Inhalt

LG Augsburg, Urteil v. 28.04.2023 – 3 KLs 201 Js 109552/22
Titel:

Besonders schwere Vergewaltigung bei Einsatz von Oxazepam zur Sedierung des Opfers

Normenkette:
StGB § 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 1, Abs. 9, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3
Leitsätze:
1. Der Einsatz von „K.O.-Tropfen“ (narkotisierendes Mittel; hier: Oxazepam aus der Gruppe der Benzodiazepine) in einem Getränk zur Ausschaltung des Widerstands des Opfers gegen die Durchführung des Geschlechtsverkehrs stellt eine besonders schwere Vergewaltigung (unter Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs, § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB ) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 StGB) dar (so auch BGH vom 20.04.2017, 2 StR 79/17; vom 09.10.2018, 1 StR 418/18, für die Verabreichung in einem Getränk noch offenlassend). (Rn. 318 – 322, 324 und 325)
2. Eine chronische Depression seit der Kindheit aufgrund von Schwierigkeiten im Elternhaus und damit einhergehender Antriebslosigkeit, führt alleine betrachtet nicht zu Zweifeln an der Aussagetüchtigkeit der Geschädigten hinsichtlich eines Sexualdelikts (ca. 10 Jahre nach dem Auszug aus dem Elternhaus), wenn sich im Rahmen der umfangreichen Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte ergeben haben, dass die Angaben der Zeugin widersprüchlich, dramatisierend oder anderweitig zweifelhaft sind. Ein Beweisantrag auf Erholung eines psychiatrischen-psychologischen Gutachtens, dass die Aussagekompetenz der Geschädigten aufgrund der bestehenden Depression nicht gegeben sei, ist gem. § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO abzulehnen. (Rn. 115 und 140)
Schlagworte:
Vergewaltigung, besonders schwere Vergewaltigung, gefährliche Körperverletzung, Oxazepam, Benzodiazepin, Geschlechtsverkehr, Erstickungstod, Erbrochenes, Bewusstseinsstörung, Aussage-gegen-Aussage, Gesamtwürdigung, unzutreffende Erinnerung, Falschbelastung, Aussagetüchtigkeit, Erinnerungsinsel, Aussageentstehung, Aussagesituation, Aussagekonstanz, Detailreichtum, Erlebnisbasiertheit, Objektive Beweisanzeichen
Fundstelle:
BeckRS 2023, 11771

Tenor

I. Der Angeklagte X ist schuldig der besonders schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung.
II. Er wird deshalb zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren verurteilt.
III. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens, seine notwendigen Auslagen sowie die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin.
Angewandte Vorschriften:
§ 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 1 StGB, §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 StGB, § 52 StGB.

Entscheidungsgründe

Vorspann
1
Der wegen vorsätzlicher Körperverletzung vorbestrafte Angeklagte wurde wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren verurteilt.
2
Die Strafkammer hat im Wesentlichen folgenden Sachverhalt festgestellt:
3
Um die ablehnende Haltung seiner Bekannten Y, die sich dem Verfahren als Nebenklägerin anschloss, mit ihm sexuell zu verkehren, zu überwinden, entschloss sich der Angeklagte, diese in einen Zustand der Besinnungs- und Willenlosigkeit zu versetzen, um mit ihr anschließend den Geschlechtsverkehr durchführen zu können. In Ausführung seines Tatplans verabreichte der Angeklagte der Nebenklägerin am 13.03.2022, gegen 20:00 Uhr ein – von der Nebenklägerin unbemerkt in einem starken Tee aufgelöstes – narkotisierendes Mittel (Oxazepam; Gruppe der Benzodiazepine). Mit der aufgrund des hoch dosierten Oxazepams sedierten Nebenklägerin vollzog der Angeklagte sodann den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss.
4
Der Angeklagte gab zwar einen einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zu, stritt jedoch die Gabe von Oxazepam und das Ejakulieren in die Vagina der Nebenklägerin ab.
5
Die Beweisaufnahme hat seine Täterschaft jedoch klar ergeben.
6
Neben den uneingeschränkt widerspruchsfreien und auch nach einer umfangreichen Überprüfung durchwegs glaubhaften Angaben der Nebenklägerin (mit Ausnahme des Zeitraums der eigenen Sedierung, zu dem sie sich – mangels eigener Erinnerungen – nicht geäußert hat) wird der Angeklagte in einer Gesamtschau durch zahlreiche weitere objektive Beweismittel überführt. So bezog der Angeklagte schon längere Zeit selbst über Rezepte ein Medikament mit dem Wirkstoff Oxazepam und hatte dieses zuletzt ca. 10 Tage vor der Tat in einer Apotheke erworben. Eine Urin- und Blutprobe bei der Nebenklägerin ergab die Aufnahme des Wirkstoffs Oxazepam. Eine anderweitige Aufnahme der Nebenklägerin von Oxazepam zu einem Zeitpunkt vor oder nach der Tat schloss die Kammer aufgrund der umfangeichenen Beweiserhebungen aus. Über verschiedene Zeugen wurde der schlechte körperliche Zustand der Nebenklägerin nach der Tat beschrieben. In der Scheide der Nebenklägerin wurden Spermaköpfe sowie die DNA des Angeklagten gefunden.
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Die hinsichtlich der Wirkung des Oxazepams sachverständig beratene Kammer stellte auch fest, dass bei der im verfahrensgegenständlichen Fall anzunehmenden MindestDosierung des Oxazepams bei der Geschädigten die realistische Gefahr eines Erbrechens während der Sedierung bestanden hat, sodass es zum Aspirieren von Erbrochenem (z. B. des vorherigen Mittag- bzw. des gemeinsam eingenommenen Abendessens) bis hin zum Erstickungstod hätte kommen können, zumal der Angeklagte die Nebenklägerin nach dem vollzogenen Geschlechtsverkehr alleine im Wohnzimmer auf dem Sofa für mindestens neun Stunden liegen ließ. Tatsächlich erbrach sich die Nebenklägerin im Laufe des Vormittags mehrmals. Die Nebenwirkungen des Oxazepams waren dem Angeklagten, der das Medikament mit dem Wirkstoff Oxazepam gegen seine Schlafstörungen selbst lange Zeit in geringeren Mengen einnahm, bekannt. Er wusste außerdem bzw. nahm zumindest billigend in Kauf, dass in Fällen hochgradiger Intoxikationen mit diesem Betäubungsmittel zentrale Atem- und Kreislaufdepression, Bewusstlosigkeit und Koma auftreten können.
Auszug aus den Gründen:
(…)
B.
Festgestellter Sachverhalt
I) Vorgeschichte
8
Der Angeklagte suchte im Frühjahr 2020 über das Internetportal ebay-Kleinanzeigen nach einer Hundesitterin, worauf sich die damals 25jährige Y, die spätere Geschädigte und Nebenklägerin, bei ihm meldete. In der Folge kam es zu mehreren Treffen, bei denen die Nebenklägerin insbesondere den Hund des Angeklagten kennenlernte und ihn betreute. Zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin entwickelte sich eine freundschaftliche Beziehung, sodass es zusammen mit dem Hund des Angeklagten auch zu gemeinsamen Freizeitaktivitäten kam.
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Im Laufe der Zeit kam beim Angeklagten, dem die Nebenklägerin auch optisch sehr zusagte, der Wunsch nach einer intimen Beziehung auf, was durch die Nebenklägerin jedoch wiederholt klar und unmissverständlich verbal zurückgewiesen und abgelehnt wurde.
II) Zur Tat am 13.03.2022
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Trotz der auch für den Angeklagten unmissverständlichen Zurückweisung durch die Nebenklägerin hegte dieser weiterhin den Wunsch nach einem sexuellen Kontakt. Um sein Ziel zu erreichen, entschloss sich der Angeklagte, die Nebenklägerin zur Überwindung ihrer geäußerten Ablehnung besinnungs- und willenlos zu machen, um sein Verlangen zur eigenen sexuellen Befriedigung durchsetzen zu können.
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Der Angeklagte bereitete daher der Nebenklägerin am 13.03.2022 gegen 20:00 Uhr in seiner damaligen Wohnung in der D-straße 4, 86981 K, einen Tee zu, in den er zuvor – von dieser unbemerkt und nicht gewollt – mindestens eine Menge an Oxazepam, einem Wirkstoff aus der Gruppe der Benzodiazepine, im höhertherapeutischen Bereich auflöste.
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Der Angeklagte, der seit ca. einem Jahr vor der Tat aufgrund seiner Schlafstörungen ein Medikament mit dem Wirkstoff Oxazepam durch seinen Arzt verschrieben bekam und zuletzt am 04.03.2022 in der Apotheke Oxazepam auf Rezept erworben hat, wusste, dass das Oxazepam grundsätzlich – je nach Dosierung – eine stark beruhigende und schlaffördernde Wirkung entfaltet.
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Um sicher zu gehen, dass die Nebenklägerin den Wirkstoff im von ihm zubereiteten Tee nicht bemerkte, verstärkte er den Teegeschmack durch einen zweiten Teebeutel, um den Eigengeschmack zu überdecken und äußerte der Nebenklägerin gegenüber, dass sie heute „gut schlafen werde“.
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Nachdem die Nebenklägerin – auf dem Sofa im Wohnzimmer sitzend – den Tee leer getrunken hatte, fiel sie, wie der Angeklagte wusste und wollte, aufgrund der körperlichen Zwangswirkung des hoch dosierten Wirkstoffs Oxazepam (im höhertherapeutischen Bereich) in einen Zustand der Bewusstseinsstörung, der ihre Fähigkeit zur Bildung eines eigenständigen Willens und dessen anschließender Äußerung vollständig aufhob.
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Der Angeklagte nahm dabei zumindest billigend in Kauf, dass die Nebenklägerin in einen Zustand der Sedierung fiel, in dem für sie die konkrete Gefahr bestand, dass sie auf ein Erbrechen – welches eine häufige Nebenwirkung von Oxazepam darstellt und auch im Laufe des Vormittags des 14.03.2022 bei der Nebenklägerin tatsächlich mehrmals auftrat – nicht mehr adäquat hätte reagieren können, was zu einer Aspiration von Speisebrei oder gar zum Erstickungstod hätte führen können. Der Angeklagte wusste aufgrund seiner eigenen – längeren – Einnahme des Medikaments von diesen Nebenwirkungen bzw. hätte diese erkennen können und müssen. Der Angeklagte wusste außerdem bzw. nahm zumindest billigend in Kauf, dass in Fällen hochgradiger Intoxikationen mit diesem Betäubungsmittel zentrale Atem- und Kreislaufdepression, Bewusstlosigkeit und Koma auftreten können.
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Wie von Anfang an geplant, entkleidete der Angeklagte sodann zumindest den Unterleib der Nebenklägerin, drang mit seinem Penis vaginal in die Nebenklägerin ein und vollzog mit ihr den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss in deren Vagina. Der Angeklagte handelte dabei, um sich sexuell zu erregen beziehungsweise zu befriedigen.
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Der Angeklagte ließ im Anschluss die Nebenklägerin unbeaufsichtigt auf dem Sofa im Wohnzimmer liegen und begab sich in sein separates Schlafzimmer.
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Die Nebenklägerin kam erst am 14.03.2022 gegen 05:00 Uhr erneut zu Besinnung.
19
Bereits beim Aufstehen vom Sofa war der Nebenklägerin aufgrund des verabreichten Oxazepams übel und schwindelig. Sie hatte außerdem erhebliche Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten bzw. diese zu koordinieren (Ataxie), musste sich abstützen bzw. stürzte zu Boden. In den folgenden Stunden musste sich die Nebenklägerin mehrmals übergeben.
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Diese Beschwerden (Übelkeit mit Erbrechen, Schwindelgefühle, Störungen der Bewegungskoordination sowie starke Müdigkeit) dauerten, wie von dem Angeklagten vorhergesehen und jedenfalls billigend in Kauf genommen, über mindestens 24 Stunden an.
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In Folge der Tat des Angeklagten erlitt die Nebenklägerin erhebliche Angstzustände, welche sie teilweise bis heute davon abhalten, allein das Haus zu verlassen. Auch ist die Nebenklägerin in ihrem Beziehungsverhalten beeinträchtigt, insbesondere fallen ihr intime Kontakte zu ihrem Lebensgefährten schwer.
C.
Beweiswürdigung
I) Zu den Persönlichen Verhältnissen
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Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten beruhen auf dessen eigenen – insoweit glaubhaften – Angaben sowie aus dem in der Hauptverhandlung verlesenen und vom Angeklagten als richtig anerkannten Bundeszentralregisterauszug vom 23.02.2023 und dem ebenfalls verlesenen Strafbefehl des Amtsgerichts W vom 06.06.2015.
II) Zum Sachverhalt
1) Einlassung des Angeklagten
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Im Ermittlungsverfahren ließ sich der Angeklagte bei der Haftbefehlseröffnung vor dem Amtsgericht A am 24.08.2022 – wie er selbst bestätigte – dahingehend ein, es sei an dem Abend des 13.03.2022 zu Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin gekommen, dieser sei jedoch einvernehmlich gewesen. Es träfe zu, dass er und die Nebenklägerin zuvor Tee getrunken hätten, wobei sich jedoch jeder selbst seinen Tee zubereitet habe. Er und die Nebenklägerin hätten bis ca. 22:00 Uhr ferngesehen und danach habe er sie gefragt, ob er sich zu ihr legen dürfe. Dann habe sie sich selbst ausgezogen. Er habe sich auch ausgezogen und sei gegen 23:00 Uhr ins Bett gegangen. Die Nebenklägerin habe bei ihm auf dem Sofa übernachtet. Morgens seien sie noch zusammen mit dem Hund des Angeklagten Gassi gegangen.
24
Sie habe ihn dann in der Arbeit angerufen und gefragt, ob er ihr etwas in den Tee getan habe, das habe er verneint. Er habe der Nebenklägerin immer geholfen – auch finanziell – und sie habe ihm immer etwas verheimlicht und sei nie ehrlich gewesen.
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In der Hauptverhandlung ließ der Angeklagte zunächst über seinen Verteidiger eine Erklärung abgeben, die er sich ausdrücklich zu eigen machte; zusätzlich antwortete der Angeklagte auf Nachfragen.
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Er führte aus, er habe die Nebenklägerin im Frühjahr 2020 kennengelernt, als er eine Betreuung für seinen Hund gesucht habe. Er sei in dieser Zeit arbeitslos gewesen, da er zuvor zu viel gearbeitet habe und eine „Pause“ eingelegt habe. Da er zu dieser Zeit auch ohne Partnerin gelebt habe, habe er ihre Gesellschaft genossen.
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Zunächst habe er sich mit der Nebenklägerin häufiger zum gemeinsamen Gassi-Gehen getroffen, mit der Zeit habe sich eine Freundschaft entwickelt. Die Nebenklägerin habe auch des Öfteren – erstmals im April 2020 – bei ihm übernachtet. Sie hätten auch zusammen eingekauft, zusammen gekocht oder Wochenendausflüge unternommen. Er habe immer für die gemeinsamen Ausflüge bezahlt, zusätzlich habe er der Nebenklägerin monatlich ca. 250 EUR für das „Hundesitting“ gegeben. Die Zahlungen, die er von seinem Ersparten getätigt habe, habe er im Herbst 2021 aber eingestellt.
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Im Laufe der Zeit habe er die Nebenklägerin auch seinen Freunden vorgestellt, unter anderem dem Zeugen Wa, mit dem habe man sich auch zu dritt getroffen.
29
Er habe der Nebenklägerin auch einmal gesagt, dass er sich wünsche, eine Frau wie sie zu finden, da sie ehrlich und gutmütig sei. Er habe sie sehr gern gehabt, aber es sei ja bereits geklärt gewesen, dass „da nichts ist“, das habe ihm die Nebenklägerin bereits ganz am Anfang gesagt. Eine Liebesbeziehung habe sich nicht ergeben; auch zu Vorfällen sexueller Art sei es nie gekommen.
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Der Angeklagte gab weiter an, er habe „mal“ psychische Probleme gehabt und deswegen Antidepressiva und – gegen Schlafstörungen – Oxazepam genommen. Er habe eine Art „Burn-Out“ gehabt, weil er zu viel gearbeitet habe. Er sei zunächst krankgeschrieben gewesen und habe dann seine Arbeitsstelle gekündigt, dies sei bereits vor dem Kennenlernen mit der Nebenklägerin gewesen. Das habe er der Nebenklägerin auch erzählt. Die Medikamente seien im Badezimmerschrank und offen in der Wohnung herumgelegen, deswegen habe die Nebenklägerin diese sicher auch gesehen.
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Auf Nachfrage erklärte der Angeklagte, er habe zuletzt im Januar 2022 Oxazepam verschrieben bekommen und selbst eingenommen, es habe ihm beim Durchschlafen geholfen; danach sicher nicht mehr, da er es nicht mehr benötigt habe, weil er ab Februar wieder zur Arbeit gegangen sei. Auch auf Vorhalt des von seiner Krankenkasse übermittelten Rezepts vom 03.03.2022 blieb der Angeklagte dabei, dass er kein Oxazepam mehr benötigt habe und dieses auch nicht erworben habe. Zum verfahrensgegenständlichen Zeitpunkt habe er daher auch kein Oxazepam mehr zu Hause gehabt. Die von der Krankenkasse übermittelten Rezepte könne er sich nicht erklären.
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Der Angeklagte ließ sich weiter dahingehend ein, er und die Nebenklägerin hätten einmal gemeinsam im Wald übernachtet. An diesem Abend habe er – was er sonst nie tue – Alkohol getrunken. Er habe ihr dann am nächsten Tag gesagt, dass es ihm leid tue, falls er etwas Falsches gemacht oder gesagt haben sollte. Da er betrunken gewesen sei, habe er nicht genau gewusst, ob er „nicht doch etwas Falsches“ gemacht habe. Erinnern könne er sich jedoch an nichts. Die Nebenklägerin habe dann gesagt, alles sei „schon in Ordnung“.
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Am 13.03.2023 habe er die Nebenklägerin, welche zuvor zwei Wochen bei ihren Großeltern verbracht habe, nachmittags angerufen, um sie zu fragen, ob sie ihn und den Hund besuchen kommen wolle. Die Nebenklägerin habe „nicht so richtig Lust“ gehabt, aber dann doch zugesagt. Er habe sie zwischen 17:00 Uhr und 17:30 Uhr zu Hause abgeholt. Die Nebenklägerin sei „komisch“ zum Auto gegangen und ihr Verhalten sei ihm „anders als sonst“, irgendwie nachdenklich, vorgekommen. Er habe sie gefragt, ob alles in Ordnung sei, was sie bejaht habe. Mehr könne er nicht sagen, da er nicht „so genau“ darauf geachtet habe.
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Beim Angeklagten zu Hause habe man dann zunächst im Wohnzimmer Suppe gegessen und dabei ferngesehen. Sie hätten danach beide jeweils ihre eigene Suppenschüssel in die Küche gebracht und sich dort jeweils eine Sorte Tee ausgesucht. Er habe Pfefferminz genommen und währenddessen schon den Wasserkocher angestellt. Er nehme immer zwei Teebeutel, da der Tee mit nur einem Beutel für ihn keinen Geschmack habe. Die Nebenklägerin habe dies, seit sie ihn kenne, auch so gemacht, weswegen sie ebenfalls zwei Teebeutel genommen und diese selbst in ihre Tasse gegeben habe. Er habe dann Wasser in die Tassen geleert und beide seien, jeder mit seiner eigenen Tasse, zusammen zurück in das Wohnzimmer gegangen, wo sie zusammen ferngesehen hätten.
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Er sei dann noch kurz auf die Toilette gegangen. Als er zurückgekommen sei, habe die Nebenklägerin „so halb auf dem Sofa“ gelegen und „wie eine Verrückte im Tee gerührt“. Sie habe den Tee dann zügig getrunken. Nach dem Trinken des Tees habe er die Nebenklägerin gefragt, ob er sich neben sie legen dürfe, was sie bejaht habe.
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Er habe sie dann – zunächst über der Kleidung – leicht am Bauch gestreichelt und gefragt „ob sie Lust habe“. Sie habe sich dann selbst ausgezogen, er sich ebenfalls. Nachdem sie sich ausgezogen hatte, habe er sie auch geküsst, vorher jedoch nicht. Er sei mit seiner Hand zwischen ihre Beine und die Nebenklägerin sei schon „sehr feucht“ gewesen. Er habe mit seinen Fingern ihre Scheide berührt und sie gefragt, ob sie die Pille nimmt, was sie verneint habe. Sie habe auch seinen Penis in die Hand genommen, da sei er bereits über ihr gelegen. Dann sei er in die Nebenklägerin eingedrungen. Der Sex habe nur in Missionar-Stellung stattgefunden und vielleicht fünf Minuten gedauert. Die Nebenklägerin sei „mehr als nass“ gewesen, so dass er gar nicht gemerkt habe, dass er schon „drin“ sei. Bevor er zum Orgasmus gekommen sei, habe er seinen Penis aus ihrer Scheide herausgezogen und ihr auf den Bauch ejakuliert. Er habe dann in der Küche eine Küchenrolle geholt, um der Nebenklägerin den Bauch sauberzumachen. Ob die Nebenklägerin ebenfalls zum Orgasmus gekommen sei, wisse er nicht.
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Danach sei er nackt auf die Toilette gegangen. Als er wieder zurückgekommen sei, habe er sich wieder angezogen und die Nebenklägerin ebenfalls. Er habe zur Nebenklägerin gesagt, dass es ihm zu eng sei, zusammen auf dem Sofa zu schlafen. Er sei in sein Schlafzimmer gegangen, die Nebenklägerin sei nicht hinterhergekommen, dies habe er auch nicht gewollt. Über den gerade stattgefundenen Geschlechtsverkehr hätten sie nicht gesprochen, er habe auch keinen Klärungsbedarf hinsichtlich einer etwaigen Beziehung gesehen, es habe sich schlicht so ergeben, dass man miteinander geschlafen habe.
