Titel:
Normenkontrollverfahren, Zulässigkeit, Antragsbefugnis, Nachbar, Abwägung, Abwägungserheblichkeit, private Belange, Verkehrswert, Verkehrslärm
Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1
BauGB § 1 Abs. 7
Schlagworte:
Normenkontrollantrag, Bebauungsplan, Plannachbar, Nur behauptete Anlagen- und Verkehrslärmzunahme, Wertminderung, Antragsbefugnis (verneint), Normenkontrollverfahren, Zulässigkeit, Antragsbefugnis, Nachbar, Abwägung, Abwägungserheblichkeit, private Belange, Verkehrswert, Verkehrslärm
Fundstelle:
BeckRS 2023, 12056
Tenor
I. Der Normenkontrollantrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Antragstellerin zu 1) und der Antragsteller zu 2) sind verheiratet und wohnen auf dem im Alleineigentum der Antragstellerin zu 1) stehenden Grundstück FlNr., Gemarkung N. … (T. … Str. ...), das mit einem Wohnhaus bebaut ist. Das Grundstück grenzt südlich an das Grundstück FlNr. …, Gemarkung N. … (G. …str. ...).
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Die Antragsteller wenden sich gegen den am 20. Mai 2020 beschlossenen, vom Landratsamt Passau mit Bescheid vom 11. November 2021 genehmigten und am 22. Februar 2022 durch Anheftung der öffentlichen Bekanntmachung an die Amtstafel bekannt gemachten, nur das Grundstück FlNr. …, Gemarkung N. … betreffenden, Bebauungsplan „SO-Einzelhandel N. …“ der Antragsgegnerin.
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Mit dem streitgegenständlichen Bebauungsplan wird nach Nr. 1. der textlichen Festsetzungen ein sonstiges Sondergebiet für großflächige Handelsbetriebe (Einkaufsmarkt) festgesetzt. Zulässig sind Einkaufsmärkte mit Hauptsortiment Lebensmittel mit einer Verkaufsfläche bis zu 1200 qm inclusive der eigenständigen Betriebseinheiten zum Verkauf von Backwaren und Café-Bereich sowie Fleisch und Wurstwaren. Der Bebauungsplan dient den Erweiterungsabsichten der auf FlNr. …, Gemarkung N. …, direkt östlich des Plangebiets wohnenden Betreiberin. Zum Zeitpunkt der Bekanntmachung befand sich auf dem Grundstück ein genehmigter EDEKA-Markt mit 800 qm Verkaufsfläche. Das überplante Grundstück lag bis dahin im Geltungsbereich einer Ortabrundungssatzung. Die Bebaubarkeit richtete sich für das Grundstück nach § 34 BauGB. Der Flächennutzungsplan war noch nicht in Kraft getreten.
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Die schalltechnische Untersuchung des Ingenieurbüros K. vom 30. Oktober 2019 ging für den Umgriff, der auch das antragstellerische Grundstück umfasst, vom Vorliegen eines Mischgebietes aus, während nördlich der G. …str., mit Ausnahme von FlNr. …, ein Allgemeines Wohngebiet angenommen wurde. Das Gebäude auf dem Grundstück FlNr. … enthalte lediglich gewerbliche Therapie- und Praxisräume, die lärmtechnisch nicht als relevant einzustufen seien. Einzig verbleibender Emittent sei der EDEKA-Markt mit den zugeordneten Parkflächen und der geplanten Erweiterung um einen Getränkemarkt. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass in der Tageszeit und in der lautesten vollen Nachtstunde die schalltechnischen Richtwerte für Mischgebiete an allen Immissionsorten eingehalten würden. Auf FlNr. … sei in der Tageszeit die volle Ausschöpfung des Immissionswertes gegeben. Daher könne auf die Erarbeitung eines Lärmminderungskonzeptes verzichtet werden. Als Auflage wurde u.a. vorgeschlagen, den Betrieb des Lebensmittel- und Getränkemarktes und den Lieferverkehr einschließlich Be- und Entladung ausschließlich von 6:00 Uhr bis 20:00 Uhr zu beschränken. Aus dem Gutachten geht hervor, dass beim antragstellerischen Grundstück (IO 6) tags der Beurteilungspegel bei 52,8 dB(A) und nachts bei 33,3 dB(A) liegt, was eine Unterschreitung von 7,2 dB(A) tags und 11,7 dB(A) nachts ergibt.
