Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 11.01.2023 – Verg 2/21
Titel:

Ausschluss von Angeboten verbundener Unternehmen im Vergabeverfahren

Normenketten:
GWB § 97 Abs. 2, § 124 Abs. 1 Nr. 1
RL 2014/24/EU Art. 18 Abs. 1, Art. 57 Abs. 4
RL 2014/25/EU Art. 36 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Aufzählung der fakultativen Ausschlussgründe in § 124 GWB ist abschließend. (Rn. 62 – 64)
2. Bei richtlinienkonformer Auslegung steht allerdings der in § 97 Abs. 2 GWB normierte Gleichbehandlungsgrundsatz einer Berücksichtigung von Angeboten miteinander verbundener Unternehmen entgegen, die zwar getrennt abgegeben wurden, aber weder eigenständig noch unabhängig sind. (Rn. 68)
3. Die Vergabestelle ist verpflichtet, unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände zu prüfen, ob die Angebote miteinander verbundener Unternehmen eigenständig und unabhängig voneinander erstellt worden sind. Dies folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Rn. 87)
4. Die Eröffnung der sogenannten „zweiten Chance“ durch eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens, kommt nur in Betracht, wenn aufgrund der Sach- und Rechtslage am Schluss der (letzten) mündlichen Verhandlung feststeht, dass ein vergaberechtskonformer Zuschlag unmöglich ist und sich daran auch durch bloße Fortsetzung des Vergabeverfahrens nichts mehr ändern kann. (Rn. 125)
Schlagworte:
Vergabeverfahren, Angebote verbundener Unternehmen, eigenständig, unabhängig, Gleichbehandlungsgrundsatz, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, "zweite Chance", richtlinienkonforme Auslegung, fakultative Ausschlussgründe
Vorinstanzen:
EuGH Luxemburg, Urteil vom 15.09.2022 – C-416/21
BayObLG, Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 24.06.2021 – Verg 2/21
Vergabekammer München, Beschluss vom 12.01.2021 – 3194.Z3-3_01-20-15
Fundstellen:
VergabeR 2023, 411
BeckRS 2023, 1170
LSK 2023, 1170
NZBau 2023, 621

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 12. Januar 2021 in den Ziffern 1. und 3.
aufgehoben.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.
II. Die Hilfsanschlussbeschwerde der Antragsteller wird zurückgewiesen.
III. Bei Ziffer 2 des Beschlusses der Vergabekammer Südbayern vom 12. Januar 2021 hat es sein Bewenden.
Im Übrigen wird der Nachprüfungsantrag der Antragsteller zurückgewiesen.
IV. Die Antragsteller tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners und der Beigeladenen.
Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner und durch die Beigeladene im Verfahren vor der Vergabekammer wird jeweils für notwendig erklärt.
V. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 600.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsgegner, ein Landkreis, beabsichtigt, im offenen Verfahren öffentliche Busverkehrsdienstleistungen zu vergeben. Zur Abwicklung der Ausschreibung bedient er sich der Augsburger Verkehrs- und Tarifverbund GmbH (im Folgenden: AVV GmbH), deren Geschäftsführung dazu mit Beschlüssen vom 26. Februar 2015 und 10. Oktober 2018 vom Kreisentwicklungsausschluss ermächtigt worden war.
2
Nach der im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten Auftragsbekanntmachung vom 17. Dezember 2019 ist der Preis nicht das einzige Zuschlagskriterium (Ziffer II.2.5]). Aus den Vergabeunterlagen ergibt sich, dass folgende Zuschlagskriterien in die Wertung einfließen: Gesamtausgleich je Fahrplankilometer (Faktor 80), garantierte Höchstzeit für die Bereitstellung von Ersatzfahrzeugen (Faktor 5), Alter der eingesetzten Fahrzeuge (Faktor 10) und zusätzlich angebotene Fahrzeugqualität (Faktor 5).
3
Unter Ziffer II.2.7) der Bekanntmachung ist die Laufzeit vom 13. Dezember 2020 bis 9. Dezember 2028 mit einer Verlängerungsoption von zwei Jahren angegeben. Nach Ziffer IV.2.6) muss das Angebot bis 31. Mai 2020 gültig bleiben.
4
Ziffer II.2.11) der Bekanntmachung enthält - hinsichtlich der im Beschwerdeverfahren allein streitgegenständlichen Optionen 3 und 4 - folgende Angaben:
„Optionen: ja
Beschreibung der Optionen: Die AVV GmbH hat einen Förderantrag für ein mandantenfähiges rechnergestütztes Betriebsleitsystem (ITCS = Intermodal Transport Control System) für den A.Regionalbusverkehr bei der Regierung von Schwaben gestellt, um allen Regionalbusunternehmen im A. Verkehrs- und Tarifverbund einen gleichen und diskriminierungsfreien Zugang zu einem solchen, Echtzeitdaten generierenden System zu gewähren. Über den Förderantrag der AVV GmbH wurde bis zum Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens jedoch noch nicht entschieden. Daher gibt es diesbezüglich verschiedene Optionen. …“
5
Aus den Vergabeunterlagen ergibt sich, dass bei Vorliegen eines positiven Bescheids der Regierung von Schwaben über den Förderantrag der AVV GmbH die Regelungen zur Option 3 gelten und für den Fall, dass kein oder ein negativer Bescheid der Regierung von Schaben über den Förderantrag der AVV GmbH vorliegt, die Regelungen zur Option 4.
6
Ziffer III.2.2) der Bekanntmachung legt insbesondere folgende Bedingungen für die Ausführung des Auftrags fest:
1) Bietergemeinschaften sind zulässig. Näheres findet sich in den Vergabeunterlagen;
2) Die Bieter können max. 30% der Leistungen (gemessen an den Fahrplan km pro Jahr) an Subunternehmer vergeben. Näheres regeln die Vergabeunterlagen. …;
7
Die konkreten Anforderungen an die einzusetzenden 15 Fahrzeuge (Standardlinienbusse: 7 Neufahrzeuge und 7 Gebrauchtfahrzeuge; Gelenklinienbus: 1 Gebrauchtfahrzeug) sind in der Anlage K. I. 3. zur Leistungsbeschreibung festgelegt.
8
Es sind fristgerecht sechs Angebote eingegangen, u. a. von den beiden Antragstellern und der Beigeladenen. Der Antragsteller zu 1) ist ein Kaufmann, der unter seiner im Handelsregister eingetragenen Firma auftritt, die Antragsstellerin zu 2) eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Antragsteller zu 1) ist. Über das Vermögen des Antragstellers zu 1) ist mit Beschluss vom 1. November 2019 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Insolvenzverwalter hat mit Schreiben vom 1. Dezember 2019 den Betrieb der selbständigen Tätigkeit des Antragstellers zu 1) freigegeben. Die Angebote der beiden Antragsteller vom 27. Februar 2020 sind von derselben Person abgegeben worden, als Person des Erklärenden wurde jeweils der eingetragene Kaufmann (Antragsteller zu 1]) angegeben. Der Antragsteller zu 1) hat in seinem Angebot u. a. angegeben, über das Vermögen des Unternehmers sei ein Insolvenzverfahren weder beantragt noch eröffnet worden.
9
Aufgrund der dringlichen Anordnung des Landrats des Antragsgegners vom 1. April 2020 ist den beiden Antragstellern mit Informationsschreiben vom 2. April 2020 jeweils mitgeteilt worden, ihre Angebote seien wegen Verstoßes gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs und wegen Wettbewerbsverfälschung ausgeschlossen worden, da sie von der gleichen Person gefertigt worden seien. Der Zuschlag solle - unter Zugrundelegung des Angebotspreises der Option 4 - auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden.
10
Darauf haben die Antragsteller am 9. April 2020 insbesondere gerügt, ihr Ausschluss sei vergaberechtswidrig. Ein Wettbewerbsverstoß bzw. eine Verfälschung des Wettbewerbs könne schon deshalb nicht vorliegen, da sie nicht in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander stünden. Weil sie eine wirtschaftliche Einheit bildeten, seien ihre Angebote wie mehrere (Haupt-)Angebote durch ein und denselben Bieter zu betrachten. Es sei zudem davon auszugehen, dass bezüglich der Beigeladenen, die nach Informationen in der Presse in kartellrechtliche Ermittlungen rund um das „Augsburger Buskartell“ verwickelt sei, etwaige Ausschlussgründe gemäß §§ 123, 124 GWB nicht hinreichend geprüft worden seien. Außerdem leide das Verfahren an grundsätzlichen Vergabefehlern, es fehle die Vergabereife und es sei vergaberechtswidrig der Einsatz von Nachunternehmern beschränkt worden.
11
Nachdem der Antragsgegner die Rügen der Antragsteller mit Schreiben vom 14. April 2020 zurückgewiesen hatte, haben die Antragsteller am 15. April 2020 einen Nachprüfungsantrag gestellt. Sie haben sich insbesondere gegen ihren Ausschluss gewendet, der - zumal ohne vorherige Aufklärung - zu Unrecht erfolgt sei. Entgegen der Annahme des Antragsgegners liege kein Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz bzw. keine Verfälschung des Wettbewerbs vor. Beide Antragsteller bildeten ein einheitliches Unternehmen, sie stünden nicht in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander. Dies sei durch die umfassende Leitungsmacht des Antragstellers zu 1) sowie die vollständige Beherrschung der Antragstellerin zu 2) ausgeschlossen. Ein nicht bestehender Wettbewerb könne nicht eingeschränkt oder verfälscht werden. Im streitgegenständlichen Verfahren seien die Angebote der Antragsteller im Verfahren wie mehrere (Haupt) Angebote durch ein und denselben Bieter zu betrachten. Dies sei nach der Rechtsprechung anerkannt und im vorliegenden Fall in den Vergabeunterlagen auch nicht ausgeschlossen oder untersagt worden. Die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung bestehe in einem solchen Fall nicht und sei jedenfalls dann unproblematisch, wenn sich die Angebote nicht nur im Preis, sondern auch sachlich-technisch voneinander unterschieden. Diese Vorgabe sei hier erfüllt, da ihre Angebote voneinander abweichende Fahrzeugkombinationen (Neu- bzw. Gebrauchtfahrzeug im Bestand bzw. noch zu beschaffen) beinhalteten. Die Antragsteller hätten sich wegen der Begrenzung von Subunternehmerleistungen gegen eine „Unterauftragnehmer-Konstellation“ entschieden. Aufgrund der qualitativen Zuschlagskriterien sollte in den Angeboten zudem jeweils der Fuhrpark des Antragstellers zu 1) und der Antragstellerin zu 2) zur Geltung kommen und bei der Wertung der Angebote Berücksichtigung finden. Angesichts der als Alternativen ausgeschriebenen vier Optionen habe dem Vergabeverfahren die erforderliche Vergabereife (Sicherstellung der Finanzierung) gefehlt, sodass den Bietern unverhältnismäßiger Angebotserstellungsaufwand abverlangt worden sei. Die Beschränkung des Einsatzes von Unterauftragnehmern auf einen Prozentsatz von maximal 30% der ausgeschriebenen Leistungen sei vergaberechtswidrig, sie lasse sich nicht auf Art. 4 Abs. 7 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 stützen. Der Nichtausschluss der Beizuladenden bei gleichzeitigem Ausschluss der Antragsteller unter Verweis auf die angebliche Unverzichtbarkeit eines reinen und unverfälschten Wettbewerbs sei eine unzulässige Ungleichbehandlung der Bieter. Angesichts der Schwere der im Raum stehenden Vorwürfe gegen die Beteiligten des „Augsburger Buskartells“ erscheine es wenig glaubhaft, dass der Antragsgegner sein Ermessen fehler- und diskriminierungsfrei ausgeübt habe. Es liege zudem nahe, dass der Antragsgegner die Ausgestaltung und Durchführung des gesamten Vergabeverfahrens der AVV GmbH überlassen und somit vergaberechtswidrig wesentliche Entscheidungen im Vergabeverfahren nicht selbst getroffen habe.