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Da die Nebenklägerin immer in ihrer Kleidung geschlafen habe, wenn sie bei ihm übernachtet habe, sei dies auch an diesem Abend nichts Besonderes gewesen.
39
Der Angeklagte gab weiter an, er sei um halb 5 Uhr morgens wieder aufgestanden und habe Kaffee gemacht. Er habe dann zur Nebenklägerin herübergerufen, um sie zu wecken. Normalerweise würde die Nebenklägerin bis 10 oder 11 Uhr morgens schlafen, aber er habe ja zur Arbeit gehen müssen.
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Die Nebenklägerin sei „ganz normal rübergekommen“. Er habe sich angezogen. Auch die Nebenklägerin habe ihre Jacke angezogen und in der Küche gewartet, während er noch kurz einen Kaffee getrunken habe. Sie habe auch zwei bis drei Schlucke aus seiner Tasse getrunken. Danach seien sie zusammen mit dem Hund zum Gassigehen gegangen, was ca. 20 Minuten gedauert habe. Die Nebenklägerin habe dabei nicht viel geredet, was ihn jedoch nicht weiter verwundert habe, da sie normalerweise nicht so früh aufstehen würde. Danach habe er sie nach Hause gefahren und sei dann direkt in die Arbeit gegangen.
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Gegen 7:30 Uhr habe die Nebenklägerin ihn auf dem Handy angerufen und gesagt, dass es ihr nicht so gut gehe. Sie habe ihn auch gleich gefragt, ob er ihr K.O.-Tropfen oder Schlafmittel in den Tee getan habe. Sie habe gesagt, sie wolle zum Arzt gehen und er habe ihr noch angeboten, sie zu fahren. Die Nebenklägerin habe jedoch abgelehnt und gesagt, dass ein anderer Freund sie fahren würde. Kurz darauf habe sie ihm eine Chat-Nachricht geschrieben, dass sie jetzt zum Arzt gehe. Er habe geantwortet, was er damit zu tun habe.
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In der Arbeit habe er seinen „Kumpels“ erzählt, dass sie ihn gefragt habe, ob er ihr etwas in den Tee gemischt habe. Diese hätten ihm dann noch geraten aufzupassen, da sie ihm vielleicht etwas anhängen wolle.
43
Die Frage sei ihm auch komisch vorgekommen, weil sie morgens gar nicht erwähnt habe, dass es ihr schlecht ginge. Er habe auch nicht nachvollziehen können, wie die Nebenklägerin sofort auf K.O.-Tropfen oder Schlafmittel komme. Er habe sich wegen des Anrufs so aufregen müssen, dass er die Arbeit verlassen habe und zum Arzt gegangen sei, um sich krankschreiben zu lassen.
44
Angesprochen auf die angebliche Anweisung gegenüber der Nebenklägerin, immer alle Chat-Nachrichten zu löschen, teilte der Angeklagte mit, er habe ihr gesagt, sie solle die Nachrichten löschen, weil sonst der Speicherplatz auf dem Handy zu voll würde.
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Auf Vorhalt des Nachstellens seiner Ex-Freundin gab der Angeklagte an, diese sehr wohl beobachtet zu haben, weil er von ihr nicht losgekommen sei. Im Übrigen sei er mit ihr heute wieder zusammen.
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Warum die Nebenklägerin zur Polizei gegangen sei, könne er sich nicht erklären. Er vermute, dass „da irgendein Spiel läuft“.
2) Angaben der Nebenklägerin
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In der ersten polizeilichen Vernehmung, welche von PHK K am 15.03.2022 um 15:39 Uhr durchgeführt wurde, und welche dieser im Rahmen seiner Zeugenaussage in der Hauptverhandlung wiedergab, gab die Nebenklägerin an, sie habe ein freundschaftliches Verhältnis mit dem Angeklagten gehabt. Sex oder Ähnliches sei nie ein Thema gewesen. Sie sei am Abend des 13.03.2022 beim Angeklagten gewesen, da es etwas wegen des Hundes, auf den die Nebenklägerin für den Angeklagten aufpasste, zu besprechen gegeben habe. Sie habe zwar in der Vergangenheit auch schon öfter bei dem Angeklagten übernachtet, an diesem Abend habe sie jedoch wieder nach Hause gehen wollen, was sie dem Angeklagten auch gesagt habe.
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Nach dem gemeinsamen Abendessen habe sie sich noch auf die Couch im Wohnzimmer gesetzt. Der Angeklagte habe ihr einen Tee zubereitet, wobei er hierfür zwei Teebeutel verwendet habe. Dies habe er damit begründet, dass der Tee dann besser schmecken würde. Diesen Tee habe sie zwischen 20:00 Uhr und 21:00 Uhr ausgetrunken.
49
Danach könne sie sich an nichts mehr erinnern. Sie sei erst am nächsten Morgen gegen 5:00 Uhr wieder zu sich gekommen, wobei sie genau an der Stelle der Couch gelegen habe, an der sie am Vorabend gesessen habe. Ihre Kleidung sei etwas verrutscht gewesen, aber ansonsten habe sie nichts Ungewöhnliches feststellen können.
50
Als sie jedoch aufgestanden sei, habe sie sich benommen gefühlt. Sie habe unter Übelkeit und Kopfschmerzen gelitten und Probleme beim Gehen gehabt. Dies habe sie dem Angeklagten auch gesagt, wobei dieser lediglich erwidert habe, dass dies normal sei und von der Müdigkeit komme.
51
Der Angeklagte habe sie dann nach Hause gefahren. Dort habe sie sich mehrmals übergeben.
52
Sie habe zunächst an eine Lebensmittelvergiftung gedacht, weswegen sie den Angeklagten angerufen und diesen gefragt habe, ob es ihm auch schlecht ginge. Dies habe er verneint. Er habe sich bei dem Gespräch jedoch gar nicht erkundigt, wie es ihr ginge, was ihr komisch vorgekommen sei, da er normalerweise schon nachfrage.
53
Die Nebenklägerin führte in der Zeugenvernehmung weiter aus, dass sie sich an eine Art „Traum“ erinnern könne, bei dem der Angeklagte mit entblößtem erigiertem Penis neben ihr gestanden und sie dazu gebracht habe, den Penis anzufassen.
54
In der zweiten polizeilichen Vernehmung, durchgeführt von KK’in S am 15.03.2022 um 18:11 Uhr und von dieser im Rahmen ihrer Zeugenaussage in der Hauptverhandlung geschildert, gab die Nebenklägerin an, dass sie den Angeklagten seit ca. einem Jahr kenne und zu ihm ein gutes Verhältnis habe.
55
Seitens des Angeklagten habe es in der Vergangenheit hin und wieder Andeutungen gegeben, beispielsweise, dass er hoffe, eine Frau wie sie zu finden. Auch habe er einmal – im betrunkenen Zustand – versucht, sie zu umarmen. Sie habe ihm jedoch klar gesagt, dass sie das nicht möchte und sich auch keine Beziehung mit ihm vorstellen könne. Der Angeklagte habe sich entschuldigt und es sei zu keinen weiteren Vorfällen gekommen.
56
Zum Tatabend führte die Nebenklägerin aus, dass sie tagsüber ihre Großeltern besucht habe und erst kurze Zeit wieder zu Hause gewesen sei, als der Angeklagte sie gegen 18:00 Uhr oder 18:30 Uhr mit dem Auto abgeholt habe. Im Wohnzimmer des Angeklagten hätten sie zunächst eine von ihm vorbereitete Suppe gegessen und währenddessen ferngesehen und sich unterhalten.
57
Der Angeklagte habe ihr angeboten, dass sie länger bleiben könne, sie habe jedoch – was sie dem Angeklagten auch mitgeteilt habe – zeitnah nach Hause gewollt, da sie den ganzen Tag unterwegs gewesen sei und in ihrer Wohnung noch einiges zu erledigen gehabt habe.
58
Sie habe sich dann nach dem Essen noch kurz auf das Sofa des Angeklagten gesetzt und er habe ihr einen Tee angeboten. Sie habe zugestimmt und der Angeklagte sei in die Küche gegangen, um den Tee zuzubereiten. Er habe sie die Sorte – Orange-Sanddorn – selbst aus einer Box mit verschiedenen Teebeuteln aussuchen lassen.
59
Der Angeklagte habe ihr dann eine Tasse mit zwei Beuteln gebracht. Er habe von sich aus gesagt, dass der Tee dann besser schmecken würde. Ihr sei der Tee zu stark vorgekommen, sie habe ihn dennoch recht zügig ausgetrunken, da sie Durst gehabt habe und der Angeklagte den Tee extra für sie gemacht habe. Dies sei gegen 20:00 Uhr bis 21:00 Uhr gewesen.
60
Danach könne sie sich an nichts mehr erinnern, insbesondere auch nicht, dass sie sich auf das Sofa gelegt habe.
61
Sie sei um 5:00 Uhr morgens wieder auf dem Sofa aufgewacht und habe sich nicht gut gefühlt. Sie habe starke Kopfschmerzen verspürt. Ihr sei alles etwas merkwürdig vorgekommen und sie habe an sich heruntergeschaut. Ihre Kleidung sei ihr etwas verrutscht oder unordentlich vorgekommen, beispielsweise sei der Bund der Hose nicht mittig ausgerichtet gewesen, worauf sie normalerweise schon Wert lege.
62
Der Angeklagte sei schon wach gewesen und aus dem Bereich der Küche kurz in das Wohnzimmer gekommen.
63
Die Nebenklägerin habe versucht aufzustehen, habe aber Probleme gehabt, ihre Beine richtig zu koordinieren. Ihr sei schwindelig gewesen und sie sei beim Laufen hingefallen. Der Angeklagte habe sie beim Gehen stützen müssen.
64
Dieser habe jedoch nur gesagt, dass dies wohl noch von der Müdigkeit käme und normal sei. Er habe sie dann gleich nach Hause gefahren. Bei vorherigen Übernachtungen habe er ihr eigentlich immer Frühstück angeboten, was er dieses Mal nicht getan habe.
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Als sie zu Hause angekommen sei, habe sie sich mehrmals übergeben müssen. Sie habe den Angeklagten angerufen, um ihn zu fragen, ob es ihm auch schlecht gehe, weil sie sich gedacht habe, dass das Essen nicht gut gewesen sein könnte. Seine Reaktion sei ihr komisch vorgekommen, da er überhaupt nicht nachgefragt habe, wie es ihr ginge. Normalerweise sei er sehr fürsorglich.
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Die Nebenklägerin schilderte auch in dieser Vernehmung, dass sie eine Art Erinnerung habe, die sich wie ein Traum anfühle. In diesem Traum habe sie auf dem Sofa gelegen, der Angeklagte sei vor ihr gestanden und zumindest im Intimbereich nackt gewesen. Sein Penis sei erigiert gewesen. Sie haben dann den Penis mit der linken Hand umfasst.
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In einer dritten polizeilichen Vernehmung, durchgeführt von KHK‘in St am 06.10.2022, und von dieser in ihrer Zeugenaussage in der Hauptverhandlung wiedergegeben, schilderte die Nebenklägerin wiederum, sie sei mit dem Angeklagten lediglich freundschaftlich verbunden gewesen und es habe niemals eine Beziehung oder ein sexuelles Verhältnis zwischen ihnen gegeben. Sie habe zwar aufgrund des einen Vorfalls, bei dem er sich betrunken an sie angenähert habe, und wegen dessen Äußerungen, er würde gerne eine Frau wie sie finden, schon den Eindruck gehabt, dass der Angeklagte sich etwas derartiges grundsätzlich vorstellen könne, sie habe jedoch klar zum Ausdruck gebracht, dass sie keinerlei Interesse habe und seitdem sei es auch zu keinen weiteren Vorfällen gekommen.
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Auf Vorhalt der Äußerungen des Angeklagten in der Haftbefehlseröffnung gab die Nebenklägerin an, dass sie keinesfalls sexuellen Handlungen zugestimmt habe. Sie könne sich schlicht an nichts erinnern, nachdem sie den Tee getrunken habe. Sie habe kein Interesse an dem Angeklagten. Dass es zwischen den beiden zum Geschlechtsverkehr gekommen sei, habe sie erst durch die Polizei erfahren. Bis dahin habe sie gehofft, dass es, wenn denn etwas passiert sei, bei dem Berühren des Penis (wie sie es als „Traum“ in Erinnerung gehabt habe) geblieben sei.
69
In der Hauptverhandlung gab die Nebenklägerin an, sie habe den Angeklagten über das Internetportal ebay-Kleinanzeigen kennengelernt, weil dieser jemanden gesucht habe, der auf seinen Hund aufpassen könne. Man habe sich zunächst einmal in S zu einem gemeinsamen Spaziergang getroffen. Im Laufe der Zeit hätten sie sich öfter getroffen und auch über andere Dinge als den Hund gesprochen. Es habe sich eine Freundschaft entwickelt. Sie hätten dann auch Ausflüge zusammen unternommen. Einmal hätten sie gemeinsam in einem Hotelzimmer übernachtet, wobei sie die Matratze aus dem Doppelbett genommen und auf dem Boden geschlafen habe. Sie habe auch in seiner Wohnung übernachtet. Dies sei nicht oft gewesen, sondern in unregelmäßigen Abständen. Meist habe sie auf den Hund aufgepasst und wenn es dann länger gedauert habe, habe sie auf dem Sofa geschlafen. Schlafmittel oder andere Medikamente habe sie in der Wohnung nie gesehen.
70
Der Angeklagte habe ihr für das „Hundesitting“ ca. 250 EUR im Monat gegeben, jedoch in unregelmäßigen Abständen. Er habe auch für Ausflüge oder Restaurantbesuche bezahlt.
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Das Verhältnis zum Angeklagten sei freundschaftlich gewesen, er habe ihr immer Hilfe angeboten. Kurzzeitig hätten sie und der Zeuge L sogar einmal darüber nachgedacht, die Wohnung des Angeklagten zu übernehmen, dazu sei es jedoch nicht gekommen.
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Sie habe kein Interesse an einer Beziehung mit dem Angeklagten gehabt, sei sich jedoch nicht ganz sicher, ob dies bei ihm ebenso gewesen sei. Dieser habe einmal geäußert, er würde gerne eine Frau finden, die so sei, wie sie – die Nebenklägerin. Sie nehme an, dass er damit meinte, dass sie sich Zeit genommen habe, viel mit ihm zu reden und ihm zuzuhören. Einmal hätten sie einen Ausflug in den Wald gemacht, da habe er versucht, sie zu umarmen. Er habe zuvor getrunken. Er sei ihr näher gekommen, als er dies sonst gemacht habe, was ihr unangenehm gewesen sei. Es habe keinen Grund dafür gegeben. Sie habe ihm dann und auch am nächsten Morgen gesagt, dass sie das nicht wolle. Das sei dann auch in Ordnung für ihn gewesen.
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Sie habe in dieser Zeit keinen Partner gehabt. Sie habe sich im Dezember 2021 von ihrem damaligen Freund getrennt, weil dieser weggezogen sei. Mit ihm habe sie auch zuletzt Geschlechtsverkehr gehabt. Verhütet habe sie in der Zeit danach – mangels Sexualpartner – nicht.
74
Die Nebenklägerin berichtete weiter, sie sei am 13.03.2022 nachmittags von einem mehrtägigen Aufenthalt bei ihrer Verwandtschaft in Baden-Württemberg nach Hause gekommen. Normalerweise fahre sie mit dem Zug, aber dieses Mal hätten ihre Großeltern sie mit dem Auto nach Hause gebracht.
75
Der Angeklagte habe sich mit ihr treffen wollen, um mit ihr über die Betreuung des Hundes zu sprechen. Weil er kurze Zeit zuvor wieder angefangen habe zu arbeiten, habe er zunächst jemand anderen gehabt, der sich um den Hund gekümmert habe und nun hätte sie dies wieder übernehmen sollen. Sie habe dem Treffen zugestimmt und ihn gefragt, ob sie bei ihm essen könne, da Sonntag gewesen sei und sie wegen des vorangegangenen Aufenthalts bei den Großeltern nichts mehr im Kühlschrank gehabt habe. Sie habe an dem Abend auf jeden Fall wieder nach Hause gewollt, was sie dem Angeklagten auch gesagt habe. Sie sei etwas erschöpft von der Reise gewesen, ansonsten habe sie sich gut gefühlt.
76
Der Angeklagte habe sie dann zuhause abgeholt und in seine Wohnung gefahren. Dort sei schon das Essen vorbereitet gewesen, es habe sich um Brühe mit Nudeln gehandelt, die sie dann im Wohnzimmer an dem dortigen Esstisch gegessen hätten.
77
Danach habe er ihr einen Tee angeboten. Er habe ihr eine Box mit mehreren Teebeuteln gezeigt, aus der sie sich eine Sorte Tee ausgesucht habe. Sie könne sich heute nicht mehr an die genaue Sorte erinnern, es müsste jedoch eine Sorte mit zwei Geschmacksrichtungen gewesen sein. Sie denke, der Angeklagte habe auch selbst einen Tee getrunken, erinnerlich sei es eine andere Sorte gewesen.
78
Der Angeklagte habe den Tee in der Küche zubereitet, sie sei nicht dabei gewesen. Die Zubereitung habe vielleicht ein paar Minuten gedauert, es sei weder sehr schnell gegangen noch habe es besonders lange gedauert.
79
In der Tasse, die der Angeklagte ihr gebracht habe, seien zwei Teebeutel gewesen, was ihr aufgefallen sei, da dies normalerweise nie der Fall gewesen sei. Der Angeklagte habe wohl gesehen, wie sie die beiden Beutel angeschaut habe und so etwas gesagt wie, dass der Tee dann besser schmecken würde. Sie erinnere sich auch noch an eine Andeutung des Angeklagten, dass sie heute „bestimmt gut schlafen“ würde. Dies sei im Zusammenhang mit der langen Fahrt von ihren Großeltern nach Hause gefallen, weswegen es ihr – zum damaligen Zeitpunkt – nicht komisch vorgekommen sei.
80
Sie habe dann, auf dem Sofa sitzend, den Tee getrunken, wobei sie diesen zügig – vielleicht innerhalb von zehn Minuten – ausgetrunken habe, da sie durstig gewesen sei. Der Tee sei nicht mehr so heiß gewesen, so dass sie ihn sofort habe trinken können. Ihrer Erinnerung nach habe der Tee „zu stark“ geschmeckt. Sie habe jedoch diese Sorte zuvor noch nie getrunken, deswegen könne sie nicht genau sagen, wie der Tee normalerweise schmecke.
81
Der Angeklagte habe rechts neben ihr gesessen und man habe zusammen einen Film auf Netflix angeschaut.
82
Die Nebenklägerin erläuterte die jeweiligen Sitzpositionen sowie die sonstigen örtlichen Gegebenheiten auch anhand der bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten aufgenommenen und in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Lichtbilder (Bl. 183-200 d.A.).
83
Die Nebenklägerin gab an, ihre letzte Erinnerung sei, wie sie auf dem Sofa gesessen und Tee getrunken habe. Danach könne sie sich an nichts mehr erinnern.
84
Als sie wieder aufgewacht sei, sei es dunkel gewesen, und sie habe eigentlich gedacht, sie sei nur kurz eingeschlafen und es sei später am selben Abend. Sie habe dann auf ihrem Handy nach der Uhrzeit geschaut und festgestellt, dass es bereits 5:00 Uhr am nächsten Morgen gewesen sei. Sie habe auf dem Sofa gelegen und sich schlecht gefühlt, als wäre sie krank. Sie habe Kopfschmerzen gehabt und ihr sei übel gewesen. Auch habe sie sich benommen gefühlt. Sie habe sich definitiv nicht bewusst so hingelegt, insbesondere habe sie ja eigentlich an dem Abend wieder nach Hause gehen wollen.
85
Ihre Kleidung sei „verrutscht“ gewesen, vor allem sei der Bund der Hose nicht mittig gewesen. Aber, so die Nebenklägerin weiter, sie habe ja auch geschlafen.
86
Relativ zeitnah nach dem Aufwachen habe sie sich an einen „Traum“ erinnert. Dies habe sie jedoch nicht so richtig zuordnen können. In diesem Traum habe sie auf dem Sofa gelegen und der Angeklagte sei mit nacktem Unterkörper und erigiertem Penis vor ihr gestanden. Sie habe den Penis dann in die Hand genommen. Mehr wisse sie nicht.
87
An Schmerzen zu diesem Zeitpunkt könne sie sich nicht erinnern. Ihr sei es jedoch so schlecht gegangen, dass sie nicht sonderlich darauf geachtet habe. Sie habe versucht aufzustehen, und wäre dabei „so halb gestürzt“, da sie das Gleichgewicht nicht habe halten können. Irgendwie habe sie keine Kontrolle über ihre Beine gehabt.
