Inhalt

LG Augsburg, Endurteil v. 12.01.2023 – 114 O 2115/22
Titel:

Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines Opel-Diesel-Fahrzeugs (hier: Opel Astra J Sports Tourer Innovation)

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826, § 831
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 1, Abs. 2
RL 2007/46/EG Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Vgl. zu Diesel-Fahrzeugen von Opel: OLG München BeckRS 2021, 52557; BeckRS 2021, 52562; BeckRS 2022, 20001; BeckRS 2022, 29314; BeckRS 2022, 29413; BeckRS 2023, 3004; BeckRS 2023, 10351; BeckRS 2023, 10352; OLG Bamberg BeckRS 2021, 52538; BeckRS 2022, 19980; BeckRS 2023, 3040; BeckRS 2023, 3006; OLG Schleswig BeckRS 2022, 8917; OLG Frankfurt BeckRS 2022, 10556; OLG Koblenz BeckRS 2022, 10605; OLG Köln BeckRS 2022, 12858; OLG Nürnberg BeckRS 2022, 29322; OLG Jena BeckRS 2022, 38597; OLG Zweibrücken BeckRS 2023, 3009; LG Landshut BeckRS 2021, 53844; BeckRS 2022, 20735; BeckRS 2022, 22852; LG Memmingen BeckRS 2022, 12853; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2022, 29316; BeckRS 2022, 29310; LG Kempten BeckRS 2022, 29315. (redaktioneller Leitsatz)
2. Anders als eine Software zur Prüfstanderkennung zielt das sog. Thermofenster nicht darauf, auf dem Prüfstand und auf der Straße per se unterschiedliche Abgasrückführungsmodi zu aktivieren. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Anders als in den Fällen einer Prüfstandserkennungssoftware, in denen sich die Gesetzeswidrigkeit aufdrängt, kann für ein „Thermofenster“ nicht aus der bloßen Existenz eines solchen auf einen Schädigungsvorsatz geschlossen werden (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Aus der Übereinstimmung einer Motorenfamilie (der „Hardware“) lässt sich kein Schluss auf die Motorsteuerung (der „Software“) ziehen, die in jedem Fahrzeug anders ausgestaltet sein kann. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Opel, A20, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Thermofenster, Zeitfenster nach dem Motorstart, Motorendrehzahl, Umgebungsdruck, Schutzgesetz
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 09.08.2023 – 27 U 699/23 e
OLG München, Hinweisbeschluss vom 21.04.2023 – 27 U 699/23 e
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10353

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss.
Der Streitwert wird auf 13.081,30 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus behaupteter Dieselabgasmanipulation.
2
Die Klagepartei erwarb am 04.07.2014 von der Fa. (…) ein Gebrauchtfahrzeug der Marke (…) mit der Fahrgestellnummer (…) zu einem Kaufpreis von 19.500,- € (vgl. Ablage K1).
3
Zum Zeitpunkt des Erwerbs hatte das streitgegenständliche Fahrzeug eine Laufleistung von 26.523 km.
4
In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor mit der Motorenbezeichnung (…) (Euro 5) verbaut. Zur Reduzierung der Stickoxidemissionen wird bei dem streitgegenständlichen Motor ein Teil der beim Verbrennungsvorgang entstehenden Gase zurück in das Ansaugsystem des Motors geleitet, wo diese erneut an der Verbrennung teilnehmen. Der normalerweise in der Umgebungsluft vorhandene Sauerstoff wird dadurch zum Teil durch Kohlendioxid ersetzt, was letztlich zu einer Verringerung der Verbrennungsspitzentemperatur führt. Die Abgasrückführung wird hierbei unter Berücksichtigung diverser Rahmenbedingungen gesteuert.
5
Verschiedene Ausführungen von Motoraggregaten verschiedener Hersteller hat das Kraftfahrtbundesamt (KBA) in den letzten Jahren technisch überprüft und – soweit sich hierbei eine Gesetzeswidrigkeit der verbauten Motorsteuerungssoftware wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen ergab – durch die Herstellerin zurückrufen lassen. Das streitgegenständliche Fahrzeug ist von einem Rückruf des KBA aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht betroffen.
6
Die Klagepartei behauptet im Wesentlichen, das Fahrzeug halte die gesetzlichen Grenzwerte der Emissionsklasse nicht ein. Das streitgegenständliche Fahrzeug mit dem Motor, der Abgasnorm Euro 5 erfüllen solle, sei baugleich den von einem Zwangsrückruf betroffenen Motoren der EURO-Klasse 6. Vermutlich sei lediglich wegen Arbeitsüberlastung des KBA noch kein Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeugs erlassen worden. In dem Fahrzeug seinen multiple Abschalteinrichtungen verbaut. Es sei eine Software vorhanden, die dafür sorge, dass das Fahrzeug nach 1180 Sekunden in einen anderen Modus wechsele und die Abgasreinigung zurückgefahren werde. Das verwendete „Thermofenster“ unterscheide zwischen den Prüfbedingungen des NEFZ und dem normalen Zyklusbetrieb auf der Straße, sodass die Abgasreinigung (fast ausschließlich) nur im Prüfzyklus funktioniere. Die Bedingungen Umgebungstemperatur, Umgebungsluftdruck und Motorendrehzahl müssten im Sinne einer UND-Verbindung vorliegen, was bedeute, dass sich die Wirkungsweise des Emissionskontrollsystems verringere, wenn nur einer der Parameter nicht vorliege. Die Einwirkung in die Emissionskontrolle bei einem Außenluftdruck von unter 915hPa stelle ebenso wie die Einwirkung in das Emissionskontrollsystem abhängig von der Motordrehzahl eine weitere illegale Abschalteinrichtung dar. Überdies sei das OBD-System manipuliert.
7
Der Klagepartei stehe ein Schadensersatzanspruch gemäß § 311 Abs. 2 Nr.3, Abs. 3 BGB, § 826 BGB, § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB, § 823 Abs. 2 BGB iVm § 27 EG-FGV und gemäß § 831 BGB zu.
8
Die Klagepartei beantragt zuletzt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 19.500,- nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich einer Nutzungsentschädigung von 6.976,01 € Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs (…) mit der Fahrgestellnummer (…) zu zahlen.
9
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
10
Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, das streitgegenständliche Fahrzeug enthalte weder eine Prüfstands- oder Prüfzykluserkennung noch eine sonstige unzulässige Abschalteinrichtung. Das Typengenehmigungsverfahren sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Das Emissionskontrollsystem erfülle die gesetzlichen Anforderungen.
11
Vorsorglich erhebt die Beklagte die Einrede der Verjährung.
12
Mit Zustimmung der Parteien hat das Gericht mit Beschluss vom 06.12.2022 den Übergang ins schriftliche Verfahren beschlossen, wobei als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht der 03.01.2023 bestimmt worden ist.
13
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird hinsichtlich der weiteren Einzelheiten auf die zwischen den Parteien gewechselten anwaltlichen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

14
Die zulässige Klage ist unbegründet.
A.
15
Die Klage ist zulässig.
16
Das Landgericht Augsburg ist gem. § 1 ZPO i.V.m. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich und gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig.
C.
17
Die Klage ist jedoch vollumfänglich unbegründet.
18
I. Der Klagepartei steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu. Insbesondere bestehen aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts keine deliktischen Schadensersatzansprüche.
19
Auf den Kilometerstand des Fahrzeugs im Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, kommt es deshalb nicht entscheidungserheblich an, so dass dessen Höhe für die Entscheidung ohne jede Relevanz ist und damit gleichermaßem, ob dieser unstreitig geblieben ist.