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Die Antragsteller haben u.a. mit Schreiben vom 25. Januar 2020 im Rahmen des Aufstellungsverfahrens Einwendungen erhoben und diese aufrechterhalten.
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Mit Schriftsatz vom 11. Juli 2022 haben die Antragsteller Normenkontrollantrag erhoben. Der Antrag sei zulässig, da die Antragsteller in ihrem Anspruch auf gerechte Abwägung und auf Rücksichtnahme verletzt seien. Sie müssten einen erheblichen Wertverlust hinnehmen, denn die Hälfte des Grundstücks der Antragsteller sei direkt betroffen, da sie es nicht mehr verkaufen könnten und die andere Hälfte sei indirekt betroffen, da sich die Erschließungskosten für Bauland nicht mehr rechnen würden. Erhebliche Lärmimmissionen würden nicht nur durch Kunden-, sondern auch durch An- und Ablieferverkehr hervorgerufen. Schon dass das Grundstück der Antragsteller als Immissionsort vom Gutachter einbezogen worden sei, zeige dass eine Verletzung deren Rechte in Betracht komme. Es sei eine Verkleidung der Kälteanlagen geboten. Der Antrag sei auch begründet. Die Erforderlichkeit leite die Antragsgegnerin aus § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO ab. Dass Einkaufsmärkte nur in den dort geregelten Vorgaben zulässig seien, zeige nur die Erforderlichkeit der Einhaltung der Voraussetzung, aber nicht der Planung als solche. Gemäß § 8 Abs. 4 BauGB könne ein Bebauungsplan nur aufgestellt werden, bevor der Flächennutzungsplan aufgestellt sei, wenn dringende Gründe es erforderten. Die beabsichtigte Erweiterung sei nicht nur geringfügig. Die Antragserwiderung bestätige selbst ungesunde Wohnverhältnisse. Ob der Immissionsort IO3 einen Nachbarn betreffe, sei unerheblich. Vielmehr schütze das Immissionsschutzrecht sowohl die Antragsgegnerin als auch die Bewohner der Fl.Nr. … nicht zuletzt vor sich selbst.
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Die Antragsteller beantragen,
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den Bebauungsplan „SO Einzelhandel N. …“ der Antragsgegnerin vom 22.02.2022 für unwirksam zu erklären.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags sei schon zweifelhaft. Eine Wertminderung sei im Einzelfall nur relevant, wenn die Festsetzung das überplante Grundstück selbst betreffe, nur mittelbare Auswirkungen auf den Verkehrswert seien kein schutzwürdiger Belang. Die Antragsteller seien nur geringfügig betroffen und hätten kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand. Die Antragsteller könnten zudem einen Teil des Grundstücks nicht bebauen, da nur ein Teilbereich im Geltungsbereich der Ortsabrundungssatzung N. … liege. Es bestehe keine Antragsbefugnis wegen zu erwartendem Lärms. Der überplanbare Bereich werde bereits intensiv gewerblich genutzt. Die Emissionen seien bisher geduldet worden. Die Zunahme von Verkehr sei gering und werde nicht als störend eingestuft. Dass im Gutachten als Immissionsort das Grundstück der Antragsteller einbezogen worden sei, rechtfertige keine Antragsbefugnis. Es lägen keine ungesunden Wohnverhältnisse vor, da sich aus dem schalltechnischen Gutachten ergebe, dass die jeweiligen Immissionswerte auf den jeweiligen Grundstücken eingehalten würden.
