Titel:
Ermittlung von Fahrtkosten und Ansatz von Mehraufwendungen für Verpflegung
Normenketten:
EStG § 9 Abs. 4 S. 3
FGO § 100 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 1
AktG § 15
SVG § 5 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Beruflich veranlasste Fahrtkosten sind Erwerbsaufwendungen. Handelt es sich bei den Aufwendungen des Arbeitnehmers um solche für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 EStG, ist zu deren Abgeltung für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die erste Tätigkeitsstätte aufsucht, grundsätzlich eine Entfernungspauschale (im Streitjahr 0,30 €, § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sätze 1 und 2 EStG) für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte anzusetzen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Werbungskosten
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
EFG 2023, 1000
StEd 2023, 381
BeckRS 2023, 12014
LSK 2023, 12014
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Streitig ist die Ermittlung von Fahrtkosten nach Reisekostenrecht und der Ansatz von Mehraufwendungen für Verpflegung im Jahr 2019.
2
Die Klägerin wird einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Sie war von Anfang 2009 bis Anfang 2021 Soldatin auf Zeit. Bis Ende 2013 war sie in Z stationiert und wurde durch Versetzungsverfügung des Bundesamts für das Personalmanagement vom 05.09.2013 ab 06.01.2014 an den Standort X versetzt. Die Versetzung enthielt als voraussichtliche Verwendungsdauer das Datum 04.01.2019. Die Klägerin blieb in X; eine weitere Verfügung nach dem 04.01.2019 gab es nicht. Im Streitjahr erzielte sie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und wohnte in 90617 W.
3
Mit Bescheid der Bundeswehr vom 06.09.2019 wurde die Teilnahme der Klägerin an der Laufbahnausbildung in der 2. Qualifikationsebene zur Verwaltungssekretärin bei der Stadt Y nach § 5 SVG gefördert und sie in der Zeit von 01.09.2019 bis 04.01.2021 vom militärischen Dienst freigestellt. Weitere Maßnahmeorte seien das FOM Hochschulzentrum und das BVS-Bildungszentrum (jeweils in V). Mit Wirkung vom 01.09.2019 wurde die Klägerin in das Beamtenverhältnis auf Widerruf berufen (vgl. Urkunde vom xx.xx.2019). Sie erhielt im Streitjahr Bezüge vom Bundesverwaltungsamt, U (Besoldungsgruppe A) und von der Stadt Y keine Bezüge (vgl. Ausdrucke der elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen: Steuerklassen 1 bzw. 6).
4
In der Einkommensteuererklärung für 2019 wurde in erheblichem Umfang der Abzug von Aufwendungen als Werbungskosten, u.a. für Auswärtstätigkeit, beantragt. Mit Bescheid vom 02.11.2020 setzte der Beklagte die Einkommensteuer für 2019 auf 7.139 € fest. Es wurde der Arbeitnehmer-Pauschbetrag i.H.v. 1.000 € berücksichtigt.
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Hiergegen legte die Klägerin durch den Prozessbevollmächtigten in A am 04.11.2020 Einspruch ein.
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Sie führte – bezüglich der streitigen Aufwendungen – aus, dass die Tätigkeit bei der Stadt Y im Streitjahr eine Auswärtstätigkeit darstelle. Die Fahrtkosten seien nach Reisekostenrecht anzusetzen und die Mehraufwendungen für Verpflegung zu berücksichtigen.
7
Sie habe während der aktiven Dienstzeit bei der Bundeswehr die erste Tätigkeitsstätte beim Stammtruppenteil, d.h. in der Kaserne X, nicht aufgegeben. Die Freistellung vom militärischen Dienst sei ausschließlich zum Zwecke der Bildungsmaßnahme erfolgt. Ob sie den Ausbildungsgang freiwillig gewählt habe oder nicht, sei nicht entscheidend. Die Stadt Y sei lediglich Ausbildungsstätte gewesen, die im Rahmen der Tätigkeit für die Bundeswehr aufgesucht worden sei, da die Bundeswehr die Ausbildung selbst nicht anbiete/anbieten könne. Da ein Arbeitnehmer innerhalb eines Dienstverhältnisses nur eine Tätigkeitsstätte haben könne, habe sich diese noch bei der Bundeswehr befunden.
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Der Verweis auf § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG könne vorliegend nicht gelten, da die Abordnung nach Y nicht unbefristet und für einen Zeitraum von weniger als 48 Monaten erfolgt sei. Auch die Alternative des § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG komme nicht zur Anwendung. Eine dienstrechtliche Festlegung liege nicht vor bzw. sei nicht eindeutig. Die Abordnung an die Stadt Y umfasse nicht die gesamte Dauer des Dienstverhältnisses, da das Dienstverhältnis bei der Bundeswehr am 04.01.2021 ende.
9
Die Klägerin wies außerdem darauf hin, dass in dem Bescheid der Bundeswehr vom 06.09.2019 unter „Auflösende Bedingungen“ u.a. vermerkt sei, dass die bewilligte Förderung bei einer Nichtteilnahme an der Bildungsmaßnahme ende. Unter „Melde-, Anzeige- und Mitteilungspflichten“ sei u.a. weiter vermerkt:
„Falls Sie unter Freistellung vom militärischen Dienst an der Bildungsmaßnahme teilnehmen, haben Sie sich während des Freistellungszeitraums unverzüglich bei Ihrem(r) nächsten Disziplinarvorgesetzen oder der hierzu bestimmten Stelle persönlich zur Aufnahme des militärischen Dienstes zu melden, wenn Sie
1. die Bildungsmaßnahme nicht oder verspätet antreten,
- 2.
-
ihr ohne berechtigten Grund einen Tag oder länger fernbleiben oder
- 3.
-
sie unterbrechen oder vorzeitig beenden.“
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Diese Pflichten belegten das Fortbestehen des aktiven Dienstverhältnisses zur Bundeswehr. Selbst eine Meldung beim nächsten (möglicherweise ehemaligen) Disziplinarvorgesetzten sei vorgesehen. Es liege auch eine Kommandierung der Bundeswehr vom 05.03.2020 nach B vor.
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Sie, die Klägerin, sei bis 04.01.2021 aktive Soldatin gewesen. Sie habe von der Stadt Y keinen Arbeitslohn oder andere Bezüge wie z.B. Reisekostenvergütungen erhalten und kein weiteres Dienstverhältnis begründet. Das zuständige Karrierecenter der Bundeswehr habe für die Tätigkeit in Y Reisekosten entsprechend einer Auswärtstätigkeit geleistet. Daneben habe ein Anspruch auf Trennungsgeld bestanden. Dieses sei aber aufgrund der Wohnung im Einzugsgebiet (weniger als 30 km entfernt) nicht gezahlt worden. Aus Sicht der Bundeswehr habe in Y somit keine erste Tätigkeitsstätte bestanden. Auch aus Reisekostenabrechnungen könne sich eine Zuordnungsentscheidung ergeben (vgl. BMF-Schreiben vom 25.11.2020, BStBl I 2020, 1228, Rn. 11).
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Nach dem BFH-Urteil vom 14.05.2020 (VI R 3/18, BStBl II 2021, 302) liege auch während eines Auslandssemesters am ausländischen Studienort keine erste Tätigkeitsstätte vor. Dies gelte auch, wenn im Ausland ein Praktikum im Rahmen eines Dienstverhältnisses absolviert werde. Demzufolge sei ein Ausbildungsverhältnis ohne Bezahlung wie ein Praktikum zu behandeln. Die Ausbildung bei der Stadt Y sei wie ein Praktikum zu werten. Es liege eine vollzeitige Bildungsmaßnahme vor, die jedoch bis 04.01.2021 innerhalb des Dienstverhältnisses mit der Bundeswehr erfolgte. Die Regelung des § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG komme damit nicht zum Tragen.
13
In der Zeit von 09.11.2019 bis 31.12.2019 habe sie an 28 Tagen gearbeitet und sei von dem Wohnort in W zur Dienststelle in der Str.1, Y gefahren. Diese Fahrten seien im Rahmen der Auswärtstätigkeit nach Reisekostenrecht mit Hin- und Rückfahrt anzusetzen. Es habe in diesem Zeitraum 22 Arbeitstage mit Abwesenheiten von mehr als 8 Stunden unter Berücksichtigung von Pausen und Anfahrtszeiten gegeben.
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Mit nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geänderten Bescheiden vom 15.03.2021 bzw. vom 13.04.2021 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer für 2019 auf zuletzt 5.019 € herab. Die Fahrtkosten für die Monate November und Dezember 2019 für Fahrten in die Str. 1, Y wurden mit der Entfernungspauschale berücksichtigt, Mehraufwendungen für Verpflegung nicht. Es liege insoweit keine Auswärtstätigkeit vor.
15
Mit Einspruchsentscheidung vom 20.01.2022 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
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Es entspreche regelmäßig der Lebenswirklichkeit, dass der Arbeitnehmer der betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers zugeordnet sei, in der er tatsächlich tätig sei oder werden solle. Demnach sei die Klägerin mit Bescheid vom 06.09.2019 über die Freistellung vom militärischen Dienst ab dem 01.09.2019 der Stadt Y zur Laufbahnausbildung in der 2. Qualifizierungsebene zur Verwaltungssekretäranwärterin zugeordnet worden, so dass sich ihre erste Tätigkeitsstätte ab diesem Zeitpunkt in Y befinde.
17
Von einer dauerhaften Zuordnung sei ausweislich der in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG aufgeführten Regelbeispiele insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden solle. Die Zuordnung erfolge gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 2. Alt. EStG für die Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses, wenn sie aus der maßgeblichen Sicht ex ante für die gesamte Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses Bestand haben solle. Dies könne insbesondere angenommen werden, wenn die Zuordnung im Rahmen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses unbefristet oder für dessen gesamte Dauer erfolge. Da die Zuordnung für die gesamte Restdauer des Militärdienstes erfolgt sei, liege trotz Unterschreitens der Zeitdauer von 48 Monaten eine dauerhafte Zuordnung der Klägerin an die erste Tätigkeitsstätte in Y vor.
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Im Übrigen sei die Ausbildung zur Verwaltungssekretärin der Stadt Y eine vollzeitige Bildungsmaßnahme, bei der es nicht auf die Dauer ankomme. Die erste Tätigkeitsstätte sei an dem Ort, an dem der Lehrgang stattgefunden habe. Selbst bei kurzfristigen Bildungsmaßnahmen, die außerhalb eines Arbeitsverhältnisses wahrgenommen würden, seien die Grundsätze für Dienstreisen nicht einschlägig. Dies müsse für Bildungsmaßnahmen innerhalb eines Arbeitsverhältnisses entsprechend gelten.
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Nicht zuletzt lasse sich aus § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG und dem Wortsinn des Tatbestandsmerkmals der „Tätigkeitsstätte“ das Erfordernis ableiten, dass die Klägerin auch tatsächlich an der ersten Tätigkeitsstätte tätig werde. Denn ein Ort, an dem der Steuerpflichtige nicht tätig wird (oder für den Regelfall nicht tätig werden soll), könne nicht als Tätigkeitsstätte angesehen werden. Dies sei Ausfluss des objektiven Nettoprinzips, denn anderenfalls bestimme sich die Steuerlast nicht – gleichheitsrechtlich geboten – nach der individuellen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen, sondern nach dem Belieben des Arbeitgebers. Die Beurteilung der Fahrtkosten könne daher nicht nach Reisekostenrecht erfolgen und die beantragten Mehraufwendungen für Verpflegung könnten nicht angesetzt werden.
20
Die Klägerin hat am 24.02.2022 Klage erhoben.
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Zur Begründung weist sie nochmals darauf hin, dass das Dienstverhältnis zur Bundeswehr im Streitjahr nicht beendet und sie Soldatin mit allen Pflichten und Rechten gewesen sei. Die erste Tätigkeitsstätte sei an der letzten militärischen Dienststelle in X verblieben. Hätte sie die berufsbildende Maßnahme abgebrochen, hätte sie Meldepflichten unterlegen und Ihren Dienst bei der Bundeswehr wiederaufnehmen müssen. Dies unterstreiche das Schreiben des Karrierecenters der Bundeswehr vom 10.08.2020, wonach sie Anspruch auf unentgeltliche truppenärztliche Heilfürsorge und außer der Anwartschaft zur Kranken- und Pflegeversicherung keine Krankenversicherung gehabt habe. Sie habe den örtlichen Truppenarzt, das nächstgelegene Bundeswehrkrankenhaus bzw. nach einer von der Bundeswehr ausgestellten Überweisung einen Facharzt aufsuchen müssen.
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Nachdem die Klägerin zunächst Werbungskosten i.H.v. 620 € geltend gemacht hatte, teilte sie auf richterlichen Hinweis mit, dass noch Werbungskosten i.H.v. 383,70 € streitig seien:
Fahrtkosten: 28 Fahrten x 2 x 19 km x 0,30 € 319,20 €
vom Finanzamt berücksichtigt ./. 199,50 €
Gesamt: 119,70 € 119,70 €
Verpflegungsmehraufwendungen: 22 Tage x 12,00 € 264,00 €
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Sie habe keinen Ausbildungsvertrag mit der Stadt Y erhalten. Die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf habe nicht zu einem Ausbildungsdienstverhältnis geführt, da ein wesentliches Merkmal, nämlich die Ausbildungsvergütung, fehle.
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Hilfsweise werde die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO beantragt. Die Rechtsfrage habe grundsätzliche Bedeutung, da eine Vielzahl ausscheidender Zeitsoldaten mit Anspruch auf Berufsförderung während der Dienstzeit betroffen sein könnte.
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Die Klägerin beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für 2019 vom 02.11.2020 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 13.04.2021 und der Einspruchsentscheidung vom 20.01.2022 dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit weitere Werbungskosten i.H.v. 383,70 € berücksichtigt werden, hilfsweise die Revision zuzulassen.
26
Der Beklagte beantragt,
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Er verweist zur Begründung inhaltlich auf die Einspruchsentscheidung.
28
In der mündlichen Verhandlung am 08.03.2023 erläuterte die Klägerin, dass sie sich als Berufssoldatin beworben hatte und zu diesem Zweck ihre Potentialfeststellung nach aktuellem Recht wiederholt werden musste. Hierauf beziehe sich die Verfügung zur Kommandierung für Zwecke der Potentialfeststellung für Unteroffiziere für den 05.03.2020.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 08.03.2023, die Schriftsätze der Beteiligten sowie den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe
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I. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
31
Der Einkommensteuerbescheid für 2019 vom 02.11.2020 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 13.04.2021 und der Einspruchsentscheidung vom 20.01.2022 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
32
Der Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin ab 1. September 2019 über eine erste Tätigkeitsstätte in Y verfügte. Es hat für die Fahrten zwischen der Wohnung der Klägerin in W und der Dienststelle in Y zutreffend Werbungskosten nur in Höhe der Entfernungspauschale berücksichtigt. Mehraufwendungen für Verpflegung waren im Zeitraum November 2019 bis Dezember 2019 ebenso wenig anzusetzen.
33
1. Beruflich veranlasste Fahrtkosten sind Erwerbsaufwendungen. Handelt es sich bei den Aufwendungen des Arbeitnehmers um solche für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 EStG, ist zu deren Abgeltung für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die erste Tätigkeitsstätte aufsucht, grundsätzlich eine Entfernungspauschale (im Streitjahr 0,30 €, § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sätze 1 und 2 EStG) für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte anzusetzen.
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a) Erste Tätigkeitsstätte ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 AktG) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist.
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Ortsfeste betriebliche Einrichtungen sind räumlich zusammengefasste Sachmittel, die der Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten dienen und mit dem Erdboden verbunden oder dazu bestimmt sind, überwiegend standortgebunden genutzt zu werden. Eine (großräumige) erste Tätigkeitsstätte liegt auch vor, wenn eine Vielzahl solcher Mittel, die für sich betrachtet selbständige betriebliche Einrichtungen darstellen können (z.B. Werkstätten und Werkshallen, Bürogebäude und -etagen sowie Verkaufs- und andere Wirtschaftsbauten), räumlich abgrenzbar in einem organisatorischen, technischen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten stehen. Demgemäß kommt als eine solche erste Tätigkeitsstätte auch ein großflächiges und entsprechend infrastrukturell erschlossenes Gebiet (z.B. Werksanlage, Betriebsgelände, Bahnhof oder Flughafen) in Betracht (vgl. BFH-Urteile vom 10.04.2019 VI R 6/17, BStBl II 2019, 539; vom 11.04.2019 VI R 40/16, BStBl II 2019, 546 und VI R 12/17, BStBl II 2019, 551).
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b) Die Zuordnung zu einer solchen Einrichtung wird gemäß § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt, hilfsweise mittels quantitativer Kriterien (vgl. BFH-Urteile vom 10.04.2019 VI R 6/17, BStBl II 2019, 539; vom 11.04.2019 VI R 40/16, BStBl II 2019, 546 und VI R 12/17, BStBl II 2019, 551; vom 12.07.2021 VI R 9/19, BFH/NV 2022, 11).