20
1. Die Voraussetzungen des § 826 BGB konnten nicht dargelegt werden.
21
Das streitgegenständliche Fahrzeug weist eine wirksame EU-Typengenehmigung auf. Eine Aufhebung der Genehmigung oder ein Entzug der Zulassung ist nicht erfolgt. Die nach den für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp maßgeblichen Anforderungen gemäß dem Rollprüfstandtest sind eingehalten. Soweit reale Verbrauchswerte davon abweichen, ist dies nach der damaligen Prüfmethode ohne nähere Bedeutung.
a. Parametergesteuertes Emissionskontrollsystem
22
Es kann auch mit Blick auf das Urteil des EuGH vom 17.12.2020 (Az. C-693/18) dahinstehen, ob sich in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG unzulässige Abschaltrichtung befindet. Denn ein Verstoß gegen die Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007 EG allein wäre nicht ausreichend, um von einem sittenwidrigen Verhalten mit Schädigungsvorsatz auszugehen (vgl. auch BGH, Beschluss v. 19.01.2021 – VI ZR 433/19).
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Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (Grüneberg/Sprau, 81. Aufl. 2022, BGB § 826 Rn. 4). Dafür genügt nicht schon der Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Pflichten, vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (vgl. BGH, Urteil v. 15.10.2013 – VI ZR 124/12 m.w.N.). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen (vgl. BGH, Urteil v. 28.06.2016 – VI ZR 536/15 m.w.N.). Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben.
24
Vorliegend vermag das Gericht auch auf Basis des klägerischen Vortrags nicht darauf zu schließen, dass die Beklagte bei der Entscheidung zum Einbau des konkreten Motors in das Fahrzeug der Klagepartei in sittenwidriger Weise tätig wurde. Anders als eine Software zur Prüfstanderkennung zielt das sog. Thermofenster nicht darauf, auf dem Prüfstand und auf der Straße per se unterschiedliche Abgasrückführungsmodi zu aktivieren. Vielmehr wird die Abgasrückführung temperaturabhängig stärker oder weniger stark aktiviert beziehungsweise abgeschaltet. Wenn das für das Fahrzeug der Klagepartei in Rede stehende Thermofenster nicht zwischen Prüfstand und realem Betrieb unterscheidet, sondern sich nach der Umgebungstemperatur richtet, ist es nicht offensichtlich auf eine „Überlistung“ der Prüfungssituation ausgelegt. Bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand und bei denen Gesichtspunkte des Motor- bzw. des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden könnten, kann bei Fehlen von konkreten Anhaltspunkten nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen in dem Bewusstsein gehandelt hätten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Denn der Einschätzung im Hinblick auf das Thermofenster könnte auch eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung zugrunde liegen, dass es sich um eine zulässige Abschalteinrichtung handele (vgl. OLG Stuttgart, Urteil v. 30.07.2019 – 10 U 134/19). Schließlich war es zumindest bis zum Urteil des EuGH vom 17.12.2020 (Az. C-693/18) höchst umstritten, ob es sich bei einem Thermofenster überhaupt um eine Abschalteinrichtung handelt und wie weit der Rechtfertigungsgrund des Motorschutzes reicht (vgl. OLG München, Hinweisbeschluss v. 13.05.2020 – 27 U 1368/20).
25
Dass die Beklagte gar nicht vorgehabt hätte, den europäischen Vorgaben unter Einhaltung des Art. 5 Abs. 2 EG 715/2007 EG nachzukommen und der „Motorschutz“ nur vorgeschoben wird, ist nicht ersichtlich. Angesichts der Umstände muss man auch nicht den Schluss ziehen, dass die Beklagte die Unerlaubtheit des Vorgehens erkannt haben müssen und folglich die Typengenehmigungsbehörde und die Käufer hätten täuschen wollen (vgl. OLG Nürnberg, Urteil v. 19.07.2019 – 5 U 1670/18).
