Inhalt

LG München I, Endurteil v. 01.06.2023 – 12 O 1228/23
Titel:

Darlegungs- und Beweislast im Streit um die Rechtsmäßigkeit von Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung

Normenketten:
VVG § 203 Abs. 5
VAG § 155 Abs. 3, Abs. 4
ZPO § 138 Abs. 2, Abs. 4, § 256
BGB § 195 Abs. 3, § 199 Abs. 1, § 280, § 812
Leitsätze:
1. Die Darlegungs- und Beweislast für Rückforderungsansprüche von Beitragsanpassungen trägt der klagende Versicherungsnehmer. Er kann zwar die dazu erforderlichen Erklärungen mit Nichtwissen abgeben, weil er keine Kenntnisse von den Berechnungsgrundlagen hat. Die Beklagtenseite kann jedoch nach §§ 421 ff., 142 ZPO nur verpflichtet werden, die für die Beweisaufnahme erforderlichen Unterlagen vorzulegen, wenn die Klagepartei konkrete Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit der Beitragsanpassungen darlegt. (Rn. 29 – 34)
2. Behauptungen, die sich lediglich auf Vermutungen stützen und aus der Luft gegriffen sind, sind nach der Rechtsprechung zu § 138 Abs. 2 ZPO zudem rechtsmissbräuchlich und damit unbeachtlich. (Rn. 35)
3. Ein Zwischenfeststellungsantrag auf Feststellung, dass bezeichnete Beitragsanpassungen rechtswidrig sind, hat keinen eigenständigen Einfluss auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. (Rn. 42)
4. Die beklagte Versicherung ist darlegungs- und beweispflichtig für eine negative Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO, also auf die Feststellung, dass der Versicherungsnehmer auch künftig nicht zur Zahlung gewisser Beitragsbestandteile verpflichtet ist. Das betrifft jedoch zunächst nur die jeweils letzte Beitragsanpassung in den betroffenen Tarifen. Wenn diese Beitragsanpassungen formell und materiell wirksam sind, ist die negative Feststellungsklage unbegründet. Auf ältere Beitragsanpassungen kommt es dafür nicht mehr an. (Rn. 44)
5. Die Klagepartei kann den Vortrag der Beklagtenseite zur negativen Feststellungsklage zwar gemäß § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen bestreiten, dies darf jedoch nicht rechtsmissbräuchlich erfolgen. Ein Anhaltspunkt dafür, dass ein unzulässiges Bestreiten "ins Blaue hinein" und "gut Glück" vorliegt, kann sich u.a. daraus ergeben, dass die Klagepartei eine Vielzahl von Beitragsanpassungen angreift, ohne konkrete Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit auch nur einer Anpassung anzugeben. (Rn. 45 – 49)
Schlagworte:
private Krankenversicherung, Prämienanpassung, Prämienerhöhung, Feststellungsklage, Darlegungs- und Beweislast, sekundäre Darlegungslast, Bestreiten "ins Blaue hinein", Prämienrückforderung, Verjährung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München vom -- – 39 U 2856/23 e
Fundstelle:
BeckRS 2023, 12018

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 30.741,44 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragsanpassungen in einer privaten Krankenversicherung.
2
Der Kläger ist seit dem 03.09.1983 bei der Beklagten privat krankenversichert.
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Während der Vertragslaufzeit nahm die Beklagte mehrere Prämienanpassungen vor. Die Klagepartei wendet sich gegen die nachfolgend im Klageantrag bezeichneten Tarifanpassungen.
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Im Vorfeld der Prämienanpassungen informierte die Beklagte die Klagepartei jeweils schriftlich über die bevorstehenden Erhöhungen. Sie übersandte neben einem Anschreiben jeweils einen Nachtrag zum Versicherungsschein sowie standardisiertes Informationsmaterial (Anlagenkonvolut K 1 und Anlagenkonvolut B 2). Die Klagepartei zahlte jeweils den angepassten Beitrag.
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Die Klagepartei ist der Ansicht, dass die Prämienanpassungen nicht rechtmäßig gewesen seien, weil sie nicht ordnungsgemäß begründet worden seien. Die Angabe der maßgeblichen Gründe für die Prämienanpassung müsse sich auf die konkret in Rede stehende Prämienanpassung beziehen. Die Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung veranlasst habe, müsse angegeben werden. Außerdem müsse sich aus der Mitteilung ergeben, dass eine Veränderung der Rechnungsgrundlage über dem geltenden Schwellenwert vorgelegen habe. Neben allgemeinen Ausführungen äußert sich die Klagepartei konkret zu den Beitragsmitteilungen jeweils zum 01.01. der Jahre 2008, 2009, 2010, 2011, 2012, 2013, 2014, 2015, 2016, 2017, 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022 (Seite 15 ff. der Klageschrift, Blatt 15 ff. der Akte). Die Erhöhungen seien mithin rechtswidrig gewesen.