88
Der Angeklagte sei schon wach gewesen, sie wisse jedoch nicht genau, wo er sich aufgehalten habe. Jedenfalls sei er nicht im Wohnzimmer gewesen, als sie aufgewacht sei. Er sei irgendwann in das Wohnzimmer gekommen bzw. am Durchgang zu diesem stehen geblieben. Sie habe ihn um die Ecke kommen sehen und ihm gesagt, dass es ihr schlecht gehe. Er habe gesagt, dass dies wohl von der Müdigkeit komme. Sie habe ihm auch Bescheid gegeben, dass sie nicht richtig laufen könne. Er habe ihr dann beim Gehen geholfen. Das Anziehen der Schuhe und der Jacke im Gang sei schwierig gewesen, weil sie das Gleichgewicht kaum habe halten können. Dann habe der Angeklagte sie gleich nach Hause gefahren. Ihr sei dies komisch vorgekommen, da er ihr normalerweise Frühstück anbieten würde. Auch habe der Angeklagte – den sie als sehr fürsorglich kenne – überhaupt nicht näher nachgefragt, wie es ihr gehe. Mit dem Hund seien sie definitiv nicht spazieren gegangen, dies hätte sie in ihrem Zustand nicht geschafft. Wo genau der Hund an diesem Morgen war, könne sie nicht mehr sagen. Sie habe ihn schlicht nicht wahrgenommen. Sie wisse auch nicht mehr, ob der Angeklagte sie bis zu ihrer Wohnung begleitet habe, vermute dies jedoch, da sie selbst so schlecht habe gehen können.
89
Zu Hause habe sie versucht, zu schlafen, was jedoch nicht gelungen sei, da es ihr zu schlecht gegangen sei. Sie habe sich mehrmals übergeben müssen, obwohl sie nur noch Flüssigkeit erbrochen habe.
90
Sie habe zunächst daran gedacht, dass sie etwas Falsches gegessen habe, weshalb sie den Angeklagten angerufen habe, um ihn zu fragen, ob es ihm auch schlecht gehe. Bei dieser Gelegenheit habe sie ihn auch gefragt, ob er ihr etwas „zum Schlafen“ gegeben habe, da ein so frühes Einschlafen sehr untypisch für sie sei. Dies habe der Angeklagte verneint und ihr gesagt, er nehme keine Schlafmittel, da diese bei ihm nicht wirken würden.
91
Sie habe dann auch bei ihren Großeltern nachgefragt, ob es ihnen gut gehe. Mit ihnen zusammen habe sie bei der Heimfahrt von Baden-Württemberg an einer Raststätte zu Mittag gegessen, erinnerlich habe sie Garnelen oder Fisch und Pommes gegessen.
92
Die Nebenklägerin schilderte weiter, sie habe dann ihren besten Freund, den Zeugen L, angerufen und ihn gefragt, ob er sie zum Arzt bringen könne. Sie selbst habe sich den Weg zum Arzt aufgrund ihres Zustands nicht zugetraut.
93
Der Zeuge L sei dann zu ihr gekommen. Da Versuche, in der Hausarztpraxis anzurufen, gescheitert seien, hätten sie beschlossen, direkt dort hinzufahren. In der Praxis habe der Zeuge L der Sprechstundenhilfe geschildert, dass es um einen Verdacht auf K.O.-Tropfen gehe, sie hätten dann gleich in ein Sprechzimmer gehen dürfen.
94
Die Ärztin habe ihr dann in die Augen geleuchtet und gesagt, dass alles unauffällig sei. Dann habe sie sie krankgeschrieben und mit dem Hinweis nach Hause geschickt, es könne sich auch um eine Magenverstimmung handeln. Die Nebenklägerin gab an, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt zwar immer noch „sehr komisch“ gefühlt habe, jedoch gedacht habe, dass die Ärztin wahrscheinlich recht habe.
95
Die Nebenklägerin berichtete, der Zeuge L habe sie wieder nach Hause gefahren. Dort habe sie sich ausgeruht und bis nachmittags geschlafen. Als sie aufgewacht sei, habe sie immer noch das Gefühl gehabt, dass etwas nicht stimme. Auch habe sie den „Traum“, den sie gehabt habe, immer wieder Revue passieren lassen; die Sache habe sie einfach „nicht losgelassen“. Sie habe ihre Erlebnisse auch in Chats auf WhatsApp geschildert, dort habe man ihr geraten, ins Krankenhaus zu gehen.
96
Sie habe den Zeugen L nochmals gefragt, ob er sie ins Krankenhaus fahren würde, was dieser auch gemacht habe.
97
Sie habe dem Arzt dort von dem Verdacht berichtet, dass ihr K.O.-Tropfen verabreicht worden seien und auch, dass sie befürchte, dass es zu sexuellen Vorfällen gekommen sei.
98
Dies habe sie bei der Hausärztin nicht erwähnt, da es sich eher um ein komisches Gefühl als einen konkreten Verdacht gehandelt habe und sie auch den „Traum“ nicht richtig habe zuordnen können. Sie habe gedacht, wenn die Hausärztin K.O.-Tropfen feststellen würde, könnte man weitere Untersuchungen machen, wozu es dann ja aber nicht gekommen sei.
99
Der Arzt in der Notaufnahme habe ihr dann gesagt, dass es für einen Nachweis von K.O.-Tropfen zu spät sei. Sie habe dennoch auf einen Test bestanden. Dieser sei positiv auf Benzodiazepine ausgefallen. Eine schriftliche Bestätigung oder Ähnliches habe sie nicht bekommen, sie habe lediglich mit dem Handy ein Foto von dem Test gemacht. Der Arzt habe dann noch gesagt, dass es sich hierbei um ein Schlafmittel handle und sei gegangen, ohne sie weiter zu untersuchen.
100
Die Nebenklägerin erklärte, sie habe schon seit Jahren keinerlei Medikamente mehr zu sich genommen, weswegen sie nach dem Test sicher gewesen sei, dass etwas nicht stimme. Sie schlafe normalerweise nie vor Mitternacht ein und wache dann erst spät am nächsten Vormittag auf. Auch deswegen sei es für sie völlig unerklärlich, dass sie auf dem Sofa eingeschlafen sein soll. Insbesondere habe sie an dem Abend auch fest vorgehabt, wieder nach Hause zu gehen. Normalerweise habe sie auch Schlafsachen mitgenommen, wenn sie beim Angeklagten übernachtet habe.
101
Am nächsten Tag habe sie mit ihrer Betreuerin gesprochen. Die habe dann bei der Polizei einen Termin vereinbart und sie – die Nebenklägerin – auch zu diesem Termin begleitet.
102
Die Nebenklägerin gab weiter an, sie meine, auf dem Weg zur Polizei den Angeklagten gesehen zu haben. Sie wisse von ihm, dass er seine Ex-Freundin ab und zu beobachtet habe, weswegen sie ab diesem Zeitpunkt Angst gehabt habe, dass er nun auch ihr auflauern könne. Die Nebenklägerin erklärte, sie sei einmal sogar dabei gewesen, als der Angeklagte an der Wohnung seiner Ex-Freundin vorbeigefahren sei. Als sie ihn zur Rede gestellt habe, habe er lediglich angegeben, er könne fahren, wohin er wolle. Der Angeklagte habe ihr erzählt, dass er seine Ex-Freundin, die etwas mit Drogen zu tun habe, anzeigen wolle. Aus diesem Grund habe er sie, die Nebenklägerin, auch zum Löschen der Chats mit ihm aufgefordert, da er sie „nicht mit reinziehen“ wolle. Die Ex-Freundin selbst habe sie nie gesehen, jedoch habe sie einmal mitbekommen, dass der Angeklagte deren Katzen vorübergehend bei sich aufgenommen habe.
103
Die Nebenklägerin gab auf Nachfrage weiter an, sie habe zu einem späteren Zeitpunkt, wann genau, könne sie nicht mehr sagen, auch den gemeinsamen Freund, den Zeugen Wa kontaktiert und ihm von dem Vorfall berichtet, weil dieser eine der wenigen Personen gewesen sei, die sowohl sie als auch der Angeklagte kannten.
104
Seit dem Vorfall habe sie Angst, dass der Angeklagte (welcher sich zum Zeitpunkt der Aussage der Nebenklägerin noch auf freiem Fuß befunden hatte) sie aufsuchen könne.
105
Sie gehe im Dunkeln nicht mehr allein aus dem Haus und versuche grundsätzlich, so wenig wie möglich allein zu sein. Sie lasse sich von ihren Freunden zum Einkaufen begleiten und übernachte auch oft bei diesen.
106
Sie sei schon vor den Vorfällen wegen ihrer Despressionen in psychotherapeutischer Behandlung gewesen, den Vorfall habe sie dann ebenfalls in der Therapie aufgearbeitet.
107
Die Nebenklägerin schilderte unter Tränen weiter, dass sie zwischenzeitlich einen neuen Freund habe. Sie fühle sich jedoch nicht wohl, wenn dieser sie anfasse, obwohl sie dies eigentlich gerne wolle.
3) Aussageanalyse
108
Die Kammer hat die Angaben der Nebenklägerin auf Grund der vorliegenden Aussagegegen-Aussage-Konstellation besonders kritisch geprüft. Eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation liegt vor, da die Nebenklägerin zur Tat selbst lediglich angegeben hat, keinerlei Erinnerung an das Geschehen in der Nacht zu haben und erst am nächsten Morgen wieder aufgewacht zu sein. Der Angeklagte hingegen ließ sich dahingehend ein, dass der Geschlechtsverkehr einvernehmlich erfolgte und die Nebenklägerin mitgewirkt habe, indem sie sich selbst ausgezogen und ihn an seinem Penis angefasst habe.
109
Die Feststellungen zum Tathergang basieren darüber hinaus auf zahlreichen außerhalb der Aussagen der Nebenklägerin liegenden Beweisanzeichen, welche die Kammer mit der Aussage der Nebenklägerin abgeglichen hat.
110
Nach einer Gesamtwürdigung, insbesondere der nachfolgend dargelegten Umstände, ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass an der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin und der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben keine Zweifel bestehen und insbesondere auch die in Betracht kommende Hypothese einer Falschbelastung in Form einer gänzlich erfundenen Aussage zum Nachteil des Angeklagten zurückzuweisen ist.
111
Das Gericht schließt nach Durchführung der Hauptverhandlung auch aus, dass die Angaben der Nebenklägerin auf eine unzutreffende Erinnerung zurück gehen, ohne dass es sich um eine böswillige Erfindung handelt.
112
Auch haben sich keine Aspekte ergeben, die eine Beeinflussung der Zeugin von dritter Seite oder eine Suggestion der – falschen – Erinnerungen möglich erscheinen lassen könnten.
113
Weiter ist die Kammer auch hinsichtlich der Sachverhaltsfeststellungen zu dem Zeitraum, an den sich die Nebenklägerin angabegemäß nicht erinnern konnte, überzeugt, dass sich diese Vorgänge so zugetragen haben, wie oben festgestellt.
(a) Aussagetüchtigkeit
114
Die Kammer hat zunächst die Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin sorgfältig und kritisch überprüft und dabei die Frage aufgeworfen, ob ihr – aus welchen Gründen auch immer – die Fähigkeit fehlen könnte (sei es zu den Tatzeitpunkten, sei es generell) erlebtes Geschehen richtig wahrzunehmen, zu verarbeiten, abzuspeichern und sodann zu späterer Zeit zutreffend wieder zu reproduzieren.
115
i. Dabei hat die Kammer zunächst berücksichtigt, dass die Nebenklägerin selbst angegeben hat, seit längerer Zeit an einer Depression zu leiden und wegen dieser auch in einer Einrichtung der Jugendhilfe untergekommen zu sein. Die Krankheit basiere auf Problemen im Elternhaus und habe sich insbesondere durch Antriebslosigkeit gezeigt. So habe sie es nicht mehr geschafft, die Schule zu besuchen. Anfangs habe sie das Medikament Mirtazapin eingenommen, dies jedoch bereits vor langer Zeit abgesetzt.Die Kammer hat daher weitere Zeugen vernommen, welche die Nebenklägerin seit längerer Zeit begleiten, um zu überprüfen, ob es Anhaltspunkte gibt oder geben könnte, dass sich die Depression auf deren Aussagetüchtigkeit auswirken könnte. Dies war nicht der Fall.
116
Die Bezugsbetreuerin der Nebenklägerin, die Zeugin K, welche die Nebenklägerin als Sozialpädagogin der Einrichtung, in der sie lebt, unterstützt, gab an, dass sich die Erkrankung der Nebenklägerin vor allem darin zeige, dass diese verschlossen, wenig impulsiv und affektgemindert sei. Die Nebenklägerin habe Schwierigkeiten bei der Einhaltung einer Tagesstruktur. Vor dem Vorfall vom 13.03.2022 habe sich die Nebenklägerin in einer „sehr stabilen“ Phase befunden und habe sogar konkrete Zukunftspläne gehabt.
117
Anzeichen für irgendwie geartete Halluzinationen, Wahnvorstellungen oder andere Wahrnehmungsstörungen habe sie bei der Nebenklägerin nie feststellen können. Es sei auch noch nie vorgekommen, dass sie festgestellt habe, dass die Nebenklägerin ihr nicht die Wahrheit erzähle oder Erzählungen übertrieben schildere. Bei der Nebenklägerin verhalte es sich vielmehr so, dass diese – im Vergleich zu anderen Personen – eher längere Zeit benötige, bevor sie etwas sage, so dass das Gesagte dann meist gut überlegt und zutreffend sei.
118
Die Zeugin Dr. B gab an, die Nebenklägerin sei seit Februar 2020 bei ihr in psychotherapeutischer Behandlung. Sie habe bei ihr eine depressive Symptomatik diagnostiziert, welche sich vor allem durch Antriebslosigkeit gezeigt habe. Die Nebenklägerin habe Probleme im Elternhaus gehabt, insbesondere sei sie von der Mutter nicht gut behandelt worden.
119
Wahnvorstellungen, Halluzinationen oder sonstige psychotische Störungen habe sie nicht feststellen können. Vor dem verfahrensgegenständlichen Vorfall habe sie die Nebenklägerin zuletzt am 17.02.2022 gesehen, ein wie auch immer geartetes auffälliges Verhalten habe sie nicht feststellen können.
120
Eine Veränderung habe sie – die Zeugin Dr. B – erst in der nächsten Sitzung am 18.03.2022 feststellen können. Bei diesem Termin sei die Nebenklägerin sehr aufgewühlt gewesen und habe ihr den Vorfall vom 13.03.2022 geschildert.
121
In den nachfolgenden Sitzungen hätte sich ein – bisher nicht vorhandenes – Unsicherheitsgefühl der Nebenklägerin gezeigt. Diese habe beispielsweise aus Angst vor dem Angeklagten nicht mehr allein das Haus verlassen.
122
Die Zeugin Kl führte aus, sie habe mit der Nebenklägerin erstmals im Oktober letzten Jahres einen Termin zur psychotherapeutischen Behandlung gehabt. Die Nebenklägerin leide seit dem 16. Lebensjahr an einer chronischen Depression in Form von depressiven Verstimmungen, welche vor allem auf eine schwere Kindheit zurückzuführen sei. Die Erkrankung zeige sich bei der Nebenklägerin durch Antriebslosigkeit und Probleme bei der Alltagsbewältigung. Aus ihrer Sicht liege – insbesondere wegen der Vorkommnisse in der Kindheit der Nebenklägerin aber auch wegen des Vorfalls vom 13.03. – eine komplexe Traumafolgestörung vor.
123
Das Vorliegen von Wahnvorstellungen, Halluzinationen, psychotischen Symptomatiken oder somatischen Erkrankungen, die eventuell Einfluss auf die Gedächtnisfunktionen oder die Realitätswahrnehmung der Nebenklägerin haben könnten, verneinte die Zeugin Kl explizit und klar.
124
Nach Auskunft sämtlicher beruflich im Umgang mit psychisch kranken Menschen erfahrener Zeuginnen lagen im Verhalten der Nebenklägerin somit zu keinem Zeitpunkt Auffälligkeiten vor, die den Schluss zulassen würden, dass hierdurch die Fähigkeit der Nebenklägerin, Ereignisse richtig wahrzunehmen und diese korrekt zu erinnern und wiederzugeben, beeinträchtigt sein sollte.
125
Auch in der Hauptverhandlung haben sich solche Auffälligkeiten der Nebenklägerin in keiner Weise gezeigt.
126
ii. Anhaltspunkte für Drogen-, Alkohol- oder Medikamentenkonsum durch die Nebenklägerin – sei es zum Tatzeitpunkt oder zum Zeitpunkt der von ihr getätigten Aussagen – haben sich für die Kammer ebenfalls nicht ergeben. Die Nebenklägerin selbst hat angegeben – bis auf zu Beginn ihrer Zeit in der Wohngruppe, wo sie einmal an einem Joint gezogen habe – weder Alkohol noch Drogen zu konsumieren. Sie habe am Anfang ihrer Erkrankung das Antidepressivum Mirtazapin verschrieben bekommen, nehme dieses jedoch seit Jahren nicht mehr. Diese Aussage wurde durch die Zeugen L, Wa, K, Dr. B und Kl bestätigt, die allesamt angaben, dass ihrer Kenntnis nach die Nebenklägerin keinerlei Medikamente nehme und auch nie Alkohol trinke oder illegale Drogen konsumiere.Anzeichen für eine Abhängigkeitsstörung von Alkohol oder anderen psychotropen Substanzen haben sich somit ebenso nicht ergeben, auch diesbezüglich liegen keine Besonderheiten in Bezug auf die Aussagetüchtigkeit vor.
127
iii. Auch haben sich in der Hauptverhandlung keine Anzeichen für einen die Aussagetüchtigkeit beeinflussenden Zustand der Nebenklägerin vor dem Konsum des Tees am Abend des 13.03.2022 ergeben. Die Großmutter der Nebenklägerin, die Zeugin R, sagte in ihrer Vernehmung aus, sie habe die Nebenklägerin am Nachmittag des 13.03.2022 nach einem längeren Besuch zusammen mit ihrem Mann, dem Großvater der Nebenklägerin, nach Hause gefahren. Die Nebenklägerin sei „ganz normal“ gewesen, sie habe keinerlei Auffälligkeiten an ihr feststellen können. Auch von Halluzinationen, Wahnvorstellungen oder dergleichen habe sie bei der Nebenklägerin nie etwas festgestellt. Ihr sei auch nicht bewusst, dass sie von der Nebenklägerin jemals angelogen worden sei.
128
iv. Die Kammer hatte zu berücksichtigen, dass die Nebenklägerin selbst angegeben hat, sich an die Zeitspanne zwischen dem Trinken des Tees bis zum Aufwachen am nächsten Morgen schlicht nicht erinnern zu können.
129
Auch hinsichtlich der von ihr als „Traum“ bezeichneten Erinnerung behauptet die Nebenklägerin nicht, dass es sich um ein in diesem Zeitraum Erlebtes handelt, sondern hat deutlich in jeder ihrer Vernehmungen bzw. Äußerungen gegenüber Dritten klargemacht, dass diese Erinnerung sich erst im Laufe des Tages konkretisiert habe und sie schlicht nicht wisse, ob es sich um tatsächlich Erlebtes handle.
130
Die Sachverständige Ko führte hierzu im Rahmen ihrer Gutachtenserstattung aus, dass im Blut und im Urin der Nebenklägerin der Wirkstoff Oxazepam nachgewiesen werden konnte (siehe hierzu ausführlich später).
131
Als Nebenwirkung dieses Schlafmittels könnten unter anderem Amnesien, also Erinnerungslücken, für einen Zeitraum nach der Substanzaufnahme eintreten. Dies bedeute, dass meist einige Stunden nach der Arzneimitteleinnahme unter Umständen Handlungen ausgeführt würden, an die sich der Konsument später in wesentlichen Teilen oder vollständig nicht mehr erinnern könne. Das Risiko solcher Amnesien steige im Allgemeinen mit der Höhe der Dosierung.
132
Auch das Auftreten sogenannter „Erinnerungsinseln“, also das Erinnern einzelner Ereignisse während des Zustands der Sedierung, sei durchaus üblich.
133
Aus diesem Grund geht die, insoweit sachverständig beratene, Kammer davon aus, dass die Nebenklägerin sich in dem Zeitraum der von ihr wiedergegebenen Erinnerungslücke in einem Zustand befunden hat, in dem sie nicht aussagetüchtig war. Hierfür sprechen insbesondere auch die Angaben der Sachverständigen zur Wirkweise des bei der Nebenklägerin nachgewiesenen Medikaments Oxazepam.
134
Es ist jedoch zu beachten, dass die Nebenklägerin keinerlei Angaben zu Erlebtem in diesem Zeitraum tätigt. Dass die Nebenklägerin angibt, sich nicht erinnern zu können, lässt sich – wie ebenfalls durch die Sachverständige Ko bestätigt wurde – zwanglos mit der Wirkungsweise des verabreichten Medikaments in Einklang bringen.
135
Ebenso der im Nachhinein von der Nebenklägerin geschilderte „Traum“, von dem sie jedoch selbst in keiner Form behauptet, es handle sich dabei um tatsächlich Erlebtes. Die Frage, ob es sich bei dem von der Nebenklägerin geschilderte Berühren des nackten erigierten Penis des Angeklagten tatsächlich um eine „Erinnerungsinsel“ – in Form von der Wiedergabe tatsächlich Erlebten – oder um die Wiedergabe nicht tatsächlich Erlebten (wobei von einem Berühren des Penis selbst der Angeklagte spricht) handelt, spielt jedoch weder für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin (diese selbst stellt ausdrücklich dar, dass sie nicht einordnen kann, ob der Vorgang wirklich so geschehen ist) noch für die Strafbarkeit des Angeklagten eine Rolle.
136
v. Die Kammer hat sich im Rahmen der Hauptverhandlung anlässlich der Vernehmung der Nebenklägerin sowie durch Vernehmung zahlreicher weiterer Zeugen ein umfassendes Bild von der Person der Nebenklägerin, den polizeilichen Vernehmungssituationen und damaligen Angaben der Nebenklägerin sowie ihrer Lebens- und Beziehungssituation im Tatzeitraum verschafft.