26
Insoweit fehlt es jedenfalls an dem für eine deliktische Haftung notwendigen Schädigungsvorsatz bzw. dem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (vgl. OLG Schleswig, Urteil v. 18.09.2019 – 12 U 123/18; OLG München, Beschluss v. 29.08.2019 – 8 U 1449/19). Anders als in den Fällen einer Prüfstandserkennungssoftware, in denen sich die Gesetzeswidrigkeit aufdrängt, kann für ein „Thermofenster“ nicht aus der bloßen Existenz eines solchen auf einen Schädigungsvorsatz geschlossen werden (vgl. OLG Schleswig, Urteil v. 18.09.2019 – 12 U 123/18; OLG Frankfurt, Urteil v. 07.11.2019 – 6 U 119/18, OLG Stuttgart, Urteil v. 30.07.2019 – 10 U 134/19).
27
Solange in Betracht zu ziehen ist, dass die Beklagten bei Inverkehrbringen des Fahrzeugs die Rechtslage fahrlässig verkannt haben, fehlt es in subjektiver Hinsicht an dem für die Sittenwidrigkeit erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (vgl. Grüneberg/Sprau, 81. Aufl. 2022, BGB § 826 Rn. 8). Dass auf Seiten der Beklagten die Erkenntnis eines möglichen Gesetzesverstoßes, zumindest in Form eines billigenden Inkaufnehmens desselben, vorhanden war, ist weder dargetan noch ersichtlich.
28
Sinngemäß dasselbe wie für das Thermofenster gilt für den Vortrag der Klagepartei, das Emissionskontrollsystem verringere seine Wirkung in Abhängigkeit unter anderem vom Umgebungsdruck (unterhalb 91,5 kPa) und der Motorendrehzahl (oberhalb 2.750 U/min). Abgesehen von der Frage, ob der Vortrag der Klagepartei im Hinblick auf die konkreten Auswirkung der genannten Parameter auf die Abgasreinigung bzw. das Emissionsverhalten bereits ausreichend schlüssigen Sachvortrag für die Annahme einer unzulässigen Abschalteinrichtung darstellt, fehlt es jedenfalls an hinreichenden Anhaltspunktes dafür, dass die für die Beklagte handelnden Personen ggf. in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen.
29
Die bloße Darlegung, dass die Abgasnachbehandlung von den Faktoren Geschwindigkeit, Umgebungsluftdruck, Motorendrehzahl sowie einem Zeitfenster nach dem Motorstart abhänge, genügt nicht, um darzulegen, dass eine Prüfstandserkennung auch im Fahrzeug der Klagepartei stattfindet und zu einem Wechsel in einen anderen Modus führt, der die Abgasrückführung optimiert (vgl. OLG München Hinweisbeschluss v. 12.10.2022 – 37 U 3696/22, BeckRS 2022). Die diesbezüglichen Behauptungen sind folglich Behauptungen ins Blaue hinein. Dies gilt auch für die klägerseits weiter behaupteten Faktoren wie Kühlmitteltemperatur, Geschwindigkeit und Kraftstoff- und Motorentemperatur.
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Die Beklagte hat vorliegend entsprechend auch die Technischen Umstände erläutert und dargelegt, dass es nicht um ein Prüfzykluserkennung, sondern um die Lösung des Zielkonflikt zwischen motorischen Leistungs- und Qualitätsanforderungen und dem Erfordernis umweltfreundlicher Emissionswerte gegangen sei.
b. Weitere Abschalteinrichtungen
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Die Behauptung der Klagepartei zu einer Abschalteinrichtung, die den Ausstoß von Stickoxid unter den Bedingungen des Prüfstandbetriebs (NEFZ) derart „optimiere“, dass nur unter den Bedingungen des Prüfstands die Abgasreinigung vollständig aktiviert sei, stellt sich als reine Behauptung ins Blaue hinein dar.
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Eine unzulässige Abschalteinrichtung liegt nur vor, wenn ein Konstruktionsteil im genau zu bezeichnenden Motor des jeweiligen Fahrzeugs vorhanden ist, das in bestimmten, genau zu bezeichnenden Umwelt- oder Fahrsituationen die Abgasreinigung reduziert oder abschaltet und dies nicht notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Zur Abgrenzung von reinem Vortrag ins Blaue hinein muss der Kläger hierfür greifbare Anhaltspunkte aufzeigen (OLG München, Beschluss v. 29.08.2019 – 8 U 1449/19). Eine Behauptung ins Blaue liegt vor, wenn eine Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen aufs Geratewohl oder ins Blaue hinein aufstellt (BGH NJW-RR 2015, 829).
