Inhalt

OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 02.05.2023 – 3 U 383/21
Titel:

Keine Ansprüche gegen Audi wegen des dort entwickelten, hergestellten und eingebauten 3,0-Liter-Motors (hier: Audi Q7 3.0 TDI quattro)

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826, § 831
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 1, Abs. 2
ZPO § 138 Abs. 3, § 522 Abs. 2
Typgenehmigungsverfahrens-RL Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46
VwVfG § 24 Abs. 1 S. 1, 2
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2022, 21374; KG BeckRS 2023, 2608; OLG Bamberg BeckRS 2023, 10858; BeckRS 2023, 10853; OLG Brandenburg BeckRS 2022, 32170; OLG Braunschweig BeckRS 2022, 28824; BeckRS 2022, 27100; OLG Nürnberg BeckRS 2023, 5896; BeckRS 2023, 5895; BeckRS 2023, 8575; BeckRS 2023, 9333; OLG Zweibrücken BeckRS 2022, 39887; BeckRS 2022, 39888; BeckRS 2022, 18797; OLG München BeckRS 2022, 43580; BeckRS 2023, 7833; BeckRS 2022, 36080 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Einsatz einer „Aufheizstrategie“, die das KBA als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft und deswegen Rückrufe angeordnet hat, betrifft lediglich Fahrzeuge, die mit einem „Bi-Turbo“ ausgestattet sind, oder sogenannte „Euro 6 Vorerfüller“. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Allein aufgrund der Verwendung des Codes „23X6“ beim Aufspielen des Softwareupdates kann nicht darauf geschlossen werden, dass das Update nicht wegen einer bloßen Konformitätsabweichung (technischen Fehler beim Sensor zur Erkennung und Warnung vor einer Falschbetankung des AdBlue-Tanks) erfolgt ist, sondern wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Hinblick auf den Emissionsausstoß. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Hätte auch eine ausreichende Erkundigung der Herstellerin zu keinem anderen Erkenntnisstand geführt, kann der Vorwurf der Fahrlässigkeit nicht erhoben werden, weil sich die Erkundigende grundsätzlich auf die Fachkompetenz einer Fachbehörde verlassen darf und ihr kein „besseres“ Wissen als das der Genehmigungsbehörde abzuverlangen ist, so dass sie sich insoweit in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befindet. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi AG, 3.0 l V6 Dieselmotor, EA 897 evo (Euro 6), unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Rückruf-Code „23X6“, Aufheizstrategie, Euro 6 Vorerfüller, unvermeidbarer Verbotsirrtum
Vorinstanz:
LG Würzburg, Endurteil vom 29.09.2021 – 21 O 837/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 11790

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Würzburg vom 29.09.2021, Az. 21 O 837/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO einstimmig zurückzuweisen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 72.513,97 € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis einschließlich 24.05.2023.

Entscheidungsgründe

I.
1
1. Hinsichtlich des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird gem. § 540 ZPO auf die Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen. Lediglich ergänzend bzw. erläuternd ist auszuführen:
2
Die Klagepartei nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.
3
Die Klagepartei erwarb mit Bestellung vom 13.01.2017 bei der Fa. … in … einen Neuwagen der Marke Audi Q7 3.0 TDI quattro (262 PS) zu einem Preis von 90.400,00 € (Anlage K1). Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Motor mit der Bezeichnung EA 897 evo (Euro 6) ausgestattet.
4
Am 26.09.2019 wurde ein Update aufgespielt.
5
Der km-Stand am 01.09.2021 betrug 73.293 km.
