Titel:
Nachbarantrag gegen Baugenehmigung zum Teilabriss eines Gebäudes und zur Errichtung eines Wohngebäudes
Normenketten:
GG Art. 14 Abs. 1 S. 1
BGB § 917, § 1018, § 1025
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1, § 80a Abs. 3 S. 2
Leitsätze:
1. Im Rahmen von Rechtsbehelfen Dritter können sich diese nur dann erfolgreich gegen eine Baugenehmigung zur Wehr setzen, wenn diese rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit zugleich auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit dem Erfordernis einer ausreichenden Erschließung soll insgesamt berücksichtigt werden, dass ein Mindestmaß an Zugänglichkeit der Grundstücke für Kraftfahrzeuge, und zwar nicht nur des Nutzers, sondern auch von öffentlichen Zwecken dienenden Fahrzeugen, wie z.B. die der Polizei, der Feuerwehr, des Rettungswesens und der Ver- und Entsorgung, erfüllt wird; dieses Erfordernis dient jedoch grundsätzlich nur öffentlichen Interessen und hat keine nachbarschützende Funktion. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein sich unmittelbar aus der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG) ergebendes Abwehrrecht des Nachbarn ist in der Rechtsprechung nur für den Fall anerkannt, dass eine infolge Fehlens der Erschließung rechtswidrige Baugenehmigung für den Nachbarn eine unmittelbare Rechtsverschlechterung in Richtung auf die Duldung eines Notwegerechts, § 917 Abs. 1 BGB, bewirkt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein als Grunddienstbarkeit eingetragenes Recht kann, sofern der Bestellungsakt nichts Gegenteiliges ergibt, auch von solchen Personen ausgeübt werden, die zum Eigentümer des herrschenden Grundstücks in besonderen Beziehungen stehen, insbesondere von seinen Hausgenossen, Besuchern und Kunden, sowie von Mietern und Pächtern. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Geh- und Fahrtrecht, Erschließung, Nachbarantrag, Vorläufiger Rechtschutz, Baugenehmigung, Nachbarschutz, Duldung, Notwegerecht, Grunddienstbarkeit, Teilabriss
Fundstelle:
BeckRS 2023, 1099
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Beteiligten streiten um eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zum Teilabriss eines Gebäudes und zur Errichtung eines Wohngebäudes mit Carport.
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Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 638 Gem. …, die Mutter des Beigeladenen ist Eigentümerin des unmittelbar westlich angrenzenden Grundstücks FlNr. 640, ebenfalls Gem. … (Vorhabengrundstück). Das Vorhabengrundstück ist mit einem Zweifamilienhaus und einer Doppelgarage bebaut. Überdies befindet sich im südlichen Teil des Vorhabengrundstücks ein zu einem ehemaligen Wohngebäude gehörendes Nebengebäude. Südlich des Vorhabengrundstücks grenzt das Grundstück FlNr. 638/2 Gem. … an. Sämtliche Grundstücke liegen unterhalb einer Anhöhe, auf der sich eine …kirche befindet. Die Grundstücke FlNrn. 638/2 und 638 grenzen südlich an die ost-westlich verlaufende B.straße an. Von der B.straße verläuft Richtung Norden ein Zufahrtsweg zum Vorhabengrundstück, der zu ungefähr gleichen Teilen auf dem Grundstück FlNr. 638 der Antragstellerin und dem Grundstück FlNr. 638/2 liegt. Für das Gebiet besteht eine Außenbereichssatzung gemäß § 35 Abs. 6 BauGB der Gemeinde T. aus dem Jahr 1996.
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Am 31. Januar 1996 wurde zwischen den Eltern der Antragstellerin und den Großeltern des Beigeladenen im Rahmen eines Verfahrens vor dem Amtsgericht … ein gerichtlicher Vergleich über ein Geh- und Fahrtrecht geschlossen.