12
Die Antragsteller haben beantragt,
I. festzustellen, dass die Antragsteller in ihren Bieterrechten gemäß § 97 Abs. 6 GWB verletzt sind und .
II. die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen der Antragsteller zu verhindern, insbesondere:
a) dem Antragsgegner die Erteilung des Zuschlags auf der Grundlage des bisherigen Vergabeverfahrens zu untersagen und
b) dem Antragsgegner für den Fall der fortgesetzten Vergabeabsicht aufzugeben,
- vorrangig die Angebote der Antragsteller wieder in die Wertung zunehmen und die Wertung der Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen und
- hilfsweise das Vergabeverfahren in den Stand vor Auftragsbekanntmachung oder (hilfsweise) in den Stand vor der Angebotsprüfung und -wertung zurückzuversetzen und unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut durchzuführen.
13
Nachdem der Antragsgegner am 30. Juni 2020 mitgeteilt hatte, er habe wegen des positiven Förderbescheids der Regierung von Schwaben für ein mandantenfähiges rechnergestütztes Betriebsleitsystem die Wertung nunmehr unter Zugrundelegung des Angebotspreises der Option 3 vorgenommen und beabsichtige, den Zuschlag an die Beigeladene zu erteilen, haben die Antragsteller mit Schriftsatz vom 4. Januar 2021 ausgeführt, ihr Rügepunkt der fehlenden Vergabereife im Hinblick auf die Ausschreibung der Optionen 3 und 4 habe sich nachträglich erledigt. Auch die Rüge, der Landrat sei für die dringliche Anordnung vom 1. April 2020 nicht zuständig gewesen, habe sich nachträglich durch den Beschluss des Kreistags vom 2. November 2020 erledigt.
14
Hinsichtlich dieser beiden Rügepunkte haben sie beantragt, die Rechtsverletzung gemäß § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB festzustellen.
15
Der Antragsgegner und die Beigeladene haben beantragt, den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
16
Es fehle schon an der Antragsbefugnis der Antragsteller, da ihre Angebote zwingend auszuschließen seien und kein Sachverhalt gegeben sei, bei dem alle übrigen Angebote ebenfalls auszuschließen seien. Hinsichtlich der Rügen der fehlenden Vergabereife und der vergaberechtswidrigen Selbsterbringungsquote sei der Nachprüfungsantrag wegen Rügepräklusion unzulässig. Der Antrag sei jedenfalls unbegründet. Eine Aufklärung der Angebote der Antragsteller sei entbehrlich gewesen, da der Antragsteller zu 1) als die für beide Angebote verantwortliche Person benannt worden sei, sodass seine Kenntnis beider Angebote feststehe mit der Folge, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerbs vorliege. Die Antragsteller hätten getrennte Angebote abgegeben, wodurch ein Wettbewerbsverhältnis zu Dritten entstanden sei. Ein echter Bieterwettbewerb sei nur dann möglich, wenn jeder Bieter die ausgeschriebene Leistung in Unkenntnis der Angebote seiner Mitbewerber anbiete. Aufgrund des wirksamen Ausschlusses der Antragsteller und der vorliegenden zuschlagsfähigen Angebote der Mitbewerber hätten die Antragsteller keine Chance auf die Auftragserteilung, eine Prüfung der übrigen von den Antragtellern vorgebrachten Vergabeverstöße, die im Übrigen nicht vorlägen, sei somit nicht angezeigt. Art. 4 Abs. 7 der Verordnung (EG) 1370/2007 sei auf den Auftrag anwendbar. Der Aufbau eines rechnergestützten Betriebsleitsystems für den AVV-Regionalbusverkehr, das die Betriebsabwicklung mit der entsprechenden Echtzeitdatenlieferung im Interesse der Fahrgäste planbarer und verlässlicher gewährleiste, sei zulässigerweise von dem Vorliegen eines positiven Förderbescheids abhängig gemacht worden. Der Antragsgegner sei nach Prüfung der Eignung der Beigeladenen gemäß § 42 Abs. 1 VgV i. V. m. §§ 122 ff. GWB rechts- und ermessensfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, von einem Ausschluss deren Angebots nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB abzusehen. Die AVV GmbH sei nicht wie ein Beratungsunternehmen in die Durchführung des Vergabeverfahrens eingebunden, ihr Handeln sei vielmehr den Aufgabenträgern für den öffentlichen Nahverkehr, die ihre Gesellschafter seien, zuzurechnen.
17
Mit Beschluss vom 12. Januar 2021 hat die Vergabekammer entschieden, die Angebote der Antragsteller seien unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer wieder in die Prüfung und Wertung aufzunehmen (Ziffer 1. des Tenors). Sie hat zudem festgestellt, die Antragsteller seien durch die Ausschreibung von Optionen bezüglich des mandantenfähigen rechnergestützen Betriebsleitsystems und durch die Vergabeentscheidung vom 1. April 2020 durch den seinerzeit unzuständigen Landrat vor Erledigung dieser Rügepunkte in ihren Rechten verletzt gewesen (Ziffer 2. des Tenors).
18
Der Antragsgegner sei kein Sektorenauftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 1 GWB, da er die Verkehrsleistungen lediglich organisiere, sodass die RL 2014/25/EU nicht anwendbar sei. Der - hinsichtlich der im Beschwerdeverfahren noch streitgegenständlichen Rügen - zulässige Nachprüfungsantrag sei im Hauptantrag begründet, da die Antragsteller zu Unrecht wegen Verstoßes gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerbs vom Verfahren ausgeschlossen worden seien. Das Verhalten der Antragsteller sei nach geltender Rechtslage am fakultativen Ausschlussgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB zu messen. Die vom Antragsgegner zitierte ältere Rechtsprechung sei nicht ohne Weiteres auf die aktuelle Rechtslage und den konkreten Fall übertragbar. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe im Urteil vom 17. Mai 2018 (C-531/16 - Specializuotas transportas) darauf hingewiesen, dass Art. 101 AEUV nicht anwendbar sei, wenn die Absprache oder die Verhaltensweisen, die er verbiete, von Unternehmen angewandt würden, die eine wirtschaftliche Einheit bildeten, wie dies bei den Antragstellern der Fall sei. Die Angebote stellten auch keine unzulässigen Doppelangebote dar. Sie stammten von unterschiedlichen, wenn auch stark miteinander verflochtenen Unternehmen. Weitere Ausschlussgründe hinsichtlich der Antragsteller habe der Antragsgegner bislang nicht festgestellt oder geltend gemacht. Durch den Nichtausschluss der Beigeladenen nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB wegen ihrer Beteiligung am „Augsburger Buskartell“ seien die Antragsteller nicht in ihren Rechten verletzt. Ob ein Ausschluss im Hinblick auf die Frist des § 126 Nr. 2 GWB noch möglich sei, sei zweifelhaft, jedenfalls sei die Entscheidung des Antragsgegners, die Beigeladenen nicht auszuschließen, noch von seinem Ermessenspielraum gedeckt.
19
Auf den zulässigen Antrag der Antragsteller sei festzustellen, dass sie durch die Ausschreibung von Optionen bezüglich des mandantenfähigen rechnergestützten Betriebsleitsystems und durch die Vergabeentscheidung vom 1. April 2020 durch den seinerzeit unzuständigen Landrat vor Erledigung dieser Rügepunkte in ihren Rechten verletzt gewesen seien. Der Antragsgegner habe ein berechtigtes Interesse an der Ausschreibung dieser Optionen nicht dargelegt. Es spreche einiges dafür, dass der Antragsgegner die Optionen gebildet habe, ohne ausreichende Informationen zur Erfolgsaussichtigkeit seines Förderantrags und zur möglichen Bearbeitungsdauer einzuholen. Der Landrat sei für die Vergabeentscheidung nicht zuständig gewesen. Die Voraussetzungen für eine dringliche Anordnung gemäß Art. 34 Abs. 3 Satz 1 LKrO hätten am 1. April 2020 nicht vorgelegen. Dieser Verstoß sei erst nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens durch die Genehmigung des zuständigen Kreistags in der Sitzung vom 2. November 2020 behoben worden. Die weiteren Rügepunkte hätten die Antragsteller nur noch hilfsweise aufrechterhalten. Es bestehe kein Anlass, das Vergabeverfahren aufzuheben oder in einen früheren Verfahrensstand zurückzuversetzen.
20
Gegen den Beschluss der Vergabekammer hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 1. Februar 2021, der am selben Tag bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangen ist, sofortige Beschwerde eingelegt, der sich die Beigeladene mit Schriftsatz vom 18. Februar 2021 angeschlossen hat.
21
Der Senat hat das Verfahren mit Beschluss vom 24. Juni 2021 (NZBau 2021, 755) ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Mit Urteil vom 15. September 2022 (C-416/21 - Landkreis Aichach-Friedberg, NZBau 2022, 750) hat der Gerichtshof entschieden, dass der in Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d) der RL 2014/24/EU genannte fakultative Ausschlussgrund nicht auf die in Art. 101 AEUV angeführten Vereinbarungen beschränkt ist und dass Art. 57 Abs. 4 der RL 2014/24/EU die fakultativen Ausschlussgründe abschließend regelt, sich daraus jedoch nicht ergibt, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe des in Rede stehenden Auftrags an Wirtschaftsteilnehmer, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, nicht entgegenstehen könnte. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vorlagebeschluss des Senats sowie das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union verwiesen.
22
Zur Begründung ihrer sofortigen Beschwerde vertiefen der Antragsgegner und die Beigeladene insbesondere ihre Argumentation zur Rechtfertigung des Ausschlusses der Angebote der Antragsteller. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe entschieden, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung einer Beauftragung von Bietern entgegenstehe, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und nicht eigenständige und unabhängige Angebote abgegeben haben. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei dadurch Genüge getan, dass auf der „Tatbestandsebene“ die Prüfung erfolgt sei, ob eine Beeinflussung der Angebote stattgefunden habe. Aufgabe des Vergaberechts sei es, für einen echten Wettbewerb der an dem Vergabeverfahren teilnehmenden Bieter zu sorgen, die Anspruch darauf hätten, dass die Angebote in Unkenntnis der Angebote der Mitbewerber abgegeben werden. Die eine wirtschaftliche Einheit bildenden Unternehmen könnten sich, da sie formal zwei unterschiedliche Rechtssubjekte bildeten, z. B. dadurch einen Vorteil verschaffen, dass sie sich unter Nachweis unterschiedlicher Eignungsvoraussetzungen an der Ausschreibung mittels abgestimmter Angebote beteiligten. Jedenfalls handele es sich bei den Angeboten der Antragsteller um die unzulässige Abgabe eines Doppelangebots. Die Angebote unterschieden sich außer bei dem angebotenen Ausgleichsbetrag in technischer Hinsicht nicht. Die Antragsteller hätten jeweils, wie gefordert, sieben Neufahrzeuge und im Übrigen Gebrauchtfahrzeuge angeboten. Hinsichtlich der gewählten Fahrzeugkategorien und der hierzu in der Leistungsbeschreibung aufgestellten Mindestanforderungen seien bei den angebotenen Fahrzeugen keine Unterschiede ersichtlich. Der Umstand, dass der Antragsteller zu 1) angegeben habe, es seien bereits Fahrzeuge im Fuhrpark vorhanden, während die Antragstellerin zu 2) entsprechende Fahrzeuge erst noch beschaffen müsse, führe nicht dazu, dass es sich deshalb in technischer Hinsicht um unterschiedliche Angebote handele.