6
Die Klagepartei hat in erster Instanz vorgetragen, im Fahrzeug sei eine illegale Abschalteinrichtung in Form einer sog. „schnellen Motoraufwärmfunktion“ bzw. „Aufheizstrategie“ und eines „Thermofensters“ verbaut. Das aufgespielte Update „23X6“ sei nach dem Erlass des Rückrufbescheids des KBA vom 23.01.2018 erfolgt, welcher auch das hiesige Fahrzeug betroffen habe. Insoweit wird auf eine Pressemitteilung des KBA (Anlage K2) verwiesen. Der als Anlage K5 vorgelegte Rückrufbescheid wegen unzulässiger Aufheizungsstrategien betreffe einen Audi Q7, Typ 4L, Euro-Norm 6, mithin das exakt das gleiche Modell (Bl. 71 d.A.), wie aus dem Fahrzeugschein (Anlage K6) hervorgehe. Aus der Rückrufdatenbank des KBA gehe hervor, dass unter dem Herstellercode „23X6“ ein verpflichtender Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung erfolgt sei (Bl. 72 d.A.). Hiervon sei auch das streitgegenständliche Fahrzeug betroffen gewesen. Im Leistungsnachweis des Autohauses Spindler über das Update am hiesigen Fahrzeug (Anlage K7) sei der Rückruf-Code „23X6“ ausdrücklich aufgeführt.
7
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt:
(1.) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 72.513,97 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs der Marke Audi Q7, Fahrgestellnummer … zu bezahlen.
(2). Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtlich angefallene Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.403,21 € zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
(3.) Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des unter Ziffer 1 bezeichneten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
8
Die Beklagte hat in erster Instanz beantragt,
die Klage abzuweisen.
9
Sie hat dem Klagevorbringen entgegnet, dass in dem Fahrzeug ein Motor des Typs 3.0 V6 TDI der Generation 2 Evolution (Gen2Evo) verbaut sei und dass für diesen Fahrzeugtyp kein amtlicher Rückrufbescheid wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorliege, sondern wegen einer bloßen Konformitätsabweichung. Das streitgegenständliche Fahrzeug habe lediglich einen technischen Fehler beim Sensor zur Erkennung und Warnung vor einer Falschbetankung des AdBlue-Tanks aufgewiesen, welcher mittels eines Updates behoben worden sei. Das Nachrüstprogramm stehe nicht im Zusammenhang mit dem Emissionsverhalten des Fahrzeugs bei ordnungsgemäßem Betrieb (Bl. 37 d.A.). Das Software-Uptdate für Fahrzeuge des Typs Audi Q7 3.0 V6 TDI (EU6) habe das KBA bereits am 07.08.2019 freigegeben (Anlage B7; Bl: 38 d.A.). Das KBA habe mehrfach bestätigt, dass der Rückruf für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp nicht wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung erfolgt sei. Insoweit wird auf die Anlagen B2-B6 verwiesen. Die Anlage K2 sei nicht aussagekräftig, ebenso wenig wie der Auszug aus der Rückrufdatenbank, da diesen keine Differenzierung nach Motortyp und Motorisierung entnommen werden könne. Die Klagepartei könne mit dem Motorkennbuchstaben CRT und dem Zusatz C, der aus der Zulassungsbescheinigung Teil I ersichtlich sei, über die Rückrufdatenbank des KBA überprüfen, ob das streitgegenständliche Fahrzeug tatsächlich von einem Rückruf betroffen sei; diese Überprüfung werde negativ ausfallen (Bl. 84 d.A.). Es werde bestritten, dass das als Anlage K5 vorgelegte Schreiben das streitgegenständliche Fahrzeug betreffe. Der Rückrufcode „23X6“ sei für eine Vielzahl von Rückrufen verwendet worden, u.a. auch wegen bloßer Konformitätsabweichungen. So habe das KBA in einer amtlichen Auskunft vom 25.01.2021 (Anlage B6) mitgeteilt, dass Hintergrund des Rückrufcodes „23X6“ und die KBA-Referenznummer 8168 die von der Beklagten dargelegte Konformitätsabweichung sei (Bl. 89 d.A.).
10
Generell seien keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut worden. Ein Thermofenster komme nicht zum Einsatz. Überdies könne ein Thermofenster nicht als unzulässige Abschalteinrichtung angesehen werden; jedenfalls läge insoweit kein sittenwidriges vorsätzliches Verhalten vor. Zudem sei ein Schaden des Klägers oder vorsätzliches Handeln der Beklagten nicht gegeben.
11
2. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger nicht nachgewiesen habe, dass sein Fahrzeug von einem verbindlichen Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen sei. Im Hinblick auf das Thermofenster und die beschriebene Aufheizstrategie läge kein sittenwidriges Verhalten der Beklagten vor. Auch ein entsprechender Vorsatz sei nicht schlüssig dargelegt worden.
12
3. Gegen das vorgenannte Endurteil wendet sich die zulässige Berufung des Klägers, mit der er unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens in erster Instanz seinen Klageantrag weiter verfolgt.
13
Das Landgericht habe verkannt, dass sich die Anlage K5 auf das streitgegenständliche Fahrzeug beziehe und dass der Kläger durch die Anlage K7 nachgewiesen habe, dass für das streitgegenständliche Fahrzeug ein verpflichtender Rückruf des KBA unter dem Code „23X6“ zur Anpassung des Emissionsausstoßes erfolgt sei. Der Kläger habe bereits in erster Instanz vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass ein solcher verpflichtender Rückruf durch das KBA mit Datum vom 11.12.2019 erfolgt sei (Bl. 4 Berufungsbegründung). Insoweit liege auch ein sittenwidriges Verhalten vor, ebenso hinsichtlich des verbauten Thermofensters.
14
Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren:
(1.) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 72.513,97 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs der Marke Audi Q7, Fahrgestellnummer … zu bezahlen.
(2.) Die Beklagten wird verurteilt, an den Kläger außergerichtlich angefallene Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.403,21 € zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
(3.) Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des unter Ziffer 1 bezeichneten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
15
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
16
Sie verteidigt das angegriffene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages.
17
Das Verfahren betreffe ein Fahrzeug des Typs Audi Q7 3.0 TDI Typ „4M“, Motorkennbuchstabe CRTC. Der Typ „4M“ sei aus der FIN ersichtlich. Der Rückrufbescheid aus dem Jahre 2018 (gemeint ist offenbar die Anlage K5) betreffe das bis Juni 2015 gebaute Vorgängermodell des Typs Audi Q7 Typ „4L“; das hiesige Fahrzeug sei Baujahr 2017. Dass der streitgegenständliche Rückruf lediglich wegen einer Konformitätsabweichung erfolgt sei, sei vom KBA mehrfach bestätigt worden. Bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug handele es sich nicht um einen „EU6-Vorerfüller“.
18
Die Klagepartei habe bereits im September 2019 ein Schreiben der Beklagten erhalten, woraus sich ergebe, weshalb der Rückruf erfolgt sei und welches die Klagepartei hier nicht vorgelegt habe. Ein solches Schreiben werde exemplarisch als Anlage BE1 vorgelegt.
19
Wegen des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.
II.
20
Der Senat ist davon überzeugt, dass der Berufung der Klagepartei die Erfolgsaussicht fehlt und auch die weiteren Voraussetzungen für eine Entscheidung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorliegen. Die gemäß §§ 511 ff. ZPO zulässige Berufung der Klagepartei erweist sich als unbegründet, weil ihr keine Ansprüche gegen die Beklagte zustehen. Zu Recht hat das Erstgericht die Klage abgewiesen. Insbesondere hat das Landgericht zutreffend einen Anspruch aus der Vorschrift des § 826 BGB verneint. Auf die zutreffenden Gründe wird Bezug genommen. Zu den Berufungsangriffen sind lediglich folgende Anmerkungen veranlasst:
21
1. Einen Anspruch gegen die Beklagte wegen Verwendung einer unzulässigen „schnellen Motoraufwärmfunktion“ bzw. einer„Aufheizstrategie“ nach § 826 BGB hat die Klagepartei nicht hinreichend substantiiert dargelegt.
22
a) Der Einsatz dieser „Aufheizstrategie“, die das KBA – auch bei Fahrzeugen der Beklagten – als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft und deswegen Rückrufe angeordnet hat, betrifft lediglich Fahrzeuge, die mit einem „Bi-Turbo“ ausgestattet sind, oder sogenannte „Euro 6 Vorerfüller“. Dies lässt sich den senatsbekannten Rückrufbescheiden des KBA wie auch hier beispielsweise der klägerseits vorgelegten Anlage K5 entnehmen.
23
b) Dem Vortrag der Beklagten, dass das streitgegenständliche Fahrzeug hierzu nicht gehöre, ist der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten. Er hat nur lediglich pauschal behauptet, aus der vorgelegten Zulassungsbescheinigung (Anlage K6) ergebe sich, dass das streitgegenständliche Fahrzeug identisch mit dem Fahrzeug sei, für welches der Rückruf in Anlage K5 angeordnet worden sei. Dies ist nicht ausreichend. Woraus man aus der Zulassungsbescheinigung eine solche Identität erkennen könne, hat der Kläger nicht vorgetragen.
24
Zudem hat – ebenfalls unter Verweise auf die Zulassungsbescheinigung für das streitgegenständliche Fahrzeug – die Beklagte unwidersprochen vorgetragen, dass aus der FIN, welche die Kombination …4M… enthalte, hervorgehe, dass das streitgegenständliche Fahrzeug den Motortyp 4M enthalte, welcher nicht von einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen sei, dass der von einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffene Typ „4L“ als Vorgängermodell des hiesigen Fahrzeugtyps lediglich bis Juni 2015 gebaut worden und das streitgegenständliche Fahrzeug erst im Jahr 2017 produziert worden sei. Damit gelten diese Behauptungen seitens des Klägers als zugestanden, § 138 Abs. 3 ZPO.
25
c) Die Beklagte hat überdies nachvollziehbar – u.a. unter Vorlage der Anlage B6 – dargelegt, dass allein aufgrund der Verwendung des Codes „23X6“ beim Aufspielen des Softwareupdates nicht darauf geschlossen werden kann, dass das Update nicht wegen einer bloßen Konformitätsabweichung (technischen Fehler beim Sensor zur Erkennung und Warnung vor einer Falschbetankung des AdBlue-Tanks) erfolgt ist, sondern wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Hinblick auf den Emissionsausstoß.
26
d) Dem Vortrag der Beklagten, das streitgegenständliche Fahrzeug sei ein solches des Typs Audi Q7 3.0 TDI Typ „4M“, Motorkennbuchstabe CRTC, wie aus der FIN ersichtlich sei, ist der Kläger ebenfalls nicht entgegengetreten. In dem Zusammenhang hat die Beklagte auf die Anlage B7, der Freigabebescheinigung des KBA vom 07.08.2019, verwiesen, aus der hervorgeht, dass das KBA die Freigabe der Rückrufaktion zum Audi Q7 3,0 l Diesel Euro 6 u.a. mit den Motorkennbuchstaben CRTC (wegen einer Konformitätsabweichung) genehmigt hat.
27
e) Bezeichnenderweise hat der Kläger auch nicht einen an ihn adressierten Rückrufbescheid vorgelegt, sondern lediglich anonymisierte Schreiben des KBA, aus denen nicht einmal das Datum ersichtlich ist und woraus nicht erkennbar ist, dass diese für das streitgegenständliche Fahrzeug erteilt wurden. Auch dem Vortrag der Beklagten, dass dem Kläger ein der Anlage BE1 entsprechendes Schreiben von der Beklagten zugegangen sei, worin lediglich auf eine Konformitätsabweichung hingewiesen wurde, ist der Kläger nicht entgegengetreten.
