Inhalt

OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 17.04.2023 – 3 U 36/23
Titel:

Keine Ansprüche gegen Audi wegen des dort entwickelten, hergestellten und eingebauten 3,0-Liter-Motors (hier: Audi SQ 5 3.0 BTDI)

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 1, Abs. 2
Typgenehmigungsverfahrens-RL Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
VwVfG § 24 Abs. 1 S. 1, S. 2
ZPO § 287, § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2022, 21374; KG BeckRS 2023, 2608; OLG Bamberg BeckRS 2023, 10858; OLG Brandenburg BeckRS 2022, 32170; OLG Braunschweig BeckRS 2022, 28824; BeckRS 2022, 27100; OLG Nürnberg BeckRS 2023, 5896; BeckRS 2023, 5895; BeckRS 2023, 8575; BeckRS 2023, 9333; OLG Zweibrücken BeckRS 2022, 39887; BeckRS 2022, 39888; BeckRS 2022, 18797; OLG München BeckRS 2022, 43580; BeckRS 2023, 7833; BeckRS 2022, 36080 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Erfahrungssatz, wonach bei Vorliegen von vom KBA nicht beanstandeten Abschalteinrichtungen einem nicht von einem Rückruf betroffenen Fahrzeug ein merkantiler Minderwert anhaften soll, existiert nicht. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei einer Abschalteinrichtung, die im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb und bei der sich die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantworten lässt, kann bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine temperaturgesteuerte Abgasrückführung ist bei Dieselmotoren zur Vermeidung von Stickoxiden seit Jahrzehnten üblich und in Fachkreisen allgemein und zumindest ab 2008 speziell auch dem EU-Normgeber bekannt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
5. Selbst wenn man eine Erkundigungspflicht der Herstellerin unterstellen würde, ist davon auszugehen, dass das KBA im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs nichts unternommen und insbesondere das Thermofenster nicht beanstandet hätte. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
6. Ein Schaden des Käufers ist nicht zu erkennen, wenn seinem Fahrzeug zu keinem Zeitpunkt eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung drohte. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi AG, 3.0 l V6 Dieselmotor, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Lenkwinkelerkennung, merkantiler Minderwert, (keine) Erkundigungspflicht, (keine) Betriebsbeschränkung oder -untersagung, KBA
Vorinstanz:
LG Aschaffenburg, Endurteil vom 20.01.2023 – 12 O 113/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10853

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klagepartei gegen das Endurteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 20.01.2023, Az. 12 O 113/22, durch einstimmigen Beschluss gemäß S 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 12.05.2023

Entscheidungsgründe

1
1. Hinsichtlich des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird gem. S. 540 ZPO auf die Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen. Lediglich ergänzend bzw. erläuternd ist auszuführen:
2
Die Klagepartei verlangt von den Beklagten als Fahrzeugherstellerin Schadensersatz wegen eines PKW-Kaufs.
3
Die Klagepartei erwarb am 28.05.2017 von einem nicht am Rechtsstreit beteiligten Dritten ein bei der Beklagten hergestelltes Fahrzeug Audi SQ 5 zu einem Kaufpreis von 25.000,00 Euro. Die Laufleistung des Fahrzeugs betrug 143.700 km zum Zeitpunkt des Erwerbs und 198.21 1 km im Zeitpunkt der Klageerhebung am 05.05.2022. Das Fahrzeug verfügte über einen ebenfalls von der Beklagten hergestellten Motor EA 896 Gen. 2 mit der Abgasnorm Euro 5. In dem Fahrzeug wurde ein „Thermofenster“ vetwendet.
4
Nachdem das KBA wegen des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps auf das Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen untersucht hatte, stellte es fest, dass keine unzulässigen Abschalteinrichtungen vorliegen würden. Dies bestätigte das KBA in einer amtlichen Auskunft vom 25.01.2021 an das LG Ingolstadt für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp Audi SQ 5 3.0 BTDI mit der Motorkennung CGQB (Anlage B2) und weiteren amtlichen Auskünften (Anlagen BI, B3). Daneben informierte das KBA das OLG Hamm in einer amtlichen Auskunft vom 25.08.2020 darüber, dass in dem Motortyp 3.0 Diesel 150 kW Euro 5 ein Thermofenster verwendet werde, dieses aber seitens des KBA für zulässig erachtet werde (Anlage B4). Ein Rückruf für das Fahrzeug existiert deshalb nicht, es nimmt lediglich an einer freiwilligen Servicemaßnahme teil.
