Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 30.01.2023 – W 8 K 22.30651
Titel:

Asyl, Iran: Flüchtlingsschutz für Konvertit                        

Normenketten:
AsylG § 3, § 28 Abs. 1a
AufenthG § 60
RL 2011/95/EU Art. 9 , Art. 10 Abs. 1 lit. b
RelKErzG § 5 S. 2
Leitsatz:
Aufgrund der aktuellen Lage besteht im Iran für christliche Konvertiten, die ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen oder sonst öffentlichkeitswirksam ausüben, die beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen.  (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Iran, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, angebliche Todesdrohung durch Bruder und Onkel wegen unehelichem Kind, Kontakt zum Christentum im Iran, Konversion vom Islam zum Christentum, Taufvorbereitung und Taufe in der Schweiz, Evangelische-reformierte Kirchengemeinde, Weesen-Amden, Schweiz, Evangelisches Dekanat, Wertheim, Stiftskirche Wertheim, persönliches Bekenntnis zum Christentum, Unterschiede zwischen Islam und Christentum, christliche Aktivitäten, Gottesdienste, Internet, soziale Medien, Missionierung, Glaubensbekenntnis, ernsthafter und nachhaltiger Glaubenswandel, identitätsprägende Glaubensbetätigung, andauernde religiöse Prägung, Bekräftigung durch christliche Gemeinde, evangelische-reformierte Kirchengemeinde, evangelisches Dekanat
Fundstelle:
BeckRS 2023, 1057

Tenor

I. Die Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. August 2022 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

Tatbestand

1
Die Kläger, iranische Staatsangehörige, sind eine Mutter mit ihrem knapp 13jährigem Sohn. Sie reisten am 30. September 2019 in die Bundesrepublik ein und stellten am 8. Oktober 2019 Asylanträge. Zur Begründung gab die Klägerin zu 1) im Wesentlichen an: Sie sei vom Vater des Klägers zu 2) geschieden. Der Vater eines weiteren Kindes habe eine Heirat abgelehnt, aber die Vaterschaft anerkannt. Daraufhin hätten der Bruder und der Onkel der Klägerin zu 1) angekündigt, sie mit dem Kind umzubringen. Sie sei schon im Iran vom Isam zum Christentum konvertiert. Die Kläger seien laut Taufurkunden vom 26. April 2019 in der Evangelischreformierten Kirchengemeinde W.-A. (Schweiz) getauft.
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Mit Bescheid vom 19. August 2022 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Klägern die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Nr. 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2) und erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Kläger wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung, im Falle einer Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens, zu verlassen. Die Abschiebung in den Iran oder eine andere Stadt wurde angedroht. Die Ausreisefrist wurde bis zum Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist ausgesetzt (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 20 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Angaben der Kläger zu den fluchtauslösenden Ereignissen seien detailarm, vage und oberflächlich sowie widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Gegen die Glaubhaftigkeit spreche schon die später revidierten Angaben zum Reiseweg und Verlust des Reisepasses sowie zum Absehen ihrer Verwandten von der vorgetragenen Tötungsabsicht. Auch die Abkehr vom islamischen Glauben könne bei der Klägerin zu 1) nicht nachvollzogen werden. Ebenso begegne die Hinwendung der Klägerin zu 1) zum christlichen Glauben begründeten Zweifeln. Trotz der angeblichen strengen Religiosität ihrer Familie habe die Klägerin zu 1) ihren lockeren Umgang mit dem Islam fortgesetzt. Die Entdeckung des Christentums schildere sie inhaltsleer. Die Angaben zur Hauskirche seien nicht nachvollziehbar. Sie scheine trotz des formellen Glaubensübertritts durch die Taufe allenfalls oberflächlich über das Christentum informiert. Mangels christlicher Identitätsprägung könne nicht nachvollzogen werden, dass die Klägerin zu 1) ihren Glauben im Iran ausleben würde. Gerade das Wiederholen von Floskeln insbesondere unter Berücksichtigung ihrer geringen Kenntnisse spreche eher für eine asyltaktische Motivation als für eine tiefe Verinnerlichung christlicher Werte. Auch ein formaler Glaubensübertritt zum Christentum würde bei Rückkehr in den Iran nicht ohne weiteres zum Vorwurf der Apostasie führen. Allgemein werde eine Unterscheidung zwischen Konvertiten, die bereits vor der Ausreise im Fokus der Sicherheitskräfte geraten seien, und denjenigen, die nach der Ausreise einen Glaubensübertritt vorgenommen hätten, vorgenommen. Eigene Asylgründe für den Kläger zu 2) sei nicht geltend gemacht worden.