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Die Klagepartei behauptet außerdem, dass sämtliche im Antrag angegebene Beitragsanpassungen materiell rechtswidrig seien. Für die Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen trage die Beklagtenseite allein die vollständige Darlegungs- und Beweislast. Es reiche aus, wenn die Klagepartei diese einfach bestreite. Der Tatsachenvortrag werde dabei zunächst darauf beschränkt, dass das Prüfverfahren des § 155 Abs. 2 VAG im vorliegenden Fall ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Wenn dem Treuhänder bereits die notwendigen Unterlagen zur Überprüfung nicht vorgelegen hätten, hätte der Treuhänder seine Zustimmung nicht erteilen dürfen. Dies führe zur Unwirksamkeit der damit im Zusammenhang stehenden Beitragsanpassungen. Der Kläger sei nicht im Besitz der notwendigen Unterlagen. Folglich könne er auch keine konkreten Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit der Beitragsanpassungen vortragen. Im Übrigen werde bestritten, dass die streitgegenständlichen Beitragsanpassungen versicherungsmathematisch korrekt kalkuliert wurden und eine Erhöhung erforderlich war.
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Die Klagepartei habe mithin einen Anspruch auf Rückzahlung der auf die genannten Beitragsmitteilungen geleisteten Mehrbeträge, sowie auf Herausgabe der hieraus gezogenen Nutzungen, sowie auf die Feststellung, dass sie auch in Zukunft nicht zur Zahlung der entsprechenden Beitragsbestandteile verpflichtet sei. Die Forderungen seien nicht verjährt. Die Beklagte könne sich auch nicht auf den Einwand der Entreicherung berufen.
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Die Klagepartei beantragt
1. Es wird festgestellt, dass alle auf Grundlage von § 203 Abs. 5 VVG erfolgten einseitigen Erhöhungen in den Krankenversicherungstarifen der Klägerseite – mit Ausnahme sowohl der Erhöhungen in den Tarifen zur Pflegepflichtversicherung als auch der Erhöhungen zur Beitragsentlastung im Alter, wiederum mit Ausnahme des gesetzlichen Zuschlags – die die Beklagtenseite gegenüber der Klägerseite im Rahmen des zwischen ihnen bestehenden Krankenversicherungsverhältnisses zur Versicherungsnummer 312790-1-00/9 im streitgegenständlichen Zeitraum vorgenommen hat, unwirksam sind sowie dass der monatlich fällige Gesamtbetrag auf 507,59 EUR zu reduzieren ist:
a) im Tarif x zum 01.01.2022 um -0,57 €
b) im Tarif y zum 01.01.2021 um -5,43 €
c) im Tarif z zum 01.01.2021 um 75,33 €
d) im Tarif z zum 01.01.2020 um 10,00 €
e) im Tarif y zum 01.01.2019 um -0,53 €
f) im Tarif z zum 01.01.2019 um 72,35 €
g) im Tarif y zum 01.01.2016 um -0,93 €
h) im Tarif x zum 01.01.2015 um -6,02 €
i) im Tarif z zum 01.01.2015 um 71,25 €
j) im Tarif y zum 01.01.2014 um 0,92 €
k) im Tarif x zum 01.01.2012 um 3,27 €
l) im Tarif z zum 01.01.2012 um 70,48 €
m) im Tarif z zum 01.01.2011 um 90,20 €
2. Die Beklagtenseite wird verurteilt, an die Klägerseite 14.768,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit für Beitragszahlungen ab dem 01.01.2020 zu zahlen, zzgl. Nutzungen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, die die Beklagte aus den Zahlungen der Klagepartei auf die gem. Antrag Nr. 1 unwirksamen Prämienerhöhungen bis zur Rechtshängigkeit der Klage gezogen hat, zudem zur Zahlung von Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf diese Nutzungen seit Rechtshängigkeit.
3. Die Beklagtenseite wird verurteilt, die Klägerseite von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Auslagen in Höhe von 1.728,48 EUR freizustellen. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte bestreitet, dass es im Tarif z zum 01.01.2020 keine Beitragsanpassungen gegeben habe, es sei lediglich ein temporärer Abschlag aus der Anpassung vom 01.01.2019 weggefallen. Im Übrigen hätte es im Tarif x zum 01.01.2018 eine wirksame Folgeanpassung gegeben, die nicht angefochten worden sei. Auch habe der Kläger im Tarif x das versicherte Krankentagegeld zum 01.09.2021 und 01.08.2022 geändert. Damit sei jeweils eine Neufestsetzung des Beitrags in diesem Tarif erfolgt. Die gestellten Anträge seien schon rechnerisch nicht nachvollziehbar.
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Die Beklagte ist im Übrigen der Ansicht, dass die streitgegenständlichen Beitragsanpassungen rechtmäßig gewesen seien. Die Anpassungsmitteilungen der Beklagten genügten den gesetzlichen und in der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen.
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Die Klagepartei habe die materielle Rechtmäßigkeit nur ins Blaue hinein bestritten und mithin nicht substantiiert in Frage gestellt. Die Klagepartei müsse konkrete Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit der Beitragsanpassungen darlegen, zumal die Beklagte zu den Voraussetzungen der einzelnen Beitragserhöhungen vortrage. Die Beklagte sei bereit, die für die Prüfung maßgeblichen Unterlagen vorzulegen. Nachdem sich darunter auch geheimhaltungsbedürftige Unterlagen befinden, müsse jedoch die Geheimhaltung in dem dafür vorgesehenen Verfahren sichergestellt werden. Im Übrigen seien etwaige Rückforderungsansprüche begrenzt im Hinblick auf Beitragsbestandteile, um die die Beklagte nicht bereichert ist. Insoweit wird insbesondere auf die Ausführungen in der Klageerwiderung Bezug genommen. Im Übrigen beruft sich die Beklagte auf Verjährung.