23
Der Antragsgegner wendet sich zudem gegen die Feststellung der Vergabekammer, es habe kein berechtigtes Interesse zur Bildung der Optionen bestanden. Obwohl der Förderantrag bereits am 6. Dezember 2018 gestellt worden sei, sei der Förderbescheid erst am 18. Juni 2020 ergangen. Zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung im Dezember 2019 sei nicht absehbar gewesen, wann und mit welchem Ergebnis der Förderantrag beschieden werde. Verbindliche Aussagen dazu habe die Regierung von Schwaben zu diesem Zeitpunkt nicht erteilen können. Nachdem sie am 3. Mai 2019 auf verschiedene offene Fragen hingewiesen habe, hätten weitere Abstimmungen stattgefunden. Am 6. November 2019 habe bei der Bayerischen Eisenbahngesellschaft mbH, unter Beteiligung des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr sowie der Regierung von Schwaben eine Besprechung stattgefunden, um weitere klärungsbedürftige Punkte der Ausgestaltung des mandantenfähigen rechnergestützten Betriebsleitsystems abzustimmen. Kernpunkt sei dabei gewesen, dass eine direkte Anbindung des aufzubauenden Betriebsleitsystems an den von der Bayerischen Eisenbahngesellschaft mbH betriebenen Bayern-Fahrplan habe sichergestellt werden müssen. Der Förderantrag und die Techniksystembilder seien überarbeitet worden und am 22. November 2019 übersandt worden. Nach der Rückmeldung von der Bayerischen Eisenbahngesellschaft mbH am 13. Dezember 2019 sei der Förderantrag schließlich am 16. Dezember 2019 angepasst worden. Zum Zeitpunkt der Absendung der Auftragsbekanntmachung am 13. Dezember 2019 sei weiterhin unklar gewesen, ob ein positiver Förderbescheid ergehen werde. Ein längeres Zuwarten mit der Veröffentlichung der Ausschreibung, um die Unklarheit zu beseitigen, sei im Hinblick auf das Ende des bestehenden Verkehrsvertrags im Dezember 2020 und unter Berücksichtigung der Zeitdauer eines Ausschreibungsverfahrens und der erforderlichen Vorlaufzeit für die Beschaffung von Neufahrzeugen nicht zumutbar gewesen.
24
Der Antragsgegner beantragt,
1.
die Entscheidung der Vergabekammer Südbayern vom 12. Januar 2021, Gz. 3194.Z3-3_01-20-15, aufzuheben,
2.
den Nachprüfungsantrag der Beschwerdegegner zurückzuweisen.
25
Die Beigeladene beantragt im Wege der „Anschlussbeschwerde“,
die Entscheidung der Vergabekammer Südbayern vom 12. Januar 2021 (Az.: 3194.Z3-3_01-20-15) aufzuheben, soweit sie sich gegen einen Ausschluss der Antragsteller zu 1) und zu 2) richtet, und den Nachprüfungsantrag der Antragsteller zu 1) und zu 2) vom 15. April 2020 zurückzuweisen.
26
Die Antragsteller beantragen,
I. die sofortige Beschwerde des Antragsgegners vom 1. Februar 2021 und die „Anschlussbeschwerde“ der Beigeladenen vom 18. Februar 2021 als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise jedenfalls als unbegründet zurückzuweisen.
27
Hilfsweise erheben sie (Hilfs-)Anschlussbeschwerde und beantragen,
II. den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 12. Januar 2021 - 3194.Z3‐3_01‐20‐15 - in Ziffer 1. des Beschlusstenors hinsichtlich der geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Rechtsverletzung abzuändern, insbesondere indem dem Antragsgegner für den Fall der fortgesetzten Vergabeabsicht aufgegeben wird, das Vergabeverfahren in den Stand vor Absendung der Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut durchzuführen.
28
Für den Fall, dass es - im Zusammenhang mit der Frage, ob einem Ausschluss der Beigeladenen § 126 GWB entgegenstünde - auf die Einstellung des Strafverfahrens gegen den Geschäftsführer der Beigeladenen nach § 153a StPO am 29. August 2017 ankommen sollte, begehren die Antragsteller die Feststellung gemäß § 178 Satz 4, § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB, dass bis zum Eintritt der (Teil-)Erledigung des Nachprüfungsverfahrens eine Verletzung ihrer Rechte vorgelegen hat.
29
Die Antragsteller ziehen die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde und der „Anschlussbeschwerde“ in Zweifel und verteidigen in der Sache die Entscheidung der Vergabekammer, soweit sie den Ausschluss ihrer Angebote als vergaberechtswidrig angesehen hat. Sie sind der Ansicht, ihre Angebote könnten nicht auf der Grundlage der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgeschlossen werden, es fehle vielmehr an einer entsprechenden Rechtsgrundlage im deutschen Recht. Nach der Gesetzessystematik bestehe neben den normierten Tatbeständen für den Ausschluss eines Bieters in §§ 123, 124 GWB kein Raum für weitere, ungeschriebene Ausschlussgründe. Der in § 97 Abs. 2 GWB enthaltene allgemeine Grundsatz, dass die Bieter in einem Vergabeverfahren gleich zu behandeln seien, biete keine ausreichende Rechtsgrundlage für einen Angebotsausschluss. Die Norm sei auch nicht richtlinienkonform dahin erweiterbar, dass sie den Ausschluss eines Angebots begründen könnte. Eine derart weitgehende vom Gesetzgeber nicht vorgesehene Rechtsfortbildung würde die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung im Lichte der Verfassungsgrundsätze der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) und der richterlichen Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG) überschreiten. Die Annahme, dass eine wirtschaftliche Einheit bildende Bieter, die jeweils ein Angebot (bzw. mehrere Angebote) abgeben, sich dadurch „unberechtigte Vorteile“ gegenüber den anderen Bietern verschaffen könnten, treffe für den vorliegenden Fall nicht zu. Dem Gerichtshof der Europäischen Union sei der Umstand nicht bewusst gewesen, dass im streitgegenständlichen Vergabeverfahren alle Bieter mehrere Angebote einreichen durften und diese Angebote, sofern sie von demselben Bieter stammten, zwangläufig gegenseitig beeinflusst und abgestimmt seien. Dieser wesentliche Umstand werde in dem Urteil vom 15. September 2022 nicht erwähnt. Sie regen eine Ergänzungsvorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union an. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stehe einem Ausschluss ihrer Angebote entgegen. Wenn es die vergaberechtswidrige Vorgabe der Selbsterbringungsquote von 70% nicht gegeben hätte, wäre es zu der jetzt umstrittenen Form der parallelen Teilnahme beider Antragsteller gar nicht gekommen.
30
Zur Begründung ihrer Hilfsanschlussbeschwerde, die insbesondere für den Fall gestellt wird, dass die Beschwerde des Antragsgegners hinsichtlich des Ausschlusses ihrer Angebote Erfolg hat, vertiefen die Antragsteller ihre Argumentation zur vergaberechtswidrigen Selbsterbringungsquote, zur übermäßigen Delegation des Vergabeverfahrens an die AVV GmbH und zum Nichtausschluss der Beigeladenen. Es werde - weiterhin - bestritten, dass es noch andere „zuschlagsfähige“ Angebote gebe. Auch angesichts der am 30. Mai 2020 abgelaufenen Bindefristen der Angebote sei fraglich, ob die anderen Bieter für eine Zuschlagserteilung noch zur Verfügung stünden. Das Vergabeverfahren sei allein schon deshalb zu wiederholen, weil von Beginn an eine zeitnahe Dokumentation durch den Antragsgegner fehle. Es gebe, von lediglich punktuell und außerhalb der Vergabeakte dokumentierten Einzelfragen in den Gesellschafterbeschlüssen der AVV GmbH abgesehen, keinen Vergabevermerk des Antragsgegners im Sinne des § 8 VgV und § 97 Abs. 1 GWB. Es liege zudem nahe, dass der Antragsgegner auch die Vorbereitung und Einleitung des Vergabeverfahrens der AVV GmbH überlassen habe.
31
Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und das Protokoll vom 7. Dezember 2022 Bezug genommen.
II.
32
Die abgestimmten Angebote der Antragsteller sind zwingend auszuschließen, sodass der Beschluss der Vergabekammer in Ziffer 1. des Tenors aufzuheben und der Nachprüfungsantrag insoweit zurückzuweisen ist. Insoweit ist die zulässige sofortige Beschwerde des Antragsgegners, der sich die Beigeladene angeschlossen hat, begründet.
33
Keinen Erfolg hat die sofortige Beschwerde des Antragsgegners dagegen, soweit sie sich bezüglich des mandantenfähigen rechnergestützten Betriebsleitsystems gegen Ziffer 2. des Tenors des Beschlusses der Vergabekammer richtet. Die Feststellung einer Rechtsverletzung der Antragsteller durch die Vergabeentscheidung vom 1. April 2020 durch den seinerzeit unzuständigen Landrat war nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.
34
Die zulässige Hilfsanschlussbeschwerde der Antragsteller hat in der Sache keinen Erfolg, auch insoweit ist der Nachprüfungsantrag der Antragsteller zurückzuweisen.
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A. Die sofortige Beschwerde hat überwiegend Erfolg.
36
1. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners, der sich die Beigeladene angeschlossen hat, ist form- und fristgerecht eingegangen und auch im Übrigen zulässig.
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a) Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners, die am 1. Februar 2021 bei dem nach § 171 Abs. 4 GWB i. V. m. § 3 Nr. 43 DelV, § 33 Abs. 3 BayGZVJu zuständigen Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangen ist, ist fristgerecht binnen der zweiwöchigen Notfrist des § 172 Abs. 1 GWB eingelegt worden. Der Beschluss der Vergabekammer ist den Bevollmächtigten des Antragsgegners gemäß § 168 Abs. 3, § 61 Abs. 1 GWB i. V. m. § 5 Abs. 4 VwZG gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden, das als Zustelldatum den 18. Januar 2021 (Montag) aufweist. Gründe, einen vor diesem Datum liegenden Fristbeginn anzunehmen, liegen nicht vor. Auch für eine Beweisaufnahme bestand keine Veranlassung.
38
Das Empfangsbekenntnis ist nicht bloßes Beweismittel, sondern zudem Voraussetzung für die Wirksamkeit der Zustellung. Es bringt aber als Privaturkunde nach § 416 ZPO auch grundsätzlich Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks, sondern auch für den Zeitpunkt dessen Empfangs (vgl. BayObLG, Beschluss vom 9. November 2021, Verg 5/21, NZBau 2022, 308 Rn. 48 [juris Rn. 77] m. w. N.). Der Gegenbeweis für die Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben ist zwar zulässig, erfordert aber, dass die Richtigkeit der Angaben im Empfangsbekenntnis nicht nur erschüttert wird, sondern die Möglichkeit, die Angaben in dem Empfangsbekenntnis könnten richtig sein, ausgeschlossen ist (BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2021, IX ZB 41/20, NJW-RR 2021, 1584 Rn. 10; Beschluss vom 11. September 2018, XI ZB 4/17, NJW-RR 2018, 1400 Rn. 5). Für Letzteres genügt ein ungewöhnlich langer Zeitraum zwischen Zustellungsverfügung des Vorsitzenden und Zustellung noch nicht (BGH NJW-RR 2021, 1584 Rn. 11), selbst wenn die gleichzeitig veranlasste Zustellung an einen anderen Verfahrensbeteiligten deutlich früher bewirkt wurde (BGH, a. a. O., Rn. 9). Der Erhebung eines Gegenbeweises bedurfte es somit auch angesichts der Erklärungen der Antragsteller vom 7. Dezember 2022 nicht.
39
Die Antragsteller haben ihre zunächst geltend gemachten Zweifel an der Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses, die sie mit dem früheren Empfang des Vergabekammerbeschlusses begründet haben, in der mündlichen Verhandlung vom 7. Dezember 2022 nicht mehr aufrechterhalten, nachdem der Antragsgegnervertreter die näheren Umstände des Eingangs des Beschlusses und der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses dargelegt hat.
40
b) Ohne Erfolg rügen die Antragsteller, die sofortige Beschwerde habe das falsche Dateiformat, nämlich PDF 1.4 statt eines der in der Elektronischer-RechtsverkehrBekanntmachung 2018 - ERVB 2018 (Bekanntmachung des BMJuVS v. 19. Dezember 2017) genannten Formate PDF 2.0, PDF/A-1, PDF/A-2 und PDF/UA. Ein elektronisches Dokument ohne bildliche Darstellungen ist nach § 175 Abs. 2, § 72 Nr. 2 GWB i. V. m. § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO, § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV im Dateiformat PDF zu übermitteln, das nach § 2 Abs. 1 Satz 3 ERVV den nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV bekanntgemachten Versionen entsprechen muss. Dies hier ist der Fall, denn zulässige PDF-Dateiversionen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV sind nach der ERVB 2018 „PDF einschließlich PDF 2.0, PDF/A-1, PDF/A-2, PDF/UA“. Wegen der Verwendung des Worts „einschließlich“ handelt es sich nicht um eine abschließende Aufzählung. Dies wird auch in der Bekanntmachung des BMJuVS v. 20. Dezember 2018 deutlich, mit der Regelungen „hinsichtlich der zulässigen Dateiversionen PDF, insbesondere PDF/A-1, PDF/A-2, PDF/UA“ getroffen wurden.