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Die Klagepartei hat erstinstanzlich vorgetragen, dass das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle. Dieses sei so programmiert, dass die Abgasreinigung nur zwischen 17 Grad Celsius und 33 Grad Celsius vollständig funktioniere. Weiter hätten die gerichtlich beauftragten Sachverständigen RZ und 1- für ein Fahrzeug Audi Q5 (EU 5) eine Prüfstandserkennung festgestellt, die bewirke, dass auf dem Prüfstand der Stickstoffausstoß geringer sei. Die Klagepartei verlange deshalb von der Beklagten Ersatz des merkantilen Minderwerts von mindestens 5.000,00 €, weil sie das Fahrzeug um 20% zu teuer erworben habe.
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Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Sie hat erstinstanzlich behauptet, dass in dem Fahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut seien, worunter insbesondere nicht das „Thermofenster“ falle. Auch eine Lenkwinkelerkennung sei nicht vorhanden, diese sei ohnehin nicht als unzulässig einzuordnen. Ein von der Beklagten verursachter Minderwert sei nicht substantiiert vorgetragen.
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2. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
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Das Thermofenster sei ungeeignet, um eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung zu begründen. Hinsichtlich der weiteren behaupteten Abschalteinrichtungen fehle es an einem hinreichend substantiierten Sachvortrag. Die Gutachten p- und beträfen ein anderes Fahrzeug. Im Übrigen sei angesichts der Auskünfte des KBA nicht mit einem Entzug der Betriebserlaubnis zu rechnen, weshalb ein Schaden nicht zu erkennen sei.
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3. Mit ihrer Berufung verfolgt die Klagepartei ihre erstinstanzlichen Anträge gegen die Beklagte unter Wiederholdung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags in vollem Umfang weiter. Sie stützt ihren Anspruch weiter auf die durch das Gutachten 1- belegte Lenkwinkelerkennung. Ebenso sei das Thermofenster, das vorliegend bewirke, dass eine wirksame Abgasreinigung nur zwischen 17 und 33 Grad Celsius vorgenommen werde, eine unzulässige Abschalteinrichtung. Deswegen ergebe sich ein Anspruch aus S. 823 Abs. 2 BGB i.V.m. SS 27 Abs. 1, 6 EG-FGV. Das KBA habe mitgeteilt, dass es aufgrund des Urteils des EuGH vom 14.07.2022 nochmals das Thermofenster nochmals überprüft.
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Der Senat ist davon überzeugt, dass der Berufung der Klagepartei die Erfolgsaussicht fehlt und auch die weiteren Voraussetzungen für eine Entscheidung gemäß S. 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorliegen. Die gemäß SS 51 1 ff. ZPO zulässige Berufung der Klagepartei erweist sich als unbegründet, weil ihr keine Ansprüche gegen die Beklagte zustehen. Zu Recht hat das Erstgericht die Klage abgewiesen. Insbesondere hat das Landgericht zutreffend einen Anspruch aus der Vorschrift des S. 826 BGB verneint. Auf die zutreffenden Gründe wird Bezug genommen. Zu den Berufungsangriffen sind lediglich folgende Anmerkungen veranlasst:
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1. Ein Anspruch der Klagepartei scheitert bereits daran, dass ein merkantiler Minderwert nach dem Vortrag der Klagepartei mit „Null“ zu schätzen wäre (S. 287 ZPO).
13
Ein Erfahrungssatz, wonach bei Vorliegen vom KBA nicht beanstandeter Abschalteinrichtungen ein nicht von einem Rückruf betroffenes Fahrzeug ein merkantiler Minderwert anhaften soll, existiert nicht. Deshalb wäre seitens der Klagepartei erforderlich gewesen, anhand von Tatsachen konkret vorzutragen, dass die Klagepartei dieses Fahrzeug über seinem eigentlichen Marktwert eingekauft hat. Insbesondere war beim Kauf des Fahrzeugs im Jahr 2017 die von der Klagepartei als Grund für den merkantilen Minderwert angeführte „Abgasproblematik“ längst bekannt, weshalb anzunehmen ist, dass diese bereits in dem von der Klagepartei gezahlten Kaufpreis mit eingeflossen ist. Weiter hätte die Klagepartei vorzutragen gehabt, dass dieser Minderwert trotz Aufspielen eines Softwareupdates noch besteht, denn zwischenzeitliche wertsteigernde Entwicklungen sind zu berücksichtigen (BGH NJW 2021, 3041 Rn. 23f.). Vorliegend erschöpft sich das Vorbringen der Klagepartei in der bloßen Behauptung, dass der merkantile Minderwert wenigstens 20% betrage, was nicht ausreichend ist.
