Inhalt

VGH München, Beschluss v. 12.05.2023 – 15 CS 23.606
Titel:

Anordnung einer Baustellenabsicherung: Einstweiliger Rechtsschutz gegen Zwangsgeldandrohung

Normenketten:
BayBO Art. 54 Abs. 2 S. 2
BayVwZVG Art. 37, Art. 39 S. 1
Leitsätze:
Ein Antrag auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung setzt hinsichtlich des Anordnungsgrundes regelmäßig voraus, dass dargelegt wird, weshalb es unzumutbar ist, das fällig gestellte Zwangsgeld zunächst zu bezahlen und, sollte es sich im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen, gemäß Art. 39 Satz 1 VwZVG wieder zurückzufordern. (Rn. 31)
1. Art. 54 Abs. 2 S. 2 BayBO rechtfertigt bereits ein Einschreiten, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt werden, ohne dass eine konkrete Gefahr vorliegt. Insbesondere bei einer Gefährdung von Leben und Gesundheit von Personen, sind zudem keine allzu hohen Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts zu stellen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei erheblicher Gefahr für hochwertige Schutzgüter – hier: Leben und Gesundheit – ist eine kurze Frist für die Gefahrenbeseitigung regelmäßig erforderlich. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anordnung einer Baustellenabsicherung, Zustellung mittels Empfangsbekenntnis, Zwangsgeldandrohung, Fälligkeitsmitteilung Zwangsgeld, einstweiliger Rechtsschutz, Beschwerde, Baustellenabsicherung, erhebliche Gefahr, Leben und Gesundheit, Anordnungsgrund, Fälligstellung, Hauptsacheverfahren
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 06.03.2023 – RN 6 S 22.2695
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 16.06.2023 – 15 CS 23.983
Fundstellen:
LSK 2023, 12054
NVwZ-RR 2023, 781
BeckRS 2023, 12054
DÖV 2023, 1068

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 9. September 2022 hinsichtlich der Verpflichtung zur Absicherung ihrer Baustelle mit Zwangsgeldandrohung, gegen die Fälligkeitsmitteilung dieses Zwangsgeldes sowie gegen die erneute Zwangsgeldandrohung im Schreiben vom 12. Oktober 2022.
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Mit E-Mail vom 25. September 2021 wurde die Antragsgegnerin darüber informiert, dass sich auf der seit mehreren Jahren im Rohbau und im Eigentum der Antragstellerin befindlichen Doppelhaushälfte auf dem Grundstück FlNr. …137 Gemarkung S. spielende Kinder aufhielten. Die Antragsgegnerin forderte darauf die Antragstellerin nach einer Baukontrolle mit Schreiben vom 5. Oktober 2021 auf, den Zugang zum Gebäude zu verschließen sowie Balkontüren und Balkonbereiche mit einem Geländer oder einer provisorischen Absperrung aus Holz zu versehen. Das Schreiben wurde der Antragstellerin per Empfangsbekenntnis unter ihrer Wohnanschrift durch Einlegung in den Briefkasten am 7. Oktober 2021 zugestellt.
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Am 6. September 2022 erhielt die Antragsgegnerin die Mitteilung, dass die Baustelle weiterhin ungesichert sei. Die Antragstellerin wurde daraufhin am 8. September 2022 telefonisch unter Darlegung der von der Baustelle ausgehenden Gefahren zum Erlass eines Bescheids angehört.
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Mit Bescheid vom 9. September 2022 wurde die Antragstellerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung (Nr. 2) verpflichtet, alle Zugänge zum Rohbau auf dem Grundstück FlNr. …137 Gemarkung S. zu verschließen und die Aussparungen für bodentiefe Fenster, Balkontüren bzw. Balkon-/Terrassenbereiche o.ä. mit einer geeigneten Absturzsicherung (z.B. Geländer oder provisorische Absperrung aus Holz) zu versehen (Nr. 1). Für den Fall, dass die Antragstellerin der Verpflichtung aus Nr. 1 nicht innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids nachkommt, wurde ihr ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 Euro angedroht (Nr. 3). Zudem wurden ihr die Kosten auferlegt (Nr. 4) und eine Gebühr in Höhe von 150 Euro festgesetzt (Nr. 5). Der Bescheid weist im Anschriftenfeld die ehemalige Kanzleiadresse der Antragstellerin auf und wurde ihr ausweislich des auf die Wohnadresse ausgestellten Empfangsbekenntnisses am 12. September 2022 durch Einlegung in den Briefkasten zugestellt.
