Titel:
Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides
Normenkette:
FGO § 52a, § 52d
Leitsatz:
Die Schriftform wird im Anwendungsbereich des § 52d FGO durch die elektronische Form verdrängt. Die aus § 52d FGO folgende Nutzungspflicht erweist sich damit als weitere, von Amts wegen zu berücksichtigende Formvorschrift für rechtswirksame Prozesshandlungen durch bestimmende Schriftsätze, da über den Wortlaut des § 52d FGO hinaus jedenfalls über § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 253 Abs. 4 ZPO gerade auch solche Schriftsätze angesprochen sind (BFH-Beschluss vom 27.04.2022 XI B 8/22, BFH/NV 2022, 1057, BeckRS 2022, 20359). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
elektronisches Steuerberaterpostfach
Fundstellen:
LSK 2023, 12017
DStRE 2023, 1501
BeckRS 2023, 12017
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
Gründe
1
Streitig ist die Aussetzung der Vollziehung des Bescheids über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag 2014 sowie der Festsetzung von Zinsen zur Einkommensteuer für 2014 vom (zuletzt) 25.11.2020, geändert in Bezug auf die Festsetzung von Zinsen zur Einkommensteuer für 2014 durch Bescheid vom 14.11.2022.
2
Mit Antragschreiben, datiert auf 28.03.2023, eingegangen beim Finanzgericht am 29.03.2023 per Briefpost, beantragt der prozessbevollmächtigte Steuerberater die Aussetzung der Vollziehung der o.g. Bescheide i.H.v. … € hinsichtlich Einkommensteuer, i.H.v. … € hinsichtlich Solidaritätszuschlag und i.H.v. … € hinsichtlich Zinsen. Das Finanzamt habe mit Bescheid vom 20.03.2023 eine Aussetzung abgelehnt.
3
Neben dem vorliegenden Verfahren betreibt der Prozessbevollmächtigte für die Antragstellerin beim Finanzgericht Nürnberg Verfahren wegen Einkommensteuer 2014 Az. 6 K 12x/23, Eingang 31.01.2023 per Fax, und Zinsen zur Einkommensteuer 2014 Az. 6 K 17x/23, Eingang 14.02.2023 per Briefpost.
4
In diesen Verfahren wurde der Prozessbevollmächtigte jeweils mit Einlegung der Klage am Tag des Klageeingangs auf die Regelungen der §§ 52a, 52d Finanzgerichtsordnung -FGO hingewiesen sowie auf die FAQ der Steuerberaterkammer bzw. auf die Steuerberaterplattform unter Nennung des Stichworts „Fast Lane für Steuerberater, die vor dem Finanzgericht Klagen führen“. Ferner wurde eine Frist zur Äußerung hierzu gesetzt. Diese Schreiben wurden per Digifax versandt.
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Der Prozessbevollmächtigte teilte im Verfahren 6 K 12x/23 per E-Mail am 13.02.2023 mit: „Die Nutzung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs ist unserer Kanzlei mangels Registrierungsbrief der Bundessteuerberaterkammer bisher noch nicht möglich.“ Der Prozessbevollmächtigte legte mit Schreiben vom 28.02.2023 eine Klagebegründung vor, die am gleichen Tag per Fax und am Folgetag per Briefpost einging; der Prozessbevollmächtigte beschränkte sich auf Ausführungen in der Sache. Das Finanzgericht verwies mit Schreiben vom 28.02.2023 (per Digifax) erneut auf die Regelung der §§ 52a, 52d FGO hin.
6
Im Verfahren 6 K 17x/23 teilte der Prozessbevollmächtigte per E-Mail am 15.02.2023 mit: „Die Nutzung des besonderen elektronischen Steuerpostfachs ist unserer Kanzlei mangels Registrierungsbrief der Bundessteuerberaterkammer bisher noch nicht möglich.“ Das Finanzgericht verwies mit Schreiben vom 08.03.2023 (per Digifax) erneut auf die Regelung der §§ 52a, 52d FGO hin und legte nahe, bei Vortrag, bisher noch keinen Registrierungsbrief zur Einrichtung des beSt erhalten zu haben, sich unverzüglich unter Verweis auf dieses Verfahren an den beSt-Support zu wenden, der von DATEV im Auftrag der Bundessteuerberaterkammer (BStBK) betrieben werde (https://steuerberaterplattform-bstbk.de/service-support) und sowohl den Zeitpunkt der Aufnahme in die sog. Fast Lane als auch den Versandzeitpunkt des Registrierungsbriefs nachvollziehen könne. Auf Basis der Auskunft des beSt-Supports erteile die BStBK eine entsprechende Bestätigung.
