Titel:
Keine Ansprüche gegen Audi wegen des dort entwickelten, hergestellten und eingebauten 3,0-Liter-Motors (hier: Audi A 5, drei Audi A 6)
Normenketten:
BGB § 249, § 823 Abs. 2, § 826
ZPO § 156, § 287
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 1, Abs. 2
Typgenehmigungsverfahrens-RL Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2022, 21374; KG BeckRS 2023, 2608; OLG Bamberg BeckRS 2023, 10858; BeckRS 2023, 10853; OLG Brandenburg BeckRS 2022, 32170; OLG Braunschweig BeckRS 2022, 28824; BeckRS 2022, 27100; OLG Nürnberg BeckRS 2023, 5896; BeckRS 2023, 5895; BeckRS 2023, 8575; BeckRS 2023, 9333; OLG Zweibrücken BeckRS 2022, 39887; BeckRS 2022, 39888; BeckRS 2022, 18797; OLG München BeckRS 2022, 43580; BeckRS 2023, 7833; BeckRS 2022, 36080 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem Käufer eines vom Diesel-Abgasskandal (möglicherweise) erfassten Fahrzeugs ist kein Schaden entstanden, wenn seine im Wege des Vorteilsausgleichs zu verrechnende Nutzungsentschädigung und der bei Weiterveräußerung des Fahrzeugs erzielte Verkaufserlös zusammen den von ihm aufgewendeten Kaufpreis übersteigen. (Rn. 20 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. An einem Vermögensschaden mangelt es auch, wenn zu keinem Zeitpunkt während der Eigentümerstellung des Käufers die Gefahr bestand, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar sein würde, da die Gefahr eines Rückrufs und mithin der Stilllegung des Fahrzeugs noch nicht einmal abstrakt bestand. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Minderwert als erstattungsfähiger Schaden setzt voraus, dass sich ein solcher in relevanter Weise bei der Weiterveräußerung des Fahrzeugs im erzielten Preis am Markt realisiert hat. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi AG, 3.0 l V6 Dieselmotor, EA 896 Gen2, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, merkantiler Minderwert, (keine) Betriebsbeschränkung oder -untersagung, KBA, Weiterveräußerung
Vorinstanz:
LG Landshut, Endurteil vom 08.09.2022 – 53 O 227/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10910
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 08.09.2022, Az. 53 O 227/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Landshut ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 100 % des von ihr jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu EUR 25.000 festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Klägerin, eine Firma, die im Baugewerbe tätig ist und eine umfangreiche Firmenflotte unterhält, macht gegen die Beklagte deliktische Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Diesel- bzw. Abgasskandal geltend.
2
Sie begehrt Schadensersatz bezüglich folgender, jeweils als Neufahrzeug bei der Beklagten erworbener und von dieser hergestellter Kraftfahrzeuge, die sie zwischenzeitlich sämtlich wieder veräußert hat.
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Im Einzelnen handelt es sich um folgende Fahrzeuge und Kauf- bzw. Verkaufsvorgänge:
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1) Am 12.06.2014 erwarb die Klägerin einen PKW Audi A5 zu einem Kaufpreis in Höhe von EUR 36.407,97 netto (EUR 43.325,48 brutto). Diesen veräußerte sie mit einem Kilometerstand von 36.731 km am 06.10.2016 und erzielte einen Verkaufserlös in Höhe von EUR 26.050,42 netto (EUR 31.000 brutto) (vgl. Anlagenkonvolut K1).
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2) Am 03.03.2012 erwarb die Klägerin einen PKW Audi A6 zum Kaufpreis in Höhe von EUR 37.092,28 netto (EUR 44.139,81 brutto), den sie am 07.07.2015 mit einem Kilometerstand von 170.466 veräußerte. Der Verkaufspreis betrug EUR 15.966 netto (EUR 19.000 brutto) (vgl. Anlagenkonvolut K1).
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3) Am 15.11.2013 erwarb die Klägerin einen PKW A6 zum Kaufpreis in Höhe von EUR 36.145,47 netto (EUR 43.013,11 brutto). Diesen verkaufte sie am 02.11.2017 zu einem Verkaufspreis in Höhe von EUR 11.764,71 netto (EUR 14.000 brutto) mit einem Kilometerstand von 183.174 (vgl. Anlagenkonvolut K1).