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Bei einer Ortseinsicht der Antragsgegnerin am 6. Oktober 2022 wurden keine Veränderungen oder Maßnahmen am Rohbau der Antragstellerin festgestellt. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2022 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass das angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 1.000 Euro fällig geworden sei und drohte zugleich ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 2.000 Euro für den Fall an, dass die Verpflichtung aus der Nr. 1 des Bescheids vom 9. September 2022 zur Baustellensicherung des Rohbaus nicht bis spätestens 21. Oktober 2022 erfüllt werde. Der Bescheid vom 12. Oktober 2022 wurde der Antragstellerin unter ihrer Wohnanschrift mittels Empfangsbekenntnis durch Einlegung in den Briefkasten am 19. Oktober 2022 zugestellt.
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Gegen die Bescheide vom 9. September 2022 und vom 12. Oktober 2022 sowie die Zwangsgeldeinziehung erhob die Antragstellerin mit Schreiben vom 24. Oktober 2022 Widerspruch. Vorgetragen wurde im Wesentlichen, dass sie die Behauptung, an dem Haus würden Kinder spielen, für falsch halte, sie nicht über Absperreinrichtungen verfüge und aktuell keine Baustelle betreibe. An den beiden Zugangsmöglichkeiten auf der Nordostseite der Doppelhaushälfte wurden von der Antragstellerin Absperrbänder und Gittermatten angebracht.
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Mit Schriftsatz vom 21. November 2022 erhob die Antragstellerin Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg (RN 6 K 22.2696), über die noch nicht entschieden ist. Gleichzeitig beantragte sie vorläufigen Rechtsschutz, den das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 6. März 2023 ablehnte. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass der Bescheid vom 9. September 2022 bestandskräftig geworden sei und deshalb ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hiergegen unzulässig sei. Der Antrag im einstweiligen Rechtsschutz gegen die Fälligkeitsmitteilung des Zwangsgeldes sei unbegründet, da die Antragstellerin die ihr auferlegte Pflicht nicht vollständig erfüllt habe. Die erneute Zwangsgeldandrohung mit Bescheid vom 12. Oktober 2022 sei rechtmäßig, da die allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen vorlägen und auch die Gebührenhöhe nicht zu beanstanden sei. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin, die sich als zugelassene Rechtsanwältin selbst vertritt, mit ihrer Beschwerde.
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Unter umfangreicher Schilderung ihrer persönlichen Lebenssituation trägt die Antragstellerin insbesondere vor, die Zwangsvollstreckung sei unzulässig, weil sie den Bescheid vom 9. September 2022 nicht erhalten habe. Der Bescheid sei fehlerhaft adressiert und es sei kein Zustellnachweis über die Anordnung der Baustellensicherung ersichtlich. Die Baustellensicherung sei nicht erforderlich, da nicht jede theoretisch denkbare Gefahr abgesichert werden müsse. Bei der Angabe, es spielten Kinder auf der Baustelle, handle es sich um eine böswillige Denunziation ihres Nachbarn mit falschen Angaben. Eine Gefahr sei nicht vorhanden und auch keine Eilbedürftigkeit ersichtlich. Die Anordnung sei auch nicht vollziehbar, da sie Privatperson sei, keine Firma betreibe und nicht wisse, wie sie die Anforderungen erfüllen könne. Baufirmen seien zudem in der Kürze der Zeit nicht zu finden. Der Bescheid sei unbestimmt, weil keine Beschreibung konkreter Handlungen erfolge und Balkontüren unzutreffend benannt seien. Es gebe auch keine in Betrieb befindliche Baustelle; Baufirmen seien nicht mehr vor Ort. Die Fristsetzung von einer Woche sei unverhältnismäßig. Nach Zustellung des Bescheids vom 12. Oktober 2022 habe sie innerhalb einer Woche Absperrbänder und zwischenzeitlich Gitter angebracht sowie befestigt. Dies sei am Ortstermin vom 7. November 2022 so mit dem Baukontrolleur der Antragsgegnerin besprochen worden. Die Antragsgegnerin wisse selber nicht, welche Maßnahmen sie wolle. Vor Klageerhebung sei ein Zustand geschaffen worden, den der Baukontrolleur für ausreichend erachtet habe. Die erneute Zwangsgeldandrohung sei unzulässig, da nicht ersichtlich sei, welche Maßnahmen konkret gefordert werden und an wen man sich zur Ausführung solcher Maßnahmen wenden könne. Eine Fristsetzung von zwei Tagen sei unverhältnismäßig. Auch die Gebührenfestsetzung sei unverhältnismäßig, da sie sich im oberen Bereich befinde und kein erhöhter Verwaltungsaufwand für fehlerhaftes Behördenhandeln angesetzt werden dürfe.
