Inhalt

VGH München, Beschluss v. 19.04.2023 – 2 ZB 22.1730
Titel:

Erfolglose Nachbarklage - Einhaltung von Abstandsflächen

Normenkette:
BayBO Art. 59
Leitsätze:
1. Das Gebot der Rücksichtnahme gibt Grundstückseigentümern nicht das Recht, von jeglicher Schattenwirkung eines Gebäudes auf einem benachbarten Grundstück verschont zu bleiben. Beeinträchtigungen durch Schattenwurf sind gerade in dicht bebauten innerstädtischen Bereichen grundsätzlich hinzunehmen; dies gilt selbst dann, wenn Verschattungen zu finanziellen Einbußen hinsichtlich der Energiegewinnung durch Photovoltaikanlagen führen. (Rn. 4 – 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ändert sich die Sach- und Rechtslage zugunsten des Bauherrn, ist materiell-rechtlich auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gebot der Rücksichtnahme, Abstandsfläche, Verschattung, Photovoltaikanlage, Hinterliegergrundstück, Hammerstielgrundstück, Änderung der Sach- und Rechtslage zugunsten des Bauherrn
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 02.05.2022 – M 8 K 20.3395
Fundstelle:
BeckRS 2023, 12071

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung nach §§ 124, 124a Abs. 4 VwGO hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet keinen ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Senat teilt die Auffassung des Erstgerichts, dass die Baugenehmigung vom 21. April 2020 keine nachbarschützenden Vorschriften, die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind und auf die sich der Kläger berufen kann, verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Art. 59 BayBO).
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a) Der Kläger rügt, dass das geplante Bauvorhaben zu einer für ihn unzumutbaren Verschattung führen würde. Dazu legt er ein selbst erstelltes Gutachten vor.
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Damit ist jedoch eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots nicht hinreichend substantiiert dargetan. Der Kläger hat nicht aufgezeigt, dass die Verschattung seines Grundstücks durch das Bauvorhaben unzumutbar sein könnte. Das Gebot der Rücksichtnahme gibt den Grundstückseigentümern nicht das Recht, von jeglicher Schattenwirkung eines Gebäudes auf einem benachbarten Grundstück verschont zu bleiben. Beeinträchtigungen durch Schattenwurf sind gerade in dicht bebauten innerstädtischen Bereichen grundsätzlich hinzunehmen. Auch scheidet eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme im Hinblick auf die Belichtung, Belüftung und Besonnung in aller Regel aus, wenn die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen eingehalten werden (vgl. BayVGH, U.v. 4.5.2017 – 2 B 16.2432 – juris; B.v. 9.12.2016 – 15 CS 16.1417 – juris). Im Übrigen ergibt sich aus dem Gutachten des Klägers, dass sein Gebäude selbst zum Zeitpunkt der stärksten Verschattung am 3. Januar 2022 um 17.00 Uhr nur teilweise verschattet wird. Selbst eine vollständige Verschattung wäre angesichts der beschränkten Dauer der Beeinträchtigung nicht unzumutbar (vgl. BayVGH, B.v.9.12.2016 a.a.O.).
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Nach Auffassung des Klägers kommt es zu einem wesentlichen und beträchtlichen Verlust an Energie, die sein Anwesen vor allem im Winter bisher durch Sonnenlicht gewinnen könne. Diese dann im Fall der Umsetzung des Bauvorhabens fehlende Sonnenlichteinstrahlung müsse dann durch den Kläger mit erheblichen Kostenaufwand durch Beheizung ersetzt werden. In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist anerkannt, dass mögliche Verringerungen des Lichteinfalls bzw. eine weiter zunehmende Verschattung in aller Regel in bebauten Ortslagen und insbesondere in dicht bebauten innerstädtischen Bereichen grundsätzlich hinzunehmen sind und dies grundsätzlich selbst dann gilt, wenn Verschattungen zu finanziellen Einbußen hinsichtlich der Energiegewinnung durch Photovoltaikanlagen führen (BayVGH, B.v. 13.9.2022 – 15 CS 22.1851 – juris). Wenn schon bei Photovoltaikanlagen „Energieverluste“ grundsätzlich hinzunehmen sind, muss dies erst recht für den vom Kläger vorgetragenen Sachverhalt gelten. Wieso sein Einzelfall ausnahmsweise anders zu bewerten sein soll, erschließt sich dem Senat nicht.
