Titel:
Unzulässige Klage, Fortsetzungsfeststellungsklage, Keine Klagebefugnis
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
VwGO § 42 Abs. 2
Schlagworte:
Unzulässige Klage, Fortsetzungsfeststellungsklage, Keine Klagebefugnis
Fundstelle:
BeckRS 2023, 11608
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Allgemeinverfügung der Beklagten betreffend eines Verbots von Versammlungen im Zusammenhang mit Protesten gegen Corona-Maßnahmen.
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Unter dem 13. Januar 2022 erließ die Beklagte gestützt auf Art. 15 Abs. 1 Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG) und § 9 Abs. 1 15. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung eine Allgemeinverfügung. Mit dieser wurden im Stadtgebiet der Beklagten alle stationären oder sich fortbewegenden Versammlungen im Zusammenhang mit Protesten gegen Corona-Maßnahmen, wie z.B. sog. „Corona-“, „Montags-“ oder sonstige „Spaziergänge“ bzw. „Kerzendemos“, untersagt, sofern die Anzeige- und Mitteilungspflicht nach Art. 13 BayVersG nicht eingehalten wurde. Das bedeute, dass sowohl das Veranstalten von als auch die Teilnahme an solchen Versammlungen verboten sei. Das Verbot gelte am 15., 17. und 19. Januar 2022 jeweils ganztägig. Die Allgemeinverfügung sei bis zum Ablauf des 19. Januar 2022 gültig.
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Die Klägerin hat mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 16. Januar 2022, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am gleichen Tag, Klage gegen die Allgemeinverfügung erhoben.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass zur Begründung der Allgemeinverfügung auf verschiedene Versammlungen, z.B. am 29. Dezember 2021, Bezug genommen worden sei, bei denen die Beklagte durch massive Polizeieinsätze eine Eskalation der Lage herbeigeführt habe. Die Klägerin sei am 29. Dezember 2021 mit einer Bekannten in der … Innenstadt zum Einkaufen unterwegs gewesen. Nach einem Einkauf bei ...habe sie zu ihrer Hausbank in die L. …straße gehen wollen. Die Klägerin habe Geld abheben, die Bekannte Geld einzahlen wollen. Die Klägerin habe die Bank jedoch nicht erreichen können, sondern sei von der Polizei eingekesselt worden und habe länger als eine Stunde im Regen warten müssen. Außerdem sei es kalt gewesen. Die Einkesselung habe vor 19:00 Uhr begonnen und erst nach 20:00 Uhr geendet. Die Polizei habe es der Klägerin trotz Kälte und Regen unmöglich gemacht, den Platz zu verlassen. Insgesamt seien zahlreiche Nichtstörer – wie die Klägerin – massiven Maßnahmen unterworfen worden. Durch die Allgemeinverfügung werde der Klägerin der Zugang zur Stadt „quasi verwehrt“. Im Betretensfall drohten ihr erhebliche Grundrechtsverletzungen, wie am 29. Dezember 2021 geschehen. Die Klägerin habe ein erhebliches Interesse, ihre Hausbank regelmäßig aufzusuchen. Im Übrigen bestehe immerhin die Möglichkeit, dass die Klägerin in ihrem Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt werde. Die Allgemeinverfügung sei rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten, was ausführlich begründet wird.
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Aufgrund des zugleich mit der Klage begehrten Eilrechtsschutzes wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 17. Januar 2022 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet (M 33 S 22.185). Es fehle an tragfähigen Darlegungen der Beklagten dazu, aus welchen Gründen sämtliche milderen Mittel gegenüber dem faktisch präventiven Versammlungsverbot als ungeeignet ausgeschlossen worden seien.
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Auf die Beschwerde der Beklagten lehnte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) mit Beschluss vom 17. Januar 2022 unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München den Eilantrag ab (10 CS 22.125). Der Antrag sei bereits unzulässig, da der Klägerin die Antragsbefugnis fehle. Die Klägerin habe nicht dargelegt, dass sie durch die Allgemeinverfügung in eigenen Rechten verletzt sein könnte. Die 20 km entfernt wohnende Klägerin habe nicht einmal vorgetragen, sich am 17. oder 19. Januar 2022 im Gebiet der Beklagten aufhalten zu wollen. Erst recht habe sie nicht behauptet, dass sie an unangemeldeten Versammlungen mit Bezug zu den Corona-Maßnahmen teilnehmen wolle. Wenn man ihren Vortrag zur individuellen Betroffenheit zusammenfasse, befürchte sie, als an einem Versammlungsgeschehen „Unbeteiligte“ von polizeilichen Maßnahmen betroffen zu werden. In der Sache wende sich die Klägerin daher gegen eine ihrer Auffassung nach rechtswidrige Polizeimaßnahme bzw. gleichartige polizeiliche Maßnahmen in der Zukunft. Es sei ihr unbenommen, nachträglich oder vorbeugend Rechtsschutz in Bezug auf diese konkreten Maßnahmen zu suchen. Auch der vage Hinweis, die Klägerin sei in ihrem Recht, sich „spontan zu versammeln“, verletzt, lasse angesichts des Vortrags zum Einkaufen und Geldabheben eine konkrete Betroffenheit der Klägerin nicht erkennen.
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Auf die gerichtliche Aufforderung gegenüber der Klägerin, eine prozessbeendende oder prozessändernde Erklärung abzugeben, beantragt die Klägerin mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 30. August 2022 sinngemäß:
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Es wird festgestellt, dass die Allgemeinverfügung der Beklagten vom 13. Januar 2022 zu Versammlungen mit Protesten gegen Corona-Maßnahmen rechtswidrig war.
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Zur Begründung wird ausgeführt, es bestehe ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Im Hinblick auf die Äußerungen des bayerischen Gesundheitsministers und die des Bundesgesundheitsministers liege eine Wiederholungsgefahr vor. Überdies habe die Klägerin, die mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren überzogen und verfolgt worden sei, ein Rehabilitationsinteresse. Zudem sei in nicht zumutbarer Weise die Versammlungsfreiheit eingeschränkt worden, so dass die Klägerin auch insoweit ein Feststellungsinteresse im Hinblick auf zukünftig zu befürchtende Grundrechtseingriffe habe. Mit Schriftsatz vom 6. März 2023 hat die Klagepartei ihren Vortrag zum Fortsetzungsfeststellungsinteresse vertieft.
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Mit Schriftsatz vom 20. Februar 2023 beantragt die Beklagte:
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Die Klage wird abgewiesen.
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Zur Begründung wird auf die Allgemeinverfügung, die Antragserwiderung im Verfahren M 33 S 22.185, die Beschwerdebegründung im Verfahren vor dem VGH und den Beschluss des VGH vom 17. Januar 2022 Bezug genommen.
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Bereits mit Schriftsatz vom 12. November 2022 haben die Bevollmächtigten der Klägerin die Verzögerung des Verfahrens gerügt.
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Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 20. Februar und 2. März 2023 auf mündliche Verhandlung verzichtet.
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Mit Beschluss vom 2. Mai 2023 hat das Gericht den Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 33 S 22.185, sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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1. Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
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2. Die Klage, die mit Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten vom 30. August 2022 (zulässigerweise) in eine Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO umgestellt worden ist, hat keinen Erfolg, da sie bereits unzulässig ist. Die ursprünglich erhobene Anfechtungsklage war unzulässig. Dies führt zur Unzulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage, da Voraussetzung für die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage auch die Zulässigkeit der ursprünglich erhobenen (Anfechtungs-)Klage ist (zu diesem Erfordernis: BVerwG, U.v. 9.2.1967 – I C 49.64 – juris Rn. 19; insbesondere zur Klagebefugnis: BVerwG, U.v. 23.3.1982 – 1 C 157/79 – juris Rn. 23). Die Umstellung der (Anfechtungs-)Klage in eine Fortsetzungsfeststellungsklage vermag einen bereits vorhandenen Zulässigkeitsmangel nicht zu heilen.
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Die ursprünglich erhobene Anfechtungsklage war mangels Klagebefugnis der Klägerin gemäß § 42 Abs. 2 VwGO unzulässig.
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Die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage setzt voraus, dass der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein (§ 42 Abs. 2 VwGO). Der Kläger muss Tatsachen vorbringen, die es als möglich erscheinen lassen, dass er durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt ist. Damit fehlt es an der Klagebefugnis, wenn nicht hinreichend substantiiert dargelegt wurde, dass der angefochtene Verwaltungsakt bzw. die Ablehnung oder Unterlassung des beantragten Verwaltungsakts gerade die Rechtssphäre des Rechtsschutzsuchenden betrifft (Sodan in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 379).
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Bei Allgemeinverfügungen ist der Kläger nur im Hinblick auf die ihn betreffende Regelung, nicht schlechthin gegen die Allgemeinverfügung als solche oder die materiell andere Personen betreffenden Regelungen klagebefugt. Der Kläger muss geltend machen, dass er in seiner konkreten Situation aufgrund konkreter Umstände tatsächlich durch die Regelung beschwert sein könnte (VG Würzburg, U.v. 22.1.2021 – W 8 K 20.519 – juris Rn. 21).
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Im vorliegenden Fall richtet sich die streitgegenständliche Allgemeinverfügung der Beklagten an Veranstalter und Teilnehmer von Versammlungen im Zusammenhang mit Protesten gegen Corona-Maßnahmen an konkret bestimmten Tagen im Januar 2022. Insoweit müsste die Klägerin geltend machen, entweder die Veranstaltung einer derartigen Versammlung oder die Teilnahme an einer solchen beabsichtigt zu haben.
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Die Klägerin ist nicht klagebefugt, da sie dies nicht hinreichend substantiiert dargelegt hat (vgl. hierzu im Eilverfahren bereits: BayVGH, B.v. 17.1.2022 – 10 CS 22.125 – juris Rn. 20 ff.). Sie hat nicht vorgetragen, dass sie die Veranstaltung einer (durch die Allgemeinverfügung verbotenen) Versammlung oder die Teilnahme an einer solchen Versammlung geplant hat. Die auswärts wohnende Klägerin hat noch nicht einmal behauptet, an den in der Allgemeinverfügung konkret bestimmten Tagen einen Aufenthalt im Stadtgebiet der Beklagten geplant zu haben.
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Die Hauptargumentation der Klägerin zielt vielmehr darauf ab, dass ihr am 29. Dezember 2021 der Besuch ihrer Hausbank unmöglich gemacht worden sei und sie ein Interesse daran habe, ihre Hausbank regelmäßig aufzusuchen. Der Zugang zum Stadtgebiet der Beklagten oder zur Hausbank der Klägerin ist jedoch nicht Gegenstand der angefochtenen Allgemeinverfügung. Im Kern befürchtet die Klägerin, in der Zukunft gleichartigen polizeilichen Maßnahmen ausgesetzt zu sein, wie am 29. Dezember 2021 geschehen. Gegen eine solche (etwaige) mittelbare Folge der Allgemeinverfügung wäre jedoch gesondert Rechtsschutz zu suchen.
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Soweit die Klägerin (am Rande) vorträgt, es bestehe immerhin die Möglichkeit, dass sie in ihrem Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt werde (Antragsschrift, S. 2) und sie sei in ihrem Recht, sich „spontan zu versammeln“ verletzt (Klageschrift, S. 28), ist der Vortrag zu vage. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Klägerin nicht einmal vorgetragen hat, einen Aufenthalt im Stadtgebiet der Beklagten an den in der Allgemeinverfügung konkret bestimmten Tagen zu beabsichtigen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung fußt auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.