Titel:
Versetzung eines Pkw wegen Parkens in einer Engstelle
Normenketten:
PAG Art. 9, Art. 11
StVO § 12 Abs. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Die Polizei ist nicht verpflichtet, in zeitaufwändiger Recherche den Halter eines Pkw ausfindig zu machen, bevor sie eine Abschleppanordnung trifft. Dies wäre mit dem Grundsatz einer effektiven Gefahrenabwehr nicht vereinbar. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine für das polizeiliche Einschreiten erforderliche Gefahr liegt vor, wenn ein Pkw in einer Engstelle parkt und so die Durchfahrt anderer Fahrzeuge hindert. Ein solches Parken ist durch § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVO verboten, ohne dass es auf das Vorhandensein von entsprechenden Verkehrsschildern ankommt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Versetzung eines Pkw, Polizeiliche Gefahr, Engstelle, effektive Gefahrenabwehr
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10783
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen einen Leistungsbescheid des Beklagten wegen einer Abschleppmaßnahme (hier in Form der Versetzung des Pkw auf einen benachbarten freien Parkplatz).
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Ausweislich eines in der Behördenakte (Bl. 5 der Behördenakte) befindlichen Abschleppberichts forderten Polizeivollzugsbeamte des Beklagten am 9. Mai 2021 im E.weg in B.um 13.22 Uhr ein Abschleppunternehmen zur Versetzung des Fahrzeugs des Klägers (amtliches Kennzeichen ...) an.
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Wie Lichtbilder von der Parksituation zeigen (Bl. 10 der BA), war der Pkw des Klägers auf dem E.weg an einer Stelle geparkt, wo von diesem E.weg, der im weiteren Verlauf voll gesperrt war, ein F.weg abzweigt. Dieser F.weg war zum E.weg durch ein Absperrband auf ca. 2/3 seiner Breite abgesperrt, so dass sich eine Durchfahrt von noch ca. 2 m ergab. Zwei weitere Pkws parkten vor dem Absperrband, das Fahrzeug des Klägers neben diesen, wobei es großteils bereits jenseits des Absperrbandes, somit in der Durchfahrt zum F.weg, stand, sodass sich an dieser Stelle eine Engstelle zwischen E.weg und F.weg ergab.
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Laut Aktenvermerk eines der eingesetzten Polizeibeamten vom 21.10.2021 (Bl. 8 der BA) forderte am Sonntag, den 9. Mai 2021 gegen 12:21 Uhr die Bergwacht B.über die Einsatzzentrale eine Streife an. Ein Bergwachtfahrzeug sollte von einer nahegelegenen Alm über den besagten F.weg eine verletzte Person abtransportieren. Der Bergwacht sei es nicht möglich gewesen, mit dem Fahrzeug an den drei parkenden Pkw vorbeizukommen. Die eingesetzten Beamten hätten zunächst versucht, die Halter der Fahrzeuge zu erreichen, was jedoch ergebnislos verlief. Nach einer Abwägung sei entschieden worden, dass der Pkw des Klägers umgesetzt werde. Eine Umsetzung der anderen Pkw hätte nur in Kombination mit einem zweiten Pkw ein Durchfahren ermöglicht. Das Fahrzeug wurde auf den nächsten freien Parkplatz umgesetzt. Das Abschleppunternehmen stellte hierfür 340,64 Euro in Rechnung (Bl. 3 der BA)
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Mit streitgegenständlichem Leistungsbescheid vom 1. September 2021, der zugleich eine Anhörung enthielt, wurden die Kosten der Abschleppmaßnahme in Höhe von insgesamt 399,64 Euro (59 Euro Gebühr plus 340,64 Euro Auslagen) gegenüber dem Kläger als Halter des umgesetzten Fahrzeugs festgesetzt.
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Hiergegen erhob der Kläger mit Schriftsatz vom 20. September 2021 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragt sinngemäß,
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den Leistungsbescheid des Beklagten vom 1.9.2021 aufzuheben.
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Zur Begründung trug er, auch in einem weiteren Schriftsatz vom 29. Januar 2023, im Wesentlichen vor, es sei kein Bußgeldbescheid ergangen. Verkehrsschilder sei nirgendwo angebracht gewesen. Die Abschleppmaßnahme sei auch unverhältnismäßig gewesen, da bessere, kürzere und geeignetere Forstwege zur Alm führten. Das gewählte Vorgehen des Rufens eines Abschleppdienstes habe deutlich länger gedauert als die Abfahrt ins Tal über andere Wege.
