Inhalt

OLG München, Hinweisbeschluss v. 11.05.2023 – 35 U 7434/22 e
Titel:

Keine Ansprüche gegen Audi wegen des dort entwickelten, hergestellten und eingebauten 3,0-Liter-Motors (hier: AUDI Q7 Quattro)

Normenketten:
BGB § 249, § 823 Abs. 2, § 826
ZPO § 148, § 522 Abs. 2
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2
Typgenehmigungsverfahrens-RL Art. 18 Abs. 1, Art. 46
VwVfG § 24 Abs. 1 S. 1, 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2022, 21374; KG BeckRS 2023, 2608; OLG Bamberg BeckRS 2023, 10858; BeckRS 2023, 10853; OLG Brandenburg BeckRS 2022, 32170; OLG Braunschweig BeckRS 2022, 28824; BeckRS 2022, 27100; OLG Nürnberg BeckRS 2023, 5896; BeckRS 2023, 5895; BeckRS 2023, 8575; BeckRS 2023, 9333; OLG Zweibrücken BeckRS 2022, 39887; BeckRS 2022, 39888; BeckRS 2022, 18797; OLG München BeckRS 2022, 43580; BeckRS 2023, 7833; BeckRS 2023, 10910; BeckRS 2022, 36080 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist nicht ersichtlich, wie dem Käufer ein Schaden aufgrund des Erwerbs eines mit einem Motor des Typs V6 3,0 l TDI Euro 5 ausgestatteten Fahrzeugs entstanden sein könnte, wenn das KBA allgemeingültig für Fahrzeuge des VW-Konzerns mit diesem Motor mitgeteilt hat, dass keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt worden und auch keine Rückrufbescheide ergangen seien, so dass kein Widerruf der Zulassung zum Straßenverkehr drohe. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Darlegung der genauen Wirkungsweise des Thermofensters war im Typengenehmigungsverfahren nach der zur EURO-5- und auch EURO-6-Norm bestehenden Rechtslage nicht erforderlich. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Auch wenn die europarechtlichen Regelungen es erfordern, die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen, liegen die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nicht vor bzw. kann der Käufer von der Herstellerin jedenfalls nicht die (Rück-)Abwicklung des mit dem Verkäufer geschlossenen Kaufvertrags verlangen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
5. Eine Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB scheidet aus, wenn feststeht, dass die für den Vollzug des Schutzgesetzes zuständige Behörde die ex post als irrtümlich erkannte Rechtsauffassung des Schädigers bestätigt hätte, selbst wenn dieser eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt haben sollte. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi AG, 3.0 l V6 Dieselmotor, EA 896 Gen2, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, (keine) Betriebsbeschränkung oder -untersagung, KBA, Manipulation des OBD-Systems, Erkundigung
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Urteil vom 01.12.2022 – 84 O 1018/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10909

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 01.12.2022, Az. 84 O 1018/21 Die, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
3. Innerhalb derselben Frist kann zur Streitwertfestsetzung Stellung genommen werden.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Weder weist der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung auf noch erscheint eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.
2
Die Würdigung durch das Landgericht ist frei von Rechtsfehlern (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO). Unter zutreffender Würdigung des Parteivortrags, der Gesamtumstände sowie der vorgelegten Unterlagen hat das Gericht in 1. Instanz zu Recht die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
II.
3
A. Der Kläger hat aufgrund Bestellung vom 21.03.2012 einen AUDI Q7 Quattro 180 kW der Schadstoffklasse Euro 5 zum Kaufpreis von 66.900 € brutto erworben, der gemäß Kaufvertrag vier Monate auf das veräußernde AUDI-Zentrum zugelassen und mit Stand von 8000 km an den Kläger ausgeliefert wurde. Die Zulassung auf den Kläger erfolgte am 27.09.2012. Der Motortyp ist streitig; die Klagepartei trägt vor, es handele sich um einen Motor der Beklagten des Modells EA897, die Beklagte behauptet, es sei ein Monoturbomotor EA896Gen2. Ausweislich der Zulassungsbescheinigung lautet der Motorkennbuchstabe CRCA.
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Über einen SCR-Katalysator verfügt das Fahrzeug nicht.
5
Am 10.10.2022 betrug der km-Stand 139.636.
6
Der Kläger behauptet das Vorhandensein diverser Abschalteinrichtungen in Form einer Akustikfunktion und eines „Hard cycle beating“ (BB S. 63 ff) anhand der Erkennung bzw. diverser Parameter von
-
Drehzahl
-
Leistung
-
Zeit
-
Geschwindigkeit
-
Nebenverbraucher
-
Lenkradstellung,
die auf dem Prüfstand im Typgenehmigungsverfahren zu verbesserten NOx-Werten im NEFZ führen.
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Zudem behauptet er eine Manipulation des OBD-Systems und gestützt auf Unterlagen der R. B. GmbH diverse Softwarefunktionen im Motorsteuergerät, die ebenfalls als (prüfstandsbezogene) Abschalteinrichtungen aktiv seien.
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Unstreitig ist ein sogenanntes Thermofenster vorhanden, das die Abgasrückführung (AGR), welche der NOx-Reduktion dient, temperaturabhängig verändert.
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B. Ansprüche der Klagepartei wegen etwaiger Abschalteinrichtungen bestehen nicht.
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1. Weshalb die Klagepartei – nach Kenntnis des Senats aufgrund der ständigen Befassung mit „Diesel-Verfahren“ offenbar nur noch von der Klägerkanzlei praktiziert – Deliktszinsen geltend macht, obwohl auf diese nach der klaren und ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in sogenannten Diesel-Fällen kein Anspruch besteht (vgl. etwa Urteil vom 30.7.2020 – VI ZR 354/19) und die Geltendmachung einer solchen erheblichen Forderung das Risiko eines Teilunterliegens und entsprechende Kostentragungspflicht auch bei Obsiegen in der Hauptsache (§ 92 Abs. 1 ZPO: hier mit ca. 2/5) begründet, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Angesichts der erheblichen Zuvielforderung auch von Deliktszinsen war im Übrigen auch das vorgerichtliche Aufforderungsschreiben (Schreiben vom 27.01.2021 als Anlage zur Berufungsbegründung, nicht nummeriert) ungeeignet, Annahmeverzug herbeizuführen (BGH, Urteil vom 2.2.2021 – VI ZR 449/20 Rn. 9 m.w.N.).
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2. Angesichts der Verwendung einer ggf. unternehmensbezogenen E-Mail-Adresse … in den Kaufunterlagen kommt ggf. eine Vorsteuerabzugsberechtigung des Klägers in Betracht. Im vorgerichtlichen Anspruchsschreiben wurde er als „undefined …“ bezeichnet, was ebenfalls als Hinweis auf eine Unternehmensbezeichnung verstanden werden könnte. Eine Vorsteuerabzugsberechtigung hätte Auswirkung auf die Höhe eines etwaigen ersatzfähigen Schadens (Nettokaufpreis abzüglich einer aus dem Bruttokaufpreis errechneten Nutzungsentschädigung).
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3. Die „neuesten Erkenntnisse“ aus Unterlagen der R… B… GmbH betreffen weitgehend, soweit sich die Klagepartei hierauf berufen will, die Steuerung von SCR-Katalysatoren. Dies ist schon bei den ersten vier Funktionen, auf die die Berufung abstellt und die klar mit SCR bezeichnet sind oder sich auf die Harnstoffdosierung beziehen offensichtlich (BB S. 7: SCRLDGmain, Kälteerkennung im DCU, NOx-Rohemissionsmodell, Abgasheizen).
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Ein solcher Katalysator ist offensichtlich – und wie die Beklagte unbestritten vorgetragen hat – in dem 2012 unter der Schadstoffnorm Euro 5 erstzugelassenen Fahrzeug (vgl. Zulassungsbescheinigung Teil I) gar nicht vorhanden. Eine Relevanz des Berufungsvorbringens und der Unterlagen der R. B. GmbH für das streitgegenständliche Fahrzeug ist nicht erkennbar. Bezüglich der OBD-Funktion DNOx-Ctrl, SCR-Ctrl ist keine Einwirkung auf die Abgasreinigung ersichtlich, da das OBD nicht Teil des Emissionskontrollsystems ist, und hinsichtlich der letzten Funktion SYSB FC-ARB ist lediglich – wie im Übrigen auch hinsichtlich der anderen Funktionen – die Möglichkeit einer unzulässigen Verwendung aufgezeigt, was jedoch keinen greifbaren Anhaltspunkt für den tatsächlichen (und missbräuchlichen) Einsatz bedeutet.
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Aus demselben Grund liegen die mehrseitigen Ausführungen der Berufung zu den von der AUDI-AG eingesetzten Strategien A bis F neben der Sache, auch diese beziehen sich auf SCR-Katalysatoren, bei denen AdBlue zum Einsatz kommt; im klägerischen Fahrzeug ist ein solches System nicht vorhanden.
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4. Greifbare Anhaltspunkte für das Vorhandensein sonstiger unzulässiger Abschalteinrichtungen (mit Ausnahme eines Thermofensters) trägt die Klagepartei nicht vor. Soweit die Berufung vorträgt, das Erstgericht „verkennt vollkommen“, dass ein verpflichtender Rückruf keine Voraussetzung für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung sei (BB S. 4 oben) ist dies schlichtweg falsch, vielmehr setzt sich das Landgericht mit dieser Frage inhaltlich und im Ergebnis völlig zutreffend auseinander (LGU S. 7 oben).
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5. Das KBA hat allgemeingültig für Fahrzeuge des VW-Konzerns mit Motoren des Typs V6 3,0 I TDI Euro 5 – wie hier dem streitgegenständlichen – mitgeteilt, dass keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt worden und auch keine Rückrufbescheide ergangen seien (Anlage B1). Damit ist auch nicht ersichtlich, dass dem Kläger ein Schaden aufgrund des Erwerbs eines von einem Widerruf zum Straßenverkehr bedrohten Fahrzeugs entstanden sein könnte.
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a) Die Klagepartei zeigt keine greifbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen einer vorhandenen Abschalteinrichtung auf, die manipulativ zu unterschiedlichem Emissionsverhalten auf dem Prüfstand im Typgenehmigungsverfahren einerseits und im Realbetrieb andererseits verwendet worden sein könnte. Die Ausführungen der Klagepartei zu den Anforderungen an beachtlichen Sachvortrag unter Bezugnahme auf die Entscheidung BGH III ZR 202/20 gehen fehl. Denn dort wurde der Umstand abweichender Messwerte bei RDE-Fahrten durch die DUH für sich alleine genommen nicht für ausreichend angesehen, vielmehr waren weitere (alleine) prüfstandsbezogene Punkte unstreitig.
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b) Der Verweis auf abweichende Messergebnisse der Deutschen Umwelthilfe bei RDE-Fahrten, sofern diese überhaupt das streitgegenständliche Fahrzeugmodell betreffen, ist außerdem unerheblich angesichts der klaren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach solche Abweichungen ungeeignet sind, greifbare Anhaltspunkte für eine Abschalteinrichtung zu begründen, geschweige denn für eine Manipulationssoftware, die die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllen könnte, angesichts der unstreitigen gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die Messung im NEFZ einerseits und bei RDE-Fahrten andererseits erfolgt (BGH, Beschluss vom 15. September 2021 – VII ZR 2/21 –, Rn. 30, juris, BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20 –, Rn. 23, juris; BGH, Hinweisbeschluss v. 15.9.2021 – VII ZR 2/21, BeckRS 2021, 37995 Rn. 30).
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c) Ebenso wenig ist relevant, dass und welche Abschalteinrichtungen die Beklagte in Fahrzeugen für den US-Markt verwendet hat (S. 56 BB), insoweit begründen auch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen keine greifbaren Anhaltspunkte für das Vorhandensein in Fahrzeugen auf dem europäischen Markt.
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d) Gegenstand der Anklageschrift KD 16 sind zudem lediglich Fahrzeuge der Schadstoffnorm Euro 6 mit den beschriebenen Strategien A bis F in Bezug auf die Steuerung des SCR-Katalysators und der AdBlue-Dosierung. Mangels SCR-Katalysators im klägerischen Fahrzeug ergeben sich daher auch aus der Anklage keine greifbaren Anhaltspunkte für Manipulationen an Fahrzeugen der Schadstoffklasse Euro 5 ohne ein solches Abgasreinigungssystem. Vielmehr stellt auch die Anklageschrift explizit darauf ab, dass die dort beschriebenen Manipulationen vor dem Hintergrund der Einführung der SCR-Technologie entwickelt wurden (S. 10 ff KD16).
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e) Bezüglich der Akustikfunktion, die noch für Fahrzeuge der Schadstoffklasse Euro 4 entwickelt worden war, geht die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft München II sogar von deren Deaktivierung in der – hier streitgegenständlichen – Euro-5-Motorreihe aus (S. 15 KD16).
6. Thermofenster
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a) Ob in dem Fahrzeug der Klagepartei ein im Prüfstand und im realen Fahrbetrieb gleichermaßen zur Anwendung kommendes Thermofenster vorliegt, bei dem die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert wird und ab welchen Temperaturen die Abgasrückführung zurückgefahren wird, kann ebenso dahin stehen wie die Frage, ob dies unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 17.12.2020 – C 693/18 – (juris) in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt. Unterschiede in der Abgasreinigung auf Prüfstand und im Realbetrieb (im selben Temperatur- und Höhenbereich) legt die Klagepartei nicht dar.
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b) Zudem ist nach den Beschlüssen des Bundesgerichtshofs vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19 und vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20 das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ausgestattet und in den Verkehr gebracht hätten. Dies hat der BGH auch in seinem Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20 bestätigt. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit bedarf des Hinzutretens weiterer Umstände, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Die Annahme objektiver Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen.
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c) Hinweise für einen vorsätzlichen Verstoß ergeben sich auch nicht aus der konkreten Ausgestaltung des Thermofensters. Eine nur punktuelle, exakt auf den Prüfstand begrenzte Wirkungsweise legt die Klagepartei nicht konkret dar, vielmehr geht auch sie davon aus, dass im Realbetrieb im vom NEFZ vorgegebenen Temperaturfenster (ggf. nach entsprechender Aufwärmung wie auch im NEFZ vorgesehen) die Werte eingehalten werden, somit keine Unterschiede auf Prüfstand und im Realbetrieb innerhalb desselben Temperaturbereichs auftreten.
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d) Auch der Verweis auf mangelnde Angaben im Typgenehmigungsverfahren vermag der Klagepartei nicht zum Erfolg zu verhelfen. Die Darlegung der genauen Wirkungsweise des Thermofensters war im Typengenehmigungsverfahren nach der zur EURO-5- und auch EURO-6-Norm bestehenden Rechtslage gerade nicht erforderlich. Aus einer etwaig unterbliebenen Offenlegung der genauen Wirkungsweise des Thermofensters gegenüber dem KBA folgen daher keine Anhaltspunkte, dass für die Beklagte tätige Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Selbst wenn die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren – erforderliche – Angaben zu den Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu prüfen (vgl. OLG München, Beschluss vom 1. März 2021 – 8 U 4122/20, juris Rn. 63; OLG Nürnberg, Beschluss vom 27. Juli 2020 – 5 U 4765/19, BeckRS 2020, 17693 Rn. 17; Führ, NVwZ 2017, 265, 269). Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 Rn. 24, ZIP 2021, 297), legt die Klagepartei jedoch nicht dar.
7. OBD
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Ansprüche der Klagepartei lassen sich auch aus der behaupteten Manipulation des OBD nicht ableiten. Ein „On-Board-Diagnosesystem“ oder „OBD-System“ ist ein System für die Emissionsüberwachung, das in der Lage ist, mithilfe rechnergespeicherter Fehlercodes den Bereich von Fehlfunktionen anzuzeigen (Art. 3 Nr. 9 VO 715/2007/EG). Das Fahrzeug ist mit einem solchen System auszustatten (Art. 4 Nr. 1 VO 692/2008/EG). In Art. 4 Nr. 2 VO 692/2008/EG wird verlangt, dass es so ausgelegt, gebaut und im Fahrzeug installiert ist, dass es in der Lage ist, während der gesamten Lebensdauer des Fahrzeugs bestimmte Arten von Verschlechterungen oder Fehlfunktionen zu erkennen. Nach Absatz 2.1 des Anhangs XI der VO 692/2008/EG entsprechen die Vorschriften und Prüfungen für OBD-Systeme denen in Anhang 11 Absatz 3 der UN/ECE-Regelung Nr. 83. Diese sieht etwa in der zum 23. Juni 2011 in Kraft getretenen Fassung (ABl. 2012 L 42/1, S. 174) in Absatz 3.3.2 des Anhangs 11 vor, dass das OBD-System die Fehlfunktionen eines emissionsrelevanten Bauteils oder Systems anzeigen muss, wenn diese Fehlfunktion dazu führt, dass die Abgasemissionen bestimmte Schwellenwerte übersteigen. Daraus ist zu schließen, dass Veranlassung des OBD-Systems für eine Messung von Schwellenwerten (diese modifiziert im Anhang XI zur VO 692/2008/EG) nur im Fall des Ausfalls emissionsrelevanter Bauteile oder Systeme besteht; hingegen ist es nicht Aufgabe des OBD-Systems, konstante Messungen der Schadstoffemissionen vorzunehmen und bei Überschreitung bestimmter Schwellenwerte Signale zu setzen bzw. zu speichern (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 28. Januar 2021 – 18 U 21/20, juris Rn. 164; OLG Oldenburg, Urteil vom 22. Juli 2021 – 8 U 201/20, juris Rn. 44 ff; OLG Saarbrücken, Urteil vom 15. Dezember 2021 – 2 U 68/21, juris Rn. 53; siehe auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 30. Oktober 2020 – 17 U 296/19, juris Rn. 72).
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8. Ansprüche der Klagepartei aus Schutzgesetzverletzung (§ 823 Abs. 2, i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder den Normen der Verordnung (EG) Nr. 715/2007) bestehen ebenfalls nicht.
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a) Eine im Ermessen des Senats stehende klägerseits angeregte (BB S. 28) Aussetzung analog § 148 ZPO war daher nicht veranlasst, zudem liegt die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-100/21 vom 21.03.2023 bereits vor.
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b) Mit der Auffassung, dass selbst bei einer unterstellten Schutzgesetzverletzung ein Rückabwicklungsanspruch nicht besteht, befindet sich der Senat in Übereinstimmung mit zahlreichen Obergerichten, wonach der Beklagten kein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen ist bzw. jedenfalls kein Anspruch auf Rückabwicklung des (ggf. mit einem Dritten) geschlossenen Kaufvertrages in Betracht kommt, (vgl. OLG Brandenburg 10. Beschluss vom 09.01.2023 – 10 U 120/21 BeckRS 2023, 254 Rn. 40 ff.; OLG Koblenz Urteil vom 04.01.2023 – 13 U 1428/22 BeckRS 2023, 257 R. 6 ff; OLG Dresden, Urteil vom 15.08.2022 – 10 U 603/22 BeckRS 2022, 21940 Rn. 13 ff.; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 03.08.2022 – 9 U 71/21 BeckRS 2022, 20425 Rn. 72 ff.; KG, Beschluss vom 28.07.2022 – 4 U 1/22 BeckRS 2022, 20432 Rn. 93 ff.; OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 12.08.2022 – 16 U 1500/19 BeckRS 2022, 21211; keine Fahrlässigkeit: OLG Hamm, Urteil vom 02.08.2022 – 13 U 133/21 BeckRS 2022, 20443 Rn. 68 ff).
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Auch wenn nach der Entscheidung des EuGH vom 21.03.2023 die europarechtlichen Regelungen es erfordern, die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen, liegen die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nicht vor (siehe sogleich Ziffern (1) und (2)) bzw. kann die Klagepartei von der Beklagten jedenfalls nicht die (Rück-)Abwicklung des mit dem Verkäufer geschlossenen Kaufvertrags verlangen (siehe Ziffer (3)).
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(1) Es fehlt bereits an einem objektiven Verstoß gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV.
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(a) § 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV schreibt vor, dass Fahrzeuge nur dann in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV hat der Inhaber der EG-Typgenehmigung für jedes dem genehmigten Typ entsprechende Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung nach Artikel 18 in Verbindung mit Anhang IX der Richtlinie 2007/46/EG auszustellen und dem Fahrzeug beizufügen.
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Die Übereinstimmungsbescheinigung ist nach der Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge zugrundeliegenden Richtlinie 2007/46/EG ein vom Hersteller ausgestelltes Dokument, mit dem bescheinigt wird, dass ein Fahrzeug aus der Baureihe eines nach dieser Richtlinie genehmigten Typs zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen Rechtsakten entspricht (Art. 3 Nr. 36 der Richtlinie 2007/46/EG). Gemäß Art. 3 Nr. 3 der Richtlinie 2007/46/EG beschreibt die Typgenehmigung das Verfahren, nach dem ein Mitgliedstaat bescheinigt, dass ein Typ eines Fahrzeugs den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen entspricht.
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(b) Die Beklagte hat die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verletzt, da das Fahrzeug der Klagepartei mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist.
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Die der Übereinstimmungsbescheinigung zugrundeliegende Typgenehmigung stellt einen Verwaltungsakt gemäß § 35 VwVfG dar (OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. Juni 2021 – 11 U 173/20, juris Rn. 36; OLG Stuttgart, Urteil vom 22. September 2020 – 16 a U 55/19, juris Rn. 54; OLG Celle, Urteil vom 13. November 2019 – 7 U 367/18, juris Rn. 38; Schröder, DVBl 2017, 1193, 1194). Diesem kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sog. Tatbestandswirkung zu, die – solange der Verwaltungsakt nicht durch die zuständige Behörde oder ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist – zur Folge hat, dass die Zulässigkeit des beanstandeten Verhaltens einer Nachprüfung durch die Zivilgerichte entzogen ist (BGH, Urteile vom 14. Juni 2007 – I ZR 125/04, juris Rn. 14, vom 30. April 2015 – I ZR 13/14, juris Rn. 31; vom 16. März 2021 – VI ZR 773/20, juris Rn. 12; vom 4. August 2020 – II ZR 174/19, juris Rn. 35; vom 12. Januar 2007 – V ZR 268/05, juris Rn. 11; vom 4. Februar 2004 – XII ZR 301/01, juris Rn. 13; siehe auch: BeckOK VwVfG/Schemmer, 49. Ed., § 43 VwVfG Rn. 28; OLG Stuttgart, Urteil vom 22. September 2020 – 16 a U 55/19, juris Rn. 54; OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. Juni 2021 – 11 U 173/20, juris Rn. 50; OLG Celle, Urteil vom 13. November 2019 – 7 U 367/18, juris Rn. 38; ausdrücklich zum EA 288: OLG Oldenburg, Urteile vom 30. Juli 2021 – 6 U 92/21, juris; vom 17. August 2021 – 6 U 23/21, juris; OLG Celle, Urteil vom 9. Dezember 2020 – 7 U 1738/19, juris).
36
Der Senat hat daher den verfügenden Teil des Verwaltungsakts – seinen Ausspruch, dass der Typ des klägerischen Fahrzeugs den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen entspricht – ohne inhaltliche Prüfung der Richtigkeit der darin getroffenen Regelung seiner Entscheidung zugrunde zu legen (BGH, Urteile vom 4. August 2020 – II ZR 174/19, juris Rn. 36; vom 12. Januar 2007 – V ZR 268/05, juris Rn. 11; vom 16. März 2021 – VI ZR 773/20, juris Rn. 12). Dies gilt auch dann, wenn die Beklagte bei der Beantragung der Typgenehmigung erforderliche Angaben zu den Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, da die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG gehalten gewesen wäre, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu prüfen (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, juris Rn. 26).
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Die Einordnung von Thermofenstern mit einer bestimmten Bedatung als unzulässige Abschalteinrichtung durch den Europäischen Gerichtshof rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn selbst wenn das Fahrzeug der Klagepartei überhaupt oder noch immer mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen sein sollte, führte dies nicht (automatisch) zur Unwirksamkeit der Typgenehmigung, sondern allenfalls zu deren Rechtswidrigkeit. Ein Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 44 Abs. 1 VwVfG ist in der Abschalteinrichtung nicht zu erblicken, da ein Verstoß gegen EU-Recht allein keinen schwerwiegenden Fehler im Sinne dieser Vorschrift darstellt (BGH, Urteil vom 14. Juni 2007 – I ZR 125/04, juris Rn. 23; Huck/Müller/Müller, VwVfG, 3. Aufl., § 44 Rn. 10). Dem Grundsatz der Effektivität des Gemeinschaftsrechts wird durch § 25 EG-FGV hinreichend Rechnung getragen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2007 – I ZR 125/04, juris Rn. 23).
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Da auch objektive Anhaltspunkte für eine absichtliche Täuschung des KBA fehlen (zur insoweit fehlenden Bindungswirkung der behördlichen Genehmigung vgl.: OLG Celle, Urteil vom 13. November 2019 – 7 U 367/18, juris Rn. 39 OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. Juni 2021 – 11 U 173/20, juris Rn. 37; OLG Stuttgart, Urteil vom 22. September 2020 – 16 a U 55/19, juris Rn. 68) – die Beklagte hat gegenüber dem KBA im Rahmen der Gesamttypgenehmigung die Temperaturabhängigkeit der Abgasreinigung ausreichend offengelegt (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, juris Rn. 26) –, ist die Typgenehmigung nicht erschlichen worden und daher auch nicht aus diesem Grund unwirksam.
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Bei der Übereinstimmungsbescheinigung selbst handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt, sondern eine (Wissens-)Erklärung des Herstellers (Schröder, DVBl 2017, 1193, 1196). Aus Art. 18 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2007/46/EG ergibt sich, dass sich die Erklärung insbesondere darauf bezieht, dass das konkrete Fahrzeug in Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ hergestellt wurde. Daraus folgt für die Gültigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung, dass sie nicht anders beurteilt werden kann als die Wirksamkeit der Typgenehmigung. Die Übereinstimmungsbescheinigung partizipiert also insoweit an der Tatbestandswirkung der Typgenehmigung, als dass sie – soweit die übrigen Voraussetzungen des Art. 18 der Richtlinie 2007/46/EG gegeben sind (vgl. insoweit Schröder, DVBl 1193, 1197) – von den Zivilgerichten soweit und solange als gültig zu betrachten ist, soweit und solange die ihr zugrunde liegende Typgenehmigung wirksam ist.
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Dies entspricht auch den Ausführungen des EuGH im Urteil vom 21.03.2023, wonach die Behörden der Mitgliedstaaten entweder entscheiden, dass die Typgenehmigung entzogen wird, ob eine neue Typgenehmigung zu erteilen ist oder aber notwendige Maßnahmen (einschließlich eines etwaigen Entzuges der Typgenehmigung) ergreifen, um sicherzustellen, dass die Fahrzeuge mit dem jeweils genehmigten Typ in Übereinstimmung gebracht werden (Rn. 83). Unstreitig droht jedenfalls nach den bisherigen Erkenntnissen Derartiges nicht, da in Bezug auf die Typgenehmigung des klägerischen Fahrzeuges keinerlei Maßnahmen angekündigt oder eingeleitet sind.
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(2) Es fehlt überdies an dem gemäß § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB (i.V.m. § 37 Abs. 1 EG-FGV) erforderlichen Verschulden der Beklagten.
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(a) Eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB setzt schuldhaftes Handeln voraus, wobei sich das Verschulden nach h.M. nur auf die Verletzung des Schutzgesetzes und nicht auch auf die Verletzung des betroffenen Rechtsguts beziehen muss (Staudinger/Hager, BGB (2021), § 823 G, Rn. 34). Mit Blick auf den für eine Haftung der Beklagten erforderlichen Verschuldensgrad wäre im Fall der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV fahrlässiges Handeln ausreichend (Staudinger/Hager, BGB (2021), § 823 G, Rn. 37). Eine Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB scheidet allerdings aus, wenn feststeht, dass die für den Vollzug des Schutzgesetzes zuständige Behörde die ex post als irrtümlich erkannte Rechtsauffassung des Schädigers bestätigt hätte, selbst wenn dieser eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt haben sollte (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl., § 823 Rn. 610; Staudinger/Hager, BGB (2021), § 823 G, Rn. 38; BeckOK BGB/Förster, 62. Ed., § 823 Rn. 285; BGH, Urteil vom 27. Juni 2017 – VI ZR 424/16, juris Rn. 15 ff.).
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(b) Dies zugrunde gelegt ist ein Verschulden der Beklagten zu verneinen (so auch: OLG Hamm Urteil vom 2. August 2022 – 13 U 133/21, juris Rn. 90).
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Wie sich aus den dem Verfahren C-134/20 des Europäischen Gerichtshofs zugrundeliegenden Feststellungen ergibt, genehmigte das KBA das Software-Update, das auf Fahrzeuge mit dem Motor EA 189 aufgespielt wurde. Dieses Update enthielt ein Thermofenster, das einen schadstoffarmen Modus nur dann gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1.000 Höhenmetern erfolgt (EuGH, Urteil vom 14. Juli 2022 – C-134/20 Rn. 19 u. 24 f.). Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass das KBA, das – insoweit entgegen dem EuGH – bis heute von der generellen Zulässigkeit der Thermofenster ausgeht, ein ebenso bedatetes auch bei hiesigem Motortyp der hiesigen Beklagten genehmigt hätte.
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Dieser Schluss wird durch die zahlreichen in „Parallelverfahren“ erteilten amtlichen Auskünfte des KBA bestätigt. In diesen hat es erklärt, dass es – u.A. im Rahmen der „Untersuchungskommission Volkswagen“, des Software-Updates Nationales Forum Diesel sowie spezifischer Feldüberwachungstätigkeiten – sehr umfassende Untersuchungen an Fahrzeugen der V. AG mit EA 288-Motoren durchgeführt (u.A. Softwareanalysen und Messungen) und dabei auch mit Blick auf das Thermofenster keine Unzulässigkeit festgestellt habe. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Thermofenster mag diese Bewertung des KBA inhaltlich falsch sein. Die Auskünfte belegen jedoch, dass das KBA die temperaturabhängige Steuerung der Abgasreinigung (Thermofenster) – auch in der ursprünglichen Bedatung – im Gesamttypgenehmigungsverfahren nicht beanstandet, sondern die Typgenehmigung erteilt hätte (vgl. auch die den EA 288 des der V. AG betreffenden Feststellungen des Oberlandesgerichts Saarbrücken, Urteil vom 15. Dezember 2021 – 2 U 68/21, juris Rn. 36).
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Schließlich hat das KBA in einem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart für Fahrzeuge des Volkswagenkonzerns mit dem Motor V6-TDI Euro 5 Generation 2 allgemeingültig mitgeteilt, dass die Verwendung von Thermofenstern dem KBA prinzipiell bekannt war. Auf ausdrückliche Frage des dortigen Senats hat es erklärt, dass ihm der exakte Wirkbereich zum Zeitpunkt der Erteilung der Typgenehmigung zwar nicht bekannt gewesen war, es die Genehmigung jedoch auch bei einer Angabe der konkreten Parameter erteilt hätte (Auskunft des KBA vom 11. September 2020 im Verfahren 16 a U 194/19 des Oberlandesgerichts Stuttgart). Gleichlautende Auskünfte sind dem Senat u.A. auch aus den hiesigen Verfahren 35 U 9412/21 und 35 U 7269/21 bekannt. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass das KBA auch hinsichtlich des verfahrensgegenständlichen Fahrzeugtyps eine Typengenehmigung erteilt hätte, hätte die hiesige Beklagte die konkrete Bedatung ihres Thermofensters offengelegt.
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Konkret in Bezug auf die A. AG hat das KBA selbst nach Feststellung eines solchen Thermofensters keine Unzulässigkeit feststellen können und daher keine verpflichtenden Maßnahmen angeordnet, sondern es wurde lediglich eine freiwillige Maßnahme des Herstellers zur Luftverbesserung angeboten. Insbesondere hat das KBA ausgeführt, dass infolge des Vorhandenseins von Ladeluftkühlern bei modernen Motoren die Korrektur der AGR mittels Thermofensters hin zu extremen Außentemperaturen etwa bei tiefem Frost (- 10 Grad Celsius) verschoben werden könne (Auskunft KBA an das OLG Hamm vom 11.09.2020, Anlage B3 zu einem 3,0-I Motor mit 150 kW Euro 5). Bereits dies zeigt, dass eine die meiste Zeit bei üblichen Umgebungstemperaturen im Unionsgebiet wirksame Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters nicht in jedem Fall vorliegt und selbst bis ins Jahr 2020 hinein die zuständige Behörde keine Unzulässigkeit feststellen konnte.
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(3) Schließlich könnte die Klagepartei aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, § 249 BGB allenfalls einen Anspruch auf Beseitigung des Thermofensters (falls vorhanden) oder Veränderung desselben auf ein zulässiges Maß geltend machen und nicht – wie von ihr beantragt – auf (Rück-)Abwicklung des Kaufvertrags.
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Die Auffassung des Senats steht im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und nicht in Widerspruch zur Auffassung des EuGH, da auch hierdurch die Interessen eines Erwerbers geschützt werden, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist.
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Sie ist auch ohne Weiteres mit der Entscheidung des EuGH vom 21.03.2023 (C-100/21) vereinbar. Es besteht primär „ein Anspruch darauf, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestattet ist“(Rn. 89). Die bloße „Unsicherheit hinsichtlich der Möglichkeit, das Fahrzeug anzumelden, zu verkaufen und in Betrieb zu nehmen“ per se nennt der EuGH jedenfalls nicht als den eigentlichen Schaden, sondern er führt an, diese könne „letztlich … zu einem Schaden führen“ (Rn. 84 a.E.). Auch unter Rn. 95 stellt der EuGH die Frage der Anrechnung der Nutzungsentschädigung unter den Vorbehalt, dass „im Zusammenhang mit dem Einbau … ein Schaden entstanden ist“, bzw. (Rn. 96 und Urteilstenor Ziff. 2) „tatsächlich entstanden ist“.
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(a) Eine Schadensersatzpflicht nach § 249 BGB besteht nur, wenn der geltend gemachte Schaden nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fällt (Grüneberg, BGB, 81. Aufl., Vorb v § 249 Rn. 29). Verfahrensrechtlich ist für die Schadensbemessung der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17, juris Rn. 25 m.w.N.; Grüneberg, BGB, 81. Aufl., Vorb v § 249 Rn. 127).
52
(b) Daran gemessen kann die Klagepartei von der Beklagten nicht die (Rück-)Zahlung des bezahlten Kaufpreises verlangen.
53
Wie oben ausgeführt, sollen die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV sicherstellen, dass Fahrzeuge nur dann in den Verkehr gebracht werden, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind. Selbst wenn man also davon ausgehen sollte, dass das Thermofenster, sein Vorhandensein unterstellt, als unzulässige Abschalteinrichtung dazu führt, dass keine gültige Übereinstimmungsbescheinigung vorliegt und die Beklagte dies verschuldete, kann sich aufgrund des Schutzzwecks der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus § 823 Abs. 2 BGB zwar ein Anspruch gegen den Inhaber der EG-Typgenehmigung auf Beifügung einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung (in Form der Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung), nicht aber auf (Rück-)Abwicklung eines Kaufvertrags mit dem Hersteller oder mit einem Dritten ergeben.
54
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu einem sich aus § 826 BGB ergebenden Schadensersatzanspruch von Käufern eines Fahrzeugs mit einem Motor EA 189 gegen den Hersteller auf (Rück-)Abwicklung des Kaufvertrags steht hierzu nicht in Widerspruch. Denn soweit der Bundesgerichtshof den Schaden in diesen Fällen in dem Abschluss eines Kaufvertrags über ein bemakeltes Fahrzeug gesehen hat (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 44), hat er dies ausdrücklich auf § 826 BGB beschränkt indem er ausgeführt hat, dass sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer „ungewollten“ Verpflichtung wieder befreien können muss und eine solche daher einen gemäß § 826 BGB zu ersetzenden Schaden darstellen kann (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 47). § 826 BGB bewirke insoweit einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen (BGH, a.a.O.).
55
Dies ist bei den § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV und den ihnen zugrundeliegenden Regelungen der EU-Richtlinie 2007/46 indes nicht der Fall (vgl. BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 72 ff; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, juris Rn. 10 ff.). Wie der Bundesgerichtshof unter dem Gesichtspunkt der Schutzgesetzqualität dieser Normen ausgeführt hat, liegt das Interesse der Klagepartei, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, grds. nicht in deren Aufgabenbereich (BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 76; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, juris Rn. 11).
