Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 17.04.2023 – Au 8 S 23.347
Titel:

Einstweiliger Rechtsschutz gegen kombinierten Leinen- und Maulkorbzwang

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
LStVG Art. 8, Art. 18 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
Leitsätze:
1. Nach Art. 18 Abs. 2 iVm Abs. 1 S. 1 LStVG können die Gemeinden zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Eine solche Anordnung darf jedoch nur verfügt werden, wenn in dem zu betrachtenden Einzelfall eine konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter vorliegt. Von einer solchen konkreten Gefahr ist auszugehen, wenn große Hunde auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei herumlaufen, auch wenn es in der Vergangenheit noch nicht zu konkreten Beißvorfällen gekommen ist. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist es bereits zu einem Beißvorfall oder sonstigen Schadensfall durch den Hund gekommen, ist eine konkrete Gefahr zu bejahen, wenn nicht dargelegt werden kann, dass eine Wiederholung auch ohne Erlass einer sicherheitsrechtlichen Anordnung auszuschließen ist. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, einen Leinenzwang in bewohnten Gebieten anzuordnen. Eine zusätzliche Maulkorbpflicht bzw. ein kombinierter Leinen- und Maulkorbzwang kann jedoch nur verfügt werden, wenn es im Einzelfall zur effektiven Gefahrenabwehr notwendig ist, wenn also ein bloßer Leinenzwang zur Abwehr der von dem konkreten Hund ausgehenden Gefahr nicht genügt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kombinierter Leinen- und Maulkorbzwang, Hundehaltung, kombinierter Leinen- und Maulkorbzwang, sofortige Vollziehung, Gefahrenprognose, große Hunde, Beißvorfall, Nachbarn, Verhältnismäßigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10737

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Februar 2023 wird hinsichtlich der Ziffer 2 (Maulkorbzwang) wiederhergestellt und hinsichtlich Ziffer 4 insoweit angeordnet, als ein Zwangsgeld hinsichtlich Ziffer 2 des Bescheides angedroht worden ist.
II. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
III. Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller und die Antragsgegnerin jeweils zur Hälfte.
IV. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
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Der Antragsteller wendet sich gegen Anordnungen zur Hundehaltung seines Hundes „...“ (kombinierter Leinen- und Maulkorbzwang).
2
Der Antragsteller ist Halter zweier Hunde, eines Collie-Appenzeller-Mischlings namens „...“ und eines Labrador-Mischlings mit Rufnamen „...“, ein Rüde mit einer Schulterhöhe von ca. 63 cm. Am 7. November 2022 kam es zu einem Beißvorfall, bei dem der Hund „...“ ohne Leine und ohne Aufsicht den Nachbarn des Antragstellers in den kleinen Finger biss, der daraufhin auf Grundgliedhöhe amputiert werden musste. Das Polizeipräsidium ... – Zentrale Einsatzdienste ... – hat im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens den Hund in Augenschein genommen und in der Stellungnahme vom 26. November 2022 ausgeführt, dass von dem Hund grundsätzlich keine Gefährdung hinsichtlich gesteigerter Aggression ausgehe und der Beschuldigte in der Lage sei, den Hund sicher zu führen. Die entstandene schwere Verletzung könne durch eine konsequente Anbringung einer Leine (außerhalb der Wohnung) in Zukunft unterbunden werden. Das Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung (Az. ...) wurde mit Verfügung der Staatsanwaltschaft, Zweigstelle, vom 17. Januar 2023 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
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Nach Anhörung verpflichtete die Antragsgegnerin den Antragsteller mit Bescheid vom 6. Februar 2023, seinen Labrador-Mischling „...“ ab sofort in allen öffentlichen Anlagen und auf allen öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen innerhalb des bebauten Zusammenhangs und im Umkreis von 100 m davon jeweils an einer reißfesten Leine, deren Länge nicht mehr als 2 m betragen darf, und mit einem schlupfsicheren Halsband auszuführen (Ziffer 1). Des Weiteren verpflichtete sie ihn dazu, seinen Hund in den gleichen Bereichen nur mit einem, das Beißen verhindernden Maulkorb auszuführen (Ziffer 2). In Ziffer 3 wurde der Sofortvollzug angeordnet. Für den Fall eines Verstoßes gegen die Anordnungen aus Ziffern 1 und 2 des Bescheids wurde ein Zwangsgeld in Höhe von jeweils 500,00 EUR angedroht (Ziffer 4). Am 7. November 2022 sei es zu einem schweren Beißvorfall gekommen, bei dem „...“ alleine ohne Leine unterwegs gewesen sei und den Geschädigten schwer verletzt habe. Daneben würden noch weitere Beschwerden vorliegen. So sei es am 23. August 2021 zum Angriff eines anderen Hundes, der dabei gebissen worden sei, durch einen der unangeleinten Hunde des Antragstellers gekommen. Am 10. November 2022 habe einer der Hunde versucht, über die Eingangstreppe durch die geöffnete Haustür in ein anderes Wohnhaus zu gelangen. Der Hund sei ohne Leine und alleine unterwegs gewesen. Er habe durch sein Verhalten die Grundstückseigentümerin erschreckt. Am 11. Dezember 2022 sei es zu einem Angriff eines anderen Hundes durch einen der unangeleinten Hunde des Antragstellers gekommen. Bei den Anordnungen handle es sich um Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises, da die Auswirkungen der Gefahren nicht auf das Stadtgebiet beschränkt seien. Der Hund „...“ sei in der Vergangenheit bereits mehrmals verhaltensauffällig geworden. Es sei zu befürchten, dass er in naher Zukunft wieder Menschen oder Tiere beißen werde. Somit gehe eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung von ihm aus. Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Labrador-Mischling rassebedingt um ein großes Tier handle. Ein Fehlverhalten der Geschädigten bei den Zwischenfällen sei nicht ersichtlich. Anhaltspunkte, die die Richtigkeit dieser Vorfälle in Zweifel ziehen könnten, würden aufgrund der bei der Polizeiinspektion aktenkundigen Aussagen der Geschädigten und der vorliegenden Unterlagen nicht bestehen. Nach pflichtgemäßem Ermessen werde ein Einschreiten im öffentlichen Interesse für notwendig gehalten. Die wiederholten Vorfälle würden zeigen, dass es auch in der Zukunft zu Sicherheitsstörungen kommen werde. Die Maßnahmen seien auch geeignet, um die von dem Hund ausgehenden Gefahren zu verhindern. Solange der Hund an der Leine mit einem Maulkorb geführt werde, könne er besser vom Hundehalter unter Kontrolle gehalten und Beißvorfälle o.ä. könnten verhindert werden. Mildere Mittel seien nicht ersichtlich. Dem Auslaufbedürfnis des Hundes werde dadurch Rechnung getragen, dass außerhalb der bebauten Gebiete Auslauf auch ohne Leine möglich sei. Die Verpflichtung des Maulkorbs sei lediglich innerhalb des bebauten Zusammenhangs notwendig, sodass eine übermäßige Beeinträchtigung des Hundes vermieden werde. Bebaute Gebiete seien regelmäßig stärker frequentiert als Bereiche im Außenbereich, sodass hier ein erhöhtes Risiko für einen Beißvorfall vorliege. Das Tragen eines Maulkorbs verhindere dies. Unter Abwägung der gegenläufigen Interessen müssten im Interesse einer effektiven Gefahrenabwehr und der insoweit höherrangigen Grundrechte betroffener Personen die Interessen des Hundehalters zurücktreten. Die sofortige Vollziehung liege im öffentlichen Interesse. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass in der Zeit zwischen dem Erlass des Bescheids und seiner Bestandskraft die hochrangigen Rechtsgüter des Lebens und der Gesundheit der Bevölkerung geschädigt würden. Es sei weiterhin mit entsprechenden Vorfällen zu rechnen.
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Dagegen erhob der Antragsteller Klage, über die noch nicht entschieden worden ist (Au 8 K 23.346), und beantragte gleichzeitig,
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die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs im Wege des einstweiligen Rechtschutzes herzustellen.
