Titel:
rechtmäßige Ausweisung nach Verurteilung wegen schwerwiegender Betäubungsmitteldelikte
Normenketten:
AufenthG § 11 Abs. 1, Abs. 2 S. 5, § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 1 lit. b, § 55 Abs. 1
StGB § 57, § 67 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Bei der der Ausweisung zu Grunde liegenden Prognoseentscheidung geht es stets die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung, Drogendelikte, Metamphetamin, Wiederholungsgefahr, Maßregelvollzug für erledigt erklärt, Bleibeinteresse, Deutsche Lebensgefährtin, Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, Auflösende Bedingung der Straf- und Drogenfreiheit, Betäubungsmitteldelikt, Delinquenzgefährdung, Maßregelvollzug, besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, deutsche Lebensgefährtin
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 09.03.2022 – AN 11 K 18.1554
Fundstelle:
BeckRS 2023, 12070
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
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1. Der Kläger (ein am ... 1983 geborener Staatsangehöriger von V.) am 5.9.2011 erstmals in das Bundesgebiet eingereist, dessen Asylantrag mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 7.12.2011 abgelehnt wurde – wobei zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht festgestellt wurden und dem Kläger die Abschiebung nach Vietnam angedroht wurde –, dessen am 21.12.2011 erhobene Klage gegen den Ablehnungsbescheid mit am 6.7.2012 rechtskräftig gewordenem Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 2.5.2012 – Az.: AN 14 K 11.30568 – abgewiesen wurde, den das Amtsgericht N. mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 4.9.2012 wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen verurteilte, der nach eigenen Angaben ab dem Jahr 2013 – mangels Beschäftigungserlaubnis illegal – als Küchenhilfe in Gastronomiebetrieben in B. beschäftigt war, der nach eigenen Angaben seit 2014 mit einer deutschen Staatsangehörigen verlobt ist, gegen den zwei Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Aufenthaltes anhängig waren – die gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt bzw. gemäß § 154 Abs. 1 StPO nicht weiter verfolgt wurden – und der am 21.7.2016 durch das Landgericht N.-F. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 2 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren und 3 Monaten verurteilt wurde, wobei die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet wurde) wendet sich gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 9. März 2022, AN 11 K 18.1554, mit welchem seine Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 10. Juli 2018 abgewiesen wurde. Mit diesem Bescheid hat der Beklagte den Kläger nach Anhörung aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziffer 1 des Bescheids) und das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von acht Jahren ab Verlassen des Bundesgebiets unter der Bedingung, dass Straf- bzw. Drogenfreiheit nachgewiesen werde, befristet, wobei der Nachweis nicht früher als drei Monate vor Ablauf dieser Befristung zu erbringen sei; werde diese Bedingung nicht erfüllt, so betrage die Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot zehn Jahre ab Abschiebung bzw. Ausreise (Ziffer 2 des Bescheids).
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Den Anlass für die streitgegenständliche Ausweisung bildete die rechtskräftige Verurteilung durch das Landgericht N.-F. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten vom 21. Juli 2016. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der Kläger – ohne im Besitz der erforderlichen Erlaubnis für den Umgang mit Betäubungsmitteln zu sein, was ihm bekannt war – sich mit dem anderweitig verfolgten N. verabredet hatte, ein Kilogramm Metamphetamin mit der Absicht des gewinnbringenden Weiterverkaufs anzukaufen, welches der anderweitig verfolgte N. zu diesem Zweck am 15. Juni 2015 von seinem Lieferanten übernahm und am 16. Juni 2015 zur Wohnung des Klägers in B. verbrachte, wo die beiden das Rauschgift – welches einen Wirkstoffgehalt von mindestens 70% Metamphetaminbase hatte – in zehn Packungen asiatischer Instantnudeln verpackten, mit welchem sich der Kläger sodann nach N. begab und von dort am 17. Juni 2015 nach We. fuhr, wo er das Rauschgift vereinbarungsgemäß an den anderweitig verfolgten T. übergab und von diesem einen Teil des Kaufpreises von 9.950,00 EUR erhielt, welchen der Kläger, zurück in B., an den anderweitig verfolgten N. übergab – der hieraus den Anteil des Klägers und seinen eigenen Anteil in Höhe von 2.000,00 EUR entnahm – und dass der Kläger am 27. Juni 2015 mit einem Fernbus nach W. fuhr, wo er von dem anderweitig verfolgten T. einen weiteren Betrag in Höhe von 10.000,00 EUR erhielt, welchen der Kläger wiederum in B. an den anderweitig verfolgten N. übergab, von dem er dann seinen Gewinnanteil erhielt (1. Tatkomplex); sowie, dass der Kläger sich im Juli 2015 wiederum mit dem anderweitig verfolgten N. zum gewinnbringenden Weiterverkauf von Metamphetamin verabredete, welches bei dem Lieferanten T. durch den Kläger bestellt wurde und am 29. Juli 2015 in We. übergeben werden sollte, wobei sich der Kläger aber kurz vor der Übergabe aufgrund des von ihm als zu hoch eingeschätzten Risikos entschloss, dieses Mal das Rauschgift nicht selber nach We. zu bringen, weshalb er keinen finanziellen Gewinn mehr erhalten sollte, jedoch in Aussicht hatte, einen Anteil des Rauschgiftes – welches insgesamt ein Nettogewicht von ca. 1.480 g und einen Wirkstoffgehalt von 72 bis 73% Metamphetaminbase hatte – zum Eigenkonsum zu erhalten (2. Tatkomplex). Das Strafgericht ging auf der Grundlage des psychiatrischen Sachverständigengutachtens des Herrn L. vom 14. April 2016 von einer Metamphetaminabhängigkeit (ICD-10 F15.2) zum Tatzeitpunkt aus. Ein Hang zum Konsum im Übermaß wurde festgestellt. Der Kläger befand sich aufgrund der Anlassverurteilung seit dem 17. September 2015 in Untersuchungs- bzw. Strafhaft und nach dem gerichtlich angeordneten Vorwegvollzug von zwei Jahren, vier Monaten und zwei Wochen der Freiheitsstrafe ab dem 19. Februar 2018 im Krankenhaus des Maßregelvollzugs B.-M. Dieser wurde mit Beschluss des Landgerichts B. vom 25. September 2019 wegen der angeblich bevorstehenden Abschiebung des Klägers beendet, der Kläger wurde in die JVA B.-M. in den offenen Vollzug zurückverlegt. Auf die Beschwerde des Klägers gegen diesen Beschluss ordnete das Kammergericht B. mit Beschluss vom 6. Juli 2020 erneut die Unterbringung des Klägers im Maßregelvollzug ab dem 28. August 2020 an. Dieser wurde auf entsprechende Anregung seitens des Krankenhauses des Maßregelvollzugs in der Stellungnahme vom 9. November 2020 – da die Therapie mangels Sprachkenntnissen des Klägers stagniere und die Stellung von Prognosen dadurch beeinträchtigt bzw. unmöglich gemacht werde, wobei der Kläger eigenen Angaben zufolge zwar keinen Therapiebedarf mehr sehe, aber dennoch therapeutische Einzelgespräche wahrnehme und seine bereits bei Überstellung in das Krankenhaus vorhandene Abstinenz einhalte – mit Beschluss des Landgerichts B. vom 22. Dezember 2020 gemäß § 67d Abs. 5 StGB für erledigt erklärt und der Kläger zur Vollstreckung der Reststrafe in den Strafvollzug überwiesen. Aufgrund des psychiatrisch-kriminologischen Sachverständigengutachtens der Frau Dr. med. W. vom 28. April 2021 setzte das Landgericht B. mit Beschluss vom 26. Mai 2021 den Vollzug des Strafrestes zur Bewährung aus. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt. Der Kläger wurde einem Bewährungshelfer unterstellt. Des Weiteren wurden eine Meldepflicht (die mit Beschluss vom 11.7.2022 auf Empfehlung der Bewährungshelferin des Klägers hinsichtlich der vorgegebenen Meldefrequenz reduziert wurde), Mitteilungspflichten hinsichtlich Wohnort- bzw. Arbeitsplatzwechsels sowie eine Abstinenzweisung festgesetzt. In der Folge wurde der Kläger am 4. Juni 2021 aus der JVA entlassen.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, wobei es zur Begründung auf seinen Beschluss vom 28. Februar 2022 Bezug nahm und ergänzend (im Wesentlichen) ausführte, es sei auch nach den Ausführungen der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung keine abweichende Entscheidung zu treffen. Selbst bei im Ergebnis erfolgreichem Abschluss der Therapie – deren Erledigterklärung sei mangels Erfolgsaussichten aus formalen Gründen und aufgrund ungünstiger Umstände erfolgt – sei von einer Gefährlichkeit des Klägers im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auszugehen. Denn der Kläger stehe aufgrund der offenen Bewährung (Bewährungszeit 3 Jahre ab Juni 2021) und des laufenden Ausweisungsverfahrens unter einem hohen Legalbewährungsdruck und habe sich noch nicht hinreichend in Freiheit bewähren können (m.V.a. BayVGH, B.v. 2.2.2022 – 10 ZB 21.3030 – juris Rn. 3). Sowohl eine offene Bewährung als auch ein anhängiges Ausweisungsverfahren führten zu einem hohen Maß an Selbstdisziplin und hätten erhebliche Auswirkungen auf die Lebensordnung der betroffenen Personen, insbesondere bei Personen mit Hafterfahrung (m.V.a. BayVGH, B.v. 23.9.2021 – 19 ZB 20.323 – juris Rn. 28). Der Kläger gehöre zu diesem Personenkreis. Es könne daher trotz des unbestritten positiven Therapieverlaufs nicht von seiner innerlich gefestigten Verhaltensänderung ausgegangen werden, sodass von ihm auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine Gefährdung nach § 53 Abs. 1 AufenthG ausgehe. Bei der erforderlichen Abwägung des öffentlichen Ausweisungsinteresses mit dem klägerischen Bleibeinteresse überwiege auch nach Durchführung der mündlichen Verhandlung das Ausweisungsinteresse. Zwar weise der Kläger auf eine mögliche politische Verfolgung in seinem Herkunftsland und eine drohende weitere Bestrafung wegen des Betäubungsmitteldelikts hin, die Ausländerbehörde sei aber gemäß § 42 AsylG an die Entscheidung des Bundesamtes oder des Verwaltungsgerichts über zielstaatsbezogene Umstände gebunden. Diese könnten daher bei dem Kläger als abgelehntem Asylbewerber im Ausweisungsverfahren keine Berücksichtigung finden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot sei rechtmäßig festgesetzt worden. Insbesondere liege in der festgesetzten Länge der Frist kein Ermessensfehler vor.