3
Am 31. August 2022 ließen die Kläger Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben und mit Schriftsatz vom 15. Januar 2023 ein Glaubenszeugnis des Evangelischen Dekanats Wertheim zu ihrem christlichen Engagement übersenden, wonach die Klägerin zu 1) keine „Papierchristin“ sei, und im Wesentlichen weiter ausführen: Die Klägerin zu 1) besuche seit längerem die Stiftskirche in Wertheim. In Wertheim wohne der Kindsvater von Rafael. In Bamberg sei sie seinerzeit in eine Kirche gegangen. Diese habe eine Übersetzung auf Persisch über Kopfhörer angeboten gehabt. Außerdem schaue sie sich auf YouTube Gottesdienste auf Persisch an. Die Klägerin zu 1.) habe sich glaubwürdig dem Christentum zugewandt. Es besteht für die Klägerin aufgrund ihrer Konversion vom Islam zum Christentum eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran, zumal sie bereits vor der Ausreise im Iran in einer Hauskirche gewesen sei.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 1. September 2022,
die Klage abzuweisen.
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Die Kammer übertrug den Rechtstreit mit Beschluss vom 31. August 2022 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.
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Das Gericht bewilligte den Klägern mit Beschluss vom 8. Dezember 2022 Prozesskostenhilfe und ordnete ihnen ihren Prozessbevollmächtigten bei.
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In der mündlichen Verhandlung am 30. Januar 2023 beantragte der Klägerbevollmächtigte,
die Beklagte unter Aufhebung der Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. August 2022 zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;
hilfsweise den Klägern den subsidiären Schutz zuzuerkennen;
hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Das Gericht hörte die Kläger informatorisch an.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.
11
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. August 2022 ist in seinen Nrn. 1 und 3 bis 6 rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG). Aus diesem Grund war der streitgegenständliche Bescheid, wie zuletzt beantragt, insoweit aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) sowie zum Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 AufenthG war nicht zu entscheiden.
12
Unter Berücksichtigung der aktuellen abschiebungsrelevanten Lage im Iran haben die Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.
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Gemäß §§ 3 ff. AsylG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe wie die Religion (vgl. dazu Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 - so genannte Anerkennungsrichtlinie oder Qualifikationsrichtlinie bzw. § 3b AsylG) Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (§ 3a AsylG). Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit kann eine Verfolgungshandlung darstellen, wenn der Betreffende auf Grund der Ausübung dieser Freiheit tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei ist es nicht zumutbar, von seinen religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 - C-71/11 und C-99/11 - ABl. EU 2012, Nr. C 331 S. 5 - NVwZ 2012, 1612).
14
Nach Überzeugung des Gerichts besteht für die Kläger aufgrund ihrer Konversion vom Islam zum Christentum eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran.