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Der Verwaltungsakt sei bereits nichtig. Von dem Labradormischling gehe keine konkrete Gefahr aus. Der tragische „Beißvorfall“ vom 7. November 2022 stelle lediglich ein unfallhaftes Geschehen dar. Der Hund sei ihm um 20.00 Uhr weit außerhalb des „bebauten Zusammenhangs“ freilaufend außer Sicht gekommen und sei nach Hause gelaufen. Das Ermittlungsverfahren sei eingestellt worden. Hinsichtlich der sonstigen Vorfälle sei zu beachten, dass es im Gemeindegebiet mindestens ein halbes Dutzend ähnlicher Hunde, die seinem zum Teil zum Verwechseln ähnlich sehen würden, geben würde. Die Anzeigeerstatterin von dem Vorfall vom 23. August 2021 habe weder den Namen des Mannes gewusst, noch die Person oder den Hund beschreiben können. Es dränge sich der Anfangsverdacht mehrerer Straftaten im Bereich der Verleumdung, falscher Verdächtigung etc. auf. Gleiches gelte für den Vorfall vom 10. November 2022. Bei dem Vorfall am 11. Dezember 2022 sei ein nicht unerheblich alkoholisiert wirkender Mann mit einem kleinen Hund entgegengelaufen, während er mit seinen beiden Hunden unangeleint entgegengekommen sei. „...“ habe mit dem kleinen Hund Kontakt aufnehmen wollen, habe aber problemlos zurückgerufen werden können. Die Antragsgegnerin habe gegen den Untersuchungsgrundsatz verstoßen. Sie habe die Stellungnahme des sachkundigen Hundeführers des Polizeipräsidiums ... ignoriert, der „...“ „guten Pflegezustand, Unaufgeregtheit, keinerlei Formen der Aggression, Sicherheit und Streichelbereitschaft, innerartliche Unauffälligkeit und keinerlei Dominanz“ bescheinigt habe. Des Weiteren würde die Antragsgegnerin ihre Kompetenzen hinsichtlich sachlicher und örtlicher Zuständigkeit überschreiten.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Der angefochtene Bescheid erweise sich als voraussichtlich rechtmäßig. Die Verwaltungsgemeinschaft sei sachlich und örtlich zuständig, sodass keine Nichtigkeit vorliege. Die mit der sicherheitsrechtlichen Einzelfallanordnung verfolgte Schutzwirkung ende nicht zwangsläufig an der Grenze des Gemeindegebietes. Es handle sich damit regelmäßig um Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises, womit die Anordnungen auch außerhalb des Gemeindegebiets und damit letztlich bayernweite Geltung beanspruchen würden. Festzuhalten sei, dass der Hund des Antragstellers „...“ eine Schulterhöhe von 63 cm aufweise und damit als großer Hund im Sinne der Rechtsprechung anzusehen sei. Insbesondere der Vorfall vom 7. November 2022 belege die vorliegende konkrete Gefahr. Hier sei festzustellen, dass der ohne Beaufsichtigung freilaufende Hund in eine Privatfläche eingedrungen und dabei sowohl den dort befindlichen Hund attackiert als auch den Eigentümer mit erheblichen Folgen gebissen habe. Aus dem Akteninhalt gehe hervor, dass die Hunde des Antragstellers wiederholt unangeleint im Gemeindegebiet unterwegs seien und dabei auch Privatgrund betreten würden mit der Folge, dass dem Tier mit großer Angst begegnet werde. Die einzelnen Vorfälle seien auch nicht als „freie Halluzinationen“ anzusehen. So sei aktenkundig bereits am 11. Dezember 2022 ein erneuter Polizeieinsatz erforderlich gewesen, bei dem der Hund einen weiteren Hund angegriffen, aber nicht verletzt habe. Die aus dem Akteninhalt hervorgehenden Fälle würden belegen, dass der Hund des Antragstellers aggressiv gegenüber anderen Hunden reagiere. Der Antragsteller würde selbst einräumen, dass er beim Vorfall am 7. November 2022 seinen Hund nicht ausreichend beaufsichtigt habe, mit der Folge, dass dieser alleine innerhalb der geschlossenen Ortschaft „nach Hause“ gelaufen sei. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Antragsteller insoweit auch als uneinsichtig bezeichnet werden müsse, nachdem er die von seinem freilaufenden Tier ausgehende Gefahr herunterspiele und diese als „psychotischen Alarmismus“ bezeichne. Der angeordnete Leinenzwang sei mit einer nur geringen Beeinträchtigung von Halter und Hund verbunden. Auch die angeordnete Länge der Leine von 2 m sei nicht zu beanstanden. Der angeordnete Maulkorbzwang sei vor diesem Hintergrund ebenfalls nicht zu beanstanden. Vor dem Hintergrund des Vorfalls am 7. November 2022 sei die Kombination des Leinen- und Maulkorbzwangs nicht zu beanstanden und erweise sich als verhältnismäßig. Das Für und Wider sei umfassend gegeneinander abgewogen worden, wobei insbesondere auch durch die Beschränkung der Anordnungen innerhalb des bebauten Zusammenhangs und im Umkreis von 100 m dem Auslaufbedürfnis des Hundes Rechnung getragen werde. Mildere Mittel seien nicht erkennbar.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
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Der zulässige Antrag hat teilweise Erfolg. Dabei wird nach dem erkennbaren Rechtsschutzziel des Antragstellers der Antrag gemäß §§ 122, 88 VwGO dahingehend ausgelegt, dass beantragt wird, die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich Ziffer 1 und Ziffer 2 des Bescheids wiederherzustellen und hinsichtlich Ziffer 4 des Bescheids anzuordnen.