41
c) Die Beschwerdebegründung genügt den Anforderungen des § 172 Abs. 1 Nr. 1 GWB. Aus ihr ergibt sich insbesondere, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten wird. Der Antragsgegner wendet sich gegen die in Ziffer 1. tenorierte Verpflichtung, die Angebote der Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer wieder in die Prüfung und Wertung aufzunehmen, sowie gegen die in Ziffer 2. tenorierte Feststellung, die Antragsteller seien durch die Ausschreibung von Optionen bezüglich des mandantenfähigen rechnergestützten Betriebsleitsystems in ihren Rechten verletzt.
42
Im Übrigen ist der Beschluss der Vergabekammer vom 12. Januar 2021 bestandskräftig geworden. Die weitere in Ziffer 2. tenorierte Feststellung, die Antragsteller seien durch die Vergabeentscheidung vom 1. April 2020 durch den seinerzeit unzuständigen Landrat in ihren Rechten verletzt, hat der Antragsgegner - auch wenn er die Aufhebung des Beschlusses der Vergabekammer insgesamt beantragt hat - nicht angegriffen. Er setzt sich mit dieser Feststellung in seiner sofortigen Beschwerde inhaltlich nicht auseinander und es sind auch sonst keinerlei Anhaltspunkte für die Auslegung ersichtlich, der Antragsgegner habe sich auch gegen die Feststellung wenden wollen, dass am 1. April 2020 das unzuständige Organ entschieden habe. Dieses Verständnis des Senats von den Angriffszielen des Antragsgegners wurde von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung geteilt.
43
d) Der Einwand der Antragsteller, dem Antragsgegner fehle das Rechtsschutzbedürfnis, soweit er sich gegen die Feststellung einer Rechtsverletzung durch die Ausschreibung der Optionen 3 und 4 wende, greift nicht durch. Die Argumentation, es hätte weder auf die Kostenfolge noch auf mögliche Schadensersatzansprüche der Antragsteller Auswirkungen, wenn diese Feststellung wegfiele, steht im Widerspruch zu ihrer Behauptung, die Abgabe von Alternativangeboten habe unzumutbaren Aufwand verursacht. Ein auf den Ersatz des negativen Interesses gerichteter Schadensersatzanspruch (vgl. BGH, Urt. v. 6. Oktober 2020 - XIII ZR 21/19 - Ortenau-Klinikum, NZBau 2021, 57 Rn. 12; Grüneberg in Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 311 BGB Rn. 37) in Höhe des Mehraufwandes für die Erstellung ihrer Angebote auf der Grundlage der Optionen 3 und 4 kommt allein aufgrund der Feststellung, die Antragsteller seien durch die Vergabeentscheidung der unzuständigen Stelle vom 1. April 2020 in ihren Rechten verletzt, nicht in Betracht.
44
e) Die Beigeladene verfolgt dasselbe Rechtsschutzziel wie der Antragsgegner und unterstützt dessen Beschwerde. Es handelt sich, worauf die Antragsteller zu Recht hinweisen, nicht um eine Anschlussbeschwerde in analoger Anwendung des § 524 Abs. 1 ZPO.
45
2. Hinsichtlich der im Beschwerdeverfahren noch streitgegenständlichen Rügen ist der Nachprüfungsantrag zulässig.
46
a) Das Nachprüfungsverfahren ist eröffnet. Der Antragsgegner ist Auftraggeber im Sinne des § 98 GWB, wobei es keiner Entscheidung bedarf, ob er öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 99 Abs. 1 Nr. 1 GWB ist oder Sektorenauftraggeber im Sinne des § 100 Abs. 1 Nr. 1 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet nicht nur den Schwellenwert nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB, sondern auch den nach § 106 Abs. 2 Nr. 2 GWB in Höhe von € 428.000,00 erheblich.
47
b) Der Antragsteller zu 1) ist prozessführungsbefugt, denn er hat mit der Freigabe seiner selbständigen Tätigkeit durch den Insolvenzverwalter (§ 35 Abs. 2 Satz 1 InsO) die Verfügungsbefugnis zurückgewonnen (vgl. BGH, Urt. v. 18. April 2013, IX ZR 165/12, juris Rn. 20).
48
c) Die Antragsteller, die sich gegen den Ausschluss ihrer Angebote wenden, sind auch hinsichtlich ihrer weiteren Rügen antragsbefugt. Es ist keine die Zulässigkeit des Gesuchs um Nachprüfung beeinflussende Frage, ob das Angebot des antragstellenden Unternehmens ohnehin von der Wertung in dem eingeleiteten Vergabeverfahren hätte ausgeschlossen werden können oder müssen (BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06 - Polizeianzüge, BGHZ 169, 131 Rn. 32 m. w. N.). Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Bieter nachweist, dass der öffentliche Auftraggeber gehalten wäre, das Vergabeverfahren zu wiederholen. Es reicht insoweit aus, dass diese Möglichkeit besteht (EuGH, Urt. v. 21. Dezember 2021, C-497/20 - Randstad Italia, NZBau 2022, 293 Rn. 70; Urt. v. 5. September 2019, C-333/18 - Lombardi, NZBau 734 Rn. 29).
49
Dass die Antragsteller jeweils angegeben haben, keine Nachunternehmer einzusetzen, steht ihrer Antragsbefugnis hinsichtlich der Selbsterbringungsquote nicht entgegen, denn sie haben vorgetragen, sie hätten sich wegen der vergaberechtswidrigen Vorgabe gegen eine Nachunternehmerkonstellation entschieden.
50
d) Hinsichtlich der noch streitgegenständlichen Rügen sind die Antragsteller nicht präkludiert. Dies gilt auch, soweit die Antragsteller aus den im Nachprüfungsverfahren gewonnenen Erkenntnissen ableiten, der Antragsgegner habe das Vergabeverfahren übermäßig delegiert.
51
Im Übrigen wird auf die Ausführungen der Vergabekammer Bezug genommen.
52
3. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet, soweit sie sich gegen die Entscheidung der Vergabekammer richtet, die Angebote des Antragstellers zu 1) und der Antragstellerin zu 2) wieder in die Prüfung und Wertung aufzunehmen. § 97 Abs. 2 GWB steht einer Berücksichtigung dieser Angebote entgegen, die zwar getrennt abgegeben wurden, aber weder eigenständig noch unabhängig sind.
53
Dass die fakultativen Ausschlussgründe in § 124 GWB abschließend aufgezählt sind, bedeutet bei richtlinienkonformer Auslegung nicht, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe des in Rede stehenden Auftrags an Wirtschaftsteilnehmer, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, nicht entgegenstehen stehen könnte. Bei miteinander verbundenen Bietern wäre der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt, wenn man es zuließe, dass diese Bieter abgesprochene oder abgestimmte, d. h. weder eigenständige noch unabhängige, und ihnen deshalb gegenüber den anderen Bietern möglicherweise ungerechtfertigte Vorteile verschaffende Angebote einreichen könnten (vgl. EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg Rn. 57 und 59).
54
Einer ergänzenden Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union bedarf es nicht.
55
a) Ein Ausschluss der Angebote der Antragsteller nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB kommt mangels einer Vereinbarung zwischen zwei Wirtschaftsteilnehmern, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielt, allerdings nicht in Betracht.
56
aa) Es bedarf keiner Entscheidung, ob der Antragsgegner entgegen der Annahme der Vergabekammer, der keiner der Beteiligten entgegengetreten ist, Sektorenauftraggeber ist.
57
Wenn der streitgegenständliche Auftrag unter die RL 2014/25/EU (Sektorenrichtlinie) fällt, ist § 124 GWB gemäß § 142 GWB entsprechend anwendbar. Die RL 2014/25/EU enthält keine eigenständige Bestimmung über fakultative Ausschlussgründe, sondern verweist insofern auf die RL 2014/24/EU (EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 31).
58
bb) Die Anwendung des Ausschlusstatbestandes nach Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d) der RL 2014/24/EU setzt zwingend eine Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei verschiedenen Wirtschaftsteilnehmern voraus (EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 49), was bei der Auslegung und Anwendung des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB zu berücksichtigen ist (vgl. Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 6. Aufl., Stand: 19. Dezember 2022, § 124 GWB Rn. 81.1).
59
Den Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (Landkreis AichachFriedberg, Rn. 50), bei einer Fallgestaltung wie der hier in Rede stehenden könne nicht davon ausgegangen werden, dass zwei Wirtschaftsteilnehmer, deren Entscheidungsfindung im Wesentlichen über dieselbe natürliche Person läuft, untereinander „Vereinbarungen“ schließen können, da nicht ersichtlich sei, dass es zwei verschiedene Willensäußerungen gäbe, die übereinstimmen könnten, ist keiner der Beteiligten entgegengetreten.
60
Angesichts der zwischen den Antragstellern bestehenden Verbindungen besteht nach Auffassung des Senats keine Möglichkeit, dass sie derartige „Vereinbarungen“, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielen, schließen. Entscheidend ist nicht, dass es sich bei den Antragstellern juristisch um zwei unterschiedliche Rechtssubjekte (§ 1 BGB, § 13 GmbHG) handelt, sondern dass auch für die Antragstellerin zu 2) die Willensbildung ausschließlich über den Antragsteller zu 1) möglich ist, der als Geschäftsführer deren Vertretungsorgan ist (§ 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG) und als Alleingesellschafter die Gesellschafterversammlung bestimmt (§§ 45 ff. GmbHG).
61
b) Es ist nicht ersichtlich, dass hinsichtlich beider Angebote der Antragsteller ein anderer fakultativer Ausschlussgrund verwirklicht ist. Ob das Angebot des Antragstellers zu 1) nach § 124 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 8 GWB ausgeschlossen werden könnte, hat weder die Vergabekammer entschieden noch ist dies nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.
62
c) Die in Umsetzung des Art. 57 Abs. 4 der RL 2014/24/EU in § 124 GWB normierten fakultativen Ausschlussgründe sind allerdings abschließend.
63
aa) In Art. 57 Abs. 4 der RL 2014/24/EU sind die fakultativen Ausschlussgründe abschließend aufgezählt, mit denen der Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren aus Gründen gerechtfertigt werden kann, die sich, gestützt auf objektive Anhaltspunkte, auf seine berufliche Eignung sowie auf einen Interessenkonflikt oder eine aus seiner Einbeziehung in die Vorbereitung dieses Verfahrens resultierende Wettbewerbsverzerrung beziehen (EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 54).
64
bb) Damit in Einklang steht die nationale Rechtsprechung, die in den §§ 123, 124 GWB nach der Gesetzessystematik eine abschließende Regelung sieht (vgl. BGH, Urt. v. 3. Juni 2020, XIII ZR 22/19 - Vergabesperre, NZBau 2020, 609 Rn. 36; BayObLG, NZBau 2021, 755 Rn. 28 [juris Rn. 51] m. w. N.).
65
d) Dies schließt jedoch nicht aus, dass die Angebote der Antragsteller, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, wegen des Grundsatzes der Gleichbehandlung nicht berücksichtigt werden können, wenn sie nicht eigenständig und unabhängig abgegeben worden sind.
66
aa) Auch insoweit ist es unerheblich, ob der streitgegenständliche Auftrag unter die Sektorenrichtlinie fällt.
67
Art. 36 Abs. 1 der RL 2014/25/EU, nach dem die Auftraggeber alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nicht diskriminierender Weise behandeln und transparent und verhältnismäßig handeln, entspricht im wesentlichen Art. 18 Abs. 1 der RL 2014/24/EU (EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 30).
68
bb) Dass die fakultativen Ausschlussgründe in Art. 57 Abs. 4 der RL 2014/24/EU abschließend aufgezählt sind, bedeutet nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht, dass der in Art. 36 Abs. 1 der RL 2014/25/EU bzw. in Art. 18 Abs. 1 der RL 2014/24/EU vorgesehene Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe des in Rede stehenden Auftrags an Wirtschaftsteilnehmer, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, nicht entgegenstehen stehen könnte (EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 57).