15
Denn aufgrund der aktuellen Lage, welche sich aus den in den Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergibt, besteht im Iran für christliche Konvertiten, die ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen oder sonst öffentlichkeitswirksam ausüben, die beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (vgl. im Einzelnen VG Würzburg, U.v. 5.9.2022 - W 8 K 22.30383 - juris; U.v. 27.5.2022 - W 8 K 21.31219 - juris; U.v. 12.4.2021 - W 8 K 20.31281 - juris; U.v. 25.1.2021 - W 8 K 20.30746 - juris; U.v. 11.7.2012 - W 6 K 11.30392) sowie verschiedener Bundes- bzw. Obergerichte (vgl. BayVGH, U.v. 29.10.2020 - 14 B 19.32048 - BeckRS 2020, 34047; B.v. 26.2.2020 - 14 ZB 19.31771 - juris; B.v. 16.1.2020 - 14 ZB 19.30341 - juris; B.v. 9.5.2019 - 14 ZB 18.32707 - juris; B.v. 6.5.2019 - 14 ZB 18.32231 - juris; U.v. 25.2.2019 - 14 B 17.31462 - juris; B.v. 19.7.2018 - 14 ZB 17.31218; B.v. 9.7.2018 - 14 ZB 17.30670 - juris; B.v. 16.11.2015 - 14 ZB 13.30207 - juris sowie OVG LSA, U.v. 14.7.2022 - 3 L 9/20 - juris; SächsOVG, U.v. 24.5.2022 - 2 A 577/19.A - juris; U.v. 30.11.2021 - 2 A 488/19.A - juris; U.v. 3.4.2008 - A 2 B 36/06 - juris; OVG MV, U.v. 2.3.2022 - 4 LB 785/20 OVG - juris; HambOVG, U.v. 8.11.2021 - 2 Bf 539/19.A - juris; OVG NRW, U.v. 6.9.2021 - 6 A 139/19.A - juris; B.v. 6.7.2021 - 6 A 31/20.A - juris; U.v. 21.6.2021 - 6 A 2114/19.A - juris; B.v. 6.1.2021 - 6 A 3413/20.A - juris; B.v. 19.2.2020 - 6 A 1502/19.A - juris; B.v. 2.1.2020 - 6 A 3975/19.A - juris; B.v. 21.10.2019 - 6 A 3923/19.A - juris; B.v. 15.2.2019 - 6 A 1558/18.A - juris; B.v. 28.6.2018 - 13 A 3261/17.A - juris; U.v. 7.11.2012 - 13 A 1999/07.A - DÖV 2013, 323; U.v. 30.7.2009 - 5 A 982/07.A - EzAR-NF 62 Nr. 19; OVG SH, B.v. 11.11.2020 - 2 LA 35/20 - juris, U.v. 24.3.2020 - 2 LB 20/19 - juris; Thür OVG, U.v. 28.5.2020 - 3 KO 590/13 - juris; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 3.4.2020 - 2 BvR 1838/15 - NVwZ 2020, 950; HessVGH, U.v. 18.11.2009 - 6 A 2105/08.A - ESVGH 60, 248; OVG Saarl., U.v. 26.6.2007 - 1 A 222/07 - InfAuslR 2008, 183; siehe auch Froese, NVwZ 2021, 43; jeweils m.w.N.) unterliegen iranische Staatsangehörige, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, bereits dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie, wenn sie im Iran lediglich ihren Glauben außenwirksam ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen. Erforderlich und ausreichend dafür ist, dass eine konvertierte Person im Iran nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten, eine herausgehobene Rolle einnehmen, in Ausübung ihres Glaubens an öffentliche Riten, wie etwa Gottesdiensten teilnehmen, oder zumindest ihren neu angenommenen Glauben - und die damit verbundene Abkehr vom Islam - entsprechend ihrer christlichen Prägung sonst aktiv nach außen zeigen will bzw. nur gezwungenermaßen, unter dem Druck drohender Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichten würde. Der Glaubenswechsel muss dabei weiter auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruhen und nunmehr die religiöse Identität prägen. Die betreffende Person muss eine eigene ernsthafte Gewissensentscheidung getroffen haben und sie muss auf der Basis auch gewillt sein, ihre christliche Religion auch in ihrem Heimatstaat auszuüben. Das Gericht muss daher überzeugt sein, dass die Person die unterdrückte religiöse Betätigung ihres Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung ihrer religiösen Identität empfindet (vgl. zuletzt etwa VG Würzburg, U.v. 27.5.2022 - W 8 K 21.31219 - juris; U.v. 3.1.2022 - W 8 K 21.31074; U.v. 22.11.2021 - W 8 K 21.30912; U.v. 4.10.2021 - W 8 K 21.30835 - juris; U.v. 12.4.2021 - W 8 K 20.31281 - juris; U.v. 25.1.2021 - W 8 K 20.30746 - juris sowie BayVGH, U.v. 29.10.2020 - 14 B 19.32048 - juris; jeweils m.w.N.). Insgesamt betrachtet ist - unter den vorstehenden Voraussetzungen - eine religiöse Betätigung von muslimischen Konvertiten, die einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung angehören, im Iran selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich (vgl. HessVGH, U.v. 18.11.2009 - 6 A 2105/08.A - ESVGH 60, 248; B.v. 23.2.2010 - 6 A 2067/08.A - Entscheiderbrief 10/2010, 3; B.v. 11.2.2013 - 6 A 2279/12.Z.A - Entscheiderbrief 3/2013, 5).