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2. Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen nur dann, wenn der Rechtsmittelführer im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage stellt (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Solche schlüssigen Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn im Zulassungsverfahren substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 19). Es reicht nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil gestützt ist. Diese müssen vielmehr zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen. Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente schlagen jedoch nach dem Rechtsgedanken des § 144 Abs. 4 VwGO nicht auf das Ergebnis durch, wenn das angefochtene Urteil sich aus anderen Gründen als richtig darstellt (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Maßgeblich für die Beurteilung dieses Zulassungsgrundes ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. z.B. BVerwG, U.v 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12), so dass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 – 10 ZB 15.1804 – juris Rn. 7).
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2.1 Zur Begründung seines Zulassungsantrags lässt der Kläger mit Schriftsatz seines damaligen Bevollmächtigten vom 17. Mai 2022 vortragen, es beständen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Urteils, das darauf beruhe, dass die Kammer im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung von einer fortbestehenden Gefährlichkeit des Klägers ausgehe. Hierzu lässt der Kläger (nach wörtlichen Zitaten aus den Gründen des Beschlusses vom 28.2.2022, S. 17 und den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils) vortragen, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) und des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH) seien für die Prognose der Wiederholungsgefahr die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Fall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (m.V.a. BayVGH, B.v. 23.9.2021 – 19 ZB 20.323). Festzuhalten sei zunächst, dass der vorliegende Sachverhalt insoweit deutlich anders liege als die der zitierten Entscheidung sowie der ebenfalls zitierten Entscheidung des BayVGH vom 2. Februar 2022 (Az.: 10 ZB 21.3030). Zwar sei der Kläger vorliegend zu einer Gesamtstrafe wegen unerlaubten Handeltreibens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge von acht Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Weitere in diese Richtung gehende Strafverfahren davor oder danach habe es allerdings nicht gegeben. Vielmehr habe der Kläger seit seiner Verurteilung einen – wie auch von der Kammer attestiert worden sei – durchweg positiven Vollzugsverlauf gehabt. Auch sei die im Maßregelvollzug erfolgte Therapie vom Ergebnis her als erfolgreich abgeschlossen zu werten, da der Kläger sich ausweislich der Mitteilung des Krankenhauses des Maßregelvollzugs vom 24. Juli 2019 nach bereits erfolgtem positiven Behandlungsverlauf zum Zeitpunkt der Herausnahme aus dem Maßregelvollzug bereits in der „letzten Stufe“ der Behandlung befunden habe, nämlich der Erprobung in Lockerungen. De facto sei diese Erprobung dann nachfolgend im offenen Vollzug erfolgt, weshalb die Therapie insoweit inhaltlich als erfolgreich zu werten sei, was nunmehr die Kammer auch so zu reflektieren scheine. Dennoch stütze sich die Kammer ebenso wie die Ausländerbehörde bei ihrer Entscheidung im Wesentlichen auf die Tatsachenlage zum Zeitpunkt des Urteils des Landgerichts, ohne die weitere Entwicklung des Klägers im Therapie- und Strafvollzug hinreichend zu würdigen. So habe die Kammer es unterlassen, sich mit der Entscheidung des Landgerichts B. (Az.: 555 StV K-23/21) vom 26. Mai 2021, die nach der geltenden Rechtsprechung des BayVGH sowie des BVerwG zwar nicht allein entscheidungserheblich sei, aber jedenfalls ein wichtiges Indiz zur Bestimmung der Frage, ob derzeit noch eine Gefährlichkeit im Sinne des Aufenthaltsrechts besteht, darstelle, inhaltlich auseinanderzusetzen. Gänzlich unbeachtet habe die Kammer weiterhin gelassen, dass hier mit dem psychiatrisch-kriminologischen Gutachten der Sachverständigen Frau Dr. med. W. vom 28. April 2021 bereits eine aktuelle und detaillierte Bewertung zur Frage des Fortbestehens der durch die Tat zutage getretenen Gefährlichkeit des Täters vorliege. Dieses Gutachten komme unter Berücksichtigung der Akten der Staatsanwaltschaft, der Strafvollzugsunterlagen der JVA des offenen Vollzugs, der Unterlagen über den Behandlungsverlauf im Krankenhaus des Maßregelvollzugs (Verlaufsdokumentation) sowie einer Reihe weiterer Unterlagen und eigener Exploration des Klägers im Ergebnis zu folgendem Schluss: „In der Zusammenfassung ist davon auszugehen, dass die zutage getretene Gefährlichkeit bei [dem Kläger] nicht fortbesteht trotz seines ungünstigen Aufenthaltsstatus. Die Drogenproblematik hat er jedoch glaubhaft überwunden und ist auch gewillt, zukünftig das Leben drogenfrei zu gestalten, was er ebenfalls glaubhaft versichert. Zudem ist anzunehmen, dass allein die Inhaftierung zukünftig einen protektiven Faktor darstellen wird. Seine vorzeitige Entlassung aus der Haft wird gutachterlicherseits empfohlen“ (m.V.a. S. 60 des Gutachtens vom 28.4.2021). Bei Berücksichtigung und sachgerechter Bewertung des Gutachtens sowie der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung wäre die Kammer im angefochtenen Urteil zu einer anderen Bewertung der Frage des Fortbestehens der Gefährlichkeit des Klägers gekommen, dahingehend, dass diese jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr fortbestehe.
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Mit Schriftsatz der nunmehr bestellten Prozessbevollmächtigten vom 17. Mai 2022 ließ der Kläger ergänzend vortragen, das Gericht gehe zu Unrecht ohne weitere Prüfung und insbesondere Begründung davon aus, dass der Kläger keine positive Legalprognose habe. Insbesondere werde zu Unrecht ausgeführt, dass der positive Entwicklungsverlauf allein auf der Tatsache beruhe, dass der Kläger sowohl einem Ausweisungsverfahren als auch der Bewährungszeit unterliege und insoweit die positive Entwicklung allein unter einem externen Druck stehe, nicht aber in dem Verhalten des Klägers selbst [begründet sei]. Insbesondere wäre zu berücksichtigen gewesen, dass der Kläger für die vorzeitige Entlassung vom Landgericht B. begutachtet worden sei, dieses Gutachten sei in die Prüfung nicht eingeflossen. Die von der Ausländerbehörde vorgenommene Befristung der Wiedereinreisesperre in Höhe von acht Jahren sei gemessen an der Tatsache, dass der Kläger in Deutschland seinen Lebensmittelpunkt habe und die Höchstgrenze zehn Jahre betrage, deutlich zu hoch veranschlagt. Diese Auffassung lasse sich auch nicht dadurch abschwächen, dass es dem Kläger freistehe, zu einem späteren Zeitpunkt einen Antrag auf Verkürzung der Sperrfrist gemäß § 11 AufenthG zu stellen. Offenbar gehe das Gericht jedoch gar nicht davon aus, dass es einen solchen Antrag gebe, denn sonst käme es nicht auf den Gedanken, dass der Kläger frühestens drei Monate vor Ablauf der Frist einen Drogentest durchzuführen habe, da ansonsten die Sperrfrist auf zehn Jahre erhöht würde. Diese Argumentation erschließe sich nicht. Ebenso unrichtig sei, dass das Gericht bei dem Kläger von einer Person mit Hafterfahrung [ausgehe]. Der Kläger sei zum ersten Mal in der Haft gewesen. Darüber hinaus sei auch zu wenig berücksichtigt worden, dass der Kläger eine schutzwürdige Beziehung im Sinne des Art. 6 in Verbindung mit Art. 8 EMRK mit einer deutschen Staatsangehörigen führe. Insoweit sei die Lebensgemeinschaft gleichzusetzen mit einer Ehe. Der Kläger spreche fließend die deutsche Sprache, wenn auch deutlich besser erst seit seiner Haftzeit, auch dies hätte in der mündlichen Verhandlung auffallen müssen. Inwieweit ihm seine schlechten Sprachkenntnisse, die nicht existierten, vorgehalten würden, sei ebenfalls kaum nachvollziehbar.
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2.2 Diese Rügen zeigen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf.
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2.2.1 Aufgrund des Zulassungsvorbringens bestehen im Ergebnis keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts.
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Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
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Auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens und der aktuellen Entwicklung ist nach dem persönlichen Verhalten des Klägers weiter von einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nach § 53 Abs. 1 AufenthG auszugehen. Der Kläger hat sich durch den illegalen Handel mit Metamphetamin in einer beträchtlichen Größenordnung schwerwiegender Betäubungsmitteldelikte strafbar gemacht. In Anbetracht dieser Umstände ist die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass von dem Kläger auch weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht und aus der Entwicklung des Klägers nach der Anlassverurteilung nicht darauf zu schließen ist, dass seine durch die vergangenen Straftaten indizierte Gefährlichkeit beseitigt ist, nicht zu beanstanden. Dies gilt vorliegend auch in Anbetracht der Strafaussetzungsentscheidung vom 26. Mai 2021 sowie der weiteren aktuellen Entwicklungen.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Bei der eigenständig zu treffenden Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 3.3.2016 – 10 ZB 14.844 – juris Rn. 11 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BayVGH, B.v. 3.3.2016 a.a.O.; BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18).
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Entscheidungen der Strafgerichte über die Aussetzung von Straf- und Maßregelvollzug nach § 57 StGB sind bei der anzustellenden Prognose von tatsächlichem Gewicht und stellen ein wesentliches Indiz dar. Von ihnen geht aber keine Bindungswirkung aus (BVerfG, B.v. 6.12.2021 – 2 BvR 860/21 – juris Rn. 19; B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 21; BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18; U.v. 2.9.2009 – 1 C 2.09 – juris Rn. 18; U.v. 16.11.2000 – 9 C 6.00 – juris Rn. 17). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann bereits eine einmalige Betäubungsmittelstraftat einen solchen Anhaltspunkt für neue Verfehlungen des Betroffenen begründen und schließt auch eine positive Entscheidung über die Straf(rest) aussetzung zur Bewährung nicht von vornherein aus, dass im Einzelfall schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen, die eine spezialpräventive Ausweisung rechtfertigen können; das Bundesverfassungsgericht anerkennt insoweit den unterschiedlichen Gesetzeszweck des Ausländerrechts und fordert für den Fall einer aufenthaltsrechtlich abweichenden Einschätzung der Wiederholungsgefahr eine substantiierte, eigenständige Begründung (vgl. BVerfG, B.v. 6.12.2021 – 2 BvR 860/21 – juris Rn. 19). Wiegt das Bleibeinteresse des Ausländers besonders schwer, so wird sich nach einer Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer eine relevante Wiederholungsgefahr nur dann bejahen lassen, wenn die ausländerrechtliche Entscheidung auf einer breiteren Tatsachengrundlage als derjenigen der Strafvollstreckungskammer getroffen wird oder wenn die vom Ausländer in der Vergangenheit begangenen Straftaten fortbestehende konkrete Gefahren für höchste Rechtsgüter erkennen lassen (BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 24). Das Bundesverfassungsgericht erkennt mithin bei besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen zwei alternative Konstellationen an, in denen trotz einer Straf(rest) aussetzung zur Bewährung eine spezialpräventive Ausweisung rechtmäßig sein kann: Eine breitere Tatsachengrundlage der Ausländerbehörde bzw. des Verwaltungsgerichts oder in der Vergangenheit begangene Straftaten des Ausländers, die fortbestehende konkrete Gefahren für höchste Rechtsgüter erkennen lassen (vgl. ebenso OVG Bremen, B.v. 28.9.2021 – 2 LA 206/21 – juris Rn. 27).
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Eine strafvollstreckungsrechtliche Aussetzung von Straf- und Maßregelvollzug und eine gefahrenabwehrrechtliche Ausweisung verfolgen unterschiedliche Zwecke und unterliegen deshalb unterschiedlichen Regeln (vgl. BayVGH, B.v. 31.3.2021 – 10 ZB 20.2091 – juris Rn. 14; B.v. 18.5.2021 – 19 ZB 20.65 – juris Rn. 25; B.v. 2.5.2017 – 19 CS 16.2466 – juris Rn. 8 ff.): Bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit gegebenenfalls unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Bei dieser Entscheidung stehen naturgemäß vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund. Es ist zu ermitteln, ob der Täter das Potential hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat nicht das Ziel, Gefahren für die öffentliche Sicherheit längerfristig zu unterbinden. Für eine Anordnung dieser Maßregel genügt die hinreichend konkrete Aussicht (ein vertretbares Risiko ist einzugehen, vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 67d Rn. 11), dass durch sie der Verurteilte über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang bewahrt wird (§ 64 Satz 2 StGB), wobei „eine erhebliche Zeit“ in der Regel bereits ab einem Jahr angenommen werden kann (Schöch in Leipziger Kommentar StGB, 12. Aufl. 2008, § 64 Rn. 136 und in Festschrift für Klaus Volk, 2009, S. 705). Eine langfristige Bewahrung vor dem Rückfall kann bereits deshalb nicht als Ziel der Unterbringung festgelegt werden, weil dann entsprechend lange Unterbringungszeiten erforderlich wären. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt als freiheitsentziehende Maßnahme darf jedoch nach § 67 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich (vorbehaltlich des Satzes 3 der Bestimmung) zwei Jahre nicht übersteigen, muss in jedem Fall verhältnismäßig sein (§ 62 StGB) und insoweit umso strengeren Voraussetzungen genügen, je länger die Unterbringung dauert (BVerfG, B.v. 19.11.2012 – 2 BvR 193/12 – StV 2014, 148 ff.). Die Beendigung der Unterbringung nach § 67d Abs. 5 Satz 1 StGB, „wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen“, ist somit bereits dann vorzunehmen, wenn für eine – im Vergleich zum ausländerrechtlichen Prognosehorizont – relativ kurze Zeitspanne die konkrete Aussicht (unter Eingehung eines vertretbaren Risikos) auf das Unterbleiben rechtswidriger Taten besteht. Nichts Anderes gilt für die Beendigung der Unterbringung nach § 67d Abs. 2 Satz 1 StGB, „wenn zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird“, denn auch bei dieser strafvollstreckungsrechtlichen Entscheidung sowie bei der Erstellung eines Prognosegutachtens hierfür, sind die begrenzte Zielsetzung der Unterbringung und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2021 – 19 ZB 20.65 – juris Rn. 25; B.v. 2.5.2017 – 19 CS 16.2466 – juris Rn. 8 ff.).
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Demgegenüber geht es bei der Ausweisung um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zu Grunde liegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Bei dieser längerfristigen Prognose kommt dem Verhalten des Ausländers während der Haft und nach einer vorzeitigen Haftentlassung zwar erhebliches tatsächliches Gewicht zu. Dies hat aber nicht zur Folge, dass mit einer strafrechtlichen Aussetzungsentscheidung ausländerrechtlich eine Wiederholungsgefahr zwangsläufig oder zumindest regelmäßig entfällt. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Täter im entscheidungserheblichen Zeitpunkt auf tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren verweisen kann; das Potential, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen, ist nur ein solcher Faktor, genügt aber für sich genommen nicht (vgl. BayVGH, B.v. 31.3.2021 – 10 ZB 20.2091 – juris Rn. 14; B.v. 3.4.2020 – 10 ZB 20.249 – juris Rn. 8 m.w.N.). Insgesamt ist nach der dargestellten Rechtslage das erforderliche Maß an Erfolgswahrscheinlichkeit für eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung und für eine entsprechende vorläufige Beendigung der Maßregel wesentlich geringer als dasjenige für eine positive ausländerrechtliche Gefahrenprognose, weil aus der Sicht des Strafrechts auch die geringste Resozialisierungschance genutzt werden muss. Das Strafrecht unterscheidet nicht zwischen Deutschen und Ausländern und berücksichtigt daher regelmäßig nicht die Möglichkeit, die Sicherheit der Allgemeinheit durch eine Aufenthaltsbeendigung zu gewährleisten (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2021 – 19 ZB 20.65 – juris Rn. 25).
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Gemessen daran kann im vorliegenden Fall bei der notwendigen Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände auch unter Berücksichtigung der positiven Entwicklungen nicht der Schluss gezogen werden, dass durch die Bewährungsaussetzung der jeweiligen Vollstreckungen die vom Kläger ausgehende Gefahr soweit entfallen ist, dass dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung bzw. sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr gefährdet. Die in der Vergangenheit begangenen, schwerwiegenden Straftaten des Klägers aus dem Bereich der Betäubungsmitteldelinquenz führen unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Bewährungsphase noch andauert, zum Fortbestehen der konkreten Gefahren für höchste Rechtsgüter.
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Betäubungsmitteldelikte gehören zu den schweren, Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten (vgl. Art. 83 Abs. 1 Unterabschnitt 2 AEUV). Die Folgen des Betäubungsmittelkonsums, insbesondere für junge Menschen, können äußerst gravierend sein. In ständiger Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, schwerwiegend sind und ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren (BVerwG, U.v. 14.5.2013 – 1 C 13.12 – juris Rn. 12 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des EuGH und des EGMR; BayVGH, B.v. 7.3.2019 – 10 ZB 18.2272 – juris Rn. 7). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sieht in der Rauschgiftsucht ein „großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit“ (EuGH, U.v. 23.11.2010 – C-149/09, „Tsakouridis“ – NVwZ 2011, 221 Rn. 47). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat mehrfach klargestellt, dass er bei der Verurteilung eines Ausländers wegen eines Betäubungsmitteldelikts – wie hier vorliegend – in Anbetracht der verheerenden Auswirkungen von Drogen auf die Bevölkerung Verständnis dafür hat, dass die Vertragsstaaten in Bezug auf diejenigen, die zur Verbreitung dieser Plage beitragen, entschlossen durchgreifen (EGMR, U.v. 30.11.1999 – Nr. 3437-97 „Baghli“ – NVwZ 2000, 1401; U.v. 17.4.2013 – Nr. 52853/99‚ “Yilmaz“ – NJW 2004, 2147; vgl. OVG NRW, B.v. 17.3.2005 – 18 B 445.05 – juris). Die von unerlaubten Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren betreffen die Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit, welche in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Werteordnung einen hohen Rang einnehmen. Rauschgiftkonsum bedroht diese Schutzgüter der Abnehmer in hohem Maße und trägt dazu bei, dass deren soziale Beziehungen zerbrechen und ihre Einbindung in wirtschaftliche Strukturen zerstört wird. Die mit dem Drogenkonsum häufig einhergehende Beschaffungskriminalität schädigt zudem die Allgemeinheit, welche ferner auch für die medizinischen Folgekosten aufkommen muss (BayVGH, B.v. 11.10.2022 – 19 ZB 20.2139 – juris Rn. 32; B.v. 14.3.2013 – 19 ZB 12.1877 und B.v. 10.10.2017 – 19 ZB 16.2636 – juris Rn. 8).
19
Nach diesen Maßgaben hat sich der Kläger mit dem mehrfach verübten Drogenhandel schwerwiegend strafbar gemacht, er wurde mit Urteil vom 21. Juli 2016 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten verurteilt. Das hohe Maß der Freiheitsstrafe spiegelt die Schwere der Schuld wider. Hinsichtlich der verhängten Strafrahmen für die Einzeltaten ist jedoch hervorzuheben, dass beim Kläger für die beiden Einzeltaten vom Juni 2015 und Juli 2015 gravierende Einzelstrafen von sechs Jahren und drei Monaten bzw. sechs Jahren Freiheitsstrafe angesetzt wurden. Insgesamt lassen die abgeurteilten Taten des Klägers insbesondere in Anbetracht der gehandelten Mengen an Drogen und der damit einhergehenden wirtschaftlichen Größenordnung sowie in Anbetracht der überlegten, planvollen Vorgehensweise insbesondere bei der Tat vom Juni 2015 eine besondere kriminelle Energie erkennen, die über herkömmliche Beschaffungskriminalität weit hinausgeht.
20
Die Ursache für die Begehung der genannten Straftaten bildete nach den Feststellungen der Strafkammer und den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts auch die Betäubungsmittelabhängigkeit des Klägers, für den nach den Feststellungen im psychiatrischen Sachverständigengutachten vom 14. April 2016 tatzeitbezogen eine Abhängigkeit von Metamphetamin (ICD-10 F15.2) sowie ein Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, festgestellt wurden, weshalb gemäß § 64 StGB die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach Vorwegvollzug eines Teils der Freiheitsstrafe angeordnet wurde. Der Sachverständige H. L. stellte zudem eine soziale Gefährdung des Klägers im Sinne einer Delinquenzgefährdung fest. Schuldunfähigkeit oder eingeschränkte Schuldfähigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB wurden nicht festgestellt.
21
Bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen oder dadurch gefördert wurden, kann nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine einschlägige Therapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat, insbesondere indem er sich außerhalb des Straf- oder Maßregelvollzugs bewährt hat (vgl. BayVGH, B.v. 27.7.2021 – 10 ZB 21.935 – juris Rn. 9; B.v. 23.9.2021 – 19 ZB 20.323 – juris; B.v. 18.5.2021 – 19 ZB 20.65 – juris). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Erfolgschancen einer Therapie im Allgemeinen bereits deutlich unter 50% liegen (vgl. Fabricius in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl. 2019, § 35 Rn. 46 ff.: nur 25% der beobachteten Personen blieben strafrechtlich unauffällig und dürften eine Chance der sozialen Reintegration und der gesundheitlichen Stabilisierung erreicht haben; „bescheidene Erfolge“; nach Klos/Görgen – Rückfallprophylaxe bei Drogenabhängigkeit, 2. Aufl. 2020, S. 18 ff. – sind Rückfälle eher die Regel als die Ausnahme; Jehle/Albrecht/Hohmann-Fricke/Tetal haben in der bundesweiten Rückfalluntersuchung „Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen“ für den Zeitraum 2004/2010 bis 2013 – www.bmjv.de – ermittelt, dass nach Delikten gemäß BtMG innerhalb des 1. bis 3. Jahres 45% der Straftäter erneut registriert wurden, mit einer Zunahme von weiteren 11% auf 56% vom 4. bis 6. Jahr und weiteren 4% auf 60% innerhalb des 7. bis 9. Jahres des Beobachtungszeitraums; von der Gesamtpopulation der Straftäter wurden innerhalb von 3 Jahren 36% erneut verurteilt; betreffend Cannabis spricht Thomasius, Ärztlicher Leiter am Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters Universitätsklinikum Hamburg, von bescheidenen Behandlungserfolgen; langfristig abstinent seien nach einer Therapie nur etwa 25% der Patienten, zit. nach aok-Gesundheitsmagazin, 31.5.2021, www.aok.de). Solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf einen Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (BayVGH, B.v. 13.10.2017 – 10 ZB 17.1469 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 6.5.2015 – 10 ZB 15.231 – juris Rn. 11). Dies bedeutet, dass somit selbst eine im Maßregelvollzug erfolgreich absolvierte Drogentherapie nicht automatisch zu einem Entfallen der Wiederholungsgefahr führt.
22
Gemessen hieran ist vorliegend zwar zu würdigen, dass der Kläger sich seit der Entlassung aus dem Maßregelvollzug am 4. Juni 2021 – soweit ersichtlich – straf- und drogenfrei geführt hat und dass das Prognosegutachten der Frau Dr. med. W. vom 28. April 2021 von einem Wegfall der Gefährlichkeit des Klägers ausgeht, da er die Drogenproblematik glaubhaft überwunden habe und glaubhaft gewillt sei, das Leben zukünftig drogenfrei zu gestalten. Festzuhalten ist jedoch, dass die Drogentherapie aus gefahrenabwehrrechtlicher Sicht nicht als erfolgreich abgeschlossen gewertet werden kann. Dem steht entgegen, dass die Erledigterklärung des Maßregelvollzugs gemäß § 67d Abs. 5 Satz 1 StGB durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 22. Dezember 2020 erfolgte, weil nach der Stellungnahme der Therapieeinrichtung des Maßregelvollzugs vom 9. November 2020 – welcher der Kläger in der mündlichen Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer im Wesentlichen zustimmte – eine hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg nicht mehr bestand und damit die Voraussetzung des § 64 Satz 2 StGB entfallen war (vgl. S. 3 der Gründe des vorgenannten Beschlusses). Hierzu führt die Strafvollstreckungskammer in ihrem Beschluss aus, dass die Unterbringung gemäß § 64 StGB nicht erst dann abzubrechen sei, wenn sie sich als zweifelsfrei aussichtslos erwiesen habe, sondern dass ihr weiterer Vollzug bereits dann unzulässig werde, wenn eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht der Behandlung nicht mehr erkennbar sei, da eine Maßregel nach § 64 StGB ihre auf Resozialisierung hinzielende Zweckrichtung nur so lange behalte, als die therapeutischen Bemühungen in absehbarer Zeit einen Erfolg als möglich erscheinen ließen; scheitere hingegen dieser Zweck, so sei die Maßregel – wegen der begrenzten Anrechenbarkeit des Maßregelvollzugs auf den Vollzug der Freiheitsstrafe auch mit Blick auf die Freiheitsrechte des Betroffenen – für erledigt zu erklären. Aus diesen Ausführungen geht hervor, dass der Kläger nicht wegen erfolgreich abgeschlossener Drogentherapie aus dem Maßregelvollzug entlassen wurde, sondern weil angesichts der mangelnden hinreichend konkreten Erfolgsaussichten eine Fortsetzung desselben im Hinblick auf den damit verbundenen Freiheitsentzug als unverhältnismäßig erschien (vgl. dazu Veh in Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2020, § 67d Rn. 42; Ziegler in v. Heintschel-Heinegg, StGB, 56. Ed., Stand 1.2.2023, § 67d Rn. 13 m.V.a. BVerfG, B.v. 16.3.1994 – 2 BvL 3/90 – NJW 1995, 1077/1079, juris). Verdeutlicht wird dieser Befund durch die nachfolgenden Ausführungen im vorgenannten Beschluss (vgl. dort S. 4 oben), nach denen das Vollstreckungsgericht in einer Gesamtschau des bisherigen Verhaltens des Delinquenten einschließlich der in der Maßregelvollzugseinrichtung verbrachten Zeit sorgfältig zu prüfen habe, ob der Versuch, den Untergebrachten von seiner Sucht zu heilen, tatsächlich fehlgeschlagen ist oder ob es sich nur um eine zu überwindende Krise in seiner Entwicklung handelt bzw. ob eine (vorübergehend) fehlende Therapiemotivation (wieder) geweckt werden kann, da eine bestandskräftig beendete Maßregel nicht erneut angeordnet werden kann (vgl. dazu Ziegler in v. Heintschel-Heinegg, StGB, 56. Ed., Stand 1.2.2023, § 67d Rn. 13). Gefährlichkeitserwägungen, wie sie die Entscheidung über eine Aussetzung der Maßregel zur Bewährung gemäß § 67d Abs. 2 StGB prägen, spielten bei dieser Prüfung keine Rolle (vgl. dazu Veh in Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2020, § 67d Rn. 40). Gemessen daran ging die Strafvollstreckungskammer im Falle des Klägers davon aus, dass der Kläger zwar seine Therapiewilligkeit durch regelmäßige Teilnahme an den therapeutischen Einzel- und Gruppengesprächen hinreichend bekundet habe und sämtliche Drogenscreenings negativ gewesen seien, dass sich aber die Sprachbarriere – infolge der nicht vorhandenen bzw. unzureichenden deutschen Sprachkenntnisse des Klägers zum damaligen Zeitpunkt – als dauerhaftes Hindernis erwiesen habe, welches auch durch eine Fortführung der Therapie nicht habe beseitigt werden können. Fest steht somit, dass der Kläger zwar seine anhaltende Abstinenz nachgewiesen und damit erhebliche Willensstärke gezeigt hat, dass er aber keine Entzugstherapie unter klinischen Bedingungen erfolgreich abgeschlossen hat. Darüber vermag auch der Umstand, dass eine solche Therapie zum damaligen Zeitpunkt mangels erforderlicher Sprachkenntnisse keine hinreichenden Erfolgsaussichten hatte – was dem Kläger nicht zum Vorwurf gereichen kann – bei der erforderlichen objektiven Betrachtung nicht hinwegzuhelfen. Demzufolge hat die Strafvollstreckungskammer im Beschluss vom 22. Dezember 2020 trotz der Erledigterklärung des Maßregelvollzugs nicht die Vollstreckung der noch nicht durch Anrechnung verbüßten Freiheitsstrafe ausgesetzt, da dem Kläger (zum damaligen Zeitpunkt) mangels ausreichender Erprobung außerhalb des geschlossenen Vollzugs keine günstige Legalprognose gestellt werden konnte (vgl. Beschluss vom 22.12.2020, S. 4 unten). Überdies ist zu sehen, dass der Kläger sich nach den Angaben im Bericht des Krankenhauses des Maßregelvollzugs vom 9. November 2020 wenig einsichtig in die Notwendigkeit einer Therapie zeigte. So hatte er bereits zu Beginn der Therapie deren Sinn in Frage gestellt, da er sich bereits im offenen Vollzug befunden hatte und wieder dorthin zurückkehren wollte. Diese Selbsteinschätzung des Klägers mag dem Umstand geschuldet sein, dass er bereits abstinent in das Krankenhaus des Maßregelvollzugs überstellt wurde und sich dort durchgehend abstinent halten konnte. Zwar stellt auch die Sachverständige im Prognosegutachten vom 28. April 2021 in Kenntnis der genannten Umstände fest, dass der Kläger Einsicht in sein Störungsbild und Therapiebereitschaft gezeigt habe und die (bestehenden) Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft habe. Dieser Bewertung kann aber in gefahrenabwehrrechtlicher Sicht nicht gefolgt werden, da allein die momentane Drogenabstinenz ohne erfolgreichen Abschluss einer einschlägigen Therapie – wie ausgeführt – die Wiederholungsgefahr nicht entfallen lässt. Damit sprechen vorliegend unter dem Gesichtspunkt der Betäubungsmittelabhängigkeit die überwiegenden Gründe für das Fortbestehen einer konkreten Wiederholungsgefahr.