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Zu den arbeits- oder dienstrechtlichen Weisungen und Verfügungen zählen alle schriftlichen, aber auch mündlichen Absprachen oder Weisungen. Die Zuordnung kann also insbesondere im Arbeitsvertrag oder durch Ausübung des Direktionsrechts (beispielsweise im Beamtenverhältnis durch dienstliche Anordnung) kraft der Organisationsgewalt des Arbeitgebers oder Dienstherrn vorgenommen werden. Die Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte muss dabei nicht ausdrücklich erfolgen. Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer aus der Sicht ex ante nach den arbeitsrechtlichen Festlegungen an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten tätig werden sollte (vgl. BFH-Urteile vom 10.04.2019 VI R 6/17, BStBl II 2019, 539; vom 10.04.2019 VI R 17/17, BFH/NV 2019, 904; vom 22.11.2022 VI R 6/21, juris).
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Die arbeitsrechtliche Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers muss für ihre steuerliche Wirksamkeit nicht dokumentiert werden (ebenso Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 25.11.2020 – IV C 5-S 2353/19/10011:006, BStBl I 2020, 1228, Rn. 11). Die Feststellung einer entsprechenden Zuordnung ist vielmehr durch alle nach der FGO zugelassenen Beweismittel möglich und im Rahmen einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen. So entspricht es regelmäßig der Lebenswirklichkeit, dass der Arbeitnehmer der betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers zugeordnet ist, in der er tatsächlich tätig ist oder werden soll (vgl. BFH-Urteile vom 10.04.2019 VI R 6/17, BStBl II 2019, 539; vom 12.07.2021 VI R 9/19, BFH/NV 2022, 11).
39
c) Von einer dauerhaften Zuordnung ist ausweislich der in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG aufgeführten Regelbeispiele insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll.
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Eine Zuordnung ist unbefristet i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 1. Alternative EStG, wenn die Dauer der Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte aus der maßgeblichen Sicht ex ante nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt (vgl. BFH-Urteil vom 30.09.2020 VI R 11/19, BStBl II 2021, 308). Ist das Arbeitsverhältnis seinerseits befristet, kommt eine unbefristete Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses nicht in Betracht. Denn es ist in einem solchen Fall ausgeschlossen, dass „der Arbeitnehmer unbefristet … an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll“, wie es § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG nach seinem insoweit eindeutigen Wortlaut voraussetzt (vgl. BFH-Urteil vom 10.04.2019 VI R 6/17, BStBl II 2019, 539).
41
Die Zuordnung erfolgt gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 2. Alternative EStG für die Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses, wenn sie aus der maßgeblichen Sicht ex ante für die gesamte Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses Bestand haben soll. Dies kann insbesondere angenommen werden, wenn die Zuordnung im Rahmen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses unbefristet oder (ausdrücklich) für dessen gesamte Dauer erfolgt (vgl. BFH-Urteile vom 04.04.2019 VI R 27/17, BStBl II 2019, 536; vom 11.04.2019 VI R 36/16, BStBl II 2019, 543; vom 30.09.2020 VI R 11/19, BStBl II 2021, 308).
42
War der Arbeitnehmer im Rahmen eines befristeten Arbeits- oder Dienstverhältnisses bereits einer ersten Tätigkeitsstätte zugeordnet und wird er im weiteren Verlauf einer anderen Tätigkeitsstätte zugeordnet, erfolgt diese zweite Zuordnung nicht mehr für die Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses. Denn in Bezug auf die zweite Zuordnung steht (aus der auch insoweit maßgeblichen Sicht ex ante) fest, dass sie nicht gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 2. Alternative EStG für die (gesamte) Dauer des Dienstverhältnisses gilt, sondern lediglich für die Dauer des verbleibenden Arbeits- oder Dienstverhältnisses (vgl. BFH-Urteil vom 10.04.2019 VI R 6/17, BStBl II 2019, 539).
43
2. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe verfügte die Klägerin ab 1. September 2019 für die Dauer ihres Ausbildungsdienstverhältnisses über eine erste Tätigkeitsstätte bei der Stadt Y.
44
a) Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 SVG haben Soldaten auf Zeit, die nicht Inhaber eines Eingliederungsscheins (§ 9 SVG) sind, Anspruch auf Förderung ihrer schulischen und beruflichen Bildung nach der Wehrdienstzeit, wenn sie für die Dauer von mindestens vier Jahren in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen worden sind. Die Förderung wird auf Antrag gewährt (§ 5 Abs. 1 Satz 2 SVG).
45
Von dieser Möglichkeit der Berufsförderung zur Eingliederung in das zivile Berufsleben machte die Klägerin Gebrauch. Mit Bescheid der Bundeswehr vom 06.09.2019 wurde ihre Teilnahme an der Laufbahnausbildung in der 2. Qualifikationsebene zur Verwaltungssekretärin bei der Stadt Y nach § 5 SVG gefördert. Außerdem wurde die Klägerin ab dem Ausbildungsbeginn bei der Stadt Y, d.h. ab dem 01.09.2019, bis zum Ende ihres Wehrdienstverhältnisses (04.01.2021) vom militärischen Dienst freigestellt.
46
Das (befristete) Wehrdienstverhältnis der Klägerin bestand bis zum 04.01.2021 fort, also über das Streitjahr hinaus. Denn nach § 2 Abs. 2 SG endet das Wehrdienstverhältnis mit dem Ablauf des Tages, an dem der Soldat aus der Bundeswehr ausscheidet. Nach § 54 SG endet das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit mit dem Ablauf der Zeit, für die er in das Dienstverhältnis berufen ist, im Streitfall mithin mit Ablauf des 04.01.2021. Zwar ist ein Berufssoldat entlassen, wenn er zum Beamten ernannt wird (§ 46 Abs. 3a Satz 1 SG), dies gilt jedoch nicht, wenn er zum Beamten auf Widerruf im Vorbereitungsdienst ernannt wird (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SG). Bis zum Ablauf der regulären Dienstzeit besitzt der Betroffene einen Doppelstatus als Soldat und Beamter. Vom militärischen Dienst ist er freigestellt; die Tätigkeit als Beamter gilt als Ausbildung für das spätere zivile Berufsleben. Einzelheiten regelt die Zentrale Dienstvorschrift A-1420/7 „Ernennung von Soldatinnen auf Zeit und Soldaten auf Zeit zu Beamtinnen oder Beamten auf Widerruf im Vorbereitungsdienst“ (vgl. Sohm, in Eichen/Metzger/Sohm, Soldatengesetz, 4. Aufl. 2021, § 55 Rn. 8). Die Klägerin hatte damit ab 01.09.2019 einen Doppelstatus als Soldatin und als Beamtin.
47
b) Bis zum 31.08.2019 hatte die Klägerin als Soldatin auf Zeit ihre erste Tätigkeitsstätte in der Stammkaserne in X, denn aus der maßgeblichen Sicht ex ante gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Zuordnung zur Kaserne in X mit Versetzungsverfügung vom 05.09.2013 nicht für die Dauer ihrer befristeten Tätigkeit für die Bundeswehr Bestand haben sollte (vgl. dazu BFH-Urteil vom 22.11.2022 VI R 6/21, juris).
48
Mit der Berufung der Klägerin in das Beamtenverhältnis auf Widerruf für die Dauer der Ausbildung mit Wirkung zum 01.09.2019 begründete die Klägerin jedoch ein aktives Dienstverhältnis zu der Stadt Y (vgl. die Urkunde vom 06.08.2019). Das Dienstverhältnis eines Beamtenanwärters stellt im Grundsatz ein Ausbildungsdienstverhältnis dar (unstr., vgl. BFH-Urteil vom 21.01.1972 VI R 337/70, BStBl II 1972, 261).
49
Für die Dauer der Ausbildung bei der Stadt Y, d.h. von 01.09.2019 bis zum Ende des Wehrdienstverhältnisses mit Ablauf des 04.01.2021, stand die Klägerin nicht (mehr) im aktiven Dienst bei der Bundeswehr.
50
Unter einem aktiven Dienstjahr ist nur ein solches zu verstehen, in dem der Soldat dem Dienstherrn aktiv zur Verfügung steht. Ein Soldat auf Zeit, der sich in der Freistellung vom militärischen Dienst für eine Bildungsmaßnahme befindet, steht dem Dienstherrn nicht im Sinne einer ständigen Zugriffs- und Verwendungsmöglichkeit zur Verfügung. Die Klägerin war nicht auf ihrem ursprünglichen Dienstposten für den aktiven Militärdienst verwendbar (vgl. VG Greifswald, Urteil vom 07.03.2018 6 A 185/17 HGW, juris).
51
Sie wurde vielmehr im Rahmen ihres (Ausbildungs-)Dienstverhältnisses zu der Stadt Y durch den „Ausbildungsplan für Klägerin“ der Stadt Y ab 01.09.2019 einzelnen Ämtern der Stadt Y zugewiesen und musste im Rahmen der Ausbildung an verschiedenen Fachlehrgängen, die bei externen Bildungseinrichtungen in V stattfanden, teilnehmen. Ab 09.11.2019 bis 12.01.2020 war die Klägerin an der Dienststelle des Versicherungsamtes der Stadt Y in der Str. 1, Y tätig. Dort übte sie weisungsgemäß innerhalb ihres aktiven Dienstverhältnisses diejenigen Tätigkeiten aus, die sie dienstrechtlich schuldete und die zu dem Berufsbild als Verwaltungssekretärin gehörten.
52
Sie hatte damit ihre erste Tätigkeitsstätte in Y und nicht mehr am letzten militärischen Dienstort in X.
53
c) Dem steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin ihre Vergütung – auch über den Beginn ihrer Ausbildung bei der Stadt Y, d.h. über den 01.09.2019 hinaus – vom Bundesverwaltungsamt U (Bundeswehr) erhielt.
54
Hat ein Berechtigter oder eine Berechtigte gleichzeitig mehrere Hauptämter mit Anspruch auf Bezüge inne, so wird die Besoldung aus dem Amt mit den höheren Grundbezügen oder entsprechenden Bezügen gewährt, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Sind für die Ämter Grundbezüge oder entsprechende Bezüge in gleicher Höhe vorgesehen, so werden die Bezüge aus dem zuerst übertragenen Amt gezahlt, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist (Art. 80 Abs. 2 i.V.m. Art. 5 Sätze 1 und 2 Bayerisches Besoldungsgesetz – BayBesG). Der Klägerin standen aufgrund ihres Doppelstatus ab 01.09.2019 Bezüge zu als Soldatin auf Zeit nach dem Bundesbesoldungsgesetz (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 BBesG) und als Beamtenanwärterin bei der Stadt Y nach dem Bayerischen Besoldungsgesetz (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 BayBesG).
55
Während der Durchführung der Bildungsmaßnahme und der hierzu erfolgten Freistellung vom militärischen Dienst wurden daher weiterhin die bisherigen, höheren Bezüge der Klägerin (Besoldungsgruppe A) durch die Bundeswehr geleistet (vgl. dazu Leihkauff in: Schwegmann/Summer, Besoldungsrecht des Bundes und der Länder, Erläuterungen zu Art. 5 BayBesG, 5. Sonderfall des gleichzeitigen Bestehens von Zeitsoldatenverhältnis und Beamtenanwärterverhältnis, Stand: September 2019, Rn. 8). Dies steht jedoch der Annahme eines aktiven Dienstverhältnisses zu der Stadt Y ab 01.09.2019 nicht entgegen (vgl. die elektronische Lohnsteuerbescheinigung der Stadt Y vom 06.02.2020 mit Ausweis der Lohnsteuerklasse 6).
56
Der Zuordnung der Klägerin zu einer Dienststelle in Y für die gesamte Dauer des befristeten Dienstverhältnisses steht auch nicht die Verfügung zur Kommandierung nach B vom 05.03.2020 entgegen. Hierbei handelte es sich nicht um einen Lehrgang der Bundeswehr o.ä. Hintergrund war vielmehr die Bewerbung der Klägerin als Berufssoldatin und die hierzu erforderliche nochmalige Potentialfeststellung für Unteroffiziere.
57
3. Da die Klägerin ihre erste Tätigkeitsstätte ab 1. September 2019 an ihrer Dienststelle Str. 1, Y, hatte, sind die Aufwendungen für die Wege zwischen der Wohnung der Klägerin in W und der Dienststelle in Y im November 2019 und Dezember 2019 durch die Entfernungspauschale abgegolten (vgl. auch Schönfeld/Plenker/Schaffhausen in: Schönfeld/Plenker/Schaffhausen, Lexikon für das Lohnbüro, 64. Aufl. 2022, 1. Lohnsteuer). Werbungskosten nach Reisekostengrundsätzen können daher ebenso wenig angesetzt werden wie Mehraufwendungen für Verpflegung.
58
Die Klage ist daher abzuweisen.
59
II. Die Revision wird zur Fortbildung des Rechts nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.
60
III. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, weil sie unterlegen ist (§ 135 Abs. 1 FGO).