69
cc) Durch die Abgabe abgestimmter Angebote haben die miteinander verbundenen Bieter gegenüber den anderen Bietern möglicherweise ungerechtfertigte Vorteile (vgl. BayObLG, NZBau 2021, 755 Rn. 23 [juris Rn. 45]). Der Feststellung eines darüberhinausgehenden „spezifischen Unrechtselements“ bedarf es entgegen der Ansicht der Antragsteller nicht.
70
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat seine frühere Rechtsprechung (Urt. v. 17. Mai 2018, C-531/16 - Specializuotas transportas, EuZW 2018, 702 Rn. 29 und 38) bestätigt und ausgeführt, bei miteinander verbundenen Bietern wäre der Grundsatz der Gleichbehandlung in Art. 36 Abs. 1 der RL 2014/25/EU verletzt, wenn man es zuließe, dass diese Bieter abgesprochene oder abgestimmte, d. h. weder eigenständige noch unabhängige, und ihnen deshalb gegenüber den anderen Bietern möglicherweise ungerechtfertigte Vorteile verschaffende Angebote einreichen könnten. Die - nach der zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit von der Vergabestelle vorzunehmenden Prüfung (s. u. e]) getroffene - Feststellung, dass die Verbindungen zwischen den Bietern den Inhalt ihrer im Rahmen desselben Verfahrens eingereichten Angebote beeinflusst haben, genügt dafür, dass diese Angebote von der Vergabestelle nicht berücksichtigt werden dürfen, denn die Angebote müssen eigenständig und unabhängig abgegeben werden, wenn sie von miteinander verbundenen Bietern stammen (EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 59 und 62).
71
Der Argumentation der Antragsteller, diese Ausführungen bezögen sich nur auf Fälle, in denen keine wirtschaftliche Einheit vorliege, hat der Gerichtshof der Europäischen Union eine Absage erteilt. Diese Erwägungen gelten erst recht für die Situation von Bietern, die nicht lediglich miteinander verbunden sind, sondern eine wirtschaftliche Einheit bilden (EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 62).
72
Der Ansicht der Antragsteller, die vom Senat im Vorlagebeschluss beispielhaft beschriebenen möglichen Vorteile miteinander verbundener Bieter, die abgestimmte Angebote abgeben, gegenüber den anderen Bietern hinsichtlich der bieterbezogenen Ausschlussgründe und Eignungskriterien seien jedenfalls nicht unberechtigt, weil sie diese Vorteile auch hätten, wenn sie sich in einer Konstellation der Nachunternehmerschaft und Eignungsleihe beworben hätten, vermag der Senat im Übrigen nicht zu folgen. Hätte die Antragstellerin zu 2) beabsichtigt, im Fall der Zuschlagserteilung den Antragsteller zu 1) als Nachunternehmer zu beauftragen, oder zum Nachweis ihrer Eignung auf die Leistungsfähigkeit des Antragstellers zu 1) verwiesen (vgl. Opitz in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Aufl. 2022, § 122 Rn. 36), läge nur ein Angebot vor. Auch wenn die Antragstellerin zu 2) zwei unterschiedliche Angebote abgegeben hätte, lägen nur Angebote eines Bieters vor.
73
Insoweit wird auf die Ausführungen unter dd) verwiesen.
74
dd) Ohne Erfolg wenden die Antragsteller ein, dem Gerichtshof der Europäischen Union sei die Zulässigkeit der Einreichung mehrerer Angebote durch einen Bieter nicht bewusst gewesen, ihm seien damit wesentliche, entscheidungserhebliche Aspekte des Falles verborgen geblieben und es sei davon auszugehen, dass der Gerichtshof die Vorlagefragen abweichend beantwortet haben könnte, wenn ihm die besondere Konstellation des Streitfalles bewusst gewesen wäre.
75
(1) Die Begründung der Antragsteller, ihre Angebote seien im streitgegenständlichen Verfahren wie mehrere - zulässige - (Haupt-)Angebote durch ein und denselben Bieter zu betrachten, sodass die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung nicht bestehe, ist im Vorlagebeschluss des Senats vom 24. Juni 2021 wiedergegeben (NZBau 2021, 755 [juris Rn. 6]).
76
(2) Ob die dieser Argumentation der Antragsteller zugrunde liegende Annahme zutrifft, ein Bieter hätte die beiden streitgegenständlichen Angebote zulässigerweise als zwei Hauptangebote abgeben können, ist zweifelhaft, bedarf aber keiner abschließenden Entscheidung.
77
Nach der nationalen Rechtsprechung kann ein Bieter zwar - unter bestimmten Voraussetzungen - mehr als ein Hauptangebot abgeben (vgl. BGH, Urt. v. 29. November 2016, X ZR 122/14 - Universitätsinstitut, NZBau 2017, 176 Rn. 12 [zur Auslegung, ob zwei Hauptangebote vorliegen]). Als zulässig angesehen wurde dies in Fällen, in denen der Auftraggeber durch die Gestaltung der Vergabeunterlagen inhaltlich verschiedene Hauptangebote veranlasst hat oder sonst dazu aufgefordert hat (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Oktober 2015, VII-Verg 28/14, NZBau 2016, 235 Rn. 117 [juris Rn. 166] m. w. N.), insbesondere wenn ein Bieter aus vertretbaren Gründen im Unklaren war, ob die angebotene Leistung als mit den vorgegebenen Spezifikationen „gleichwertig“ angesehen werden wird, und zwei sich in technischer Sicht unterscheidende Angebote abgegeben hat (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. März 2011, VII-Verg 52/10, juris Rn. 46 [zu § 9 Nr. 7, 8 und 10 und § 21 Nr. 2 VOB/A 2006]; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Oktober 2015, VII-Verg 28/14, NZBau 2016, 235 Rn. 111 und 117 [juris Rn. 160 und 166]; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1. Oktober 2012, VII-Verg 34/12, juris Rn. 6; OLG München, Beschluss vom 15. November 2013, Verg 13/13, juris Rn. 48; Beschluss vom 29. Oktober 2013, Verg 11/13, juris Rn. 38 [zustimmend, aber die Zulässigkeit von Doppelangeboten im konkreten Fall verneinend]). Dass mehrere Hauptangebote generell zulässig wären, ergibt sich aus dieser Rechtsprechung aber nicht (OLG Düsseldorf, NZBau 2016, 235 Rn. 114 [juris Rn. 163]). § 13 EU Abs. 3 Satz 3 VOB/A und § 16 EU Nr. 6 und Nr. 8 VOB/A entsprechende Regelungen enthalten weder die VgV noch die SektVO.
78
Ob die zitierte Rechtsprechung auf den hypothetischen Fall übertragbar wäre, dass die streitgegenständlichen Angebote nur von einem der beiden Antragsteller abgegeben worden wären bzw. dass die Antragstellerin zu 2) ein Angebot mit ihrem eigenen Fuhrpark und ein zweites Angebot unter Inanspruchnahme des Antragstellers zu 1) und dessen Fuhrpark abgegeben hätte, erscheint schon angesichts der für die Fahrzeuge in den Vergabeunterlagen festgelegten Vorgaben fraglich, die nicht auf ein Leitfabrikat oder ein gleichwertiges Fabrikat abstellen. Dass der Antragsteller zu 1) in seinem Angebot einige in seinem Fuhrpark befindliche Fahrzeuge genannt hat, während die Antragstellerin zu 2) angegeben hat, alle Fahrzeuge müssten noch beschafft werden, führt jedenfalls nicht ohne Weiteres dazu, dass sich die Angebote in technischer Hinsicht unterscheiden.
79
Konkrete, auf die Fahrzeuge bezogene technische Unterschiede in ihren Angeboten haben die Antragsteller nicht aufgezeigt. Letztlich bedarf die Frage aber keiner Entscheidung.
80
(3) Dass Bieter ihre Angebote eigenständig und unabhängig voneinander abgeben müssen und dies auch ungeachtet dessen gilt, ob ein Bieter zulässigerweise zwei sich nicht nur im Preis unterscheidende Hauptangebote abgeben kann, ist durch die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. September 2022, in der er seine frühere Rechtsprechung fortführt, in einer Weise geklärt, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt.
81
Es handelt sich um unterschiedliche Konstellation und Fragestellungen.
82
Von der Abgabe mehrerer in technischer Sicht voneinander abweichender Hauptangebote eines Bieters unterscheidet sich die abgestimmte Abgabe von jeweils einem Angebot mehrerer Bieter, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, dadurch, dass sie wie Konkurrenten auftreten, obwohl sie tatsächlich nicht miteinander konkurrieren.
83
Für die letztgenannte Fallkonstellation hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe des Auftrags an die Bieter entgegensteht, die ihre Angebote nicht eigenständig und unabhängig abgegeben haben. Dies gilt auch, wenn diese miteinander verbundenen Bieter zudem mehrere - nach der nationalen Rechtsprechung - zulässige Hauptangebote abgegeben haben. Auch wenn man die Zulässigkeit mehrerer Hauptangebote im Streitfall annähme, bezöge sich dies nur auf den jeweiligen einzelnen Bieter.
84
Der Grundsatz der Gleichbehandlung steht zwar nach der - bisherigen - nationalen Rechtsprechung der Zulässigkeit mehrerer Hauptangebote eines Bieters nicht entgegen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. März 2011, VII-Verg 52/10, juris Rn. 46; Beschluss vom 23. März 2010, VII-Verg 61/09 juris Rn. 18). Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass auch die Abgabe abgestimmter Angebote zulässig wäre.
85
Wie der Gerichtshof der Europäischen Union die Abgabe von zwei Hauptangeboten eines Bieters beurteilen würde, ist deshalb nicht entscheidungserheblich, auch wenn die Antragsteller in ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 23. Dezember 2022 zu suggerieren versuchen, sie hätten nicht parallel „als wirtschaftliche Einheit“ zwei Hauptangebote eingereicht, wenn die Einreichung mehrerer Hauptangebote desselben Bieters ausgeschlossen gewesen wäre (s. u. h]).
86
(4) Es ist somit entgegen der Ansicht der Antragsteller nicht geboten, gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. b) und Abs. 2 AEUV eine ergänzende Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu folgender Frage einzuholen: „Sind Art. 36 Abs. 1 RL 2014/25/EU und Art. 18 Abs. 1 der RL 2014/24/EU dahin auszulegen, dass sie einer Erteilung des Zuschlags an Unternehmen, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, auch dann entgegenstehen, wenn es nach den Bedingungen des Vergabeverfahrens zulässig war, dass alle Bieter mehrere Angebote einreichen und diese Angebote zwangsläufig ebenfalls, sofern sie von demselben Bieter stammen, weder eigenständig noch unabhängig sind[?]“
87
e) Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt, dass miteinander verbundenen Unternehmen der Nachweis möglich sein muss, dass ihre Angebote eigenständig und unabhängig voneinander erstellt worden sind (vgl. EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 58; Specializuotas transportas, EuZW 2018, 702 Rn. 40; Urt. v. 19. Mai 2009, C-538/07 - Assitur, EuZW 2009, 550 Rn. 30; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. März 2022, Verg 28/21, juris Rn. 38 ff.).
88
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist es zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geboten, dass die Vergabestelle verpflichtet ist, eine Prüfung und Würdigung der Tatsachen vorzunehmen, um zu bestimmen, ob das Verhältnis zwischen zwei Einheiten den Inhalt der einzelnen im Rahmen eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens abgegebenen Angebote konkret beeinflusst hat, wobei die Feststellung eines solchen wie auch immer gearteten Einflusses ausreicht, um die betreffenden Einheiten von dem Verfahren ausschließen zu können (EuGH - Landkreis AichachFriedberg, Rn. 60 m. w. N.). Die Feststellung, dass die Verbindungen zwischen den Bietern den Inhalt ihrer im Rahmen desselben Verfahrens eingereichten Angebote beeinflusst haben, genügt dafür, dass diese Angebote von der Vergabestelle nicht berücksichtigt werden dürfen, denn die Angebote müssen eigenständig und unabhängig abgegeben werden, wenn sie von miteinander verbundenen Bietern stammen (EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 61 m. w. N.). Diese Erwägungen gelten erst recht für die Situation von Bietern, die nicht lediglich miteinander verbunden sind, sondern eine wirtschaftliche Einheit bilden (EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 62 m. w. N.).