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4) Am 13.06.2014 kaufte die Klägerin erneut einen PKW A6 zum Kaufpreis in Höhe von EUR 36.369,15 netto (EUR 43.279,88 brutto). Diesen veräußerte sie am 07.06.2018 mit einem Kilometerstand von 183.484 km und erzielte einen Verkaufserlös in Höhe von EUR 9.243,70 netto (EUR 11.000 brutto).
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Sämtliche Fahrzeuge waren jeweils mit Dieselmotoren des Typs 896 Gen2 der Schadstoffklasse Euro 5 ausgestattet.
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Erstinstanzlich machte die Klägerin Schadensersatz geltend, indem sie die Rückzahlung der geleisteten Nettokaufpreise zuzüglich der Frachtkosten von jeweils EUR 150 pro PKW abzüglich einer Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer auf Basis einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km sowie des erzielten Nettoverkaufserlöses begehrte.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da es an hinreichenden greifbaren Anhaltspunkten für eine sittenwidrige Schädigung der Klägerin durch die Beklagte nach § 826 BGB fehle. Andere deliktische Anspruchsgrundlagen seien nicht anwendbar. Wegen der Einzelheiten wird auf das angegriffene Urteil des Landgerichts Bezug genommen.
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Dagegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 06.10.2022 (Bl. 1 ff d.A.) eingelegte und mit Schriftsatz vom 08.12.2022 (Bl. 15 ff d.A.) begründete Berufung der Klägerin. Zum Vorliegen eines deliktischen Schadensersatzanspruches gegen die Beklagte habe sie hinreichend schlüssig vorgetragen. Auch habe sie einen kausalen Schaden.
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Die Klägerin beantragt zuletzt,
1. Die Beklagtenseite wird verurteilt an die Klägerseite für die Fahrzeuge mit den FIN: ...
einen Betrag in Höhe von 22.664,24 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.12.2021 zu zahlen.
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Hilfsweise wird beantragt:
1. Die Beklagtenseite wird verurteilt an die Klägerseite für die Fahrzeuge mit den FIN: ...
einen Betrag in Höhe von mindestens 22.664,24 €. nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.12.2021 zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Erteilung einer die Mehrwertsteuer ausweisenden Rechnung durch die Klägerin.
2. Die Beklagtenseite wird verurteilt, an die Klägerseite die außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von EUR 1.519,10 nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt zuletzt,
die Klageänderung als unzulässig zurückzuweisen und die Berufung insgesamt zurückzuweisen.
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Die Beklagte behauptet, dass in den streitgegenständlichen Fahrzeugen keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei. Die Fahrzeuge seien auch nicht manipuliert und es würden keine Zulassungsprobleme, gleich welcher Art, drohen. Der Klägerin sei kein Schaden entstanden.
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Zur Ergänzung und wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Ersturteil, die Ladungsverfügung vom 05.01.2023, die Sitzungsniederschrift vom 21.03.2023 sowie die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
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1. Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Die Erweiterung des Berufungsantrags durch die Klägerin ist sachdienlich und begegnet keinen Bedenken (§§ 263, 264 Nr. 2, 533 ZPO).
18
2. Die Berufung bleibt jedoch in der Sache im Haupt- und im Hilfsantrag ohne Erfolg.
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Der Klägerin stehen keine deliktischen Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zu, da sie keinen Schaden hat. Hierbei kann dahinstehen, ob in der jeweiligen Motorsteuerungssoftware der streitgegenständlichen PKW tatsächlich, wie von der Klägerin behauptet und von der Beklagten bestritten, eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut waren. Die Klägerin hat insofern weder vorgetragen, dass die PKW während der Zeit ihrer Eigentümerstellung (und bis heute) einem verpflichtenden Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterlagen noch, dass sie einen Rückrufbescheid oder die Androhung einer Stilllegungsanordnung erhalten hätte. Die Beklagte hat vielmehr für die streitgegenständlichen Fahrzeugtypen bereits erstinstanzlich KBA-Mitteilungen vorgelegt (Anlagen B2-B4), wonach vorliegend keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut seien.