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Mit Schriftsatz vom 4. August 2022 teilte die Landesanwaltschaft Bayern mit, dass vor dem Verwaltungsgericht Regensburg unter dem Az. RN 6 K 21.1597 eine Anfechtungsklage der Antragsteller gegen die Genehmigung der Erweiterung des EDEKA-Marktes anhängig ist.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Planaufstellungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Der Normenkontrollantrag, über den mit Einverständnis sämtlich Beteiligter ohne mündliche Verhandlung entschieden wird (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat keinen Erfolg.
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Der Normenkontrollantrag ist unzulässig, da die Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO für die Bejahung der Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren nicht erfüllt sind.
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Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann jede natürliche oder juristische Person einen Normenkontrollantrag stellen, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Ist die antragstellende Person nicht Eigentümer eines Grundstücks im Plangebiet, kann die Antragsbefugnis insbesondere aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung ihrer privaten Belange gemäß § 1 Abs. 7 BauGB folgen (stRspr vgl. BVerwG, B.v. 10.7.2020 – 4 BN 50.19 – juris Rn. 6; B.v. 1.7.2020 – 4 BN 49.19 – juris Rn. 7; B.v. 16.6.2020 – 4 BN 53.19 – juris 9; B.v. 16.6.2020 – 4 BN 39.19 – juris Rn. 4). Der Antragsteller muss dabei hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in seinen Rechten verletzt wird. Sind keine oder nur nicht abwägungserhebliche Interessen des Antragstellers betroffen, scheidet eine Verletzung des Rechts auf fehlerfreie Abwägung von vorneherein aus (BVerwG, B.v. 10.7.2020 a.a.O.; B.v. 1.7.2020 a.a.O.; B.v. 16.6.2020- 4 BN 53.19 a.a.O.; B.v. 16.6.2020 – 4 BN 39.19 a.a.O.; BayVGH, B.v. 8.5.2019 – 15 NE 19.551/15 NE 19.579 – juris Rn. 21). Für die Prüfung der Antragsbefugnis kommt es grundsätzlich auf die Darlegungen des Antragstellers im Normenkontrollverfahren an. Enthalten sie keine Tatsachen, die die Missachtung eines abwägungserheblichen Belangs als möglich erscheinen lassen, ist die Antragsbefugnis zu verneinen. Die bloße verbale Behauptung einer theoretischen Rechtsverletzung genügt im Einzelfall dann nicht zur Geltendmachung einer Rechtsverletzung i.S.v. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wenn diese Behauptung nur vorgeschoben erscheint, das tatsächliche Vorliegen einer Rechtsverletzung aber offensichtlich ausscheidet (BayVGH, B.v. 30.6.2021 -15 N 20.2050 – juris Rn. 21).
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Abwägungserheblich sind nur private Belange, die in der konkreten Planungssituation einen städtebaulich relevanten Bezug haben und schutzwürdig sind. An Letzterem fehlt es bei geringwertigen oder mit einem Makel behafteten Interessen sowie bei solchen, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solchen, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2015 – 4 CN 5.14 – NVwZ 2015, 1457 Rn. 14; B.v. 30.11.2016 – 4 BN 16.16 – juris Rn. 7).
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1. Soweit sich die Antragsteller auf eine Verkehrswertminderung des Grundstücks berufen, kann dies keine Antragsbefugnis begründen. Die Auswirkungen eines Bebauungsplans auf den Verkehrswert können im Einzelfall nur dann zum Abwägungsmaterial gehören, wenn die Festsetzungen das überplante Grundstück selbst betreffen (vgl. BayVGH, U.v. 27.10.1998 – 1 N 96.497 – juris Rn. 23), was hier nicht der Fall ist. Nur mittelbare Auswirkungen auf den Verkehrswert stellen dagegen keinen schutzwürdigen Belang dar (vgl. BayVGH, U.v. 16.7.2019 – 9 N 17.2391 – juris Rn. 19; BayVGH, U.v. 3.3.2011 – 2 N 09.3058 – juris Rn. 45).
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2. Auch der geltend gemachte Anlagen- und Verkehrslärm durch die Kälteanlagen und den Kunden-, Zu- und Ablieferverkehr führt nicht zu einer Antragsbefugnis der Antragsteller.
