Titel:
Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines Opel-Diesel-Fahrzeugs (hier: Opel Zafira Tourer Active 2.0 CDTI)
Normenketten:
BGB § 31, § 443, § 823 Abs. 2, § 826
ZPO § 522 Abs. 2
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 1, Abs. 2
Typgenehmigungsverfahrens-RL Art. 3 Nr. 29, Art. 4 Abs. 2, Abs. 4, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Vgl. zu Diesel-Fahrzeugen von Opel: OLG München BeckRS 2021, 52557; BeckRS 2021, 52562; BeckRS 2022, 20001; BeckRS 2022, 29314; BeckRS 2022, 29413; BeckRS 2023, 3004; OLG Bamberg BeckRS 2021, 52538; BeckRS 2022, 19980; BeckRS 2023, 3040; BeckRS 2023, 3006; OLG Schleswig BeckRS 2022, 8917; OLG Frankfurt BeckRS 2022, 10556; OLG Koblenz BeckRS 2022, 10605; OLG Köln BeckRS 2022, 12858; OLG Nürnberg BeckRS 2022, 29322; OLG Jena BeckRS 2022, 38597; LG Landshut BeckRS 2021, 53844; BeckRS 2022, 20735; BeckRS 2022, 22852; LG Memmingen BeckRS 2022, 12853; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2022, 29316; BeckRS 2022, 29310; LG Kempten BeckRS 2022, 29315. (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs besteht zwar ein Anspruch des Käufers, dass ein Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgestattet ist, ohne dass aber bereits die Nichterfüllung dieses Anspruchs bei richtlinien- und/oder verordnungsgetreuer Auslegung automatisch einen Schaden darstellt/darstellen muss. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Durch eine nach Erteilung der EG-Typgenehmigung entdeckte Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung kann nur eine Unsicherheit hinsichtlich der Möglichkeit, das Fahrzeug anzumelden, zu verkaufen oder in Betrieb zu nehmen, bestehen, die selbst aus Sicht des Europäischen Gerichtshofs noch keinen Schaden darstellt. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
4. Hätte die Herstellerin das Kraftfahrt-Bundesamt um entsprechende Auskunft gebeten, hätte das Kraftfahrt-Bundesamt das von der Herstellerin im Fahrzeug verwendete Thermofenster nicht als unzulässig beurteilt, so dass die Herstellerin jedenfalls in unvermeidbarem Verbotsirrtum gehandelt hätte und einen Verstoß gegen unionsrechtliche Vorschriften auch bei Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht hätte erkennen müssen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Opel, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, KBA, Thermofenster, unionsrechtliche Vorschriften, Erteilung der EG-Typgenehmigung, Auskunft, unvermeidbarer Verbotsirrtum
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 15.02.2023 – 27 U 7201/22 e
LG Augsburg, Urteil vom 08.11.2022 – 033 O 2096/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10351
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 08.11.2022, Aktenzeichen 033 O 2096/22, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Augsburg und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 16.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Diesel-Pkws.
2
Der Kläger erwarb am 11.06.2013 bei der ... ein Fahrzeug Opel Zafira Tourer Active 2.0 CDTI, Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN): W0L ..., ausgestattet mit einem Dieselmotor des Typs A20 (121 kW / 165 PS, Abgasnorm: EU5), Kilometerstand bei Erwerb: 0 km, zum Preis von 32.990,00 € (Anlagen K 1, K 5a).
3
Im Übrigen wird hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes und der Anträge erster Instanz auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Augsburg vom 08.11.2022, Az. 033 O 2096/22, Bezug genommen.
4
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
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Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass es auf Basis des klägerischen Vortrags mangels greifbarer Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht darauf zu schließen vermocht habe, dass die Beklagte vorsätzlich sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB gehandelt habe.