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Im vorliegenden Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung wies das Gericht mit Schreiben vom 29.03.2023 unter Bezugnahme auf die Vorschriften der §§ 52a, 52d FGO auf Zweifel an der Zulässigkeit des Antrags hin und forderte zu einer Stellungnahme bis zum 05.04.2023 auf. Ausdrücklich wurde auch auf die Regelungen in den Sätzen 2 bis 4 des § 52d FGO hingewiesen.
8
Das Schreiben wurde per EGVP an die unter https://steuerberaterverzeichnis.berufs-org.de/ von der Bundessteuerberaterkammer für den Prozessbevollmächtigten hinterlegte Safe ID DE.BStBK…. versandt. Im Rahmen des Verfahrens 6 K 17x/23 hatte die für EGVP zuständige Geschäftsstelle des Finanzgerichts am 15.03.2023 im EGVP-Adressbuch eingesehen, dass sich der Prozessbevollmächtigte Sch unter der Kanzleiadresse in XY mit dem Registrierungsbrief für das beSt freigeschaltet hatte.
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Mit Schreiben des Gerichts per Digifax vom 31.03.2023 wurde der Prozessbevollmächtigte darauf hingewiesen, dass am 29.03.2023 an ihn über sein besonderes Steuerberaterpostfach (beSt) eine Nachricht des Finanzgerichts versendet und bisher nicht von ihm abgeholt worden sei. Er wurde gebeten, dies zeitnah nachzuholen.
10
Am 05.04.2023 war das Schreiben noch immer nicht aus dem besonderen Steuerberaterpostfach abgeholt worden; bei einer Nachschau am 12.04.2023 war es bereits abgeholt worden.
11
Nach der seit Januar 2023 unveränderten Darstellung auf der Steuerberaterplattform unter https://www.bstbk.de/downloads/bstbk/steuerrecht-und-rechnungslegung/broschueren-und-flyer/BStBK_Steuerberaterplattform_Wann-wird-versendet_alphabetische-Tranchen.pdf (Abfrage vom 09.01.2023 und vom 14.04.2023) wurde der Registrierungsbrief für Nachnamen beginnend von Ries.. bis Wag.. in den KW 9 und 10 von 27.02.2023 bis 10.03.2023 versandt.
12
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist unzulässig.
13
Er erfüllt nicht die nach § 52d Sätze 1 und 2 FGO notwendige Form und ist unwirksam.
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1) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen (§ 69 Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz FGO).
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In sinngemäßer Anwendung des § 64 FGO bedarf er der Schriftform (ersatzweise mündlich zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder elektronische Form i.S.d. § 52a, vgl. Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 69 FGO, 2. Antrag beim Finanzgericht (Abs. 3), Rn. 56) und muss eigenhändig unterschrieben oder signiert sein; vgl. auch § 155 FGO, §§ 253 Abs. 4, 130 Nr. 6 Zivilprozessordnung – ZPO.
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2) Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Beteiligten sowie schriftlich einzureichende Auskünfte, Aussagen, Gutachten, Übersetzungen und Erklärungen Dritter können nach Maßgabe der Absätze 2 bis 6 als elektronische Dokumente bei Gericht eingereicht werden, § 52a Abs. 1 FGO.
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Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, sind als elektronisches Dokument zu übermitteln. Gleiches gilt für die nach diesem Gesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 zur Verfügung steht (§ 52d Sätze 1 und 2 FGO).
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Ist eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen (§ 52d Sätze 3 und 4 FGO).
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Die Schriftform wird im Anwendungsbereich des § 52d FGO durch die elektronische Form verdrängt. Die aus § 52d FGO folgende Nutzungspflicht erweist sich damit als weitere, von Amts wegen zu berücksichtigende Formvorschrift für rechtswirksame Prozesshandlungen durch bestimmende Schriftsätze, da über den Wortlaut des § 52d FGO hinaus jedenfalls über § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 253 Abs. 4 ZPO gerade auch solche Schriftsätze angesprochen sind (BFH-Beschluss vom 27.04.2022 XI B 8/22, BFH/NV 2022, 1057). Die Vorschrift gilt für alle Verfahren nach der FGO und knüpft allein an den Status des Prozessbevollmächtigten z.B. als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt (bzw. hier als Steuerberater) an (BFH-Beschluss vom 23.08.2022 VIII S 3/22, BFH/NV 2022, 1248; Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 20.03.2023 7 K 183/22, Rn. 13, juris).