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2. Daneben ist ein Anspruch der Klagepartei aus S. 826 BGB nicht zu erkennen, weil es hinsichtlich der behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtung an einem schlüssigen Vortrag der Klagepartei fehlt.
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Aus den von der Beklagten bereits erstinstanzlich vorgelegten Auskünften des KBA (Anlagen BI-B4) ergibt sich, dass das KBA keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt und dementsprechend auch keinen Anlass für den Erlass einer Nebenbestimmung gesehen hat. Unbehelflich ist in diesem Zusammenhang der weitere Vortrag der Klagepartei zu dem vom LG Bielefeld eingeholten Gutachten. Die Klagepartei räumt selbst ein, dass es sich um einen anderen Typ handelt als in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verwendet. Konkrete Anhaltspunkte dafür, aus welchen Gründen die vom KBA erteilte Auskunft falsch sein soll, sind dem Vorbringen der Klagepartei nicht zu entnehmen. Vor dem Hintergrund, dass ein Rückruf des Fahrzeugtyps durch das Kraftfahrt-Bundesamt nach Überprüfung ausdrücklich nicht durchgeführt wurde, hätte es dem Kläger oblegen, substantiiert zu den Voraussetzungen einer unerlaubten Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 vorzutragen.
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3. Ein Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagte nach S. 826 BGB oder S. 831 BGB wegen des im Fahrzeug der Klagepartei unstreitig zum Einsatz kommenden Thermofensters besteht nicht. Es fehlt sowohl an der objektiven Sittenwidrigkeit als auch am Schädigungsvorsatz.
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Seit der Entscheidungsserie vom 16.09.2021 (1-Jlteile vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, 286/20, 321/20 und 322/20) nimmt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung an, dass es im Hinblick auf die – jedenfalls bis zur Auslegung der unionsrechtlichen Vorschriften durch den Gerichtshof der Europäischen Union in dessen Urteilen vom 14.07.2022 (Rechtssachen C-128/20, C-134/20 und C-145/20) bestehende – unsichere Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Thermofensters und herstellerübergreifend (zu Daimler: u.a. Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721; zu VW: Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814; zu Audi: Beschluss vom 01.09.2021, VII ZR 128/21, juris; Beschluss vom 13.10.2021, VII ZR 164/21, juris; zu BMW: Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, juris) sowohl an einem besonders verwerflichen Verhalten des Herstellers als auch an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz fehlt. Lediglich mit Blick auf das Vorbringen der Klagepartei ist ergänzend anzumerken:
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a) Bei Implementierung des Thermofensters erfolgt die Abgasreinigung im Grundsatz auf dem Prüfstand und im realen Betrieb in gleicher Weise. Es liegt damit – im „Thermofenster“ als solchem – noch kein System der Prüfstandserkennung vor (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, Rn. 19). Soweit die Klagepartei behauptet, der Temperaturbereich des Thermofensters sei auf die Bedingungen auf dem Prüfstand exakt zugeschnitten, hat sie dies schlüssig und in prozessual beachtlicher Weise vorzutragen (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, Rn. 20).
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b) Überdies ist der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidungsserie vom 16.09.2021 (Urteile des BGH vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, 286/20, 321/20 und 322/20) unabhängig vom konkret verwendeten Typ des Dieselmotors und herstellerübergreifend nunmehr zu dem Ergebnis gelangt, dass es im Hinblick auf die unsichere Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Thermofensters sowohl an einem besonders verwerflichen Verhalten des Herstellers als auch an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz fehlt:
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aa) Danach kann bei einer Abschalteinrichtung wie hier, die im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb und bei der sich die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantworten lässt, bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Eine möglicherweise nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt für die Feststellung der besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten nicht. Allein aus der – unterstellten – objektiven Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters folgt ferner kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer. Im Hinblick auf die unsichere Rechtslage – hinsichtlich des unstreitig in den Fahrzeugen der Beklagten verbauten Thermofenster fehlt es bis heute an einer behördlichen Stilllegung oder einem Zwang zu Umrüstungsmaßnahmen – ist nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung der Klagepartei hätte aufdrängen müssen.
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bb) Dass bestimmte Ausgestaltungen des Thermofensters nunmehr vom EuGH als unzulässige Abschalteinrichtungen angesehen werden (EuGH NJW 2022, 2605) und denkbar ist, dass diese Sicht, wenn sie nicht bereits in der Vergangenheit vom KBA geteilt und im Prüfungsverfahren umgesetzt wurde (s.u.), in Zukunft auch vom KBA übernommen wird, ändert an der vorstehenden Beurteilung nichts. Denn für diese sind die damaligen, vor Erwerb des streitgegenständliChen Fahrzeuges liegenden, Vorstellungen und Erkenntnisse maßgeblich (OLG Stuttgart, Urteil vom 25.01.2022, 16a U 138/19, Rn. 38).
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4. Hieran anknüpfend bietet das Vorhandensein eines „Thermofensters“ unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH vom 21.03.2023 in der Rechtssache C-100/21 (ECLl:ECLI:EU:C:2022:420) keine Grundlage für einen Anspruch aus den Vorschriften der Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 der VO 715/2007, Art. 18 Abs. 1, 26 Abs. 1, 46 der RL 2007/46 i.V.m. S. 823 Abs. 2 BGB.
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a) Das „Thermofenster“ funktioniert im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise wie im realen Fahrbetrieb. Deshalb kann die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantwortet werden, so dass, wie bereits erörtert, bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte auch nicht ohne Weiteres unterstellt werden kann, dass die für die Beklagte handelnden Personen einen Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen und damit bedingt vorsätzlich gehandelt haben (BGH, Urteil vom 24.03.2022, Az. III ZR 263/20 Rn. 22; BGH NJW 2021, 3721, Rn. 30). Die vorliegenden Umstände rechtfertigen jedoch noch nicht einmal ein fahrlässiges Handeln der Beklagten.
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b) Aus dem senatsbekannten Bericht der vom Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur eingesetzten Untersuchungskommission „Volkswagen“ vom April 2016 ist zu entnehmen, dass in dem hier fraglichen Zeitraum Thermofenster von allen Autoherstellern verwendet und mit dem Erfordernis des Motorschutzes begründet wurden. Nach Einschätzung der Untersuchungskommission handelt es sich bei der Verwendung eines Thermofensters angesichts der Unschärfe der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 715/2007, wonach zum Schutz des Motors vor Beschädigungen und zur Gewährleistung eines sicheren Fahrzeugbetriebs notwendige Abschalteinrichtungen zulässig sind, um keine eindeutigen Gesetzesverstöße, sofern ohne die Verwendung des Thermofensters dem Motor Schaden drohe und „sei dieser auch noch so klein“ (vgl. BMVI, Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Stand April 2016, S. 123). Daneben zeigt auch der in der Literatur (vgl. Führ, NVwZ 2017, 265) betriebene erhebliche Begründungsaufwand, um das „Thermofenster“ als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen, dass keine klare und eindeutige Rechtslage gegeben ist (BGH, Urteil vom 24.03.2022, Az. III ZR 263/20 Rn. 22; OLG Koblenz, Urteil vom 14.09.2020, AZ.: 12 U 1464/19, Rn. 23).
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c) Daneben ist eine temperaturgesteuerte Abgasrückführung bei Dieselmotoren zur Vermeidung von Stickoxiden seit Jahrzehnten üblich und in Fachkreisen allgemein (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.02.2022, 8 U 143/21, Rn. 10) und zumindest ab 2008 speziell auch dem EU-Normgeber (vgl. Mitteilung der EU-Kommission – 2008/C 182/08 – über die Anwendung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über Emissionen, dort unter Nr. 8) bekannt (OLG Stuttgart, Urteil vom 25.01.2022, 16a U 138/19, Rn. 36). Das KBA hatte von der Verwendung von Thermofenstern bei allen Herstellern und die in diesem Zusammenhang geführte rechtliche Diskussion um den Motorschutz ebenfalls Kenntnis. Es war deshalb zu einer Überprüfung des Emissionsverhaltens der Fahrzeuge ohne weiteres in der Lage (BGH, Urteil vom 13.01.2022, Az. III ZR 205/20, Rn. 25). Zudem waren die Hersteller nach der genannten Mitteilung der EU-Kommission (dort Ziff. 7) auch nicht verpflichtet, Informationen über das Emissionsverhalten von Dieselfahrzeugen bei niedrigen Temperaturen zur Verfügung zu stellen, so dass die Hersteller keine Verpflichtung zu einer Beschreibung über die exakte Wirkungsweise traf (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.02.2022, 8 U 143/21, Rn. 10). Vor diesem Hintergrund durfte die Beklagte bei der Beantragung der EG-Typgenehmigung davon ausgehen, dass die Existenz von Thermofenstern dem KBA bekannt gewesen war und ihr insoweit keine Pflicht oblegen hatte, ungefragt von sich aus auf ein Thermofenster hinzuweisen (OLG Stuttgart, Urteil vom 25.01.2022, 16a U 138/19, Rn. 36).
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Wenn also die Beklagte den gesetzlichen Anforderungen entsprechend ihren Mitteilungspflichten bezüglich des Thermofensters nachgekommen ist, durfte sie sich grundsätzlich darauf verlassen, dass das KBA im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes gemäß S. 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG eine Ergänzung verlangen würde, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit des Thermofensters in dem betreffenden Fahrzeug zu prüfen (BGH, Urteil vom 16.9.2021, Az. VII ZR 190/20, Rn. 26). Anderenfalls durfte die Beklagte auf die Prüfungskompetenz des KBA als Genehmigungsbehörde vertrauen und ohne Verschulden von der Zulässigkeit ihres Vorgehens ausgehen.
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d) Selbst wenn man sogar eine Erkundigungspflicht der Beklagten unterstellen würde, ist davon auszugehen, dass das KBA, wie bislang geschehen, im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs nichts unternommen und insbesondere das Thermofenster nicht beanstandet hätte. Das KBA geht noch heute von der Zulässigkeit des Thermofensters aus, wie sich aus der senatsbekannten Pressemitteilung des KBA vom 14.07.2022 ergibt. Darin hat das KBA anlässlich eines Urteils des EuGH vom 17.12.2020 Stellung genommen und erklärt, dass es bereits in der Vergangenheit die Zulässigkeit des „Thermofensters“ entsprechend den Grundsätzen des EuGH und den Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 durch eigene Untersuchungen und Messungen geprüft habe. Dementsprechend sei die Unzulässigkeit von temperaturabhängigen Abschalteinrichtungen für Außentemperaturen zwischen 15 o c und 33 o c angewandt worden, wobei das KBA je nach verfügbarer Technologie deutlich darüber hinausgegangen sei. Die Genehmigungspraxis des KBA habe bereits die Maßstäbe des EuGH berücksichtigt, dass die volle Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems überwiegend gewährleistet sein müsse (www.kba.de/DE/Themen/Marktueberwachung/Abgasthematik/stellungnahme euGH thermofen ster_inhalt.html).
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Außerdem hat das KBA in den bereits dargestellten amtlichen Auskünften ausgesprochen hat, dass es, das Thermofenster ausdrücklich eingeschlossen, keine unzulässige Abschalteinrichtung bei dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp habe feststellen können. Daher steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung zu keinem anderen Erkenntnisstand der Beklagten geführt hätte. In einem solchen Fall kann der Vorwurf der Fahrlässigkeit nicht erhoben werden, auch wenn eine grundsätzlich erforderliche Erkundigung nicht eingeholt wurde. Weil sich der Erkundigende grundsätzlich auf die Fachkompetenz einer Fachbehörde verlassen darf, ist ihm ein „besseres“ Wissen als das der Genehmigungsbehörde nicht abzuverlangen. Es handelt sich insoweit um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum (BGH, NJW-RR 2017, 1004 Rn. 17; BGH NJW-RR 2018, 1250 Rn. 28, 32). Hierauf kann sich die Beklagte angesichts der vorgenannten Umstände zu Recht berufen.
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5. Letztendlich scheitert ein Schadensersatzanspruch der Klagepartei jedenfalls an einem fehlendem Schaden (S. 249 Abs. 1 BGB).
30
a) Ein Fahrzeugkäufer, der durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Kaufvertrages gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt allerdings voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht. Dabei kann aus der allgemeinen Lebenserfahrung und der Art des zu beurteilenden Geschäfts der Erfahrungssatz abgeleitet werden, dass kein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht.