6
Gegen dieses, dem Kläger am 12.11.2022 zugestellte Urteil des Landgerichts Augsburg vom 08.11.2022, Az. 033 O 2096/22, richtet sich die mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 09.12.2022, eingegangen am 09.12.2022, eingelegte Berufung des Klägers, der in der Berufungsinstanz unter Abänderung des Urteils beantragt zu erkennen,
I. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerpartei EUR 32.990,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich einer im Termin zur mündlichen Verhandlung zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Opel Zafira Tourer Active 2.0 CTDI mit der Fahrgestellnummer W0L ... zu zahlen;
II. das Urteil des Landgerichts Augsburg Az. 033 O 2096/22 aufzuheben und zur er-neuten Verhandlung und Beweisaufnahme an das Landgericht Augsburg zurückzuverweisen;
III. die Revision zuzulassen.
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Zur Begründung seines Rechtsmittels führt der Kläger im Wesentlichen aus, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft die Klage abgewiesen und einen Anspruch des Klägers aus § 826 BGB zu Unrecht verneint.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvortrags wird auf die Berufungsbegründung vom 10.02.2023 Bezug genommen.
9
Die Beklagte beantragt in der Berufungsinstanz,
die Berufung zurückzuweisen.
10
Die Beklagte hat auf die Berufungsbegründung des Klägers nicht erwidert.
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Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 08.11.2022, Aktenzeichen 033 O 2096/22, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen. Der Senat bleibt bei seiner im Hinweis vom 15.02.2023 ausführlich dargelegten Rechtsauffassung, auf die gemäß § 522 Abs. 2 S. 3 ZPO Bezug genommen wird.
13
Die Anträge des Klägers haben keinen Erfolg. Der fristgerechte Schriftsatz des Klägers vom 20.04.2023 enthält keine neuen Gesichtspunkte, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten. Der Senat hat das Vorbringen des Klägers zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen (vgl. BVerfG, NJW 2021, 3525 Rn. 13; BGH, NZG 2022, 1255 Rn. 8; BayObLG, Beschluss vom 16.02.2022 – 101 Sch 60/21, BeckRS 2022, 2046 Rn. 50) und – soweit das Vorbingen zentrale Frage des Verfahrens betrifft – in den Gründen des Hinweisbeschlusses beschieden (vgl. BGH, NJW-RR 2023, 450 Rn. 11). Er hat die Angriffe der Berufung in vollem Umfang geprüft, aber die Beanstandungen sämtlich für nicht durchgreifend erachtet. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet den Senat dazu, den gesamten Vortrag einer Prozesspartei zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Er begründet aber keine Pflicht des Gerichts, bei der Würdigung des Sachverhalts und der Rechtslage der Auffassung eines Beteiligten zu folgen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.08.2013 – 2 BvR 2660/06, 2 BvR 487/07, BeckRS 2013, 55213 Rn. 67; BGH, Beschluss vom 20.01.2021 – III ZR 160/19, BeckRS 2021, 1265 Rn. 2; BGH, Beschluss vom 12.01.2017 – III ZR 140/15, BeckRS 2017, 100836 Rn. 2). Soweit der Kläger der rechtlichen Einschätzung des Senats im Hinweisbeschluss vom 15.02.2023 mit rechtlichen Ausführungen entgegentreten ist (vgl. BGH, ZfBR 2022, 356 Rn. 7 ff.; BGH, NJW-RR 2021, 1507 Rn. 12 ff.; BGH, NJW 2020, 1740 Rn. 16), ist unter Berücksichtigung des Umstands, dass es nicht erforderlich ist, alle Einzelpunkte des Parteivortrags in den Gründen einer Entscheidung auch ausdrücklich zu bescheiden (vgl. BVerfG, NJW 1997, 2310, 2312; BGH, Beschluss vom 20.09.2021 – IX ZR 46/19, BeckRS 2021, 31643 Rn. 1), deshalb lediglich ergänzend auszuführen wie folgt:
„1. Der Kläger kann den geltend gemachten Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 31 BGB bzw. § 831 BGB, Art. 5 Abs. 1, 2 i. V. m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007, Art. 4 Abs. 2 UAbs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. den §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten. Dieser Anspruch scheitert jedenfalls neben der fehlenden schlüssigen Darlegung des erforderlichen subjektiven Tatbestandes auch in Ansehung der – nach dem Hinweisbeschluss des Senats vom 16.02.2023 – ergangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 21.03.2023 – C-100/21, NJW 2023, 1111 in der Sache an dem Umstand, dass dem Kläger aus § 823 Abs. 2 BGB kein Anspruch auf großen Schadensersatz wegen eines ungewollten Vertragsschlusses zusteht (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 23.03.2023 – 7 U 113/22, BeckRS 2023, 4904 Rn. 20). Gleiches gilt hinsichtlich eines Schadensersatzanspruchs des Klägers aus
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§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 18 Abs. 1 der RL 2007/46/EG. Weder Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Rahmenrichtlinie in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 noch §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV dienen dem Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des einzelnen Fahrzeugerwerbers.