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Ziffer 1.) des Vergleichs lautet:
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„Die Parteien vereinbaren ein Geh- und Fahrtrecht für Fahrzeuge aller Art an dem Grundstück FlNr. 638 Gem. … zugunsten der jeweiligen Eigentümer des Grundstücks FlNr. 640 Gem. … beginnend an der Gemeindestraße und endend an der südöstlichen Grundstücksecke der FlNr. 640, wie in der anliegenden Skizze grün gekennzeichnet. Die Parteien bewilligen und beantragen die Eintragung dieser Grunddienstbarkeit im Grundbuch.“
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Ausweislich der beigefügten Skizze bezieht sich das eingeräumte Geh- und Fahrtrecht auf den Abschnitt der Zufahrt, der auf dem Grundstück FlNr. 638 liegt.
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Ferner wurde gleichzeitig ein Geh- und Fahrtrecht an dem Grundstück FlNr. 638 für den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks FlNr. 638/2 (Ziffer 2. des Vergleichs) und ein Geh- und Fahrtrecht an dem Grundstück FlNr. 638/2 zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Grundstücks FlNr. 638 (Ziffer 3. des Vergleichs) bewilligt. Am 19. August 1996 erfolgte die Eintragung des Geh- und Fahrtrechts an dem Grundstück FlNr. 638 im Grundbuch „für den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks FlNr. 640 im Bestand zum Eintragungszeitpunkt“.
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Mit am 13. Mai 2022 elektronisch beim Landratsamt eingereichten Bauantrag beantragte der Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung zum Teilabriss des Nebengebäudes und der Errichtung eines Wohngebäudes mit Carport auf dem Vorhabengrundstück. Im südlich an der Grundstücksgrenze zu FlNr. 638/2 gelegenen Nebengebäude soll unter Abriss des Bestands eine Garage mit zwei Stellplätzen entstehen. Das nordwestlich davon gelegene Nebengebäude, in welchem sich im Untergeschoss zwei Garagen und im Erdgeschoss ein Abstellraum befinden, soll teilweise abgerissen und mit einem Wohngebäude mit Carport bebaut werden.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 10. August 2022, der Antragstellerin zugestellt am 13. August 2022, erteilte der Antragsgegner dem Beigeladenen die begehrte Baugenehmigung.
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Mit am 13. September 2022 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz ihres Bevollmächtigten hat die Antragstellerin Klage (M 1 K 22.4512) erhoben und beantragt zugleich,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung des Landratsamtes … vom 10.08.2022, Geschäftszeichen …, anzuordnen.
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Die Baugenehmigung sei rechtswidrig, weil das Vorhaben die Verfestigung und Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lasse. Die Erschließung sei nicht gesichert. Der Beigeladene sei nicht Eigentümer des Vorhabengrundstücks. Das bestehende Geh- und Fahrtrecht sei nicht zugunsten des Beigeladenen im Grundbuch eingetragen. Die Berücksichtigung des Geh- und Fahrtrechts als ausreichende Erschließung für das Vorhaben des Beigeladenen führe zu einem De-Facto-Fahrtrecht zugunsten des Beigeladenen auf dem Grundstück der Antragstellerin. Ferner bestehe die Gefahr, dass das Vorhabengrundstück geteilt werde und das bestehende Geh- und Fahrtrecht für die Erschließung von zwei Grundstücken genutzt werden müsse. Das Grundstück der Antragstellerin werde erheblich mehr belastet als bisher durch das eingetragene Geh- und Fahrtrecht, sodass durch die Baugenehmigung ein weiteres Notwegerecht, womöglich sogar ein weiteres Geh- und Fahrtrecht zulasten ihres Grundstücks entstehe.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Die vorhandene Außenbereichssatzung bezwecke, dass einem Vorhaben im Außenbereich der öffentliche Belang der Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung nicht entgegengehalten werden könne. Belange des Denkmalschutzes aufgrund der Nähe zur …kirche seien umfassend berücksichtigt worden. Demgemäß habe der Antragsgegner detaillierte Nebenbestimmungen zur äußeren Gestaltung der Gebäude festgesetzt. Ferner seien diese Aspekte nicht drittschützend. Die Antragstellerin könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, durch die Zufahrt in ihren Rechten verletzt zu sein. Zu Gunsten des jeweiligen Eigentümers des