Titel:
Vorläufiger Rechtschutz, Exmatrikulation, fehlendes Rechtschutzbedürfnis, Interesse an einer sofortigen Vollziehung
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 70 Abs. 2, § 60
BayHIG Art. 94 Abs. 2 i.V.m. Art. 91 Nr. 2
Schlagworte:
Vorläufiger Rechtschutz, Exmatrikulation, fehlendes Rechtschutzbedürfnis, Interesse an einer sofortigen Vollziehung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10739
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen ihre Exmatrikulation.
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Die Antragstellerin war an der Universität ... (im Folgenden: Universität) im Bachelorstudiengang „...“ im Sommersemester 2022 (1. April bis 30. September) im zehnten Fachsemester immatrikuliert. Bis zum Ende des zehnten Fachsemesters hat sie aufgrund des Fehlens der Bachelorarbeit nicht die für den Abschluss des Studiengangs notwendigen 180 ECTS-Punkte erreicht.
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Die Universität stellte mit Bescheid vom 24. November 2022 (Nichtbestehensbescheid), wohl zugegangen am 29. November 2022, das endgültige Nichtbestehen der Bachelorprüfung im Studiengang fest.
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Mit Bescheid des Antragsgegners vom 2. Februar 2023 (Exmatrikulationsbescheid), zugegangen am 5. Februar 2023, wurde die Antragstellerin mit Wirkung zum 31. März 2023 exmatrikuliert.
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Zur Begründung wurde auf das endgültige Nichtbestehen der Prüfung im Bachelorstudiengang verwiesen. Studierende seien zu exmatrikulieren, wenn sie eine nach der Prüfungsordnung notwendige Prüfung endgültig nicht bestanden hätten.
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Am 27. Februar 2023 erhob die Antragstellerin Klage gegen den Exmatrikulationsbescheid (Au 8 K 23.299), über die noch nicht entschieden ist.
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Mit Bescheid vom 6. März 2023 ordnete der Antragsgegner die sofortige Vollziehung des Exmatrikulationsbescheids an.
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Zur Begründung ist ausgeführt, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung im öffentlichen Interesse geboten sei. Die Exmatrikulation sei geboten gewesen, da die Antragstellerin eine nach der Prüfungsordnung erforderliche Prüfung endgültig nicht bestanden habe. Der Bescheid über die Exmatrikulation sei, unabhängig von der Bestandskraft des Nichtbestehensbescheid, offensichtlich rechtmäßig, weil alle zur Verfügung stehenden Prüfungsversuche endgültig in Anspruch genommen worden seien. Die Antragstellerin habe die Studienhöchstdauer überschritten, ein Erreichen des Studienziels damit – auch nach Aufhebung des Nichtbestehensbescheids und des Exmatrikulationsbescheids – ausgeschlossen. Da die weitere Immatrikulation umfangreiche statusbegründende Wirkung habe, sei ein Zuwarten bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Exmatrikulation bei dieser Sachlage nicht hinnehmbar. Im überwiegenden öffentlichen Interesse sei die sofortige Vollziehung der Exmatrikulation anzuordnen.
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Ergänzend wurde im Bescheid darauf hingewiesen, dass es für ein Vorgehen gegen den Nichtbestehensbescheid notwendig sei, einen Widerspruch mit einem Fristverlängerungsantrag an den Prüfungsausschuss unter Vorlage eines ärztlichen Attests zu stellen. Dieser Antrag müsse vor Ablauf der Regelstudienzeit gestellt werden.
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Am 25. März 2023 legte die Antragstellerin Widerspruch gegen den Nichtbestehensbescheid der Universität ein und beantragte hinsichtlich der Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie eine Studienzeitverlängerung. Ein ärztliches Attest reichte sie nicht ein.
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Mit Schreiben vom selben Tag, dem Gericht zugegangen am 27. März 2023, stellte die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren Antrag auf vorläufigen Rechtschutz.
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Die Antragstellerin trägt im Wesentlichen vor, dass aufgrund des Widerspruchs gegen den Nichtbestehensbescheid, dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie dem – aufgrund einer Depression – krankheitsbedingten Antrag auf Studienzeitverlängerung die Klage gegen die Exmatrikulation nicht offensichtlich unbegründet sei. Nach Zugang des Nichtbestehensbescheids habe sie die Rechtsberatung im Studierendenwerk aufgesucht, bei welcher sie auf die Möglichkeit eines Widerspruchs sowie eines Fristverlängerungsantrags hingewiesen wurde. Sie sei irrtümlich bis zur Zustellung des Exmatrikulationsbescheids von einer Einlegung eines Widerspruchs durch die Rechtsberatung ausgegangen.
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Darüber hinaus überwiege nicht das Interesse des Antragsgegners an einer sofortigen Vollziehung, da im Falle einer weiteren Immatrikulation kein nennenswerter Schaden erkennbar sei. Hingegen führe die Exmatrikulation zu erheblichen Nachteilen für die Antragstellerin im Hinblick auf den Zweitversuch der Bachelorarbeit, ihrem Werkstudentenjob sowie der Krankenversicherungspflicht. Insbesondere sei eine Umschreibung aufgrund des Verwaltungsaufwandes für den Antragsgegner nicht zielführend.
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Die Antragstellerin beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Exmatrikulationsbescheid wiederherzustellen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 2. Februar 2023 abzulehnen.
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Sowohl der Nichtbestehensbescheid wie auch der Exmatrikulationsbescheid seien rechtmäßig ergangen, die Anordnung einer sofortigen Vollziehung liege im öffentlichen Interesse. Die Antragstellerin könne weder durch die Aufhebung des Exmatrikulationsbescheids noch durch die Aufhebung des Nichtbestehensbescheid den Erwerb der erforderlichen Leistungspunkte erreichen. Die Antragstellerin habe die Studiendauer überschritten und weder rechtzeitig einen Antrag auf Fristverlängerung gestellt, noch ein ärztliches Attest vorgelegt. Es bestünden keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Exmatrikulation, weshalb eine Rückabwicklung der Immatrikulation mit erheblichem Aufwand mit den unterschiedlichsten Stellen der Universität verbunden wäre.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auch im Verfahren Au 8 K 23.299, und der beigezogenen Behördenakte des Antragsgegners Bezug genommen.
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Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bleibt ohne Erfolg.
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Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach §§ 80 Abs. 5, Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO ist zulässig, aber unbegründet. Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO durch das Verwaltungsgericht vorzunehmende eigenständige Abwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin und dem öffentlichen Vollzugsinteresse fällt zu Lasten der Antragstellerin aus. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung dürfte die Klage der Antragstellerin in dem zur Entscheidung des Gerichts gestellten Umfang voraussichtlich ohne Erfolg bleiben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Gründe, gleichwohl im Interesse der Antragstellerin die aufschiebende Wirkung ihrer erhobenen Klage wiederherzustellen, sind nicht ersichtlich.
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1. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO niedergelegten Kriterien zu treffen. Aufgrund des Antrags ist im Rahmen einer Interessensabwägung zu prüfen, ob das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das Interesse des Antragsgegners an einer sofortigen Vollziehung überwiegt. Wesentliches Element im Rahmen der insoweit gebotenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann. Erweist sich der Rechtsbehelf als offensichtlich erfolglos, so wird das Interesse der Antragstellerin an einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage schwächer zu gewichten sein, als das gegenläufige Interesse des Antragsgegners.
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2. Ob die vorgetragene Begründung des Antragsgegners das besondere Vollzugsinteresse nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO trägt, ist für die Frage der formellen Rechtmäßigkeit des Sofortvollzugs grundsätzlich unerheblich. Etwas anderes gilt, wenn das besondere Vollzugsinteresse in der offensichtlichen Rechtmäßigkeit des Bescheides liegt. Im Falle eines offensichtlich rechtmäßig ergangenen Bescheids ist davon auszugehen, dass im Falle einer Abwägung der Interessen das Interesse des Antragsgegners am Sofortvollzug das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt (VG Dresden, B.v. 27.8.2014 – 5 L 587/14 – juris Rn. 75).
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3. Die Klage gegen den Exmatrikulationsbescheid wird voraussichtlich keinen Erfolg haben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Exmatrikulationsbescheid des Antragsgegners vom 2. Februar 2023 ist nicht wiederherzustellen, da der Exmatrikulationsbescheid offenkundig rechtmäßig ergangen ist.
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Die Exmatrikulation ist aufgrund Art. 94 Abs. 2 i.V.m. Art. 91 Nr. 2 BayHIG erfolgt. Hiernach erfolgt eine Exmatrikulation, sofern eine nach der Prüfungsordnung erforderliche Prüfung endgültig nicht bestanden worden ist oder aufgrund von Gründen, die der Studierende zu vertreten hat, die Voraussetzung für die Meldung zu einer Prüfung endgültig nicht mehr beibringen kann.
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a) Zum einen steht bereits das Rechtschutzbedürfnis der Antragstellerin im Hinblick auf das nicht fristgerechte Vorgehen gegen den Nichtbestehensbescheid in Frage. Eine Bestandskraft des Nichtbestehensbescheid führt zur Unzulässigkeit einer Klage gegen den darauffolgenden Exmatrikulationsbescheid mangels Rechtschutzbedürfnis (BayVGH, B.v. 4.12.2019 – 7 B 18.1945 – juris Rn. 32). Nach Angaben der Antragstellerin ging ihr der Nichtbestehensbescheid am 29. November 2022 zu, weshalb die Frist zur Einreichung eines Widerspruchs spätestens mit Ablauf des 29. Dezember 2022 endete. Die Einlegung des Widerspruchs durch die Antragstellerin erfolgte erst am 25. März 2022.