28
f) Der Leistungsnachweis der Fa. … (Anlage K7) ist ebenfalls nicht geeignet, die Betroffenheit des klägerischen Fahrzeug von einem Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu belegen. Dort steht neben dem Code „23X6“ lediglich „A-Diesel Emissionsminderung“, was nicht den zwingenden Schluss auf die Beseitigung einer unzulässigen Abschalteinrichtung zulässt, wie aus der von der Beklagten vorgelegten Anlage B6 hervorgeht. Zudem wurde das Software-Update auf das klägerische Fahrzeug unstreitig bereits am 26.09.2019 aufgespielt. Es ist daher von vornherein nicht schlüssig, wenn der Kläger nun im Berufungsverfahren vorträgt, ein verpflichtender Rückruf durch das KBA für das streitgegenständliche Fahrzeug wegen einer unzulässigen Aufheizstrategie sei mit Datum vom 11.12.2019 erfolgt (Bl. 4 Berufungsbegründung); denn dies wäre nach Durchführung des Software-Updates.
29
2. Ein Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagte nach § 826 BGB oder § 831 BGB wegen des im Fahrzeug der Klagepartei unstreitig zum Einsatz kommenden Thermofensters besteht nicht. Es fehlt sowohl an der objektiven Sittenwidrigkeit als auch am Schädigungsvorsatz.
30
Seit der Entscheidungsserie vom 16.09.2021 (Urteile vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, 286/20, 321/20 und 322/20) nimmt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung an, dass es im Hinblick auf die – jedenfalls bis zur Auslegung der unionsrechtlichen Vorschriften durch den Gerichtshof der Europäischen Union in dessen Urteilen vom 14.07.2022 (Rechtssachen C-128/20, C-134/20 und C-145/20) bestehende – unsichere Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Thermofensters unabhängig vom konkret verwendeten Typ des Dieselmotors und herstellerübergreifend (zu Daimler: u.a. Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721; zu VW: Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814; zu Audi: Beschluss vom 01.09.2021, VII ZR 128/21, juris; Beschluss vom 13.10.2021, VII ZR 164/21, juris; zu BMW: Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, juris) sowohl an einem besonders verwerflichen Verhalten des Herstellers als auch an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz fehlt. Lediglich mit Blick auf das Vorbringen der Klagepartei ist ergänzend anzumerken:
31
a) Bei Implementierung des Thermofensters erfolgt die Abgasreinigung im Grundsatz auf dem Prüfstand und im realen Betrieb in gleicher Weise. Es liegt damit – im „Thermofenster“ als solchem – noch kein System der Prüfstandserkennung vor (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, Rn. 19). Soweit die Klagepartei behauptet, der Temperaturbereich des Thermofensters sei auf die Bedingungen auf dem Prüfstand exakt zugeschnitten, hat sie dies schlüssig und in prozessual beachtlicher Weise vorzutragen (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, Rn. 20).
32
b) Überdies ist der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidungsserie vom 16.09.2021 (Urteile des BGH vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, 286/20, 321/20 und 322/20) unabhängig vom konkret verwendeten Typ des Dieselmotors und herstellerübergreifend nunmehr zu dem Ergebnis gelangt, dass es im Hinblick auf die unsichere Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Thermofensters sowohl an einem besonders verwerflichen Verhalten des Herstellers als auch an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz fehlt:
33
aa) Danach kann bei einer Abschalteinrichtung wie hier, die im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb und bei der sich die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantworten lässt, bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Eine möglicherweise nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt für die Feststellung der besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten nicht. Allein aus der – unterstellten – objektiven Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters folgt ferner kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer. Im Hinblick auf die unsichere Rechtslage – hinsichtlich des unstreitig in den Fahrzeugen der Beklagten verbauten Thermofenster fehlt es bis heute an einer behördlichen Stilllegung oder einem Zwang zu Umrüstungsmaßnahmen – ist nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung der Klagepartei hätte aufdrängen müssen.
34
bb) Dass bestimmte Ausgestaltungen des Thermofensters nunmehr vom EuGH als unzulässige Abschalteinrichtungen angesehen werden (EuGH NJW 2022, 2605) und denkbar ist, dass diese Sicht, wenn sie nicht bereits in der Vergangenheit vom KBA geteilt und im Prüfungsverfahren umgesetzt wurde (s.u.), in Zukunft auch vom KBA übernommen wird, ändert an der vorstehenden Beurteilung nichts. Denn für diese sind die damaligen, vor Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeuges liegenden, Vorstellungen und Erkenntnisse maßgeblich (OLG Stuttgart, Urteil vom 25.01.2022, 16a U 138/19, Rn. 38).