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a) aa) Zwar hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, NJW 2023, 1111 anerkannt, dass Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Rahmenrichtlinie in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs schützen und damit ein Anspruch des Käufers einhergeht, dass das Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgestattet ist (vgl. EuGH, Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, BeckRS 2023, 4652 Rn. 88 f.). Er hat aber nicht festgestellt, dass bereits die Nichterfüllung dieses Anspruchs bei richtlinien- und / oder verordnungsgetreuer Auslegung automatisch einen Schaden darstellt / darstellen muss. Vielmehr hat der Europäische Gerichtshof deutlich gemacht, dass die Mitgliedstaaten vorsehen müssen, dass der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgestatteten Fahrzeugs einen Anspruch auf Schadensersatz durch den Hersteller dieses Fahrzeugs – hier nach § 823 Abs. 2 BGB – hat, soweit dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist (vgl. EuGH, NJW 2023, 1111 Rn. 91, 95; OLG Hamm, Beschluss vom 23.03.2023 – 7 U 113/22, BeckRS 2023, 4904 Rn. 22; LG Schwerin, Urteil vom 28.03.2023 – 3 O 436/21, BeckRS 2023, 5885 Rn. 29). Entsprechend hat der Europäische Gerichtshof ausgeführt, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung u. a. eine Unsicherheit hinsichtlich der Möglichkeit hervorrufen kann, das Fahrzeug anzumelden, zu verkaufen oder in Betrieb zu nehmen, und letztlich beim Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüsteten Fahrzeugs zu einem Schaden führen kann (vgl. EuGH, NJW 2023, 1111 Rn. 84; OLG Hamm, Beschluss vom 23.03.2023 – 7 U 113/22, BeckRS 2023, 4904 Rn. 22). Ob und wann im Anwendungsbereich des hier maßgeblichen § 823 Abs. 2 BGB von einem Schaden auszugehen ist, ist eine Frage des deutschen Rechts (vgl. EuGH, NJW 2023, 1111 Rn. 92).
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bb) Unabhängig hiervon ist die Rückabwicklung eines angeblich ungewollten Vertrags nach stän-diger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedenfalls nicht vom Schutzzweck des Typgenehmigungsrechts erfasst. Neben weiteren Voraussetzungen kommt es für einen Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB nämlich darauf an, dass sich im konkreten Schaden die Gefahr verwirklicht hat, vor der die betreffende Norm schützen sollte (vgl. BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 73; OLG Schleswig, Beschluss vom 18.07.2022 – 7 U 198/21, BeckRS 2022, 18482 Rn. 29). Das wirtschaftliche Selbstbestimmungsinteresse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt nicht im sachlichen Aufgabenbereich der Vorschriften des Typgenehmigungsrechts bzw. des deutschen Umsetzungsrechts (vgl. BGH, Urteil vom 24.03.2022 – III ZR 270/20, BeckRS 2022, 10055 Rn. 28; BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 75 f.; OLG Schleswig, Beschluss vom 18.07.2022 – 7 U 198/21, BeckRS 2022, 18482 Rn. 29). Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21.03.2023, Az. C-100/21, ergibt sich nichts anderes. Der Europäische Gerichtshof hat nicht festgestellt, dass die vorgenannten Schutzgesetze dem Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des einzelnen Fahrzeugerwerbers dienen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 23.03.2023 – 7 U 113/22, BeckRS 2023, 4904 Rn. 25). Er hat die Vorlagefrage nicht dem Vorschlag des Generalanwalts ... (Schlussanträge vom 02.06.2022 – C-100/21, BeckRS 2022, 12232 Rn. 50) folgend dahin beantwortet, dass Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46/EG dahin auszulegen sind, dass sie insbesondere das Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgestattet ist, schützen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 23.03.2023 – 7 U 113/22, BeckRS 2023, 4904 Rn. 25). Schäden, die aus einer