Vorhabengrundstück sei aufgrund des gerichtlichen Vergleichs im Jahr 1996 ein Geh- und Fahrtrecht im Grundbuch eingetragen. Dass der Beigeladene nicht Eigentümer des Vorhabengrundstücks sei, sei unerheblich. Die Baugenehmigung wirke grundstücks- und nicht personenbezogen. Entscheidend seien die Bedürfnisse des herrschenden Grundstücks und nicht die persönlichen Vorteile des Eigentümers. Überlegungen zu einer Grundstücksteilung seien irrelevant, weil auch weiterhin Wohnnutzung stattfinde. Lediglich die Anzahl der Wohneinheiten werde erhöht. Die rein quantitative Steigerung der Nutzungsintensität sei von der ursprünglichen Dienstbarkeit umfasst, weil das Geh- und Fahrtrecht ohne Einschränkungen eingeräumt worden sei. Eine einschränkende Auslegung der Vereinbarung komme nicht in Betracht. Überdies sei mit notarieller Bewilligungsurkunde vom … Oktober 2022 auch am Grundstück FlNr. 638/2 ein Wegerecht zu Gunsten des jeweiligen Eigentümers des Vorhabengrundstücks eingeräumt worden.
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Der Beigeladene äußerte sich nicht im Verfahren.
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Unter dem … November 2022 wurde das Geh- und Fahrtrecht am Grundstück FlNr. 638/2 zu Gunsten des jeweiligen Eigentümers des Vorhabengrundstücks im Grundbuch eingetragen.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der übrigen Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte, auch im zugehörigen Hauptsacheverfahren M 1 K 22.4512, Bezug genommen.
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1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin hat keinen Erfolg. Der Antrag ist zwar zulässig, aber unbegründet.
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a) Nach § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO die gemäß § 212a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens ganz oder teilweise anordnen. Dabei trifft das Gericht eine eigenständige Ermessensentscheidung darüber, welches der Interessen - das Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts oder das Interesse des Nachbarn an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs - höher zu bewerten ist (Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 85 ff.). Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht alleiniges Indiz zu berücksichtigen (Hoppe, a.a.O., § 80 Rn. 85 ff.). Fällt die Erfolgsprognose zu Gunsten des Nachbarn aus, erweist sich die angefochtene Baugenehmigung also nach summarischer Prüfung gegenüber dem Nachbarn als rechtswidrig, so ist die Vollziehung der Genehmigung regelmäßig auszusetzen (BayVGH, B.v. 12.4.1991 - 1 CS 91.439 - juris). Hat dagegen die Anfechtungsklage des Nachbarn mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg, so ist das im Rahmen der vorzunehmenden und zu Lasten des Antragstellers ausfallenden Interessensabwägung ein starkes Indiz für ein überwiegendes Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten Baugenehmigung (BayVGH, B.v. 26.7.2011 - 14 CS 11.535 - juris Rn. 18). Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine reine Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (BayVGH, B.v. 26.7.2011, a.a.O.).
21
b) Im Rahmen von Rechtsbehelfen Dritter können sich diese nur dann erfolgreich gegen eine Baugenehmigung zur Wehr setzen, wenn diese rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit zugleich auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris Rn. 20).
22
c) Ausgehend davon überwiegt das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Die Klage der Antragstellerin bleibt nach summarischer Prüfung voraussichtlich erfolglos, weil sie unbegründet ist. Der angefochtene Bescheid vom 10. August 2022 ist rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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aa) Die Antragstellerin kann sich nicht darauf berufen, dass das Vorhaben den öffentlichen Belang der Befürchtung der Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB beeinträchtigt. Unabhängig davon, dass das Vorhabengrundstück im Geltungsbereich einer Satzung gemäß § 35 Abs. 6 BauGB liegt, wonach dem Vorhaben dieser Belang ohnehin nicht entgegengehalten werden kann, ist die Vorschrift des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB schon nicht nachbarschützend (BayVGH, B.v. 25.8.2004 - 14 CS 04.2315 - juris Rn. 14).
