Inhalt

VG Regensburg, Urteil v. 17.01.2023 – RN 6 K 21.1497
Titel:

Nachbarklage gegen Errichtung eines Familienhauses

Normenketten:
BauGB § 34
BauNVO § 3, § 12
BImschG § 3 Abs. 1
BayBO Art. 6
Leitsätze:
1. Eine Baugenehmigung ist aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es gibt keinen nachbarrechtlichen Schutz vor der Verschlechterung der Aussicht sowie vor Einsichtsmöglichkeiten von benachbarten Grundstücken oder Häusern. Insbesondere in bebauten innerörtlichen Bereichen gehört es zur Normalität, dass von benachbarten Grundstücken bzw. Gebäuden aus Einsicht in das eigene Grundstück und in Gebäude genommen werden kann. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine erdrückende Wirkung einer baulichen Anlage kommt ungeachtet des grundsätzlich fehlenden Nachbarschutzes bezüglich des Maßes der baulichen Nutzung nur bei nach Höhe und Volumen "übergroßen" Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die mit einer Bebauung verbundenen Beeinträchtigungen und Unannehmlichkeiten durch den dadurch verursachten An- und Abfahrtsverkehr sind im Regelfall hinzunehmen, was selbst dann gilt, wenn sich die Situation gegenüber dem bisherigen Zustand verschlechtert. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die mit der Errichtung notwendigen Garagen und Stellplätze für ein Wohnbauvorhaben üblicherweise verbundenen Immissionen der zu- und abfahrenden Kraftfahrzeuge sind grundsätzlich als sozial adäquat hinzunehmen. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Bestimmtheit einer Baugenehmigung, Rücksichtnahmegebot, Einsichtsmöglichkeiten, erdrückende Wirkung, Immissionen, Verkehrslärm, Abstandsflächen
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 26.04.2023 – 15 ZB 23.336
Fundstelle:
BeckRS 2023, 12062

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen.
II.    Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III.    Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen vom Landratsamt S. (im Folgenden: Landratsamt) erteilte Baugenehmigung für ein 4-Familien-Wohnhaus.
2
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Fl.Nr. …1 der Gemarkung …, Stadt B. (...). Die Baugenehmigung betrifft das östlich angrenzende Grundstück Fl.Nr. …2 derselben Gemarkung (F., B.; im Folgenden: Baugrundstück), das ein Gefälle von Norden nach Süden aufweist. Beide Grundstücke liegen im unbeplanten Innenbereich.
3
Einen mit Formblättern vom 7. Januar 2021 gestellten Antrag auf Erteilung eines Vorbescheids für ein 4-Familienhaus mit Carports hatte die Beigeladene mit Schreiben vom 14. April 2021 zurückgenommen, da sich das Vorhaben nach Einschätzung des Landratsamts dem Maß der baulichen Nutzung nach nicht eingefügt hätte, woraufhin das Verfahren eingestellt wurde.
4
Mit Formblättern vom 20. April 2021 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau eines 4-Familienhauses (statt Wandhöhe 7,34 m nun 7,15 m; statt Dachneigung 15° nun 32° mit Dachgauben).
5
Ausweislich der gemeindlichen Stellungnahme vom 21. Mai 2021 wurde das gemeindliche Einvernehmen erteilt.
6
Mit Bescheid vom 8. Juli 2021, Az. …, erteilte das Landratsamt der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung.
7
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 27. Juli 2021 Klage erheben lassen, die zunächst unbegründet blieb.
8
Mit gerichtlichem Schreiben vom 17. November 2021 wies das Gericht darauf hin, dass nach vorläufiger Einschätzung keine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs, des Rücksichtnahmegebots oder des Abstandsflächenrechts erkennbar sei.
9
Zur Begründung der erhobenen Klage wird im Wesentlichen ausgeführt, das Rücksichtnahmegebot sei verletzt. Das Vorhaben sei wuchtig und störe die Wohnruhe aufgrund seiner Lage in besonderer Weise. Zudem löse das Vorhaben erheblichen An- und Abfahrtsverkehr aus, der mit Blick auf Lärm und entstehende Verkehrsverhältnisse nachbarschützend sein könne. Möglicherweise handele es sich um ein Unterbringungsvorhaben für soziale Zwecke, sodass der Gebietserhaltungsanspruch verletzt sein könne.