ungültigen und auch den Käufer schützenden Übereinstimmungsbescheinigung resultieren – z. B. Schäden aus einer verzögerten Fahrzeugzulassung oder einer konkret drohenden Betriebsuntersagung –, machen Kläger aber regelmäßig nicht geltend, wenn sie behaupten, einen vermeintlich ungewollten Vertrag rückgängig machen zu wollen (vgl. BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 74 ff.; OLG Schleswig, Beschluss vom 18.07.2022 – 7 U 198/21, BeckRS 2022, 18482 Rn. 29). Da das Kraftfahrt-Bundesamt trotz bereits im Jahre 2015 begonnener umfassender Prüfungen bis heute keinen Anlass für eine Rückrufanordnung des streitgegenständlichen Fahrzeug-/Motortyps oder für einen Widerruf der EG-Typgenehmigung im Hinblick auf das Thermofenster gesehen hat, muss der Senat darüber hinaus davon ausgehen, dass das Fahrzeug des Klägers durchgehend seit dem Kauf nicht von einer solchen Maßnahme bedroht gewesen ist und damit bisher erst recht kein konkreter Schaden im Sinne der Differenzhypothese entstanden ist. Dabei kann dahinstehen, ob diese Haltung des Kraftfahrt-Bundesamts den maßgeblichen Normen nicht gerecht wurde und deshalb rechtswidrig war. Es handelte sich um die Auffassung der zuständigen Genehmigungsbehörde, gegen deren Votum abweichende Betriebsuntersagungen durch die Straßenverkehrsbehörden nicht zu erwarten waren – und sind (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 23.03.2023 – 7 U 113/22, BeckRS 2023, 4904 Rn. 28 m. w. N.).
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cc) (1) Unter Berücksichtigung dessen ist dem Kläger kein konkreter Schaden entstanden. Das Fahrzeug des Klägers ist zugelassen und die Betriebserlaubnis nicht wieder entzogen worden. Als verletztes Schutzgut macht der Kläger sein wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht und damit den Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags geltend (vgl. Gegenerklärung vom 20.04.2023, S. 20). Es ist auch im Lichte der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 21.03.2023 – C 100/21, NJW 2023, 1111 nicht erkennbar, dass im Sinne der Differenzhypothese oder im Wege der normativen Kontrolle der Differenzhypothese im vorliegend betroffenen Schutzbereich des § 823 Abs. 2 BGB die Gewährung großen Schadensersatzes geboten wäre (vgl. BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 45; OLG Hamm, Beschluss vom 23.03.2023 – 7 U 113/22, BeckRS 2023, 4904 Rn. 26). Durch eine nach Erteilung der EG-Typgenehmigung entdeckte Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung kann nur eine Unsicherheit hinsichtlich der Möglichkeit, das Fahrzeug anzumelden, zu verkaufen oder in Betrieb zu nehmen, bestehen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 23.03.2023 – 7 U 113/22, BeckRS 2023, 4904 Rn. 27). Eine solche stellt selbst aus Sicht des Europäischen Gerichtshofs noch keinen Schaden dar (vgl. EuGH, NJW 2023, 1111 Rn. 84). Bejaht wurde lediglich, dass ein individueller Käufer eines Kraftfahrzeugs gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs einen Anspruch darauf hat, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist (vgl. EuGH, NJW 2023, 1111 Rn. 89; OLG Hamm, Beschluss vom 23.03.2023 – 7 U 113/22, BeckRS 2023, 4904 Rn. 27). Der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz (vgl. EuGH, NJW 2023, 1111 Rn. 93 f.) steht dabei der Versagung des Anspruchs auf Schadensersatz in Form der Rückabwicklung des Erwerbsvorgangs nicht entgegen. Das nationale Schadensrecht sieht angemessene Haftungsnormen im Gewährleistungsrecht und im Deliktsrecht in den §§ 823 ff. BGB vor, die grundsätzlich eine Haftung des Herstellers für Schäden, die durch eine unzulässige Abschalteinrichtung entstehen, ermöglichen. Das ändert nichts daran, dass im Einzelfall die Haftungsvoraussetzungen nicht vorliegen (vgl. LG Schwerin, Urteil vom 28.03.2023 – 3 O 436/21, BeckRS 2023, 5885 Rn. 29).
