Inhalt

OLG München, Beschluss v. 01.03.2023 – 38 U 7394/22 e
Titel:

Streitwert einer Stufenklage bei Streit um Wirksamkeit von Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung

Normenketten:
GKG § 43 Abs. 1, § 44, § 48 Abs. 1, § 52 Abs. 2
GNotKG § 36 Abs. 3
RVG § 23 Abs. 3
ZPO § 3, § 4 Abs. 1 Hs. 2, § 9, § 254
VVG § 203 Abs. 2, Abs. 5
Leitsätze:
1. Der Streitwert einer auf Auskunft und Erstattung rechtsgrundlos geleisteter Beitragsanteile zu einer privaten Krankenversicherung gerichteten Stufenklage bemisst sich gem. § 3 ZPO, § 48 Abs. 1 GKG nach einer freien Schätzung der Summe der zu erstattenden Beiträge. Eine Anwendung der Auffangwerte gem. § 52 Abs. 2 GKG, § 36 Abs. 3 GNotKG kommt nicht in Betracht. Auch § 23 Abs. 3 RVG gebietet keine höhere Festsetzung. (Rn. 5 und 10 – 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Verlangt der klagende Versicherungsnehmer daneben die Feststellung der Unwirksamkeit der erfolgten Prämienerhöhung und der Nichtverpflichtung zur Tragung der Erhöhungsbeträge, führt dies nur insoweit nicht zu einer Erhöhung des Streitwerts, als sich der Antrag auf denselben Zeitraum bezieht wie der den Zahlungsantrag betreffende Zeitraum. Im Übrigen richtet sich der Streitwert eines solchen Antrags analog § 9 ZPO nach dem 42fachen Betrag des – nach § 3 ZPO geschätzten – Erhöhungsbeitrags. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Krankenversicherung, Beitragsanpassung, Prämienanpassung, Stufenklage, Auskunft, Streitwert, Berufung, Beschwer
Vorinstanz:
LG Landshut vom -- – 73 O 3094/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10841

Tenor

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren vorläufig auf 1.800,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klagepartei begehrt neben einer Auskunft (Ziffer 1) die Feststellung, dass Erhöhungen unwirksam waren und in der Zukunft niedrigere Beiträge zu zahlen sind (Ziffer 2). Differenzbeträge (Ziffer 3) sollen nebst Nutzungen und Zinsen (Ziffer 4) zurückgezahlt werden. Konkrete Daten, wie Anzahl, Datum und Höhe der Beitragserhöhungen werden nicht mitgeteilt.
2
Sie sind gerade Gegenstand des Auskunftsbegehrens.
Anträge der Klagepartei (zusammengefasst):
1) Auskunft: betreffend die Jahre 2014-2018
2) Feststellung: Unwirksamkeit der Erhöhungen gem. Ziffer 1 und insoweit auch Reduzierung des Beitrags in der Zukunft
3) Zahlung: unbeziffert, betreffend Ziffer 1
4) Nutzungen und Zinsen
II.
3
Im Rahmen der Stufenklage ist für die Vergangenheit nur der höhere der verbundenen Ansprüche maßgeblich (§ 44 GKG). Dies ist vorliegend der noch nicht bezifferte Zahlungsantrag (Ziffer 3). In Bezug auf die Zukunft ist der höhere Anspruch ein Teil des Feststellungsantrags (Ziffer 2). Nutzungen und Zinsen (Antrag 4) erhöhen, soweit sie wie hier als Nebenforderungen geltend gemacht werden, den Streitwert nicht (§ 4 Abs. 1 2. HS ZPO; § 43 Abs. 1 GKG).
Zum Antrag Ziffer 3 (Vergangenheit):
4
Die klägerischen Angaben zum Wert der Anträge beruhen auf Durchschnittswerten, wie sie sich aus einer Gesamtschau derjenigen Verfahren darstellen, die dem anwaltlichen Vertreter der Klagepartei nach seiner Darstellung bekannt sind. Diese können aber nicht herangezogen werden. Denn derartige Durchschnittswerte aus anderen, individuell ausgewählten Verfahren können mangels statistischer Relevanz nicht zur Wertermittlung für einzelne andere Vertragsverhältnisse vergleichsweise herangezogen werden. Zu berücksichtigen ist auch, dass eine derartige Wertermittlung schon nicht erforderlich ist, weil die Parteien, insbesondere die Klagepartei und/oder ihr anwaltlicher Vertreter, unschwer auf das konkrete streitige Versicherungsverhältnis bezogene und anhand der Kontoauszüge leicht zu ermittelnde Anhaltspunkte für eine Wertschätzung, wie etwa den aufaddierten und mit der Zahl der Monate multiplizierten Differenzbetrag zwischen dem ersten und dem letzten im Betrachtungszeitraum gezahlten Beitrag, mitteilen könnten, soweit diese Anhaltspunkte zu einem niedrigeren oder höheren Schätzbetrag führen und soweit einer der Parteien oder ihre anwaltlichen Vertreter ein berechtigtes Interesse daran haben sollte, dass der Streitwert entsprechend niedriger oder höher festgesetzt wird mit der Folge, dass die Gerichtsgebühren sowie die Rechtsanwaltskosten, die davon abhängig berechnet werden, niedriger oder höher ausfallen.
5
Mangels derartiger konkreter Anhaltspunkte ist im Rahmen der Ermessensausübung nach § 3 ZPO, § 48 Abs. 1 GKG eine freie Schätzung der Summe der zu erstattenden Monatsbeiträge vorzunehmen. Insoweit kommt eine Anwendung des Auffangwertes gem. § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000,00 € nicht in Betracht, weil diese Norm nur auf Verfahren vor den Verwaltungsgerichten Anwendung findet. Der ebenfalls einen Auffangwert in Höhe von 5.000,00 € vorsehende § 36 Abs. 3 GNotKG findet nur bei Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und bei Notaren Anwendung. Bei bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ist hingegen der Wert gem. § 3 ZPO nach freiem Ermessen festzusetzen.
6
Der Senat schätzt in Ausübung des ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessens den Wert des Rückzahlungsanspruchs hiernach auf einen nominellen (vgl. hierzu BGH Beschluss vom 30.03.2021 – VIII ZR 345/19 Rn. 5) Betrag in Höhe von EUR 20,00 pro Monat und versicherter Person. Dies entspricht auch in etwa der neueren Handhabung des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München, der pro Beitragsanpassung einen Wert von EUR 300,00 oder weniger zugrundelegt.
7
Der Wert des Antrags 3 beträgt daher 4 Jahre x 12 Monate x EUR 20,00 = 960,00 EUR.
8
Der Schätzung des Senats liegt zugrunde, dass nach einer Erhebung des Wissenschaftlichen Instituts der privaten Krankenversicherer (WIP) die Beiträge der Privatversicherten zwischen 2013 und 2023 um durchschnittlich 2,8 Prozent pro Jahr gestiegen sind. Je nach Leistungsniveau liegen die monatlichen Kosten für eine private Krankenversicherung zwischen EUR 350,00 und EUR 900,00 (vgl. https://www.krankenkassen.de/private-krankenversicherung/private-krankenversicherung-kosten /)
9
Ausgehend von einem gemittelten Monatsbeitrag in Höhe von EUR 625,00 sind die Monatsbeiträge in den letzten 10 Jahren um durchschnittlich EUR 19,88, gerundet EUR 20,00, gestiegen.
10
§ 23 Abs. 3 RVG gebietet insoweit keine höhere Festsetzung.
11
Der Bundesgerichtshof hat zwar in einer Entscheidung vom 17.11.2015 betreffend eine nicht-vermögensrechtliche Streitigkeit ausgeführt, dass mangels genügender Anhaltspunkte für ein höheres oder geringeres Interesse in Anlehnung an § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG für die Berechnung des Berufungsstreitwerts von dem sich aus dieser Vorschrift ergebenden Wert auszugehen sei, den der Gesetzgeber für eine durchschnittliche nichtvermögensrechtliche Streitigkeit in der bis zum 31. Juli 2013 geltenden Gesetzesfassung mit 4.000 €, ab diesem Zeitpunkt mit 5.000 € vorgegeben habe (BGH, Beschluss vom 17.11.2015 – II ZB 8/14, BeckRS 2015, 20307 Rn. 13 mwN).
12
Vorliegend handelt es sich aber um eine vermögensrechtliche Streitigkeit. Ferner kann der Wert der Anträge, wie gezeigt, in Ermangelung konkreter Angaben durch die Parteien auch anhand von statistisch relevanten Durchschnittswerten geschätzt werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nach dem Gesetzeswortlaut je nach Lage des Falles auch ein niedrigerer Wert als 5.000,00 € festgesetzt werden kann. Eine Festsetzung auf einen niedrigeren Schätzbetrag ist vorliegend, wie ausgeführt, möglich und auch geboten. Die Wertgrenze des § 23 Abs. 3 RVG übersteigt den oben errechneten Wert um mehr als 50 Prozent.
13
Da die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO deutlich überschritten wird, gebietet auch nicht das Recht der Klagepartei, dass der Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz nicht unzumutbar, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise erschwert wird (vgl. BGH, Beschluss vom 17.11.2015 – II ZB 8/14, BeckRS 2015, 20307 Rn. 7 mwN), keine andere Festsetzung. Dem Kläger stehen auch mit dem nunmehr festgesetzten Streitwert mindestens zwei Instanzen zulassungsfrei zur Verfügung.
Zum Antrag 2 (Zukunft)
14
Entsprechend der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20.1.2021, Az. IV ZR 294/19, erhöht sich vorliegend der Streitwert aufgrund desjenigen Teils des Antrags 2, der auf die Zukunft gerichtet ist. Ein Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der erfolgten Prämienerhöhung und der Nichtverpflichtung zur Tragung der Erhöhungsbeträge erhöht nämlich den Streitwert nur dann nicht, wenn er sich auf denselben Zeitraum bezieht wie der den Zahlungsantrag betreffende Zeitraum (hier 2014-2018). Von dem für die Feststellung der künftigen Nichtleistungspflicht grundsätzlich gemäß § 9 ZPO analog zugrunde zu legenden Zeitraum von 3,5 Jahren ab Anhängigkeit des Rechtsstreits wirken daher alle Jahre streitwerterhöhend. Der Wert erhöht sich damit um 3,5 Jahre x 12 Monate x 20,00 EUR = 840,00 EUR.
15
Der Streitwert für die Berufung der Klagepartei beträgt daher insgesamt 1.800,00 EUR.