23
Das Bundesverfassungsgericht hat im Falle eines wegen Handeltreibens mit Marihuana zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilten Ausländers ausgeführt, dass es im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung nicht ausreichend ist, wenn die Gerichte von der Begehung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz in jedem Fall ohne Weiteres auf die Gefährdung höchster Gemeinwohlgüter und auf eine kaum widerlegliche Rückfallgefahr schließen (BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 19). Im vorliegenden Fall ist demgegenüber unter Berücksichtigung der gehandelten „harten“ Droge Metamphetamin, der sehr hohen Menge gehandelter Drogen, der arbeitsteiligen, organisierten und durchdachten Begehungsweise und der dadurch zum Ausdruck kommenden hohen kriminellen Energie eine Gefährdung höchster Rechtsgüter zu befürchten. Diese besteht trotz der zwischenzeitlich erfolgten Aussetzung des Strafrestes fort:
24
In dem Sachverständigengutachten vom 28. April 2021 zur Aussetzung des Strafrestes wird ausgeführt, dass zwar die bisherige Kriminalitätsentwicklung als günstig zu bezeichnen sei, bei der Tatanalyse jedoch die relativ hohe kriminelle Aktivität auffalle, welche durch das organisierte und planvolle Vergehen belegt werde. Des Weiteren dürfe davon ausgegangen werden, dass der Kläger im Drogenmilieu derart verhaftet gewesen sei, dass ihm größere Mengen Drogen auf Kommission zur Verfügung standen, er also Vertrauen genossen habe und dass ihm auch größere Summen Geld übergeben worden seien. Die Tatanalyse sei prognostisch als ungünstig einzuschätzen. Der Kläger habe seine Abhängigkeit von Amphetaminen nach seinen Bekundungen aktuell erfolgreich überwunden. Zu dem Drogenkonsum sei es offenbar vor dem Hintergrund der sehr problematischen sozialen Situation mit der Ablehnung eines Asylantrags und der dadurch bedingten Frustrationen gekommen, u.a. auch deshalb, weil es dem Kläger nicht ermöglicht worden sei, eine Arbeit aufzunehmen, da er diesbezüglich keine Erlaubnis erhalten habe. Vor diesem Hintergrund habe sich nach seinen Angaben die Abhängigkeit ausgebildet. Offenbar habe der Kläger seine Frustration und seinen Kummer sowie seine Angst vor der Ausreise mit Drogen kompensieren wollen. Die Suchtproblematik sei prognostisch als ungünstig einzuschätzen. Der Kläger habe aber die Einsicht in die Problematik des Drogenkonsums gewonnen und glaubhaft versichert, sein Suchtverhalten überwunden zu haben. Während der gesamten Zeit der Haft bzw. des Maßregelvollzugs sei es zu keinem bekannten Drogenrückfall gekommen. Die Einsicht in das Störungsbild sei deshalb als prognostisch günstig einzuschätzen. Angesichts der biografischen Angaben des Klägers (Schulbildung, zweijähriges Studium der Computertechnik) dürfe von einer guten sozialen Kompetenz ausgegangen werden, die er in Deutschland allerdings nie habe unter Beweis stellen können, da er keine Arbeitserlaubnis besitze und lediglich illegal habe arbeiten können. Lediglich sein gutes Anpassungsverhalten in der Haft sowie im Maßregelvollzug belegten seine soziale Kompetenz. Es sei aufgrund der guten intellektuellen Voraussetzungen davon auszugehen, dass die soziale Kompetenz vorliege, was prognostisch günstig sei. Spezifisches Konfliktverhalten sei im engeren Sinne nicht gegeben, da der Kläger nicht zu impulshaftem Verhalten neige. Allerdings sei es vor dem Hintergrund seines grundsätzlichen Konfliktes, von der Ausreiseandrohung bedroht zu sein, zu dem Drogenkonsum gekommen. Diese Problematik bestehe möglicherweise fort und könne von dem Kläger nicht ohne Weiteres geändert werden. Das Konfliktverhalten mit der Neigung, in problematischen Lebenssituationen zu Drogen zu greifen, erscheine prognostisch ungünstig. Es dürfe davon ausgegangen werden, dass eine weitgehende Auseinandersetzung mit den Tatgeschehnissen stattgefunden habe. Der Kläger habe den Zusammenhang zwischen Drogenkonsum, der damit verbundenen Lebensführung und den Tatgeschehnissen durchaus realisiert und habe bereits in der Untersuchungshaft damit begonnen, abstinent zu leben. Da der Drogenkonsum nach seinen Angaben offenbar ein wesentlicher Faktor für die Begehung der Straftaten gewesen sei und er diesen nunmehr eingestellt habe, sei davon auszugehen, dass die Auseinandersetzung mit dem Tatgeschehen hinreichend erfolgt sei. Der Kläger habe seine Therapiemöglichkeit unter Beweis gestellt, obwohl er im Maßregelvollzug bis Februar 2018 seine Deutschkenntnisse offenbar nicht soweit habe vertiefen können, dass er von der Unterbringung im Maßregelvollzug vollends habe profitieren können. Er habe jedoch durchgehend seine Abstinenz nachweisen können und sich an alle Vorgaben gehalten, sodass die Therapeuten des Maßregelvollzugs auch vorgehabt hätten, ihn in Lockerungen zu erproben, was von der Staatsanwaltschaft jedoch abgelehnt worden sei. Die Therapiemöglichkeiten seien ausgeschöpft und der Kläger habe seine Therapiebereitschaft unter Beweis gestellt, was prognostisch günstig erscheine. Nach seinen Angaben habe der Kläger einen sozialen Empfangsraum bei seiner Lebensgefährtin und es stehe ihm eine Berufstätigkeit in Aussicht, wofür allerdings die Arbeitserlaubnis notwendig wäre. Er habe zudem angegeben, seine Lebensgefährtin heiraten zu wollen. Ob dies alles der Realität entspreche und die Beziehung derart stabil und intensiv sei, wie sie der Kläger beschreibe, könne im Rahmen der Begutachtung nicht überprüft werden. Allerdings solle ihn die Lebensgefährtin durchaus in der Haft besucht haben. Folge man den Angaben der Beziehungsstabilität des Klägers, wäre dies ein prognostisch günstiger Gesichtspunkt. Auch eine Berufstätigkeit würde einen prognostisch günstigen sozialen Empfangsraum darstellen. Bekannt seien zudem in B. lebende Familienmitglieder des Klägers. Es erscheine aber eher fraglich, obwohl diese ihn durchaus in der Haftanstalt besucht hätten, ob bei ihnen ein sozialer Empfangsraum bestehe. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sei nicht davon auszugehen, da auch im Vorfeld bei ihnen kein sozialer Empfangsraum bestanden habe. Sollten seine Angaben zur Partnerin der Realität entsprechen, wäre dieser soziale Empfangsraum als prognostisch günstig einzuschätzen. Soweit bekannt, sei es zu keiner neuerlichen Delinquenz gekommen und der Kläger habe durchgängig seine Bereitschaft zu einem abstinenten Leben unter Beweis gestellt. Anfangs habe es offenbar verbotenerweise mehrfach einen Handybesitz gegeben. Nach Ermahnung und Verwarnung habe er jedoch sein schuldhaftes Handeln anerkannt und habe sich seitdem an alle Vorgaben gehalten, sei stets gesprächsbereit gewesen und habe niemals dissoziale Verhaltensmuster gezeigt. Wie bereits ausgeführt, habe der Kläger durchgängig ein prosoziales und gutes Anpassungsverhalten aufgewiesen. Der bisherige Verlauf nach den Taten sei deshalb als prognostisch günstig einzuschätzen. In der Zusammenfassung sei davon auszugehen, dass die zutage getretene Gefährlichkeit bei dem Kläger trotz seines ungünstigen Aufenthaltsstatus nicht fortbestehe. Die Drogenproblematik habe er jedoch glaubhaft überwunden und er sei auch gewillt, das Leben zukünftig drogenfrei zu gestalten, was er ebenfalls glaubhaft versichert habe. Zudem sei anzunehmen, dass allein die Inhaftierung zukünftig einen protektiven Faktor darstellen werde. Die Sachverständige empfahl deshalb die vorzeitige Entlassung des Klägers aus der Haft unter Bewährungshilfe und gelegentlichen Abstinenzkontrollen. Vor diesem Hintergrund scheine die zutage getretene Gefährlichkeit nicht fortzubestehen.