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a) Bezüglich der Fahrzeuge unter Ziffern 2) bis 4) des Tatbestands ist der Klägerin unter Anwendung der maßgeblichen Grundsätze bei einer Weiterveräußerung des inkriminierten Fahrzeugs (vgl. BGH, Urteil vom 20.07.2021 – VI ZR 575/20 –, juris) bereits rechnerisch kein Schaden entstanden, selbst wenn man vorliegend vom Verbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung mit der Folge eines Anspruchs gemäß §§ 826, 31, 249 ff BGB der Klägerin ausginge. Nicht zur Anwendung kommen im übrigen entgegen der Auffassung der Klägerin im Schriftsatz vom 21.03.2023 die Grundsätze für die Berechnung des sog. Restschadensersatzanspruchs gem. §§ 826, 831, 852 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 10.10.2022 – VIa ZR 716/21). Die Einrede der Verjährung wurde nicht erhoben. Im übrigen ist die Berechnung im Schriftsatz vom 21.03.2023, die dem klägerischen Antrag zugrunde liegt, nicht transparent.
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Die Klägerin könnte im Fall eines bestehenden Schadensersatzanspruchs gemäß §§ 826, 249 ff BGB den aufgewendeten Kaufpreis zurückverlangen, im vorliegenden Fall der Weiterveräußerung träte an die Stelle der Rückgabe des PKW die Herausgabe des Veräußerungserlöses (vgl. BGH, Urteil vom 20.07.2021 – VI ZR 675/20 –, juris). Beides ist grundsätzlich, da die Klägerin gewerblich tätig und vorsteuerabzugsberechtigt ist, auf Nettobasis zu berechnen. Ist ein Käufer vorsteuerabzugsberechtigt, erleidet er einen Schaden nur in Höhe des Nettobetrages, da ihm die gezahlte Umsatzsteuer vom Fiskus erstattet wird (vgl. Oetker in MüKo BGB, 9. Auflage, 2022, Rn. 249, 474 zu § 249). Ebenfalls ist die Nutzungsentschädigung aus dem Nettokaufpreis zu berechnen.
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Im Wege der Vorteilsanrechnung ist ein Ersatz der gezogenen Nutzungen vorzunehmen, wobei dem Tatrichter gemäß § 287 ZPO ein Ermessen dahingehend zusteht, die Höhe des Schadensersatzanspruchs unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu bemessen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 –, Rn. 64 ff; Urteil vom 08.03.2021 – VI ZR 505/19 – Rn. 40, juris). Im Rahmen der Vorteilsausgleichung kommt es auf die aus dem erworbenen Fahrzeug (tatsächlich) gezogenen Vorteile an, die vorliegend darin liegen, dass die Klägerin das Fahrzeug genutzt hat. Dabei kann eine Schätzung grundsätzlich auch in der Weise erfolgen, dass der vom Kläger gezahlte Kaufpreis für das Fahrzeug durch die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt geteilt und dieser Wert mit den gefahrenen Kilometern multipliziert wird (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, a.a.O., Rn. 79 ff, juris). Allerdings ist nach Auffassung des Senats vorliegend zu berücksichtigen, dass eine solche rein lineare Berechnung des Nutzungsersatzes nur nach gefahrenen Kilometern und technisch möglicher Gesamtlaufleistung die aus der Nutzung des Fahrzeugs gezogenen Vorteile nicht immer vollständig abbildet. Dies gilt gerade im vorliegenden Fall, in dem die gewerblich tätige Klägerin die PKW alle innerhalb kurzer Zeit von maximal 2 bis 4 Jahren wieder veräußert hat und es ihr daher in besonderem Maße auf die spezifischen Gebrauchsvorteile eines neuen PKW ankam. Es kam ihr mithin gerade nicht darauf an, eine technisch eventuell mögliche Gesamtlaufleistung möglichst weitgehend auszunutzen, sondern sich zeitig eines verhältnismäßig jungen Fahrzeugs wieder zu entledigen. Es ist zu bedenken, dass ein Kfz aufgrund der spezifischen Gebrauchsvorteile eines neuen Fahrzeugs insbesondere im Zuge der technischen Weiterentwicklung auf dem Fahrzeugmarkt gerade in den ersten Jahren allein durch die Alterung in höherem Umfang an Wert verliert als im weiteren Verlauf des Fahrzeuglebens. Diese Faktoren sind bei der Berechnung des Nutzungsersatzes zu berücksichtigen.