137
Die durchgeführte Beweisaufnahme ergab keinerlei Anhaltspunkte für eine Einschränkung der Zeugentüchtigkeit der Nebenklägerin.
138
Insbesondere wurden die Angaben und Beschreibungen der Nebenklägerin – auch zu unbedeutenden Details und Nebensächlichkeiten – teils durch den Angeklagten selbst und teils durch die Aussagen weiterer Zeugen vollumfänglich bestätigt (im Einzelnen siehe dazu unten). Auch vor diesem Hintergrund erscheint es fernliegend, dass die Nebenklägerin nicht in der Lage sein sollte, erlebtes Geschehen richtig wahrzunehmen, zu verarbeiten, abzuspeichern und sodann zu späterer Zeit zutreffend wieder zu reproduzieren.
139
Sonstige in hohem Maße besondere, vom gewöhnlichen Erscheinungsbild einer gleichaltrigen Person abweichende, Eigentümlichkeiten der Nebenklägerin waren ebenso wenig ersichtlich.
140
Dementsprechend kam die Kammer zu dem Ergebnis, dass bei der Nebenklägerin keine Einflussfaktoren vorhanden sind, welche die Aussagetüchtigkeit – also die Fähigkeit, einen spezifischen Sachverhalt wahrzunehmen, diesen in dem zwischen dem Geschehen und der Befragung liegenden Zeitraum im Gedächtnis zu behalten, das Ereignis angemessen abzurufen, die Geschehnisse in einer Befragungssituation verbal wiederzugeben und Erlebtes von anderweitig generierten Vorstellungen zu unterscheiden – tangieren würden.
(b) Aussageentstehung
141
Die Kammer hat überprüft, wie es zu den für den Angeklagten belastenden Angaben der Nebenklägerin gekommen ist. Hierbei haben sich keine Umstände ergeben, die Zweifel an der Richtigkeit der Aussagen der Nebenklägerin begründen könnten.
142
Aus der Entstehung und weiteren Entwicklung der Aussage der Nebenklägerin ergeben sich insbesondere keine Anhaltspunkte für eine bewusste Falschbelastung des Angeklagten oder aber für suggestive oder manipulative Einflüsse seitens Dritter, die zu einer unbewussten Falschbelastung des Angeklagten geführt haben könnten.
143
i. Zunächst hat die Kammer dabei die Vorgänge bis zur Anzeigeerstattung in den Blick genommen.
144
Der Zeuge PHK K berichtete, er habe am 15.03.2022 auf der Dienststelle der Polizeiinspektion S einen Anruf der Betreuerin der Nebenklägerin, der Zeugin K entgegengenommen. Diese habe sich informieren wollen, was bei einem Verdacht auf K.O.-Tropfen und sexuelle Übergriffe zu tun sei. Er habe sie dann gebeten, auf der Dienststelle vorstellig zu werden. Der Zeuge gab an, er habe die Nebenklägerin vernommen und gab den oben geschilderten Vernehmungsinhalt wieder. In seiner Wahrnehmung seien die Angaben der Nebenklägerin sehr nachvollziehbar gewesen, ihm sei nichts Besonderes an ihr aufgefallen.
145
Die Zeugin KK’in S gab an, sie sei im Rahmen ihrer Tätigkeit für den Kriminaldauerdienst der KPI W von der PI S benachrichtigt worden. Da die eigentlich örtlich zuständige KPI F anderweitig gebunden gewesen sei, habe sie die Vernehmung der Nebenklägerin übernommen. Die Zeugin S schilderte sodann den oben wiedergegebenen Vernehmungsinhalt. Insbesondere konnte sie sich erinnern, dass die Nebenklägerin im Laufe der Vernehmung die von ihr in ihrem „Traum“ geschilderte Berührung des Penis des Angeklagten nachgeahmt habe, wobei sie, die Nebenklägerin, ein Umgreifen des Penis von unten mit der linken Hand beschrieben habe. Die Zeugin sagte weiter aus, die Nebenklägerin habe auf sie einen sehr zurückhaltenden und introvertierten Eindruck gemacht. Sie habe während der Aussage keine Widersprüche feststellen können, auch sei ihr keinerlei Belastungseifer der Nebenklägerin aufgefallen. Diese habe vielmehr klar betont, dass sie sich an nichts erinnern könne und dass sie auch bei dem von ihr geschilderten „Traum“ nicht sicher sei, ob sie diese Vorgänge tatsächlich erlebt habe. Die Nebenklägerin habe den Eindruck gemacht, dass die Ungewissheit darüber, was ihr geschehen sei, sie sehr belaste.
146
Anlässlich eines Besuchs der Nebenklägerin zur Sichtung ihres Mobiltelefons am 07.09.2022 habe sie dieser auch berichtet, dass es – ausweislich des rechtsmedizinischen Gutachtens – nach derzeitigem Stand so aussehe, als sei es tatsächlich zum Geschlechtsverkehr gekommen. Daraufhin habe die Nebenklägerin begonnen, zu zittern und sei weinend zusammengebrochen. Sie habe eine Bekannte der Nebenklägerin verständigen müssen, die dann gekommen sei, um sich um sie zu kümmern. Die Nebenklägerin habe ihr gegenüber noch geäußert, dass nie eine Partnerschaft oder gar eine sexuelle Beziehung mit dem Angeklagten bestanden habe. Sie hätte ihn gemocht und sich gut mit ihm verstanden, allerdings rein freundschaftlich. Es sei in der Vergangenheit vorgekommen, dass der Angeklagte sie mit Kosenamen angeschrieben habe, sie habe ihm dann aber gleich gesagt, dass ihr das unangenehm wäre.
147
Die Zeugin KHK’in St gab an, sie habe das Verfahren als zuständige Sachbearbeiterin bei der KPI W übernommen. Nachdem der Angeklagte bei der Haftbefehlseröffnung angegeben habe, es habe sich um einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gehandelt, habe sie die Nebenklägerin erneut vernommen und mit den Aussagen konfrontiert. Die Zeugin St gab daraufhin den oben beschriebenen Vernehmungsinhalt wieder. Die Nebenklägerin habe angesichts der Aussage des Angeklagten sehr mitgenommen gewirkt und habe sich selbst hinterfragt, ob sie beim Angeklagten möglicherweise den Eindruck erweckt haben könnte, sie sei interessiert an Geschlechtsverkehr mit ihm.
148
Die Zeugin K gab an, die Nebenklägerin habe sich bereits am 14.03.2022 bei einem ihrer Kollegen gemeldet, da sie nicht im Dienst gewesen sei. Die Nebenklägerin habe jedoch dem Kollegen nicht sagen wollen, um was es geht, sondern um ein dringendes Gespräch mit der Zeugin K am Folgetag gebeten. Sie habe dann am Morgen des 15.03.2022 die Nebenklägerin angerufen und sei daraufhin zu ihr in die Wohnung gefahren. Die Nebenklägerin sei sehr aufgelöst gewesen, habe geweint, zusammengekauert auf ihrem Stuhl gesessen und sei sehr „schlampig“ angezogen gewesen, was sehr untypisch gewesen sei. Die Zeugin gab an, die Nebenklägerin zuvor noch nie in einem solchen Zustand erlebt zu haben. Die Nebenklägerin habe eine Weile gebraucht, bis sie sich überhaupt so weit habe fassen können, dass sie der Zeugin berichten konnte, um was es gehe. Dann habe sie ihr die Vorfälle vom 13.03.2022 geschildert.
149
Die Zeugin K berichtete weiter, sie habe dann im Krankenhaus S angerufen und das schriftliche Testergebnis angefordert, welches ihr in ihr Büro gefaxt worden sei. Des Weiteren habe sie mit der Nebenklägerin über die nächsten Schritte gesprochen. Die Nebenklägerin sei unsicher gewesen, ob sie sich zunächst gynäkologisch untersuchen lassen sollte, weswegen sie, die Zeugin K, dann bei der Polizei angerufen habe, um sich zu informieren. Dort sei gesagt worden, dass eine gynäkologische Untersuchung ohnehin in der Rechtsmedizin stattfinden müsse und die Nebenklägerin sich deshalb zunächst zur Aussage bei der Polizei einfinden sollte. Die Zeugin schilderte, sie habe dann noch den Arztbericht aus ihrem Büro geholt und sei gemeinsam mit der Nebenklägerin zur Polizei gefahren. Die Nebenklägerin sei hierbei jedoch nie treibende Kraft gewesen, vielmehr habe sie, die Zeugin K, die Initiative zur Abklärung des Sachverhalts übernommen.
150
Die Zeugin K gab des Weiteren an, die Nebenklägerin habe ihr eine Art „Flashback“ geschildert, den sie selbst als „Traum“ bezeichnet habe. In diesem Traum habe die Nebenklägerin den Angeklagten angefasst – konkretisiert habe die Nebenklägerin den Traum ihr gegenüber nicht – auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt. Die Zeugin K sagte aus, die Nebenklägerin habe im Verlaufe des Tages, als dem 15.03.2022, immer wieder betont, sie sei sich nicht sicher, was überhaupt geschehen sei. Sie wisse nur, dass der Test positiv ausgefallen sei und dass sie sich an besagten Traum erinnern könne. Konkrete Vorwürfe gegen den Angeklagten habe sie nie erhoben.
151
Der Zeuge L berichtete, die Nebenklägerin habe ihn morgens angerufen, als er gerade zur Arbeit gehen wollte. Sie habe ihm berichtet, dass es ihr schlecht gehe, dass ihr übel sei und sie Kopfschmerzen habe und dass sie nicht genau wisse, was passiert sei. Sie habe ihn gebeten, vorbeizukommen. Zwischen 7:45 Uhr und 8:30 Uhr sei er bei der Nebenklägerin eingetroffen. Vor Ort habe er festgestellt, dass sich die Nebenklägerin nur schwer auf den Beinen habe halten können.
152
Die Nebenklägerin habe ihm die Vorgänge des Vorabends geschildert. Sie sei schockiert gewesen und habe etwas geäußert wie, dass sie es eigentlich nicht glauben könne, aber dass sie denke, der Angeklagte habe ihr etwas in den Tee getan. Der Zeuge sagte weiter aus, er habe dann den Vorschlag gemacht, zum Arzt zu gehen. Auch er sei mit der Situation überfordert gewesen und habe nicht richtig gewusst, was sie sonst unternehmen sollten. Er habe die Nebenklägerin dann zum Arzt gefahren. In der Praxis sei es ihr sichtlich nicht gut gegangen, sie habe „wackelig an der Wand“ gestanden und sei auch mindestens zweimal auf die Toilette gegangen. Er habe mit der Sprechstundenhilfe gesprochen und dieser auch von dem Verdacht berichtet, dass der Nebenklägerin K.O.-Tropfen verabreicht worden seien. Daraufhin hätten sie direkt in einem Behandlungszimmer auf die Ärztin warten dürfen. Als die Ärztin gekommen sei, habe er allerdings das Zimmer verlassen. Seinem Empfinden nach sei die Nebenklägerin verhältnismäßig schnell wieder aus der Praxis gekommen. Auf der Heimfahrt habe er gemerkt, dass die Nebenklägerin fassungslos gewesen sei, weil die Ärztin nur gesagt habe, dass sie wahrscheinlich etwas Falsches gegessen habe.
153
Der Zeuge gab an, er sei, nachdem er die Nebenklägerin nach Hause gefahren habe, selbst zur Arbeit gegangen. Im Laufe des Tages habe er sie erinnerlich öfter kontaktiert, um zu fragen, wie es ihr gehe. Abends habe sie ihn dann gefragt, ob er sie ins Krankenhaus fahren könne, da es ihr immer noch schlecht ginge. Dies habe er gemacht. Wegen der Corona-Regulierungen habe er jedoch nicht mit in die Notaufnahme gedurft. Die Nebenklägerin habe sehr lange gewartet. Als sie wieder herausgekommen sei, habe sie ihm berichtet, dass – nachdem sie darauf bestanden habe – ein Test gemacht worden sei, welcher positiv auf „ein Schmerz- oder Schlafmittel“, genauer könne er es heute nicht mehr sagen, ausgefallen sei. Er erinnere sich auch, dass die Nebenklägerin das das Mittel gegoogelt habe. Auf Vorhalt seiner polizeilichen Vernehmung bestätigte der Zeuge, dass es sich um „Benzos“ gehandelt haben könnte.
154
ii. Aus der Entstehung und weiteren Entwicklung der Aussage der Nebenklägerin ergeben sich für die Kammer keine Anhaltspunkte für eine bewusste Falschbelastung des Angeklagten.
155
Aus den von der Nebenklägerin und sämtlichen Zeugen geschilderten Vorgängen zwischen dem Vorfall in der Nacht des 13.03.2022 bis zur Anzeigeerstattung am 15.05.2022 ist vielmehr ersichtlich, dass es der Nebenklägerin zu keinem Zeitpunkt um eine Belastung des Angeklagten ging, sondern vielmehr darum, herauszufinden, was überhaupt geschehen war und weshalb sie sich in einem solch schlechten körperlichen Zustand befand. Nachdem sie eine etwaige Lebensmittelvergiftung für sich ausgeschlossen hatte und ihr das Verhalten des Angeklagten auffällig vorgekommen war, sowie aufgrund des Umstands, dass sie – für sie völlig untypisch – so früh am Abend eingeschlafen sei, kam ihr der Verdacht, er könnte ihr etwas verabreicht haben. Sie suchte deshalb jedoch nicht etwa die Polizei, sondern zunächst ihre Hausärztin und – als sich ihr Zustand im Laufe des Tages nicht verbesserte und sich der Verdacht auf Verabreichung von K.O.-Tropfen verstärkte – die Notaufnahme auf.
156
Selbst nach dem Nachweis von Benzodiazepinen war der Nebenklägerin noch erkennbar daran gelegen, keinesfalls voreilige Schlüsse zu ziehen und zunächst eine weitere Abklärung durch eine gynäkologische Untersuchung zu erreichen. Ihr war somit ersichtlich wichtig, den Angeklagten keinesfalls voreilig zu belasten.
157
Auch hinsichtlich des von der Nebenklägerin als „Traum“ beschriebenen Ereignisses fällt auf, dass diese durchgehend darauf hingewiesen hat, dass sie nicht einordnen könne, ob ihr dies wirklich geschehen war.
158
Aus der Aussage der Zeugin K ergibt sich des Weiteren, dass die Nebenklägerin hinsichtlich des Verdachts eines eventuellen sexuellen Übergriffs zunächst eine gynäkologische Untersuchung durchführen lassen wollte. Nur weil die Zeugin K sich bei der Polizei informiert und dort den Hinweis bekommen hatte, dass ohnehin eine rechtsmedizinische Untersuchung erfolgen müsse, kam es letztlich zur Anzeigeerstattung.
159
Es erscheint fernliegend, einen solch „umständlichen“ Weg bis zur Anzeigeerstattung zu wählen, wenn das Ziel eine Falschbelastung wegen eines Sexualdelikts gewesen wäre. Noch dazu wäre dieser Weg mit zahlreichen Unsicherheiten (Ergebnis der medizinischen Untersuchungen, Reaktion der Betreuerin, etc.) bestückt gewesen, auf welche die Nebenklägerin erkennbar keinen Einfluss gehabt hätte. Hätte die Nebenklägerin den Angeklagten zu Unrecht einer Vergewaltigung belasten wollen, wäre es naheliegender gewesen, gleich am Tag nach den Vorkommnissen zur Polizei zu gehen.
160
Hinzu kommt, dass die Nebenklägerin zu keinem Zeitpunkt den Verdacht einer Vergewaltigung gegen den Angeklagten geäußert hat. Sie war vielmehr sowohl gegenüber den vernehmenden Polizeibeamten als auch gegenüber den Menschen in ihrem Umfeld, denen sie von dem Vorfall berichtete, stets darauf bedacht, darauf hinzuweisen, dass sie nicht wisse, was genau passiert sei. Aus der Aussage der Zeugin KK‘in S ergibt sich darüber hinaus, dass die Nebenklägerin erst durch die Polizeibeamtin davon erfahren hat, dass es tatsächlich zum Geschlechtsverkehr zwischen ihr und dem Angeklagten gekommen war.
161
Auch dies spricht deutlich gegen eine absichtliche Falschbelastung.
162
iii. Auch für suggestive oder manipulative Einflüsse seitens Dritter, die zu einer unbewussten Falschbelastung des Angeklagten geführt haben könnten, hat die Kammer keine Anhaltspunkte gefunden.
163
Der Zeuge L, welcher nach den verfahrensgegenständlichen Vorfällen als erster Kontakt zu der Nebenklägerin hatte, wirkte bei seiner Zeugenvernehmung immer noch stark belastet durch das Geschehene. Er vermittelte den Eindruck, immer noch damit zu kämpfen zu haben, dass er der Nebenklägerin nicht besser helfen hatte können und es ihm nicht gelungen war, diese besser zu beschützen („Sie ist für mich wie eine kleine Schwester.“). Hinweise für eine manipulative Einflussnahme des Zeugen gegenüber der Nebenklägerin – oder auch nur auf ein Motiv für eine solche – haben sich für die Kammer in keiner Weise ergeben.
164
Auch aus einem WhatsApp-Chat mit einer neuseeländischen Freundin der Nebenklägerin (siehe dazu im Einzelnen unten) kann eine solche Einflussnahme ebenfalls nicht gesehen werden. Zum einen war die Nebenklägerin zu diesem Zeitpunkt schon bei zwei Ärzten vorstellig geworden, zum anderen äußert sich die Freundin der Nebenklägerin zwar deutlich dahingehend, sie glaube nicht, dass es sich nur um einen Traum handle und dass die Nebenklägerin sich das alles nicht lediglich einbilde. Auch drängt sie die Nebenklägerin dazu, Anzeige zu erstatten und sagt ihr, der Angeklagte sei schuldig. Die Nebenklägerin lässt sich jedoch erkennbar nicht von der Chatpartnerin mitreißen, sondern stellt immer wieder klar, dass sie nicht wisse, was passiert sei und dass sie nicht genau wisse, was sie jetzt tun solle. Auch hier ergeben sich somit letztlich keinerlei Anhaltspunkte für eine eventuelle Manipulation der Nebenklägerin.
165
Auch aus den Angaben der behandelnden Psychologinnen der Nebenklägerin haben sich keine Anzeichen dafür ergeben, dass die Nebenklägerin beispielsweise im Rahmen der Therapie zu einer Anzeigeerstattung bewegt worden oder ihr „falsche“ Erinnerungen eingeimpft worden wären.
166
Zusammenfassend hat das Gericht unter dem Gesichtspunkt der Aussageentstehung keine Aspekte festgestellt, die gegen die Erlebnisbasiertheit der Angaben der Nebenklägerin sprechen und vielmehr die Nullhypothese stützen könnten; gleiches gilt für die Annahme einer bewussten und unbewussten Beeinflussung von dritter Seite.
(c) Aussagesituation
167
Die Bewertung der Aussagesituation hat ebenfalls keine Besonderheiten, die ein Warnsignal im Hinblick auf das Vorliegen einer Falschaussage darstellen könnten, ergeben.
168
i. Zwar wirkte die Nebenklägerin im Rahmen ihrer Aussage deutlich belastet. Sie war sichtlich nervös und emotional ergriffen, was sich beispielsweise durch das Kneten eines Taschentuchs mit den Händen, einer teilweise sehr leisen oder weinerlichen Stimme bis hin zu Weinen zeigte.
169
Dies ist jedoch gemäß den Erfahrungen der Strafkammer bei Opfern vergleichbarer Taten nicht unüblich, zumal die Nebenklägerin nachvollziehbar die Angst geäußert hat, der – damals noch auf freiem Fuß befindliche – Angeklagte könne ihr auflauern, so wie er es bei seiner Ex-Freundin getan habe, was die Nebenklägerin aus erster Hand miterlebt hatte.
170
Dass es sich hierbei nicht um eine lediglich erfundene Angabe zu Zwecken der Dramatisierung handelt, ergibt sich zum Einen aus der Aussage der Zeugin M, der besagten Ex-Freundin und nunmehr wieder Lebensgefährtin des Angeklagten, welche bestätigte, dass der Angeklagte ihr in diesem Zeitraum „nachgestellt“ habe. Des Weiteren berichtete auch der Zeuge PHM Ki, er habe am 16.03.2022 um 21:25 Uhr auf der Wache der Polizeiinspektion S einen Anruf der Nebenklägerin entgegengenommen. Diese habe angegeben, dass sie sich nunmehr an bestimmte Äußerungen des Angeklagten in Bezug auf dessen ExFreundin erinnern könne. Insbesondere habe er gesagt, er würde diese am liebsten umbringen. Er habe sie auch beobachtet und sei an ihrer Wohnadresse vorbeigefahren. Der Zeuge berichtete weiter, er habe im Anschluss an das Telefonat eine IGVP-Recherche durchgeführt, bei der er auf zwei Vorgänge gestoßen sei. Der eine Vorgang sei der, welcher letztlich zum Strafbefehl des AG W geführt habe. Beim anderen Vorfall habe die Ex-Freundin sich wegen verschwundenen Autoreifen bei der Polizei gemeldet und in dem Zusammenhang angegeben, der Angeklagte würde ihr nachstellen. Die Zeugin K sagte hierzu aus, dass die Nebenklägerin, als sie sie zur Anzeigeerstattung bei der Polizei abgeholt habe, ihr ganz aufgeschreckt entgegengekommen sei und gesagt habe, sie denke, sie habe gerade den Angeklagten gesehen. Sie, die Zeugin, habe ebenfalls einen Mann wahrnehmen können, den sie jedoch nicht erkannt habe, da er in diesem Moment schon um die Straßenecke verschwunden sei. Sie seien dann eine Runde mit dem Auto gefahren, um zu sehen, ob es sich tatsächlich um den Angeklagten gehandelt habe, hätten jedoch niemanden mehr auffinden können.