56
Insoweit verbleibt es auch unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 21.03.2023 dabei, dass für die Bemessung des Schadens der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung maßgeblich ist (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 57 m.w.N.). Denn die Erwägungen des Bundesgerichtshofs in den Motoren des Typs EA189 betreffenden Fällen, dass die Durchführung eines Updates den mit dem Vertragsschluss entstandenen Anspruch eines Käufers auf (Rück-)Zahlung des für das bemakelte Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nicht entfallen lassen, sind auf den dort zugesprochenen Anspruch gemäß § 826 BGB begrenzt (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 58). Da der Klagepartei aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, § 249 BGB nur die Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung verlangen kann, kann dieser Anspruch durch das Aufspielen eines entsprechenden Updates sehr wohl zum Erlöschen gebracht werden.
57
Die Ausführungen der Klagepartei dazu, dass ein solches Update unzureichend sei und die Gefahr weiterer Mängel hervorrufe, erfolgen erstmals in der Berufungsbegründung, so dass – Entscheidungserheblichkeit unterstellt – eine Zulassung grundsätzlich nur nach Maßgabe des § 531 Abs. 2 ZPO in Betracht käme.
58
(4) Das gefundene Ergebnis erfüllt die Voraussetzungen des europarechtlichen Effektivitätsgrundsatzes (siehe dazu Urteil des EuGH v. 21.03.2023 Rn 90, 93).
59
Dass § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB etwaige Ersatzansprüche von einem Verschulden abhängig macht, verstößt nicht gegen europarechtliche Grundgedanken. Der EuGH äußert sich in der vorgenannten Entscheidung hierzu nicht, sondern stellt die Ausgestaltung des Schadensersatzanspruchs unter den Vorbehalt nationalen Rechts (Tenor Ziff. 2). Auch der Generalanwalt beim EuGH geht davon aus, dass die Richtlinie 2007/46/EG die Mitgliedstaaten zur Verfügungstellung von Ersatzansprüchen des Erwerbers gegen den Hersteller nur insoweit verpflichtet, als der Hersteller ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenes Fahrzeug schuldhaft in Verkehr gebracht hat (Schlussanträge vom 2. Juni 2022 – C-100/21 Rn. 54).
60
Der vom Senat als möglich erachtete Anspruch auf Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung ist eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion im Sinne des Art. 46 der Richtline 2007/46/EG gegen den Hersteller. Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Generalanwalt die Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG herleitet, die besagt, dass die Mitgliedstaaten die Sanktionen festlegen, die bei Verstößen gegen die in Anhang IV Teil I aufgeführten Rechtsakte anzuwenden sind, und alle für ihre Durchführung erforderlichen Maßnahmen mit wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen ergreifen. Der Richtliniengeber hat den Mitgliedstaaten bei der Bestimmung der Art der Sanktionen freie Hand gegeben. Daraus folgt, dass wenn ein Mitgliedstaat mehrere Sanktionen ergriffen hat, bei der Beurteilung der Effektivität der Maßnahmen das rechtliche Gesamtgefüge maßgeblich ist und der Blick nicht auf Ansprüche einzelner Käufer gegen den Hersteller verengt werden darf.
61
Die in der Bundesrepublik Deutschland zur Erfüllung der Verpflichtung gemäß Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten sind ausreichend effektiv. Abgesehen davon, dass § 37 Abs. 1 EG-FGV vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen § 27 Abs. 1 Satz 1 FG-FGV mit einem Bußgeld belegt, sehen die §§ 29 a, 30 OWiG die Möglichkeiten vor, Geldbußen gegen juristische Personen zu verhängen und Taterträge einzuziehen. Die deutschen Gerichte haben im Zusammenhang mit dem sog. „Dieselskandal“ von diesen Vorschriften Gebrauch gemacht und gegen die V. AG eine Geldbuße und eine Einziehung in Höhe von einer Milliarde Euro und gegen eine Tochterfirma der Beklagten solche in Höhe von 800 Millionen Euro angeordnet. Über diese strafrechtlichen Vorschriften hinaus sieht das deutsche Gewährleistungsrecht bei der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen – sogar z.T. verschuldensunabhängige – kaufvertragliche Ansprüche gegen den Fahrzeugverkäufer vor (vgl. zum Motor EA189: BGH, Urteil vom 21. Juli 2021 – VIII ZR 254/20; zum Motor OM651: BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19). Vor dem Hintergrund der in § 445 a BGB geregelten Rückgriffmöglichkeit des Verkäufers stellt dies auch mit Blick auf die Fahrzeughersteller, einen – von dem Generalanwalt geforderten, in seiner Stellungnahme jedoch unberücksichtigt gebliebenen Anreiz dar, die Unionsvorschriften penibel einzuhalten, um eine Haftung zu vermeiden (vgl. Schlussanträge vom 2. Juni 2022 – C-100/21 Rn. 58).
III.
62
Der Senat regt daher an, die Berufung zur Meidung weiterer Kosten zurückzunehmen, im Fall der Rechtsmittelrücknahme ermäßigen sich die zweitinstanziellen Gerichtsgebühren um die Hälfte.
63
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf € 36.740,93 festzusetzen sein.