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Konkrete Anhaltspunkte, dass das Fahrzeug der Klagepartei vorsätzlich mit einer unzulässigen Software ausgestattet wurde, trägt die Klagepartei nicht hinreichend substantiiert vor.
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Auch für einen Laien ist nachvollziehbar, dass das genaue Mischverhältnis von Frischluft und zurückgeführten Abgasen nicht unter allen denkbaren Betriebsbedingungen gleich bleiben kann, um die Funktionsfähigkeit des Motors zu erhalten und Schäden abzuwenden. Vor diesem Hintergrund ist der Rückschluss der Klagepartei von abweichenden Schadstoffausstößen im realen Fahrbetrieb auf das Vorliegen einer illegalen Abschalteinrichtung unsubstantiiert, weil der Schadstoffausstoß gerade von den Betriebsbedingungen abhängt.
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Hinsichtlich des Emissionsverhaltens des streitgegenständlichen Fahrzeugs gab es bislang – zwischen den Parteien unstreitig – keine Rückrufaktion durch das KBA. Andere Verlautbarungen des KBA oder anderer Behörden, die sich zu dem streitgegenständlichen Fahrzeug verhalten würden, sind nicht bekannt und klägerseits nicht in Bezug genommen worden.
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Soweit die Klagepartei vorbringt, der Motor sei baugleich mit einem solchen der EURO-Klasse 6, der einem Rückruf unterlegen sei, bleiben diese Ausführungen ohne weitere Substanz. Aus der Übereinstimmung einer Motorenfamilie (der „Hardware“) lässt sich kein Schluss auf die Motorsteuerung (der „Software“) ziehen, die in jedem Fahrzeug anders ausgestaltet sein kann. Die Mutmaßung der Klagepartei, ein Rückruf hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei beim KBA aus Zeitmangel unterblieben, ist eine reine Spekulation, die durch die Klagepartei schon nicht im Ansatz durch greifbare Anhaltspunkte belegt wird. Im Übrigen wäre selbst dann, wenn das streitgegenständliche Fahrzeug von einem Rückrufbescheid betroffen wäre, dies für sich allein nicht ausreichend, um die Voraussetzungen des Tatbestandes der sittenwidrigen Schädigung zu belegen, da weder auf Vorsatz noch auf ein Bewusstsein der Rechtswidrigkeit geschlossen werden könnte (vgl. OLG München, Hinweisbeschluss v. 20.07.2020, 27 U 7565/09 sowie OLG München, Hinweisbeschluss vom 11.08.2020, 27 U 7448/19).
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Vor diesem Hintergrund kam eine Beweiserhebung nicht in Betracht. Diese darf gerade nicht der bloßen Ausforschung dienen. Ansonsten würde der Beibringungsgrundsatz ausgehöhlt und dem verklagten Autohersteller eine in der Zivilprozessordnung nicht vorgesehene allgemeine Aufklärungspflicht auferlegt werden.
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Insbesondere bleibt auch die Behauptung, in dem Fahrzeug sei eine Software verbaut, die dafür sorge, dass das Fahrzeug 1180 Sekunden nach dem Motorstart in einen anderen Betriebsmodus wechsele, ohne jede Substanz. Die Beklagte hat das Vorhandensein einer entsprechenden Funktion in Abrede gestellt. Ein entsprechender Rückschluss lässt sich insbesondere aus den klägerseits in Bezug genommenen Messergebnissen der (…) nicht ziehen, da die Gründe für entsprechende Ergebnisse vielfältig sein können. Die Behauptung der Klagepartei erweist sich auch insoweit als Behauptung ins Blaue hinein.
c. OBD-System:
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Unabhängig von obigen Ausführungen könnte eine etwaige Manipulation bereits nicht selbständig dazu dienen, die Typenzulassung eines Fahrzeugs trotz Nichterfüllung von Emissionsvorschriften zu erschleichen (vgl. OLG Hamm, Urteil v. 18.02.2020 – 19 U 29/19).