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Für den Beklagten wurde unter dem 25. November 2021 beantragt,
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Es habe eine konkrete Gefahr vorgelegen, die Maßnahme habe sich gegen den Zustandsstörer gerichtet. Der Kläger habe sein Fahrzeug an einer engen Straßenstelle geparkt, was gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVO unzulässig sei. Gerade der Pkw des Klägers habe die Einfahrt zum F.weg blockiert. Man habe vor Umsetzung erfolglos versucht, den Kläger zu erreichen.
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Mit Beschluss vom 30 Dezember 2022 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Am 10. März 2023 hat die mündliche Verhandlung stattgefunden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
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Der Leistungsbescheid vom 1. September 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger deshalb nicht in subjektiven Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Der Leistungsbescheid ist rechtmäßig, da die dem Kostenbescheid zugrundeliegende polizeiliche Primärmaßnahme, hier die Versetzung des Pkw des Klägers auf einen in unmittelbarer Nähe befindlichen Parkplatz, ihrerseits rechtmäßig war.
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Die Primärmaßnahme hat der Beklagte zutreffend auf die Rechtsgrundlage des Art. 11 und Art. 9 des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Polizei (Polizeiaufgabengesetz – PAG) gestützt.
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Nach Art. 11 Abs. 1 Satz 1 PAG kann die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, soweit nicht die Art. 12 bis 65 die Befugnisse der Polizei besonders regeln. Unter einer solchen konkreten Gefahr (Gefahr) ist eine Sachlage zu verstehen, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung von Schutzgütern der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung führt.
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Die Polizei kann nach Art. 9 Abs. 1 PAG eine Maßnahme selbst oder durch einen Beauftragten ausführen, wenn der Zweck der Maßnahme durch Inanspruchnahme der nach den Art. 7 oder 8 PAG Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig erreicht werden kann und dann von den nach den Art. 7 oder 8 PAG Verantwortlichen Kosten erheben.
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Im vorliegenden Fall lag die für ein polizeiliches Einschreiten erforderliche Gefahr darin, dass durch den geparkten Pkw des Klägers eine Engstelle entstand, der die Durchfahrt von Pkw von dem E.weg auf die F. straße hinderte. Ein solches Parken ist bereits gesetzlich durch § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVO verboten, ohne dass es auf das Vorhandensein von entsprechenden Verkehrsschildern ankommt. Dieses Parken stellt deshalb bereits eine Verletzung der Rechtsordnung dar, die das polizeiliche Einschreiten zur Gefahrenabwehr rechtfertigt. Unerheblich ist, dass im konkreten Fall dann auch tatsächlich ein Rettungswagen an der Durchfahrt gehindert wurde, weil dies bereits ein Sachverhalt ist, der sich als Folge der Verletzung der Rechtsordnung darstellt. Deshalb spielt auch keine Rolle, ob der Rettungswagen besser und schneller einen anderen Weg hätte nehmen können. Anders gewendet: Die Gefahr hätte weiterbestanden, auch wenn der Rettungswagen erfolgreich einen anderen Weg ins Tal genommen hätte.
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Der Kläger ist im vorliegenden Fall Zustandsstörer nach Art. 8 PAG, da die Gefahr von seinem Pkw ausgegangen ist. Die Entscheidung der Polizisten, statt zweier anderer Pkw den des Klägers „aus dem Weg zu räumen“, ist offenbar ermessensgerecht, Art. 5 Abs. 1 PAG. Das Auswahlermessen ist korrekt ausgeübt worden.
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Der Beklagte hat auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet, wie er in Art. 4 PAG normiert ist. Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat die Polizei diejenige zu treffen, die den einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Mildere gleich effektive Mittel zur Beseitigung der Gefahr für den Straßenverkehr sind vorliegend nicht ersichtlich. Die Polizei ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (z.B. BayVGH, U. v. 22.2.2001 – 24 B 99.3318 – juris Rn. 39) nicht verpflichtet, in u. U. zeitaufwändiger Recherche den Halter des Pkw ausfindig zu machen und ihn zu kontaktieren, bevor sie eine Abschleppanordnung trifft. Dies wäre mit dem Grundsatz einer effektiven Gefahrenabwehr nicht vereinbar. Im vorliegenden Fall haben die Polizisten unbeschadet dessen sogar vergeblich versucht, den Kläger als Halter des Kfz zu erreichen.
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Gegen die Kostenhöhe wurden weder Einwendungen erhoben noch sind solche für das Gericht ersichtlich.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.