16
Aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung besteht nach Überzeugung des Gerichts für die Kläger eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran, da die Kläger aufgrund einer tiefen inneren Glaubensüberzeugung lebensgeschichtlich nachvollziehbar den christlichen Glauben angenommen haben. Das Gericht ist weiterhin davon überzeugt, dass die Kläger aufgrund ihrer persönlichen religiösen Prägung entsprechend ihrer neu gewonnenen Glaubens- und Moralvorstellungen das unbedingte Bedürfnis haben, ihren Glauben auch in Gemeinschaft mit anderen Gläubigen öffentlich auszuüben, und dass sie ihn auch tatsächlich ausüben. Das Gericht erachtet weiter als glaubhaft, dass eine andauernde christliche Prägung der Kläger vorliegt und dass sie auch bei einer Rückkehr in den Iran ihren christlichen Glauben leben wollen. Das Gericht hat nach der Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck, dass sich die Kläger bezogen auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) nur vorgeschoben aus opportunistischen, asyltaktischen Gründen dem Christentum zugewandt haben. Die Würdigung der Angaben der Kläger zu ihrer Konversion ist ureigene Aufgabe des Gerichts im Rahmen seiner Überzeugungsbildung gemäß § 108 VwGO (BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 - Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19 und BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 3.4.2020 - 2 BvR 1838/15 - NVwZ 2020, 950; sowie etwa SächsOVG, U.v. 24.5.2022 - 2 A 577/19.A - juris; U.v. 30.11.2021 - 2 A 488/19.A - juris; OVG NRW, U.v. 6.9.2021 - 6 A 139/19.A - juris; B.v. 10.2.2020 - 6 A 885/19.A - juris; B.v. 19.6.2019 - 6 A 2216/19.A - juris; B.v. 23.5.2019 - 6 A 1272/19.A - juris; B.v. 20.5.2019 - 6 A 4125/18.A - juris; B.v. 2.7.2018 - 13 A 122/18.A - juris; OVG SH, B.v. 11.11.2020 - 2 LA 35/20 - juris; B.v. 29.9.2017 - 2 LA 67/16 - juris; B.v. 28.6.2018 - 13 A 3261/17.A - juris; B.v. 10.2.2017 - 13 A 2648/16.A - juris; BayVGH, U.v. 29.10.2020 - 14 B 19.32048 - juris; B.v. 6.5.2019 - 14 ZB 18.32231 - juris; U.v. 25.2.2019 - 14 B 17.31462 - juris; B.v. 9.7.2018 - 14 ZB 17.30670 - juris; B.v. 16.11.2015 - 14 ZB 13.30207 - juris; B.v. 9.4.2015 - 14 ZB 14.30444 - NVwZ-RR 2015, 677; ThürOVG, U.v. 28.5.2020 - 3 KO 590/13 - juris; VGH BW, B.v. 19.2.2014 - A 3 S 2023/12 - NVwZ-RR 2014, 576; NdsOVG, B.v. 16.9.2014 - 13 LA 93/14 - KuR 2014, 263), wobei keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind, zumal Glaubens- und Konversionsprozesse individuell sehr unterschiedlich verlaufen können und nicht zuletzt von der Persönlichkeitsstruktur des/der Betroffenen, seiner/ihrer religiösen und kulturellen Prägung und seiner/ihrer intellektuellen Disposition abhängen (Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6).
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Das Gericht ist nach informatorischer Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung sowie aufgrund der schriftlich vorgelegten Unterlagen davon überzeugt, dass diese ernsthaft vom Islam zum Christentum konvertiert sind. So legten die Kläger ein persönliches Bekenntnis zum Christentum ab. Die Kläger schilderten weiter nachvollziehbar und ohne Widersprüche glaubhaft ihren Weg vom Islam zum Christentum, Inhalte des christlichen Glaubens und ihre christlichen Aktivitäten. Die Schilderungen der Kläger sind plausibel und in sich schlüssig. Die Kläger legten verschiedene Unterlagen vor. In diesen Unterlagen werden die Taufe der Kläger, ihre Konversion zum Christentum sowie ihre christlichen Aktivitäten bestätigt. Außerdem bekräftigte die christliche Gemeinde ihre Angaben und den Eindruck einer ehrlichen und aufrichtigen Konversion zum Christentum.
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Das Gericht merkt an, dass der Kläger zu 2) - künftig Kläger -, der zwölf Jahre alt ist und in gut einem Monat 13 Jahre alt wird, gemäß § 5 Satz 2 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung teilreligionsmündig ist, weil ein Kind nach Vollendung des 12. Lebensjahres gegen seinen Willen in keinem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden kann. Dadurch soll die Kontinuität der Kindeserziehung gewährleistet sein. Hierbei ist die kirchliche Taufe, die beim Kläger vor über drei Jahren in der Schweiz erfolgt ist, als er neun Jahre alt war, ein starkes Indiz für das rechtmäßige Erziehen in diesem Bekenntnis. Der christlich getaufte Kläger darf nicht gegen seinen Willen zu einem Bekenntniswechsel gezwungen und vom Religionsunterricht abgemeldet werden (vgl. Bongartz in beck-online Großkommentar, Gesamtherausgeber Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, Herausgeber Wellenhofer, Stand 1.12.2022, § 5 RelKErzG Rn. 4; Schmid, Religiöses Kindererziehungs-Gesetz, 1. Aufl. 2012, § 5 Rn. 3). Der Kläger wird tatsächlich von seiner Mutter, der Klägerin zu 1) - künftig Klägerin -, schon seit Jahren christlich erzogen und erhält zudem christlichen Religionsunterricht in der Schule, sodass er schon unter dem Aspekt christlich geprägt ist und weiter wird.
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Die Kläger haben ihren Weg vom Islam zum Christentum glaubhaft dargetan. Die Kläger erklärten wechselseitig bzw. übereinstimmend, dass sie im Iran als Moslem geboren seien. Die Klägerin schilderte glaubhaft, dass sie in einer religiösen Familie aufgewachsen sei und auch zunächst die islamischen religiösen Regeln eingehalten habe, und zwar bis dahin, als sie vom Islam abgefallen sei. Auch der Kläger, der damals acht Jahre alt gewesen sei, sei von streng religiösen Mutter der Klägerin (also seiner Großmutter) zum Beten angehalten worden. Er habe in der Schule am religiösen Unterricht teilnehmen müssen. Die Klägerin gab weiter an, sie habe viel gelesen und die Gegensätze zwischen den Religionen festgestellt. Zudem habe sie ihr Ehemann - der Vater des Klägers - betrogen. Sie habe einen weiteren Sohn. Der Vater dieses zweiten Sohnes habe sie im Iran zur Konversion motiviert. Davor habe sie schon keine Religion mehr gehabt und sei vom Islam abgefallen gewesen. Außerdem habe sie zu gebürtigen armenischen Christinnen Kontakt gehabt, mit denen sie sich über die Religion unterhalten habe. Der Vater des zweiten Sohnes habe der Klägerin über das Christentum erzählt und sie an eine Christin verwiesen. Letztere habe sie dann motiviert, an einem Hauskreis teilzunehmen. An diesem Hauskreis habe sie von 2015 bis 2018 regelmäßig etwa vier bis fünf Mal im Monat teilgenommen. Im Hauskreis sei sie mit