25
Trotz dieser für den Kläger günstigen Prognose der Sachverständigen im Hinblick auf die Vertretbarkeit der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung ist die Einschätzung des Verwaltungsgerichts (sowie der Beklagten) nicht zu beanstanden, dass die Wiederholungsgefahr im Sinne der spezifisch gefahrenabwehrrechtlichen Prognose nicht entfallen ist. Auf der Grundlage der Feststellungen des Sachverständigengutachtens überwiegen diejenigen Gesichtspunkte, welche gegen eine unter dem spezifisch ausländerrechtlichen Blickwinkel günstige Gefahrenprognose sprechen. So führt die Sachverständige zwar als prognostisch günstig die bisherige Kriminalitätsentwicklung (vor der den Ausweisungsanlass bildenden Tat), die Einsicht des Klägers in sein Störungsbild, seine – aus den biografischen Angaben des Klägers abgeleitete, aber im Bundesgebiet laut Gutachten nie unter Beweis gestellte, mithin nur eingeschränkt nachprüfbare – soziale Kompetenz, seine wohl hinreichende Auseinandersetzung mit dem Tatgeschehen, seine Therapiebereitschaft und sein Ausschöpfen der (zur Verfügung stehenden) Therapiemöglichkeiten, den bisherigen (im Wesentlichen günstigen) Verlauf nach den ausweisungsbegründenden Taten sowie den – allerdings wiederum auf Angaben des Klägers beruhenden – sozialen Empfangsraum bei seiner Lebensgefährtin an. Diese als prognostisch günstig genannten Gesichtspunkte bedürfen allerdings angesichts des Sachverhaltes weiterer Relativierungen. So erwähnt die Sachverständige im Rahmen der Kriminalitätsentwicklung nicht die Verurteilung des Klägers vom 4. September 2012 zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen wegen Diebstahls, welche im Zeitpunkt der Verurteilung vom 12. Juli 2016 noch nicht nach § 46 Abs. 1 Nr. 1 a) BZRG tilgungsreif war, weshalb das Verwertungsverbot des § 51 BZRG nicht greift. Des Weiteren ist, wie die Gutachterin ausführt, die soziale Kompetenz des Klägers lediglich durch sein „gutes Anpassungsverhalten“ in der Haftanstalt sowie im Maßregelvollzug belegt, beruht im Übrigen aber auf biografischen Angaben des Klägers. Auf dieses Anpassungsverhalten stützt die Sachverständige auch die prognostisch günstige Einschätzung des (im Wesentlichen günstigen) Verlaufs nach den Taten, welche den Ausweisungsanlass bilden. Im Widerspruch dazu stehen allerdings zwei belegte Regelverstöße des Klägers in der Haft bzw. im Maßregelvollzug. So musste der Kläger in der Haft wegen wiederholter Beteiligung an körperlichen Auseinandersetzungen disziplinarisch gemaßregelt werden. Des Weiteren beging der Kläger einen – von ihm eingeräumten – Regelverstoß dergestalt, dass bei ihm ein Handy, ein MP 3-Player und mehrere Ladekabel gefunden wurden. Dazu ist anzumerken, dass die Einlassung des Klägers, er habe mit seinem erkrankten Vater im Herkunftsland telefonieren wollen, zwar den Besitz eines Handys und dazugehörigen Ladekabels, nicht aber den Besitz eines MP3-Players zu erklären vermag. Des Weiteren führt die Sachverständige unter „8.8 Sozialer Empfangsraum bei der Entlassung“ (S. 58/59 des Gutachtens) aus, dass eine Berufstätigkeit ein prognostisch günstiger sozialer Empfangsraum wäre, dessen Vorhandensein jedoch ungewiss sei, weil der Kläger dazu eine Arbeitserlaubnis benötige. Als prognostisch ungünstig nennt die Sachverständige dagegen die Gesichtspunkte der Tatanalyse, hier insbesondere die anhand des organisierten und planvollen Vorgehens bei den abgeurteilten Straftaten zutage getretene hohe kriminelle Energie des Klägers sowie seine Verwurzelung im Drogenmilieu, seine trotz der aktuellen Abstinenz vorhandene Neigung, Frustrationen und Kummer mit Drogenkonsum zu kompensieren sowie – angesichts des (möglicherweise) fortbestehenden grundsätzlichen Konfliktes des Klägers, von der Abschiebung bedroht zu sein – sein spezifisches Konfliktverhalten, in problematischen Lebenssituationen zu Drogen zu greifen. Diese von der Gutachterin als prognostisch ungünstig bzw. (betreffend eine künftige Erwerbstätigkeit des Klägers) als zwar prognostisch günstig, aber ungewiss bezeichneten Umstände sind vor dem Hintergrund der betroffenen gewichtigen Schutzgüter, insbesondere des Schutzes der Allgemeinheit vor weiterer Drogenkriminalität des Klägers, für die ausländerrechtliche Gefahrenprognose von besonderer Bedeutung. In Anbetracht des unbestrittenen Sachverhaltes und losgelöst von einer rein quantitativen Betrachtung der prognostisch günstigen und ungünstigen Faktoren sprechen die gewichtigeren Umstände für das Fortbestehen einer Rückfallgefahr und damit einer Wiederholungsgefahr schwerer Straftaten des Klägers. Die von der Gutachterin als „grundsätzlicher Konflikt“ bezeichnete ungewisse aufenthaltsrechtliche Situation des Klägers, der nach rechtskräftiger Ablehnung seines Asylantrags vollziehbar ausreisepflichtig ist und dem nach rechtskräftiger Feststellung des Nichtbestehens von Abschiebungsverboten die Abschiebung in sein Herkunftsland angedroht wurde, besteht unabhängig von der vorliegend streitgegenständlichen Ausweisung fort. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels an den Kläger – der nicht mit seiner Partnerin (mit deutscher Staatsangehörigkeit) verheiratet ist – ist bei der im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats bestehenden Sachlage unwahrscheinlich. Unabhängig vom Vorliegen besonders schwerwiegender bzw. schwerwiegender Ausweisungsinteressen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1, 1b bzw. Abs. 2 Nr. 1, 3 und 9 AufenthG, welche der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in der Regel entgegenstehen bzw. dieser entgegenstehen können (vgl. § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG), fehlt es vorliegend auch an den besonderen Erteilungsvoraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG bzw. nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Andere Erteilungstatbestände für einen Aufenthaltstitel sind bei der derzeitigen Sachlage ebenfalls nicht ersichtlich. Vor diesem Hintergrund müsste der Kläger auch bei Hinwegdenken der Ausweisung jedenfalls eine geraume Zeit in der ungewissen Situation eines lediglich geduldeten Aufenthaltes leben. Hinzu kommt der Umstand, dass die für eine Erwerbstätigkeit des Klägers wegen seiner vollziehbaren Ausreisepflicht erforderliche Beschäftigungserlaubnis (vgl. § 4a Abs. 4 Var. 2 AufenthG), deren Erteilung gemäß § 32 BeschV im Ermessen der Ausländerbehörde liegt, ungewiss ist, weshalb es insoweit auch an dem als prognostisch günstig bezeichneten Empfangsraum fehlt und weiteres Frustrationspotential für den Kläger vorhanden ist. Angesichts der – wie ausgeführt – nicht erfolgreich abgeschlossenen Drogentherapie des Klägers und seiner von der Sachverständigen beschriebenen Neigung, Frustrationen durch Drogenkonsum zu kompensieren, ist damit die Rückfallgefahr trotz der derzeitigen Abstinenz und der offenbar vorhandenen Willensstärke des Klägers jedenfalls noch vorhanden. Der Senat bewegt sich bei dieser ausweisungsrechtlichen Prognose der Wiederholungsgefahr in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die Gerichten allgemein zugänglich sind und kann gerade die Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen grundsätzlich im Wege einer eigenständigen Prognose ohne Zuziehung eines Sachverständigen beurteilen (st. Rspr., z.B. BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20.11 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 10.10.2017 – 19 ZB 16.2623 -juris Rn. 36; B.v. 8.11.2017 – 10 ZB 16.2199 – juris Rn. 7 m.w.N.). Mangels Anhaltspunkten für seelische oder andere Erkrankungen des Klägers bedarf die Prognose im vorliegenden Fall keiner über die vorliegenden fachlichen Einschätzungen hinausgehenden Feststellung oder Bewertung von Umständen, etwa – wie hier nicht – des Vorliegens oder der Auswirkungen einer seelischen Erkrankung, welche eine besondere Sachkunde voraussetzt, die dem Richter nicht zur Verfügung steht (BVerwG, B.v. 4.5.1990 – 1 B 82.89 – juris). In den Blick zu nehmen ist zudem, dass das Landgericht B. in seinem Beschluss vom 26. Mai 2021 die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung mit einer Reihe von Nebenbestimmungen versehen hat. Dementsprechend sieht auch das Landgericht (lediglich) „eine Chance“ auf ein „dauerhaft drogen- und straffreies Leben in Freiheit“.
26
Zusammenfassend besteht aus den dargestellten Gründen die konkrete Wiederholungsgefahr fort.
27
2.2.2 Mit seinem Zulassungsvorbringen hat der Kläger auch die Gesamtabwägung des Verwaltungsgerichts gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG nicht ernstlich im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen.