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Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
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den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 6. März 2023 aufzuheben und entsprechend ihren Anträgen vor dem Verwaltungsgericht, die von der Antragsgegnerin betriebene Zwangsvollstreckung aus den Bescheiden vom 9. September 2022 und vom 12. Oktober 2022 vorläufig einzustellen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Es sei fraglich, ob die Beschwerde die Darlegungsanforderungen erfülle, da sich die Beschwerdebegründung in weiten Teilen jenseits des entscheidungserheblichen Sachverhalts bewege. Die Antragstellerin erhebe nur pauschale Kritik an der erstinstanzlichen Bewertung, ohne sich inhaltlich mit den Gründen und der Würdigung des Verwaltungsgerichts auseinanderzusetzen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Die Beschwerde bleibt erfolglos.
16
Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben oder abzuändern wäre. Soweit sich die Klägerin gegen die Bescheide vom 9. September 2022 und 12. Oktober 2022 wendet, handelt es sich um Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO; soweit sich die Klägerin gegen Mitteilung der Fälligkeit des Zwangsgeldes in Höhe von 1.000 Euro aus dem Bescheid vom 9. September 2022 wendet, begehrt sie einstweiligen Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO (vgl. Giehl/Adolph/Käß, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Stand Januar 2023, Art. 31 Anm. VIII.2.). Die von der Antragstellerin in Zweifel gezogene ordnungsgemäße Vertretung der Antragsgegnerin durch den unterzeichnenden städtischen Juristen im gerichtlichen Verfahren ist weder nachvollziehbar noch entscheidungserheblich.
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1. Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Anträge auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 21. November 2022 gegen die Bescheide vom 9. September 2022 und vom 12. Oktober 2022 bleibt erfolglos.
18
Im Rahmen eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO – wie hier gegen die Bescheide vom 9. September 2022 und vom 12. Oktober 2022 – trifft das Gericht aufgrund der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene Ermessensentscheidung darüber, ob die öffentlichen Interessen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, oder die privaten Interessen, die für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung streiten, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Diese sind ein wesentliches, aber nicht das alleinige Indiz für und gegen den gestellten Antrag. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein (weil er zulässig und begründet ist), so wird regelmäßig nur die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben (weil er unzulässig oder unbegründet ist), so ist dies ein starkes Indiz für die Ablehnung des Antrags auf Wiederherstellung des Suspensiveffekts. Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2022 – 15 CS 22.1998 – juris Rn. 25).