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Selbst bei der Prüfung eines durch die Antragstellerin ebenfalls am 25. März 2022 bei der Universität gestellten Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, erfolgte dieser nach der hierfür erforderlichen Frist. Nach §§ 70 Abs. 2, 60 Abs. 2 S. 1 VwGO ist der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Für den Fristbeginn wird nicht an eine positive Kenntnis angeknüpft, vielmehr genügen Zweifel (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 60 Rn. 39). Nach Aussage der Antragstellerin wurde ihr mit Zustellung des Exmatrikulationsbescheides am 5. Februar 2023, spätestens im Gespräch mit der Rechtsberatung im Studierendenwerk am 7. Februar 2023, bewusst, dass ein Widerspruch gegen den Nichtbestehensbescheid nicht eingelegt worden war. Die Frist zur Stellung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lief folglich allerspätestens am 21. Februar 2023 ab. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfolgte jedoch gegenüber dem Antragsgegner erst mit Schreiben vom 25. März 2023.
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Ob bei Auslegung des Antrags der Antragstellerin vom 25. März 2023 darüber hinaus ebenfalls die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist beantragt worden ist, kommt es für die Erfolgsaussichten dieses Antrags nicht an. Zwar wurde die Antragstellerin mit Anordnung der sofortigen Vollziehung im Schreiben vom 6. März 2023 darauf hingewiesen, dass für eine Prüfung des Nichtbestehensbescheids ein Widerspruch gegen diesen erforderlich sei, sodass auch diesbezüglich ein rechtzeitiges Einreichen in Frage steht. Jedoch kommt es hierbei im Rahmen des Vorgehens gegen den Exmatrikulationsbescheid nicht an, da die Exmatrikulation grundsätzlich einen bestandskräftigen oder rechtmäßigen Nichtbestehensbescheid nicht zur Voraussetzung hat (BayVGH, B.v. 3.2.2014 – 7 C 14.17 – juris Rn. 4). Es genügt daher allein die Existenz des Nichtbestehensbescheid für den Erlass eines Exmatrikulationsbescheids (BayVGH, B.v. 3.2.2014 – 7 C 14.17 – juris Rn. 2).
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b) Der Antragsgegner stützt den Exmatrikulationsbescheid wie auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung dieses Bescheids auf die Feststellung, dass die Antragstellerin eine Prüfung in ihrem Studiengang endgültig nicht bestanden hat und mangels fristgerechten Antrag auf Studienzeitverlängerung nicht mehr bestehen kann.
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Nach § 12 Abs. 2 S. 1 der Prüfungsordnung im betreffenden Studiengang sollen bis Ende des achten Fachsemesters alle erforderlichen 180 Leistungspunkte erbracht worden sein. Nach § 12 Abs. 3 S. 1 der Prüfungsordnung gilt die Bachelorprüfung als endgültig nicht bestanden, wenn innerhalb von zehn Semestern die erforderlichen 180 Leistungspunkte nicht erfolgreich erbracht wurden.
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Zum Zeitpunkt des Erlasses des Nichtbestehensbescheids wie auch des Exmatrikulationsbescheids befand sich die Antragstellerin im elften Fachsemester. Ausweislich der vorgelegten Modul- und Lehrveranstaltungsbestätigung sowie beidseitig vorgetragen hat die Antragstellerin im elften Fachsemester die notwendigen Leistungspunkte nicht erreicht.
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Zwar besteht nach § 12 Abs. 4 S. 1 der Prüfungsordnung die Möglichkeit der Stellung eines Antrags auf Fristverlängerung. Ausweislich § 12 Abs. 4 S. 4 der Prüfungsordnung ist ein solcher Antrag vor Ablauf der Frist über das endgültige Nichtbestehen der Bachelorprüfung zu stellen. Ein Antrag auf Fristverlängerung wurde durch die Antragstellerin allerdings erst mit Schreiben vom 25. März 2023 und damit nach dem Ablauf der in der Prüfungsordnung geforderten Frist gestellt.
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Darüber hinaus fehlt es bei dem von der Antragstellerin gestellten Antrag auf Fristverlängerung an dem nach der Prüfungsordnung geforderten ärztlichen Attest im Falle einer, wie von der Antragstellerin vorgetragenen, Erkrankung als Verhinderungsgrund. Insbesondere wurde die Antragstellerin auf die Notwendigkeit der Vorlage eines ärztlichen Attests im Rahmen der Anordnung der sofortigen Vollziehung am 6. März 2023 ausdrücklich hingewiesen. Eine Vorlage ist dennoch nicht mit Stellung des Antrags auf Fristverlängerung am 25. März 2023 erfolgt. Ausweislich der betreffenden Prüfungsordnung ist es nach § 12 Abs. 4 S. 6 erforderlich, dass das ärztliche Attest im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Erkrankung ausgestellt wurde – im Falle der hier versäumten Frist auf Beantragung dieser Fristverlängerung darüber hinaus der dadurch erforderliche Nachweis, dass eben diese Erkrankung die Antragstellerin an der rechtzeitigen Stellung des Fristverlängerungsantrages gehindert habe.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Antragstellerin hat als unterlegener Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 Gerichtskotengesetz (GKG) i.V.m. Ziffer 18.1 des Streitwertkatalogs. Für das Eilverfahren war in Anwendung von Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit die Hälfte des Regelstreitwerts anzusetzen.