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b) Entgegen der Auffassung des Klägers liegt keine Verletzung von nachbarschützenden Abstandsflächenvorschriften vor. Dabei kann offenbleiben, ob die Abstandsflächenübernahmeerklärung wirksam ist. Denn der Kläger hat aufgrund der zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bestehenden Eigentumsverhältnisse keinen Anspruch, die Zuwegung des Hinterliegergrundstücks für eigene Abstandsflächen in Anspruch zu nehmen. Das Erstgericht ist dabei rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass bei nicht überbaubaren Flächen privater Grundstücke diese abstandsflächenrechtlich grundsätzlich den benachbarten bebaubaren Grundstücken zu gleichen Teilen zugeordnet sind (vgl. BayVGH, B.v. 29.9.2004 – 1 CS 04.340 – juris). Dies gilt allerdings nur für den Fall, dass die jenseits der Zuwegung gelegenen Grundstücke und das Hammerstielgrundstück bzw. die nicht überbaubaren Flächen jeweils verschiedenen Eigentümern gehören. Zwischenzeitlich sind Baugrundstück und Hinterliegergrundstück in der Hand eines Eigentümers. An einer Seite grenzen damit Grundstücke des Eigentümers der nicht überbaubaren Fläche und auf der gegenüberliegenden Seite Grundstücke von Dritten an. Damit ist die nicht überbaubare Fläche in vollem Umfang den Eigentümergrundstücken zuzuordnen.
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Davon ausgehend ist die Entscheidung des Erstgerichts nicht zu beanstanden. Der Kläger erkennt auch grundsätzlich den Rechtssatz an, dass dabei, wenn sich wie im vorliegenden Fall die Sach- und Rechtslage zugunsten des Bauherrn geändert hat, materiell-rechtlich auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist (st. Rspr. vgl. BVerwG, B.v. 23.04.1998 – 4 B 40/98 – juris). Er befürchtet jedoch eine Missbrauchsmöglichkeit und folgert daraus, dass von diesem Grundsatz eine Ausnahme zu machen sei. Der Senat hat auch unter Berücksichtigung der im Schriftsatz vom 31. März 2023 vorgetragenen Umstände jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass das streitgegenständliche Grundstück lediglich übertragen wurde, um eine etwaige Abstandsflächenverletzung zu heilen. Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass der ehemalige Eigentümer das Grundstück mit einer bereits erteilten Baugenehmigung verkauft hat. Die Vertragsparteien hatten zu keinem Zeitpunkt Anlass zu der Annahme, dass das genehmigte Bauvorhaben gegen das Abstandsflächenrecht verstößt. Insofern ist es fernliegend, dass die Parteien auf dieser Grundlage die Kosten und den Aufwand für eine Eigentumsübertragung und eine spätere Rückübertragung in Kauf genommen hätten.
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2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Der Kläger sieht besondere tatsächliche Schwierigkeiten darin, dass das Verwaltungsgericht aufgrund der aktuellen Situation („Energiekrise“, Ukrainekrieg) verpflichtet gewesen sei, die Frage, ob eine unzumutbare Verschattung drohe, durch ein Sachverständigengutachten zu klären. Diesbezüglich stellen sich jedoch weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht Fragen, die über den durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad hinausgehen. Vielmehr handelt es sich um eine normale baurechtliche Nachbarstreitigkeit. Im Übrigen wird auf die Ausführungen unter 1. verwiesen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertentscheidung folgt aus §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).