10
Die Klägerin lässt sinngemäß beantragen,
den Bescheid des Landratsamtes S. vom 8. Juli 2021, Az. …, aufzuheben.
11
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
12
Das Maß der baulichen Nutzung vermittle keinen Drittschutz. Auch liege kein Umschlagen von Quantität in Qualität vor. Das Rücksichtnahmegebot sei weder durch eine etwaige Störung der Wohnruhe noch durch den zu erwartenden An- und Abfahrtsverkehr verletzt. Es bestünden keine Anhaltspunkte für eine erdrückende Wirkung. Die Baugenehmigung sei hinreichend bestimmt. Die Bezeichnung als 4-Familienhaus und die in den gestempelten Eingabeplänen bezeichneten Räume (u.a. „Eltern“, „Kind“, „Wohnen“) stünden der Vermutung einer Anlage für soziale Zwecke entgegen.
13
Das Gericht hatte die Beteiligten im gerichtlichen Hinweisschreiben vom 17. November 2021 zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid angehört. Der Klägervertreter erteilte in der Folge mit Schriftsatz vom 30. September 2022 sein Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung per Gerichtsbescheid oder durch Urteil. Mit gerichtlichem Schreiben vom 12. Oktober 2022 wurden die übrigen Beteiligten zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil angehört. Der Beklagte erteilte sein Einverständnis mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2022. Die Beigeladene teilte ihr Einverständnis – ohne eigene Antragstellung – mit Fax vom 17. November 2022 mit.
14
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Behördenakten – auch im Verfahren RN 6 K 21.1477 – Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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A. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin ist durch die gegenständliche rechtmäßige Baugenehmigung nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
17
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 59 f. Bayerische Bauordnung (BayBO) ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Einem Nachbarn des Bauherrn steht ein Anspruch auf Versagung der Baugenehmigung grundsätzlich nicht zu. Er kann eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg anfechten, wenn Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn das Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf das Grundstück des Nachbarn fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt. Nur daraufhin ist das genehmigte Vorhaben in einem nachbarrechtlichen Anfechtungsprozess zu prüfen (vgl. BVerwG, B.v. 28.7.1994 – 4 B 94/94 – juris; BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84 – juris; BVerwG, U.v. 13.6.1980 – IV C 31.77 – juris). Es ist daher unerheblich, ob die Baugenehmigung einer vollständigen Rechtmäßigkeitsprüfung standhält.
18
Ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Bauplanungs- und Bauordnungsrechts ist nicht gegeben.
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1. Die Baugenehmigung ist nicht unbestimmt im Sinne des Art. 37 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG).
20
Die Bestimmtheit i.S.d. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG setzt voraus, dass die im Bescheid getroffene Regelung für die Beteiligten, ggf. nach Auslegung, eindeutig zu erkennen und einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich ist. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen. Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft. Eine Baugenehmigung ist daher aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann. Der Inhalt der Baugenehmigung bestimmt sich nach der Bezeichnung und den Regelungen im Baugenehmigungsbescheid, der konkretisiert wird durch die in Bezug genommenen Bauvorlagen (genau so BayVGH, B.v. 30.3.2021 – 1 CS 20.2637 – juris, Rn. 15; BayVGH, B.v. 19.4.2021 – 9 ZB 20.602 – juris, Rn. 8).
21
Aus den der Baugenehmigung zu Grunde liegenden Planunterlagen geht zweifelsfrei hervor, was Gegenstand der Genehmigung ist, sodass die Klägerin als Nachbarin zweifelsfrei feststellen kann, ob sie hierdurch in ihren Rechten verletzt sein könnte oder nicht.
22
2. Der Gebietserhaltungsanspruch der Klägerin wird durch das Vorhaben nicht verletzt.
23
Ein Nachbar, dessen Grundstück in demselben (faktischen) Baugebiet nach der Baunutzungsverordnung (BauNVO) liegt, hat gegenüber allen anderen im selben Baugebiet genehmigten Nutzungen einen Anspruch auf Bewahrung der Gebietsart, der über das Rücksichtnahmegebot hinausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 23.10.2003 – 2 ZB 03.1673 – juris). Unabhängig davon, bis wohin genau die nähere Umgebung reicht und ob man diese als allgemeines oder reines Wohngebiet im Sinne der BauNVO einstufen würde, wäre der Gebietserhaltungsanspruch der Klägerin nicht verletzt, weil sich die genehmigte Wohnnutzung jeweils als allgemein zulässig gestaltet, §§ 3 Abs. 2 Nr. 1, 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO.