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1. Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht bei seiner Entscheidung über den Antrag, die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage wiederherzustellen bzw. anzuordnen, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes und das Interesse des Betroffenen, vom sofortigen Vollzug bis zur Entscheidung in der Hauptsache zunächst verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Hierbei hat das Gericht die Erfolgsaussichten der Klage, soweit sie im Rahmen der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung überschaubar sind, zu berücksichtigen. Lassen sich nach summarischer Überprüfung noch keine Aussagen über die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs machen, ist also der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. zum Vorstehenden BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BVerwG, B.v. 11.11.2020 – 7 VR 5.20 u.a. – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369).
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2. Soweit die Behörde die sofortige Vollziehung ausdrücklich gemäß der Regelung in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat, d.h. die aufschiebende Wirkung der Klage nicht bereits kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, hat das Gericht zunächst zu prüfen, ob sich bereits die Anordnung der sofortigen Vollziehung als formell rechtswidrig erweist, insbesondere ob sich die behördliche Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung im Sinne des § 80 Abs. 3 VwGO als ausreichend erweist. Ist dies nicht der Fall, hat das Gericht ohne weitere Sachprüfung die Vollziehungsanordnung aufzuheben (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 98). An die im Bescheid gegebene Begründung für die sofortige Vollziehung sind keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen, soweit darin der Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung für die Behörde erkennbar wird (Eyermann/Hoppe, VwGO, § 80 Rn. 54 ff.).
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Vorliegend genügt die Begründung den Anforderungen nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Antragsgegnerin setzt sich in ihrer Begründung hinreichend mit den Besonderheiten des Einzelfalls unter Berücksichtigung der typischen Interessen der Haltung eines Hundes auseinander (vgl. BayVGH, B.v. 30.6.2014 – 10 CS 14.1245 u.a. – juris Rn. 14). Eine bloß formelhafte Begründung liegt nicht vor.
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3. Der Antrag hinsichtlich Ziffer 1 des Bescheids (Leinenzwang) hat keinen Erfolg. Die Anordnung erweist sich nach summarischer Prüfung voraussichtlich als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Gründe, gleichwohl im Interesse des Antragstellers die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen, sind nicht ersichtlich.
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a) Rechtsgrundlage für die sicherheitsrechtliche Anordnung ist Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 LStVG. Danach können die Gemeinden zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Eine solche Anordnung darf jedoch nur verfügt werden, wenn in dem zu betrachtenden Einzelfall eine konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter vorliegt. Nach der Rechtsprechung ist von einer solchen konkreten Gefahr auszugehen, wenn große Hunde auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei herumlaufen, auch wenn es in der Vergangenheit noch nicht zu konkreten Beißvorfällen gekommen ist (vgl. BayVGH, U.v. 6.4.2016 – 10 B 14.1054 – juris Rn. 19 m.w.N.). Ist es bereits zu einem Beißvorfall oder sonstigen Schadensfall durch den Hund gekommen, ist eine konkrete Gefahr zu bejahen, wenn nicht dargelegt werden kann, dass eine Wiederholung auch ohne Erlass einer sicherheitsrechtlichen Anordnung auszuschließen ist (BayVGH, B.v. 3.6.2022 – 10 CS 22.982, 10 C 22.983 – juris Rn. 15 m.w.N.).
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b) Der Bescheid ist nicht nichtig. Nach Art. 44 BayVwVfG ist ein Bescheid nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Anhaltspunkte dafür liegen entgegen der Behauptung des Antragstellers nicht vor. Insbesondere war die Antragsgegnerin örtlich und sachlich für den Erlass des streitgegenständlichen Bescheids zuständig. Die Anordnungen hinsichtlich des Leinen- und Maulkorbzwangs sind dem sog. übertragenen Wirkungskreis zuzuordnen, da sie sich nicht auf das Gebiet einer (Mitglieds-)gemeinde beschränken. Nach Art. 4 Abs. 1 der Verwaltungsgemeinschaftsordnung für den Freistaat Bayern nimmt die Verwaltungsgemeinschaft alle Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises ihrer Mitglieder wahr (BayVGH, B.v. 7.4.2004 – 24 CS 04.53 – juris Rn. 11 ff.; B.v. 3.5.2017 – 10 CS 17.405 – juris Rn. 4; B.v. 10 ZB 21.2487 – juris Rn. 11).
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c) Im vorliegenden Fall durfte die Antragsgegnerin aufgrund ihrer Erkenntnisse auch zu Recht davon ausgehen, dass vom Hund „...“ des Antragstellers eine konkrete Gefahr im vorgenannten Sinne ausgeht. Dies gilt bereits deshalb, da der Hund eine Schulterhöhe von ca. 63 cm (vgl. Bild 2 der Ermittlungsakte, Bl. 44 der Gerichtsakte) erreicht. Damit ist von einem großen Hund im Sinne der Rechtsprechung, die einen großen Hund bei einer Schulterhöhe ab ca. 50 cm annimmt, auszugehen. Da sich der Hund öfters freilaufend und unbeaufsichtigt im Gemeindegebiet aufgehalten hat und dort sowohl Publikums- als auch Autoverkehr stattfindet, ist nachvollziehbar von einer konkreten Gefahr auszugehen. Unabhängig davon, ob der Hund selbst als gefährlich einzustufen ist, ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass Menschen, die in bewohntem Umfeld vor einem unangeleinten großen Hund, auch dann, wenn er auf den ersten Blick nicht furchteinflößend wirkt, Angst haben und es aufgrund von unvorhersehbaren oder unkontrollierten Reaktionen von Menschen und/oder Hunden zu erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit kommen kann (BayVGH, B.v. 13.11.2008 – 10 CS 18.1780 – juris Rn. 10).
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Unabhängig von der Größe des Hundes kam es jedoch auch bereits zu einem Beißvorfall. Unstreitig hat der Hund „...“ dem Nachbarn des Antragstellers in den kleinen Finger gebissen, sodass dieser auf Grundgliedhöhe amputiert werden musste. Auf ein eventuelles Fehlverhalten des Nachbarn kommt es nicht an (BayVGH, U.v. 9.11.2010 – 10 BV 06.3053 – juris Rn. 26). Damit durfte die Antragsgegnerin bei der von ihr vorzunehmenden Gefahrenprognose zu Recht davon ausgehen, dass von diesem Hund eine konkrete Gefahr ausgeht. Keine Rolle spielt es insoweit, dass das strafrechtliche Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist. Auf die weiteren angeführten Vorfälle kommt es insoweit nicht mehr maßgebliche an, unabhängig davon, ob es sich dabei tatsächlich jeweils um den Hund des Antragstellers gehandelt hat.
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Die Antragsgegnerin ist bei ihrer Prognoseentscheidung auch zu Recht davon ausgegangen, dass eine Wiederholung ohne Erlass einer sicherheitsrechtlichen Anordnung nicht auszuschließen ist. So kam es unstreitig am 11. Dezember 2022 zu einem weiteren Vorfall, bei dem der Hund des Antragstellers unangeleint mit einem anderen Hund in Konflikt geraten, auch wenn dabei keiner der Hunde verletzt worden ist.
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Die Regelung, die sich auf Plätze innerhalb des bebauten Zusammenhangs und im Umkreis von 100 m bezieht, ist auch bestimmt genug. Die Entfernung von 100 m außerhalb des bebauten Zusammenhangs lässt sich leicht abschätzen und ist daher als ausreichend bestimmt anzusehen (BayVGH, B.v. 12.2.2015 – 10 CS 14.2820 – juris Rn. 8).
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d) Die Antragsgegnerin hat auch ihr Ermessen, das nach § 114 VwGO nur auf das Vorliegen möglicher Ermessensfehler hin zu überprüfen ist, fehlerfrei ausgeübt. Insoweit wurde auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz berücksichtigt. So hat die Antragsgegnerin die Anordnung des Leinenzwangs auf den bebauten Bereich und einem Umkreis von 100 m davon beschränkt und damit für den Außenbereich grundsätzlich einen Auslauf ohne Leinenzwang zugelassen. Es besteht kein Zweifel daran, dass diese teilweise Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Hundes im Sinne einer effektiven Gefahrenabwehr geboten ist. Insoweit ist auch nicht zu beanstanden, dass eine Leinenlänge von zwei Meter angeordnet worden ist. Nur bei Verwendung einer entsprechenden kurzen Leine wird der Hundehalter in die Lage versetzt, bei Gefahrensituationen unverzüglich auf den Hund einwirken zu können (VG Ansbach, B.v. 23.7.2018 – AN 15 S 17.02338 – juris Rn. 45; BayVGH, B.v. 31.3.2022 – 10 CS 21.2222 – juris Rn. 10).
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e) Insoweit liegen auch keine Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der Zwangsgeldandrohnung hinsichtlich Ziffer 1 des Bescheids vor. Die Höhe des Zwangsgelds verhält sich im Rahmen des Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG und ist angemessen.
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4. Der Antrag hat hinsichtlich Ziffer 2 des Bescheids (Maulkorbzwang) Erfolg, da diese Anordnung voraussichtlich rechtswidrig ist und den Antragsteller insoweit in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
25
a) In ständiger Rechtsprechung wird zwar grundsätzlich die Möglichkeit bejaht, einen Leinenzwang in bewohnten Gebieten anzuordnen. Eine zusätzliche Maulkorbpflicht bzw. ein kombinierter Leinen- und Maulkorbzwang kann jedoch nur verfügt werden, wenn es im Einzelfall zur effektiven Gefahrenabwehr notwendig ist, wenn also ein bloßer Leinenzwang zur Abwehr der von dem konkreten Hund ausgehenden Gefahr nicht genügt (vgl. BayVGH, B.v. 24.5.2022 – 10 CS 22.865 – juris Rn. 5; B.v. 4.2.2019 – 10 ZB 17.802 – juris Rn. 3 ff.; B.v. 20.8.2014 – 10 ZB 14.1184 – juris Rn. 5; B.v. 31.7.2014 – 10 ZB 14.688 – juris Rn. 9; B.v. 5.2.2014 – 10 ZB 13.1645 – juris Rn. 4; B.v 17.4.2013 – 10 ZB 12.2706 – juris Rn. 5).
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b) Die Antragsgegnerin hat nicht dargetan, warum die Anordnung des bloßen Leinenzwangs zur Abwehr der von dem konkreten Hund ausgehende Gefahr nicht genügen sollte. Bei allen geschilderten Vorfällen, insoweit unterstellt, dass es sich dabei tatsächlich um den Hund „...“ gehandelt hat, war der Hund jedenfalls nicht angeleint. Es ist somit davon auszugehen, dass die Anordnung eines kombinierten Leinen- und Maulkorbzwangs grundsätzlich nicht verhältnismäßig ist, da nicht nachgewiesen worden ist, dass es dem Hund auch gelingen würde, Menschen oder andere Tiere zu verletzen oder zu erschrecken, wenn er angeleint ist.
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c) Das angedrohte Zwangsgeld hinsichtlich Ziffer 2 dient zur Durchsetzung der Maulkorbpflicht und teilt daher deren rechtliches Schicksal. Im Hauptsacheverfahren wird die Ziffer 4 voraussichtlich teilweise aufzuheben sein, da es an den Vollstreckungsvoraussetzungen fehlt.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und folgt dem Grad des jeweiligen Obsiegens bzw. Unterliegens.
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6. Der Streitwert war nach §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG zu bestimmen. Das Gericht orientiert sich dabei an den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Nrn. 1.5, 35.1).