40
d. Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Übrigen ermangelt es jedenfalls an einer schlüssigen Darlegung eines sittenwidrigen Verhaltens wie auch eines Schädigungsvorsatzes seitens der Beklagten.
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2. Auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 4, 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder den Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46 der RL 2007/46/EG scheidet aus.
42
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 4, 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 scheitert daran, dass die Normen kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 14.12.2021 – VI ZR 676/20). Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Schlussanträge des Generalanwalts Rantos vom 02.06.2022. Der VO (EG) Nummer 715/2007, die unmittelbar anwendbar ist, misst selbst der Generalanwalt keine Schutzwirkung zugunsten von Vermögensinteressen von Fahrzeugerwerbern zu (vgl. OLG München Hinweisbeschluss v. 25.7.2022 – 24 U 2890/22, BeckRS 2022, 18805 Rn. 5-13, beck-online), so dass dieser Vorschrift die Eigenschaft eines Schutzgesetzes auch nach den Schlussanträgen nicht zukommt.
43
Auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV scheitert daran, dass die Normen ebenfalls kein Schutzgesetz darstellen. Selbst wenn entsprechend der in den Schlussanträgen des Generalanwalts Rantos vom 02.06.2022 (dort Rn. 50 und Rn. 78 Ziff.1) vertretenen Auffassung davon ausgegangen würde, die Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46/EG solle (auch) das Interesse des individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs schützen, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, handelt es sich bei den zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen §§ 6 und 27 EG-FGV nicht um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2BGB (OLG München Hinweisbeschluss v. 25.7.2022 – 24 U 2890/22, BeckRS 2022, 18805 Rn. 5-13, beck-online). Das bestehende deutsche Vertrags- und Deliktsrecht hält zahlreiche – abgestufte – Instrumente bereit, die hinreichend wirksam das Interesse eines Erwerbers schützen, nicht ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug zu erwerben und zugleich auch einen erheblichen Anreiz für die Hersteller von Motoren bedingen, unionsrechtliche Vorschriften einzuhalten (OLG München aaO). Vor diesem Hintergrund bedarf es in der deutschen Rechtsordnung über die bestehenden Institute des Vertrags- und Deliktsrechts hinaus nicht der Einordnung der Vorschriften der EG-FGV als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, um das Interesse der Käufer von Fahrzeugen, die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet sind, angemessen zu schützen (OLG München aaO unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OLG Stuttgart, Urteil vom 28.06.2022, 24 U 115/22). Zuletzt wäre – wie das Oberlandesgericht München ausführt- zu sehen, dass, da die Umsetzung einer Richtlinie in nationales Recht infrage steht, selbst bei – unterstellten – Defiziten zuvörderst der nationale Gesetzgeber gefordert sein dürfte, soweit nicht im Auslegungswege abgeholfen werden kann, was hier vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung hinsichtlich der Regelungen der EG-FGV mit Recht verneint wird (vgl. OLG München aaO).
44
Die RL 2007/46/EG selbst scheidet mangels unmittelbarer Geltung (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV) als Schutzgesetz aus (vgl. OLG München Beschluss vom 14.9.2022 – 27 U 2945/22).
45
Demnach war auch eine Aussetzung des Verfahrens vor diesem Hintergrund nicht geboten.
46
4. Ein Anspruch aus § 831 BGB scheitert ebenfalls an einem substantiiert vorgetragenen deliktisch relevanten Handeln der Beklagten.
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5. Weitere durchgreifende Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.
D.
48
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
E.
49
Die Streitwertfestsetzung basiert auf §§ 63 Abs. 2 S. 1, 48 Abs. 1 S. 1 GKG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO.