Titel:
Mindestanforderungen, die an den Inhalt eines Beschlusses zur Durchsuchung einer Wohnung zu stellen sind
Normenkette:
StPO § 102, § 105 Abs. 1
Leitsätze:
1. Ein Durchsuchungsbeschluss wegen Steuerhinterziehung, der keine Angaben dazu enthält, durch welche Handlung oder Unterlassung eine Steuerhinterziehung begangen worden sein soll und wann Steuererklärungen eingereicht worden sind oder hätten eingereicht werden sollen, erfüllt nicht die rechtsstaatlichen Mindestanforderungen, die an den Inhalt eines Beschlusses zur Durchsuchung einer Wohnung zu stellen sind. (Rn. 11)
2. Dahingehende Ausführungen, die Geldströme auf den Bankkonten sowie die Lebensführung des Beschuldigten entsprächen nicht den den Steuerbescheiden zu Grunde gelegten Einkommensverhältnissen, reichen nicht aus. (Rn. 11)
Zwingend erforderlich ist, dass in dem Durchsuchungsbeschluss die aufzuklärende Straftat tatsächlich und rechtlich so genau umschrieben wird, dass Umfang und Reichweite des dadurch legitimierten Grundrechtseingriffs deutlich werden und klar ist, worauf sich die Durchsuchung bezieht (Anschluss an BVerfG BeckRS 2015, 43450). (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Durchsuchungsbeschluss, Anforderungen an den Inhalt, Tatvorwurf, Steuerhinterziehung
Vorinstanz:
AG Nürnberg, Beschluss vom 01.02.2023 – 59 Gs 1279-1281/23
Fundstellen:
NStZ 2024, 62
LSK 2023, 11773
BeckRS 2023, 11773
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird festgestellt, dass die mit Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom [ ], Az.: 59 Gs 1279-1281/23, getroffene Durchsuchungsanordnung rechtswidrig war.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Beschwerdeführer hierbei entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
1
Das Finanzamt [ ] führt gegen den Beschwerdeführer und Beschuldigten ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung.
2
Mit Beschluss vom [ ], Az.: 59 Gs 1279-1281/23, ordnete das Amtsgericht [ ] – Ermittlungsrichter – die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Beschuldigten an (Bl. [ ]). In diesem wurde dem Beschuldigten die Hinterziehung von [ ] zu Gunsten der B vorgeworfen. Auf den Sachverhalt und die Begründung wird Bezug genommen. Die Durchsuchung wurde am [ ] durchgeführt und dem Beschuldigten das Strafverfahren eröffnet (Bl. [ ]).
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Mit Schriftsatz vom [ ] legte der Beschwerdeführer durch Rechtsanwalt [ ] Beschwerde gegen den Beschluss vom [ ] ein (Bl. [ ]). Das Amtsgericht half der Beschwerde mit Verfügung vom [ ] nicht ab ([ ]). Das Finanzamt [ ] legte die Akten unter dem [ ] dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vor (Bl. [ ]).
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Eine Beschwerdebegründung vom [ ] ging unter dem [ ] bei Gericht ein. Zusammengefasst wurde darin unter anderem ausgeführt, der Beschluss leider unter Begründungsmängeln und ein Anfangsverdacht sei nicht gegeben. Im Übrigen wird auf den Schriftsatz Bezug genommen.
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Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Durchsuchungsbeschluss ist rechtswidrig ergangen.
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1. Die Beschwerden sind gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässig. Auch wenn sich die Durchsuchungsanordnungen mit ihrem Vollzug erledigt haben, besteht das Rechtsschutzinteresse an einer Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Durchsuchungsanordnung fort, allein deshalb darf die Beschwerde nicht unter dem Gesichtspunkt prozessualer Überholung als unzulässig verworfen werden (MüKoStPO/Hauschild, 2. Aufl. 2023, StPO § 105 Rn. 41a m. w. N.). Prüfungsmaßstab bleibt im Beschwerdeverfahren allerdings die Sach- und Rechtslage zur Zeit des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses (MüKoStPO/Hauschild, 2. Aufl. 2023, StPO § 105 Rn. 41c m. w. N.). Das Beschwerdegericht darf zur Begründung seiner Entscheidung daher keine Erkenntnisse heranziehen, die dem Ermittlungsrichter nicht bekannt waren, etwa weil sie erst durch die Durchsuchung gewonnen wurden (vgl. BVerfG (1. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 10. 9. 2010 – 2 BvR 2561/08).
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2. Die Beschwerde ist auch begründet. Der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts [ ] vom [ ] (Az.: 59 Gs 1279-1281/23) und die hierauf gestützte Durchsuchung der Wohnräume des Beschwerdeführers sowie der Geschäftsräume sind rechtswidrig.
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a. Der Beschluss erfüllt nicht die sich aus Art. 13 Abs. 1, 2 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes ergebenden rechtsstaatlichen Mindestanforderungen, die an den Inhalt eines Beschlusses zur Durchsuchung einer Wohnung zu stellen sind.