20
Ein Dokument, das unter Verstoß gegen die Pflicht zur elektronischen Übermittlung in Papierform oder als Telefax übermittelt worden ist, gilt prozessrechtlich als nicht eingereicht. Die in dem Dokument enthaltenen Prozesshandlungen sind unwirksam (Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 20.03.2023 7 K 183/22, Rn. 14, juris).
21
3) Dem Prozessbevollmächtigten steht mit der Möglichkeit, sein besonderes Steuerberaterpostfach (beSt) zu aktivieren, ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Nr. 2 FGO zur Verfügung. Bei dem beSt handelt es sich um einen sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO (BT-Drs. 19/30516 S. 64).
22
Die Bundessteuerberaterkammer hat auf der gesetzlichen Grundlage des § 86d StBerG für jeden Steuerberater und jeden Steuerbevollmächtigten ein beSt eingerichtet (Finster in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 2. Aufl., § 52a FGO (Stand: 15.12.2022), Rn. 143). Das beSt war ab 01.01.2023 grundsätzlich für jeden Steuerberater nutzbar. Da für die Aktivierung jedoch ein Registrierungsbrief, versendet durch Datev, erforderlich ist, steht das beSt jedenfalls mit dessen Erhalt tatsächlich zur Verfügung.
23
Ob dem Prozessbevollmächtigten bereits zu einem früheren Zeitpunkt – etwa bereits zum 01.01.2023 und/oder durch die mögliche Registrierung über die sog. „fast lane“ – ein sicherer Übermittlungsweg zur Verfügung stand, kann für den Streitfall dahingestellt bleiben (vgl. aber FG Niedersachsen, Urteil vom 20.03.2023 7 K 183/22, juris).
24
4) Im Streitfall hat der Prozessbevollmächtigte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung per Brief(-post) gestellt und damit nicht entsprechend den Formerfordernissen des § 52d Sätze 1 und 2 FGO. Die Prozesshandlung ist unwirksam.
25
Dem Prozessbevollmächtigten waren die Anforderungen der §§ 52a, 52d FGO aus den Hinweisen des Gerichts in den genannten weiteren Verfahren bekannt.
26
Der Registrierungsbrief des Prozessbevollmächtigten wurde im Zeitraum vom 27.02.2023 bis 10.03.2023 an diesen versandt, da sein Nachname mit „Sch“ beginnt. Ihm stand somit grundsätzlich am 28. bzw. 29.03.2023 sein beSt zur Verfügung.
27
Der Prozessbevollmächtigte hat nicht vorgetragen und nachgewiesen, dass er den Registrierungsbrief später erhalten hat oder er unverschuldet gehindert war, die Registrierung rechtzeitig durchzuführen.
28
Nach den Feststellungen des Gerichts (EGVP-Geschäftsstelle) am 15.03.2023 im EGVP-Adressbuch war der Prozessbevollmächtigte zumindest ab diesem Zeitpunkt für das beSt freigeschaltet.
29
Eine vorübergehende Unmöglichkeit aus technischen Gründen gemäß § 52d Satz 4 FGO ist weder vorgetragen noch unverzüglich glaubhaft gemacht. Vielmehr hat sich der Prozessbevollmächtigte gar nicht geäußert.
30
Die am 19.04.2023 vom Prozessbevollmächtigten über das beSt erfolgte Übersendung von klägerischen Schriftsätzen mit Anlagen, die in den Verfahren 6 K 12x/23, 6 K 17x/23 und im vorliegenden Verfahren 6 V 357/23 per Fax und per Briefpost eingereicht worden waren – darunter auch die Antragschrift vom 28.03.2023 im vorliegenden Verfahren –, ändert an der Unwirksamkeit der Prozesshandlung vom 29.03.2023 nichts. Auch in diesem Zusammenhang ist eine vorübergehende Unmöglichkeit aus technischen Gründen gemäß § 52d Satz 4 FGO weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht worden.
31
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.