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bb) Die Antragstellerin ist überdies nicht hinsichtlich der Erschließungssituation in ihren Nachbarrechten verletzt.
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Mit dem Erfordernis einer ausreichenden Erschließung soll insgesamt berücksichtigt werden, dass ein Mindestmaß an Zugänglichkeit der Grundstücke für Kraftfahrzeuge, und zwar nicht nur des Nutzers, sondern auch von öffentlichen Zwecken dienenden Fahrzeugen, wie z.B. die der Polizei, der Feuerwehr, des Rettungswesens und der Ver- und Entsorgung, erfüllt wird. (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 147. EL 2022, § 35 Rn. 69). Dieses Erfordernis dient jedoch grundsätzlich nur öffentlichen Interessen; es hat keine nachbarschützende Funktion (BayVGH, B.v. 3.2.2014 - 9 CS 13.1916 - juris Rn. 14 m.w.N.). Ein sich unmittelbar aus der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) ergebendes Abwehrrecht des Nachbarn ist in der Rechtsprechung nur für den Fall anerkannt, dass eine infolge Fehlens der Erschließung rechtswidrige Baugenehmigung für den Nachbarn eine unmittelbare Rechtsverschlechterung in Richtung auf die Duldung eines Notwegerechts, § 917 Abs. 1 BGB, bewirkt (BVerwG, U.v. 26.3.1976 - IV C 7.74 - juris).
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(1) Die Erschließung des Vorhabengrundstücks ist im Hinblick auf die - hier einzig relevante - Notwendigkeit der Mitbenutzung des südwestlichsten Teils des Grundstücks FlNr. 638 der Antragstellerin gesichert. Denn aufgrund des gerichtlichen Vergleichs am 31. Januar 1996 vor dem Amtsgericht … haben die dortigen Parteien, die Großeltern des Beigeladenen und die Eltern der Antragstellerin, ein Geh- und Fahrtrecht zugunsten der jeweiligen Eigentümer des Grundstücks FlNr. 640 für Fahrzeuge aller Art an dem Grundstück FlNr. 638 (…) als Grunddienstbarkeit vereinbart. Das Geh- und Fahrtrecht wurde ausweislich des vom Antragsgegner vorgelegten Grundbuchsauszugs am 19. August 1996 im Grundbuch eingetragen.
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Dass der Beigeladene kein Eigentum am Vorhabengrundstück hat, das Geh- und Fahrtrecht jedoch lediglich für den jeweiligen Eigentümer des Vorhabengrundstücks eingetragen ist, ist unerheblich. Gesetzlicher Inhalt der Grunddienstbarkeit ist gemäß § 1018 BGB die Belastung eines anderen Grundstücks zugunsten des jeweiligen Eigentümers eines anderen Grundstücks. Da bei der Grunddienstbarkeit die Bedürfnisse des herrschenden Grundstücks und nicht die persönlichen Vorteile des Eigentümers maßgebend sind, kann die Berechtigung mangels abweichender Vereinbarung auch von dritten Personen ausgeübt werden. Ein als Grunddienstbarkeit eingetragenes Recht kann, sofern der Bestellungsakt nichts Gegenteiliges ergibt, auch von solchen Personen ausgeübt werden, die zum Eigentümer des herrschenden Grundstücks in besonderen Beziehungen stehen, insbesondere von seinen Hausgenossen, Besuchern und Kunden, sowie von Mietern und Pächtern (Mohr in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2023, § 1018 Rn. 22 m.w.N.). Der Beigeladene ist der Sohn der Eigentümerin des Vorhabengrundstücks und steht damit in besonderer Beziehung zu ihr. Dafür, dass das Geh- und Fahrtrecht vom Beigeladenen nicht ausgeübt werden darf, ist nichts ersichtlich oder vorgetragen.