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a) Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gegen den Bescheid vom 9. September 2022 abgelehnt, da der Bescheid bestandskräftig geworden sei. Der Bescheid vom 9. September 2022 sei mittels Empfangsbekenntnis nach Art. 41 Abs. 5 BayVwVfG, Art. 1 Abs. 5, Art. 5 Abs. 2 Satz 1, 2 Nr. 3 VwZVG i.V.m. § 180 Satz 1 ZPO am 12. September 2022 unter der Wohnadresse der Antragstellerin durch Einlegung in den Briefkasten zugestellt worden. Das Empfangsbekenntnis erbringt hierbei nach § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen (vgl. Häublein/Müller in Münchner Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 180 Rn. 8). Zwar ist ein qualifizierter Gegenbeweis nach § 418 Abs. 2 ZPO möglich, der Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen erfordert allerdings den vollen Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehens, der damit ein Fehlverhalten des Zustellers und eine objektive Falschbeurkundung belegt (vgl. BGH, U.v. 10.11.2005 – III ZR 104/05 – juris Rn. 12; BFH, B.v. 10.11.2003 – VII B 366/02 – juris Rn. 10 m.w.N.). Die bloße Behauptung, das Schriftstück nicht erhalten zu haben, genügt hierfür ebenso wenig (vgl. Häublein/Müller in Münchner Kommentar zur ZPO, a.a.O., § 180 Rn. 8), wie die bloße Erschütterung der Angaben (vgl. BGH, B.v. 25.9.2018 – XI ZB 6/17 – juris Rn. 6). Zwar ist bei einem Bestreiten des Zugangs an sich eine weitere Substantiierung typischerweise nicht möglich (vgl. BVerwG, U.v. 21.9.2022 – 8 C 12.21 – juris Rn. 16 – zu § 41 Abs. 2 Satz 3 VwVfG). Gleichwohl lässt die fehlerhafte Anschrift auf dem in den Akten befindlichen Entwurf des Bescheids vom 9. September 2022 gegenüber dem Empfangsbekenntnis über die Zustellung am 12. September 2022 (Bl. 23 der Behördenakte) unter Berücksichtigung des Vermerks über die Handhabung der Zustellung bei fehlerhafter Adressierung (Bl. 24 der Behördenakte), worauf auch das Verwaltungsgericht abgestellt hat, nicht den Schluss zu, dass der Bescheid in den falschen Briefkasten an der falschen Adresse eingelegt worden wäre, zumal sich auf dem Empfangsbekenntnis die zutreffende Adresse befindet. Insoweit unterscheidet sich die Zustellung nach Art. 5 VwZVG erheblich von der Bekanntgabe mittels einfachen Briefes, bei der gerade keine öffentliche Urkunde über den Zustellvorgang existiert. Die Hinweise der Antragstellerin auf die fehlerhafte Adressangabe auf den Annahmeanordnungen (Bl. 25 und 45 der Behördenakte) und auf dem ersten Entwurf der Fälligkeitsmitteilung und der erneuten Zwangsgeldandrohung vom 12. Oktober 2022 (Bl. 34 der Behördenakte), das unterschiedliche Vorgehen der Antragsgegnerin (undatierter Vermerk über das Vorgehen bei fehlerhafter Adressierung zum Bescheid vom 9.9.2022 [Bl. 24 der Behördenakte] gegenüber erneuter Entwurfserstellung mit korrigierter Adresse und Anbringen von Vermerken über die fehlerhafte Adressierung beim Schriftsatz vom 12.10.2022 [Bl. 34 und 39 der Behördenakte]) sowie die zeitlichen Aspekte (Auslauf und Zustellung des Bescheids vom 9.9.2022 [Freitag] am 12.9.2022 [Montag] gegenüber einem ersten Auslauf des Schriftstücks vom 12.10.2022 am 13.10.2022 [Donnerstag] sowie Auslauf der korrigierten Fassung am 18.10.2022 [Dienstag] und Zustellung mittels Empfangsbekenntnis durch Einlegung in den Briefkasten der Wohnanschrift am 19.10.2022 [Bl. 42 der Behördenakte]) mögen Anlass geben, dies im Hauptsacheverfahren näher aufzuklären. Der Gegenbeweis ist allein damit jedoch nicht erbracht, zumal das Widerspruchsschreiben der Antragstellerin vom 24. Oktober 2022 – auch gegen den Bescheid vom 9. September 2022 – keinen Hinweis darauf enthält, dass sie diesen nicht erhalten hätte und die Antragstellerin auch nicht angibt, wann ihr der Bescheid vom 9.9.2022 tatsächlich zugegangen ist (vgl. Art. 9 VwZVG).