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b) Eine solche Betriebsbeschränkung, die über Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46 i. V. m. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 im Wege des Schadensersatzes auch zu kompensieren wäre, setzt zunächst voraus, dass ein Fahrzeugtyp über eine EG-Typgenehmigung verfügt, ohne dass der Typgenehmigungsbehörde das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung offenbart wurde (EuGH a.a.O. Rn. 83). Für diesen Fall sehen Art. 8 Abs. 6, Art. 13 Abs. 1 S. 1 und 3 und Art. 30 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie vor, dass die zuständige Behörde Maßnahmen bis zum Entzug der Typgenehmigung ergreifen kann, um sicherzustellen, dass die Fahrzeuge mit dem jeweils genehmigten Typ in Übereinstimmung gebracht werden. Dies wiederum kann „eine Unsicherheit hinsichtlich der Möglichkeit hervorrufen, das Fahrzeug anzumelden, zu verkaufen oder in Betrieb zu nehmen, und letztlich beim Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüsteten Fahrzeugs zu einem Schaden führen“ (EuGH a.a.O. Rn. 84).
32
c) Diesen Maßstab zugrunde gelegt vermag der Senat einen Schaden der Klagepartei nicht zu erkennen. Es fehlt schon an einem schlüssigen Vortrag der Klagepartei zu dem Vorhandensein von unzulässigen und dem KBA während des Typgenehmigungsverfahrens nicht mitgeteilten Abschalteinrichtungen. Daneben drohte dem Fahrzeug der Klagepartei zu keinem Zeitpunkt eine Betriebsbeschränkung oder -Untersagung (ebenso OLG Bamberg, Beschluss vom 1 1.07.2022, 6 U 1 10/21, juris Rn. 5; OLG München, Urteil vom 15.06.2021, 9 U 5466/20, juris Rn. 34; OLG Naumburg, Urteil vom 10.12.2021, 8 U 63/21, juris Rn. 10; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 25.04.2022, 8 U 245/21, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BGH, Beschluss vom 23.01.2023, Vla ZR 724/22, juris). Da das KBA trotz bereits im Herbst/Winter 2015 begonnener umfassender Prüfungen bis heute keinen Anlass für eine Rückrufanordnung betreffend den streitgegenständlichen Motortyp oder für einen Widerruf der EG-Typgenehmigung gesehen hat, ist davon auszugehen, dass das Fahrzeug der Klagepartei durchgehend seit dem Kauf objektiv nicht von einer solchen Maßnahme bedroht gewesen ist und es sich bei dem Kauf daher nicht um die Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit gehandelt hat (OLG Hamm, Beschluss vom 11.04.2022, I-8 U 179/21, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BGH, Beschluss vom 30.01.2023, Vla ZR 663/22, juris). Die Klagepartei konnte und kann ihr Fahrzeug benutzen. Anders als bei Fahrzeugen mit dem Motor EA 189 ist auch kein Software-Update notwendig, um den Bestand der Betriebserlaubnis nicht zu gefährden (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 25.04.2022, 8 U 245/21, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BGH, Beschluss vom 23.012023, Via ZR 724/22, juris).
33
d) Dabei kann dahinstehen, ob diese Haltung des KBA den maßgeblichen Normen nicht gerecht wurde und deshalb rechtswidrig war. Es handelte sich um die Auffassung der zuständigen Genehmigungs- und Überwachungsbehörde, gegen deren Votum abweichende Betriebsuntersagungen durch die Straßenverkehrsbehörden nicht zu erwarten waren und sind.
34
Aus diesen Gründen ist die Berufung der Klagepartei ohne Erfolg und ist daher als unbegründet zurückzuweisen.
35
1. Die aussichtslosen Berufungsangriffe erfordern keine Erörterung in mündlicher Verhandlung.
36
2. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach S. 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Nr. 3 ZPO liegen nicht vor.
37
3. Der Senat regt daher – unbeschadet der Möglichkeit zur Stellungnahme – die kostengünstigere Rücknahme der aussichtslosen Berufung an, die zwei Gerichtsgebühren spart (vgl. Nr. 1220, 1222 Kostenverzeichnis GKG).
38
4. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für die Berufungsinstanz auf 5.000,00 € festzusetzen.