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Dass das Geh- und Fahrtrecht für den jeweiligen Eigentümer des Vorhabengrundstücks „im Bestand zum Eintragungszeitpunkt“ im Grundbuch eingetragen worden ist, verhilft dem Antrag ebenfalls nicht zum Erfolg. Der Inhalt der Grunddienstbarkeit ergibt sich aus einer Auslegung der dinglichen Einigung und der Grundbucheintragung (Mohr, a.a.O. Rn. 60). Ausweislich des gerichtlichen Vergleichs vom 31. Januar 1996 (Ziffer 1.) und der darin enthaltenen Bewilligung sollte die Einräumung des Geh- und Fahrtrechts unbeschränkt erfolgen. Selbst wenn die im Grundbuch enthaltene Einschränkung „im Bestand zum Eintragungszeitpunkt“ als eine Beschränkung des Geh- und Fahrtrechts auf den damals bestehenden Gebäudebestand auszulegen wäre, folgt daraus nicht, dass das Geh- und Fahrtrecht etwaigen Veränderungen im Bestand unzugänglich wäre. Denn Inhalt und Umfang einer - zumal zeitlich unbegrenzten - Grunddienstbarkeit stehen nicht in jeder Beziehung von vornherein fest, sondern sind Veränderungen im Hinblick auf die wirtschaftliche und technische Entwicklung unterworfen (Mohr, a.a.O. Rn. 61). Als Faustformel für die Reichweite einer zulässigen inhaltlichen Änderung gilt, dass im Rahmen der sonstigen Voraussetzungen quantitative Erweiterungen der Nutzung zulässig sind, qualitative Erweiterungen hingegen nicht (Mohr, a.a.O. Rn. 63 m.w.N.). So liegt es hier. Mit dem Vorhaben ist keine qualitative Erweiterung der bestehenden Wohnnutzung beabsichtigt. Das Vorhaben beschränkt sich auf den Teilabriss des Nebengebäudes und die Errichtung eines Wohngebäudes mit Carport auf dem Vorhabengrundstück. Damit geht allenfalls eine quantitative, nicht jedoch eine qualitative Nutzungserweiterung einher. Ferner verweist auch die Eintragung im Grundbuch auf die Bewilligung im gerichtlichen Vergleich vom 31. Januar 1996 („gemäß Bewilligung vom 31.01.1996“), mit dem ein unbeschränktes Geh- und Fahrtrecht vereinbart worden ist.
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Die von der Antragstellerin geäußerten Bedenken, dass es zu einer Teilung des Vorhabengrundstücks kommen könne, infolgedessen das Geh- und Fahrtrecht für mehrere Grundstücke in Anspruch genommen werde, führen zu keinem anderen Ergebnis. Zum einen sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es zu einer Teilung des Vorhabengrundstücks kommen könnte. Zum anderen lässt eine Veränderung des herrschenden Grundstücks gemäß § 1025 Satz 1 Halbs. 1 BGB die Art, den Inhalt und den Umfang der daran bestehenden Rechte unberührt (Mohr in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2023, § 1025 Rn. 1). Überdies ist die Antragstellerin privatrechtlich durch § 1025 Satz 1 Halbs. 2 BGB geschützt, wonach die Ausübung der Grunddienstbarkeit im Zweifel nur in der Weise zulässig ist, dass sie für den Eigentümer des belasteten Grundstücks nicht beschwerlicher wird.
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(2) Ein nach oben genannter Rechtsprechung etwaig entstehendes Notwegerecht für den Beigeladenen ist ebenso nicht zu befürchten. Das Notwegerecht gemäß § 917 Abs. 1 BauGB entsteht allenfalls für den Eigentümer des Grundstücks, dem eine zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Wege fehlt. Hier hat der jeweilige Eigentümer des herrschenden Grundstücks aber schon eine durch Dienstbarkeit gesicherte Erschließung.
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cc) Sonstige, nachbarschützende Aspekte sind weder ersichtlich noch von der Antragstellerin vorgetragen.
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2. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO abzulehnen. Es entspricht der Billigkeit, dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, weil dieser keinen Antrag gestellt und sich somit keinem Prozessrisiko ausgesetzt hat.
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3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Ziffern 9.7.1, 1.5 des Streitwertkatalogs. Es erscheint angemessen, den für die Hauptsache anzunehmenden Streitwert von EUR 7.500,00 im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.