89
Dies ist ebenfalls in einer Weise geklärt, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt. Nicht geboten ist daher eine ergänzende Vorlage zu der Frage: „Sind Art. 36 Abs. 1 RL 2014/25/EU und Art. 18 Abs. 1 der RL 2014/24/EU dahin auszulegen, dass sie einer Erteilung des Zuschlags an Unternehmen, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch dann entgegenstehen, wenn die Gefahr einer Beeinflussung des Wettbewerbs unter den Bietern dadurch nicht bestand[?]“
90
f) Der in § 97 Abs. 2 GWB normierte Grundsatz der Gleichbehandlung steht unter den vom Gerichtshof der Europäischen Union genannten Voraussetzungen (Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 60 und 63) der Berücksichtigung abgesprochener oder abgestimmter Angebote entgegen. Ohne Erfolg wenden die Antragsteller ein, die nationale Regelung enthalte keine Rechtsgrundlage für einen Angebotsausschluss und sei auch nicht richtlinienkonform erweiterbar.
91
aa) Ob und inwieweit das innerstaatliche Recht eine entsprechende richtlinienkonforme Auslegung zulässt, haben die nationalen Gerichte zu beurteilen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. September 2011, 2 BvR 2216/06, ZIP 2012, 911 Rn. 47 m. w. N.).
92
Die von den Antragstellern angeregte ergänzende Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zu der Frage, ob Art. 36 Abs. 1 RL 2014/25/EU und Art. 18 Abs. 1 der RL 2014/24/EU dahin auszulegen sind, dass ein öffentlicher Auftraggeber Angebote unter Verweis auf den darin enthaltenen Gleichbehandlungsgrundsatz auch dann ausschließen darf bzw. muss, wenn eine solche Befugnis des öffentlichen Auftraggebers in den materiellrechtlichen Vorschriften des nationalen Rechts nicht [Anmerkung des Senats vermutlich gemeint: nicht ausdrücklich] vorgesehen ist, kommt daher nicht in Betracht.
93
bb) Der erklärte Wille des Gesetzgebers steht einer Auslegung, dass abgesprochene oder abgestimmte Angebote von zwei miteinander verbundenen Bietern nach § 97 Abs. 2 GWB nicht zu berücksichtigen sind, nicht entgegen.
94
(1) Der von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geprägte Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung verlangt von den nationalen Gerichten mehr als bloße Auslegung im engeren Sinne; er fordert auch, das nationale Recht, wo dies nötig und möglich ist, richtlinienkonform fortzubilden (BGH, Urt. v. 26. November 2008, VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27 Rn. 21). Die Pflicht zur Verwirklichung des Richtlinienziels im Auslegungswege findet ihre Grenzen an dem nach innerstaatlicher Rechtstradition methodisch Erlaubten. Sie darf nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem dienen (BVerfG, ZIP 2012, 911 Rn. 47 m. w. N.).
95
(2) Der Einwand der Antragsteller, das deutsche Vergaberecht kenne keine übergesetzlichen oder ungeschriebenen Ausschlussgründe, die neben dem geschriebenen Recht herangezogen werden könnten, und das GWB und die VgV regelten die Gründe, aus denen ein Angebot ausgeschlossen werden könne, abschließend, blendet aus, dass insbesondere die Zweifel des Senats, ob die abschließende Aufzählung der fakultativen Ausschlussgründe einem Rückgriff auf den Grundsatz der Gleichbehandlung entgegensteht, um zu rechtfertigen, dass Angebote zweier Bieter, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, wegen eines Verstoßes gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs nicht berücksichtigt werden können, Grund für die Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union waren, der die Frage verneint hat.
96
Die Umsetzung von Art. 57 Abs. 4 der RL 2014/24/EU in § 124 Abs. 1 GWB orientiert sich nach der Gesetzesbegründung eng an den Vorgaben der Richtlinie (BT-Drs. 18/6281 S. 105). Nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union steht der abschließende Charakter der Ausschlussgründe einem Rückgriff auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nach den Richtlinien 2014/24/EU bzw. 2014/25/EU, die - nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers - beide mit dem Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts umgesetzt wurden (BT-Drs. 18/6281 S. 1) nicht entgegen. Anhaltspunkte dafür, dass mit §§ 123, 124 GWB auf nationaler Ebene engere Grenzen für den Ausschluss von Angeboten gesetzt werden sollten, als nach den Richtlinien, liegen nicht vor. Daher geht der Einwand fehl, der Gesetzgeber habe sich für eine abschließende Regelung der Ausschlussgründe in §§ 123, 124 GWB entschieden und es bedürfe deshalb einer - über § 97 Abs. 2 GWB hinausgehenden - ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage, um abgestimmte oder abgesprochene Angebote unter den vom Gerichtshof der Europäischen Union genannten Voraussetzungen ausschließen zu können.
97
cc) Erfolglos wenden die Antragsteller ein, der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz sei nicht geeignet, daraus konkrete Handlungsbefugnisse für die Vergabestelle abzuleiten.
98
Dessen Anwendung ist zwar regelmäßig eine Frage des Einzelfalls, was einer Ableitung von Verbotsregeln und damit verbundenen starren Rechtsfolgen in den meisten Fällen entgegensteht (vgl. Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2021, GWB § 97 Rn. 77). Für die konkrete Fallkonstellation hat der Gerichtshof der Europäischen Union aber gerade entschieden, dass der Gleichheitsgrundsatz der Vergabe des Auftrags an einen der Antragsteller entgegensteht, wenn deren Angebote nicht eigenständig und unabhängig abgegeben worden sind (vgl. EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 63).
99
Die - vor dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union im streitgegenständlichen Verfahren ergangene - Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Beschluss vom 14. Oktober 2020, VII-Verg 36/19, NZBau 2020, 732 Rn. 52 f. [juris Rn. 85 f.]) vermag die Ansicht der Antragsteller nicht zu stützen. Sie betrifft zum einen eine andere Fallkonstellation. Zum anderen führt das Oberlandesgericht Düsseldorf aus, es lasse sich auch nicht aus dem europäischen Recht ableiten, dass die Verletzung eines gesetzlichen Marktzutrittsverbots einen Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz im Sinne von § 97 Abs. 1 GWB darstelle. Für den vorliegenden Fall ist indes die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. September 2022 zu berücksichtigen.
100
Es ist zudem anerkannt, dass § 97 Abs. 2 GWB ein subjektives Recht der Betroffenen begründet und nach § 97 Abs. 6 GWB im Nachprüfungsverfahren geltend gemacht werden kann (vgl. Dörr in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, § 97 Abs. 2, Rn. 6).
101
Einzuräumen ist, dass sich aus der Vorschrift des § 97 Abs. 2 GWB, mit der auch die grundrechtlichen Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 GG umgesetzt werden (Dörr in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, § 97 Abs. 2, Rn. 14), nicht ohne weiteres konkrete Rechtsfolgen für die Vergabestelle ableiten lassen, sondern dies immer einer sorgfältigen Prüfung im Einzelfall bedarf. Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in den Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge stellt keinen Zweck an sich dar, sondern muss aus dem Blickwinkel der mit ihm verfolgten Zielsetzungen begriffen werden (EuGH, Urt. v. 10. Oktober 2013, C-336/12 - Manova, EuZW 2013, 949 Rn. 29). Anerkannt ist, dass das Diskriminierungsverbot auch sachwidrige Gleichbehandlungen verbietet (EuGH a. a. O., Rn. 30 m. w. N.). Für die vorliegende Fallkonstellation hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, unter welchen Voraussetzungen der Gleichheitssatz der Berücksichtigung von Angeboten miteinander verbundener Bieter entgegensteht.
102
dd) Ohne Erfolg wenden die Antragsteller ein, das den Mitgliedstaaten zur Umsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zustehende Ermessen sei nicht ausgeübt worden, sofern man das Fehlen einer Regelung zum Ausschluss abgestimmter Angebote (s. o. bb]) nicht als Ermessenausübung ansehen wolle.
103
Zwar ist den Mitgliedstaaten, was die Grundsätze der Gleichbehandlung und Transparenz betrifft, ein gewisses Ermessen zuzuerkennen, um zur Einhaltung dieser Grundsätze bestimmte Maßnahmen zu erlassen, die öffentliche Auftraggeber bei jedem Verfahren zur Vergabe eines Auftrags zu beachten haben (vgl. EuGH, Urt. v. 23. Dezember 2009, C-376/08 - Serrantoni, NZBau 2010, 261 Rn. 31 m. w. N.). Für die hier vorliegende Fallkonstellation hat der Gerichtshof der Europäischen Union jedoch entschieden, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz der Zuschlagserteilung an Bieter, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, entgegensteht. Eine davon abweichende Regelung des nationalen Gesetzgebers wäre europarechtswidrig.
104
Schließlich steht die Formulierung im Urteil vom 15. September 2022, die abschließende Aufzählung der Ausschlussgründe schließe nicht „die Befugnis der Mitgliedstaaten aus, materiell-rechtliche Vorschriften aufrechtzuerhalten oder einzuführen“, durch die u. a. gewährleistet werden soll, dass auf dem Gebiet der öffentlichen Aufträge der Grundsatz der Gleichbehandlung und der daraus implizit folgende Grundsatz der Transparenz eingehalten werden (EuGH - Landkreis Aichach-Friedberg, Rn. 58), einer Heranziehung des § 97 Abs. 2 GWB zur Begründung eines Angebotsausschlusses in der vom Gerichtshof der Europäischen Union entschiedenen Fallkonstellation nicht entgegen. Der Einwand der Antragsteller, eine „nur“ richtlinienkonforme Auslegung könne nicht als Ersatz für eine gesetzgeberische Umsetzung von europäischem Sekundärrecht fungieren, überzeugt aus den dargelegten Erwägungen nicht.
105
g) Die Antragsteller haben ihre Angebote nicht eigenständig und unabhängig abgeben. Sie behaupten dies auch nicht.
106
Beide Angebote wurden von derselben natürlichen Person abgegeben, dem Antragsteller zu 1), der als Geschäftsführer und Alleingesellschafter auch in der Antragstellerin zu 2) die Leitungsmacht hat. Diese personelle Verflechtung hat sich auf die Erstellung der Angebote konkret ausgewirkt.
107
h) Eine Unklarheit der Vergabeunterlagen, die dem Ausschluss der Antragsteller entgegenstehen könnte, ist nicht ersichtlich.
108
Unbehelflich ist insbesondere die Argumentation der Antragsteller, sie wären nicht auf die Idee gekommen, parallel zwei Angebote einzureichen, wenn der Antragsgegner die Einreichung mehrerer Hauptangebote desselben Bieters ausgeschlossen hätte. Die Tatsache, dass die (bisherige) nationale Rechtsprechung es in den dargelegten Konstellationen für zulässig erachtet hat, dass ein Bieter mehrere Hauptangebote einreicht, schafft keinerlei Unklarheit zur Frage der Angebotsabgabe durch mehrerer (gegebenenfalls auch eng verbundener) Unternehmen. Selbst wenn die Antragsteller bei Angebotserstellung solche Überlegungen angestellt haben sollten, handelt es sich lediglich um eine fehlerhafte rechtliche Interpretation, die der Antragsgegner nicht zu verantworten hat. Eine diesbezügliche Klarstellungspflicht, wie sie die Antragsteller für erforderlich halten, hatte der Antragsgegner nicht.
109
i) Der Antragsgegner hat somit zu Recht die Angebote der Antragsteller ausgeschlossen.
110
Durch Beschluss des Kreistags vom 2. November 2020 hat der Antragsgegner die dringliche Anordnung des Landrats vom 1. April 2020, in der auch der Ausschluss der Antragsteller begründet wurde, genehmigt. Ausweislich der Sitzungsvorlage war die Eilentscheidung den Unterlagen beigefügt. Es liegt daher eine eigenverantwortliche Entscheidung des Antragsgegners (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 9. Juli 2010, 11 Verg 5/10, juris Rn. 77; OLG München, Beschluss vom 29. September 2009, Verg 12/09, juris Rn. 77) vor, die Angebote der Antragsteller auszuschließen.
