Inhalt

OLG München, Beschluss v. 19.04.2023 – 15 U 5668/20
Titel:

Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: VW T6 2.0l Diesel EU 6)

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
ZPO § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; KG BeckRS 2022, 24952; OLG Brandenburg BeckRS 2022, 21298; OLG Braunschweig BeckRS 2021, 51097; OLG Jena BeckRS 2022, 20451; BeckRS 2022, 23405; BeckRS 2022, 26587; BeckRS 2022, 33405; BeckRS 2023, 1381; BeckRS 2022, 25339; OLG München BeckRS 2023, 9206; BeckRS 2023, 754 (mit weiteren Nachweisen in Leitsatz 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Konformitätsabweichung ist mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht gleichzusetzen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Schaden des Käufers fehlt, wenn seinem Fahrzeug zu keinem Zeitpunkt eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung drohte. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, KBA, Fahrkurvenerkennung, kontinuierliche Abrampung, Konformitätsabweichung, (keine) Betriebsbeschränkung oder -untersagung
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 24.08.2020 – 15 O 14566/19
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10878

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 24.08.2020, Aktenzeichen 15 O 14566/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 36.221,87 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 24.08.2020 sowie die ausführliche Sachverhaltsdarstellung im Hinweis der Vorsitzenden vom 19.01.2022 Bezug genommen. Im Berufungsverfahren wird seitens des Klägers und Berufungsklägers beantragt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 39.596,35 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.07.2019 abzüglich einer im Termin zu beziffernden Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 3.374,48 Zugum-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges mit der Fahrgestellnummer zu zahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 03.07.2018 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.133,37 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem zu zahlen.
hilfsweise,
das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts München I Az. 15 O 14566/19, verkündet am 24.08.2020, aufzuheben und zur erneuten Verhandlung zurück zu verweisen. Die Beklagte beantragt, Zurückweisung der Berufung
II.
2
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 24.08.2020, Aktenzeichen 15 O 14566/19, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
3
Zur Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Endurteils sowie die grundsätzlich nicht ergänzungsbedürftigen Hinweise der Vorsitzenden in der Verfügung vom 19.01.2022, die Richterin am Oberlandesgericht und Richter am Oberlandesgericht vollumfänglich mittragen, Bezug genommen.
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Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung vom 26.01.2022 geben zu einer Änderung keinen Anlass.
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1. Soweit die Berufung meint, der Senat würde überhöhte Substantiierungsanforderungen an die Darlegung unzulässiger Abschalteinrichtungen stellen, verkennt sie, dass die beabsichtigte Zurückweisung im Hinweis vom 19.01.2022 maßgeblich darauf fußte, dass das KBA trotz vielfältiger Untersuchungen im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Motor vom Typ EA 288 keine unzulässigen Abschalteinrichtungen feststellen konnte. Dies betrifft ausdrücklich auch Untersuchungen zum hier streitgegenständlichen Modell vom Typ VW T6 2.0l Diesel EU 6 (Hinweisverfügung Bl. 17).
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2. Soweit die Gegenerklärung erneut auf den Rückruf des KBA mit der Referenznummer 7710 vom 17.04.2019 abstellt, wurde ebenfalls bereits im Hinweis vom 19.01.2022 (dort Seiten 7/8) ausführlich dargelegt, dass der Rückruf 23Z7 nach der Mitteilung das KBA nicht wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung, sondern wegen einer sog. Konformitätsabweichung, die zur Überschreitung des Euro-6-Grenzwertes für Stickoxide führt, erfolgte. Eine Konformitätsabweichung ist mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung indes nicht gleichzusetzen.
