Titel:
Ablehnung von Prozesskostenhilfe nach Erlass der Hauptsacheentscheidung
Normenketten:
VwGO § 146, § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
BayPAG Art. 17 Abs. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Im Rechtsmittelverfahren der Beschwerde gilt, dass nach rechtskräftigem Abschluss des zugrundeliegenden Hauptsacheverfahrens ein in der Erstinstanz rechtzeitig gestelltes und mit den erforderlichen Unterlagen eingereichtes Prozesskostenhilfegesuch nicht anders zu beurteilen ist, als wenn die erste Instanz darüber bei Entscheidungsreife sogleich entschieden hätte. Denn auf den Zeitpunkt der Entscheidung hat der Antragsteller regelmäßig keinen Einfluss, und es darf ihm nicht zum Nachteil gereichen, wenn die Erstinstanz über sein Gesuch erst so spät entscheidet, dass eine Klärung in der Rechtsmittelinstanz vor Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr erreicht werden kann. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Insbesondere darf Antragsteller nicht angelastet werden, dass er in Bezug auf die Hauptsache mögliche Rechtsmittel nicht ergriffen beziehungsweise mögliche Verfahrenshandlungen nicht vorgenommen hat, da er das Risiko, mit den Kosten der weiteren Prozessführung belastet zu werden, mangels abschließender Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch nicht hinzunehmen braucht. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde, Prozesskostenhilfe, Klage, Kosten, Schutzgewahrsam, Erfolgsaussicht, Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung, Erstinstanz, Rechtsmittel
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 27.03.2023 – M 23 K 22.3694
Fundstelle:
BeckRS 2023, 12042
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
1
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 27. März 2023, mit dem dieses seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Klage gerichtet auf Aufhebung einer Kostenfestsetzung für eine Ingewahrsamnahme nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 PAG in Höhe von 65,- Euro abgelehnt hat.
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1. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers abgelehnt hat.
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a) Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dies ist der Fall, wenn das Gericht den vorgetragenen Rechtsstandpunkt der um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Partei bei summarischer Prüfung für vertretbar erachtet und eine entsprechende Beweisführung unter Berücksichtigung des Amtsermittlungsgrundsatzes und der materiellen Darlegungs- und Beweislast möglich erscheint (vgl. Reichling in Vorwerk/Wolf, ZPO, 48. Aufl., Stand: 1.3.2023, § 114, Rn. 28 m.w.N.). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Bewilligungsreife, der gegeben ist, sobald die vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen vorliegen und die Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme angehört worden ist (vgl. BayVGH. B.v. 27.5.2019 – 10 C 19.315 – juris Rn. 6 m.w.N.).
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Im Rechtsmittelverfahren der Beschwerde gilt, dass nach rechtskräftigem Abschluss des zugrundeliegenden Hauptsacheverfahrens ein in der Erstinstanz rechtzeitig gestelltes und mit den erforderlichen Unterlagen eingereichtes Prozesskostenhilfegesuch nicht anders zu beurteilen ist, als wenn die erste Instanz darüber bei Entscheidungsreife sogleich entschieden hätte. Denn auf den Zeitpunkt der Entscheidung hat der Antragsteller regelmäßig keinen Einfluss, und es darf ihm nicht zum Nachteil gereichen, wenn die Erstinstanz über sein Gesuch erst so spät entscheidet, dass eine Klärung in der Rechtsmittelinstanz vor Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr erreicht werden kann (vgl. BGH, B.v. 7.3.2012 – XII ZB 391/10 – juris Rn. 16). Insbesondere darf ihm nicht angelastet werden, dass er in Bezug auf die Hauptsache mögliche Rechtsmittel nicht ergriffen beziehungsweise mögliche Verfahrenshandlungen nicht vorgenommen hat, da er das Risiko, mit den Kosten der weiteren Prozessführung belastet zu werden, mangels abschließender Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch nicht hinzunehmen braucht (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 166 Rn. 27a m.w.N.).
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b) Gemessen daran ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen. Zwar hat der Kläger in erster Instanz vollständige Prozesskostenhilfeunterlagen vorgelegt (vgl. VG München, Beiakte Prozesskostenhilfe, Bl. 2 ff.), und die zugrundeliegende Hauptsache hat mit dem den Beteiligten bekannten Beschluss des Senats ebenfalls vom 11. Mai 2023 in dem Verfahren 10 ZB 23.722 seinen rechtskräftigen Abschluss gefunden. Allerdings bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung zum maßgeblichen Zeitpunkt bei summarischer Prüfung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
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aa) Der Senat verweist hierbei zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die Gründe des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts.
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bb) Darüber hinaus gilt lediglich ergänzend Folgendes:
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Nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2 Buchst. a) KG sind Amtshandlungen der Polizei zur Erfüllung ihrer Aufgaben, soweit sie beantragt oder sonst veranlasst sind und nicht überwiegend im öffentlichen Interesse vorgenommen werden, kostenpflichtig.