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Ein Ausländer kann – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – nur dann ausgewiesen werden, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (§ 53 Abs. 1 AufenthG). In die Abwägung sind somit die in § 54 AufenthG und § 55 AufenthG vorgesehenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen mit der im Gesetz vorgenommenen grundsätzlichen Gewichtung einzubeziehen (BT-Drs. 18/4097, S. 49). Die gesetzliche Unterscheidung in besonders schwerwiegende und schwerwiegende Ausweisungs- und Bleibeinteressen ist für die Güterabwägung zwar regelmäßig prägend (BVerwG, U.v. 27.7.2017 – 1 C 28.16 – juris Rn. 39). Eine schematische und allein in den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkretem Gewicht, zuwiderlaufen würde, ist aber unzulässig (BVerfG, B.v. 10.5.2007 – 2 BvR 304/07 – juris Rn. 41 bereits zum früheren Ausweisungsrecht). Im Rahmen der Abwägung ist mithin nicht nur von Belang, wie der Gesetzgeber das Ausweisungsinteresse abstrakt einstuft. Vielmehr ist das dem Ausländer vorgeworfene Verhalten, das den Ausweisungsgrund bildet, im Einzelnen zu würdigen und weiter zu gewichten, da gerade bei prinzipiell gleichgewichtigem Ausweisungs- und Bleibeinteresse das gefahrbegründende Verhalten des Ausländers näherer Aufklärung und Feststellung bedarf (BVerwG, U.v. 27.7.2017 – 1 C 28.16 – juris Rn. 39). Der Gesetzgeber hat im Ausweisungsrecht in differenzierter Weise die Schutzwürdigkeit familiärer Bindungen ausdrücklich berücksichtigt und ihnen normativ verschieden gewichtete Bleibeinteressen zugeordnet (vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 3 und 4, Abs. 2 Nr. 3 bis 6 AufenthG). Die Katalogisierung schließt es aber nicht aus, dass andere, nicht ausdrücklich in § 55 Abs. 1 AufenthG benannte Interessen und Umstände bei der zu treffenden Abwägungsentscheidung jeweils mit einem Gewicht einzustellen sein können, das einem besonders schwerwiegenden Bleibeinteresse entsprechen kann (vgl. Bauer in Bergmann/Dienelt/Bauer, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 55 Rn. 5).
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Nach der gesetzlichen Typisierung hat der Kläger ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1b AufenthG (aufgrund der Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren und 3 Monaten) verwirklicht. Auch die Bejahung eines kausalen Zusammenhangs zwischen einem Abhängigkeitssyndrom und des den Ausweisungsanlass bietenden strafrechtlichen Schuldspruchs vermag das Gewicht des Ausweisungsinteresses nicht maßgeblich zu reduzieren, zumal dieser Umstand bereits bei der Strafzumessung zu Gunsten des Klägers Berücksichtigung fand, aber gleichwohl eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten zu verhängen war.
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Diesem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht schon kein gleich gewichtiges Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Bei den – unterstellten – persönlichen Bindungen zu seiner Lebensgefährtin bzw. seinen im Bundesgebiet lebenden Verwandten handelt es sich nicht um gegenüber den vertypten schwerwiegenden Bleibeinteressen nach § 55 Abs. 2 AufenthG gleichrangige, unbenannte schwerwiegende Bleibeinteressen. Wie der Wortlaut („insbesondere“) verdeutlicht, sind die dort aufgezählten Interessen nicht abschließend erfasst (vgl. VGH BW, U.v. 15.4.2021 – 12 S 2505/20 – juris Rn. 124; Fleuß in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 35. Edition, Stand 1.10.2022, AufenthG § 55 Rn. 77). Das Gewicht der jeweiligen Bleibeinteressen orientiert sich an dem Gewicht der durch sie verkörperten Schutzgüter und ist unter Berücksichtigung einerseits der von dem Gesetzgeber vorgenommenen Typisierung, andererseits aber auch etwaiger atypischer Umstände im Einzelfall zu bestimmen (Fleuß in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 35. Edition, Stand 1.10.2022, AufenthG § 55 Rn. 6).
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Der Kläger kann sich – entgegen dem Vortrag seiner Bevollmächtigten im Berufungszulassungsverfahren – nicht wegen seiner Lebensgefährtin mit deutscher Staatsangehörigkeit auf § 55 Abs. 1 Nr. 4 Var. 1 AufenthG berufen, nach dem das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG besonders schwer wiegt, wenn der Ausländer mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt. Die Vorschrift stellt eine einfachgesetzliche Konkretisierung des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes der Ehe im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 7 EU-GR-Charta und Art. 8 EMRK dar (Fleuß in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 36. Ed. Stand 1.1.2023, AufenthG § 55 Rn. 42 m.V.a.). Insbesondere Art. 6 Abs. 1 GG vermittelt in diesen Fällen zwar keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthaltsgewährung, er verpflichtet die zuständigen Behörden in seiner Funktion als wertentscheidende Grundsatznorm jedoch, die ehelichen Bindungen des Ausländers an im Bundesgebiet lebende Personen bei der Entscheidung über den Aufenthalt entsprechend dem jeweiligen Gewicht der Beziehung angemessen zu berücksichtigen (BVerfG, B.v. 31.8.1999 – 2 BvR 1523/99 – juris). Verlobte sind davon jedoch ebenso wenig erfasst wie nichteheliche Lebensgefährten (Fleuß in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 36. Ed. Stand 1.1.2023, AufenthG § 55 Rn. 42 m.w.N.). Daneben stellt die Vorschrift die Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft den Ehegatten gleich (Fleuß in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 36. Ed. Stand 1.1.2023, AufenthG § 55 Rn. 47 m.w.N.), schützt jedoch nicht die Lebensgefährten im Sinne einer nicht durch das Rechtsinstitut der Ehe oder der eingetragenen Lebenspartnerschaft staatlich anerkannten, durch wechselseitige rechtliche Beziehungen verbundenen Partnerschaft. Derartige nicht als Rechtsinstitut anerkannte Beziehungen nehmen deshalb keinen mit einem besonders schwerwiegenden Bleibeinteresse gleich gewichtigen Rang ein, weil sie nicht unter dem besonderen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG stehen.
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Hinsichtlich der geltend gemachten, im Bundesgebiet lebenden Verwandten des Klägers ergibt ein Vergleich mit den in § 55 Abs. 2 AufenthG genannten schwerwiegenden Bleibeinteressen aufgrund persönlicher Bindungen im Bundesgebiet nicht die Gleichrangigkeit der geltend gemachten persönlichen Beziehungen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass diesen persönlichen Bindungen zwischen miteinander schon nicht eng (im Sinne von Verwandten in gerader Linie oder ersten Grades in der Seitenlinie, d.h. Geschwistern) verwandten, zudem nicht auf die Lebenshilfe des jeweils Anderen angewiesenen Personen nach ihrer konkreten Ausgestaltung dasselbe Gewicht zukäme, wie etwa der Ausübung des Personensorgerechts für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen (§ 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG), der persönlichen Bindung eines minderjährigen Ausländers zu seinen im Bundesgebiet lebenden Eltern bzw. zu einem personensorgeberechtigten Elternteil (§ 55 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG) oder dem Wohl eines Kindes (§ 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG). Andere, für ein im konkreten Einzelfall schwerwiegendes Bleibeinteresse sprechende Umstände, etwa eine schwerwiegende Erkrankung oder Betreuung eines sonstigen Verwandten durch den Ausländer als maßgebliche Betreuungsperson (vgl. Fleuß in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 35. Edition, Stand 1.10.2022, AufenthG § 55 Rn. 78 mit Verweis auf BVerfG NVwZ 2004, 852/853; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 55 Rn. 18; vgl. auch BT-Drs. 18/4097, 53: notwendige Betreuung zwischen Erwachsenen) sind weder vorgetragen, noch anderweitig ersichtlich.
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Art. 6 Abs. 1 GG gewährt nicht von vornherein einen Schutz vor Ausweisung, sondern verpflichtet dazu, die familiären Bindungen entsprechend ihrem Gewicht angemessen in die Abwägung einzustellen (vgl. BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – NVwZ 2013, 1207, Rn. 12). Die Beziehung zwischen sonstigen erwachsenen Verwandten ist in ihrem verfassungsrechtlichen Kern nicht auf eine Lebens- oder Haushaltsgemeinschaft, sondern in aller Regel auf eine Begegnungsgemeinschaft angelegt und kann deshalb regelmäßig durch wiederholte Besuche oder Brief- und Telefonkontakte aufrechterhalten werden (vgl. BVerfG, B.v. 18.4.1989 – 2 BvR 1169/84 – juris Rn. 42, 44). Selbst im Falle des Bestehens einer schützenswerten familiären Beziehung ist insbesondere bei besonders schweren Straftaten eine Aufenthaltsbeendigung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht generell und unter allen Umständen ausgeschlossen (vgl. BVerwG, B.v. 10.2.2011 – 1 B 22.10 – juris Rn. 4).
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Davon ausgehend hat das Verwaltungsgericht im Rahmen der Abwägung die Bleibeinteressen des Klägers zutreffend gewürdigt, ist jedoch in nicht zu beanstandender Weise in Anbetracht des Gewichts der begangenen Straftaten von einem Überwiegen des öffentlichen Ausweisungsinteresses ausgegangen.
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Die besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen, resultierend aus der vom Kläger verübten schweren Drogenkriminalität, führen vorliegend dazu, dass die vom Kläger geltend gemachten privaten und familiären Belange im Rahmen der Abwägung zurückzutreten haben. Hinsichtlich der – nach den Angaben des Klägers gegenüber der Sachverständigen bei der Begutachtung vom 28. April 2021, welche er im Berufungszulassungsverfahren nicht wiederholt hat – beabsichtigten Eheschließung des Klägers mit seiner Lebensgefährtin – vorausgesetzt, dass die Eheschließung auch von dieser gewollt ist – ist darauf hinzuweisen, dass eine eventuelle Verlobung in Kenntnis der Ausweisung des Klägers infolge seiner Verurteilung zu einer langjährigen Haftstrafe und damit in Kenntnis seiner Ausreisepflicht eingegangen wurde, weshalb ihre Schutzwürdigkeit vor dem Hintergrund des Art. 6 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK als gering einzustufen ist. Des Weiteren ist nichts dafür erkennbar, dass zwischen dem Kläger und seinen im Bundesgebiet lebenden Verwandten eine sog. Beistandsgemeinschaft besteht, bei der ein Familienmitglied auf eine auch tatsächlich erbrachte Lebenshilfe des anderen angewiesen ist. Zudem hat weder die Bindung zu seiner (nach Angabe langjährigen) Lebensgefährtin noch die Bindung zu den angeführten Verwandten den Kläger von der Begehung gravierender Straftaten abhalten können. Des Weiteren wäre es dem Kläger und seiner Lebensgefährtin bzw. seinen Verwandten bei Beendigung des Aufenthaltes im Bundesgebiet zumutbar, trotz räumlicher Trennung die Bindung zueinander – zumindest für die Dauer der Wiedereinreisesperre – in anderweitiger Form, z.B. durch Kommunikationsmittel wie Telefon, Internet und Briefverkehr aufrechtzuerhalten. Überdies ist auch ohne eine behördliche Zusage in § 11 Abs. 8 AufenthG die Möglichkeit einer kurzfristigen Betretenserlaubnis geregelt, um im Einzelfall unbillige Härten zu vermeiden.
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2.2.3 Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils ergeben sich auch nicht im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht bestätigte Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 3 AufenthG auf die Dauer von acht Jahren für den Fall des Nachweises der Drogen- und Straffreiheit bzw. von zehn Jahren für den Fall, dass dieser Nachweis nicht erbracht wird.
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Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wird über die Länge der Frist des (nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG im Einzelfall anzuordnenden) Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Ermessen entschieden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ändert das Erfordernis einer Ermessensentscheidung nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, welches seiner Ausweisung zu Grunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG), sowie unions- und konventionsrechtlich an den Vorgaben aus Art. 7 EU-GR-Charta und Art. 8 EMRK gemessen und gegebenenfalls relativiert werden. Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern es bedarf nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 27.16 – juris Rn. 23).
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Da für die gerichtliche Überprüfung der Befristungsentscheidung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, trifft die Ausländerbehörde auch während des gerichtlichen Verfahrens eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Befristungsentscheidung und gegebenenfalls zur Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen (BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 27.16 – juris Rn. 23; BayVGH, U.v. 20.6.2017 – 10 B 17.135 – juris). Anlass zu einer Aktualisierung bestand im vorliegenden Fall indes nicht, da die Beklagte die maßgeblichen Bleibeinteressen des Klägers, insbesondere die vorgetragenen Verwandten im Bundesgebiet sowie die vorgetragene persönliche Bindung zu seiner Lebensgefährtin (mit deutscher Staatsangehörigkeit) bereits im angefochtenen Bescheid gesehen hat.
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Gemessen an diesen Vorgaben hat das Verwaltungsgericht zutreffend Ermessensfehler verneint. Der Beklagte hat bei der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots einerseits (im ersten Schritt) insbesondere die aus dem Verhalten des Klägers resultierenden schwerwiegenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung berücksichtigt, andererseits aber auch (im zweiten Schritt) die (ohne nähere Angaben bzw. Nachweise) vorgetragenen familiären Bindungen des Klägers zu fünf im Bundesgebiet lebenden Verwandten sowie die vorgetragene persönliche Bindung zu seiner sich im Bundesgebiet (als deutsche Staatsangehörige) aufhaltenden Lebensgefährtin in die gebotene Abwägung eingestellt und beanstandungsfrei eine Befristung auf acht Jahre bei Erfüllen der Bedingung des Nachweises der Straf- und Drogenfreiheit bzw. auf zehn Jahre bei Nichterfüllen dieser Bedingung für angemessen erachtet. Die Einwendungen des Klägers gegen die Fristsetzung greifen nicht durch. Die Befristung auf acht Jahre bei Erfüllen der gemäß § 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG i.V.m. Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG zulässiger Weise gestellten Bedingung des Nachweises der Straf- und Drogenfreiheit ist in Anbetracht der erheblichen Betäubungsmittelstraftaten des Klägers (Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren und 3 Monaten bei Einzelstrafen von 6 Jahren und 3 Monaten bzw. 6 Jahren), der fortbestehenden Wiederholungsgefahr, der nicht abgeschlossenen Therapie des Klägers sowie der nur geringfügig schutzwürdigen persönlichen Bindungen zu im Bundesgebiet berechtigt lebenden Personen angemessen (vgl. z.B. bei Freiheitsstrafen von 5 Jahren wegen unerlaubten Handeltreibens: BayVGH, B.v. 11.10.2022 – 19 ZB 20.2139 – juris Rn. 72 ff.; bei Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge: BayVGH, B.v. 18.11.2015 – 19 ZB 14.2291). Insoweit konnte der Beklagte im Rahmen der auflösenden Bedingung gemäß § 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG i.V.m. Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG, deren Erlass in seinem Ermessen stand (BayVGH, B.v. 18.5.2021 – 19 ZB 20.65 – juris Rn. 68; U.v. 12.7.2016 – 10 BV 14.1818 – juris Rn. 72), auch ermessensfehlerfrei bestimmen, dass der Nachweis der Straf- und Drogenfreiheit frühestens drei Monate vor dem Ablauf der festgesetzten Frist erbracht werden kann. Denn diese Einschränkung gewährleistet eine hinreichende Aktualität der vorgelegten Nachweise und damit den Wegfall der Wiederholungsgefahr im Zeitpunkt des Fristablaufes. Unabhängig davon besteht – wie noch auszuführen sein wird – die Möglichkeit einer Verkürzung der Frist gemäß § 11 Abs. 4 AufenthG bei nachgewiesener nachträglicher Veränderung der für die Ausweisung maßgeblichen Sachlage.
40
Die Festsetzung einer Frist von zehn Jahren für den Fall, dass die Bedingung des Nachweises der Straf- und Drogenfreiheit nicht erfüllt wird, beruht auf § 11 Abs. 2 Satz 6 AufenthG, wonach für den Fall, dass die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht eintritt, eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Frist gilt. Die Erhöhung der Frist für den Fall, dass die Bedingung nicht eintritt, um weitere zwei Jahre und damit um ein Viertel der nach § 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG festgesetzten Frist von acht Jahren erscheint im Verhältnis zu dieser Frist angemessen. Die auf zehn Jahre – und damit auf das von § 11 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 AufenthG für den Fall einer Ausweisung wegen einer strafrechtlichen Verurteilung vorgesehene Höchstmaß – festgesetzte absolute Höhe der Frist erscheint für den Fall, dass die Bedingung nicht eintritt, der Kläger mithin nach Ablauf der Sperrfrist von acht Jahren seine Straf- bzw. Drogenfreiheit nicht nachweist und deshalb von einem Fortbestehen der Wiederholungsgefahr in Bezug auf schwerwiegende Straftaten aus dem Bereich der Drogenkriminalität bzw. der Gefahr eines Rückfalls in die Betäubungsmittelabhängigkeit mit der damit verbundenen Delinquenz nicht entfallen ist, (noch) angemessen.
41
Die Argumentation der Klägerbevollmächtigten, das Gericht gehe offenbar nicht davon aus, dass es einen Antrag auf Reduzierung der Sperrfrist gebe, denn sonst käme es nicht auf den Gedanken, dass der Kläger frühestens drei Monate vor Ablauf der Frist einen Drogentest durchzuführen habe, da ansonsten die Sperrfrist auf zehn Jahre erhöht würde, kann nicht nachvollzogen werden. Denn die im angefochtenen Bescheid angeordnete Vorgehensweise ergibt sich aus der gesetzlichen Systematik des § 11 AufenthG. Die Befristung nach § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG hat die Behörde bei der Anordnung des an die Ausweisung anknüpfenden und gemeinsam mit dieser zu erlassenden Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG – gegebenenfalls unter Bedingungen gemäß § 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG – vorzunehmen. Unabhängig von dem Bedingungseintritt und dem dadurch bewirkten Ende der Sperrfrist nach Ablauf der festgesetzten acht Jahre ab der Ausreise (§ 11 Abs. 2 Satz 4 AufenthG) besteht für den Kläger jedoch bei Veränderungen der für den Fortbestand des Ausweisungsinteresses maßgeblichen Sachlage die in § 11 Abs. 4 AufenthG vorgesehene Möglichkeit der nachträglichen Verkürzung der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots in einem gesonderten Antragsverfahren (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2021 – 19 ZB 19.2491 – juris Rn. 22; B.v. 22.2.2021 – 10 ZB 20.1592 – juris Rn. 7 m.V.a. BVerwG, U.v. 7.12.1999 – 1 C 13.99 – juris Rn. 22 ff.; B.v. 24.11.2020 – 19 ZB 20.1460 – juris Rn. 28; VGH BW, U.v. 2.1.2023 – 12 S 1841/22 – juris Rn. 176; B.v. 25.1.2021 – 12 S 2894/20 – juris Rn. 8). Nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann das Einreise- und Aufenthaltsverbot im Wege einer Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es dessen Zweck nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist verkürzt werden. Nach § 11 Abs. 4 Satz 2 AufenthG soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot sogar aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Diese Verkürzungsmöglichkeiten auf Antrag gelten gemäß § 11 Abs. 5 Satz 2 AufenthG auch in den Fällen der auf zehn Jahre erhöhten Maximalfrist des Einreise- und Aufenthaltsverbots bei einer Ausweisung aufgrund strafrechtlicher Verurteilung oder wegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung.
42
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
43
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 1 VwGO).
44
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).