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Insbesondere bei Durchsuchungen, die in der Regel ohne vorherige Anhörung des Betroffenen ergehen, soll die Einschaltung des Richters für die gebührende Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten sorgen. Es ist die Aufgabe des Richters, die beabsichtigte Durchsuchungsmaßnahme eigenverantwortlich zu prüfen. Als Kontrollorgan der Strafverfolgungsbehörden trifft ihn die Pflicht, durch eine geeignete Formulierung des Durchsuchungsbeschlusses im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sicherzustellen, dass der Eingriff in die Grundrechte messbar und kontrollierbar bleibt. Aus dieser richterlichen Pflicht folgt, dass der Durchsuchungsbeschluss bestimmten Mindestanforderungen genügen muss. Insbesondere sind bei Wohnungsdurchsuchungen auch tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs erforderlich, sofern sie nach dem Ermittlungsergebnis ohne weiteres möglich sind und den Zwecken der Strafverfolgung nicht zuwider laufen. Es sind also, wenn auch knappe, aber doch aussagekräftige Tatsachenangaben erforderlich (Meyer-Goßner, StPO, § 105, Rn. 5; Schäfer, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 105, Rn. 37 ff.).
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Zwingend erforderlich ist, dass in dem Durchsuchungsbeschluss die aufzuklärende Straftat tatsächlich und rechtlich so genau umschrieben wird, dass Umfang und Reichweite des dadurch legitimierten Grundrechtseingriffs deutlich werden und klar ist, worauf sich die Durchsuchung bezieht. Diese Umschreibung muss den mit der Vollziehung der Anordnung betrauten Beamten aufzeigen, worauf sie ihr Augenmerk richten sollten, und damit den Zweck der Durchsuchungsanordnung erfüllen, den Zugriff auf Beweisgegenstände bei der Vollziehung der Durchsuchung zu begrenzen (BVerfG, Beschluss vom 11. Februar 2015 – 2 BvR 1694/14, juris Rn. 25; Beschluss vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14, juris Rn. 14; Beschluss vom 24. März 2003 – 2 BvR 180/03, juris Rn. 2; Beschluss vom 6. März 2002 – 2 BvR 1619/00, juris Rn. 16).
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b. Derartige Ausführungen fehlen hier jedoch. Die Darlegungen hinsichtlich des dem Beschwerdeführer gemachten Tatvorwurfs sind, wie der Beschwerdeführer zutreffend anführt, völlig unsubstantiiert. Aus dem Beschluss ist nicht erkennbar, welche strafbare Handlung dem Beschwerdeführer vorgeworfen wird. So lässt der Beschluss vermissen, durch welche Handlung der Beschwerdeführer die ihm zur Last gelegte Steuerhinterziehung begangen haben soll, ob und wann er beispielsweise Steuererklärungen eingereicht hat. Damit fehlt die Angabe jedenfalls der erforderlichen wesentlichen Verdachtsmomente. Hierfür reicht es namentlich nicht aus, dass der Beschluss ausführt, die Geldströme auf den Bankkonten sowie die Lebensführung des Beschuldigten entsprächen nicht den den Steuerbescheiden zu Grunde gelegten Einkommensverhältnissen. Auch die Nennung der Tatvorwürfe – namentlich der Hinterziehung der [ ] und des [ ] der Jahre [ ], der [ ] der Jahre [ ] und der [ ] der Jahre [ ] zu eigenen Gunsten sowie der Hinterziehung der [ ] der Jahre [ ] und der [ ] der Jahre [ ] zu Gunsten der B – vermag hieran nichts zu ändern, da auch daraus keine konkret vorgeworfene Tat hergeleitet werden kann. Dem Betroffenen wird dadurch keine sachgerechte, umfassende Prüfung ermöglicht, ob der Beschluss rechtmäßig ergangen ist, oder ob dies nicht der Fall war und es daher angezeigt erscheint, hiergegen im Wege der Beschwerde vorzugehen (vgl. BVerfG, NStZ 2004, 160 sowie BVerfGK 1, 51 [52]: „sachgerechte Verteidigung gegen den Vorwurf”). Darüber hinaus bezweckt das Gebot der umfassenden Begründung des Durchsuchungsbeschlusses die Erleichterung der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung durch das Beschwerdegericht.
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c. Die Kammer kann deshalb vorliegend auch nicht die Konkretisierung der den Akten zu entnehmenden, den Anfangsverdacht belegenden Umstände in seiner Beschwerdeentscheidung – soweit notwendig – nachholen. Zwar führt eine unzureichende Begründung des Durchsuchungsbeschlusses grundsätzlich für sich genommen nicht zur Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsanordnung. Die Begründung darf aber nur unterbleiben, wenn die Bekanntgabe der wesentlichen Verdachtsmomente den Untersuchungszweck gefährdet. Sie kann, wenn der Erstrichter die Voraussetzungen für den Erlass der Durchsuchungsanordnung eigenständig geprüft hat und der Beschluss dies in seiner Gesamtheit in ausreichendem Maße erkennen lässt, in der Beschwerdeinstanz nachgeholt werden (BGH, Beschluss vom 18. 12. 2008 – StB 26/08; BVerfG, Beschluss vom 31. 8. 2007 – 2 BvR 1681/07). Ein solcher Fall ist hier jedoch nicht gegeben. Denn die genannten Maßstäbe gelten nicht für den – hier gegebenen – Fall, dass bereits kein strafrechtlich relevanter Sachverhalt geschildert wird, sondern vielmehr dann, wenn die Begründung der erforderlichen Verdachtsmomente, also der den Sachverhalt stützenden Beweismittel nicht in ausreichendem Maß erfolgt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO.