Inhalt

VG Regensburg, Gerichtsbescheid v. 30.03.2023 – RO 5 K 20.491
Titel:

Vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie, Kontaktbeschränkungen, Allgemeinverfügung des Bayerischen, Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20.3.2020, Gerichtsbescheid, keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art, Fortsetzungsfeststellungsklage, Bestimmtheit, Erledigung durch Zeitablauf, Verhältnismäßigkeit, Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei sich typischerweise kurzfristig erledigendem Grundrechtseingriff, Auslegung einer Allgemeinverfügung nach allgemeinen Grundsätzen, Kostenverteilung bei Unterliegen einer Seite nur zu einem geringen Teil

Normenketten:
VwGO §§ 84 Abs. 1 S. 1, 113 Abs. 1 S. 4, 155 Abs. 1 S. 3
BayVwVfG Art. 35 S. 2, 37 Abs. 1, 43 Abs. 2
GG Art. 2 Abs. 1, 2 S. 2, 104 Abs. 1, 19 Abs. 4
BGB §§ 133, 157
IfSG § 28
Schlagworte:
Vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie, Kontaktbeschränkungen, Allgemeinverfügung des Bayerischen, Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20.3.2020, Gerichtsbescheid, keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art, Fortsetzungsfeststellungsklage, Bestimmtheit, Erledigung durch Zeitablauf, Verhältnismäßigkeit, Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei sich typischerweise kurzfristig erledigendem Grundrechtseingriff, Auslegung einer Allgemeinverfügung nach allgemeinen Grundsätzen, Kostenverteilung bei Unterliegen einer Seite nur zu einem geringen Teil
Fundstelle:
BeckRS 2023, 11455

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass Ziffer 1, Satz 2 und Ziffer 4 der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20.3.2020, Az. Z6a-G8000-2020/122-98 rechtswidrig waren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Der Gerichtsbescheid ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen Ziffern 1 und 4 der Allgemeinverfügung zur vorläufigen Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege (nachfolgend: StMGP) vom 20.3.2020 (Az. Z6a-G8000-20209/122-98) in der Form der Veröffentlichung vom 25.3.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 152) (nachfolgend: Allgemeinverfügung).
2
Am 20.3.2020 machte das StMGP die streitgegenständliche Allgemeinverfügung bekannt. Es handelte sich um eine der ersten Maßnahmen des Beklagten zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Diese lautete in Auszügen wie folgt:
„1. Jeder wird angehalten, die physischen und sozialen Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstands auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren. Wo immer möglich ist ein Mindestabstand zwischen zwei Personen von 1,5 m einzuhalten.
4. Das Verlassen der eigenen Wohnung ist nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt.
5. Triftige Gründe sind insbesondere: [es folgt eine beispielhafte Auflistung triftiger Gründe wie die Ausübung beruflicher Tätigkeiten, die Inanspruchnahme medizinischer Versorgung, Versorgungsgänge des täglichen Bedarfs, Sport und Bewegung an der frischen Luft, etc.] …
7. Ein Verstoß gegen diese Allgemeinverfügung kann nach § 73 Abs. 1a Nr. 6 des Infektionsschutzgesetzes als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.
10. Diese Allgemeinverfügung tritt am 21. März 2020, 00:00 Uhr in Kraft und mit Ablauf des 3. April 2020 außer Kraft. Die Ausgangsbeschränkungen enden damit am 3. April 2020, 24:00 Uhr.“
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Auf die Allgemeinverfügung samt Begründung wird ausdrücklich Bezug genommen.
4
Am 24.3.2020 erließ das StMGP zudem die Bayerische Verordnung über eine vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie (BayMBl. 2020 Nr. 130), welche gem. deren § 2 rückwirkend mit Wirkung vom 21.3.2020 in Kraft trat und mit Ablauf des 3.4.2020 außer Kraft treten sollte. In deren § 1 wurden die Nrn. 1 – 6, 8 der Allgemeinverfügung wortlautgleich übernommen. Auch auf diese Verordnung wird ausdrücklich Bezug genommen.
5
Am 27.3.2020 erließen sodann das Bayerische Innenministerium (nachfolgend: StMI) und das StMGP den sogenannten Bußgeldkatalog „Corona-Pandemie“ in Form einer gemeinsamen Bekanntmachung (Az. C2-2101-2-7 und Z6a-G8000-2020/122-154) (BayMBl. 2020 Nr. 159). In der Ziffer 2.1 des Bußgeldkataloges wurden sowohl o.g. Verordnung als auch o.g. Allgemeinverfügung ausdrücklich in Bezug genommen. In Teil 2, lfd. Nr. 3 des Bußgeldkataloges ist für das „Nichteinhalten des vorgeschriebenen Mindestabstands“ ein Regelsatzbußgeld von 150,00 EUR vorgesehen. Auf den Bußgeldkatalog wird ausdrücklich Bezug genommen.
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Ebenfalls am 27.3.2020 erließ das StMGP die Bayerische Verordnung über Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie (Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung – BayIfSMV) (BayMBl. 2020 Nr. 158). In deren § 5 Abs. 2 wurde verordnet, dass § 1 Abs. 2 und Abs. 3 der Bayerischen Verordnung über eine vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie vom 24.3.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 130) mit Ablauf des 30.3.2020 außer Kraft treten. Zur Fortgeltung der Allgemeinverfügung traf diese Verordnung keine Aussage. Auch auf diese Verordnung wird ausdrücklich Bezug genommen.
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Am 31.3.2020 erließ das StMGP sodann mittels Notbekanntmachung nach Art. 51 Abs. 4 Satz 1 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG) die Verordnung zur Änderung der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 31.3.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 162). Deren Verkündung im Gesetz und Verordnungsblatt erfolgte am 7.4.2020 (GVBl. 2020 S. 194). In § 1 wurde u.a. angeordnet, dass in der BayIfSMV ein § 4 eingefügt werde, der wiederum Regelungen zu einer im Wesentlichen den bisherigen Regelungen entsprechenden Ausgangsbeschränkung enthielt. Daneben wurde in § 2 insbesondere geregelt, dass diese Verordnung am 1.4.2020 in Kraft trete und die Bayerische Verordnung über eine vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie vom 24.3.2020 (BayMBl. Nr. 130) mit Ablauf des 31.3.2020 außer Kraft trete. Zur Fortgeltung der Allgemeinverfügung traf auch die Änderungsverordnung keine Aussage. Auch auf diese Verordnung wird Bezug genommen.
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Am 3.4.2020 erließen das StMI sowie das StMGP sodann unter Aufhebung des Bußgeldkataloges vom 27.3.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 159) einen aktualisierten Bußgeldkatalog „Corona-Pandemie“ mit Wirkung vom 2.4.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 173). Dieser enthielt in Ziffer 2.1 nur noch eine Inbezugnahme der BayIfSMV, nicht aber mehr der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung. Auch auf diesen wird ausdrücklich Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom 25.3.2020 hat der Kläger die gegenständliche Klage erhoben und einen Antrag im vorläufigen Rechtschutz gestellt (RO 5 S 20.490). Die Ziffern 1 und Ziffer 4 der Allgemeinverfügung seien rechtswidrig (gewesen). Im Hinblick auf die Zulässigkeit der Klage trägt der Kläger insbesondere vor, dass es sich bei den angegriffenen Regelungen grundsätzlich um Verwaltungsakte und mithin um verbindliche Regelungen, nicht um schlichte Empfehlungen mit appellativem Charakter ohne eigenen Regelungsgehalt gehandelt habe. Diese Regelungen seien mit Zeitablauf am 3.4.2020 um 24:00 Uhr ausgelaufen und mithin seit diesem Zeitpunkt erledigt; eine vorherige Erledigung, beispielsweise durch eine überlagernde Regelung im Verordnungswege, sei nicht eingetreten. Auch sei aufgrund einer etwaigen Überlagerung kein Wegfall des klägerischen Rechtsschutzbedürfnisses zu verzeichnen. Das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergebe sich u.a. daraus, dass es sich um einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff gehandelt habe, der sich in einer derart kurzen Zeit erledigt habe, dass gerichtlicher Rechtsschutz nicht erlangt habe werden können. Im Hinblick auf die Begründetheit seiner Klage trägt der Kläger daneben u.a. vor, dass es für den Erlass der streitigen Anordnungen schon an tauglichen Rechtsgrundlagen gefehlt habe, dass, selbst wenn man von tauglichen Rechtsgrundlagen ausgehe, deren Tatbestandsvoraussetzungen nicht vorgelegen hätten, dass es jeweils an einer ordnungsgemäßen Begründung nach Art. 39 Abs. 1 BayVwVfG gefehlt habe, dass die Regelungen teilweise unbestimmt i.S.v. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG gewesen seien, dass die Anordnungen teilweise aus Gründen der Perplexität rechtswidrig gewesen seien, dass Ermessensfehler vorgelegen hätten, dass die streitigen Anordnungen unverhältnismäßig gewesen seien, dass die streitigen Regelungen schon nicht als Allgemeinverfügungen hätten erlassen werden können, dass gegen den Parlamentsvorbehalt verstoßen worden sei sowie zahlreiche weitere Punkte.
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Im Hinblick auf die Einzelheiten der dargestellten sowie weiteren Punkte wird auf die vorgelegten Schriftsätze des Klägers im Hauptsache- und Eilverfahren verwiesen.
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Der Kläger beantragt zuletzt,
festzustellen, dass Ziffern 1 und 4 der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20.3.2020, Az. Z6a-G8000-2020/122-98, öffentlich bekannt gemacht erstmals am 20.3.2020 (erneut bekannt gemacht im BayMBl. 2020 Nr. 152 vom 25.3.2020) rechtswidrig waren und den Kläger in seinen Rechten verletzt haben.
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Der Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
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Der Beklagte tritt dem klägerischen Vortrag umfassend und umfangreich entgegen. Im Hinblick auf die Einzelheiten des Vortrages der Beklagtenseite wird auf die vorgelegten Schriftsätze im Hauptsache- und Eilverfahren verwiesen.
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Auch im Hinblick auf die Einzelheiten des Rechtsstreites im Übrigen wird auf die Gerichtsakten im Hauptsachesowie im einstweiligen Rechtschutzverfahren (RO 5 S 20.490) verwiesen.

Entscheidungsgründe

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I. Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Soweit der Kläger vorgetragen hat, der Sachverhalt sei nicht geklärt und es bedürfe einer gerichtlichen Beweisaufnahme, so weist die Kammer darauf hin, dass ihrer Ansicht nach der für die im konkreten Fall zu treffende rechtliche Beurteilung erforderliche, d.h. entscheidungserhebliche, Sachverhalt geklärt ist, sodass es auf die zahlreichen weiteren vom Kläger aufgeworfenen Fragen, beispielsweise betreffend PCR-Tests, Krankenhauskapazitäten, Sterblichkeitsraten, Infektionszahlen, etc. nicht mehr ankommt. Soweit der Kläger vorträgt, dass die Sache seiner Ansicht nach besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweise und grundsätzliche Bedeutung habe, so weist die Kammer darauf hin, dass ihrer Ansicht nach die wesentlichen materiell-rechtlichen Gesichtspunkte betreffend die rechtliche Bewertung der Ausgangsbeschränkungen in Ziffer 4 der Allgemeinverfügung mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.11.2022 geklärt sind (BVerwG Urt. v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – BeckRS 2022, 32403). Den im Übrigen im gegenständlichen Verfahren noch zu klärenden Gesichtspunkten betreffend insbesondere die Zulässigkeit der Klage sowie die Rechtmäßigkeit der Ziffer 1 der Allgemeinverfügung misst die Kammer weder außerordentliche rechtliche Schwierigkeiten noch eine grundsätzliche Bedeutung bei. Auch eine besondere politische Tragweite hat die Sache nach Ansicht der Kammer – jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt – nicht mehr. Die Beteiligten wurden mit Schreiben vom 12.5.2022 vor Erlass des Gerichtsbescheides im Übrigen hierzu angehört (§ 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
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II. Die Klage ist zulässig und begründet im Hinblick auf die Ziffer 1, Satz 2 sowie Ziffer 4. Im Hinblick auf Ziffer 1, Satz 1 ist die Klage hingegen unzulässig.
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1. Die Klage ist zulässig im Hinblick auf Ziffer 1, Satz 2 sowie Ziffer 4 der Allgemeinverfügung. Im Übrigen ist sie unzulässig.
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a) Die Voraussetzungen von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO liegen vor. Nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der streitgegenständliche Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn sich der Verwaltungsakt vor einer Entscheidung über die Anfechtungsklage durch Zurücknahme oder anders erledigt hat und der Kläger an dieser Feststellung ein berechtigtes Interesse hat. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
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Die gegenständlichen Anordnungen wurden im Wege der Allgemeinverfügung erlassen, die nach Art. 35 Satz 2 BayVwVfG einen Sonderfall des Verwaltungsaktes darstellt. Auch gegen eine solche Allgemeinverfügung ist daher grundsätzlich die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft.
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Die Ziffern 1 und 4 der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung haben sich außerdem aufgrund ihres Außerkrafttretens am 3.4.2020 um 24:00 Uhr (vgl. Ziffer 10 der Allgemeinverfügung) durch Zeitablauf erledigt, Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG.
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Daneben hat der Kläger an der begehrten Feststellung auch ein aus Art. 19 Abs. 4 GG folgendes berechtigtes Interesse (sog. Fortsetzungsfeststellungsinteresse). Die grundsätzliche Notwendigkeit eines besonderen Feststellungsinteresses im Rahmen der Klage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ergibt sich daraus, dass es nach der Erledigung der Anfechtungsklage regelmäßig des beantragten Rechtsschutzes grundsätzlich nicht mehr bedarf und der Kläger den einst begehrten rechtlichen Vorteil nicht mehr erlangen kann. Daher wird Rechtsschutz in solchen Fällen nur noch zur Verfügung gestellt, wenn der Kläger trotz der Erledigung ein berechtigtes rechtliches, wirtschaftliche oder ideelles Interesse an einer nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Maßnahme hat (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 113 Rn. 108, m.w.N.). In der verwaltungsgerichtlichen Praxis haben sich im wesentlichen vier Fallgruppen herausgebildet, bei deren Vorliegen in der Regel ein berechtigtes Interesse bejaht wird, die Wiederholungsgefahr, das Präjudizinteresse, das Rehabilitierungsinteresse und die Gruppe der sich typischerweise kurzfristig erledigenden (teilweise: schwerwiegenden; str.) Grundrechtseingriffe, wobei diese Fallgruppen nicht abschließend sind, sondern das berechtigte Interesse stets im Einzelfall zu beurteilen ist (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 113 Rn. 111, m.w.N.). Der Kläger hat in seinen Schriftsätzen alle genannten Fallgruppen für sich in Anspruch genommen.
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Nach Ansicht der zur Entscheidung berufenen Kammer sind jedenfalls die Voraussetzungen des sich typischerweise kurzfristig erledigenden (schwerwiegenden) Grundrechtseingriffs erfüllt. Diese Fallgruppe setzt unter Berücksichtigung von Art. 19 Abs. 4 GG voraus, dass es sich um einen Eingriffsakt handelt bzw. gehandelt hat, der ohne die Fortsetzungsfeststellungsklage wegen seiner typischerweise kurzfristigen Erledigung regelmäßig keiner gerichtlichen Überprüfung in einem Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnte. Maßgeblich ist hierbei, ob die kurzfristige und eine Anfechtungsklage ausschließende Erledigung sich aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergibt (BVerwG Urt. v. 16.5.2013 – 8 C 14.12 – BeckRS 2013, 54296, Rn. 32; Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 113 Rn. 145). Dies ist hier der Fall. Die gegenständliche Allgemeinverfügung vom 20.3.2020 war von Beginn an befristet bis zum 3.4.2020 (vgl. Ziffer 10 der Allgemeinverfügung) und mithin auf einen Zeitraum von ca. zwei Wochen. Es handelt sich hierbei um einen Zeitraum, in dem nach allgemeiner Lebens- und Gerichtserfahrung keine Entscheidung in einem verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren herbeigeführt werden kann, sodass bereits wegen der Eigenart des Verwaltungsaktes gegen diesen kein Rechtsschutz in der Hauptsache erlangt werden konnte. Daher ist von einem Eingriff auszugehen, gegen den aufgrund seiner kurzen Geltungsdauer ohne die Möglichkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage nicht vorgegangen werden könnte. Auch das Bundesverwaltungsgericht geht im Übrigen im Rahmen seiner Revisionsentscheidung hinsichtlich des Normenkontrollantrages betreffend § 4 BayIfSMV davon aus, dass im Hinblick auf die kurze Geltungsdauer der Vorschrift – die BayIfSMV war vom 1.4.2020 bis zum 19.4.2020 in Kraft – insoweit ein berechtigtes Interesse vorliegt (BVerwG Urt. v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – BeckRS 2022, 32403, Rn. 10; in diesem Sinne wohl auch BVerfG, B.v. 9.6.2020 – 1 BvR 1230/20 – NVwZ 2020, 1040, Rn. 9). Dies muss nach Ansicht der Kammer dann erst recht hier gelten, zumal die hiesige Allgemeinverfügung noch kürzer (von 20.3.2020 bis 3.4.2020) in Kraft war, als die BayIfSMV.
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Etwas anderes gilt hier auch nicht unter Berücksichtigung der Möglichkeit, dass in derartigen befristeten Fällen jedenfalls um einstweiligen Rechtschutz ersucht werden kann (vgl. so VG München Urt. v. 11.7.2022 – 26a K 20.1251 – BeckRS 2022, 17889, Rn. 62, wonach entscheidend nur die Frage ist, ob den Anforderungen von
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Art. 19 Abs. 4 GG – ggf. auch durch eine Entscheidung im einstweiligen Rechtschutz – Genüge getan wird). Es ist schon fraglich, ob alleine eine vorläufige Entscheidung im einstweiligen Rechtschutz ausreicht, um ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse auszuschließen (verneinend wohl: Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 113 Rn. 45), wobei durchaus gute Gründe dafür sprechen, dass dies jedenfalls dann der Fall ist, wenn eine Entscheidung im einstweiligen Rechtschutz getroffen wird, die dem Art. 19 Abs. 4 GG faktisch in gleicher Weise gerecht wird, wie eine etwaige Hauptsacheentscheidung. Dies kann hier aber dahinstehen. Denn im konkreten Fall hat der Kläger gerade einen Antrag im einstweiligen Rechtschutz gestellt (RO 5 S 20.490), über welchen aber in der Sache nicht entschieden wurde. Stattdessen wurde das Verfahren mit Beschluss vom 9.4.2020 zu einem Zeitpunkt eingestellt, zu dem die gegenständliche Allgemeinverfügung schon außer Kraft getreten war. Mithin hat der Kläger im gegenständlichen Verfahren vor Erledigung der Allgemeinverfügung gerade keinen Rechtsschutz erlangen können.
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Schließlich folgt die Unzulässigkeit auch nicht daraus, dass der Kläger nur deshalb innerhalb der Kürze der Zeit keinen einstweiligen Rechtschutz erlangen konnte, weil der Beklagte zur Regelung des Sachverhaltes eine andere Rechtsform wählte (vgl. VG Augsburg Urt. v. 29.3.2021 – Au 9 K 20.575 – BeckRS 2021, 10756, Rn. 35). Es ist zum derzeitigen Zeitpunkt für das Gericht schon überhaupt nicht mehr einschätzbar, ob ohne die Neuregelung im Verordnungswege noch eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz im Hinblick auf die Allgemeinverfügung vor deren Ablaufen ergangen wäre. Ohnehin kann dies aber nach Ansicht der hier zur Entscheidung berufenen Kammer keine Rolle spielen. Entscheidend ist nach Einschätzung des Gerichts alleine, ob es sich bei der gegenständlichen Allgemeinverfügung um einen Eingriffsakt handelt, der sich typischerweise vor der Möglichkeit der Erlangung von (Hauptsache-)Rechtschutz erledigt. Dies ist für die auf zwei Wochen befristete Allgemeinverfügung zu bejahen (s.o.). Auch eine das Feststellungsinteresse ggf. ausschließende Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz ist nicht ergangen (s.o.). Somit liegt nach Ansicht der Kammer ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse vor. Ob die materiell-rechtliche inhaltliche Rechtmäßigkeit der einzelnen Corona-Regelungen daneben auch im Verfahren nach § 47 VwGO hätte geklärt werden können (wie später auch geschehen) oder nicht, darf nach Ansicht der zur Entscheidung berufenen Kammer keine Rolle spielen. Dies muss alleine deshalb gelten, weil an den Erlass von Allgemeinverfügungen und an den Erlass von Verordnungen jedenfalls gänzlich andere formelle Voraussetzungen geknüpft sind und der Kläger sich gerade auch im Hinblick darauf gegen die gegenständliche Allgemeinverfügung wendet. Mithin kann es nicht nur darauf ankommen, dass die hier streitigen Corona-Maßnahmen in inhaltlicher Hinsicht, d.h. in Bezug auf die konkrete Regelung, auch im Verfahren nach § 47 VwGO hätten geprüft werden können.
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Im Übrigen ist umstritten, ob die Fallgruppe des sich typischerweise kurzfristig erledigenden Grundrechtseingriffs zusätzlich noch eine gewisse Intensität (also einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff, s.o.) erfordert (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 113 Rn. 122, m.w.N.). Diese Streitfrage kann im hiesigen Fall aber dahinstehen, denn durch die streitigen Anordnungen wurde in erheblichem Ausmaß jedenfalls in die Grundrechte nach Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) sowie nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1 GG (körperliche Bewegungsfreiheit) eingegriffen (BVerwG Urt. v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – BeckRS 2022, 32403, Rn. 31), sodass auch diese Anforderung als erfüllt anzusehen ist.
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Ob daneben auch – wie vom Kläger vorgetragen – weitere Fallgruppen vorliegen, die gegebenenfalls ein berechtigtes Interesse begründen könnten, kann dahinstehen
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b) Der Kläger hat auch ein Rechtschutzbedürfnis. Dieses ist auch nicht dadurch entfallen, dass die gegenständliche Allgemeinverfügung ggf. zwischenzeitlich durch eine/mehrere Rechtsverordnung(en) überlagert wurde, namentlich die Bayerische Verordnung über eine vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie (BayMBl. 2020 Nr. 130) vom 24.3.2020 sowie die BayIfSMV. Dies folgt nach Ansicht der Kammer schon aus der Bußgeldbewehrung der Allgemeinverfügung in Ziffer 7. Deshalb musste der Kläger für die gesamte Geltungsdauer der Allgemeinverfügung befürchten, bei Verstößen gegen diese mit entsprechenden Bußgeldern belegt zu werden – unabhängig davon, ob er sich an die grundsätzlichen Regelungen auch aufgrund anderer Rechtsgrundlagen hätte halten müssen.
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Überdies ergibt sich dies auch aus der Tatsache, dass die hier gegenständliche Allgemeinverfügung nicht aufgehoben wurde sondern bis zu deren Ablauf (Ziffer 10 der Allgemeinverfügung) in Kraft war. Mithin musste auch die Möglichkeit bestehen, für diese Dauer gegen die Allgemeinverfügung vorzugehen. Andernfalls könnte mit dem Argument des fehlenden Rechtschutzbedürfnisses aufgrund der jeweils bestehenden parallelen Regelung der Rechtschutz gegen die jeweils andere Regelung verwehrt werden. Dies hätte zur Folge, dass der Gesetz-, Norm- oder sonstige Regelungsgeber den Rechtschutz gegen die jeweilige Regelung schlicht dadurch faktisch ausschalten könnte, dass er stets mehrere Regelungen mit (teilweise) gleichem Inhalt erlässt.
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c) Schließlich ist die Klage im Hinblick auf Ziffer 1, Satz 2 der Allgemeinverfügung auch nicht unter dem Gesichtspunkt unzulässig, dass es sich nur um eine Präambel bzw. einen Appell ohne Regelungswirkung handeln würde. Dagegen ist die Klage aus diesen Gründen aber unzulässig in Bezug auf Ziffer 1, Satz 1 der Allgemeinverfügung.
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In seiner Entscheidung im einstweiligen Rechtschutz vom 30.3.2020 betreffend den§ 1 Abs. 1 Sätze 1, 2 der Bayerischen Verordnung über eine vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie (BayMBl. 2020 Nr. 130), welcher im Hinblick auf den Wortlaut der Ziffer 1 der gegenständlichen Allgemeinverfügung entspricht, hat der BayVGH entschieden, es handle sich sowohl bei der Anordnung in § 1 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (hier Ziffer 1, Satz 2), als auch bei der in § 1 Abs. 1 Satz 2 (hier Ziffer 1, Satz 2), jeweils nur um einen programmatischen Appell im Sinne einer Präambel, nicht um ein jeweils zwingendes und durchsetzbares Gebot. Schon aus dem Wortlaut (Satz 1: „wird angehalten“; Satz 2: „[w]o immer möglich“) und dem systematischen Zusammenhang lasse sich dies erkennen. Auch wenn der ambivalente Normtext jedenfalls im Hinblick auf Satz 2 auch ein Rechtsgebot nahelege („ist … einzuhalten“), überwiege insgesamt der appelative Charakter auch im Hinblick auf Satz 2. Gerade die Formulierung „[w]o immer möglich“ führe zu „einer derart unbestimmten Vielzahl von physikalischen und normativen, eventuell auch sozialethischen Gegebenheiten, dass die genannte Einschränkung hier zum Verlust einer unmittelbaren Regelungswirkung führt“. Sofern man die Ziffer 1, Satz 2 dagegen als verbindliche Regelung auslege, würde diese zudem „aller Voraussicht nach den Boden der Normenklarheit verlassen“ (zu alledem: BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 20 NE 20.632, BeckRS 2020, 4618, Rn. 50 f.; so auch: VG München U.v. 11.7.2022 – 26a K 20.1251 – BeckRS 2022, 17889, Rn. 58).
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Maßgeblich ist nach Ansicht der Kammer in diesem Zusammenhang die Frage, wie die Anordnung in der Bevölkerung, d.h. vom jeweiligen Empfänger, verstanden werden konnte. Auch im Verwaltungsrecht gilt im Bezug auf öffentlich-rechtliche Erklärungen der aus dem Zivilrecht bekannte Grundsatz, dass es bei emfpfangsbedürftigen Erklärungen nicht auf den wirklichen Willen des Erklärenden ankommt, sondern auf den objektiven Erklärungsinhalt, wie er sich – unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und dem Empfängerhorizont – für den Empfänger der jeweiligen Erklärung darstellt; es gelten §§ 133, 157 BGB insoweit analog (StRspr, vgl. BVerwG Urt. v. 20.6.2013 – 8 C 46.12 – BeckRS 2013, 56766, Rn. 27, m.w.N.). Bei der Ermittlung dieses objektiven Empfängerhorizonts sind alle dem Empfänger bekannten oder für diesen erkennbaren Umstände heranzuziehen (BVerwG, B.v. 30.6.2011 – 3 B 87/10 – BeckRS 2011, 52971, Rn. 3).
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Die zur Entscheidung berufene Kammer teilt die vorläufige Einschätzung des BayVGH im Hinblick auf Ziffer 1, Satz 1 der Allgemeinverfügung. Aus dem Wortlaut der Ziffer 1, Satz 1 geht nach Ansicht der Kammer eindeutig hervor, dass es sich um eine allgemeine Aufforderung handeln sollte, Kontakte zu anderen Menschen zu reduzieren, um Ansteckungen mit dem Coronavirus zu vermeiden. Die Formulierung erweckt nach Ansicht des Gerichts auch nicht den Eindruck, verbindlich sein zu wollen und eine tatsächliche rechtliche Wirkung bzw. Regelung i.S.v. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG herstellen zu wollen. Vielmehr ist die Formulierung „jeder wird angehalten […] auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren“ nach Ansicht des Gerichts derart vage und unklar gehalten, dass nach Ansicht des Gerichts dem objektiven Empfänger klar sein musste, dass es sich zwar um einen dringenden und nachdrücklichen Aufruf handelte, die eigenen Kontakte zu reduzieren, aber keinesfalls um eine normative oder gar vollziehbare Regelung. Hierfür spricht im Übrigen auch gerade der vom Kläger angeführte Bußgeldkatalog „Corona-Pandemie“ vom 27.3.2020, Teil 2 lfd. Nr. 3 (s. auch unten). Denn während dort das „Nichteinhalten des vorgeschriebenen Mindestabstands“ (vgl. Ziffer 1, Satz 2 Allgemeinverfügung) explizit genannt wird, findet der Aufruf zur Kontaktreduzierung (vgl. Ziffer 1, Satz 1 Allgemeinverfügun) keinerlei Erwähnung. Aus diesen Gründen handelt es sich schon nicht um eine verbindliche Regelung im Sinne eines Verwaltungsaktes (bzw. einer Allgemeinverfügung), sodass weder eine Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO noch eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO hier zulässig ist.
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Zulässig ist die Klage aber im Hinblick auf die Ziffer 1, Satz 2 der Allgemeinverfügung. Insoweit geht die Kammer nicht davon aus, dass es sich um eine bloße Präambel mit appellativem Charakter handelt. Vielmehr handelt es sich um eine verbindliche Regelung im Sinne eines Verwaltungsaktes (bzw. einer Allgemeinverfügung), gegen die die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO und mithin die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig ist. Der BayVGH ist in seiner vorläufigen Entscheidung, die bereits am 30.3.2020 ergangen ist und mithin wenige Tage nach Inkraftreten der ersten allgemeinen Corona-Regeln in Bayern (in Form der Allgemeinverfügung), soweit dies aus der Entscheidung ersichtlich ist, alleine aufgrund des Wortlautes der dort gegenständlichen Vorschrift zu dem Ergebnis gekommen, es handle sich nur um einen Appell.
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Nach dem Vortrag des Klägers sowie den Erkenntnissen, die dem Gericht nunmehr in der Hauptsache hingegen vorliegen, kommt die zur Entscheidung berufene Kammer jedoch unter Berücksichtigung des objektiven Empfängerhorizonts (s.o.) zu dem Ergebnis, dass es sich bei Ziffer 1, Satz 2 der Allgemeinverfügung um eine vollziehbare Anordnung gehandelt hat. Hierfür spricht bereits die Tatsache, dass Verstöße gegen die Allgemeinverfügung gem. deren Ziffer 7 einschließlich der Begründung als Ordnungswidrigkeiten bußgeldbewehrt und ggf. sogar strafbewehrt waren. Darüber hinaus spricht hierfür auch, dass im Bußgeldkatalog „Corona-Pandemie“ vom 27.3.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 159), der gem. Ziffer 2.1 auch auf die Allgemeinverfügung Anwendung fand, in Teil 2 lfd. Nr. 3 ausdrücklich die „Nichteinhaltung des vorgeschriebenen Mindestabstandes“ nach „§ 1 Abs. 1 VO“ mit einem Regelsatzbußgeld von 150,00 EUR belegt war, wobei Adressat des Bußgeldbescheides nach o.g. lfd. Nr. 3 die Personen waren, „die gegen das allgemeine Abstandsgebot verstoßen, ohne dass eine Ausnahme besteht“. Mithin musste der objektive Empfänger, jedenfalls wenn er neben der Allgemeinverfügung auch den Bußgeldkataog zur Kenntnis nahm (und somit im Rahmen der dem Empfänger bekannten oder für diesen erkennbaren Umstände) – gerade in Anbetracht des „ambivalente[n] Normtext[es]“ (BayVGH B.v. 30.3.2020 – 20 NE 20.632, BeckRS 2020, 4618, Rn. 50 f.) – nach Ansicht des Gerichts davon ausgehen, dass die Anordnung des Mindestabstandes von 1,50 m eine verbindliche Anordnung darstellte. Dies gilt (retrospektiv) umso mehr, als diese Bußgelder offenkundig auch vollstreckt wurden (vgl. BayLT-Drs. 18/8229, S. 3), was auch zum damaligen Zeitpunkt in der Bevölkerung bekannt gewesen sein dürfte und mithin den Empfängerhorizont noch weiter „vertieft“ haben dürfte.
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Schließlich ging im Übrigen auch der Antragsgegner ausdrücklich davon aus, jedenfalls in Ziffer 1, Satz 2 eine verbindliche Regelung geschaffen zu haben. So hat er selbst im einstweiligen Rechtschutz vorgetragen: „Dem nachfolgend stellt hingegen Nr. 1 Satz 2 der Allgemeinverfügung einen Regelungssatz auf […], wonach ein Mindestabstand zwischen zwei Personen von 1,5 Metern einzuhalten ist“ (Schriftsatz vom 30.3.2020, S. 15 im Verfahren RO 5 S 20.490).
37
Nach alledem war im Hinblick auf die Ziffer 1, Satz 2 von einem Verwaltungsakt in Form der Allgemeinverfügung auszugehen.
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2. Soweit die Klage zulässig ist, ist sie überdies auch begründet.
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a) Die Regelung in Ziffer 1, Satz 2 der Allgemeinverfügung war unbestimmt und mithin rechtswidrig. Die Bestimmtheit des Verwaltungsaktes ist in Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG geregelt. Ein Verwaltungsakt muss demnach inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Dies bedeutet nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum einen, dass der Adressat des Verwaltungsaktes in die Lage versetzt werden muss, zu erkennen, was von ihm gefordert wird und zum anderen, dass der Verwaltungsakt geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein muss. Im einzelnen richten sich die Anforderungen an die Bestimmtheit dabei nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts (vgl. BVerwG Urt. v. 15.2.1990 – 4 C 41/87 – BeckRS 1990, 599). Diesen Anforderungen wird die gegenständliche Anordnung nicht gerecht. Dies gilt zum einen für die Formulierung „[w]o immer möglich“. Anhand dieser vagen Umschreibung ist für den einzelnen nicht hinreichend klar und deutlich erkennbar, in welchen Fällen das bußgeldbewehrte Mindestabstandsgebot eingehalten werden muss, und in welchen nicht. Mithin weiß der einzelne bereits aufgrund dieser Formulierung nicht, was von ihm exakt gefordert wird. Im Übrigen ergibt sich dies auch aus der bloßen Festlegung des Mindestabstandes auf 1,50 m. Es bestehen insoweit erhebliche Bedenken, dass ein solcher Mindestabstand – obwohl dies in der Praxis geschehen ist – nachvollziehbar und objektiv vollzogen werden kann, nachdem bspw. nicht klar ist, wie der Mindestabstand überhaupt zu messen ist. In Betracht käme bspw. eine Messung an den beiden am nächsten gelegenen Körperteilen, sinnvoll erschiene jedoch beispielsweise auch die Messung des Mindestabstandes zwischen den Gesichtern zweier Personen. Im Ergebnis zeigt sich jedenfalls, dass es sich auch insoweit um eine unbestimmte Regelung handelt, nachdem für den einzelnen weder klar ist, was exakt von ihm verlangt wird, noch die Regelung objektiv und rechtssicher vollzogen werden könnte. Nach alledem geht die zur Entscheidung berufene Kammer davon aus, dass die gegenständliche Regelung unbestimmt im Sinne von Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG ist, was zu deren materieller Rechtswidrigkeit führt (Schröder in Schoch/Schneider, 3. EL August 2022, § 37 VwVfG Rn. 44, m.w.N.). Im Übrigen hat auch der BayVGH in seiner Entscheidung vom 30.3.2020 festgestellt, dass das Abstandsgebot, sofern man von einer verbindlichen Regelung ausgehe, „aller Voraussicht nach den Boden der Normenklarheit verlassen“ würde (BayVGH B.v. 30.3.2020 – 20 NE 20.632, BeckRS 2020, 4618, Rn. 50 f.).
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b) Auch die Ziffer 4 der Allgemeinverfügung war rechtswidrig, denn sie war jedenfalls unverhältnismäßig.
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Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Kammer davon ausgeht, dass nach Auslegung der gegenständlichen Ziffer 4 der Allgemeinverfügung das bloße „Verweilen“ außerhalb der eigenen Wohnung keinen triftigen Grund darstellte, die eigene Wohnung zu verlassen. Insoweit wird auf die nachfolgenden Ausführungen des BayVGH betreffend die nahezu gleichlautende Vorschrift § 4 Abs. 2, 3 BayIfSMV verwiesen (BayVGH, B.v. 4.10.2021 – 20 N 20.767, BeckRS 2021, 29086, Rn. 77), die vom Bundesverwaltungsgericht nicht beanstandet wurden (BVerwG Urt. v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – BeckRS 2022, 32403, Rn. 11) und denen sich die Kammer anschließt:
„Nach § 4 Abs. 3 Nr. 7 1. BayIfSMV stellte u.a. „Sport und Bewegung an der frischen Luft, allerdings ausschließlich alleine oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes und ohne jede sonstige Gruppenbildung“, einen triftigen Grund für das Verlassen der Wohnung dar. Vom Wortlaut her ist daher nur das Verlassen der Wohnung zur Sportausübung und Bewegung und kein Verlassen, um an einem Ort außerhalb der eigenen Wohnung zu verweilen, zulässig (BayObLG, B.v. 24.6.2021 – 202 ObOWi 660/21 – COVuR 2021, 561). Zwar handelte es sich bei den triftigen Gründen des § 4 Abs. 3 1. BayIfSMV um Regelbeispiele, so dass auch ungeschriebene triftige Gründe in Betracht gekommen sind. Als Ausnahmetatbestand ist jedoch § 4 Abs. 3 1. BayIfSMV eng auszulegen. Eine über den Wortlaut des § 4 Abs. 3 1. BayIfSMV hinausgehende Auslegung, der die Vorschrift auf eine Kontaktbeschränkung im öffentlichen und privaten Raum reduziert, verstieße gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 20 Abs. 3, 103 Abs. 2 GG, so dass das kontaktlose Verweilen im Freien außerhalb der Wohnung keinen triftigen Grund zum Verlassen der Wohnung darstellte.“
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So verstanden ist die Ziffer 4 der gegenständlichen Allgemeinverfügung unverhältnismäßig. Insoweit verweist die Kammer auf die nachfolgenden zutreffenden und schlüssigen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts betreffend § 4 Abs. 2 und 3 BayIfSMV (die Regelung entspricht weitestgehend der hier angegriffenen Regelung), die sie sich zu eigen macht und denen sie sich anschließt (BVerwG Urt. v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – BeckRS 2022, 32403, Rn. 28, 31 – 33):
„Die Angemessenheit und damit die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfordern, dass der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 216 m. w. N.). In einer Abwägung sind Reichweite und Gewicht des Eingriffs in Grundrechte einerseits und die Bedeutung der Maßnahme für die Zweckerreichung andererseits gegenüberzustellen. Angemessen ist eine Maßnahme dann, wenn bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt wird. Dabei ist ein angemessener Ausgleich zwischen dem Eingriffsgewicht der Maßnahme und dem verfolgten Ziel sowie der zu erwartenden Zielerreichung herzustellen (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. September 2022 – 1 BvR 2380/21 u. a. – juris Rn. 119 m. w. N.).
aa) Das Verbot, die eigene Wohnung zum Verweilen im Freien zu verlassen, war ein schwerer Eingriff in die Grundrechte der Adressaten. Es beschränkte die tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1 GG) erheblich; je nach Größe der Wohnung konnte der Bewegungsradius auf wenige Quadratmeter begrenzt sein. Auch die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) war erheblich beschränkt. Der Aufenthalt im Freien ist für das Wohlbefinden vieler Menschen von elementarer Bedeutung; wenn Kontakt zu Menschen pandemiebedingt vermieden werden soll, kann der Kontakt zur Natur umso wichtiger werden. Die zugelassenen Gründe für das Verlassen der Wohnung minderten das Gewicht des Verbots jedenfalls für einen nicht geringen Teil der Betroffenen nur wenig. Menschen, die außerhalb der Wohnung keine berufliche Tätigkeit ausübten, kein Tier zu versorgen hatten, ihre Versorgungsgänge für Gegenstände des täglichen Bedarfs auf das Nötigste beschränkten und – aus welchem Grund auch immer – nicht für Sport oder Bewegung ins Freie wollten, dürften an vielen Tagen keinen triftigen Grund im Sinne des § 4 Abs. 3 BayIfSMV gehabt haben, die Wohnung zu verlassen. Das Verbot galt ganztägig und damit auch während der Tagstunden. […]
bb) Den durch die Ausgangsbeschränkung bewirkten, schweren Grundrechtseingriffen standen auf der anderen Seite Gemeinwohlbelange von überragender Bedeutung gegenüber. Ziel der Verordnung war es, die Ausbreitung des SARSCoV-2-Virus und der dadurch verursachten bedrohlichen COVID-19- Erkrankung (vgl. § 2 Nr. 3a IfSG) zu verlangsamen und damit die Bevölkerung vor Lebens- und Gesundheitsgefahren zu schützen. Die Rechtsgüter Leben und Gesundheit haben eine überragende Bedeutung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG; stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 231 m. w. N.). Der Verordnungsgeber durfte bei Erlass der Ausgangsbeschränkung davon ausgehen, dass dringlicher Handlungsbedarf bestand. Das Robert Koch-Institut schätzte die Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland als hoch, für Risikogruppen als sehr hoch ein (BA Rn. 54). Bayern wies bei Erlass der Ausgangsbeschränkung eine im Bundesvergleich schlechtere epidemiologische Lage auf (BA Rn. 84).
cc) In die Prüfung der Angemessenheit ist über die Bedeutung des Zwecks hinaus – wie ausgeführt – einzustellen, in welchem Maße er durch die in Rede stehende Maßnahme gefördert wird. Auch am Beginn der Pandemie konnte das Verbot des Ausgangs für ein Verweilen im Freien nur verhältnismäßig im engeren Sinne sein, wenn es über eine Kontaktbeschränkung hinaus einen erheblichen Beitrag zur Erreichung des Ziels leisten konnte, physische Kontakte zu reduzieren und dadurch die Verbreitung von COVID-19 zu verhindern. Auch das Bundesverfassungsgericht hat zur Begründung dafür, dass die nächtliche Ausgangsbeschränkung im Rahmen der „Bundesnotbremse“ dem Verhältnismäßigkeitsgebot im engeren Sinne genügt habe, maßgebend darauf abgestellt, dass der Gesetzgeber ihren Beitrag zur Verminderung des Sterberisikos und des Risikos schwerer Krankheitsverläufe als „quantitativ und qualitativ erheblich“ habe veranschlagen dürfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 303). Dass die bayerische Ausgangsbeschränkung in ihrer konkreten Ausgestaltung insgesamt einen erheblichen Beitrag zur Pandemiebekämpfung leisten konnte, genügte nicht. Das Verweilen im Freien ohne Kontakt zu haushaltsfremden Personen ist – wie der Verwaltungsgerichtshof festgestellt hat – für sich gesehen infektiologisch unbedeutend. Insoweit unterscheidet es sich von der Nutzung bestimmter Einrichtungen und einem hierauf gerichteten Verbot, dessen Gemeinwohlbedeutung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur im Zusammenwirken mit den weiteren Maßnahmen eines Gesamtkonzepts für andere Kontaktorte bewertet werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 971/21 u. a. – BVerfGE 159, 355 Rn. 154 zu Schulschließungen). Das Verweilen im Freien war zugleich – insbesondere unter den pandemiebedingten Beschränkungen des gesamten Lebens – für das Wohlbefinden der Menschen von elementarer Bedeutung. Das Verbot, die Wohnung zu verlassen, um im Freien zu verweilen, konnte deshalb nur gerechtfertigt sein, wenn es selbst einen erheblichen Beitrag zur Zielerreichung leisten konnte. Bei der Abschätzung dieses Beitrags hatte der Verordnungsgeber – wie bei der Prüfung der Erforderlichkeit – einen tatsächlichen Einschätzungsspielraum; der Antragsgegner hätte aber einen solchen erheblichen Beitrag in der Tatsacheninstanz plausibel darlegen müssen. Das hat er nicht getan. Er hat – wie ausgeführt – vor dem Verwaltungsgerichtshof bereits nicht dargelegt, dass das Verbot einen relevanten Beitrag zur Reduzierung haushaltsübergreifender Kontakte leisten konnte.“
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Zur Überzeugung der Kammer sind die hier dargelegten Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit von § 4 Abs. 2, 3 BayIfSMV ohne weiteres auf die streitige Anordnung in Ziffer 4 der Allgemeinverfügung übertragbar. Hieran ändern weder die leicht abweichenden Regelbeispiele in den beiden Vorschriften etwas, noch die Tatsache, dass es sich im konkreten Fall um eine Allgemeinverfügung, nicht um eine Verordnung handelt. Die getroffenen Erwägungen sind gleichwohl ohne weiteres übertragbar, nachdem sich für die materiell-rechliche Prüfung der Verhältnismäßigkeit in Form der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter aus diesem rechtstechnischen Unterschied keinerlei Unterschiede ergeben.
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Nach alledem waren die gegenständlichen Regelungen unangemessen und damit unverhältnismäßig, was zu deren materieller Rechtswidrigkeit führt.
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Nach alledem war der Klage im tenorierten Umfang stattzugeben.
46
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die zur Entscheidung berufene Kammer misst der Ziffer 4 der Allgemeinverfügung eine deutlich höhere Bedeutung zu, als der Ziffer 1 der Allgemeinverfügung, nachdem es sich bei der Ziffer 4 nach Einschätzung der Kammer um die weitaus eingriffsintensivere Maßnahme gehandelt hat, die auch den Kern des Rechtsstreits darstellt, was alleine der Umfang der Ausführungen der Beteiligten zu den Ziffern 1 und 4 belegt. Nachdem der Kläger zudem auch im Hinblick auf die Ziffer 1 hälftig obsiegt hat, ist er nach Einschätzung der Kammer nur zu einem geringen Teil i.S.v. § 155 Abs. 1
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Satz 3 VwGO unterlegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus§§ 167 VwGO, 704 ff. ZPO.