellt worden ist, im konkreten Fall die Ampelanlage auch von Schulkindern der nahegelegenen Grundschule sowie von Kindern, die die im Nahbereich der Ampelanlage gelegene Bezirkssportanlange ansteuern, genutzt wird.
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Der Vortrag der Klägerin, die Annahme einer Gefährdung von Fahrradfahrern sei nicht nachvollziehbar und gehe nicht über das allgemeine Maß einer Gefährdung hinaus, da der Kraftfahrer den Fahrradfahrer wegen der gute Einsehbarkeit und dem geraden Straßenverlauf der V.straße schon über viele Meter sehe, der Fahrradweg an der Kreuzung rot markiert und auch der Kreuzungsbereich besonders gut einsehbar sei, führt zu keiner anderen Einschätzung der Situation. Wie sich aus der Stellungnahme des Polizeipräsidiums ... ergibt, ist nahezu jeder vierte Verkehrsunfall im letzten Jahr, bei dem ein Radfahrer mit einem Pkw bzw. Lkw kollidierte, passiert, weil der jeweilige Kraftfahrer beim Rechtsabbiegen den in gleicher Richtung fahrenden Radfahrer, sei es aus Unaufmerksamkeit oder aufgrund Ablenkung, übersehen hat. Um dieses hohe Risiko für Radfahrer, von einem rechts abbiegenden Kraftfahrer übersehen zu werden, zu begrenzen und hierdurch Unfallgefahren zu vermeiden, ist das Bestreben der Beklagten, die Kreuzungssituation von der beantragten Werbeanlage, von der ein hohes Ablenkungspotenzial ausgeht, freizuhalten, nachvollziehbar.
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b) Auch die Ausführungen der Klägerin hinsichtlich der planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens vermögen der Zulassung der Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen. Das angefochtene Urteil beruht entscheidungstragend auf der bauordnungsrechtlichen Unzulässigkeit des Bauvorhabens. Wie oben dargelegt (a), ergibt sich aus den maßgeblichen Darlegungen der Klägerin nicht, dass hinsichtlich dieser Ausführungen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen. Auf die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit kommt es daher im Zulassungsverfahren nicht mehr an.
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2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Der vorliegende Fall zeigt keine über einen baurechtlichen Standardfall hinausgehenden Schwierigkeiten. Denn sie verursacht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine größeren, d.h. überdurchschnittlichen, das normale Maß nicht unerheblich übersteigende Schwierigkeiten und es handelt sich auch nicht um einen besonders unübersichtlichen oder kontroversen Sachverhalt, bei dem noch nicht abzusehen ist, zu welchem Ergebnis ein künftiges Berufungsverfahren führen wird. Vielmehr ist der Rechtsstreit im tatsächlichen Bereich überschaubar und die entscheidungserheblichen rechtlichen Fragen sind durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt. Soweit die Klägerin ausführt, die Beurteilung der Frage einer Gefährdung des Straßenverkehrs sei für sich genommen in tatsächlicher Hinsicht schwieriger zu beurteilen als andere verwaltungsgerichtliche Fragestellungen und es seien vorliegend eine Vielzahl von Aspekten (Kollisionsmöglichkeiten mit Fahrradfahrern, kein Linksabbiegen, Einsehbarkeit der Werbeanlage nur aus einer Richtung) zu berücksichtigen, vermag sie nicht zu überzeugen. Diese Aspekte wurden unter Ziffer 1 bereits ausreichend tatsächlich gewürdigt. Besondere Schwierigkeiten ergaben sich hierbei nicht. Auf die diesbezüglichen Darlegungen wird verwiesen.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG und entspricht der von den Beteiligten nicht infrage gestellten Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.