Titel:
keine Zulassung der Berufung mangels Darlegung
Normenketten:
AsylG § 3, § 4, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erfordert eine rechtliche Aufarbeitung der Grundsatzfrage nach Maßgabe des Urteils des Verwaltungsgerichts, dh eine Durchdringung der Materie und eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Türkei, Kurde, Alevit, HDP
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 31.03.2023 – Au 3 K 22.30334
Fundstelle:
BeckRS 2023, 12051
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 31. März 2023 – Au 3 K 22.30334 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
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Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 31. März 2023 ist abzulehnen. Gründe nach § 78 Abs. 3 AsylG, aus denen die Berufung zuzulassen ist, sind nicht dargelegt.
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Zur Begründung seines Zulassungsantrags trägt der Kläger vor, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Es seien die Fragen zu klären,
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„ob für türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit und alevitischen Glaubens innerhalb des Landes Türkei eine hinreichend große Wahrscheinlichkeit existiert, landesweit von staatlichen oder hilfsweise nichtstaatlichen Akteuren i. S. d. § 3c Nr. 3 AsylG auf asylerhebliche Weise aufgrund ihrer Rasse oder der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG verfolgt zu werden oder ob diese auf eine interne Schutzmöglichkeit i. S. d. § 3e AsylG verwiesen werden können“ und
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„ob türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit und alevitischen Glaubens innerhalb des Landes Türkei begründete Furcht vor einer landesweiten Verfolgung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure i. S. d. § 3c Nr. 3 AsylG wegen ihrer politischen Überzeugung haben müssen.“
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Die Kurden und Aleviten in der Türkei würden bereits seit Jahrzehnten diskriminiert, verfolgt und getötet. Diese Verfolgung erstrecke sich mittlerweile auch auf die politischen Vertreter der Kurden, die HDP (tagesspiegel.de). Der türkische Staat führe einen erbitterten Kampf gegen seine eigene Bevölkerung, so etwa 2016 in Cizre (heise.de). Er weise auf die Zusammenarbeit zwischen Vertretern des türkischen Staates und rassistischen Extremisten hin. Auch der türkische Staat agiere inzwischen teilweise offen rassistisch: Die Kurden hätten in ihrer Geschichte eine lange Reihe von Massakern und Genoziden zu verzeichnen, beispielsweise die Operation Anfal des Saddam-Regimes und den Genozid an den jesidischen Kurden 2014, verübt durch den IS. Schon in der Staatsgründung der Republik Türkei sei der antikurdische Rassismus fest verankert. In der Türkei gebe es eine lange Geschichte antikurdischer Gewalttaten, beispielsweise der Dersim-Genozid 1938, oder in den 90er Jahren (taz.de). Im Urteil habe das Verwaltungsgericht zudem die Voraussetzungen von § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG verneint. Dem sei zu widersprechen. Die Türkei sei kein Rechtsstaat mehr. Das Auswärtige Amt warne deutsche Türkeireisende (auswaertiges-amt.de). Die türkische Regierung habe seit dem Putschersuch eine nationalistische Atmosphäre geschaffen (zdf.de v. 9.11.2018). Viele der Freiheitseinschränkungen und Repressionsmaßnahmen rechtfertige die Regierung mit der Notwendigkeit, den Terrorismus zu bekämpfen. Die Verfahren gegen die HDP-Abgeordneten stützten sich überwiegend auf angebliche Verstöße gegen Anti-Terror-Gesetze. Als Grundlage für strafrechtliches Vorgehen gegen Journalisten werde häufig ebenfalls der Terrorismusbestand bzw. der Vorwurf der Propaganda für terroristische Organisationen angeführt (Lagebericht AA v. 4.1.2017; ZEIT Online v. 26.12.2016, 30.12.2016, 27.02.2017; landesrechtbw.de v. 9.11.2018). Offiziell seien knapp 68.000 Personen aus unterschiedlichen Ministerien und Behörden suspendiert oder entlassen worden (Stand: 27.7.2016). Die derzeitige Regierung bediene sich der Hassrede und Diskriminierung von Aleviten. Die türkische Justiz werde in starkem Maße von der politischen Exekutive beeinflusst, was nach dem Putschversuch im Juli 2016 weiter zugenommen habe (SFH v. 19.5.2017). Trotz Aufhebung des Ausnahmezustands sei eine Rückkehr zur Normalität nicht zu erwarten (spiegel.de v. 8./9.11.2018). Derzeit sei die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei unterhöhlt und somit nicht mehr gewährleistet (SFH v. 18.5.2017).
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Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 36). Die Grundsatzfrage muss nach Maßgabe des Verwaltungsgerichtsurteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie und eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2019 – 13a ZB 19.30070 – juris Rn. 5; B.v. 21.12.2018 – 13a ZB 17.31203 – juris Rn. 4; B.v. 13.8.2013 – 13a ZB 12.30470 – juris Rn. 4 m.w.N.).
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Der Zulassungsantrag genügt nicht den Darlegungsanforderungen aus § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG.
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Soweit die ausformulierten Fragen des Klägers darauf abzielen, ob bei türkischen Kurden und Aleviten von einer Verfolgung wegen ihrer Rasse, ihrer politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (§ 3 Abs. 1 AsylG) auszugehen sei, fehlt es an einer hinreichenden rechtlichen Aufarbeitung dieser Fragen. Das Verwaltungsgericht hat unter Hinweis auf Rechtsprechung aus den Jahren 2019, 2020 und 2022 ausgeführt, dass eine Gruppenverfolgung von Kurden oder Aleviten nicht vorliege. Der Kläger führt hierzu lediglich (undatierte) Erkenntnismittel an, die sich im Wesentlichen mit Ereignissen in den Jahren 2016, 2014, 1938 und den 1990er-Jahren befassen. Damit ist nicht dargelegt, dass sich die aktuelle Situation gegenüber jener zum Zeitpunkt der vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidungen verschlechtert haben könnte (vgl. zu den Darlegungsvoraussetzungen bei einer auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützten Grundsatzrüge: BayVGH, B.v. 4.4.2019 – 13a ZB 18.30490 – juris Rn. 6 m.w.N.; OVG Saarl, B.v. 8.5.2019 – 2 A 166/19 – juris Rn. 13; OVG NW, B.v. 18.2.2019 – 13 A 4738/18.A – juris Rn. 5). Es fehlt an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, von einer Durchdringung der Materie kann keine Rede sein.
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Soweit der Kläger auch danach fragt, ob türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit und alevitischen Glaubens gemäß § 3e AsylG auf eine interne Schutzmöglichkeit verwiesen werden können, verfehlt er ebenso die Darlegungsanforderungen (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Er setzt sich mit dieser Frage im Zulassungsantrag nicht auseinander. Unbeschadet dessen war diese Frage für das Verwaltungsgericht auch nicht entscheidungserheblich.
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Auch soweit sich der Kläger im Zulassungsantrag mit § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG und in diesem Zusammenhang vor allem mit der Rechtsstaatlichkeit der Türkei befasst, hat er nicht hinreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG), dass der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt. Er hat diesbezüglich schon keine Frage abstrakt ausformuliert, sondern lediglich Kritik am erstinstanzlichen Urteil geübt. Letztlich hat er lediglich im Stile einer Berufungsbegründung vorgebracht, warum aus seiner Sicht das Urteil des Verwaltungsgerichts zu den Abschiebungsverboten unzutreffend sei. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils stellen jedoch keinen Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 AsylG dar.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.