dem Christentum bekannt gemacht und so unterrichtet worden, dass sie mit ganzem Herzen an Jesus Christus glauben sollte. Es habe keinen eigentlichen Priester gegeben, doch einer der Teilnehmer sei von ihnen als Hirte bezeichnet worden. Nach der Ausreise im März 2019 in die Schweiz habe die Klägerin über Google eine christliche Gemeinde ausfindig gemacht. Sie habe sich mit dem dortigen Pfarrer einige Male vor der Taufe unterhalten und dann seien sie getauft worden. Auch der Kläger sei getauft worden. Der Kläger erklärte dazu, dass er glaube, auch persönlich gefragt worden sei, ob er getauft werden wolle. Auch die Klägerin erklärte, sie habe gewollt, dass ihr Sohn getauft werde. Nach der Weiterreise nach Deutschland hätten sie in Bamberg ebenfalls wöchentlich eine christliche Gemeinde besucht. Der Klägerin erklärte dazu, sie als Kinder hätten gemeinsam mit Erwachsenen am Gottesdienst teilgenommen. Von ihrem jetzigen Wohnort aus besuche die Kägerin regelmäßig die christliche Gemeinde und den Gottesdienst in Wertheim und nehme an weiteren Gemeindeveranstaltungen teil. Des Weiteren habe sie dem Pfarrer ihre Hilfe angeboten und schaue auch Filme YouTube mit christlichen Inhalten. Der Kläger ergänzte, er sei in der Hauptschule nach seiner Konfession gefragt worden und in den evangelischen Religionsunterricht gekommen. In der 5. und 6. Klasse habe man im Religionsunterricht versucht, ihnen die Bibel näher zu bringen. Jetzt sei er in der 7. Klasse und nehme unter anderem durch, wie die Welt in sieben Tagen erschaffen worden sei. Es sei auch schon mal um Sarah und Abraham gegangen. Am Unterricht nähmen Deutsche und Ausländer gemischt teil. Des Weiteren habe er auch schon etwas von Martin Luther gelernt. Dieser habe die Bibel geschrieben (übersetzt). Der Kläger erklärte weiter, er habe sich selbständig Gedanken gemacht, er wolle beim Christentum bleiben. Er spreche auch mit Freunden in der Schule über die Religion.
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Des Weiteren ist ergänzend weiter anzumerken, dass es den Klägern nicht angelastet werden kann, wenn sie aufgrund der coronabedingten Infektionsschutzmaßnahmen - genauso wie andere Christen in Deutschland - nur eingeschränkt aktiv sein und zusammen mit anderen in der Öffentlichkeit ihren Glauben ausleben konnten.
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Besonders zu erwähnen ist in dem Zusammenhang, dass die Kläger ihren Glauben nicht nur öffentlich und nach außen hin leben, sondern dass sie sich auch für ihren Glauben engagieren und werben. Die Klägerin erklärt, sie suche in ihrer Unterkunft die Nähe und den Kontakt zu anderen Flüchtlingen, insbesondere von Frauen aus Somalia, die teilweise Moslems seien. Sie würde von diesen auch als unrein angesehen. Sie habe auch schon versucht, Afghanen zum Christentum zu bewegen. Sie habe einer Person eine übersetzte Bibel geschenkt. Des Weiteren erziehe sie ihre beiden Söhne christlich. Darüber hinaus habe sie ihren Eltern im Iran von der Konversion berichtet. Die Reaktion darauf sei äußerst negativ gewesen. Ihr Vater sei aus Sorge daran gestorben. Ihre Mutter weine und sage, sie solle zum Islam zurückkehren. Mittlerweile wüssten alle im Iran, dass sie konvertiert sei. Sie wolle auch versuchen, ihre Mutter zur Konversion zu bewegen. Der Kläger gab an, er spreche mit Freunden in der Schule über die Religion und er wolle auch beim Christentum bleiben. Vor diesem Hintergrund wird der Eindruck bestätigt, dass die Kläger bei ihrer Glaubensbetätigung auch nicht vor ihrer Heimat Halt machen, was für eine nachhaltige und ehrliche Konversion sowie für eine entsprechende Glaubensbestätigung auch bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran spricht.