111
4. Soweit sich die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen die Feststellung richtet, die Antragsteller seien durch die Ausschreibung von Optionen bezüglich des mandantenfähigen rechnergestützten Betriebsleitsystems in ihren Rechten verletzt, ist sie unbegründet.
112
a) Zu Recht hat die Vergabekammer das für die Feststellung, die Antragsteller seien durch die Ausschreibung der Optionen 3 und 4 in ihren Rechten verletzt, erforderliche Feststellungsinteresse im Hinblick auf die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche geltend zu machen, bejaht, auch wenn die Antragsteller nun die Ansicht vertreten, der Wegfall dieser Feststellung habe wegen der Feststellung einer Rechtverletzung durch einen anderen Vergaberechtsverstoß keine Auswirkungen auf ihre Schadensersatzansprüche (s. o. 1. d]).
113
Ein Feststellungsinteresse rechtfertigt sich durch jedes nach vernünftigen Erwägungen und nach Lage des Falles anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern. Dieses kann sich aus der nicht auszuschließenden Möglichkeit eines Schadensersatzanspruchs des Bieters gegen den öffentlichen Auftraggeber im Falle des Vorliegens eines Vergaberechtsverstoßes ergeben, es sei denn ein Schadensersatzanspruch ist offensichtlich nicht gegeben und eine auf seine Durchsetzung gerichtete Klage aussichtslos (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. August 2019, Verg 9/19, juris Rn. 19 m. w. N.).
114
Der Ersatz des negativen Interesses ist denkbar, wenn der Bieter darlegen kann, dass ihm bei ordnungsgemäßer Durchführung des Verfahrens bestimmte Aufwendungen nicht entstanden wären, wobei die Kosten der Angebotserstellung üblicherweise nicht erstattungsfähig sind und kein Feststellungsinteresse begründen können (vgl. Blöcker in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, 5. Aufl. 2020, § 168 Rn. 103). Hier ist dagegen ein durch eine unzulässige Optionsbildung entstandener Mehraufwand nicht ausgeschlossen. Die Vergabekammer hat zudem auf die von ihrer Kostenentscheidung nicht umfassten Rechtsverfolgungskosten für die Prüfung der Ausschreibung und der anwaltlichen Rüge vom 9. April 2020 abgestellt, die sich auch auf die Bildung der Optionen bezog.
115
Der Ersatz des negativen Interesses ist durch den zwingenden Ausschluss der Angebote der Antragsteller nicht offensichtlich ausgeschlossen. Etwas anders würde für den Ersatz entgangenen Gewinns gelten (vgl. BGH, Urteil vom 13. September 2022, XIII ZR 9/20, juris Rn. 12 m. w. N.).
116
b) Die von der Vergabekammer getroffene Feststellung, dass die Antragsteller durch die Aufnahme der Optionen 3 und 4 in die Bekanntmachung und die Vergabeunterlagen in ihren Rechten verletzt wurden, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, da der Antragsgegner ein berechtigtes Interesse dafür nicht nachgewiesen hat.
117
Die Ausschreibung von Wahlpositionen bzw. Optionen, die der Antragsgegner ausdrücklich als solche bezeichnet hat, setzt ein berechtigtes Interesse des öffentlichen Auftraggebers voraus, die zu beauftragende Leistung in den betreffenden Punkten einstweilen offen zu halten (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Mai 2019, VII-Verg 61/18, juris Rn. 48 m. w. N.).
118
Der Antragsgegner hat seinen Vortrag in der mündlichen Verhandlung dahingehend ergänzt, dass zwar das Bayerische Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr bereits Ende 2018 mitgeteilt habe, dass auch Verbundgesellschaften die Förderung für den Aufbau eines rechnergestützten Betriebsleitsystems nach dem BayGVFG und dem BayFAG beantragen könnten, die genauen Fördervoraussetzungen aber erst im konkreten Verfahren geklärt worden seien. Der Senat versteht dieses Vorbringen dahin, dass dies der Grund für den geschilderten Abstimmungsprozess mit der Bayerischen Eisenbahngesellschaft mbH, dem Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr sowie der Regierung von Schwaben im Jahr 2019 gewesen sei.
119
Ob der nach dem Vorbringen des Antragsgegners im Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung noch andauernde Abstimmungsprozess die Ausschreibung der Optionen 3 und 4 zu rechtfertigen vermag, bedarf keiner Entscheidung. Denn die Antragsteller haben diesen Vortrag zuletzt in der mündlichen Verhandlung zulässigerweise mit Nichtwissen bestritten. Die Vergabedokumentation enthält keine - über die Vergabeunterlagen hinausgehende - Begründung für die Bildung der Optionen. Trotz des Hinweises des Senats vom 8. März 2021, dass der Antragsgegner die Beweislast für die eine Ausschreibung von Optionen rechtfertigenden Umstände trägt, hat er keine weiteren Unterlagen vorgelegt. Im Übrigen lässt sich dem Vorbringen des Antragsgegners nicht entnehmen, aus welchen Gründen er nach Anpassung des Förderantrags im November 2019 davon ausging, die weitere Prüfung des Antrags werde noch einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen.
120
B. Die Hilfsanschlussbeschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg.
121
1. Die Hilfsanschlussbeschwerde der Antragsteller ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, sie wurde insbesondere fristgerecht eingelegt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2017, X ZB 3/17 - Postdienstleistungen, NZBau 2017, 366 Rn. 16 und 18).
122
Die Antragsteller haben zudem klargestellt, dass sie für den Fall, dass die sofortige Beschwerde in vollem Umfang oder nur hinsichtlich des Ausschlusses ihrer Angebote Erfolg hat, hilfsweise das Ziel verfolgen, sich bei fortbestehender Beschaffungsabsicht des Antragsgegners an einem zu wiederholenden Vergabeverfahren erneut zu beteiligen.
123
2. Die Hilfsanschlussbeschwerde ist unbegründet. Die Antragsteller, deren Angebote zu Recht ausgeschlossen wurden, haben keinen aus dem Gleichbehandlungsgebot (§ 97 Abs. 2 GWB) abgeleiteten Anspruch darauf, dass der Antragsgegner derzeit von der Beauftragung eines anderen Bieters Abstand nimmt und das laufende Vergabeverfahren in ein früheres Stadium zurückversetzt und damit einem von ihnen auf diese Weise eine „zweite Chance“ zur Abgabe eines wertbaren Angebots gibt.
124
a) Dass ihre Angebote zwingend auszuschließen waren, wodurch die Bedingung für die Hilfsanschlussbeschwerde eingetreten ist, steht zwar der Antragsbefugnis der Antragsteller nicht entgegen (s. o. A. 2. c]), ein Nachprüfungsantrag kann aber nur dann Erfolg haben, wenn neben einer Rechtsverletzung zusätzlich eine zumindest nicht ausschließbare Beeinträchtigung der Auftragschancen festgestellt werden kann (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Oktober 2019, VII-Verg 6/19, NZBau 2020, 318 Rn. 61 [juris Rn. 122] m. w. N.; Beschluss vom 15. Juni 2010, VII-Verg 10/10, juris Rn. 21; OLG München, Beschluss vom 12. Mai 2011, Verg 26/10, juris Rn. 73; Blöcker in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, 5. Aufl. 2020, § 168 Rn. 7 m. w. N.; a. A. Antweiler in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, § 168 Rn. 28).
125
Die Eröffnung der sogenannten „zweiten Chance“ durch eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens, die die Antragsteller mit ihrer Hilfsanschlussbeschwerde begehren, kommt nur in Betracht, wenn aufgrund der Sach- und Rechtslage am Schluss der (letzten) mündlichen Verhandlung feststeht, dass ein vergaberechtskonformer Zuschlag unmöglich ist und sich daran auch durch bloße Fortsetzung des Vergabeverfahrens nichts mehr ändern kann (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. Juni 2020, 11 Verg 2/20, juris Rn. 107; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Mai 2020, Verg 26/19, juris Rn. 61; OLG Koblenz, Beschluss vom 16. März 2016, 1 Verg 8/13, juris Rn. 21).
126
Der Einwand der Antragsteller, diese Ansicht sei europarechtswidrig, geht fehl. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union darf (nur) die Zulässigkeit von Nachprüfungsverfahren im Sinne von Art. 1 der RL 89/665/EWG in der durch die RL 2014/23/EU geänderten Fassung nicht von dem Nachweis abhängig gemacht werden, dass der öffentliche Auftraggeber im Fall eines erfolgreichen Nachprüfungsverfahrens gehalten wäre, das Vergabeverfahren zu wiederholen (vgl. EuGH - Randstadt Italia, NZBau 2022, 293 Rn. 70 f. m. w. N.). Die Nachprüfungsinstanzen sind vielmehr verpflichtet, in einem Fall, in dem ein ausgeschlossener Bieter nicht nur seinen Ausschluss anficht, sondern auch die Ordnungsgemäßheit des Verfahrens in Abrede stellt, auch in der Sache zu prüfen, ob der Auftraggeber gehalten ist, das Verfahren oder bestimmte Verfahrensschritte zu wiederholen, weil ohne eine Zurückversetzung des Verfahrens der Zuschlag auf keines der eingereichten Angebote erteilt werden dürfte. Ist dies nicht der Fall, ist der Nachprüfungsantrag der Antragsteller zwar zulässig, ihre Hilfsanschlussbeschwerde aber unbegründet.
127
Eine Zurückversetzung des Verfahrens ist dann geboten, wenn die Vorgaben in der Ausschreibung zu der zu erbringenden Leistung und Wertung zu unbestimmt sind (OLG München, Beschluss vom 8. Juli 2019, Verg 2/19, NZBau 2020, 331 Rn. 52 f. [juris Rn. 81 f.]; vgl. auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 15. März 2022, 11 Verg 10/21, NZNau 2022, 417 Rn. 147 [juris Rn. 156]) oder wenn sich ein Zuschlag aus einem anderen Grund verbietet.
128
b) Eine solche Konstellation liegt hier nicht vor.
129
aa) Es ist nicht ersichtlich, dass in Folge eines gravierenden Verfahrensfehlers ein vergaberechtskonformer Abschluss des Verfahrens durch Zuschlagserteilung unmöglich ist.
130
(1) Es bedarf keiner Entscheidung, ob der Antragsgegner den Einsatz von Unterauftragsnehmern nach Art. 4 Abs. 7 Satz 2 der VO (EG) Nr. 1370/2007 auf 30% beschränkt durfte. Denn eine - unterstellt - vergaberechtswidrige Festlegung einer Selbstausführungsquote steht einer vergaberechtskonformen Zuschlagserteilung nicht entgegen; die Vorgabe war weder intransparent noch berührt sie die Wertungskriterien.
131
Keiner der anderen Bieter hat die Vorgabe in Ziffer III.3.3) Absatz 2 der Bekanntmachung als vergaberechtswidrig gerügt. Etwaige Fehler können von den Bietern auch hingenommen werden, das Vergabenachprüfungsverfahren dient nicht der allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle.
132
Zu prüfen ist vielmehr, ob der - hier unterstellte - konkrete Vergaberechtsverstoß geeignet ist, die Chancen der Antragsteller auf Erlangung des Auftrages zu beeinträchtigen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Festlegung der Selbstausführungsquote zur Verwirklichung des Ausschlussgrundes in den Angeboten der Antragsteller beigetragen haben kann. Die Antragsteller konnten nicht plausibel begründen, warum sie sich durch die Vorgabe veranlasst sahen, statt der ursprünglich geplanten Abgabe nur eines Angebots der Antragstellerin zu 2) unter Einsatz des Antragstellers zu 1) als Nachunternehmer zwei Angebote abzugeben. Wenn die Antragsteller die Selbsterbringungsquote von 70% als problematisch ansahen, weil sie - wie sie in der mündlichen Verhandlung ausgeführt haben - die Fuhrparks beider nutzen wollten, hätte es nahegelegen sich als Bietergemeinschaft zu beteiligen, zumal die Antragsteller nicht in einem potenziellen Wettbewerbsverhältnis zueinander stehen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Juni 2016, VII-Verg 3/16, juris Rn. 9; Opitz in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, § 124 Rn. 61). Dass sie mit der gewählten Vorgehensweise ebenfalls ihre beiden Fuhrparks nutzen konnten, haben die Antragsteller nicht dargelegt. Sie haben vielmehr ausgeführt, sie hätten verschiedene, in ihrem jeweiligen Fuhrpark vorhandene Fahrzeuge sowie noch zu beschaffende Fahrzeuge angeboten. Nicht nachvollziehbar ist die Argumentation, der Umstand, dass nicht nur der Antragsteller zu 1) sondern auch die Antragstellerin zu 2) jeweils ein Angebot abgegeben haben, sei „direkte Folge“ der rechtswidrigen Vorgabe des Antragsgegners.
133
(2) Weder wurde das Vergabeverfahren durch die Einbindung der AVV GmbH übermäßig delegiert noch leidet es an so gravierenden Dokumentationsmängeln, dass eine Zurückversetzung des Verfahrens geboten wäre.
134
Offenbleiben kann, ob die Dokumentation des Antragsgegners in allen Punkten ausreichend ist, denn etwaige Dokumentationsmängel stehen einer vergaberechtskonformen Zuschlagserteilung nicht per se entgegen. Auf sie kann sich ein Bieter nur dann erfolgreich stützen, wenn sie sich auf seine Rechtsstellung nachteilig auswirken, die beanstandete Dokumentation also gerade in Bezug auf die gerügten Vergaberechtsverstöße unzureichend ist (vgl. OLG Karlsruhe Beschl. v. 29. April 2022, 15 Verg 2/22, juris Rn. 78; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. August 2011, VII-Verg 36/11, NZBau 2011, 765 [768, juris Rn. 29]; Brauser-Jung in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, 2. Aufl. 2021, § 8 Rn. 53); abgesehen davon bestehen auch Heilungsmöglichkeiten im laufenden Verfahren. Dass nicht jeder Dokumentationsmangel dazu führt, dass eine Wiederholung der betreffenden Verfahrensabschnitte anzuordnen sei, räumen auch die Antragsteller unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 8. Februar 2011, X ZB 4/10 - S-Bahn-Verkehr Rhein/Ruhr I, BGHZ 188, 200 Rn. 73) ein.
135
Gleiches gilt für die Rüge, der Antragsgegner habe das Verfahren übermäßig delegiert. Auch wenn sich der Antragsgegner einen entsprechenden Vorschlag der AVV GmbH zur Festlegung der Selbstausführungsquote nicht zu eigen gemacht hätte, wofür keinerlei Anhaltspunkte bestehen, stünde dies einer vergaberechtskonformen Zuschlagserteilung aus den oben unter (1) dargelegten Gründen nicht entgegen. Auch die Entscheidung, die Beigeladene nicht auszuschließen, kann als vergaberechtswidrig unterstellt werden (s. u. bb]), sodass es nicht darauf ankommt, ob die Entscheidung vom Antragsgegner selbst getragen wird (vgl. zu nicht delegierbaren Entscheidungen: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Oktober 2019, VII-Verg 6/19, juris Rn. 105 m. w. N.).
136
Für die Vermutung, es liege ein das gesamte Verfahren betreffender Transparenzverstoß vor, weil der Antragsgegner das gesamte Verfahren auf die AVV GmbH delegiert habe und sich damit seiner Pflichten als „Herr des Verfahrens“ fast vollständig entledigt habe, bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Im Übrigen ist die AVV GmbH, zu deren Gesellschaftern der Antragsgegner gehört, nicht ohne weiteres mit einem externen Beratungsbüro gleichzusetzen.
137
bb) Entgegen der Ansicht der Antragsteller ist eine Zurückversetzung des Verfahrens nicht deshalb geboten, da kein zuschlagsfähiges Angebot vorliegt.
138
Ob die Entscheidung, das Angebot der Beigeladenen nicht auszuschließen ermessensfehlerfrei getroffen wurde, bedarf dabei keiner Entscheidung. Ebenso wenig kommt es auf die Frage an, ob der Ablauf der Frist nach § 126 GWB einem Ausschluss der Beigeladenen entgegensteht, sodass die innerprozessuale Bedingung für den weiteren Hilfsantrag der Antragsteller nach § 178 Satz 4, § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB nicht eingetreten ist.
139
Zwar kann auch ein Bieter, dessen Angebot zu Recht ausgeschlossen wird, dessen Angebot zu Recht ausgeschlossen werden kann oder dessen Angebot ausgeschlossen werden muss, in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt sein, wenn ein anderes Angebot unter Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren nicht ausgeschlossen wird und den Zuschlag erhalten soll oder wenn sich der beabsichtigte Zuschlag aus einem anderen Grund verbietet (vgl. BGH - Polizeianzüge, BGHZ 169, 131 Rn. 52).
140
Hier steht aber zum einen ein zwingender Ausschluss des Angebots der Beigeladenen, weil auch ihr Angebot nicht eigenständig und unabhängig ist, nicht im Raum und zum anderen ist nach dem maßgeblichen Vorbringen zum Schluss der mündlichen Verhandlung auch eine Zuschlagserteilung auf eines der weiteren Angebote nicht ausgeschlossen.
141
(1) Unerheblich ist die pauschale in der mündlichen Verhandlung aufgestellte Behauptung der Antragsteller, es seien - neben der Beigeladenen - auch alle anderen Bieter [bzw. deren Angebote] auszuschließen.
142
Dem Antrag auf weitergehende Akteneinsicht war nicht stattzugeben.
143
Der Senat hat bereits mit Beschluss vom 27. April 2021 den Antrag auf ergänzende Akteneinsicht abgelehnt. Ein Anspruch auf Akteneinsicht besteht nur in dem Umfang, wie er zur Durchsetzung des effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist. Er hat eine rein dienende, zum zulässigen Verfahrensgegenstand akzessorische Funktion (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. April 2022, Verg 25/21, juris Rn. 96). Ein Anspruch auf Akteneinsicht setzt über den Wortlaut von § 165 Abs. 1 GWB hinaus einen das Akteneinsichtsgesuch begründenden beachtlichen und entscheidungserheblichen Sachvortrag voraus (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. März 2021, VII-Verg 9/21, NZBau 2021, 632 Rn. 27 [juris Rn. 50] m. w. N.).
144
Daran fehlt es hier.
145
Die Vergabekammer hat den Antragstellern mit Beschluss vom 8. Oktober 2020 Akteneinsicht gewährt. Aus den auszugsweise übermittelten internen Aktenvermerken vom 1. April 2020 zur Prüfung und Wertung der Angebote - unter Zugrundelegung der Optionen 1 bis 4 - ist ersichtlich, dass der Antragsgegner nicht nur das Angebot der Beigeladenen (Angebot 4), sondern auch die drei weiteren Angebote (Angebote 1 bis 3) und die Eignung dieser vier Bieter geprüft hat. Als Ergebnis ist - hinsichtlich der Option 3 - festgehalten, dass die Angebote 1 bis 4 vollständig, rechnerisch und fachlich richtig sind (Seite 36 des Vermerks), hinsichtlich dieser Angebote keine Ausschlussgründe nach § 57 Abs. 1 VgV vorliegen (Seite 43 des Vermerks) und die Bieter der Angebote 1 bis 4 über die für die Ausführung des Auftrags erforderliche Eignung verfügen (Seite 64 des Vermerks). Die Behauptung der Antragsteller, der Antragsgegner habe die Angebote noch gar nicht geprüft, entbehrt somit jeder Grundlage.
146
Aus welchen Gründen, die Angebote 1 bis 3 auszuschließen seien, haben die Antragsteller nicht ansatzweise dargelegt.
147
Der Senat verkennt nicht, dass der Bieter in weiten Teilen keinen Einblick in das Vergabeverfahren hat und damit nicht überprüfen kann, ob die Vergabestelle korrekt handelt oder unter Missachtung seiner Rechte einem Konkurrenten den Auftrag erteilen will. Erforderlich ist jedoch, dass ein Bieter Anknüpfungstatsachen oder Indizien vorträgt, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß begründen. Ein Bieter darf im Nachprüfungsverfahren behaupten, was er auf der Grundlage seines - oft nur beschränkten - Informationsstands redlicherweise für wahrscheinlich oder möglich halten darf, reine Vermutungen zu eventuellen Vergaberechtsverstößen reichen dagegen nicht aus (vgl. BayObLG, Beschluss vom 31. August 2022, Verg 18/21, ZfBR 2022, 826 [828, juris Rn. 67]; OLG Düsseldorf, NZBau 2021, 632 Rn. 19 [juris Rn. 42] und Beschl. v. 1. April 2020, Verg 30/19, NZBau 2020, 739 Rn. 41 jeweils m. w. N.).
148
(2) Es steht nicht fest, dass wegen des Ablaufs der Bindefrist der Zuschlag nicht auf das günstige der Angebote 1 bis 3 erteilt werden kann.
149
Ein zivilrechtlich nach § 146 BGB erloschenes Angebot ist nicht schlechthin hinfällig. Die verspätete Annahme eines Angebots gilt nach § 150 Abs. 1 BGB als neuer Antrag. Die Vergabestelle kann daher bei dem Bieter mit dem günstigsten Angebot nachfragen, ob ein Vertragsschluss nach Maßgabe des sachlichen Inhalts seines Angebots noch möglich ist, und ist dazu wegen der Pflicht zur sparsamen und effektiven Verwendung der öffentlichen Mittel auch gehalten (BGH, Urt. v. 28. Oktober 2003, X ZR 248/02, juris Rn. 11 und 13; OLG Celle, Beschluss vom 30. Januar 2020, 13 Verg 14/19, ZfBR 2020, 691 [695 f, juris Rn. 55 ff]; OLG München, Beschl. v. 23. Juni 2009, Verg 08/09, juris Rn. 36).
150
Mit der bloßen Begründung, sie seien infolge der nicht verlängerten Bindefrist erloschen, dürfte der Antragsgegner die Angebote 1 bis 3 nicht ausschließen (vgl. OLG Celle a. a. O.).
151
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 3 Satz 1 und 2 und Abs. 4 Satz 1 und 2 sowie auf § 175 Abs. 2 i. V. m. § 71 Satz 1 GWB. Es entspricht der Billigkeit, den Antragstellern, die mit ihren zentralen Begehren unterlegen sind, die gesamten Kosten einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners und der Beigeladenen aufzuerlegen. Die in Ziffer 2. des Beschlusses der Vergabekammer getroffene Feststellung, dass die Antragsteller in ihren Rechten verletzt wurden, ist von so untergeordneter Bedeutung, dass eine Kostenquotelung nicht veranlasst ist. Zwar wird die gesamtschuldnerische Haftung der Kostenschuldner nur für die Kosten vor der Vergabekammer (§ 182 Abs. 3 Satz 2 GWB) und für die Gerichtskosten (§ 32 Abs. 1 GKG) angeordnet, hier entspricht es jedoch der Billigkeit auch hinsichtlich der Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen im Beschwerdeverfahren die gesamtschuldnerische Haftung der Antragsteller anzuordnen, die eine wirtschaftliche Einheit darstellen und die Ansicht vertreten, sie seien trotz ihrer „formaljuristisch“ getrennten Rechtspersönlichkeit als eine (Bieter-)Einheit zu behandeln. In einem solchen Fall entspräche es nicht der Billigkeit im Sinne des § 71 GWB, wenn der Antragsgegner und die Beigeladene wegen der Erstattung ihrer Aufwendungen gegen beide Antragsteller vorgehen müssten.
152
Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten auf Seiten des Antragsgegners und der Beigeladenen für das Verfahren vor der Vergabekammer war gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i. V. m. § 80 Abs. 2 VwVfG für notwendig zu erklären.
153
D. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 50 Abs. 2 GKG. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass die Antragsteller zwar zwei Angebote abgeben haben, aber wirtschaftlich gleichgerichtete Interessen verfolgen. Herangezogen wurde - entsprechend der ergänzenden Erläuterung der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung - der Angebotspreis der Antragstellerin zu 2).