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3. Im Übrigen kommt es auf die weiter genannten Abschalteinrichtungen (etwa die Fahrkurvenerkennung oder die kontinuierliche Abrampung) und auch auf die Frage eines vorsätzlich sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten in diesem Zusammenhang auch gar nicht mehr an. Denn eine Verpflichtung zum Schadensersatz – sei es nun aus § 826 BGB oder aus § 823 Abs. 2 BGB iVm der RL (EG) 2007/46 besteht – worauf bereits in der Verfügung vom 19.01.2022 auf Seite 19 hingewiesen wurde – schon mangels entstandenem Schaden nicht:
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a) Es fehlt mangels drohender Betriebsbeschränkung oder -untersagung für das streitgegenständliche Fahrzeug – das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor vom Typ EA288 ausgestattet ist, der der Schadstoffnorm Euro 6 unterfällt – jedenfalls an einem Schaden des Klägers.
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Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt allerdings voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316, Rn. 46 bei juris mwN). Eine Fallgestaltung, in der ein Schaden jedenfalls deshalb eingetreten ist, weil der Vertragsschluss als unvernünftig anzusehen ist, da der Kläger durch einen ungewollten Vertragsschluss eine Leistung erhalten hat, die für seine Zwecke nicht voll brauchbar war (BGH aaO Rn. 48), lässt sich vorliegend nicht annehmen. Nach einem sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung und der Art des zu beurteilenden Geschäfts ergebenden Erfahrungssatz ist auszuschließen, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (BGH aaO Rn. 49). Ein solcher Erfahrungssatz besteht hier schon deshalb nicht, weil dem Fahrzeug des Klägers zu keinem Zeitpunkt eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung drohte. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat keine Regelungen zur Typengenehmigung – etwa in Form von Nebenbestimmungen – getroffen, die Einfluss auf die Nutzbarkeit des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenraum gehabt hätten. Der Kläger konnte und kann sein Fahrzeug nutzen. Anders als etwa bei Fahrzeugen mit dem Dieselmotor EA189 ist kein Software-Update notwendig, um den Bestand der Betriebserlaubnis nicht zu gefährden (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.04.2022 – 8 U 245/21, Rn. 46 bei juris mwN).
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Da das Kraftfahrt-Bundesamt trotz umfassender Prüfungen bislang keinen Anlass für eine Rückrufanordnung betreffend den streitgegenständlichen Fahrzeug- bzw. Motortyp oder für einen Widerruf der EG-Typgenehmigung gesehen hat, muss der Senat davon ausgehen, dass das Fahrzeug des Klägers seit dem Kauf im Januar 2017 objektiv nicht von einer solchen Maßnahme bedroht gewesen ist und der Vertragsschluss daher nicht als unvernünftig anzusehen ist. Das KBA hat mit der von der Beklagten vorgelegten Auskunft vom 19.11.2018 (Anlage B1) bestätigt, dass die Grenzwerte eingehalten werden und mit der neuen Software die Fahrzeuge vom Typ T6 mit EA 288 nunmehr wieder der ursprünglichen Ki-Familie und den dort ermittelten Ki-Werten zugeordnet werden können. Dahinstehen kann, ob die Haltung des Kraftfahrt-Bundesamtes den maßgeblichen Normen entspricht. Denn entscheidend ist, dass es sich um die Auffassung der zuständigen Genehmigungs- und Überwachungsbehörde handelt (vgl. OLG Hamm, Beschlüsse vom 09.03.2022 und 11.04.2022 – 8 U 179/21). Das (abstrakte) Risiko eines künftigen Rückrufs oder Widerrufs kann mit Null bezeichnet werden, wenn die zuständige Behörde nach (mehrfacher) tatsächlich durchgeführter, sorgfältiger Prüfung keine unzulässige Abschalteinrichtung festzustellen vermag. In dem Fall sind auch Betriebsuntersagungen durch die Straßenverkehrsbehörden nicht zu erwarten, da die Vorschriftsmäßigkeit des Fahrzeugs nicht in Frage steht.
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2. Im Hinblick auf die vorstehenden Erwägungen zur Schadensbegründung sind die Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO unabhängig von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-100/21 gegeben. Auf die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 23.01.2023 – VIa ZR 724/22 und vom 30.01.2023 – VIa ZR 663/22 wird verwiesen. Im Übrigen setzt auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ein Schadensersatzanspruch des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs voraus, dass dem Käufer durch die Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist (EuGH, Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, Rn. 91). Dies ist vorliegend wie ausgeführt nicht der Fall.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.
13
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.