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Danach ist der Kläger, der aufgrund Trunkenheit und Hilfslosigkeit Adressat der polizeilichen Maßnahme des Schutzgewahrsams des Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 PAG geworden ist, auch als Kostenschuldner anzusehen. Der Begriff der Veranlassung setzt keine Geschäftsfähigkeit voraus. Dass der unter Betreuung stehende Kläger alkoholabhängig und „in akuten krankheitsbedingten Zuständen nicht zu einer adäquaten Verhaltenssteuerung in der Lage“ ist, wie die Klägerseite argumentiert, ändert daran nichts.
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Die Kostenpflicht erstreckt sich auch auf die polizeiliche Maßnahme des Schutzgewahrsams nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 PAG (vgl. Nr. 35.1 Satz 1 GVOPol: „In den Fällen des Art. 17 PAG werden Kosten nach dem Kostengesetz nach Maßgabe der KR-Pol …erhoben“ u. Anlage zu den KR-Pol, Tätigkeiten der Polizei, für die Kosten oder andere öffentlich-rechtliche Geldleistungen zu erheben sind, Stand: 1.10.2021, Nr. 33: „Gewahrsam … von alkoholisierten Personen“ u. Nr.33.1: „Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 PAG“, „im Regelfall 65 Euro“). Die Ingewahrsamnahme von Personen nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 PAG, die sich − bedingt durch Alkohol – „erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage“ befinden, bildet einen Hauptanwendungsfall dieser Norm. Die Verwirklichung der Norm setzt die fehlende Geschäftsfähigkeit des Betroffenen gleichsam voraus. Dabei bestreitet die Klägerseite auch nicht die Rechtmäßigkeit des Schutzgewahrsams, die nach Art. 16 Abs. 5 KG Voraussetzung für die Kostenerhebung ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat (vgl. UA S. 3).
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Zwar kann von der Erhebung der Kosten nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 Satz 3 KG abgesehen werden, wenn sie der Billigkeit widerspricht. Für das Vorliegen einer unbilligen Härte zeigt die Klägerseite jedoch auch im Beschwerdeverfahren keine hinreichenden Anhaltspunkte auf. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht keine besonderen Umstände erkannt, welche die Annahme einer solchen unbilligen Härte und demgemäß ein zwingendes Absehen von der Kostenerhebung gebieten würden (vgl. UA S. 4).
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Billigkeitsgründe liegen vor, wenn es sich um einen atypischen, vom Normgeber so nicht vorhergesehenen Fall handelt, in dem durch die Kostenerhebung für den Betroffenen außergewöhnlich schwerwiegende Nachteile entstehen, die über die eigentliche Zahlung der Kosten hinausgehen, so dass es zur Wahrung der Einzelfallgerechtigkeit geboten ist, von der Kosteneinziehung abzusehen. Gemessen daran ist nicht dargetan oder anderweitig ersichtlich, dass im vorliegenden Fall zwingend von der Kostenerhebung abzusehen wäre. Es ist kein untypischer Fall, dass eine alkoholsüchtige Person wegen Trunkenheit und Hilfsbedürftigkeit Adressat der polizeilichen Maßnahme des Schutzgewahrsams wird (s.o.). Eine auf der Alkoholsucht basierende Schwerbehinderung (GdB 50) hat die Klägerseite lediglich behauptet, jedoch nicht näher konkretisiert und auch nicht nachgewiesen. Gleichzeitig ergibt sich aus dem Umstand, dass der Kläger nachweislich Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB-II-Leistungen) bezieht, dass er als grundsätzlich arbeitsfähig angesehen wird. Der Leistungsbezug selbst begründet ebenfalls keinen untypischen Fall. Angesichts der Höhe der festgesetzten Gebühr von 65,- Euro ist schließlich − auch unter Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse des Klägers − nicht zu erkennen, dass dieser außergewöhnlich schwerwiegende Nachteile zu gewärtigen hätte, zumal die Möglichkeit einer Stundung oder einer Ratenzahlung der Kostenschuld besteht, worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat (vgl. UA S. 4).
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Soweit die Klägerseite rügt, die Rechtsmittelbelehrungin dem Leistungsbescheid sei unvollständig gewesen, weil darin nur auf die Möglichkeit der Klageerhebung hingewiesen worden sei, so dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht darauf hingewiesen habe, dass der Kläger nicht bei dem Beklagten darum nachgesucht hätte, von der Kostenforderung abzusehen, geht dies an der Sache vorbei. Zum einen kommt es darauf nicht an, weil das Verwaltungsgericht seine Entscheidung nicht tragend darauf gestützt hat (vgl. UA S. 4). Zum anderen wurde der Klägerseite zuvor in der Kostenrechnung ausdrücklich Gelegenheit gegeben, sich „zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern“ (vgl. VG München, Gerichtsakte, Bl. 26). Davon hat sie indes ohne Angabe von Gründen keinen Gebrauch gemacht. Dass und inwieweit in der Rechtsmittelbelehrungweitere Ausführungen verlasst gewesen sein sollen, ist weder dargelegt noch anderweitig ersichtlich.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Anders als das Prozesskostenhilfeverfahren erster Instanz ist das Beschwerdeverfahren in Prozesskostenhilfesachen kostenpflichtig. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil gemäß Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG eine Festgebühr anfällt. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.
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3. Diese Entscheidung ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.