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Vorliegend berücksichtigt der Senat daher im Rahmen des Ermessens des § 287 ZPO zunächst, dass die Nutzungsdauer der klägerischen Fahrzeuge auch unabhängig von der tatsächlichen Fahrleistung zeitlich limitiert ist. Als Vergleichswert kann hier etwa Bezug genommen werden auf Ziffer 4.2.1. der Afa-Tabelle für die allgemein verwendbaren Anlagegüter des Bundesministeriums der Finanzen, 15.12.2000, IV D 2-S 1551-188/00, FANR565000000. Dort wird davon ausgegangen, dass beruhend auf Erfahrungen der steuerlichen Betriebsprüfung die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von PKW nur bis zu 6 Jahre beträgt. Auf dieser Grundlage geht der Senat daher von einer maximalen Lebensdauer der streitgegenständlichen PKW von 240.000 km aus.
24
Hieraus ergibt sich bei dem PKW 2) nach der vom BGH anerkannten Berechnung in der Weise, dass der Nettokaufpreis des Fahrzeugs (hier EUR 37.092,34) durch die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt (240.000 km) geteilt und dieser Wert mit den gefahrenen Kilometern (hier 170.466) multipliziert wird, eine Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 26.345,72. Zieht man diese zusammen mit dem Nettoverkaufserlös in Höhe von EUR 15.966 vom Nettokaufpreis ab, bleibt kein erstattungsfähiger Schaden zu Gunsten der Klägerin übrig. Gleiches ergibt sich, wenn man vom Bruttokaufpreis (EUR 43.325,48) den Bruttoverkaufspreis (EUR 19.000) sowie die aus dem Bruttoverkaufspreis berechnete Nutzungsentschädigung (EUR 31.351,40) abzieht. In der gleichen Weise errechnet sich auch bei den streitgegenständlichen PKW 3) und 4) kein zu Gunsten der Klägerin verbleibender Schaden, gleich, ob man die Brutto- oder die Nettokauf- und -verkaufspreise zu Grunde legt.
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b) Darüber hinaus fehlt es bezüglich aller streitgegenständlichen PKW an der hinreichenden Darlegung eines Vermögensschadens der Klägerin, unabhängig davon, auf welche Anspruchsgrundlage das klägerischen Schadensersatzbegehren gestützt wird.
26
Im Hinblick auf den Schadensbegriff des § 826 BGB besteht angesichts des in Bezug auf die klägerischen Fahrzeuge nicht vorhandenen Rückrufbescheids die Gefahr eines Rückrufs und mithin der Stilllegung der klägerischen Fahrzeuge noch nicht einmal abstrakt. Zu keinem Zeitpunkt während der Eigentümerstellung der Klägerin zwischen 2012 und 2018 bestand die Gefahr, dass die Leistung für die Zwecke der Klägerin nicht voll brauchbar sein würde. Die Bejahung eines Vermögensschadens unter dem Aspekt des Eingehens einer ungewollten Verbindlichkeit setzt nicht nur die subjektive Behauptung der Klägerin voraus, die die Auffassung vertritt, der Vertrag sei uner wünscht gewesen, sondern auch, dass die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.20202 – Az. VI ZR 2542/19 – Rn. 46, juris). Entsprechende Gesichtspunkte aus objektiver Sicht des Rechtsverkehrs sind nicht ersichtlich oder aufgezeigt. Dies wird auch nicht durch den Sachvortrag der Klägerin, bezogen auf den Motor EA 189 oder andere, nicht streitgegenständliche Motortypen, bei denen es zu einem verpflichtenden Rückruf durch das KBA kam, ersetzt.
27
Darüber hinaus ist der Klägerin auch kein kausaler Schaden i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB entstanden. Im Rahmen des Schadensersatzanspruchs gemäß § 823 Abs. 2 BGB finden die Regeln des allgemeinen Schadensrechts Anwendung, §§ 249 BGB. Zu ersetzen ist der Differenzschaden (vgl. BGH NJW 2011, 1962 Rn. 8; BeckOK/Förster, 65. Edition 1.2.2023, Rn. 45, 46 zu § 823). Der Schadensbegriff ist objektbezogener als der des § 826 BGB (vgl. obige Ausführungen), im Rahmen dessen bereits die Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit zu ersetzen ist (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 – Rn. 46 ff, juris), was letztlich auch dem Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit dient und dazu führt, dass sich der Schaden nach Erfüllung der kaufvertraglichen Pflichten in dem Verlust des Kaufpreises fortsetzt und auch nach der Veräußerung des PKW fortbesteht (vgl. BGH, Urteil vom 20.07.2021 – VI ZR 575/20 –, juris). Der Schadensbegriff des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. des Art. 5 Abs. 1 und 2 VO 715/2007 (insbesondere im Hinblick auf den Verbau des sog. Thermofensters) bestimmt sich nach dem Schutzzweck der Norm, nämlich dem Schutz vor einer ungültigen oder fehlenden EG-Typengenehmigung bzw. Übereinstimmungsbescheinigung. Unter Anwendung der im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB relevanten Differenzmethode ist der Klägerin vorliegend jedoch kein Schaden entstanden. Ein Minderwert der streitgegenständlichen PKW ist weder im Zeitpunkt des Kaufs noch des Verkaufs durch die Klägerin substantiiert vorgetragen. Es ist insbesondere weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sich ein solcher im streitgegenständlichen Zeitraum in relevanter Weise bei den Verkäufen durch die Klägerin in den erzielten Preisen am Markt realisiert habe. Die Nutzung der PKW durch die Klägerin im Rahmen ihrer zeitlichen Eigentümerstellung zwischen Kauf und Verkauf im Zeitraum 2012 bis 2018 war in keiner Weise eingeschränkt. Auch drohte in dem maßgeblichen Zeitraum ein Rückruf, eine Betriebsbeschränkung oder eine Stilllegungsverfügung noch nicht einmal abstrakt (vgl. amtliche Auskünfte des KBA zu den streitgegenständlichen Fahrzeugtypen, vorgelegt als Anlagen B2-B4). Selbst wenn nachträglich in der Zukunft noch eine Stilllegungsverfügung oder ein amtlicher Rückruf erfolgten sollten, wäre die Klägerin hiervon in ihrer Vermögenslage nicht betroffen. Im übrigen wäre dies ein neuer haftungsrechtlicher Tatbestand, der hier nicht zur Entscheidung ansteht. Selbst wenn die Klägerin aus einer ex-post-Sicht Käuferin eines bzw. mehrerer PKW gewesen sein sollte, der bzw. die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Rahmenrichtlinie in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet gewesen sein sollte bzw. sollten, steht ihr nur dann ein Anspruch auf Schadensersatz zu, wenn ihr durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden tatsächlich entstanden ist (vgl. EuGH, Urteil vom 21.03.2023, Rechtssache C-100/21). Dies wäre ggf. zu bejahen, wenn die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung u.a. eine Unsicherheit in der Möglichkeit der Klägerin hervorgerufen hätte, das Fahrzeug anzumelden, zu verkaufen oder in Betrieb zu nehmen (vgl. EuGH, Urteil vom 21.03.2023, a.a.O., Rn. 84). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Es handelt sich um einen seit 2018 mit dem Verkauf des letzten PKW durch die Klägerin abgeschlossenen Vorgang. Die Klägerin war zu keinem Zeitpunkt seit Abschluss der Kaufverträge bis zur Veräußerung (und darüber hinaus bis zum heutigen Tag) in der Anmeldung, der Inbetriebnahme oder dem Verkauf der streitgegenständlichen PKW durch die behauptete unzulässige Abschalteinrichtung (insbesondere das sog. Thermofenster) negativ beeinträchtigt.
28
Dem Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gem. § 156 ZPO im Schriftsatz vom 13.04.2023 war daher nicht zu entsprechen. Wie ausgeführt, scheitern mögliche Schadensersatzansprüche der Klägerin, gleich aufgrund welcher Anspruchsgrundlage, an der Voraussetzung eines erstattungsfähigen Schadens, auch wenn man den Verbau der streitgegenständlichen Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtungen qualifiziert. Dies gilt gerade auch unter Anwendung der Grundsätze im Urteil des EuGH vom 21.03.2023 (vgl. EuGH, Rs. C-100/21, a.a.O.).
29
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 91, 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
30
Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen, da der Senat den vorliegenden Einzelfall anhand der zitierten Rechtsprechung des BGH entschieden hat.