171
ii. Der Nebenklägerin war es außerdem stets möglich, auf Nachfragen der Verfahrensbeteiligten spontan, koordiniert und sinnvoll zu antworten, auch wenn einzelne Fragen mitunter aus dem Zusammenhang gerissen, unerwartet oder wenig zielführend erschienen. Ein „Springen“ zwischen einzelnen Tat- und Themenkomplexen bereitete ihr bei der Beantwortung von Fragen keine Schwierigkeiten.
172
Dass die Nebenklägerin hierbei mitunter kurz überlegen oder bei entsprechend schambehafteten Themen für einen Moment innere Hemmungen überwinden musste, steht dem nicht entgegen.
173
Bemerkenswerte Reaktionen wie etwa Schweißausbruch, übermäßiges Zittern, Unsicherheit oder dergleichen mehr, welche als körperliche Warnsignale gewertet werden könnten, waren nicht zu bemerken.
(d) Aussagekonstanz
174
Die Kammer hat die Konstanz der Angaben der Nebenklägerin in ihren jeweiligen Aussagen überprüft und ist hierbei auch der Frage nachgegangen, inwieweit ihre Berichte im Kernbereich widerspruchsfrei erfolgten. Dabei hat die Kammer nicht nur die Aussagen der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung und gegenüber den Vernehmungsbeamten PHK K, KK’in S und KHK’in St (siehe oben unter C. II. 2.) berücksichtigt, sondern auch die Aussagen, die die Nebenklägerin gegenüber den Zeugen L, K, Wa und Dr. B, sowie in einem Whatsapp-Chat mit einer Freundin getätigt hat.
175
i. Die Zeugin K gab an, die Nebenklägerin habe ihr am 15.03.2022 erzählt, bis zum 13.03.2022 ihre Familie besucht und sich abends noch mit ihrem Bekannten, dem Angeklagten, getroffen zu haben. Beim Angeklagten habe man dann gemeinsam zu Abend gegessen und noch ferngesehen. Die Nebenklägerin habe dann noch einen Tee getrunken. Sie habe auch erzählt, dass in dem Tee zwei Beutel gewesen seien und der Angeklagte gesagt habe, dass es dann besser schmecke. Danach könne sich die Nebenklägerin an nichts mehr erinnern, bis sie am nächsten Morgen sehr früh auf dem Sofa des Angeklagten im Wohnzimmer aufgewacht sei. Die Nebenklägerin habe angegeben, dass sie an dem Abend eigentlich auf jeden Fall auch wieder nach Hause wollte, weswegen es ihr unerklärlich sei, weshalb sie dort eingeschlafen sei. Die Nebenklägerin habe berichtet, dass es ihr nach dem Aufwachen sehr schlecht gegangen sei und dass sie zunächst gedacht habe, sie habe etwas Falsches gegessen. Sie habe auch den Angeklagten kontaktiert, um diesen zu fragen, ob es ihm auch schlecht gehe. Der Angeklagte habe dann aus Sicht der Nebenklägerin komisch reagiert, da er nur gesagt habe, er habe damit nichts zu tun, aber überhaupt nicht nachgefragt habe, wie es ihr gehe.
176
Die Zeugin gab an, die Nebenklägerin habe ihr weiter erzählt, sie habe dann deren guten Freund L, der der Zeugin K ebenfalls aus der Herzog-Säg-Mühle bekannt sei, kontaktiert und sei mit ihm letztlich zur Hausärztin und später ins Krankenhaus gegangen. Die Nebenklägerin habe berichtet, sich von den Ärzten nicht ernst genommen gefühlt zu haben und dass sie im Krankenhaus auf einen Schnelltest bestanden habe, welcher dann letztlich positiv auf Benzodiazepine ausgefallen sei.
177
Der Zeuge L gab an, die Nebenklägerin habe ihm am Morgen des 14.03.2022 berichtet, dass der Angeklagte sie am Vortag abgeholt habe, da sie bei ihm etwas wegen des Hundes besprechen sollten. Die Nebenklägerin habe von einem Tee erzählt, den der Angeklagte ihr gemacht habe. Dieser habe komisch geschmeckt und es seien mehr Teebeutel als gewöhnlich verwendet worden. Nach dem Trinken des Tees sei die Nebenklägerin eingeschlafen und erst früh am nächsten Morgen wieder aufgewacht. Die Nebenklägerin habe dies nicht verstehen können, da sie an diesem Abend auf jeden Fall wieder nach Hause zurückgewollt habe, da sie gerade erst von ihren Großeltern zurückgekommen sei. Außerdem sei es für sie äußerst ungewöhnlich, so früh einzuschlafen und entsprechend früh wieder aufzuwachen.
178
Der Zeuge Wa sagte aus, die Nebenklägerin habe ihn im März 2022 kontaktiert und ihm erzählt, der Angeklagte habe ihr am Vortag einen Tee zubereitet und sie sei daraufhin eingeschlafen und erst am nächsten Morgen wieder aufgewacht. Da sei es ihr sehr schlecht gegangen, der Angeklagte habe sie dann aber einfach nach Hause gefahren. Die Nebenklägerin habe ihm gesagt, dass sie nicht genau wisse, was los sei, dass sie jedoch das Gefühl habe, er habe ihr K.O.-Tropfen verabreicht. Sie habe des Weiteren berichtet, dass sie beim Arzt gewesen sei.
179
Er habe die Nebenklägerin gefragt, ob der Angeklagte „was gemacht“ habe, woraufhin sie ihm geantwortet habe, dass sie „in ihrem Unterbewusstsein“ schon so ein Gefühl habe. Genauer sei die Nebenklägerin nicht geworden. Dass die Nebenklägerin ihn deswegen kontaktiert hat, sei für ihn deshalb nachvollziehbar gewesen, weil er der Einzige aus ihrem Umfeld gewesen sei, der sowohl sie als auch den Angeklagten kenne.
180
In einem in der Hauptverhandlung verlesenen Whatsapp-Chat mit einer neuseeländischen Freundin der Nebenklägerin (S B) vom 14.03.2022 ab 23:32 Uhr schildert diese, dass sie sich mit einem Bekannten zum Abendessen getroffen habe, um sich mit ihm zu unterhalten. Er habe ihr Tee gemacht und sie habe diesen getrunken. Danach könne sie sich an nichts mehr erinnern, obwohl es erst ca. 20:00 Uhr gewesen sei. Sie habe auch eigentlich an dem Abend noch nach Hause gehen wollen. Als sie aufgewacht sei, habe sie zunächst gedacht, es sei noch später am selben Abend, habe dann aber festgestellt, dass es bereits 5:00 Uhr morgens am Folgetag sei. Dies sei für sie äußerst ungewöhnlich, da sie normalerweise nie vor Mitternacht einschlafe.
181
Ihr sei schwindelig gewesen und sie habe sich wackelig auf den Beinen gefühlt; sie habe nicht allein gehen können. Sie habe dies dem Angeklagten auch gesagt, der habe aber nur erwidert, das sei wahrscheinlich nur, weil sie müde sei. Der Angeklagte habe sie nach Hause gebracht, dort habe sie sich mehrfach übergeben müssen, es sei jedoch am Ende nur noch Flüssigkeit gekommen.
182
Auch ihr Kopf habe geschmerzt und sie habe nicht richtig denken können.
183
Sie habe dann einen Freund angerufen, welcher sie zum Arzt begleitet habe, die Ärztin habe ihr gesagt, es handle sich wahrscheinlich um eine Magenverstimmung. Sie sei nach Hause gegangen und habe gedacht, sie bilde sich alles vielleicht nur ein.
184
Erst später sei sie in die Notaufnahme gegangen, wo ein Urintest gemacht worden sei. Das Foto dieses Urintests, welches die Nebenklägerin im Krankenhaus aufgenommen und an die Chatpartnerin weitergeleitet hatte, wurde in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen und zeigt das oben bereits beschriebene Ergebnis.
185
Die Nebenklägerin berichtet ihrer Freundin auch von einem Traum, an den sie sich im Nachhinein erinnert habe und in dem der Angeklagte sie dazu gebracht habe, ihn zu berühren. Penetriert habe er sie jedoch nicht. Sie habe zunächst gedacht, dass es sich vielleicht wirklich nur um einen Traum handle. Sie erinnere sich nur daran und wisse nicht, ob noch etwas anderes passiert sei.
186
Die Zeugin Dr. B, die Psychotherapeutin der Nebenklägerin, gab an, vor dem verfahrensgegenständlichen Vorfall sei die Nebenklägerin zuletzt am 17.02.2022 bei ihr gewesen. In dieser Stunde sei es unter anderem darum gegangen, dass die Nebenklägerin mit ihrem Ex-Freund, von dem sie bereits seit längerer Zeit getrennt gewesen sei, Nachrichten geschrieben habe, was sie aufgewühlt habe. Vom Zustand her sei die Nebenklägerin unverändert im Vergleich zu vorherigen Sitzungen gewesen. Es sei sogar darüber gesprochen worden, dass sie mit dem Führerschein beginnen wollte, was angesichts der bei der Nebenklägerin bestehenden Antriebsminderung eine positive Entwicklung dargestellt habe.
187
In der nächsten Sitzung am 18.03.2022, so die Zeugin weiter, sei die Nebenklägerin bereits weinend zu ihr in die Praxis gekommen. Sie habe erzählt, dass ein Freund ihr wahrscheinlich „Diazepam“ – so habe sie es jedenfalls aufgeschrieben – eingeflößt habe. Die Nebenklägerin habe detailliert erzählt, dass sie sich mit diesem Bekannten eigentlich nur zum Essen treffen und danach wieder nach Hause gehen wollte. Sie sei dann jedoch erst am nächsten Morgen um 5:00 Uhr dort aufgewacht und ihr sei es sehr schlecht gegangen. Der Bekannte habe sie dann wortlos nach Hause gefahren. Die Nebenklägerin habe auch von den zwei Arztbesuchen am Folgetag und dem Urintest berichtet, welcher positiv auf Benzodiazepine ausgefallen sei. Auch habe sie sich an eine Szene mit einem Penis erinnert, die sie nicht richtig habe einschätzen können.
188
ii. Zweck der Konstanzprüfung ist es, gegebenenfalls auftretende Abweichungen in den Aussagen eines Zeugen zu verschiedenen Zeitpunkten nach gedächtnispsychologischen Erkenntnissen oder vor dem Hintergrund der Befragungsbedingungen zu bewerten. Hierbei ist insbesondere von Bedeutung, dass es eine schwierige Aufgabe mit hoher Anforderung an die kognitive Leistungsfähigkeit eines Zeugen darstellt, eine Aussage über ein komplexes, vielaktiges Handlungsgeschehen ohne eigene Wahrnehmungsgrundlage zu erfinden und gegebenenfalls über verschiedene Befragungen bzw. über längere Zeiträume hinweg relativ konsistent aufrechtzuerhalten bzw. zu reproduzieren. Andererseits kann eine völlig homogene und konstante Schilderung inklusive vieler unwichtiger Details auch ein Warnsignal sein („Überkonstanz“).
189
Dabei ist zunächst festzuhalten, dass die Nebenklägerin gegenüber sämtlichen oben benannten Zeugen und auch in der Hauptverhandlung die wesentlichen Vorgänge einheitlich und widerspruchsfrei schilderte. Nicht zuletzt stimmen die Erzählungen der Nebenklägerin auch mit denen des Angeklagten hinsichtlich vieler Details überein.
190
Erinnerungsungewissheiten der Nebenklägerin, wie beispielsweise die Ungewissheit, welche Teesorte genau sie ausgewählt hatte, ob der Angeklagte ihr den Tee in die Hand gegeben oder vor ihr abgestellt hat, ob bei der Autofahrt am nächsten Morgen der Hund des Angeklagten zugegen war, ob sie am Vortag an der Raststätte Fisch oder Garnelen gegessen hatte, wann genau sie erstmals an den von ihr geschilderten „Traum“ gedacht habe oder wann genau sie mit ihrer Freundin gechattet hatte, sind regelmäßig auch nur in wahren Aussagen zu finden. Fantasie- und Lügengeschichten werden im Gegensatz dazu homogen erdacht, gelernt und im Verlauf der Aussage wiedergegeben.
(e) Inhaltsanalyse
191
Im Rahmen der Inhaltsanalyse der Aussage der Nebenklägerin hat die Kammer die Qualität der inhaltlichen Angaben der Nebenklägerin überprüft, wobei die Aspekte des Detailreichtums, der Bestätigung der Angaben durch aufgefundene Realkennzeichen sowie auch ganz generell die Plausibilität der Angaben der Nebenklägerin in den Blick genommen, abgewogen und bewertet wurden. Auch hierbei haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, die die Hypothese einer Falschaussage in Form einer gänzlich erfundenen Aussage oder einer Beeinflussung von dritter Seite stützen könnten.
192
i. Hierbei ist zunächst festzuhalten, dass die Nebenklägerin zum (absoluten) Kerngeschehen selbst keinerlei Angaben getätigt hat, sondern sich lediglich dahingehend beschrieben hat, sie könne sich weder daran erinnern, eingeschlafen zu sein, noch – mit Ausnahme der von ihr als „Traum“ bezeichneten Erinnerung – an irgendetwas, was sich vor dem Aufwachen am nächsten Morgen ereignet hat.
193
Diese Angaben lassen sich gemäß der Einschätzung der Sachverständigen Ko (siehe hierzu unter C. II. 3. a.) zwanglos mit der Verabreichung einer höheren Dosis Oxazepam kurz vor dem „Einschlafen“ der Nebenklägerin vereinbaren.
194
ii. Hinsichtlich des Randgeschehens wiesen die Schilderungen der Nebenklägerin dagegen einen hohen Detailreichtum auf, wobei es sich durchaus auch um kreative Details handelte, die unter Zugrundelegung der hier überprüften Hypothese einer gänzlich erfundenen oder durch Beeinflussung entstandenen Aussage so nicht zu erwarten wären.
195
Dies betrifft beispielsweise den Bericht der Nebenklägerin von der Verwendung zweier Teebeutel, welche im Übrigen durch den Angeklagten bestätigt wurde.
196
Auch war die Nebenklägerin in der Lage, zutreffend den Film, welchen sie zusammen mit dem Angeklagten angeschaut hat, vom Inhalt her wiederzugeben. Darüber hinaus machte sie detaillierte Angaben zu ihrer Liegeposition auf dem Sofa des Angeklagten und fertigte, wie die Zeugin KK’in S im Rahmen ihrer Zeugenaussage bestätigte, hierzu eine Skizze, welche ebenfalls in Augenschein genommen und vom Angeklagten bestätigt wurde.
197
Auch die von der Nebenklägerin beschriebene Aufwachsituation, bei der sie erst dachte, es sei noch der Abend desselben Tages und sie sei nur kurz eingeschlafen, bevor sie durch einen Blick auf ihr Handy feststellte, dass es bereits 5:00 Uhr des Folgetags sei, ist in einer erfundenen Geschichte nicht zu erwarten. Ebensowenig das diesbezüglich erwähnte Detail, dass die Kleidung – insbesondere der Hosenbund – verrutscht waren.
198
iii. Die Schilderungen der Nebenklägerin hinsichtlich des Randgeschehens werden im Übrigen – soweit dies möglich ist – durch die Angaben der vernommenen Zeugen oder sogar des Angeklagten selbst bestätigt.
199
So bestätigt der Angeklagte selbst, aber auch die Zeugen L und Wa, dass der Angeklagte und die Nebenklägerin sich über das „Hundesitting“ kennengelernt hätten und sich hieraus eine Freundschaft entwickelt habe. Auch sagten alle Zeugen übereinstimmend aus, dass es ihnen nicht bekannt sei, dass der Angeklagte und die Nebenklägerin eine Liebesbeziehung oder Ähnliches geführt hätten.
200
Die Zeugin R, die Großmutter der Nebenklägerin, gab an, dass sie die Nebenklägerin am 13.03.2022 mit dem Auto von dem mehrtätigen Familienbesuch nach Hause gebracht habe, wobei sie an einer Raststätte Mittagspause gemacht und Garnelen gegessen hätten.
201
Das Gericht hat zudem Chatnachrichten zwischen der Nebenklägerin und der Zeugin R verlesen, in denen die Nebenklägerin diese am 14.03.2022 um 10:21 Uhr fragt, ob es ihr gut gehe, da es ihr übel sei und sie denke, sie habe vielleicht an der Raststätte etwas Falsches gegessen. Sie sei bei ihrer Ärztin gewesen und die habe sie bis morgen krankgeschrieben; sollte es ihr dann nicht besser gehen, werde sie nochmals hingehen. Die Nebenklägerin äußert noch, dass es vielleicht der Anfang eines Infekts sei und sie dies weiter beobachten werde.
202
Der Angeklagte selbst bestätigt darüber hinaus das Abholen der Nebenklägerin bei ihr zu Hause, das anschließende gemeinsame Abendessen in seiner Wohnung und das Trinken des Tees, wobei auch der Angeklagte angab, dass sich zwei Beutel in der Tasse befunden hätten.
203
Die Schilderungen der Nebenklägerin von den Vorgängen am 14. und 15.03.2022 werden wiederum vollumfänglich bestätigt durch die Angaben des Zeugen L, die Hausärztin Dr. E, den Arzt in der Notaufnahme El, und die Betreuerin K.
204
Die Zeugin KK’in S berichtete, sie habe die Nebenklägerin im Rahmen eines Ermittlungsersuchens im September 2022 nochmals aufgesucht, um deren Mobiltelefon sicherzustellen. Dabei habe sie eine grobe Durchsicht des Mobiltelefons vorgenommen. Sie habe dabei kaum Relevantes feststellen können. Lediglich einen Telegram-Chat mit dem Zeugen Wa, in dem die Nebenklägerin diesem am 15.03.2022 um 14:58 Uhr geschrieben habe, er solle nicht mit Thomas reden und sie sei bei der Polizei. Sollte der Angeklagte mit ihm reden wollen, solle er sich normal verhalten und falls die Polizei ihn vernehmen würde, solle er einfach nur die Wahrheit sagen. In einem weiteren Chat mit „Mohamed Elgaili“ vom 20.03.2022 habe die Nebenklägerin die Geschehnisse aus der Tatnacht geschildert.
205
Der IT-Sachverständige B berichtete in der Hauptverhandlung über die Auswertung des Mobiltelefons des Angeklagten. Er gab an, er habe aus dem gelöschten Bereich einen Chat mit der Rufnummer der Nebenklägerin wiederherstellen können. Zeitweise sei noch ein Zeitstempel vom 14.03.2022, 07:40 Uhr ermittelbar gewesen. Die Nebenklägerin schreibt dem Angeklagten, sie werde zum Arzt gehen und dass sie antworten müsse, „wenn sie was fragen“. Der Angeklagte erwidert, er verstehe nicht, was er damit zu tun habe. Die Nebenklägerin antwortet hierauf: „Nix, aber die werden mich trotzdem fragen, wo ich war oder was ich gegessen hab“. Auch dieser Chatverlauf stützt letztlich die Angaben der Nebenklägerin.
206
Der Zeuge KHK Su, welcher auf einen entsprechenden Beweisantrag des Angeklagten hin mit der weiteren Auswertung der Mobiltelefone des Angeklagten und der Nebenklägerin nach Geodaten vom 14.03.2022 beauftragt worden war, legte dar, dass lediglich auf dem Mobiltelefon des Angeklagten noch relevante Daten für diesen Zeitraum aufgefunden werden konnten, ohne, dass ein Löschen der Daten festgestellt werden konnte. Hierbei handle es sich um WLANEinloggdaten, aus denen hervorgehe, dass um 05:15 Uhr eine Abmeldung aus dem WLAN 44:fe:3b:e5:42:1c stattgefunden habe. In diesem WLAN habe sich das Mobiltelefon des Angeklagten dann um 06:31 Uhr wieder an- und um 06:33 Uhr – vermutlich aufgrund einer örtlichen Entfernung – wieder abgemeldet. Um 06:59 Uhr sei es zu einer erneuten Anmeldung in dem WLAN 44:fe:3b:e5:42:20 gekommen, bei welchem zu vermuten sei, dass es sich um denselben Router handle. Der Zeuge führte des Weiteren aus, er könne wegen des Zeitablaufs und des zwischenzeitlichen Umzugs des Angeklagten nicht mehr nachvollziehen, wo sich das genannte WLAN befunden hat.
207
Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung die Einstempeldaten seines Arbeitgebers übergeben, aus denen hervorgeht, dass der Angeklagte sich am 14.03.2022 um 05:53 Uhr „eingestempelt“ hat. In dem – in der Hauptverhandlung verlesenen – Begleitschreiben des Arbeitgebers wird des Weiteren ausgeführt, der Angeklagte habe sich im Laufe des Tages in ärztliche Behandlung begeben und sich krankschreiben lassen. Auch diese Daten widersprechen zumindest nicht der Schilderung der Nebenklägerin, der Angeklagte habe sie unmittelbar nach dem Aufwachen nach Hause gefahren.
208
iv. Zudem hat die Nebenklägerin auch Ausführungen zu ihrem inneren Erleben gemacht, insbesondere ihre Emotionen geschildert und ihre Gefühlswelt offenbart, was erfahrungsgemäß ebenfalls für einen Erlebnisbezug ihrer Aussage spricht.
