Inhalt

LG Augsburg, Beschluss v. 13.04.2023 – 14 Qs 101/23
Titel:

Sachverständige, Sofortige Beschwerde, Gefährliche Körperverletzung, Unterbringung im Maßregelvollzug, Schuldfähigkeit, Beschlüsse des Amtsgerichts, Unerlässlichkeit, Medizinische Voraussetzungen, Bagatellstrafsachen, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Fehlende Kooperationsbereitschaft, Anlasstat, Betreuungsverfahren, Psychische Beeinträchtigung, Gemeingefährlichkeit, Verhaltensauffälligkeiten, Rechtsmittel, Beschwerdeführer, Kostenfolge, Ergänzende Stellungnahme

Schlagworte:
Unterbringung, Schuldfähigkeit, Gemeingefährlichkeit, Verhältnismäßigkeit, Kooperationsbereitschaft, Diagnostischer Rückschluss, Anlasstat
Vorinstanz:
AG Augsburg, Beschluss vom 27.03.2023 – 4 Cs 210 Js 141387/20
Rechtsmittelinstanzen:
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 19.05.2023 – 2 BvR 637/23
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 07.11.2023 – 2 BvR 637/23
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 27.02.2024 – 2 BvR 637/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 11959

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 27.03.2023 wird als unbegründet verworfen.
II. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.
1
Die Beschwerdeführerin und Angeklagte (nachfolgend „Angeklagte“) wendet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 31.03.2023 (Bl. 148/150), eingelegt durch ihren Verteidiger, gegen den Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 27.03.2023, Az. 4 Cs 210 Js 141387/20 (Bl. 134/143), mit dem die Unterbringung der Angeklagten zum Zwecke der Beobachtung im Bezirkskrankenhaus Augsburg gemäß § 81 StPO angeordnet wurde.
2
Die Beschwerde begründet Rechtsanwalt L. damit, dass die Unterbringung gemäß § 81 Abs. 1 StPO ungeeignet sei. Die Begründung des Gerichts sowie des Sachverständigen erschöpfe sich in dem Willen, die Kooperationsbereitschaft der Angeklagten zu erzwingen. Der Schwerpunkt des Untersuchungskonzepts liege in der Erwartung, ein weiteres Explorationsgespräch durchführen zu können sowie der Angeklagten ein Einverständnis zur Mitwirkung bei laborchemischen Untersuchungen und Drogentestungen abringen zu können. Weiter sei die Unterbringung nach § 81 StPO nicht erforderlich. Der Sachverständige habe bereits festgestellt, dass eine aufgehobene Einsichtsfähigkeit gemäß § 20 StGB nicht ausgeschlossen werden könne. Sie sei allenfalls zur Erlangung von Erkenntnissen in Bezug auf die Frage nach dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 63 StGB denkbar. Die Angeklagte mache allerdings von ihrem Schweigerecht Gebrauch, daher seien die Explorationsgespräche gescheitert. Eine Unterbringung sei nur dann erforderlich, wenn die Probanden zwar grundsätzlich an einer Exploration mitwirken wollten, aber zum Beispiel aufgrund sprachlicher Defizite, mangelnder Konzentrationsfähigkeit oder aufgrund körperlicher Beschwerden die zu erwartenden Erkenntnisse nicht ausreichend seien. Weiterhin habe der Sachverständige Zugang zu den Verfahrensakten, zu den Unterlagen des Betreuungsverfahrens sowie weiteren umfangreichen medizinischen Unterlagen gehabt. Zudem sei die Unterbringung unverhältnismäßig, da keine ausreichend erheblichen Anlasstaten im Sinne des § 63 StGB vorliegen würden.
3
Hinsichtlich des bisherigen Verfahrensverlaufs sowie der bisherigen Anhörungen bzw. Stellungnahmen des Sachverständigen Dr. L., der Staatsanwaltschaft sowie des Verteidigers verweist die Kammer auf die detaillierten und zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts Augsburg. Hervorzuheben ist dabei, dass der Sachverständige Dr. L. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10.03.2023 (Bl. 130 d.A.) mitteilte, dass er eine mehrwöchige Beobachtung auch dann für sinnvoll erachte, wenn ein Explorationsgespräch nicht zustande kommen würde. Anhand möglicherweise erneuter Verhaltensauffälligkeiten könne er einen diagnostischen Rückschluss ziehen.
II.
4
Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
5
Die Unterbringung gemäß § 81 StPO kommt unter anderem in Betracht zur Klärung der Schuldfähigkeit als auch zur Frage der Gemeingefährlichkeit im Sinne des § 63 StGB (KK-StPO/Hadamitzky, 9. Aufl. 2023, StPO, § 81 Rn. 1). Weiter setzt die Anordnung voraus, dass die Angeklagte der Taten dringend verdächtig ist (vgl. § 81 Abs. 2 S. 1 StPO). Zusätzlich muss die Unterbringung verhältnismäßig sein. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Sinne des § 81 Abs. 2 S. 2 StPO fordert die Beachtung des Übermaßverbotes, weshalb die Unterbringung in Bagatellstrafsachen unzulässig ist. Des Weiteren muss die Unterbringung unerlässlich und alle anderen Mittel ausgeschöpft sein, um zu einer Beurteilung des psychischen Zustandes zu kommen. Bei fehlender Kooperationsbereitschaft zur Mitwirkung ist die Unterbringung nur zulässig, wenn gleichwohl ein verwertbares Ergebnis zu erwarten ist (vgl. KK-StPO/Hadamitzky, 9. Aufl. 2023, StPO, § 81 Rn. 5 mit weiteren Nachweisen).
6
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Erwägungen liegen die Voraussetzungen der Unterbringung gemäß § 81 StPO vor. Die Angeklagte ist der ihr vorgeworfenen Taten dringend verdächtig. Diesbezüglich wird auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts Augsburg verwiesen.
7
Auch die weiteren Voraussetzungen des § 81 StPO liegen vor. Der Sachverständige Dr. L. hat aufgrund seines persönlichen Eindrucks von der Angeklagten eine Unterbringung im Sinne des § 81 StPO zur Beantwortung der Frage nach den medizinischen Voraussetzungen der Schuldfähigkeit und denen einer etwaigen Unterbringung im Maßregelvollzug gemäß § 63 StGB schriftlich befürwortet bzw. sogar angeregt. Der Sachverständige hält eine mehrwöchige Beobachtung auch dann für geeignet, wenn Explorationsgespräche nicht zustande kommen sollten. Anhand erneuter Verhaltensauffälligkeiten könne er einen diagnostischen Rückschluss ziehen. Laut Angaben des Sachverständigen habe nur ein kurzer persönlicher Eindruck von der Angeklagten gereicht, um weitere Hinweise auf eine psychische Beeinträchtigung feststellen zu können. Dass die Angeklagte, wie vom Verteidiger vorgetragen, eine Exploration ablehnt, ist daher unerheblich. Der Sachverständige verspricht sich nachvollziehbar von der Beobachtung wertvolle Erkenntnisse, die Schlüsse auf den geistigen Zustand der Angeklagten zulassen. Auch aus der Akte ergeben sich eindeutige Hinweise, die die Erwartung des Sachverständigen stützen. So werden von diversen Zeugen das aggressive, aufbrausende und sprunghafte Verhalten der Angeklagten sowie erhebliche Stimmungsschwankungen geschildert. Weiter finden sich Aussagen in der Akte, wonach die Angeklagte wirre und zusammenhangslose Äußerungen von sich gegeben habe. Die Taten selbst lassen vermuten, dass das Verhalten der Angeklagten Auffälligkeiten aufweisen wird, die dem Sachverständigen bei der Beurteilung des psychischen Zustandes der Angeklagten dienlich sein können. Insbesondere die der Angeklagten vorgeworfene gefährliche Körperverletzung (Angriff mit einem Cuttermesser) geschah nach Aktenlage völlig unvermittelt.
8
Anders als vom Verteidiger vorgetragen, handelt es sich jedenfalls bei dieser gefährlichen Körperverletzung – nach vorläufiger Würdigung der Erkenntnisse aus den Akten – um eine erhebliche Anlasstat im Sinne des § 63 StGB.
9
Der Sachverständige hat auch alle anderen Mittel ausgeschöpft, um zu einer Beurteilung des psychischen Zustands zu kommen. Nach derzeitigem Stand ist die Unterbringung für die Höchstdauer von sechs Wochen das einzige Mittel, mit dem der Sachverständige Dr. L. ein genügend sicheres Bild im Hinblick auf die medizinischen Voraussetzungen §§ 20, 21, 63 StGB gewinnen kann.
III.
10
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 473 StPO.