Titel:
Aussetzung der Vollziehung des Bescheides über die Rückforderung des Kindergeldes nach EStG
Normenketten:
EStG § 62, § 70
FGO § 69 Abs. 4 S. 2 Nr. 1
Leitsatz:
Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes auf Antrag auszusetzen, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Ist der Verwaltungsakt bereits vollzogen kann statt der Aussetzung die Aufhebung der Vollziehung erfolgen, § 69 Abs. 2 Satz 7 FGO. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Finanzgerichtliches Verfahren
Fundstellen:
StEd 2023, 384
EFG 2023, 930
LSK 2023, 12016
DStRE 2024, 492
IStR 2023, 475
BeckRS 2023, 12016
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
Gründe
1
I. Streitig ist in der Hauptsache die Aufhebung des Kindergeldes für die Kinder A, geboren am, und B, geboren am, ab Februar 2020 und die Rückforderung des geleisteten Kindergeldes und des Kinderbonus ab Aufhebung bis Juli 2021 in Höhe von … EUR.
2
Die Aufhebung und Rückforderung für die Zeit vom Februar 2020 bis Juli 2021 und den Jahresbonus für 2021 war mit Bescheid vom 04.04.2022 erfolgt. Der Antragsteller habe nach Auffassung der Antragsgegnerin keinen inländischen Wohnsitz mehr und werde nur noch in Schweden beschäftigt von seinem deutschen Arbeitgeber. Zudem sei er nicht mehr nach § 1 Abs. 2 oder 3 EStG veranlagt worden. Eine Kindergeldzahlung nach § 62 EStG sei daher ab Wegzug nicht mehr möglich, die Kindergeldfestsetzung aufzuheben und geleistete Zahlungen zurückzuzahlen, §§ 70 EStG, 37 Abs. 2 AO.
3
Der Antragsteller hat Einspruch mit Schreiben vom 26.05.2022 eingelegt. Im Einspruchsschreiben hat der Antragsteller zugleich die Aussetzung der Vollziehung beantragt. Hierüber ist ausweislich der Akten nie entschieden worden. Inhaltlich sei der Antrag begründet, weil dem Kläger über seinen deutschen Arbeitgeber eine Vereinbarung mit der DVKA zur Anwendung deutschen Sozialrechts ermöglicht worden sei.
4
Aufgrund des Einspruchs wurde der Anspruch auf Kindergeld nach dem BKGG geprüft und mit Bescheid vom 09.06.2022 unter Anrechnung des polnischen Kindergeldes ab Februar 2020 bis Februar 2022 gewährt. Der Teilbetrag von … € für die Zeit Februar 2020 bis Juli 2021 und der Kinderbonus 2021 wurden mit dem Rückforderungsanspruch nach EStG verrechnet. Der Restbetrag von … € für den weiteren Zeitraum wurde dem Antragsteller ausbezahlt.
5
Der Einspruch wegen Aufhebung und Rückforderung nach dem EStG wurde mit Einspruchsentscheidung vom 27.10.2022 abgewiesen. Der Antragsteller sei nicht Anspruchsberechtigt nach § 62 EStG, da er in Schweden arbeite. Ihm stehe nur ein gleich hoher Betrag nach BKGG zu, der ihm gewährt sei.
6
Der Antragsteller hat am 05.12.22 Klage erhoben und zugleich die Aussetzung der Vollziehung des Aufhebungsbescheides und der Rückforderung beantragt. Dazu hatte er einen dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt (EU) aus Polen beauftragt. Dieser übermittelte die Klage und den Antrag mittels Briefpost.
7
Entgegen der Meinung der Familienkasse sei der Antragsteller in Deutschland unbegrenzt einkommensteuerpflichtig. Er arbeite bei einer deutschen Firma und die öffentlichen Abgaben würden nur in Deutschland abgeführt. Der Antragsteller sei zwar in Schweden eingesetzt worden, aber dies ändere die Steuerpflicht in Deutschland nicht. Der GKV-Spitzenverband (DVKA) habe eine Ausnahmevereinbarung geschlossen, nach der nur die deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit, inklusive Kindergeld, auf die Partei anzuwenden seien. Zudem sei der Rückforderungsanspruch unbillig, das Geld sei schon längst ausgegeben und der Antragsteller nicht mehr bereichert.
8
Der Antragsteller hat sinngemäß beantragt,
die Vollziehung des Bescheides vom 04.04.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.10.2022 aufzuheben.
10
Er hält den Antrag aufgrund § 69 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 FGO für zulässig, aber wegen fehlender Einkommensteuerpflicht in Deutschland für unbegründet. Im Streitfall sei ein Anspruch nach BKGG gewährt und verrechnet worden.
11
Mit Schreiben vom 06.12.2022 wies das Gericht den beauftragten Prozessvertreter erfolglos auf die Möglichkeit hin, entweder einen inländischen Bevollmächtigten zu benennen oder nach § 27a EuRAG eine spezielles Anwaltspostfach für das Verfahren einzurichten.
12
Mit per Post übermitteltem Schreiben vom 20.03.2023 nahm der beauftragte Prozessvertreter den Antrag zurück. Das Gericht wies ihn erfolglos mit Schreiben vom 20.03.2023 auf die aus § 52d S.1 FGO folgende Nutzungspflicht eines Besonderen Anwaltspostfachs (BeA) und nochmals auf die Regelung des § 27a EuRAG hin.
13
Der Antrag ist statthaft aber nicht formgültig und zudem unbegründet.
14
1.) Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes auf Antrag auszusetzen, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Ist der Verwaltungsakt bereits vollzogen kann statt der Aussetzung die Aufhebung der Vollziehung erfolgen, § 69 Abs. 2 Satz 7 FGO. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken. Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt. Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (st. Rspr., z. B. BFH-Beschlüsse vom 27.01.2016 V B 87/15, BFH/NV 2016, 716; vom 03.09.2018 VIII B 15/18, BFH/NV 2018, 1279; jeweils m.w.N.).
15
Der Antrag ist jedoch nur zulässig, wenn ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers besteht und die Verwaltungsbehörde vorher einen Antrag auf Aussetzung abgelehnt hat, § 69 Abs. 4 S. 1 FGO oder wenn über einen solchen Antrag nicht zeitnah entschieden wurde, § 69 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 FGO oder eine Vollstreckung droht, § 69 Abs. 4 S. 3 Nr. 2 FGO.
16
Im Streitfall hat der Antragsteller zwar nach der Einspruchsentscheidung keinen Antrag auf Aussetzung bei der Verwaltungsbehörde gestellt. Es wurde aber über den Antrag auf Aussetzung vom 26.05.2022 bis dato nicht entschieden. Die Entscheidung über den Einspruch ist zwar keine Entscheidung über eine Aussetzung, wird aber nicht zugleich mit dem Einspruch über den Antrag auf Aussetzung entschieden, ist dies einer Ablehnung gleichzustellen (BFH, Beschluss vom 14. März 2001, VI B 279/99). Da die Antragsgegnerin insgesamt innerhalb eines Zeitraumes von gut 6 Monaten nicht entschied und zudem in der Antragserwiderung zum Ausdruck brachte, sie werde selbst nicht über die Aussetzung entscheiden, ist im Streitfall die Ausnahme des § 69 Abs. 4 S. 3 Nr. 1 FGO erfüllt.
17
Dem Antrag fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis, da er als Antrag auf Aufhebung der Vollziehung nach § 69 Abs. 2 S. 7 FGO auszulegen ist. Zwar wurde dem Aussetzungsbegehren mit dem Entscheid nach BKGG und der Aufrechnung inhaltlich stattgegeben. Die Forderung ist erloschen, § 47 AO und eine Aussetzung eines Rückforderungsanspruches nicht mehr möglich. Die vorgenommene Aufrechnung kann aber durch die Aufhebung der Vollziehung des Rückforderungsanspruches unzulässig werden und das einbehaltene Kindergeld wäre dann zurückzuerstatten, (BFH, Beschluss vom 15. März 1999, I B 95/98, R 33, m.w.N.).
18
2.) Die Antragstellung per einfachem Brief ist auch für einen dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt an die Formvorschrift des § 52d S. 1 FGO gebunden. Nach § 27 EuRAG haben dienstleistende europäische Rechtsanwälte die gleichen Befugnisse und Pflichten wie inländische Anwälte (Buchmann/Gerking in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 27 EuRAG Rechte und Pflichten). Mithin sind sie auch an Formvorschriften gebunden, die ihre inländische Kollegenschaft trifft.
19
Eine solche Formvorschrift ist § 52d S. 1 FGO. Danach sind alle Anträge und Erklärungen mittels BeA einzureichen. Eine Ausnahme ist nur bei vorübergehenden technischen Störungen möglich, § 52d S.3 FGO. Die Voraussetzungen sind glaubhaft zu machen.
20
Im Streitfall verkennt der Senat nicht, dass die Einrichtung eines Anwaltspostfachs nach § 27a EuRAG bei fristgebundenen Klagen oder Eilverfahren nicht immer möglich wäre. Die Frage, ob dies einem technischen Grund gleichzustellen ist, ist im Streitfall aber nicht zu beantworten, da der Prozessvertreter des Antragsstellers trotz Hinweis dazu weder vorgetragen hat, noch eine Glaubhaftmachung erfolgte. Damit ist im Streitfall der Antrag unzulässig (BFH, Beschluss vom 23. August 2022, VIII S 3/22 –, BFHE 276, 566, BStBl II 2023).
21
Eine Entscheidung des Senates über den Antrag auf Aussetzung ist aber auch nicht durch Rücknahme entbehrlich. Auch eine Prozesserklärung wie die Antragsrücknahme ist außerhalb der mündlichen Verhandlung schriftlich und damit bei Anwälten mittels BeA einzureichen. Hieran fehlt es bei der Erklärung vom 20.03.2023, die keine wirksame Rücknahme darstellt.
22
3.) Der Antrag ist zudem unbegründet, die Aufhebung und die Rückforderung im Bescheid vom 04.04.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.10.2022 sind rechtmäßig.
23
Nach § 62 Abs. 1 EStG haben nur einkommensteuerpflichtige Berechtigte für ihre Kinder einen Anspruch auf Kindergeld nach dem EStG. Im Streitfall ist der Antragsteller unstrittig weder nach § 62 Abs. 1 Nr.1 noch nach Nr. 2 EStG steuerpflichtig. Er hat keinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Wohnsitz in Deutschland und diesbezüglich auch nichts vorgetragen. Durch die Vereinbarung deutschen Sozialrechtes ergibt sich weder eine Steuerpflicht nach § 1 Abs. 2 noch Abs. 3 des EStG. Insbesondere hat der Antragsteller nicht vorgetragen, dass er nach § 1 Abs. 3 EStG behandelt wurde. Dies wäre aber bindende Voraussetzung für die Gewährung nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 b EStG.
24
Die Aufhebung des Vollzuges ist auch nicht wegen einer unbilligen Härte für den Antragsteller nach § 69 Abs. 2 S. 1 FGO geboten. Materiell wurde dem Antragsteller zurecht aufgrund der Vereinbarung des deutschen Sozialrechtes das Kindergeld nach BKGG in identischer Höhe zugebilligt. Die Rückforderung des ausbezahlten Kindergeldes nach EStG ist durch die Gewährung auf anderer Rechtsgrundlage und Aufrechnung erloschen. Der Antragsteller hat materiell damit das ihm zustehende Kindergeld, das ursprünglich aufgrund EStG ausbezahlt wurde, behalten und nicht zurückbezahlt. Eine Aufhebung der Vollziehung würde den Anspruch nach BKGG aufleben lassen und der Antragsteller erhielte eine nochmalige Auszahlung bereits empfangener Beträge. Der Senat ist daher der Auffassung, dass das Antrags- und Klagebegehren nicht nur unbegründet ist, sondern zudem auch gegen Treu und Glauben verstößt. Schon aus diesem Grund scheidet eine Aufhebung der Vollziehung wegen Unbilligkeit aus.
25
Dem Kläger kann auch nicht mit dem Einwand gefolgt werden, er sei entreichert, da er die Kindergeldzahlungen ausgegeben habe und sie nicht zurückzahlen könne. Durch die erklärte Aufrechnung ist die Rückforderung erloschen, §§ 47 und 226 AO und der Kläger muss den Betrag nicht zurückzahlen.
26
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 FGO