209
So hat sie angegeben, das Verhalten des Angeklagten am Morgen des 14.03.2022 sei ihr seltsam vorgekommen, da er normalerweise fürsorglicher wäre und sie eigentlich erwartet hätte, dass er nachfragt, wie es ihr gehe. Auch dass er ihr kein Frühstück angeboten habe, sei untypisch gewesen. Die Nebenklägerin hat auch nachvollziehbar geschildert, weshalb sich bei ihr ein gewisser Verdacht entwickelt habe, dass der Angeklagte ihr zumindest etwas in den Tee gemischt habe. Zum einen gab sie an, sie schlafe normalerweise erst sehr viel später ein und wache auch entsprechend später auf, weswegen das plötzliche frühe Einschlafen für sie sehr untypisch sei. Auch gab die Nebenklägerin an, dass sie eigentlich fest vorgehabt habe, an diesem Abend wieder nach Hause zu fahren. Die Nebenklägerin sagte weiter aus, das ganze Geschehen habe sie „nicht losgelassen“, weswegen sie sich letztlich entschlossen habe, noch einmal einen Arzt aufzusuchen. Insbesondere wegen des von ihr geschilderten Traums habe sie ein – im Laufe des Tages stärker werdendes – komisches Gefühl gehabt, und den Sachverhalt aufklären wollen.
210
v. In einem letzten Schritt hat die Kammer die Aussage der Nebenklägerin mit dem Blick darauf untersucht, ob ihre Schilderungen für sich genommen überhaupt nachvollziehbar oder plausibel sind. Insoweit haben sich auch nach umfassender und ausführlicher Bewertung ihrer Berichte keine Aspekte ergeben, die den Schluss nahelegen würden, dass ihre Schilderungen abwegig, unplausibel und schlicht undenkbar sind.
211
Insbesondere können das von der Nebenklägerin geschilderte plötzliche Einschlafen, deren Nebenwirkungen nach dem Aufwachen, die Tatsache, dass sie sich an nichts erinnerte außer den von ihr geschilderten „Traum“ gemäß den Angaben der Sachverständigen Ko zwanglos mit der Wirkung einer höheren Dosis Oxazepam in Einklang gebracht werden.
212
Alles in allem ist das Gericht nach umfassender Gesamtabwägung der im Rahmen der Inhaltsanalyse relevanten Punkte zu dem Schluss gelangt, dass sich letztlich keine Umstände ergeben haben, die gegen eine Erlebnisbasiertheit der Schilderungen der Nebenklägerin sprechen würden. Das Gericht sieht deshalb den Wahrheitsgehalt der Aussage sowie die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin auch durch die vorgenommene Inhaltsanalyse bestätigt.
213
(f) Motivanalyse Schließlich hat die Kammer im Rahmen der Motivanalyse überprüft, welche Beweggründe die Nebenklägerin für eine Falschbelastung des Angeklagten haben könnte.
214
i. Anhaltspunkte für einen Streit oder einen sonstigen Vorfall zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin haben sich im Rahmen der Beweisaufnahme für die Kammer nicht ergeben.
215
Der Angeklagte und die Nebenklägerin haben das Verhältnis übereinstimmend als gut und freundschaftlich bezeichnet, ebenso – soweit sie dies beurteilen konnten – die Zeugen L und Wa.
216
Dass die Nebenklägerin sich – wie der Verteidiger erstmals in seinem Plädoyer dargestellt hat – aus Rache für das „Abdrehen des Geldhahns“ zu einer Falschaussage entschlossen haben könnte, hat sich ebenfalls in keiner Weise aus der Beweisaufnahme ergeben. Die Nebenklägerin selbst hat angegeben, der Angeklagte habe ihr für das Hundesitting ab und zu Geld gegeben, jedoch nie regelmäßig und immer nach seinem eigenen Ermessen. Auch habe er für gemeinsame Ausflüge und Mahlzeiten bezahlt oder sie mit Fahrdiensten unterstützt.
217
Aus der Beweisaufnahme haben sich keine Zweifel an dieser Darstellung durch die Nebenklägerin ergeben. Der Angeklagte selbst hat angegeben, der Nebenklägerin ca. 250 EUR pro Monat für die Betreuung des Hundes gegeben zu haben und die Zahlungen im Herbst 2021, also mindestens ein halbes Jahr vor der verfahrensgegenständlichen Tat, eingestellt zu haben. Von einer wie auch immer gearteten Meinungsverschiedenheit deshalb haben weder der Angeklagte noch die Nebenklägerin noch die vernommenen Zeugen gesprochen.
218
Die finanzielle Unterstützung der Nebenklägerin stellt sich auch nicht als so erheblich oder regelmäßig dar, dass der Eindruck entstehen würde, die Nebenklägerin habe sich hierauf zur Bewältigung ihres Lebensunterhalts verlassen und sei von einer plötzlichen Einstellung der Zahlungen überrascht worden bzw. dadurch in eine Notlage geraten. Es erscheint auch völlig realitätsfern und schlicht nicht nachvollziehbar, weshalb die Nebenklägerin aus Rache für unterbliebene Zahlungen einen Weg wählen sollte, bei dem sie – infolge des endgültigen Kontaktabbruchs zum Angeklagten – letztlich niemals wieder Zahlungen vom Angeklagten erhalten würde.
219
ii. Die Beweisaufnahme hat auch keinerlei Hinweise darauf ergeben, dass die Nebenklägerin die von ihr berichtete Geschichte erfunden hat, um sich gegenüber Dritten für einen freiwilligen sexuellen Kontakt zu rechtfertigen.
220
Nach den Angaben der Nebenklägerin und der Zeugen L, K, Dr. B und Wa war die Nebenklägerin zum verfahrensgegenständlichen Zeitpunkt in keiner Beziehung. Für die Kammer haben sich auch insbesondere keine Hinweise ergeben, dass die Beziehung der Nebenklägerin zum Zeugen L mehr als nur freundschaftlicher Natur gewesen sein sollte.
221
Die Nebenklägerin hat – wie sich auch aus den Angaben der Zeugin R ergibt – auch keine besonders strenge Familie, gegenüber der sie hätte Rechenschaft ablegen müssen.
222
iii. Es war ferner nicht ersichtlich, dass die Nebenklägerin zu irgendeiner Zeit bestrebt war, aus ihren Anschuldigungen gegenüber dem Angeklagten einen sonstigen sekundären Gewinn zu ziehen, indem sie sich als Missbrauchsopfer darstellte, beispielsweise um Unterstützung oder Aufmerksamkeit zu erhalten. Anzeichen dafür, dass die Nebenklägerin an einem gesteigerten Geltungsbedürfnis leidet, welches Ursache für eine Falschbelastung des Angeklagten sein könnte, haben sich nicht ergeben. Insbesondere war die Nebenklägerin bereits in psychologischer Behandlung und engmaschig betreut durch die Einrichtung, in der sie lebte. Ein Streben nach zusätzlicher Aufmerksamkeit scheint vor diesem Hintergrund fernliegend.
223
Auch dass die Nebenklägerin sich nunmehr schwer damit tut, allein in ihrer Wohnung zu sein und sogar alltägliche Dinge wie Einkäufe oft nur in Begleitung erledigt, erscheint nicht von Vorteil für sie. Insbesondere sagte die Zeugin K aus, die Nebenklägerin sei vor dem Vorfall in einer stabilen Phase, durchaus eigenständig und „viel unterwegs“ gewesen.
224
Somit ist im Ergebnis festzuhalten, dass ein greifbares Motiv dafür, warum die Nebenklägerin ihre Behauptungen erfinden und trotz ganz erheblicher psychischer Belastungen für sie selbst reproduzieren sollte, nicht ersichtlich ist.
225
iv. Die Kammer konnte bei der Nebenklägerin schließlich auch keine Hinweise für einen Belastungseifer feststellen. Sie äußerte sich gegenüber den Vernehmungspersonen sowie gegenüber der Kammer vielmehr äußerst zurückhaltend.
226
Unterstellt, die Nebenklägerin würde den Angeklagten zu Unrecht belasten wollen, wäre es ihr ein Leichtes gewesen, die Vorfälle beispielsweise durch Schilderung von konkreten Handlungen des Angeklagten oder erheblichen Schmerzen aufzubauschen. Dies hat die Nebenklägerin gerade nicht getan.
227
Auch wäre es bei gänzlich erfundenen Vorwürfen wenig nachvollziehbar, weshalb sich die Nebenklägerin als erstes an den Angeklagten selbst hätte wenden sollen, um ihn zunächst zu fragen, ob es ihm auch schlecht gehe und ob er ihr gegebenenfalls etwas in ihr Getränk gemischt habe.
228
Die Nebenklägerin relativierte außerdem immer wieder ihre eigenen Verdachtsmomente gegenüber dem Angeklagten. So schilderte sie beispielsweise, ihre Kleidung sei nach dem Aufwachen verrutscht gewesen, dies könne jedoch auch vom Schlafen kommen. Auch hinsichtlich des Tees äußerte die Nebenklägerin, dieser habe „komisch“ geschmeckt, das könne aber auch an der Verwendung der zwei Beutel liegen; außerdem habe sie die Sorte zuvor noch nie getrunken und könne deshalb zum „normalen“ Geschmack nichts sagen. In Bezug auf ihren „Traum“ äußerte sie immer wieder ausdrücklich, sie könne nicht einordnen, ob es sich um tatsächlich Erlebtes handle. Sie gibt auch die Andeutungen des Angeklagten, dass sie bestimmt gut schlafen werde, wieder – schränkt dies jedoch wiederum dahingehend ein, dass sie dies zum damaligen Zeitpunkt auf die vorherige Reise bezogen und sich nichts dabei gedacht habe. Auch hinsichtlich des von der Nebenklägerin geschilderten Annäherungsversuchs des Angeklagten im Wald wäre es ihr ein Leichtes gewesen, diesen erheblich „aufzubauschen“. Jedoch gab die Nebenklägerin auch hier schlicht an, der Angeklagte habe sich entschuldigt und die Angelegenheit hab sich damit für sie erledigt.
229
Auch gegenüber den sonstigen vernommenen Zeugen hat sich die Nebenklägerin mit Anschuldigungen gegenüber dem Angeklagten extrem zurückhaltend gezeigt. Gegenüber dem Zeugen L gab die Nebenklägerin an, sie könne es eigentlich nicht glauben, aber sie denke, der Angeklagte habe ihr etwas in den Tee getan. Der Zeuge Wa gab an, die Nebenklägerin habe ihm gesagt, dass sie nicht genau wisse, was los sei, dass sie jedoch das Gefühl habe, der Angeklagte habe ihr K.O.-Tropfen verabreicht. Auf Nachfrage nach einem sexuellen Übergriff habe die Nebenklägerin lediglich gesagt, sie habe „so ein Gefühl“. Auch im Chat mit ihrer neuseeländischen Freundin stellt die Nebenklägerin deutlich klar, dass sie nicht wisse, was genau geschehen sei. Sie betont vielmehr, dass sich ihr „Traum“ lediglich auf Berührungen, nicht auf ein Penetrieren seitens des Angeklagten beziehe.
230
Diese von der Nebenklägerin auch gegenüber Vertrauenspersonen an den Tag gelegte Zurückhaltung wäre bei erfundenen Vorwürfen nicht zu erwarten.
231
Ebensowenig die Tatsache, dass die Nebenklägerin zunächst davon ausgegangen ist, dass ihre Hausärztin, die Zeugin Dr. E, recht haben und es sich schlicht um eine Magenverstimmung handeln könnte. Erst als sich im Laufe des Tages ihr Zustand nicht verbesserte und sie die Erinnerung an den „Traum“ sowie das befremdliche Verhalten des Angeklagten nicht losließen, suchte sie weitere Klärung in der Notaufnahme.
232
Hierzu passt auch die von der Zeugin KK`in S geschilderte körperliche Reaktion der Nebenklägerin, als diese erfahren hatte, dass seitens der polizeilichen Ermittler nach aktuellem Verfahrensstand davon ausgegangen werde, dass es zum Geschlechtsverkehr gekommen sei.
233
v. Letztlich ist festzuhalten, dass die Nebenklägerin auch während der Hauptverhandlung – sowohl während ihrer Vernehmung als auch danach (über den Nebenklägervertreter) – jegliche Informationen vollumfänglich preisgab. So entband sie schon während ihrer Zeugenvernehmung alle sie betreuende Personen uneingeschränkt von der Schweigepflicht und benannte sie namentlich. Ebenso gab sie sämtliche Chats, die seitens der Verteidigung zur Übergabe angeregt wurden, ohne jegliche Einschränkung und vollumfänglich heraus. Darüber hinaus übergab sie – als auf Antrag der Verteidigung die Geodaten überprüft werden sollten – auch ihr Mobiltelefon (mit PIN), damit sämtliche Daten, von denen, wie der Zeuge KHK Su bestätigte, keine Daten gelöscht wurden, zur Überprüfung ihrer Angaben ausgewertet werden konnten.
234
Hätte die Nebenklägerin sich eine Fantasiegeschichte zusammenkonstruiert, wäre mit diesem Verhalten nicht zu rechnen gewesen, weil sie jederzeit hätte befürchten müssen, dass sich Widersprüche zu ihren Angaben ergeben. Das Gegenteil war jedoch der Fall. Sämtliche auch von der Verteidigung angestrengten Überprüfungen ihrer Angaben haben keine Widersprüche ergeben.
4) Objektive Beweisanzeichen außerhalb der Aussage der Nebenklägerin
235
Zusätzlich hat die Beweisaufnahme außerhalb der Aussage der Nebenklägerin liegende Beweisanzeichen ergeben, welche die Kammer im Rahmen der umfassenden Gesamtwürdigung berücksichtigt hat.
(a) Erkenntnisse aus dem rechtsmedizinischen Gutachten
236
Die Sachverständige Dr. G, Fachärztin für Rechtsmedizin, berichtete in der Hauptverhandlung von der körperlichen Untersuchung der Nebenklägerin.
237
Diese habe zum Untersuchungszeitpunkt am 15.03.2022 gegen 22:05 Uhr einen unauffälligen Allgemein- und Ernährungszustand aufgewiesen, sie sei ruhig, kooperativ und allseits orientiert gewesen. Die Nebenklägerin habe angegeben, keine wesentlichen Vorerkrankungen zu haben und keine Medikamente regelmäßig einzunehmen. In den letzten 24 Stunden vor dem Vorfall habe sie ebenfalls keine Medikamente eingenommen. Die Nebenklägerin habe noch von Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit und Erschöpfung berichtet.
238
Die Sachverständige ging sodann auf die Ergebnisse der von ihr durchgeführten Untersuchung ein.
- Die Sachverständige bestätigte, dass auf der Grundlage ihrer Untersuchung ein vaginales Einführen eines Penis in die Vagina der Nebenklägerin – auch, wenn der Scheidenvorhof und der Hymenalsaum frei von frischen Verletzungen gewesen seien – jederzeit denkbar sei.
- Die Einlassung des Angeklagten, er habe außerhalb der Vagina der Geschädigten ejakuliert, beurteilte die Sachverständige als höchst unwahrscheinlich. Ein Samenerguss in der Vagina der Geschädigten sei mit den Untersuchungsergebnissen deutlich besser vereinbar.
239
Die Sachverständige habe – so ihre nachvollziehbare Erläuterung – zunächst mit einem langstieligen Tupfern Abriebe aus dem Scheidenvorhof sowie aus dem tiefen Scheidengewölbe entnommen und auf einem Objektträger ausgestrichen. Bei der mikroskopischen Auswertung hätten sich sowohl im Ausstrich aus dem Scheidenvorhof als auch aus der tiefen Scheide immer wieder typisch längsoval geformte Gebilde mit halbseitig abgesetzter heller Kopfkappe, ohne anhängendem Schwanzteil gezeigt. Es habe sich hierbei zweifellos um Spermaköpfe gehandelt. Das Verlieren des Schwanzteils würde für eine Ejakulation sprechen, die bereits ein bis drei Tage zurückliegt, ebenso die Anzahl der aufgefundenen Spermien, die sich auf etwas mehr als zehn belaufen habe.
240
Mit dem vom Angeklagten behaupteten Ejakulieren auf den Bauch der Nebenklägerin ließe sich dieses Ergebnis hingegen nur schwer in Einklang bringen. Es sei höchst unwahrscheinlich, dass der vorliegende Befund lediglich aus dem sog. Lusttropfen stammen könne. Dieser Lusttropfen könne zwar durchaus Spermien enthalten, es seien jedoch aus ihrer langjährigen beruflichen Erfahrung, so die Sachverständige weiter, nach dem entsprechenden Zeitablauf noch verhältnismäßig viele Spermien gefunden wurden. Dieses Ergebnis sei wesentlich besser mit einem wenige Tage zurückliegenden Samenerguss in der Scheide vereinbar.
(b) Erkenntnisse aus dem DNA-Gutachten
241
Das DNA-Gutachten der Sachverständigen Dr. v M wurde im allseitigen Einverständnis im Selbstleseverfahren eingeführt. Hieraus ergibt sich, dass zum einen Spermaspuren an dem Slip der Nebenklägerin aufgefunden wurden und zum anderen die DNA des Angeklagten jedenfalls mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in Abstrichen aus dem Scheidenvorhof und dem hinteren Scheidengewölbe der Nebenklägerin vorhanden war.
242
Im Einzelnen ergaben sich aus dem DNA-Gutachten folgende Erkenntnisse:
- Ein bei dem luftgetrockneten Abrieb Spur Nr. 0.2.1 (DNA-Abtastung der am 13.03.2022 getragenen Unterhose der Nebenklägerin im Bereich des Schritts) durchgeführter Schnelltest auf die im Ejakulat befindliche Säure Phosphatase verlief schwach positiv. Ebenso verlief ein immunchromatographischer Test zur qualitativen Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (ein Bestandteil des Ejakulats) für diese Spur positiv, was einen gewissen Hinweis auf das Vorliegen von Ejakulat ergibt.
243
Konkrete Hinweise auf das Vorliegen von Ejakulat an den vom Institut für Rechtsmedizin genommenen Abstrichen aus der Scheide der Nebenklägerin hätten dagegen nicht erhalten werden können.
- Für das biologische Material in den Sedimenten der im Institut für Rechtsmedizin vorgenommenen Abstriche SVH 3 (einer der Abstriche aus dem Scheidenvorhof [SVH]) und HSG 4 (einer der Abstriche aus dem hinteren Scheidengewölbe [HSG]) habe die durchgeführte Typisierung mit sechzehn autosomalen PCR-Systemen sowie dem Amelogeninsystem jeweils Merkmalmischungen ergeben, die sich auf mindestens zwei Verursacher zurückführen ließen. Die dargestellten Merkmalmischungen seien vollständig durch die DNA-Merkmale der Nebenklägerin zu erklären. Dass der weitere Verursacher der Angeklagte war, sei darüber hinaus 3,1 Quadrillionen Mal wahrscheinlicher, als dass es sich um einen unbekannten Verursacher handle.
- Bei den Abstrichen SVH 1, SVH 2, HSG 1 und HSG 2 (ebenfalls Abstriche der Rechtsmedizin aus dem Scheidenvorhof bzw. dem hinteren Scheidengewölbe) hätten sich jeweils Merkmalmischungen ergeben, die sich auf mindestens drei Verursacher zurückführen ließen. Die Nebenklägerin sei als Mitverursacherin (als Hauptkomponente der Merkmalmischung im Sediment des Abstrichs SVH 2) der dargestellten Merkmalmischungen nicht auszuschließen. Der Angeklagte sei darüber hinaus als Mitverursacher der DNA-Merkmalmischungen in den Sedimenten der Abstriche SVH 1, SVH 2, HSG 1 und HSG 2 ebenfalls nicht bzw. nicht vollständig auszuschließen. Auf eine biostatistische Beurteilung sei zunächst verzichtet worden bzw. sei eine solche im Falle des Sediments des Abstrichs SVH 2 aufgrund der einbezogenen Zusatzbanden sowie des vorausgesetzten „Allelic drop out“ nicht sinnvoll durchführbar. Aufgrund der zu geringen Beimischungen sei die Angabe eines Identifizierungsmusters für weitere, daran beteiligte Personen sowie ein Abgleich mit evtl. tatverdächtigen Personen bzw. weiterem Spurenmaterial nicht möglich.
- Für das biologische Material im Sediment des Abstrichs HSG 3 habe sich eine Merkmalmischung ergeben, die sich auf mindestens zwei Verursacher zurückführen ließe. Aus dieser Mischung ließen sich die Merkmale einer weiblichen Person als Hauptkomponente sicher ableiten, die vollständig mit den DNA-Merkmalen der Nebenklägerin übereinstimmen. Darüber hinaus ließe sich die dargestellte Merkmalmischung unter Einbeziehung der Zusatzbanden im System FIBRA sowie unter der Voraussetzung eines „Allelic drop out“ im System D18S51 vollständig durch die DNA-Merkmale der Nebenklägerin und des Angeklagten erklären. Eine adäquate weitere biostatistische Beurteilung sei aufgrund der einbezogenen Zusatzbanden sowie des vorausgesetzten „Allelic drop out“ nicht sinnvoll durchführbar.
244
Ergänzend sei für die Sedimente und Überstände der Abstriche SVH 1 bis SVH 3 und HSG 1 bis HSG 4, die Spuren 0.1.2 (DNA-Abklebung Bluse Vorderseite), 0.1.3 (DNA-Abklebung Bluse Rückseite), 0.2.1 (DNA-Abklebung Slip), 0.3.3 bis 0.3.5 (DNA-Abklebungen Hose) und 0.4.1 (DNA-Abklebung BH) sowie die Vergleichsprobe DAD21-513100 eine Typisierung der Y-chromosomalen DNA-Systeme durchgeführt worden. Da Y-Chromosomen nur bei Männern vorkommen, eigneten sich diese Systeme besonders gut, um geringste Mengen biologischen Materials einer männlichen Person in einem großen Überschuss von biologischem Material weiblicher Personen nachzuweisen.
245
Die durchgeführte Typisierung mit zweiundzwanzig Y-chromosomalen Systemen habe für das biologische Material in den Sedimenten und Überständen der Abstriche SVH 1 bis SVH 3 und HSG 2 bis HSG 4 sowie im Sediment des Abstrichs HSG 1 identische Merkmalmuster ergeben, die sich auf einen einzigen Verursacher zurückführen ließen und vollständig mit dem Y-chromosomalen Haplotyp des Angeklagten übereinstimmen. Hinweise auf das Vorliegen biologischen Materials weiterer Personen hätten sich nicht ergeben.
246
Bei der durchgeführten Typisierung mit zweiundzwanzig Y-chromosomalen Systemen für das biologische Material im Überstand des Abstrichs HSG 1 sowie an den Spuren 0.1.3 (DNA-Abklebung Bluse), 0.2.1 (DNA-Abklebung Unterhose), 0.3.4 (DNA-Abklebung Hose Vorderseite), 0.3.5 (DNA-Abklebung Hosenbund innen) und 0.4.1 (DNA-Abklebung BH) jeweils Merkmalmischungen, die sich auf mindestens zwei, drei bzw. vier Verursacher zurückführen lassen (Voraussetzung Auftreten von Zusatzbanden als Degradationsartefakte im System DYS576 für Spur 0.3.5). Der Angeklagte sei als Mitverursacher (als Hauptkomponente bzw. partielle Hauptkomponente der Merkmalmischungen an den Spuren 0.1.3, 0.2.1, 0.3.5 und 0.4.1) der dargestellten Merkmalmischungen nicht auszuschließen. Aufgrund der zu geringen Beimischungen im Überstand des Abstrichs HSG 1 sowie an Spur 0.2.1 sei die Angabe eines Y-chromosomalen Merkmalmusters für weitere, daran beteiligte Personen sowie ein Abgleich mit evtl. tatverdächtigen Personen bzw. weiterem Spurenmaterial nicht möglich. Aufgrund der Komplexität der Mischungen an den Spuren 0.1.3, 0.3.4, 0.3.5 und 0.4.1 sei die Angabe eines Y-chromosomalen Merkmalmusters für weitere, daran beteiligte Personen nicht möglich.
247
(c) Erkenntnisse aus dem chemisch-toxikologischen Gutachten Die Sachverständige Ko, Toxikologin am rechtsmedizinischen Institut München, erstattete in der Hauptverhandlung ihr Gutachten.
248
i. Nachweis von Oxazepam im Urin und Blut der Nebenklägerin Die Sachverständige führte zunächst aus, dass eine Probe des am 15.03.2022 um 22:15 Uhr entnommenen Urins der Nebenklägerin zunächst mittels Immunoassay auf diverse Substanzen untersucht worden sei. Das Ergebnis sei negativ auf Opiate (Morphin und Derivate), Cannabinoide (THC-Carbonsäure), Cocain-Abbauprodukte, Amphetamine, Trizyklische Antidepressiva, EDDP (Methadon-Stoffwechselprodukt), Barbiturate, Buprenorphin und LSD ausgefallen. Die Untersuchung sei jedoch positiv auf Benzodiazepine ausgefallen.
249
Ein Anteil der Urinprobe sei nach salzsaurer Hydrolyse extrahiert, acetyliert und mittels Gaschromatographie-Massenspektrometrie (GC-MS) untersucht worden. Die detektierten Substanzspektren seien sodann durch Vergleich mit Spektrendatenbanken identifiziert worden, wobei Artefakte von Oxazepam oder Nordazepam nachgewiesen worden seien. Mit diesem Screening-Verfahren hätten darüber hinaus keine der in dieser Datenbank erfassten Arznei- und Suchtstoffe nachgewiesen werden können. Dies beinhalte auch einen Großteil der Substanzen, die am Zentralen Nervensystem wirken, wie z.B. illegale Drogen, Psychopharmaka, Schmerzmittel sowie Schlaf- und Beruhigungsmittel.
250
Ein Anteil des Urins sei sodann nach geeigneter Aufarbeitung und Zugabe deuterierter Standards mittels Flüssigkeitschromatographie-Tandemmassenspektrometrie (LC-MS/MS) auf ausgewählte Arznei- und Suchtstoffe (u.a. Benzodiazepine) untersucht worden, wobei Oxazepam nachgewiesen worden sei. Eine Untersuchung auf weitere ausgewählte Arznei- und Suchtstoffe (u.a. Psychopharmaka und Opioide) habe keinen Hinweis auf derartige Substanzen ergeben.
251
Die Untersuchung der am 15.03.2022 um 22:10 Uhr entnommenen Blutprobe habe – nach Aufarbeitung des Blutplasmas und Zugabe deuterierter Standards mittels Flüssigkeitschromatographie-Tandemmassenspektrometrie (LCMS/MS) – den Nachweis von Oxazepam erbracht, wobei die quantitative Bestimmung ca. 12 Mikrogramm pro Liter ergeben habe.
ii. Wirkung und Folgen der Einnahme von Oxazepam
252
Die Sachverständige führte weiter aus, dass es sich bei Oxazepam um ein verschreibungspflichtiges, der Anlage II des BtMG unterliegendes Schlaf- und Beruhigungsmittel aus der Gruppe der Benzodiazepine handle, welches insbesondere zur symptomatischen Behandlung von akuten und chronischen Angst-, Spannungs- und Erregungszuständen sowie bei Durchschlafstörungen angewendet werde. Die Wirkung sei zentral dämpfend und mit steigernder Dosierung zunehmend sedierend, muskelrelaxierend und antikonvulsiv.
253
Die Wirkung trete in der Regel 15 Minuten nach Einnahme ein, was jedoch abhängig von zahlreichen Begleitumständen, wie beispielsweise der Magenfüllung sei. Die Wirkung halte über mehrere Stunden an, wobei eine Maximalkonzentration nach ca. einer bis drei Stunden erreicht sei. Wenn das Medikament vor der Einnahme aufgelöst werde, könnten sich diese Zeitabstände verringern.
254
Häufige Nebenwirkungen seien Kopfschmerzen, Somnolenz und erhebliche Übelkeit. Diese fielen für gewöhnlich umso stärker aus, je weniger eine Gewöhnung bestehe. In hohen Dosen zeige Oxazepam den Muskeltonus dämpfende und antikonvulsive Wirkungen. Aufgrund der muskelerschlaffenden Effekte könne auch Bewegungs- und Gangunsicherheit auftreten und es bestehe Sturzgefahr. Bekannte Nebenwirkungen seien außerdem Ataxie (Störungen der Bewegungskoordination) und anterograde Amnesien (Erinnerungslücken für einen Zeitraum nach der Substanzaufnahme). Dies bedeute, dass meist einige Stunden nach der Arzneimitteleinnahme unter Umständen Handlungen ausgeführt würden, an die sich der Konsument später in wesentlichen Teilen oder vollständig nicht mehr erinnern könne. Das Risiko solcher Amnesien steige im Allgemeinen mit der Höhe der Dosierung.
255
Die Sachverständige gab weiter an, dass in Fällen hochgradiger Intoxikationen die Gefahr einer zentralen Atem- und Kreislaufdepression, Bewusstlosigkeit und Koma bestünde. Eine Überdosierung werde im Zusammenhang mit Wechselwirkungen, beispielsweise mit anderen Medikamenten oder Alkohol, sehr schnell sehr gefährlich.
256
In höheren Dosierungen wirke Oxazepam nicht lediglich beruhigend, sondern bewusstseinsstörend, wobei die Wirkung in verschiedene Stufen unterteilt werden könne.
257
Als niedrigste Stufe könne ein Zustand der Benommenheit eintreten, bei dem die Wachheit reduziert sei und sich die Betroffenen müde und schläfrig fühlten, immer wieder wegnickten, sowie verlangsamtes Denken und Reaktionsvermögen, eine eingeschränkte Informationsverarbeitung und Orientierungsfähigkeit zeigten. In diesem Zustand seien Betroffene leicht erweck- und ansprechbar, dann auch orientiert und könnten beispielsweise auf Fragen strukturiert antworten.
258
Beim Zustand der Sedierung sei eine deutlich reduzierte Vigilanz feststellbar. Betroffene schliefen immer wieder ein, seien psychomotorisch verlangsamt und zeigten ein extrem verlangsamtes Reaktionsvermögen. Die Gedächtnisleistung und Merkfähigkeit seien deutlich herabgesetzt, Spontanäußerungen nicht mehr zu erwarten. Auf bestimmte Reize seien Betroffene zwar noch ansprechbar, diese müssten jedoch eine gewisse Stärke aufweisen. Dann sei jedoch orientiertes Antworten möglich.
259
Die nächsthöhere Stufe sei das Präkoma, ein tiefschlafähnlicher Zustand, welcher nur durch ganz starke äußere Reize durchbrochen werden könne. Betroffene seien nicht mehr voll erweckbar bzw. bei Ansprache und Erweckbarkeit desorientiert und würden sofort wieder einschlafen. Eine Reaktion sei nur noch bei äußerst starken Reizen zu erwarten.
260
Die letzte Stufe, Bewusstlosigkeit oder Koma sei erst ab ca. 3.000 Mikrogramm/ Liter erreicht und stelle eine hochgradige Intoxikation dar. In diesem Zustand seien keinerlei Reaktionen mehr festzustellen.
261
Die Sachverständige führte weiter aus, dass der Übergang zwischen den verschiedenen Stufen fließend und wiederum interindividual stark unterschiedlich sei.
262
Der therapeutische Bereich von Oxazepam liege zwischen 200 und 1.500 Mikrogramm/Liter, wobei hier auch schon der stationäre therapeutische Bereich mit entsprechenden Möglichkeiten engmaschiger Überwachung eingeschlossen sei.
263
Schon bei einer Dosis im höhertherapeutischen Bereich bestehe insbesondere die hohe Gefahr des – als häufige Nebenwirkung bekannten – Erbrechens ohne die Möglichkeit einer adäquaten Reaktion, was zum Erstickungstod infolge der Aspiration von Erbrochenem führen könne.
264
Aufgrund seines Wirkungsprofils sei Oxazepam zwanglos geeignet, als K.O.Mittel angewendet zu werden. Unter der Wirkung von Oxazepam könne die Handlungs- und Widerstandsfähigkeit bzw. Willensbildungs- und -äußerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt bzw. auch aufgehoben sein. Das Mittel führe zu einer Änderung der affektiven Reaktion auf Wahrnehmungen, insbesondere zu einer Gleichgültigkeit gegenüber eigentlich angsteinflößenden Reizen. In einem solchen Zustand sei die Fähigkeit, einen freien Willen zu bilden und zu äußern, nicht gegeben. Es bestehe auch Handlungsunfähigkeit in dem Sinne, dass eine situationsadäquate Reaktion schlicht nicht mehr möglich sei.
265
iii. Konzentration und Wirkung bei der Nebenklägerin zum Tatzeitpunkt Die Sachverständige legte dar, dass die bei der Nebenklägerin nachgewiesene Konzentration an Oxazepam im Blutplasma zum Zeitpunkt der Blutentnahme (15.03.2022 um 22:15 Uhr) unterhalb des in der ambulanten Therapie üblichen therapeutischen Bereichs gelegen habe. Es sei jedoch die sehr lange Zeitspanne zwischen Vorfall und Probennahme zu berücksichtigen, so dass zum angenommenen Vorfallszeitpunkt, am 13.03.2022 um ca. 21:00 Uhr (Verabreichungszeitpunkt ab ca. 20:00 Uhr), von einer wesentlich höheren OxazepamKonzentration auszugehen sei.
266
Die Sachverständige führte hierzu aus, dass eine seriöse Rückrechnung anhand der Eliminations-Halbwertszeiten kaum möglich sei, da diese große interindividuelle Unterschiede insbesondere hinsichtlich der Pharmakokinetik aufweise. Die Abbaugeschwindigkeit sei von den unterschiedlichsten Faktoren (vorangegangene Nahrungsaufnahme, Gewöhnung, körperliche Verfassung, etc.) abhängig, zum anderen würde die Unsicherheitsspanne wegen der exponentiellen Steigerung zu extrem unterschiedlichen Ergebnissen je nach angenommener Halbwertszeit führen. Ausgehend von einer Halbwertszeit von 9,7 Stunden (von der Fa. Ratiopharm angegebene durchschnittliche Halbwertszeit für Frauen) sei zum Beispiel von einer Konzentration von 384 Mikrogramm/Liter zum Tatzeitpunkt auszugehen. Gehe man dagegen von einer Halbwertszeit von 12 Stunden aus, liege die Konzentration bei 192 Mikrogramm/Liter.
267
Die Sachverständige legte weiter dar, dass die Konzentration allein auch nicht ausschlaggebend für die Wirkung des Oxazepams sei. Dies hänge ebenfalls von der körperlichen Verfassung und insbesondere der Gewöhnung an das Medikament ab.
268
Ausgehend von der Richtigkeit der Angaben der Nebenklägerin, so die Sachverständige weiter, sei die nachgewiesene, niedrige Blutplasmakonzentration an Oxazepam zum Zeitpunkt der Blutentnahme zwanglos mit einer Aufnahme im Vorfallszeitraum in Einklang zu bringen. Ausgehend davon, dass nach dem Vorfall und vor der Blutentnahme keine Oxazepam-Aufnahme stattgefunden habe, sei im Vorfallszeitraum von einer wesentlich höheren Konzentration auszugehen.
269
Die von der Nebenklägerin beschriebenen Ausfallerscheinungen, so die Sachverständige weiter, sprächen für eine sehr hohe Dosierung („jedenfalls sicher mindestens im höhertherapeutischer Bereich“). Das von der Nebenklägerin geschilderte Aufwachen gegen 5:00 Uhr morgens (also erst rund 9 Stunden nach dem Einnahmezeitpunkt) mit Gangunsicherheiten ließe auf eine starke Wirkung schließen. Von Nebenwirkungen in Form von Auswirkungen auf die Muskeln werde darüber hinaus auch in der Fachliteratur erst bei hoher Dosierung überhaupt berichtet. Zudem sei die von der Nebenklägerin geschilderte starke kognitive Einschränkung zu berücksichtigen.
270
Das von der Nebenklägerin geschilderte plötzliche Einschlafen in Zusammenhang mit den Erinnerungslücken sei ebenfalls widerspruchslos mit einer starken Wirkung in Einklang zu bringen, insbesondere wenn man davon ausgehe, dass die Nebenklägerin keine Gewöhnung an das Medikament habe, da es bei regelmäßiger Einnahme aufgrund von Gewöhnung zur Toleranzentwicklung gegenüber den (Neben-) Wirkungen käme.
271
Die von der Nebenklägerin und vom Angeklagten beschriebene vorherige Nahrungsaufnahme in Form von Suppe ließe darauf schließen, dass bei der Nebenklägerin wenig Magenfüllung vorhanden gewesen sei, was zu einem schnelleren Eintreten der Wirkung geführt habe.
272
Die Sachverständige führte weiter aus, aus toxikologischer Sicht müsse bei der Nebenklägerin im Tatzeitraum ein Wert vorgelegen haben, der sehr deutlich über dem unteren therapeutischen Bereich gelegen habe. Anders sei die von der Nebenklägerin beschriebene Wirkung nicht erklärbar.
273
Sie gehe – unter nochmaligem Hinweis auf alle von ihr beschriebenen Unsicherheiten bei der Rückrechnung und der jeweiligen Wirkung – davon aus, dass die Gabe von ca. 45 mg Oxazepam mit einer Konzentration von ca. 1.000 Mikrogramm/Liter gut zu dem von der Nebenklägerin geschilderten Zustand passen würden. Die höchste empfohlene Dosierung im ambulanten Bereich bei Durchschlafstörungen liege bei 30 mg, wobei eine solche Dosierung nur bei gewöhnten Patienten denkbar sei.
274
Insbesondere auch der von der Nebenklägerin geschilderte „Hangover-Effekt“, also das Fortdauern der Wirkung bis in den nächsten Tag hinein mit erheblichen Nebenwirkungen, passe zur Annahme einer sehr hohen Konzentration.
275
Anhand der Ausfallerscheinungen der Nebenklägerin gehe sie, so die Sachverständige weiter, jedenfalls davon aus, dass das Oxazepam bei der Nebenklägerin eine Bewusstseinsstörung hervorgerufen habe, die mindestens im Bereich der Sedierung gelegen habe. Ein präkomatöser oder komatöser Zustand seien dagegen nicht sicher belegbar.
276
Die von der Nebenklägerin beschriebenen Ausfallerscheinungen würden somit eine zumindest erheblich beeinträchtigte Handlungs- und Widerstandsfähigkeit bzw. Willensbildungs- und Willensäußerungsfähigkeit im Vorfallszeitraum nahelegen.
277
Die Sachverständige führte weiter aus, dass mit einer unwissentlichen Aufnahme von Oxazepam in den soeben genannten Mengen erhebliche Risiken einhergingen. Insbesondere drohe die Gefahr des Eintritts der Nebenwirkung in Form von Erbrechen – gerade auch, weil die Nebenklägerin von einer vorherigen Nahrungsaufnahme berichtet habe – im bewusstseinsgestörten Zustand. Dieser Zustand führe dazu, dass eine adäquate Reaktion auf das Erbrechen nicht erfolgen könne, was wiederum zum Aspirieren von Speisebrei führen könne, was – insbesondere im Falle einer nicht adäquaten „Überwachung“ des Betroffenen – durchaus ein Ersticken zur Folge haben könne. Da es bei der Aufnahme von Oxazepam sehr häufig zu starker Übelkeit und Erbrechen kommt, sei die Gefahr durchaus real.
(d) Zugang des Angeklagten zu Oxazepam
278
Die Zeugin KHK’in St berichtete in ihrer Zeugenaussage, sie habe im Auftrag der Staatsanwaltschaft die vom Angeklagten eingereichten Rezepte bei dessen Krankenversicherung angefordert. Die vom M H GmbH ausgestellten Rezepte vom 08.04.2021, 21.06.2021, 07.09.2021, 05.10.2021, 17.11.2021, 04.01.2022 und 03.03.2022 wurden in der Hauptverhandlung verlesen. Aus diesen geht hervor, dass dem Angeklagten jeweils ein Rezept für das Medikament Oxazepam als 10-Milligramm-Tabletten für jeweils 20 Stück ausgestellt wurde.
279
Die Zeugin KHK`in St gab weiter an, dass es sich hierbei ohne Zweifel um eingelöste Rezepte handle. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass die Rezepte seitens der Krankenkasse des Angeklagten übergeben wurden, und nur eingelöste Rezepte würden überhaupt dort landen. Des Weiteren sei anhand der Stempel der jeweiligen Apotheke und der Unterschrift des Apothekers bzw. der Apothekerin erkennbar, wann und wo die Rezepte eingelöst worden seien. Die Kammer hat auch diese Stempel und Unterschriften in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen. Hieraus ergibt sich, dass sämtliche Rezepte am Tag der Ausstellung oder einen Tag danach entweder in der M-Apotheke in S oder in der W-Apotheke in S eingelöst wurden. Das letzte Rezept vom 03.03.2022 wurde am 04.03.2022, also knapp neun Tage vor der verfahrensgegenständlichen Tat, in der W-Apotheke in S eingelöst.
(e) Zustand der Nebenklägerin am 14.03.2022
280
Zum Zustand der Nebenklägerin am Morgen des 14.03.2022 schilderte der Zeuge L, diese habe sich nur schwer auf den Beinen halten können. Sie habe lange gebraucht, bis sie die Tür geöffnet habe und habe sich an den Wänden der Wohnung abstützen müssen. Die Nebenklägerin habe sich zwar in seiner direkten Anwesenheit nicht übergeben, er habe jedoch mitbekommen, dass sie auf die Toilette gegangen sei und habe dort einen Brechreiz gehört. Ob sie tatsächlich gebrochen habe, habe er nicht gesehen.
281
Die Zeugin Dr. E, die Hausärztin der Nebenklägerin, gab an, die Nebenklägerin sei am 14.03.2022 bei ihr in der Praxis vorstellig geworden und habe von Schwindel, Abgeschlagenheit und Übelkeit berichtet. Die Nebenklägerin habe erzählt, dass sie am Vorabend bei einem Freund gegessen habe, bei diesem eingeschlafen sei und am nächsten Morgen mit Übelkeit aufgewacht sei. Die Nebenklägerin habe müde und verlangsamt gewirkt, eine klare Kommunikation sei möglich gewesen. Der Blutdruck und die Pupillenreaktion der Nebenklägerin seien normal gewesen, der Puls leicht erhöht.
282
Sie habe der Nebenklägerin eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den 14.03.2022 und den 15.03.2022 ausgestellt.
283
Die Zeugin gab weiter an, dass ihr zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht bekannt gewesen sei, dass die Nebenklägerin den Verdacht gehabt habe, man habe ihr K.O.Tropfen oder Ähnliches verabreicht. Aus einer Notiz im edv-Programm der Praxis ließe sich rekonstruieren, dass dieser Verdacht wohl gegenüber der Sprechstundenhilfe geäußert worden sei, hiervon habe sie, die Zeugin, jedoch zum Zeitpunkt der Untersuchung keine Kenntnis gehabt, denn sonst hätte sie sicherlich eine Blutuntersuchung veranlasst.
284
Der Zeuge El gab an, er sei am Abend des 14.03.2022 diensthabender Arzt in der Notaufnahme des Krankenhauses S gewesen. Die Nebenklägerin sei von ihm untersucht worden. Sie habe über Übelkeit und Schwindel geklagt, außerdem habe sie den Verdacht geäußert, ein Bekannter habe ihr „etwas in den Tee getan“. Es sei dann gegen 21:00 Uhr ein Drogentest durchgeführt worden, welcher positiv auf Benzodiazepine angeschlagen habe, ansonsten aber negativ ausgefallen sei. Er habe der Nebenklägerin erklärt, dass dies ein Wirkstoff in vielen Schlafmitteln sei und dass es deswegen nicht zwingend etwas zu bedeuten habe, je nachdem, was für Medikamente sie nehme. Er habe ihr auch gesagt, dass sie, wenn sie einen Verdacht habe, zur Polizei gehen solle.
5) Gesamtwürdigung
285
Die Kammer hat abschließend sämtliche gewonnenen Beweisergebnisse nochmals in einer Gesamtschau gewürdigt und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass keinerlei Zweifel an der Richtigkeit der oben getroffenen Feststellungen besteht.
286
(a) Die Kammer ist zunächst davon überzeugt, dass der Angeklagte der Nebenklägerin am Abend des 13.03.2022 eine hohe Dosis Oxazepam verabreicht hat.
287
Der Angeklagte hatte, wie sich aus den Rezepten seiner Krankenkasse ergibt, Zugang zu diesem Medikament.
288
Im Urin der Nebenklägerin wurde bereits am Abend des 14.03.2022 das Vorhandensein von Benzodiazepinen festgestellt. Bei einer Urin- und Blutuntersuchung von am 15.03.2023 entnommenen Proben wurde dieses Ergebnis bestätigt bzw. auf Oxazepam spezifiziert.
289
Nach Auskunft der toxikologischen Sachverständigen besteht – anhand der Untersuchungsergebnisse und der Nebenwirkungen der Nebenklägerin – eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass dieser am Abend des 13.03.2022 eine über dem ambulanten therapeutischen Bereich liegende Dosis Oxazepam verabreicht wurde, welche jedenfalls zu einem Zustand der Sedierung geführt hat.
290
Für eine Einnahme von Oxazepam zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt haben sich für die Kammer auch keinerlei Anhaltspunkte ergeben.
291
Zum einen schilderten sämtliche Zeugen übereinstimmend, die Nebenklägerin würde weder Medikamente noch Drogen nehmen, sondern vielmehr Medikamente sogar ablehnen. Die Zeugin R beschrieb den Zustand der Nebenklägerin am Nachmittag des 13.03.2022 bis zum Abliefern bei der Nebenklägerin zu Hause als völlig unauffällig, während der Zeuge L den Zustand der Nebenklägerin mit starken – erkennbaren – Nebenwirkungen am Morgen des 14.03.2022 bestätigte.
292
(b) Die Feststellung, dass der Angeklagte die Nebenklägerin vaginal bis zum Samenerguss penetriert hat, beruht zum einen auf der rechtsmedizinischen Untersuchung, welche Sperma in der Scheide der Nebenklägerin nachweisen konnte. Nach Auskunft der Sachverständigen spricht der Befund auch höchst wahrscheinlich für einen stattgehabten Geschlechtsverkehr mit Ejakulation am Abend des 13.03.2022. Gemäß dem Spurengutachten konnte auch Ejakulat am Slip der Nebenklägerin festgestellt werden, was ebenfalls gegen eine vom Angeklagten behauptete Ejakulation auf den Bauch der Nebenklägerin spricht. Ausweislich des DNA-Gutachtens wurde auch DNA-Material des Angeklagten jedenfalls im Abstrich aus der Scheide der Nebenklägerin festgestellt.
293
(c) Dass es sich nicht – wie vom Angeklagten behauptet – um einen freiwilligen Geschlechtsverkehr zwischen der Nebenklägerin und dem Angeklagten gehandelt hat, sondern dass die Nebenklägerin unter dem bewusstseinsstörenden Einfluss von Oxazepam gestanden hat, ergibt sich zum einen aus den oben dargestellten Feststellungen zur Wirkung von Oxazepam und dessen Nachweis im Blut und Urin der Nebenklägerin und zum anderen aus der vollumfänglich glaubhaften Aussage der Nebenklägerin selbst.
294
Die Kammer hat insbesondere keinerlei Zweifel, dass die Nebenklägerin die Vorgänge – soweit sie sich überhaupt an sie erinnern konnte – so wie tatsächlich erlebt geschildert hat.
295
Sämtliche Angaben der Nebenklägerin – auch zu unbedeutenden Details des Randgeschehens – haben sich durch die Zeugenaussagen bestätigt. In der Aussage der Nebenklägerin hat sich kein einziger Widerspruch gezeigt.
296
Es war auch keinerlei Motiv für eine etwaige Falschbelastung durch die Nebenklägerin erkennbar, ebenso wenig ein irgendwie gearteter Belastungseifer. Die Nebenklägerin hat sich vielmehr – auch gegenüber Anfragen des Verteidigers – durchgehend kooperativ verhalten, indem sie zum Beispiel freiwillig Chatverläufe und letztlich auch nochmals ihr Mobiltelefon herausgegeben hat und darüber hinaus sämtliche Ärzte ohne irgendeine Einschränkung von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden hat.
297
Die Einlassung des Angeklagten hingegen wurde durch die Beweisaufnahme in mehreren Punkten widerlegt.
298
Zum einen hat der Angeklagte vehement abgestritten, zum Tatzeitpunkt Zugang zu Oxazepam gehabt zu haben. Dies wird jedoch durch das am 04.03.2022 – mithin neun Tage vor der Tat – eingelöste Rezept, das auf seinen Namen ausgestellt wurde und bei seiner Krankenkasse für ihn eingereicht wurde, nachgewiesen.
299
Dem Umstand, dass bei einer Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten am 31.03.2022 – mithin fast drei Wochen nach der Tat – keine Schlafmittel mehr aufgefunden werden konnten, ist dagegen nicht allzu viel Bedeutung beizumessen, zumal der Angeklagte sich zu diesem Zeitpunkt bereits mit den Vorwürfen der Nebenklägerin konfrontiert sah und die Durchsuchung der gesamten Wohnung – wie der Zeuge PHM Sch bestätigte – lediglich 37 Minuten gedauert hat. Die Angabe des Angeklagten, bei ihm sei das Medikament offen herumgelegen wird durch die Angaben der Nebenklägerin widerlegt, die angab, niemals Medikamente oder Schlafmittel in der Wohnung des Angeklagten gesehen zu haben. Dies bestätigte auch die frühere (und nun wieder aktuelle) Lebensgefährtin des Angeklagten, die Zeugin M, die im Rahmen ihrer Aussage angab, weder in der „alten“ noch in der „neuen“ Wohnung jemals Medikamente oder Schlafmittel gesehen zu haben.
300
Anders als der Angeklagte behauptete, fand die Ejakulation in der Vagina der Nebenklägerin und nicht auf den Bauch statt.
301
Die Vorstrafe des Angeklagten zeigt darüber hinaus, dass diesem Angriffe gegen die Willensentschließungsfreiheit von Frauen jedenfalls nicht wesensfremd sind.
302
(d) Die Kammer ist des Weiteren überzeugt, dass der Angeklagte der Nebenklägerin das Betäubungsmittel bereits mit der Intention verabreicht hat, den hierdurch entstandenen Zustand zur Ausübung des Geschlechtsverkehrs mit der Nebenklägerin auszunutzen.
303
Dass der Angeklagte ein gewisses Interesse sexueller Art an der Nebenklägerin hatte, ergibt sich schon aus der Aussage des Zeugen Wa, welcher beschrieb, der Angeklagte habe sich schon sinngemäß dahingehend geäußert, er finde die Nebenklägerin attraktiv. Der Zeuge Sa sagte darüber hinaus aus, der Angeklagte habe ihm gegenüber bereits vor dem Vorfall vom 13.03.2022 geäußert, er habe Sex mit der Nebenklägerin gehabt. Auch die Zeugin M schilderte, sie sei sich unsicher gewesen, ob der Angeklagte „nicht vielleicht doch was mit dieser Chinesin gehabt“ habe. Letztlich schildert auch die Nebenklägerin selbst zumindest einen Annäherungsversuch des Angeklagten im angetrunkenen Zustand sowie die Äußerungen des Angeklagten, er würde gerne eine Frau wie sie finden. Hinzu kommen die von der Nebenklägerin beschriebenen und auch bei der Durchsicht des Mobiltelefons der Nebenklägerin durch die Zeugin KK’in S festgestellten Kosenamen, die der Angeklagte verwendet hat.
304
Die Nebenklägerin berichtete außerdem, dass sie dem Angeklagten sehr deutlich gemacht habe, dass sie kein Interesse an einer Beziehung habe. Es ist keinerlei Motiv erkennbar, weshalb der Angeklagte der Nebenklägerin – ohne, dass er diese davon informiert – sonst ein Schlafmittel in dieser Dosierung hätte verabreichen sollen.
305
Des Weiteren spricht auch das planvolle Vorgehen des Angeklagten (z.B. Benutzen von zwei Teebeuteln, um den Geschmack des Oxazepams zu überdecken) dafür. Der Angeklagte selbst hat angegeben, das Medikament bereits seit April 2021 eingenommen zu haben, um Schlafstörungen zu beheben. Ihm war also sowohl die schlaffördernde Wirkung des Oxazepams als auch dessen „normale“ Dosierung bekannt. Da es sich um ein ärztlich verschriebenes starkes Medikament handelt, ist die Kammer auch davon überzeugt, dass der Angeklagte über entsprechende Nebenwirkungen und Gefahren aufgeklärt worden war. Dass eine Überdosierung und unsachgemäße Verwendung mit erheblichen Gefahren verbunden sein kann, ist allgemein bekannt und hat der Angeklagte somit jedenfalls billigend in Kauf genommen.
306
(e) Hinweise auf einen – wie auch immer gearteten – alternativen Geschehensablauf haben sich für die Kammer nicht ergeben. Weder ist ein Motiv der Nebenklägerin für eine Falschbelastung des Angeklagten ersichtlich, noch hat die Beweisaufnahme Anhaltspunkte ergeben, dass die Nebenklägerin sich – vom Angeklagten unbemerkt – selbst Oxazepam verabreicht haben könnte.
307
(f) Sämtliche Aussagen der Nebenklägerin werden darüber hinaus uneingeschränkt durch die Angaben der vernommenen Zeugen bestätigt. Die gesamte Beweisaufnahme hat diesbezüglich nicht den geringsten Widerspruch ergeben.
308
Dabei ist die Kammer von der Glaubwürdigkeit sämtlicher, auch der „im Lager“ der Nebenklägerin stehenden Zeugen, überzeugt.
309
An der Glaubwürdigkeit der mit der Angelegenheit lediglich beruflich befassten Zeugen PHK K, KK’in S und KHK’in St hat die Kammer keine Zweifel.
310
Ebensowenig haben sich irgendwelche Anhaltspunkte ergeben, welche gegen eine Glaubwürdigkeit der Zeuginnen K, Dr. B und Kl sprechen würden. Sämtliche Zeuginnen haben äußerst sachlich und ohne jeglichen Belastungseifer ausgesagt und sind darüber hinaus mit der Nebenklägerin lediglich aus beruflichen Gründen in Kontakt. Ebenso verhält es sich bei den behandelnden Ärzten Dr. E und El.
311
Die Aussage des Zeugen Wa war ruhig, sachlich und ohne jeglichen Belastungseifer. Vielmehr war dem Zeugen anzumerken, dass es ihm sichtlich schwerfiel, unangenehme Dinge über den Angeklagten – beispielsweise den Eindruck, dass dieser einsam gewesen sei – in dessen Anwesenheit zu sagen.
312
Der Zeuge L war bei seiner Aussage sichtlich angefasst von der gesamten Situation und hatte teilweise Mühe, sich so weit zu sammeln, dass er weitersprechen konnte. Dabei vermittelte er jedoch nicht den Eindruck, es gehe ihm um eine besonders dramatische Darstellung der Ereignisse. Vielmehr legte der Zeuge nachvollziehbar dar, er fühle sich – ähnlich einem großen Bruder – für die Nebenklägerin verantwortlich und habe das Gefühl, dass er ihr in dieser für sie besonders schweren Situation nicht ausreichend helfen habe können. Der Zeuge sagte äußerst detailliert aus und machte andererseits stets deutlich, wenn er etwas nicht mehr genauer erinnerte. Seiner Aussage waren keinerlei Übertreibungen oder Dramatisierungen zu entnehmen, die für einen besonderen Belastungseifer sprechen würden. Letztlich ist die Kammer somit auch von der Glaubhaftigkeit seiner Aussage überzeugt.
6) Feststellungen zu den Folgen der Tat
313
Die Angaben der Nebenklägerin zu den Folgen der Tat werden gestützt durch die Angaben der Zeugen K, L und Dr. B.
314
Die Zeugin K berichtete, die Nebenklägerin sei sehr schreckhaft geworden, drehe sich immer wieder um, lasse sich von Freunden zum Einkaufen begleiten und gehe, zumindest im Dunkeln, nicht mehr allein aus dem Haus. Dies sei eine deutliche Veränderung des Verhaltens der Nebenklägerin, welche zuvor häufig unterwegs gewesen sei.
315
Der Zeuge L gab an, dass die Nebenklägerin seitdem große Probleme damit habe, allein zu sein. Auch sei sie seither noch viel mehr in sich zurückgezogen.
316
Die Zeugin Dr. B führte aus, dass die Nebenklägerin nach dem Vorfall ein erhebliches Unsicherheitsgefühl empfunden habe, was vorher definitiv nicht der Fall gewesen sei. Die Nebenklägerin habe das Gefühl gehabt, der Angeklagte würde ihr auflauern. Auch gehe sie – insbesondere nachts – nicht mehr allein aus dem Haus oder mache kein Licht in der Wohnung an.
D.
Rechtliche Würdigung
317
Das Verhalten des Angeklagten ist rechtlich als besonders schwere Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu bewerten, § 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 1 StGB, §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 StGB, § 52 StGB.
318
Das heimliche Beibringen eines die Willensbildung beeinträchtigenden Mittels stellt jedenfalls dann Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB dar, wenn es eine körperliche Zwangswirkung auf das Opfer herbeiführt (vgl. BGH vom 24.05.2016, 5 StR 163/16). Dies ist im verfahrensgegenständlichen Fall – bei dem die Gabe des Mittels die Nebenklägerin in einen Zustand der Sedierung versetzte – ohne Weiteres gegeben.
319
Auch die Voraussetzungen einer besonders schweren Vergewaltigung unter Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs i.S. des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB sind erfüllt.
320
Der Angeklagte hat das Betäubungsmittel Oxazepam in einer deutlich über dem ambulanten therapeutischen Bereich liegenden Dosierung eingesetzt, um den erwarteten Widerstand der Nebenklägerin gegen die Durchführung des Geschlechtsverkehrs auszuschalten.
321
Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass die Verabreichung des Wirkstoffs im konkreten Fall eine erhebliche Gefährlichkeit aufwies, da sie bei der an das Arzneimittel nicht gewöhnten Nebenklägerin zu einem bewusstseinsgestörten, mindestens im Bereich der Sedierung liegenden, Zustand führte, der insbesondere die Gefahr des Erbrechens und der anschließenden Aspiration von Erbrochenem bis hin zum Tod durch Ersticken barg (s.o.). Dies galt im konkreten Fall umso mehr, als keinerlei adäquate Überwachung der Nebenklägerin durch den Angeklagten gegeben war, sondern dieser sie nach Durchführung des Geschlechtsverkehrs schlicht unbeaufsichtigt im Wohnzimmer liegen ließ, während er sich zum Schlafen in ein anderes Zimmer begab.
322
Wegen dieser erheblichen Gesundheitsrisiken für das Opfer handelt es sich um eine Vergewaltigung unter Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB (vgl. auch BGH vom 20.04.2017, 2 StR 79/17; vom 09.10.2018, 1 StR 418/18, für die Verabreichung in einem Getränk noch offenlassend).
323
Der Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist erfüllt, da es sich bei Oxazepam schon allein wegen der durch die Nebenklägerin erfahrenen Nebenwirkungen um einen Stoff handelt, der im Einzelfall nach seiner Art, der beigebrachten Menge, der Art der Beibringung oder der Konstitution des Opfers durch thermische, chemische oder chemisch-physikalische Wirkung die Gesundheit zu beschädigen geeignet ist.
324
Grundsätzlich ist auch der Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt, da die Oxazepam-Tabletten nach der konkreten Art ihrer Benutzung geeignet waren, erhebliche Körperverletzungen in Form von Nebenwirkungen (Benommenheit, Amnesie, Bewegungsstörungen, Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen, etc.) herbeizuführen. Auch eine chemische Wirkweise fällt unter diesen Tatbestand (vgl. z. B. BGH vom 24.1.2017, 1 StR 664/16). Jedoch wird § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB im Wege der Spezialität von § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB verdrängt.
325
Ein hinterlistiger Überfall i. S. des § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB liegt durch das heimliche Verabreichen eines im Tee aufgelösten Betäubungsmittels ebenfalls vor (vgl. BGH vom 29.11.1995, 2 StR 423/95).
(…)
F.
Strafzumessung
I) Strafrahmenwahl
326
Die Kammer hat zunächst – in Anwendung von § 52 Abs. 2 StGB – den Strafrahmen des § 177 Abs. 8 StGB von fünf Jahren bis 15 Jahren zugrunde gelegt.
II) Ausnahmestrafrahmen für minder schwere Fälle
327
Sodann hat die Kammer geprüft, ob nach umfassender Gesamtwürdigung – zunächst ohne die Einbeziehung vertypter Milderungsgründe – die strafmildernden Gesichtspunkte die strafschärfenden Aspekte derart überwogen haben, dass die Annahme des Ausnahmestrafrahmens für minder schwere Fälle (§ 177 Abs. 9 StGB) geboten wäre. Dies hat die Kammer verneint.
328
Zu Gunsten des Angeklagten sprach insbesondere, dass dieser sich im Rahmen der Hauptverhandlung mit der formlosen Einziehung der bei ihm sichergestellten Gegenstände einverstanden erklärt hat und sich auch sonst im Laufe des Ermittlungsverfahrens (beispielsweise durch Herausgabe seiner PIN) stets kooperativ verhalten hat.
329
Zu Lasten des Angeklagten wurde insbesondere berücksichtigt,
- dass dieser mehrere Straftatbestände tateinheitlich verwirklicht hat.
- Zudem fiel strafschärfend die Vorstrafe des Angeklagten ins Gewicht, welche zumindest hinsichtlich der Körperverletzung einschlägig ist.
330
Zu Lasten des Angeklagten mussten sich außerdem die bis heute andauernden erheblichen Beeinträchtigungen der Nebenklägerin auswirken. Diese schilderte in der Hauptverhandlung – neben den ca. zwei Tage andauernden körperlichen Beschwerden durch Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit und Bewegungsunsicherheiten – seit der Tat Angst zu haben, ihre Wohnung zu verlassen und – was vorher nicht der Fall war – auch für die Erledigung alltäglicher Dinge, wie z.B. Einkäufe, Begleitung in Anspruch zu nehmen. Hinzu kämen erhebliche Beeinträchtigungen bei Intimitäten in ihrer neuen Beziehung. Die Nebenklägerin wirkte bei ihrer Einvernahme als Zeugin noch deutlich beeindruckt und sehr mitgenommen durch das erneute Rekapitulieren der Vorfälle. So brach sie während der Vernehmung mehrmals in Tränen aus, insbesondere als sie beschrieb, dass sie bis heute darunter leide, nicht zu wissen, was mit ihr geschehen sei. Auch schilderte sie nachvollziehbar, auch aufgrund des vorherigen Verhaltens des Angeklagten gegenüber dessen Ex-Freundin habe sie Angst, der – lange Zeit auf freiem Fuß befindliche – Angeklagte könne ihr auflauern.
- Strafschärfend war darüber hinaus zu werten, dass der Angeklagte mit der Nebenklägerin den ungeschützten, unverhüteten Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss in deren Vagina durchgeführt hat, was die Gefahr einer ungewollten Schwangerschaft und der Ansteckung mit sexuell übertragbaren Krankheiten barg. Hinzu kommt im konkreten Fall, dass die Nebenklägerin wegen der von ihr erlittenen Amnesie keinerlei Kenntnis von dem durchgeführten Geschlechtsverkehr hatte und somit auch keine „Gegenmaßnahmen“ (beispielsweise in Form der „Pille danach“ oder der prophylaktischen Einnahme von Medikamenten, die eine Ansteckung verhindern) treffen konnte.
331
In einem weiteren Schritt hat die Kammer geprüft, ob unter Einbeziehung vertypter Strafmilderungsgründe ein minder schwerer Fall i. S. des § 177 Abs. 9 StGB anzunehmen ist, dies jedoch ebenfalls verneint.
332
Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 21 StGB (siehe oben) scheidet eine Milderung aus diesem Grund aus. Ebensowenig sind die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs i. S. des § 46a Nr. 1 StGB erfüllt.
III) Strafrahmenverschiebung gem. § 49 StGB
333
Eine Strafrahmenverschiebung gem. § 49 StGB kam, mangels Vorliegens entsprechender Milderungsgründe (s.o.) ebenfalls nicht in Betracht.
IV) konkrete Strafzumessung
334
Die Kammer hat im Rahmen der konkreten Strafzumessung erneut jeweils alle tat- und täterbezogenen Gesichtspunkte (siehe hierzu Ziffer F. II.) umfassend abgewogen und hält nach einer Gesamtbetrachtung all dieser tat- und täterbezogenen Gesichtspunkte eine Freiheitsstrafe von 7 Jahren für tat- und schuldangemessen.
G.
Kosten
335
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464, 465 StPO. Die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin hat der Angeklagte gem. § 472 Abs. 1 Satz 1 StPO ebenfalls zu tragen.