24
Die Verletzung eines etwaigen „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ dergestalt, dass das Vorhaben unter Berücksichtigung seiner Maße und Dimension bei typisierender Betrachtung wegen eines Umschlagens von „Quantität in Qualität“ gebietsunverträglich sein könnte, ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich (BayVGH, B.v. 23.2.2021 – 15 CS 21.403 – juris, Rn. 67).
25
3. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots ist nicht ersichtlich, unabhängig davon, ob man das Rücksichtnahmegebot aus dem Begriff des „Einfügens“ in § 34 Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) oder aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO herleitet. Weder entstehen unzumutbare Einsichtsmöglichkeiten (a) noch liegt eine erdrückende Wirkung vor (b) oder ist unzumutbarer An- und Abfahrtsverkehr in Form von chaotischen Verkehrsverhältnissen oder unzumutbarem Lärm zu befürchten (c).
26
Dem Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung insoweit zu, als in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen dabei wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – juris, Rn. 22; BayVGH, B.v. 15.2.2019 – 9 CS 18.2638 – BeckRS 2019, 2302; BayVGH, B.v. 26.9.2018 – 9 CS 17.361 – juris, Rn. 18 m.w.N.).
27
a) Eine verstärkte oder auch erstmalige Einsichtsmöglichkeit führt nur in Ausnahmefällen zu einer Verletzung von Nachbarrechten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gibt es keinen nachbarrechtlichen Schutz vor der Verschlechterung der Aussicht sowie vor Einsichtsmöglichkeiten von benachbarten Grundstücken oder Häusern (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2014 – 1 B 14.819 – juris; BayVGH, B.v. 15.3.2011 – 15 CS 11.9 – juris; BayVGH, B.v. 6.8.2010 – 15 CS 09.3006 – juris; BVerwG, U.v.13.6.1980 – 4 C 98.77 – juris). Insbesondere in bebauten innerörtlichen Bereichen gehört es zur Normalität, dass von benachbarten Grundstücken bzw. Gebäuden aus Einsicht in das eigene Grundstück und in Gebäude genommen werden kann. Die Grenze des Zumutbaren wird nur in Ausnahmefällen überschritten, wenn ein Vorhaben Einsichtsmöglichkeiten auf das Nachbargrundstück eröffnet, die über das hinzunehmende Maß hinausgehen, etwa wenn ein Balkon in unmittelbarer Nähe zu einem vorhandenen Schlafzimmerfenster errichtet werden soll oder wenn eine Dachterrasse aus kurzer Entfernung Einsichtsmöglichkeiten nicht nur in einen Innenhof, sondern auch in die Fenster eines Nachbargebäudes eröffnet (vgl. BayVGH, B.v. 15.12.2016 – 9 ZB 15.376 – juris; BayVGH, B.v. 6.4.2018 – 15 ZB 17.36 – juris; BayVGH, B.v. 27.10.1999 – 2 CS 99.2387 – juris; OVG Hamburg, B.v. 26.9.2007 – 2 Bs 188/07 – juris; Schleswig-Holsteinisches VG, U.v. 8.5.2014 – 8 A 197/12 – juris; OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 12.12.2011 – 2 M 162/11 – juris). Ein solcher Ausnahmefall ist hier – insbesondere auch unter Berücksichtigung der vorliegenden geringsten Entfernung zum Wohnhaus der Klägerin von ca. 7 m – nicht gegeben. Zwar besteht durch die Genehmigung die Möglichkeit der zusätzlichen Einsichtnahme auf das Grundstück der Klägerin, diese ist jedoch nicht unzumutbar, da sie nicht über die herkömmlichen Einsichtsmöglichkeiten hinausgeht. Das innerörtliche Grundstück der Klägerin war schon bisher nicht vor Einblicken geschützt. In einer solchen Lage ist es einem Nachbarn zumutbar, wenn durch ein Bauvorhaben die Möglichkeit einer vermehrten Einsichtnahme entsteht.