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Das Interesse des Eigentümers eines Grundstücks außerhalb des Plangebiets, von einer Lärmzunahme aufgrund des Zu- und Abfahrtsverkehrs zum Plangebiet verschont zu bleiben, kann nach den Umständen des Einzelfalls einen abwägungserheblichen Belang darstellen, wenn sich der durch die Planung ausgelöste Verkehr innerhalb eines räumlich überschaubaren Bereichs bewegt und vom übrigen Straßenverkehr unterscheidbar ist, wobei eine planbedingte Zunahme des Verkehrslärms auch unterhalb der Grenzwerte zum Abwägungsmaterial gehören kann (vgl. BayVGH, U.v. 19.10.2020 – 9 N 15.2158 – juris Rn. 27; Külpmann in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand Oktober 2022, § 10 Rn. 264 f.). Nur wenn der Lärmzuwachs geringfügig ist, mithin über die Bagatellgrenze nicht hinausgeht, oder sich nur unwesentlich auswirkt, so muss er nicht in die Abwägung eingestellt werden, wobei sich allerdings die Schwelle der Abwägungsrelevanz bei Verkehrslärmerhöhungen nicht allein durch einen Vergleich von Lärmmesswerten markieren lässt und selbst eine Lärmzunahme, die, bezogen auf einen rechnerisch ermittelten Dauerschallpegel, für das menschliche Ohr kaum wahrnehmbar ist, zum Abwägungsmaterial gehören kann (BVerwG, B.v. 16.6.2020 – 4 BN 53.19 – juris Rn. 10). Es bedarf stets einer einzelfallbezogenen, wertenden Betrachtung der konkreten Verhältnisse unter Berücksichtigung der Vorbelastung sowie der Schutzwürdigkeit des jeweiligen Gebiets (vgl. BVerwG, B.v. 12.1.2015 – 4 BN 18.14 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 30.6.2021 – 15 N 20.2050 – juris Rn. 22).
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Gemessen daran fehlt die Antragsbefugnis der Antragsteller. Sie legen nicht substantiiert dar, inwiefern ihre Belange durch den streitgegenständlichen Bebauungsplan abwägungserheblich berührt sein könnten. In der vorliegenden Situation waren nur die Erweiterung des EDEKA-Marktes neben dem Grundstück der Antragstellerin zu 1) und die dadurch zusätzlich verursachten Immissionen, z.B. in Form von Verkehrs- und Anlagenlärm, prinzipiell abwägungserheblich. Die davon betroffenen Interessen der Antragsteller sind im konkreten Fall aber nur von geringem, unterhalb der Schwelle der Abwägungserheblichkeit liegendem Gewicht und eine Verletzung des Rechts auf fehlerfreie Abwägung scheidet mithin vorliegend von vornherein aus (vgl. BayVGH, B.v. 30.6.2021 – 15 N 20.2050 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 8.5.2019 – 15 NE 19.551/15 NE 19.579 – juris Rn. 21).
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Denn nach der schalltechnischen Untersuchung vom 30. Oktober 2019 ergibt der Beurteilungspegel des EDEKA-Marktes und der Erweiterung um den Getränkemarkt beim Berechnungspunkt auf dem Grundstück der Antragstellerin zu 1) tags 52,8 dB(A) und nachts 33,3 dB(A). Es liegt demnach eine Unterschreitung der zulässigen Werte von 7,2 dB(A) tags und 11,7 dB(A) nachts vor.
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Die Antragsteller haben diesbezüglich nicht hinreichend konkret dargelegt, aus welchen Gründen gleichwohl nach § 1 Abs. 7 BauGB ein abwägungserheblicher Belang über der Schwelle der Unerheblichkeit betroffen sein könnte. Sie behaupten lediglich, erhebliche Lärmimmissionen würden nicht nur durch Kunden-, sondern auch durch An- und Ablieferverkehr hervorgerufen. Es sei auch eine Verkleidung der Kälteanlagen geboten. Der Vortrag lässt eine substantiierte Auseinandersetzung mit den Feststellungen im Lärmgutachten vermissen und genügt nicht für die Darlegung einer Antragsbefugnis.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).