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Die Klagepartei wurde in der Terminsverfügung vom 04.05.2023 (Blatt 84 der Akte) darauf hingewiesen, dass nach Auffassung des Gerichts konkrete Anhaltspunkte dafür vorgetragen werden müssen, warum die Klagepartei von einer materiellen Rechtswidrigkeit der Beitragsanpassungen ausgeht, weil ansonsten Rechtsmissbrauch vorliegen könne.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung 25.05.2023, den oben angegebenen Hinweis und den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist entscheidungsreif. Sie ist zulässig, jedoch weder wegen formeller noch wegen materieller Rechtswidrigkeit der Beitragsanpassungen begründet.
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I. 1. Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich aus § 17 ZPO.
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2. Der Feststellungsantrag in Ziffer 1) ist zulässig, nachdem die Klagepartei darlegt, dass sie nach wie vor von der Unwirksamkeit der dort bezeichneten Beitragsanpassungen ausgeht und sich daraus Folgewirkungen für die in Zukunft zu zahlenden Beiträge ergeben. Auch wenn der Antrag sehr weit formuliert ist, bestand während des Verfahrens kein Zweifel daran, dass Feststellung nur hinsichtlich der in dem Antrag konkret benannten Beitragsanpassungen verlangt wird.
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II. Die maßgeblichen Beitragsanpassungen sind, soweit es darauf ankommt, formell rechtmäßig.
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1. Nach § 203 Abs. 5 VVG werden Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung zu Beginn des zweiten Monats wirksam, der auf die Mitteilung der Neufestsetzung oder der Änderungen und der hierfür maßgeblichen Gründe an den Versicherungsnehmer folgt.
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a) Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 5 VVG erfordert nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 S. 1 VVG veranlasst hat (BGH, Urteil vom 16.12.2020, Az: IV ZR 314/19, Quelle: juris, Rn. 21 ff., BGH, Urteil vom 16.12.2020, Az: IV ZR 294/19 Rn. 26 ff.). In diesem Sinne ist nur entscheidend, ob die Prämienanpassung durch eine Veränderung der erforderlichen gegenüber den kalkulierten Versicherungsleistungen oder der Sterbewahrscheinlichkeiten die in § 155 Abs. 3 und 4 VAG oder in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen geregelten Schwellenwerte überschreitet oder nicht. Die Begründung muss Bezug zu der konkreten Beitragsanpassung haben. Eine allgemeine Beschreibung des Verfahrens zur Prämienüberprüfung reicht nicht aus (BGH, AZ: IV ZR 314/19 a.a.O., Rn. 35; BGH Az: 294/19, Rn. 38). Weitere Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie zum Beispiel der Rechnungszins, müssen nicht angegeben werden (BGH, NJW 2021, 378, Rn. 26, beck-online) und auch nicht in welcher Höhe. Die Versicherung muss auch nicht angeben, dass der jeweilige Schwellenwert für die Anpassung überschritten ist. Dies ergibt sich nicht aus der Rechtsprechung des BGH. Insoweit wird auf die Ausführungen des OLG München im Beschluss vom 11.08.2022, AZ: 25 U 1217/22 Bezug genommen: Nach den Ausführungen des OLG München beziehen sich die entsprechenden Fundstellen der BGH-Rechtsprechung auf die dem Tatrichter obliegende Einzelfallwürdigung in dem jeweils vorliegenden Rechtsfall (OLG München, a.a.O., m.w.N.). Zu berücksichtigen sei, dass die gesetzliche Regelung der §§ 203 Abs. 2 VVG, 155 VAG dem Zweck diene, die Wirksamkeit von Prämienanpassungen auf eine verlässliche Grundlage zu stellen. Die Prämienanpassung sei für die Sicherung der Global- und Individualäquivalenz ebenso von zentraler Bedeutung wie für die Ausstattung der Versicherungsunternehmen und das Gesundheitswesen. Bei der Beurteilung der formellen Anforderungen an die Erhöhung sei daher das vorübergehende Interesse des Versicherungsnehmers gegen die dauerhaften Interessen der Versichertengemeinschaft abzuwägen. Formal unwirksame aber materiell gerechtfertigte Anpassungen müssten im Zuge der nächsten jährlichen Überprüfung vom Versicherer nachgeholt werden, wobei die dann vorzunehmende Anpassung wegen der zwischenzeitlich entstandenen Lücke bei den Prämienzahlungen gegebenenfalls sogar höher ausfallen könnte. Das zugrunde gelegt sind die Anforderungen an die Begründung nicht besonders hoch. Der Sinn der Mitteilungen macht daher ausdrückliche Angabe, dass der Schwellenwert überschritten ist, nicht erforderlich. Es ist ohne Bedeutung, ob die über den Schwellenwert hinausreichende Veränderung in Gestalt einer Steigerung oder einer Verringerung eingetreten ist. Die Überprüfung der Prämie wird unabhängig von davon ausgelöst, sobald der Schwellenwert überschritten wird. Daher ist ein Hinweis des Versicherers darauf, in welche Richtung sich die maßgebliche Rechnungsgrundlage verändert hat auch zu diesem Punkt nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 20.10.2021, AZ: IV ZR 148/20, Rn. 30).