35
3. Hieran anknüpfend bietet das Vorhandensein eines „Thermofensters“ unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH vom 21.03.2023 in der Rechtssache C-100/21 (ECLI:EU:C:2022:420) keine Grundlage für einen Anspruch aus den Vorschriften der Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 der VO 715/2007, Art. 18 Abs. 1, 26 Abs. 1, 46 der RL 2007/46 i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB.
36
a) Das „Thermofenster“ funktioniert im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise wie im realen Fahrbetrieb. Deshalb kann die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantwortet werden, so dass, wie bereits erörtert, bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte auch nicht ohne Weiteres unterstellt werden kann, dass die für die Beklagte handelnden Personen einen Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen und damit bedingt vorsätzlich gehandelt haben (BGH, Urteil vom 24.03.2022, Az. III ZR 263/20 Rn. 22; BGH NJW 2021, 3721, Rn. 30). Die vorliegenden Umstände rechtfertigen jedoch noch nicht einmal ein fahrlässiges Handeln der Beklagten.
37
b) Aus dem senatsbekannten Bericht der vom Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur eingesetzten Untersuchungskommission „Volkswagen“ vom April 2016 ist zu entnehmen, dass in dem hier fraglichen Zeitraum Thermofenster von allen Autoherstellern verwendet und mit dem Erfordernis des Motorschutzes begründet wurden. Nach Einschätzung der Untersuchungskommission handelt es sich bei der Verwendung eines Thermofensters angesichts der Unschärfe der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 715/2007, wonach zum Schutz des Motors vor Beschädigungen und zur Gewährleistung eines sicheren Fahrzeugbetriebs notwendige Abschalteinrichtungen zulässig sind, um keine eindeutigen Gesetzesverstöße, sofern ohne die Verwendung des Thermofensters dem Motor Schaden drohe und „sei dieser auch noch so klein“ (vgl. BMVI, Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Stand April 2016, S. 123). Daneben zeigt auch der in der Literatur (vgl. Führ, NVwZ 2017, 265) betriebene erhebliche Begründungsaufwand, um das „Thermofenster“ als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen, dass keine klare und eindeutige Rechtslage gegeben ist (BGH, Urteil vom 24.03.2022, Az. III ZR 263/20 Rn. 22; OLG Koblenz, Urteil vom 14.09.2020, AZ.: 12 U 1464/19, Rn. 23).
38
c) Daneben ist eine temperaturgesteuerte Abgasrückführung bei Dieselmotoren zur Vermeidung von Stickoxiden seit Jahrzehnten üblich und in Fachkreisen allgemein (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.02.2022, 8 U 143/21, Rn. 10) und zumindest ab 2008 speziell auch dem EU-Normgeber (vgl. Mitteilung der EU-Kommission – 2008/C 182/08 – über die Anwendung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über Emissionen, dort unter Nr. 8) bekannt (OLG Stuttgart, Urteil vom 25.01.2022, 16a U 138/19, Rn. 36). Das KBA hatte von der Verwendung von Thermofenstern bei allen Herstellern und die in diesem Zusammenhang geführte rechtliche Diskussion um den Motorschutz ebenfalls Kenntnis. Es war deshalb zu einer Überprüfung des Emissionsverhaltens der Fahrzeuge ohne weiteres in der Lage (BGH, Urteil vom 13.01.2022, Az. III ZR 205/20, Rn. 25). Zudem waren die Hersteller nach der genannten Mitteilung der EU-Kommission (dort Ziff. 7) auch nicht verpflichtet, Informationen über das Emissionsverhalten von Dieselfahrzeugen bei niedrigen Temperaturen zur Verfügung zu stellen, so dass die Hersteller keine Verpflichtung zu einer Beschreibung über die exakte Wirkungsweise traf (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.02.2022, 8 U 143/21, Rn. 10). Vor diesem Hintergrund durfte die Beklagte bei der Beantragung der EG-Typgenehmigung davon ausgehen, dass die Existenz von Thermofenstern dem KBA bekannt gewesen war und ihr insoweit keine Pflicht oblegen hatte, ungefragt von sich aus auf ein Thermofenster hinzuweisen (OLG Stuttgart, Urteil vom 25.01.2022, 16a U 138/19, Rn. 36).
39
Wenn also die Beklagte den gesetzlichen Anforderungen entsprechend ihren Mitteilungspflichten bezüglich des Thermofensters nachgekommen ist, durfte sie sich grundsätzlich darauf verlassen, dass das KBA im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG eine Ergänzung verlangen würde, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit des Thermofensters in dem betreffenden Fahrzeug zu prüfen (BGH, Urteil vom 16.9.2021, Az. VII ZR 190/20, Rn. 26). Anderenfalls durfte die Beklagte auf die Prüfungskompetenz des KBA als Genehmigungsbehörde vertrauen und ohne Verschulden von der Zulässigkeit ihres Vorgehens ausgehen.
40
d) Selbst wenn man sogar eine Erkundigungspflicht der Beklagten unterstellen würde, ist davon auszugehen, dass das KBA, wie bislang geschehen, im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs nichts unternommen und insbesondere das Thermofenster nicht beanstandet hätte. Das KBA geht noch heute von der Zulässigkeit des Thermofensters aus, wie sich aus der senatsbekannten Pressemitteilung des KBA vom 14.07.2022 ergibt. Darin hat das KBA anlässlich eines Urteils des EuGH vom 17.12.2020 Stellung genommen und erklärt, dass es bereits in der Vergangenheit die Zulässigkeit des „Thermofensters“ entsprechend den Grundsätzen des EuGH und den Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 durch eigene Untersuchungen und Messungen geprüft habe. Dementsprechend sei die Unzulässigkeit von temperaturabhängigen Abschalteinrichtungen für Außentemperaturen zwischen 15 °C und 33 °C angewandt worden, wobei das KBA je nach verfügbarer Technologie deutlich darüber hinausgegangen sei. Die Genehmigungspraxis des KBA habe bereits die Maßstäbe des EuGH berücksichtigt, dass die volle Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems überwiegend gewährleistet sein müsse (www.kba.de/DE/Themen/Marktueberwachung/Abgasthematik/stellungnahme_euGH_thermofen ster_inhalt.html).
41
Außerdem hat das KBA in den bereits dargestellten amtlichen Auskünften ausgesprochen, dass es, das Thermofenster ausdrücklich eingeschlossen, keine unzulässige Abschalteinrichtung bei dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp habe feststellen können. Daher steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung zu keinem anderen Erkenntnisstand der Beklagten geführt hätte. In einem solchen Fall kann der Vorwurf der Fahrlässigkeit nicht erhoben werden, auch wenn eine grundsätzlich erforderliche Erkundigung nicht eingeholt wurde. Weil sich der Erkundigende grundsätzlich auf die Fachkompetenz einer Fachbehörde verlassen darf, ist ihm ein „besseres“ Wissen als das der Genehmigungsbehörde nicht abzuverlangen. Es handelt sich insoweit um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum (BGH, NJW-RR 2017, 1004 Rn. 17; BGH NJW-RR 2018, 1250 Rn. 28, 32). Hierauf kann sich die Beklagte angesichts der vorgenannten Umstände zu Recht berufen.
42
4. Aus diesen Gründen ist die Berufung der Klagepartei ohne Erfolg und ist daher als unbegründet zurückzuweisen.
III.
43
1. Die aussichtslosen Berufungsangriffe erfordern keine Erörterung in mündlicher Verhandlung.
44
2. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Nr. 3 ZPO liegen nicht vor.
45
3. Der Senat regt daher – unbeschadet der Möglichkeit zur Stellungnahme – die kostengünstigere Rücknahme der aussichtslosen Berufung an, die zwei Gerichtsgebühren spart (vgl. Nr. 1220, 1222 Kostenverzeichnis GKG).