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Die Kläger verdeutlichten in der mündlichen Verhandlung des Weiteren plausibel und glaubhaft ihre Beweggründe für die Abkehr vom Islam und die Hinwendung zum Christentum. In dem Zusammenhang legten sie - in ihren Worten und im Rahmen ihrer Persönlichkeit und intellektuellen Disposition (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40/15 - Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6) - auch zentrale Elemente des christlichen Glaubens als für sich wichtig dar. Gerade mit ihren Aussagen zur Stellung von Jesus Christus im Christentum sowie zur Erbsünde machten die Kläger zentrale Elemente des christlichen Glaubens und den fundamentalen Unterschied zwischen Islam und Christentum deutlich und zeigten, dass sie dies verinnerlicht haben. Die Klägerin erklärte, dass sie die Gegensätze zwischen den Religionen festgestellt habe. Die Wahrheit im Christentum sei das Wichtigste für sie. Sie sei überzeugt, dass das Christentum keine Lüge sei. Sie habe geglaubt. Für sie sei es wichtig, dass es im Christentum Liebe und Vergebung gebe. Wenn man eine Ohrfeige bekomme, heiße es, solle man die andere Wange hinhalten. Im Islam solle man demgegenüber Rache üben. Jesus Christus sei gekreuzigt worden wegen unserer Sünden. Er habe sich als Sohn G. geopfert, damit wir das ewige Leben erlangen könnten. Jesus Christus sei in Gestalt Gottes erschienen. Er sei durch die Jungfrau Maria auf die Welt gekommen und habe sein Volk auf der Erde geführt, solange er auf der Erde gewesen sei. Später sei er dann in Form des Heiligen Geistes erschienen. Gott, Jesus Christus und der Heilige Geist seien eine Gestalt. Jesus Christus habe die menschliche Gestalt angenommen, um auf der Erde in direkte Verbindung mit den Menschen zu kommen. Gott habe die Menschen erschaffen. Adam und Eva hätten das verbotene Obst verzehrt und seien dann aus dem Himmel vertrieben worden. Jesus Christus habe die Sünden der Menschen „übernommen“ und sich dafür geopfert, dass die Menschen weiterleben könnten. Die Menschen seien der Versuchung des Satans verfallen und dann vertrieben worden. Jesus Christus sei dann gekommen und habe sich für die Sünden geopfert. Im Islam sei es genau umgekehrt, wenn man diese und jene Taten begangen habe, komme man in die Hölle. Der Kläger erklärte weiter, er habe sich selbständig Gedanken gemacht. Im Islam heiße es einerseits etwa, Gott habe die Welt erschaffen; andererseits drohe Gott, wenn man das und das mache, werde man bestraft.
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Die Kläger offenbarten weiter konkrete wesentliche Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse, die ihre Glaubensentscheidung und ihren Gewissensschritt zusätzlich belegen. Die Kläger benannten in dem Zusammenhang einzelne christliche Feiertage sowie christliche Gebote. Des Weiteren kannten die Kläger auch christliche Gebete, wie das Vaterunser. Die Kläger bezogen sich zudem wiederholt auf die Bibel und auf einzelne Bibelstellen.
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Die Kläger erklärten glaubhaft weiter, sie könnten sich nicht vorstellen, vom Christentum wieder zum Islam zurückzukehren. Die Klägerin erklärte dazu: Sie könne das niemals. Sie könne sich nicht gegen ihren Glauben verhalten und reden. Sie bedauere es sehr, dass sie ihrem Vater nicht habe helfen können. Ihrer Mutter wolle sie aber helfen und sie zum Christentum bewegen. Sie könne auch ihren Glaubenswechsel nicht verheimlichen. Bei einer theoretischen Rückkehr in den Iran wüssten ohnehin alle, dass sie konvertiert sei. Sie könne und wolle auch ihre Religion nicht verstecken. Sie sei in ihrem Denken und Verhalten schon so weit, dass Jesus Christus in ihrem Wesen sei. Außerdem könne sie sich nicht vorstellen, von ihren Kindern getrennt zu leben und ihre Überzeugung versteckt zu halten. Im Übrigen wüsste die Verwandtschaft Bescheid und sie müsste damit rechnen, denunziert zu werden, gerade auch mit Blick auf ihren Onkel, der schon vor der Ausreise gedroht habe. Der Kläger erklärte persönlich, er könne sich nicht vorstellen, zum Islam zurückzukehren. Er habe zwar nicht die schlechten Erfahrungen seiner Mutter gemacht. Aber es heiße im Islam, wer kein Moslem sei, der solle getötet werden. Da sei etwas, das in seinem Herzen sei, das könne er nicht geheim halten.
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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das gesamte Verhalten der Kläger vor und nach ihrer Einreise im Zusammenhang mit der Konversion zum Christentum sowie die von ihnen vorgetragenen Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse über die christliche Religion - auch in Abgrenzung zum Islam - eine ehrliche Konversion glaubhaft machen und erwarten lassen, dass die Kläger bei einer angenommenen Rückkehr in ihre Heimat ihrer neu gewonnenen Religion entsprechend leben würde. Die Kläger haben lebensgeschichtlich nachvollziehbar ihre Motive für die Abkehr vom Islam und ihre Hinwendung zum christlichen Glauben dargestellt. Sie haben ihre Konversion anhand der von ihnen gezeigten Glaubenskenntnisse über das Christentum und durch ihre Glaubensbetätigung gerade auch in Bezug zur Öffentlichkeit nachhaltig und glaubhaft vorgebracht. Der Eindruck einer ernsthaften Konversion wird dadurch verstärkt, dass die Kläger missionarische Aktivitäten entwickeln, indem sie bei anderen für den christlichen Glauben werben. Weiter ist nicht davon auszugehen, dass die Kläger bei einer theoretischen Rückkehr in den Iran ihre Konversion ohne Not verheimlichen würden, da prognostisch von einer andauernden christlichen Prägung auszugehen ist. Abgesehen davon kann einem Gläubigen nicht als nachteilig entgegengehalten werden, wenn er aus Furcht vor Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichtet, sofern die verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung wie hier die religiöse Identität des Schutzsuchenden kennzeichnet. Ein so unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungener Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen und hindert nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40/15 - Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67; Berlit, juris PR-BVerwG 22/2015, Anm. 6 und 11/2013, Anm. 1; Marx, Anmerkung, InfAuslR 2013, 308). Umgekehrt kann einem Gläubigen von den deutschen Behörden bzw. Gerichten nicht zugemutet werden, bei einer Rückkehr in den Iran von seiner religiösen Betätigung Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 - C-71/11 und C-99/11 - ABl EU 2012, Nr. C 331 S. 5 - NVwZ 2012, 1612).
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Die Kläger haben insgesamt durch ihr Auftreten in der mündlichen Verhandlung und durch die Darlegung ihrer Beweggründe nicht den Eindruck hinterlassen, dass sie nur aus opportunistischen und asyltaktischen Gründen motiviert dem christlichen Glauben nähergetreten sind, sondern aufgrund einer ernsthaften Gewissensentscheidung und aus einer tiefen Überzeugung heraus den religiösen Einstellungswandel vollzogen haben. Dieser Eindruck erhärtet sich durch das schriftliche Vorbringen sowie die vorgelegten Unterlagen.
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Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann sich ein Kläger bzw. eine Klägerin bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen des Herkunftslandes entstanden sind. Dies gilt gerade, wenn wie hier vorliegend ein Iraner seine religiöse Überzeugung aufgrund ernsthafter Erwägungen wechselt und nach gewissenhafter Prüfung vom Islam zum Christentum übertritt (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 14. Aufl. 2022, § 28 AsylG Rn. 17).
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Nach alledem ist den Klägern unter Aufhebung der betreffenden Antragsablehnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen. Infolgedessen besteht kein Anlass für eine weitere Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, so dass die Nrn. 3 und 4 des Bescheides des Bundesamtes ebenfalls aufzuheben waren (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 AsylG [„oder“] und § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG). Über die hilfsweise gestellten Anträge, insbesondere zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG), war nicht zu entscheiden.
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Des Weiteren sind auch die verfügte Abschiebungsandrohung und die Ausreisefristbestimmung (Nr. 5 des Bundesamtsbescheids) rechtswidrig und daher aufzuheben. Denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlässt nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 und § 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung nur, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird. Umgekehrt darf im Fall der Flüchtlingszuerkennung eine Abschiebungsandrohung nicht ergehen. Letzteres ist im gerichtlichen Verfahren - wenn auch noch nicht rechtskräftig - festgestellt.
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Schließlich war auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 bis 3 AufenthG (Nr. 6 des Bundesamtsbescheids) aufzuheben, weil mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung auch die Voraussetzungen für diese Entscheidungen entfallen (vgl. § 75 Nr. 12 AufenthG).
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.