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b) Daran gemessen waren die Begründungen der Beklagten zu den Prämienanpassungen ausreichend, soweit es überhaupt darauf ankommt:
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Bei den Beitragsanpassungen zum 01.01.2019, 01.01.2021 und 01.01.2022 ist jeweils im Anschreiben als auslösender Faktor für die Beitragsanpassungen die Veränderung der Versicherungsleistungen angegeben. Bei den Beitragsanpassungen zum 01.01.2020 und 01.01.2021 ist außerdem zu jedem Tarif auch die Höhe des auslösenden Faktors angegeben. Damit sind diese Mitteilungen ausreichend im Sinne der Rechtsprechung. Für die Beitragsanpassungen zum 01.01.2019 und 01.01.2020 wurde dies auch bereits vom OLG München bestätigt (OLG München Beschluss vom 09.03.2023 – 25 U 4466/22). Die Mitteilung zum 01.01.2021 ist weitergehend, als die Mitteilungen der beiden vorangegangenen Jahre.
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2. Auf die älteren Beitragsanpassungen kommt es nicht mehr an.
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a) Die Verjährungsfrist für bereicherungsrechtliche Ansprüche auf Rückforderung von Beiträgen beträgt gemäß § 195 BGB 3 Jahre und beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres zu laufen, in welchem dem Versicherungsnehmer die Mitteilung über die Beitragserhöhung zugegangen ist und er mithin von ihrem Inhalt Kenntnis hat (BGH, Urteil vom 22.06.2030 – IV ZR 193/20 und Urteil vom 17.11.2021, AZ: IV ZR 113/20, VerR 2022,97, beck-online, ab Rn 43; OLG Köln, Urteil vom 22. 9. 2020 – 9 U 237/19; OLG Köln, Urteil vom 07.04.2017 – 20 U 128/16; BGH, Urteil vom 19.12.2018 – IV ZR 255/17, Rn. 72; OLG München, Urteil vom 13.10.2022 – 25 U 9233/21, m.w.N.). Hier wurde die Klage erst im Jahr 2023 erhoben. Damit sind Rückforderungsansprüche, die vor dem 31.12.2019 entstanden sind, verjährt.
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b) Hinsichtlich der Beitragsanteile für die Tarife z und y besteht aufgrund der rechtmäßigen Anpassung zum 01.01.2019 kein Rückzahlungsanspruch mehr. Denn jede spätere formell und materiell rechtmäßige Beitragsanpassung stellt eine vollständige Neufestsetzung der Prämie in den betreffenden Tarifen für den neu kalkulierten Zeitraum dar, so dass frühere Prämienanpassungen ab diesem Zeitpunkt keine Bedeutung mehr haben (BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19; BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 314/19).
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c) Der Tarif x wurde zum 01.01.2018 angepasst. Dies ergibt sich aus dem von der Klagepartei selbst vorgelegten Nachtragsversicherungsschein vom November 2017. Die Klagepartei hat die Rechtmäßigkeit dieser Beitragsanpassung nicht bestritten. Frühere Beitragsanpassungen in diesem Tarif sind daher für die Entscheidung ebenfalls irrelevant.
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III. Die Klagepartei kann sich auch im Übrigen nicht mit Erfolg auf die behauptete materielle Rechtswidrigkeit der Beitragsanpassungen berufen. Der Vortrag der Klagepartei erfolgt ins Blaue hinein und ist damit unbeachtlich. Die Klagepartei macht lediglich umfangreiche Ausführungen dazu, welche Prüfungsunterlagen sie als Basis für die treuhänderische Prüfung für erforderlich hält. Sie trägt jedoch keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, warum sie davon ausgeht, dass bei den streitgegenständlichen Beitragsanpassungen der Beklagten diese Vorgaben nicht eingehalten wurden oder weshalb sie sonst davon ausgeht, dass die Beitragsanpassungen rechnerisch fehlerhaft sind. Das reicht hier nicht aus.
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Das ergibt sich aus folgendem:
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Die von der Klagepartei erhobene Klage hat zwei Zielrichtungen: Zum einen soll festgestellt werden, dass die streitgegenständlichen Beitragsanpassungen unwirksam sind und der monatlich fällige Versicherungsbeitrag (künftig) entsprechend zu reduzieren ist (Antrag zu 1). Zum anderen wird die Rückzahlung der in der Vergangenheit auf die strittigen Beitragsanpassungen geleisteten Zahlungen verlangt (Antrag zu 2).
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1. Die Darlegungs- und Beweislast für Rückforderungsansprüche trägt nach allgemeinen Regeln für die in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen gemäß § 280 BGB (Pflichtverletzung aus dem Versicherungsvertrag) und §§ 812 ff. BGB (Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung) derjenige, der den Anspruch erhebt, also die Klagepartei.
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a) Vielfach wird aus den Urteilen des BGH vom 16.06.2004 – IV ZR 117/02 und vom 09.12.2015 – IV ZR 272/15 geschlossen, dass die Darlegungs- und Beweislast bezüglich dieser Anspruchsgrundlagen in Prämienanpassungsverfahren beim Versicherer läge. Im ersten Verfahren äußerte sich der BGH jedoch nur zur Darlegungs- und Beweislast im Rahmen der negativen Feststellungsklage. Das zweite Verfahren betraf einen Fall, in dem der Versicherungsnehmer die Beiträge unter Vorbehalt geleistet hatte, sodass es deshalb bei der Darlegungs- und Beweislast des Versicherers blieb. Vielfach wird eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast in Prämienanpassung auch als gerechtfertigtes Korrelat zum einseitigen Prämienanpassungsrecht der Versicherung angesehen. Auch wird angeführt, dass dem Versicherungsnehmer die notwendigen Informationen nicht vorlägen und er ohne Kenntnis der technischen Berechnungsgrundlagen nicht in der Lage sei, die aktuarielle Rechtswidrigkeit der Beitragsanpassungen substantiiert zu behaupten und gegebenenfalls zu beweisen (so z.B. OLG Köln, Urteil vom 04.05.2021 – 9 U 306/19, Beck RS 2021, 1335, Rn. 23 ff).