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Die Frage der ordnungsgemäßen Zustellung kann hier aber letztlich offenbleiben, da die Beschwerde auch in dem Fall, dass die Antragstellerin fristgerecht Klage gegen den Bescheid vom 9. September 2022 erhoben haben sollte, voraussichtlich erfolglos bleibt. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, wie sie das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnet, ist der Bescheid vom 9. September 2022 voraussichtlich rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), so dass die Klage in der Hauptsache erfolglos bleiben wird. Dem Beschwerdevorbringen lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Der Einwand der Antragstellerin, sie sei vor Erlass des Bescheids vom 9. September 2022 nicht angehört worden (Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG), steht sowohl im Widerspruch zur Aktenlage (Bl. 17 der Behördenakte) als auch zu ihren eigenen weiteren Ausführungen. Im Übrigen bedarf es im Rahmen der Anhörung keiner Mitteilung, welche Entscheidung aufgrund des ermittelten Sachverhalts konkret getroffen werden soll, soweit – wie hier – der Inhalt bzw. Zweck der geplanten Entscheidung erkennbar und dem Betroffenen klar ist, weshalb und wozu die Äußerung erfolgen soll (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2016 – 9 CS 16.191 – juris Rn. 11). Die Antragsgegnerin hat die Anordnung der Baustellenabsicherung auch zutreffend auf Art. 54 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 BayBO gestützt, wonach Baustellen so einzurichten sind, dass keine Gefahren entstehen. Zwar erfolgen aktuell keine Bautätigkeiten am Gebäude der Antragstellerin und sind weder Baumaterialien noch Baumaschinen vor Ort, das Bestreiten einer Baustelle durch die Antragstellerin geht gleichwohl fehl. Maßgeblich hierfür ist eine Beurteilung im Einzelfall. Auch wenn derzeit aus den von der Antragstellerin angeführten familiären und finanziellen Gründen sowie aufgrund von Unstimmigkeiten mit den Bauausführenden keine Bautätigkeiten erfolgen, liegt gleichwohl eine Baustelle auf dem Grundstück der Antragstellerin vor. Denn bei dem Rohbau, zu dem die Zugänge zu verschließen und an dem Absturzsicherungen anzubringen sind, handelt es sich hier – unabhängig vom konkreten Bauzustand – um ein Gebäude i.S.d. Art. 2 Abs. 2 BayBO, das bei Weitem nicht fertig gestellt ist. Es befindet sich vielmehr im Rohbauzustand und bedarf zahlreicher weiterer Gewerke und Baumaßnahmen, um eine Nutzungsaufnahme zu ermöglichen. Unabhängig davon, würden im Übrigen die allgemeinen Anforderungen des Art. 3 BayBO zum Tragen kommen (Kraus in Busse/Kraus, BayBO, Stand Januar 2023, Art. 9 Rn. 16), um erforderliche Maßnahmen im Zusammenhang mit dem bestehenden (unfertigen) Wohngebäude auf dem Grundstück der Antragstellerin begründen zu können.
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Die Antragstellerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, es liege keine Gefahr vor. Ausweislich der E-Mail-Nachricht ihres Nachbarn spielten in dem Rohbau Kinder. Zwar wird dies von der Antragstellerin unter Hinweis auf ein gestörtes nachbarschaftliches Verhältnis als Denunziation bewertet, Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO rechtfertigt aber bereits ein Einschreiten, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt werden, ohne dass eine konkrete Gefahr vorliegt (vgl. Weber in Schwarzer/König, BayBO, 5. Auflage 2022, Art. 54 Rn. 15). Unabhängig davon ist das Gebäude jedenfalls objektiv nicht vor dem Zutritt Unbefugter gesichert und sind bodentiefe Fenster sowie Bodenöffnungen ohne Weiteres objektiv geeignet, zu erheblichen Verletzungen bei Menschen zu führen. Das Grundstück der Antragstellerin ist auch keineswegs so abgeschieden oder sonst abgesichert, dass in keinem Fall mit einem unbefugten Betreten Dritter zu rechnen wäre. Insbesondere bei einer Gefährdung von Leben und Gesundheit von Personen, sind zudem keine allzu hohen Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts zu stellen (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2020 – 15 ZB 19.1024 – juris Rn. 14 m.w.N.).