28
b) Eine erdrückende Wirkung einer baulichen Anlage kommt ungeachtet des grundsätzlich fehlenden Nachbarschutzes bezüglich des Maßes der baulichen Nutzung nur bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BayVGH, B. v. 6.4.2018 – 15 ZB 17.36 – juris; BayVGH, B. v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris; BayVGH, B. v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer abriegelnden bzw. erdrückenden Wirkung sind unter anderem die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (BayVGH, B. v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris; vgl. z.B. BVerwG, U. v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris: elf- bzw. zwölfgeschossiges Gebäude in naher Entfernung zu zweieinhalbgeschossigem Wohnhaus; BVerwG, U. v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – juris: grenznahe 11,5 m hohe und 13,31 m lange Siloanlage bei einem 7 m breiten Nachbargrundstück). Geht man von diesen Maßstäben aus, lässt sich vorliegend nicht von einem „übergroßen“ Baukörper im oben genannten Sinne sprechen, sodass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots nicht vorliegt.
29
c) Der durch das Vorhaben ausgelöste An- und Abfahrtsverkehr verletzt nicht das Rücksichtnahmegebot.
30
aa) Die mit einer Bebauung verbundenen Beeinträchtigungen und Unannehmlichkeiten durch den dadurch verursachten An- und Abfahrtsverkehr sind im Regelfall hinzunehmen, was selbst dann gilt, wenn sich die Situation gegenüber dem bisherigen Zustand verschlechtert (vgl. BayVGH, B.v. 8.11.2021 – 15 CS 21.2447 – juris, Rn. 25). Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots könnte letztlich nur dann angenommen werden, wenn es aufgrund der örtlichen Verhältnisse zu chaotischen Verhältnissen im unmittelbaren Umfeld des betroffenen Nachbargrundstückes kommen würde (vgl. BayVGH, B.v. 8.11.2021 – 15 CS 21.2447 – juris Rn. 25; zum An- und Abfahrtverkehr einer Kindertagesstätte in einer beengten Sackgasse vgl. NdsOVG, B.v. 20.12.2013 – 1 ME 214/13 – NVwZ-RR 2014, 296 ff.; vgl. auch BayVGH, B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris, Rn. 36; B.v. 30.4.2020 – 15 ZB 19.1349 – juris, Rn. 11 ff.).
31
Solche chaotischen Verhältnisse sind vorliegend weder ansatzweise substantiiert vorgebracht worden noch sind solche aus Sicht des Gerichts unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse zu erwarten.
32
bb) Auch unter dem Gesichtspunkt von durch den An- und Abfahrtsverkehr verursachten Lärms kommt die Verletzung des Rücksichtnahmegebots nicht in Betracht. Lärmimmissionen sind unzumutbar und verletzen das Rücksichtnahmegebot, wenn sie im Sinne des § 3 Abs. 1 des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) geeignet sind, erhebliche Belästigungen für die Nachbarschaft hervorzurufen (vgl. BVerwG, U.v. 27.8.1998 – 4 C 5.98 – juris). Bei der Erteilung einer Baugenehmigung ist daher sicherzustellen, dass bei der Nutzung des genehmigten Vorhabens keine derartigen Belästigungen entstehen (vgl. BayVGH, B.v. 27.12.2017 – 15 CS 17.2061 – juris). Das Ausmaß von einem Nachbarn zumutbaren Lärmeinwirkungen bestimmt sich einerseits nach der Intensität und Charakteristik der Geräusche, zum anderen nach der gegebenen Situation, in der sich Lärmquelle und Immissionsort befinden (vgl. BVerwG, U.v. 7.5.1996 – 1 C 10.95 – juris). Daneben sind bei der Frage der Zumutbarkeit der Lärmeinwirkungen auch wertende Gesichtspunkte als Kriterium heranzuziehen, darunter die der Sozialadäquanz und Akzeptanz der Geräusche in der Bevölkerung (vgl. BVerwG, U.v. 24.4.1991 – 7 C 12.90 – juris). Die Grenze dessen, was an Geräuschbelastungen rechtlich zuzumuten ist, beurteilt sich anhand der Regelungen der gemäß § 48 BImSchG erlassenen TA Lärm in deren derzeitiger Fassung vom 26. August 1998 (GMBl. 1998, 503), zuletzt geändert durch die Verwaltungsvorschrift vom 1. Juni 2017 (BAnz AT 8.6.2017 B5). Es ist schon nicht substantiiert vorgebracht, dass eine Lärmbelastung im o.g. Sinne verursacht würde, noch ist derartiges für das Gericht ersichtlich. Vielmehr ist die mit dem Betrieb der Garagen und Stellplätzen üblicherweise einhergehende Belastung durch Kraftfahrzeuge des Anwohnerverkehrs als sozialadäquat hinzunehmen (BayVGH, B.v. 9.12.2016 – 15 CS 16.1417 – juris, Rn. 17 m.w.N.).
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4. Die Abstandsflächen gemäß Art. 6 BayBO sind eingehalten, sodass auch diesbezüglich keine Rechte der Klägerin verletzt werden.
34
Nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO beträgt die Tiefe der Abstandsfläche 0,4 H, mindestens aber 3 m. Die Tiefe der Abstandsfläche bemisst sich nach der Wandhöhe, die von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut gemessen wird, Art. 6 Abs. 4 Sätze 1 und 2 BayBO. Die Geländeoberfläche ist regelmäßig die natürliche Geländeoberfläche des Baugrundstücks. Die natürliche Geländeoberfläche ist grundsätzlich die gewachsene und nicht die durch Aufschüttung oder Abgrabung veränderte Geländeoberfläche (BeckOK BauordnungsR Bayern/Schönfeld, 24. Ed. 1.12.2022, BayBO Art. 6 Rn. 131 m.w.N.). Die Wandhöhe der Giebelseite bemisst sich nach der Höhe der gesamten Wand. Die entstehende Abstandsfläche entspricht der Form der Giebelwand. Soweit hierdurch Teile der Abstandsfläche eine geringere Tiefe als 3 m aufweisen würden, ist diese auf die gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO geltende Mindesttiefe von 3 m anzuheben (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr, Vollzugshinweise zur BayBO 2021 vom 25.11.2021 – Az. 24-4101-2-13 – Ziff. 1.3, abrufbar unter: https://www.stmb.bayern.de/assets/stmi/buw/baurechtundtechnik/24_baybo-vollzugshinweise_2021.pdf).
35
Ausweislich der gestempelten Eingabepläne hält die westliche Giebelwand an ihrem nördlichen Ende zum Grundstück der Klägerin hin einen Abstand von über 3,30 m ein. An dieser Stelle beträgt die Wandhöhe gemessen ab der „alten“ Geländeoberfläche 3,90 m. Gemessen ab der „neuen“, durch Abgrabung tiefer gelegenen Geländeoberfläche beträgt sie 4,36 m. Selbst wenn man davon ausgeht, dass wegen der konkreten Abgrabung mit Blick auf die Schutzziele des Abstandsflächenrechtes die „neue“ Geländeoberfläche zu Grunde zu legen ist (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 23.2.2021 – 15 CS 21.403 – BeckRS 2021, 2805, Rn. 100), ergibt sich rechnerisch eine Abstandsflächentiefe von 1,74 m (4,36 m x 0,4), also 3 m. An der höchsten Stelle beträgt die Giebelwand 8,81 m bei gleichzeitiger Entfernung zur Grundstücksgrenze an dieser Stelle von 5,10 m. Die Abstandsflächentiefe von 3,52 m (8,81 m x 0,4) ist daher unproblematisch eingehalten. Am südlichen Ende der Giebelwand beträgt die Wandhöhe 5,60 m, was eine Abstandsflächentiefe von 3 m (5,60 m x 0,4 = 2,24 m) ergibt. Da der Abstand zur Grundstücksgrenze an dieser Stelle knapp 7 m beträgt ist ein Verstoß gegen die Abstandsflächenvorschriften ausgeschlossen.
36
5. Weitere Anhaltspunkte dafür, dass die Baugenehmigung drittschützende Vorschriften des zu prüfenden Bauplanungs- oder Bauordnungsrechts verletzen könnte, sind nicht ersichtlich.
37
B. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren der Klägerin nicht aufzuerlegen, da die Beigeladene keinen eigenen Antrag gestellt und sich somit keinem eigenen Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat, §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.
38
C. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).