Inhalt

VGH München, Beschluss v. 16.05.2023 – 10 C 22.2424
Titel:

Keine Erledigung im Prozesskostenhilfeverfahren

Normenketten:
VwGO § 92 Abs. 3 S. 1, § 161 Abs. 2
ZPO § 114
BGB § 140
Leitsätze:
1. Die Einstellung aufgrund übereinstimmender Erledigterklärungen setzt nach § 161 Abs. 2 VwGO ein kontradiktorisches Verfahren voraus („Rechtsstreit“). Daran fehlt es beim Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Abgabe einer Erledigterklärung kann allerdings in entsprechender Anwendung des § 140 BGB in eine Rücknahme der Prozesskostenhilfebeschwerde umgedeutet werden. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfeantrag, Beschwerde, Erledigung, kontradiktorisches Verfahren, Umdeutung, Rücknahme des Rechtsmittels
Fundstellen:
BayVBl 2023, 570
LSK 2023, 12041
BeckRS 2023, 12041

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt.

Gründe

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1. Das Verfahren ist entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, weil die mit Schriftsatz des Bevollmächtigten der Klägerin vom 8. Mai 2023 (Eingang am 12.5.2023) in Bezug auf das streitgegenständliche Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren abgegebene „Erledigterklärung“ als Rücknahme der Prozesskostenhilfebeschwerde anzusehen ist.
2
Die Einstellung aufgrund übereinstimmender Erledigterklärungen setzt nach § 161 Abs. 2 VwGO ein kontradiktorisches Verfahren voraus („Rechtsstreit“). Bei einer Prozesskostenhilfeangelegenheit handelt es sich jedoch um ein nichtstreitiges, dem Charakter nach der staatlichen Daseinsfürsorge zuzurechnendes Antragsverfahren, in dem sich als Beteiligte nur der Antragsteller und das Gericht als Bewilligungsstelle gegenüberstehen. Dies gilt auch für die Beschwerde gegen eine die Bewilligung von Prozesskostenhilfe versagende Entscheidung. Das Ziel, der Gegenseite die Kosten auferlegen zu lassen, lässt sich im Prozesskostenhilfeverfahren nicht verwirklichen (vgl. BGH, B.v. 15.7.2009 – I ZB 118/08 – juris Rn. 5).
3
Die Abgabe einer Erledigterklärung kann allerdings in entsprechender Anwendung des § 140 BGB in eine Rücknahme der Prozesskostenhilfebeschwerde umgedeutet werden. Danach gilt auch im Verfahrensrecht der Grundsatz, dass eine fehlerhafte Prozesshandlung in eine zulässige und wirksame Prozesserklärung umzudeuten ist, wenn deren Voraussetzungen eingehalten sind, die Umdeutung dem mutmaßlichen Parteiwillen entspricht und kein schutzwürdiges Interesse entgegensteht (vgl. BayVGH, B.v. 19.8.2021 – 19 C 21.1644 – juris Rn. 4 m.w.N.).
4
So liegt der Fall hier. Insbesondere entspricht die vorgenannte Umdeutung dem mutmaßlichen Interesse der Klägerin. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat mit dem Schriftsatz vom 8. Mai 2023 zum Ausdruck gebracht, dass an einer Entscheidung über die Prozesskostenhilfebeschwerde kein Interesse mehr besteht. Ziel war mithin die Beendigung des Prozesskostenhilfeverfahrens. Dieses Ziel kann auch durch die Rücknahme der Prozesskostenhilfebeschwerde erreicht werden. Die Erklärung der Rücknahme ist zudem ohne Weiteres zulässig und wirksam.
5
Die genannte Umdeutung hat auch keine negativen kostenrechtlichen Folgen für die Klägerin. Im vorliegenden Verfahren fallen weder Gerichtskosten an noch können Kosten erstattet werden. Gerichtskosten werden im Prozesskostenhilfeverfahren gemäß § 3 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) nur erhoben, wenn die Beschwerde gegen eine Prozesskostenhilfeentscheidung „verworfen oder zurückgewiesen“ wird, nicht aber, wenn sie – wie hier -zurückgenommen wird. Eine Kostenerstattung ist nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO ausgeschlossen.
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2. Aus genannten Gründen bedarf es keiner Kostenentscheidung.
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3. Da Gerichtskosten nicht erhoben werden, ist auch eine Streitwertfestsetzung entbehrlich.
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4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.