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Das Verwaltungsgericht hat ferner ausgeführt, dass die Anordnung vom 9. September 2022 dem Bestimmtheitsgebot des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG genüge und keine Nichtigkeit wegen Unmöglichkeit i.S.d. Art. 44 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG vorliege (BA S. 10). Dem tritt das Beschwerdevorbringen schon nicht substantiiert entgegen, so dass insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen werden kann (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
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Die Einwendungen der Antragstellerin gegen die Zwangsgeldandrohung im Bescheid vom 9. September 2022 beschränken sich auf die Fristsetzung von einer Woche, die die Antragstellerin für unverhältnismäßig erachtet, weil sie die Maßnahmen nicht selbst ausführen könne und keine Baufirma vorhanden sei. Auch angesichts verschiedener Handlungsmöglichkeiten ergeben sich hieraus jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die angeordneten Sicherungsmaßnahmen nicht fristgerecht ausgeführt werden könnten. Zudem sind kurze Fristen bei erheblicher Gefahr für hochwertige Schutzgüter – wie hier Leben und Gesundheit – regelmäßig erforderlich (vgl. BayVGH, B.v. 20.5.2009 – 14 CS 09.478 – juris Rn. 21).
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Soweit sich die Antragstellerin gegen die im Bescheid vom 9. September 2022 festgesetzte Gebühr in Höhe von 150 Euro wendet, ist dies ebenfalls unbegründet. Rechtsgrundlage der Gebührenbemessung ist hier Art. 6 Abs. 1 Satz 1 KG i.V.m. Tarif-Nr. 2.I.1 / 1.45 des Kostenverzeichnisses (KVz) mit einem Rahmen von 25 Euro bis 2.500 Euro. Dabei kann bei der Festsetzung auch der Verwaltungsaufwand infolge notwendiger Ortstermine des Baukontrolleurs Berücksichtigung finden (vgl. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 KG). Ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln (Art. 16 Abs. 5 KG) wird von der Antragstellerin nicht dargelegt.
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b) Den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gegen den Bescheid vom 12. Oktober 2022 hat das Verwaltungsgericht abgelehnt, weil die erneute Zwangsgeldandrohung rechtmäßig sei und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletze (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Antragstellerin sei ihrer Verpflichtung zur Sicherung der Baustelle aus dem Bescheid vom 9. September 2022 bislang nicht nachgekommen (Art. 37 Abs. 1 Satz 1 VwZVG). Dem tritt die Beschwerde nicht substantiiert entgegen, zumal die Antragstellerin übersieht, dass nach Nr. 1 des Bescheids vom 9. September 2022 nicht nur die Zugänge zum Rohbau zu verschließen, sondern auch an bodentiefen Fenstern etc. Absturzsicherungen anzubringen sind. Könnte beim ersten Punkt noch im Rahmen des Hauptsacheverfahrens genauer zu klären sein, ob die von der Antragstellerin ergriffenen Maßnahmen (Absperrbänder und Absperrgitter) den Anforderungen genügen, setzt sich die Antragstellerin mit den fehlenden Absturzsicherungen überhaupt nicht auseinander.
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Hinsichtlich der Frist im Bescheid vom 12. Oktober 2022 stellt das Verwaltungsgericht darauf ab, dass die Verpflichtung der Antragstellerin bereits seit einer Woche feststand und der Zeitraum von zwei Tagen (zwischen Zustellung und gesetztem Termin) zwar knapp bemessen, aber angesichts der seit geraumer Zeit ungesicherten sowie zwischenzeitlich bereits teilweise gesicherten Baustelle selbst zu bewerkstelligen gewesen wäre (BA S. 11). Dem setzt die Beschwerde außer der bloßen Wiederholung der Behauptung, die Frist sei unverhältnismäßig, nichts entgegen.
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Schließlich verfangen auch die Einwände gegen die festgesetzte Gebühr im Bescheid vom 12. Oktober 2022 nicht. Rechtsgrundlage hierfür ist Art. 6 Abs. 1 Satz 1 KG i.V.m. Tarif-Nr. 1.I.8 / 1 KVz mit einer Rahmengebühr von 12,50 Euro bis 150 Euro. Zwar geht das Verwaltungsgericht hier irrtümlich von 150 Euro anstelle der tatsächlich festgesetzten 100 Euro aus (BA S. 12), gleichwohl lässt sich der Beschwerde unter Berücksichtigung des Verwaltungsaufwands (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 KG) über die bloße Behauptung hinaus keine Unverhältnismäßigkeit oder unrichtige Sachbehandlung (Art. 16 Abs. 5 KG) entnehmen.
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2. Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung bleibt ebenfalls erfolglos.
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Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist, dass einerseits ein materieller Anspruch (sog. Anordnungsanspruch) glaubhaft gemacht wird (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V. mit § 920 Abs. 2 ZPO), auf den sich die vorläufige Regelung beziehen soll – hier die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung. Andererseits sind die Gründe glaubhaft zu machen, die eine vorläufige Regelung im Wege einer gerichtlichen Eilentscheidung nötig machen (sog. Anordnungsgrund). Der Anordnungsgrund erfordert hierbei gerade die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung bis zum rechtskräftigen Abschluss der Entscheidung über die Hauptsache (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2023 – 15 CE 22.2689 – juris Rn. 12).
30
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass das angedrohte Zwangsgeld fällig geworden sei, weil die Antragstellerin gegen die in Nr. 1 des Bescheids vom 9. September 2022 angeordnete Verpflichtung zur Sicherung der Baustelle verstoßen habe (BA S. 13). Hiergegen wendet die Antragstellerin ein, dass sie dem durch die Anbringung von Gittern und Absperrbändern nachgekommen sei. Zwar ist nach Art. 37 Abs. 4 Satz 1 VwZVG die Anwendung von Zwangsmitteln einzustellen, sobald der Pflichtige seiner Verpflichtung nachkommt, auch wenn dies erst nach Fälligkeit erfolgt (Giehl/ Adolph/Käß in Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, a.a.O., Art. 37 Anm. IV.2.). Hierbei kann offenbleiben, ob die von der Antragstellerin durchgeführten Maßnahmen (Absperrbänder und Absperrgitter) ausreichend sind, die Zugänge zu verschließen, denn zu den vom Verwaltungsgericht ebenfalls angeführten fehlenden Absturzsicherungen (BA S. 14) verhält sich die Beschwerde nicht.
31
Darüber hinaus fehlt es am Anordnungsgrund. Die erforderliche Dringlichkeit für eine einstweilige Anordnung setzt voraus, dass es der Antragstellerin unter Berücksichtigung ihrer Interessen nicht zumutbar wäre, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (vgl. BayVGH, B.v. 16.4.2019 – 15 CE 18.2652 – juris Rn. 23 f.). Die Beschwerde legt jedoch nichts dar, warum es der Antragstellerin nicht zumutbar sein sollte, das fällig gestellte Zwangsgeld zunächst zu bezahlen und, sollte es sich im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen, gemäß Art. 39 Satz 1 VwZVG wieder zurückzufordern. Ein hierdurch entstehender irreparabler oder schwerwiegender Schaden ist weder ersichtlich noch wurde ein solcher geltend gemacht oder dargelegt (vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2008 – 9 CE 08.625 – juris Rn. 5).
32
3. Mangels ausreichender Erfolgsaussichten der Klage der Antragstellerin in der Hauptsache fällt die Interessenabwägung zu ihren Lasten aus. Dies gilt auch, wenn im Hinblick auf eine eventuelle Beweiserhebung zur Frage der ordnungsgemäßen Zustellung des Bescheids vom 9. September 2022 oder der Frage, ob die Zugänge zum Rohbau ausreichend verschlossen sind, von (teilweise) offenen Erfolgsaussichten auszugehen sein sollte. Denn jedenfalls sind unter Berücksichtigung der gesetzlichen Wertung des Art. 21a VwZVG (vgl. BayVGH, B.v. 8.7.2021 – 15 CS 21.1642 – juris Rn. 16) sowie der Gefahrenlage und der betroffenen hohen Schutzgüter (Leben und Gesundheit) keine wesentlichen Nachteile für die Antragstellerin im Falle der Einhaltung der Anordnung zur Baustellensicherung zu erwarten. Im Übrigen besteht gegebenenfalls ein Anspruch auf Beseitigung der Vollstreckungsfolgen gem. Art. 39 Satz 1 VwZVG, so dass auch deswegen kein Nachteil zu erwarten ist, weil nichts Unabänderliches bewirkt wird (vgl. BVerwG, B.v. 14.4.2005 – 4 VR 1005.04 – juris Rn. 12).
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.1.1, 1.5, 1.7.1 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).