Titel:
Erfolgreiche Nachbarklage wegen fehlender Bestimmtheit der Baugenehmigung
Normenkette:
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
Leitsatz:
Eine Genehmigung ist nur dann hinreichend bestimmt, wenn sich einem Nachbarn Zweck, Sinn und Inhalt der Regelung so vollständig, klar und unzweideutig erschließen, dass er feststellen kann, ob und in welchem Umfang er betroffen ist und er sein Verhalten entsprechend ausrichten kann. Insbesondere muss der Nachbar aus der Baugenehmigung in Verbindung mit den ihr zugrundeliegenden Unterlagen die Reichweite des genehmigten Vorhabens und dessen Nutzung erkennen können. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Nachbarrechtsrelevante fehlende Bestimmtheit der Baugenehmigung, Betriebsbeschreibung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 17.09.2020 – M 11 K 18.3007
Fundstelle:
BeckRS 2023, 12040
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Beigeladene trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägerin wendet sich gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Umbau, die Erweiterung und Umnutzung eines bestehenden Ladengebäudes in eine Pension mit Umnutzung des dazugehörigen Wohnhauses sowie Umnutzung der Garage in ein Lager auf dem Grundstück FlNr. …5, Gemarkung G. Sie ist Eigentümerin des östlich an das Vorhabengrundstück angrenzenden Grundstücks FlNr. …78. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich eines einfachen Bebauungsplans, der ein Gewerbegebiet ausweist.
2
Der Klage gegen die erteilte Baugenehmigung gab das Verwaltungsgericht statt. Die Baugenehmigung sei in nachbarrechtsrelevanter Weise nicht hinreichend bestimmt, da sich aus den mit Genehmigungsvermerken versehenen Bauvorlagen nicht hinreichend deutlich die Art der genehmigten Nutzung ergebe. Die Unterkunft biete nach Größe und Ausstattung grundsätzlich die Möglichkeit, auf eine gewisse Dauer ein selbstbestimmtes häusliches Leben zu führen. Durch die Möglichkeit der Essenszubereitung, des Rückzugs in private Räume sowie des Zugangs zu eigenen Badezimmern seien die Räumlichkeiten ähnlich einem Wohnheim zur eigenständigen Haushaltsführung geeignet. Zwar betrage nach der Betriebsbeschreibung die vorgesehene Aufenthaltsdauer durchschnittlich bis zu fünf Nächte. Allerdings enthalte sie keine Angaben, ob und in welcher Form beherbergungstypische Dienstleistungen angeboten würden. Eine Wohnnutzung bzw. eine wohnähnliche Nutzung sei nicht ausgeschlossen worden. Zudem sei zu berücksichtigen, dass in einem Gewerbegebiet nicht jede Art eines Beherbergungsbetriebs zulässig sei. Pensionen für Urlaubszwecke oder Kurhotels seien mit dem Charakter eines Gewerbegebiets nicht vereinbar. Da sich die Betriebsbeschreibung zu Art und Umfang von angebotenen Dienstleistungen nicht verhalte, sei eine abschließende Beurteilung der Zielrichtung des Betriebs nicht möglich.
3
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der sinngemäß geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) bzw. liegt nicht vor.
4
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall.
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Das Zulassungsvorbringen zeigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts auf, dass die Baugenehmigung in nachbarrechtsrelevanter Weise nicht hinreichend bestimmt ist und die Klägerin hierdurch in ihren Rechten verletzt wird.
6
Eine Rechtsverletzung des Nachbarn kommt bei einer fehlenden Bestimmtheit (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG) der Baugenehmigung in Betracht, wenn die Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Merkmale nicht hinreichend bestimmt sind und damit nicht geprüft werden kann, ob das Vorhaben nachbarschützenden Vorschriften entspricht (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2018 – 9 CS 18.10 – juris Rn. 13). Eine Genehmigung ist nur dann hinreichend bestimmt, wenn sich einem Nachbarn gegebenenfalls unter Heranziehung der Gründe des Bescheids und sonstiger dem Nachbarn bekannter oder für ihn ohne Weiteres erkennbarer Umstände Zweck, Sinn und Inhalt der Regelung so vollständig, klar und unzweideutig erschließen, dass er feststellen kann, ob und in welchem Umfang er betroffen ist und er sein Verhalten entsprechend ausrichten kann. Insbesondere muss der Nachbar aus der Baugenehmigung in Verbindung mit den ihr zugrundeliegenden Unterlagen die Reichweite des genehmigten Vorhabens und deren Nutzung erkennen können (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2020 – 1 CS 20.1595 – juris Rn. 3; B.v. 16.8.2019 – 1 ZB 17.2407 – juris Rn. 5). Die hinreichende Bestimmtheit im Hinblick auf die Art der Nutzung ist nachbarrechtsrelevant, da sie erforderlich ist, um den Nachbarn insbesondere in die Lage zu versetzen zu prüfen, ob sein Anspruch auf Wahrung des Gebietscharakters gewahrt wird. Ob der Nachbar selbst (noch) ein Gewerbe betreibt, ist – anders als der Beigeladene meint – hierfür irrelevant.
7
Diese Maßstäbe hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zu Grunde gelegt und ist unter umfassender Auswertung der Betriebsbeschreibung zu der Auffassung gelangt, dass die Baugenehmigung hinsichtlich der genehmigten Art der Nutzung nicht hinreichend bestimmt ist. Soweit das Zulassungsvorbringen anführt, dass bereits auf Grund der Beschränkung der Aufenthaltsdauer auf fünf Nächte sowie dem Ausschluss der Wohnnutzung als Arbeiterunterkunft eine Wohnnutzung ausgeschlossen sei, lässt es unberücksichtigt, dass das Verwaltungsgericht auch diese Umstände seiner Entscheidung zu Grunde gelegt hat. Es ist allerdings auf Grund der gebotenen Gesamtschau zu der Einschätzung gelangt, dass mangels Angabe beherbergungstypischer Dienstleistungen in der Betriebsbeschreibung eine wohnähnliche Nutzung nicht ausgeschlossen werden könne, zumal die geringe Aufenthaltsdauer lediglich als durchschnittliche Aufenthaltsdauer in der Betriebsbeschreibung genannt werde. Ohne Erfolg macht die Beigeladene geltend, bereits aus der vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 29.4.1992 – 4 C 43.89 – BVerwGE 90, 140) ergebe sich, dass ein Beherbergungsbetrieb in Gewerbebetrieben zulässig sei. Zum einen ist hier aus den dargestellten Gründen zweifelhaft, ob überhaupt ein Beherbergungsbetrieb zur Genehmigung gestellt wurde. Zum anderen differenziert das Bundesverwaltungsgericht in der zitierten Entscheidung nach der Art des Beherbergungsbetriebs und führt aus, dass die Fremdenpension eines Urlaubsortes oder ein Kurhotel mit dem Charakter eines Gewerbegebietes nicht vereinbar ist. Die Bestimmung der Art des Beherbergungsbetriebs ist hier gerade aufgrund der vom Verwaltungsgericht gerügten fehlenden bzw. unzureichenden Angaben nicht möglich. Die weiteren Ausführungen im Zulassungsvorbringen erschöpfen sich in allgemeiner Kritik an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ohne dem Darlegungserfordernis zu genügen.
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Der Beigeladene hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, weil sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO).
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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
10
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).