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Die vorgebrachten Argumente rechtfertigen jedoch keine grundsätzliche Umkehr der üblichen Darlegungs- und Beweislastregeln. Denn entgegen den vorgebrachten Argumenten ist der Versicherungsnehmer nicht rechtsschutzlos:
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Zum einen ist der Versicherungsnehmer in der für ihn misslichen Beweissituation nur deshalb, weil er die geforderten Beiträge (zum Teil jahrelang – hier zum Beispiel seit 12 Jahren bis zur Klageerhebung) vorbehaltlos gezahlt hat.
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Zum anderen wird von der Klagepartei in ihrer Situation auch kein unzumutbarer Sachvortrag verlangt. Denn gemäß § 138 ZPO kann eine Partei, der die erforderlichen Kenntnisse fehlen, bestimmte Erklärungen auch mit Nichtwissen abgeben (Zöller, 33. Aufl., § 138 ZPO Rn. 2; BGH – VII ZR 190/20, juris, Rn. 22). Anschließend muss sich der Prozessgegner im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast zu den Streitpunkten äußern (Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 138 Rn 8b unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung).
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Die Klagepartei ist auch nicht in Beweisnot. Sie kann gemäß §§ 421 ff. ZPO unter den dort genannten Voraussetzungen beantragen, dass die beklagte Versicherung die im Rahmen der Beweisaufnahme erforderlichen Unterlagen vorlegen soll. Darüber hinaus kann die Anordnung der Urkundenvorlegung auch nach § 142 ZPO unter den dortigen erleichterten Voraussetzungen erfolgen, wobei jedoch nach der Gesetzesbegründung die Vorlageanordnung gemäß § 142 ZPO die antragstellende Partei nicht von ihrer Darlegungs- und Substantiierungslast befreit (BT-Drucksache 14/6036 vom 15.05.2001, S. 120 f). In der Gesetzesbegründung heißt es, dass das Gericht die Urkundenvorlage nur auf der Grundlage eines schlüssigen Vortrags der Partei, die sich auf die Urkunde bezieht, anordnen dürfe. Unabhängig von einem schlüssigen Vortrag allein zum Zwecke der Informationsgewinnung dürfe eine solche Anordnung nicht ergehen. Diese wird als eine Ausforschung der Parteien angesehen, die prozessordnungswidrig ist und gegen den deutschen ordre public verstoße.
35
Dies deckt sich mit der Rechtsprechung zu § 138 Abs. 2 ZPO. Danach ist die Grenze der zulässigen Erklärung mit Nichtwissen mit der Folge, dass der Gegenseite die nach der Rechtsprechung auf Grundlage des § 138 Abs. 2 ZPO entwickelte sog. „sekundäre Darlegungslast“ auferlegt werden darf, erreicht, wenn die Klagepartei Behauptungen aufstellt, die sich lediglich auf Vermutungen stützen, aus der Luft gegriffen sind und sich somit als Rechtsmissbrauch darstellen (BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20 m.w.N., juis). Was darunter zu verstehen ist, hat der BGH in dem angegbebenen Urteil vom 16.09.2021 dargelegt (a.a.O., Rn. 21 ff.). Die Entscheidung erging zum sogenannten „Dieselskandal“. Der BGH äußerte sich dazu, was der Käufer eines Dieselfahrzeugs dafür vortragen muss, dass in seinem Fahrzeug tatsächlich eine Steuerungseinheit verbaut ist, mit der Vorschriften zur Abgasregulierung umgangen werden. Es wird der Vortrag „tatsächlicher Anhaltspunkte“ verlangt (Rn. 23 ff.). Nur dann ist der Prozessgegner verpflichtet, sich zu den Behauptungen der Gegenseite überhaupt detailliert zu äußern (BGH, Urteil vom 04.08.2022 – III ZR 230/20, juris, Rn. 19-21; ebenfalls zum „Dieselskandal“).
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Die Situation der Käufer eines Dieselfahrzeugs ist vergleichbar mit der Situation von Versicherungsnehmern, denen die Beiträge erhöht wurden und die sie nun zurückverlangen. In beiden Fällen hat der Anspruchsteller keinerlei Kenntnisse der Firmeninterna. In beiden Fällen kann der Anspruchsteller u.U. ohne Hinzuziehung von Sachverständigen keine abschließende Beurteilung des Sachverhalts abgeben. Eine unterschiedliche Behandlung dieser Sachverhalte ist nicht gerechtfertigt.
37
So sieht es im Ergebnis auch das OLG Köln im Beschluss vom 18.05.2022 – 20 U 91/21 (Quelle: juris).
„(31) Dass der Versicherer die Berechtigung einer Prämienerhöhung im Streitfall darlegen und beweisen muss, gilt zwar dann, wenn er die erhöhte Prämie einfordert. Anders ist es jedoch, wenn der Versicherungsnehmer, wie hier, Rückforderungsansprüche geltend macht – gleichgültig, ob gestützt auf Bereicherungsrecht oder auf Schadensersatzrecht; in beiden Fällen liegen Darlegungs – und Beweislast beim Versicherungsnehmer.
(32) Wenn der Versicherer die Prämie einklagt, mag sich der Versicherungsnehmer hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der vom Versicherer in einem Verfahren ermittelten Prämienhöhe, zu dem der Versicherungsnehmer keinen Zugang hatte, durch Bestreiten mit Nichtwissen verteidigen dürfen.
(33) Für die Schadensersatzklage kann ein Vortrag wie der des Klägers nicht ausreichen, auch nicht mit dem zutreffenden Hinweis versehen, dass sich die materielle Richtigkeit einer Prämienfestsetzung in aller Regel nur mithilfe eines Sachverständigengutachtens klären lässt. Ohne konkreten Hinweis auf Fehler einen Sachverständigen mit der Überprüfung streitiger Prämienanpassungen zu beauftragen, bedeutet Ausforschung. Rechtlich und in seinen praktischen Auswirkungen, erschiene es dem Senat unvertretbar, wenn ein Versicherungsnehmer mit der blanken Behauptung, der Auslösende Faktor habe den Schwellenwert nicht überschritten, alle Prämienanpassungen der letzten zehn Jahre gerichtlich mittels aufwendiger Gutachten überprüfen lassen könnte. Das widerspräche den Zielen des Schuldnerschutzes und des Rechtsfriedens (Grüneberg/Ellenberger, BGB, 81. Aufl., Überbl v § 194 Rn. 8, 9) und wäre nicht nur für die Versicherer unzumutbar, sondern müsste zwangsläufig zulasten der Gesamtheit der Versicherten gehen.“
38
Das Gericht schließt sich diesen Ausführungen an. Der BGH hat zwar im Urteil vom 22.06.2020 – IV ZR 193/20 (juris, Rn. 51) ausgeführt, dass der Versicherungsnehmer für eine Klage auf Rückzahlung geleisteter Beiträge keine weiteren Ausführungen zur materiellen Rechtswidrigkeit machen müsse. Die Entscheidung erging allerdings zur Frage der Verjährung. Zur Darlegungs- und Beweislast hat sich der BGH in dieser Entscheidung nicht explizit geäußert. Es wird lediglich dargelegt, dass vom Versicherungsnehmer innerhalb der üblichen Verjährungsfrist von 3 Jahren ab der Prämienanpassung eine Klage erwartet werden kann, wenn er mit der Anpassung nicht einverstanden ist, nachdem für eine solche Klage insbesondere keine Kenntnis der Berechnungsgrundlagen erforderlich ist. Gemäß den oben geschilderten Ansichten zur Darlegungs- und Beweislast ist dies auch tatsächlich nicht erforderlich. Es ist zweifelhaft, ob der IV. Senat des BGH in Prämienanpassungsverfahren einen Vortrag „ins Blaue hinein“ entgegen der Auffassung des III. und VII. Senats generell für ausreichend hielte. Dies liefe in letzter Konsequenz darauf hinaus, dass auch der redliche und rechtmäßig handelnde Versicherer allein aufgrund der durch nichts gestützten Behauptung eines Versicherungsnehmers, die Beitragsanpassungen seien materiell rechtswidrig, gezwungen wäre, im Rahmen einer Beweisaufnahme Versicherungsunterlagen für u.U. für viele Jahre vorzulegen und die Beweisaufnahme auch noch vorzufinanzieren, §§ 402, 379 ZPO. Auch das brandenburgische Oberlandesgericht geht im Beschluss vom 13.02.2019 – 11 U 119/17 aus den dargelegten Gründen von einer Beweislast der Klagepartei für Rückforderungsansprüche aus.
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b) Die Klagepartei hat keine konkreten Anhaltspunkte für die materielle Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Beitragsanpassungen vorgetragen. Sie beschränkt sich darauf umfangreiche Ausführungen dazu zu machen, was ihrer Ansicht nach die Versicherung und der Treuhänder im Rahmen des Prüfungsverfahrens alles zu beachten und zu berücksichtigen haben, ohne jedoch anzugeben, warum sie davon ausgeht, dass die Voraussetzungen bei den streitgegenständlichen Beitragsanpassungen der Beklagten nicht eingehalten worden sind. Trotz Hinweis des Gerichts beharrte die Klagepartei darauf, es reiche für sie aus, die Rechtmäßigkeit einfach allgemein zu bestreiten. Damit ist ihr diesbezüglicher Vortrag bereits unbeachtlich.
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Außerdem hatte hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der Beitragsanpassungen, für die die Klagepartei im Rahmen der geltend gemachten Rückforderungsansprüche die Beweislast trägt, folglich auch eine an die Beklagte gerichtete Voranlageanordnung zu unterbleiben. Die Voraussetzungen für eine Beweisaufnahme nach §§ 421 ff. ZPO sind ebenfalls nicht erfüllt.
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2. Aber auch hinsichtlich des Klageantrags zu 1) war von einer Beweisaufnahme zur materiellen Rechtsmäßigkeit der Beitragsanpassungen abzusehen, nachdem die Klagepartei keine konkreten Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit der Beitragsanpassungen vorgetragen hat.
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a) Zum Teil wird argumentiert, dass es sich bei dem Klageantrag zu 1) um einen Zwischenfeststellungsantrag gemäß § 256 Abs. 2 ZPO handelt, nämlich in Bezug auf eine für den Rückforderungsanspruch (Klageantrag zu 2) zu prüfende Vorfrage der Rechtswidrigkeit der Beitragsanpassungen, die auch für künftige Beitragsforderungen relevant ist. Über die maßgeblichen Tatsachen müsse einheitlich Beweis erhoben werden, sodass eine unterschiedliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nicht sinnvoll wäre. Dies führt allerdings nicht dazu, dass der Zwischenfeststellungsantrag dafür entscheidend wäre, wer insgesamt die Darlegungs- und Beweislast trägt. Denn ein Zwischenfeststellungsantrag hat keinen eigenständigen Einfluss auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast (BGH, Urteil vom 09.03.1994 – VIII ZR 165/93). Bei Annahme eines reinen Zwischenfeststellungsantrags liegt daher die Darlegungs- und Beweislast vollumfänglich bei der Klagepartei (so auch: LG Darmstadt, Urteil vom 07.12.2022 – 4 O 15/22 und Urteil des LG Meiningen – 3 O 510/22). Gemäß den Ausführungen unter Ziffer II. 1. muss die Klagepartei daher bei dieser Betrachtung auch für die jeweils letzte Beitragsanpassung in jedem Tarif konkrete Anhaltspunkte für die materielle Rechtswidrigkeit der Beitragsanpassungen vortragen.
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b) Wenn man den Klageantrag zu 1) als selbstständige negative Feststellungsklage gemäß §§ 256 Abs. 1, 260 ZPO wertet, mit einem inzidenten Zwischenfeststellungsantrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angegebenen Beitragsanpassungen, ist das Ergebnis kein anderes:
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aa) Darlegungs- und beweispflichtig für eine negative Feststellungsklage ist zwar nach allgemeiner Meinung derjenige, der sich des streitigen Anspruchs berühmt, hier also die Beklagte (BGH, Urteil vom 02.03.1993 – VI ZR 74/92; ständige Rechtsprechung; für Beitragsanpassungen z.B.: BGH 16.06.2004 – IV ZR 117/02, juris, Rn. 15). Das betrifft jedoch zunächst nur die jeweils letzte Beitragsanpassung in dem streitgegenständlichen Tarif. Denn jede spätere formell und materiell rechtmäßige Beitragsanpassung stellt eine vollständige Neufestsetzung der Prämie in den betreffenden Tarifen für den neu kalkulierten Zeitraum dar, so dass frühere Prämienanpassungen ab diesem Zeitpunkt keine Bedeutung mehr haben (BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19; BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 314/19). Ist die letzte Beitragsanpassung in dem jeweiligen Tarif formell und materiell wirksam, ist die negative Feststellungsklage unbegründet. Weiter zurückliegende Tarifanpassungen sind dann insoweit irrelevant.
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bb) Die Klagepartei kann den entsprechenden Vortrag der Beklagtenseite zu dieser Beitragsanpassung zwar gemäß § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen bestreiten, nachdem sie keine Kenntnis und keine Informationen über das Beitragsanpassungsverfahren hat. Dies darf jedoch nicht rechtsmissbräuchlich erfolgen.
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Der BGH führt zum Bestreiten mit Nichtwissen in ständiger Rechtsprechung Folgendes aus:
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Gemäß § 138 II ZPO hat sich eine Partei grundsätzlich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Sie darf sich also, wenn der Gegner seiner Erklärungslast nachgekommen ist, nicht mit einem bloßen Bestreiten begnügen, sondern muss erläutern, von welchem Sachverhalt sie ausgeht. Der Umfang der erforderlichen Substanziierung richtet sich dabei nach dem Vortrag der darlegungsbelasteten Partei. Je detaillierter dieser ist, desto höher ist die Erklärungslast gem. § 138 II ZPO. Ob ein einfaches Bestreiten als Erklärung gem. § 138 II ZPO ausreicht oder ob ein substanziiertes Bestreiten erforderlich ist, hängt somit von dem Vortrag der Gegenseite ab. Etwas anderes gilt hingegen dann, wenn eine Partei einen Vortrag mit Nichtwissen gem. § 138 IV ZPO bestreiten kann. Nach dieser Vorschrift ist die Erklärung einer Partei mit Nichtwissen über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Weitere Voraussetzung ist, dass die Partei für die jeweiligen Tatsachen nicht darlegungs- und beweisbelastet ist. Die Zulässigkeit einer solchen Erklärung schließt die Verpflichtung der Partei zu substanziiertem Bestreiten aus (BGH, Urteil vom 04.04.2014 – V ZR 275/12, m.w.N.). Unzulässig ist eine Beweiserhebung erst dann, wenn sie auf eine Ausforschung hinausläuft. Das ist der Fall, wo die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte rechtfertigen können. (BGH, Urteil vom 17.09.1998 – III ZR 174 – 97, NJW-RR 1999,361, m.w.N.).
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cc) Von einem unzulässigen Bestreiten „ins Blaue hinein“ gehen immer mehr Gerichte bei der hier vorliegenden Fallgestaltung aus. Die Voraussetzungen hierfür ergeben sich im vorliegenden Fall aus folgendem:
- Die Klagepartei greift nicht nur eine Beitragsmitteilung an, zum Beispiel die letzte, sondern (fast) alle Beitragsanpassungen der letzten 12 Jahre. Zu keiner einzigen Beitragsanpassung werden Gründe angegeben, die einen Anhaltspunkt dafür bieten, warum die Klagepartei von einer materiellen Rechtswidrigkeit ausgeht, obwohl die Klagepartei die Beiträge über den gesamten Zeitraum widerspruchslos bezahlt hat.
- Die Klagepartei setzt sich nicht mit den Ausführungen der Beklagtenseite zur materiellen Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen und den mit der Klageerwiderung übergebenen Anlagen auseinander. Die Benennung konkreter Anhaltspunkte für eine materielle Rechtmäßigkeit ist der Klagepartei jedoch auch ohne Kenntnis der Berechnungsunterlagen möglich und zumutbar (LG Arnsberg, Urteil vom 16. Mai 2019 – 1 O 127/18, juris, Rn. 75 ff; LG Rottweil, Urteil vom 03.03.2023 – 3O281/22, BeckRS 2023, 3099, Rn. 41 ff mit Beispielen).
- Die Beklagte hat unbestritten vorgetragen, dass die Klägervertreter vorgerichtlich wortgleiche Standardschreiben für eine Vielzahl von Versicherungsnehmern an die Beklagte verschickt hatte. Im Übrigen macht die Klagepartei im Prozess detaillierte Ausführungen zum Inhalt von Beitragsanpassungsbescheiden für Jahre, die im vorliegenden Fall nicht streitgegenständlich sind. Dies belegt ein standardisiertes Vorgehen der Klägervertreter im Namen der Klagepartei ohne Rücksicht auf die konkret in Streit stehenden Beitragsanpassungen.
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Die Zusammenschau dieser Aspekte ergibt, dass die Klagepartei die materielle Rechtswidrigkeit der von ihr angegriffenen Beitragsanpassungen „ins Blaue hinein“, „auf gut Glück“ behauptet, um eine Beweisaufnahme über sämtliche Beitragsanpassungen zu erreichen, deren Ausgang völlig ungewiss ist. Das ist eine unzulässige Ausforschung, die dem Zivilprozessrecht fremd ist. Auf die Ausführungen unter Ziffer II. 1. wird Bezug genommen (siehe auch LG Frankfurt (Oder), Urteil vom 11.11.2022 – 15 O 344/22).
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3. Zudem ist unklar, was die Klagepartei hier konkret bestreitet, worauf die Beklagte zu Recht hinweist.
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a) Die Klagepartei bestreitet zwar einerseits, dass die Beitragsanpassungen versicherungsmathematisch korrekt kalkuliert wurden, führt andererseits allerdings aus, dass ihrer Meinung nach die Beitragsanpassungen bereits rechtwidrig sind, wenn der Treuhänder mangels ausreichender Unterlagen die Zustimmung nicht hätte erteilen dürfen. Sie führt aus, dass bei der Beweisaufnahme nur die Vollständigkeit der Unterlagen streitgegenständlich sei, und es daher auf ein Geheimhaltungsverfahren nicht ankomme (Schriftsatz vom 10.05.2023, Seite 5, Blatt 92 der Akte).
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b) Soweit der Vortrag der Klagepartei dahingehend zu verstehen sein soll, dass die Neufestsetzung der Prämien allein deswegen rechtswidrig gewesen sein soll, weil, dem Treuhänder die erforderlichen Prüfungsunterlagen nicht vorgelegen haben, wird auf die Ausführungen des LG Koblenz im Urteil vom 17.11.2022 – 16 O 208/22 Bezug genommen. Sinn einer Beweisaufnahme über die materielle Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen ist es, festzustellen, ob die Beitragsanpassungen materiell rechtmäßig waren. Das Treuhänderverfahren ist kein Selbstzweck, wie das LG Koblenz im oben angegebenen Urteil unter Bezugnahme auf die BGH-Rechtsprechung zu Recht ausführt. Ist die materielle Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen im Übrigen unstreitig, erübrigt sich eine Beweisaufnahme darüber, welche Unterlagen dem Treuhänder vorgelegen haben.
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Auf eine Beweisaufnahme zur behaupteten materiellen Rechtswidrigkeit der Beitragsanpassungen kam ist für die Entscheidung daher nicht an. Der Vortrag der Klagepartei hierzu ist unbeachtlich, nachdem sie keine konkreten Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der angegriffenen Beitragsanpassungen mitteilt. Die Klagepartei muss mindestens in der Lage sein anzugeben, aus welchen Gründen sie die Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Beitragsanpassungen der Beklagten (nun) vermutet. Das hat sie nicht getan.
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Die materiellrechtlichen Einwände der Klagepartei hinsichtlich der Beitragsanpassungen sind unbegründet.
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Damit stehen der Klagepartei auch die als Nebenforderungen geltend gemachten Zinsen, Nutzungen und Rechtsanwaltskosten nicht zu.
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Die Klage war insgesamt abzuweisen.
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IV. 1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gemäß § 709 ZPO.
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3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 48 Abs. 1 GKG, §§ 4, 9 ZPO. Bei dem Feststellungsantrag (für die Zukunft) war von dem von der Klagepartei errechneten Betrag wegen der rechtsvernichtenden Wirkung des begehrten Urteils kein Abschlag vorzunehmen (Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 3 ZPO, Rn. 16.76).