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(2) Auch eine normative Korrektur des anhand der Differenzhypothese gewonnenen Ergebnisses gemessen am Schutzzweck der Haftung und an der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzes (vgl. BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 45; BGH, NJW-RR 2015, 275 Rn. 17 m. w. N.) ist nicht geboten (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 23.03.2023 – 7 U 113/22, BeckRS 2023, 4904 Rn. 29 ff.). Da der Schadensersatz dazu dient, den konkreten Nachteil des Geschädigten auszugleichen, ist der Schadensbegriff im Ansatz subjektbezogen. Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrags gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt allerdings voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht (vgl. BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 46). Im Fall einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung dient der Schadensersatzanspruch nicht nur dem Ausgleich jeder nachteiligen Einwirkung durch das sittenwidrige Verhalten auf die objektive Vermögenslage des Geschädigten. Vielmehr muss sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer „ungewollten“ Verpflichtung wieder befreien können. Schon eine solche stellt unter den dargelegten Voraussetzungen einen gemäß § 826 BGB zu ersetzenden Schaden dar (vgl. BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 47; BGH, NJW-RR 2015, 275 Rn. 19).“
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Vorliegend hat die Beklagte im Hinblick auf das sog. Thermofenster nicht im Wege einer gezielten Täuschung der Zulassungsbehörde und mittelbar des Klägers vorsätzlich (vgl. Hinweisbeschluss, S. 13 ff.) in dessen allgemeine Handlungsfreiheit eingegriffen. Bei einer (hier nicht einmal fahrlässigen, s. u.) Schutzgesetzverletzung im Anwendungsbereich des § 823 Abs. 2 BGB ist das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht aus den genannten Gründen sachlich nicht betroffen. Haftungsausfüllend ist durch die vom Europäischen Gerichtshof ins Feld geführte „Unsicherheit hinsichtlich der Möglichkeit, das Fahrzeug anzumelden, zu verkaufen oder in Betrieb zu nehmen“, (noch) kein Schaden entstanden. Ein abweichendes subjektives Empfinden ist im Hinblick auf die „einfache“ Schutzgesetzverletzung aus Sicht der Verkehrsanschauung nicht maßgeblich. Bei Berücksichtigung aller Umstände ist der Vertragsschluss des Klägers nicht als unvernünftig, nicht als den konkreten Vermögensinteressen unangemessen und damit nicht als nachteilig anzusehen. Vielmehr kann der Kläger – in Unterstellung einer bei ihm vorherrschenden Unsicherheit im Sinne des Europäischen Gerichtshofs – das streitgegenständliche Fahrzeug ungehindert ummelden oder verkaufen; mit einer fehlenden Akzeptanz der Übereinstimmungsbescheinigung im Zuge eines Verkaufs bzw. der Ummeldung des Fahrzeugs ist nicht zu rechnen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 23.03.2023 – 7 U 113/22, BeckRS 2023, 4904 Rn. 33).
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Soweit der Kläger unter Hinweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 08.11.2022 – C-873/19, NJW 2022, 3769 und das nicht rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 20.02.2023 (Az. 3 A 113/18) vorträgt, dass die Deutsche Umwelthilfe e. V. angekündigt habe, gegen die Typgenehmigung des gegenständlichen Fahrzeugs (gerichtlich) vorzugehen und vom Kraftfahrt-Bundesamt erteilten EG-Typgenehmigungen angegriffen und deren Aufhebung beantragt habe, was bedeute, dass sämtliche betroffenen Fahrzeuge einer erhöhten Stilllegungsgefahr unterliegen, vermag dieses einen Schaden des Klägers ebenfalls nicht zu begründen. Das Fahrzeug des Klägers ist – was auch in der Berufungsbegründung vom 10.02.2023 und der Gegenerklärung vom 20.04.2023 nicht in Abrede gestellt wird – zugelassen und die Betriebserlaubnis nicht wieder entzogen worden. Zudem ist das Ergebnis des rechtlichen Vorgehens der Deutschen Umwelthilfe e. V. offen.
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b) Darüber hinaus fehlt es bezüglich des sog. Thermofensters am gemäß § 823 Abs. 2 BGB erforderlichen Verschulden der Beklagten. Fahrlässigkeit hinsichtlich eines Verstoßes gegen drittschützende Normen kann hier nicht festgestellt werden.
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aa) Maßstab für die Bestimmung der Fahrlässigkeit im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB ist § 276 Abs. 2 BGB (vgl. BGH, VersR 1968, 378, 379; MüKoBGB/Wagner, 8. Auflage 2020, BGB § 823 Rn. 611). Gemäß dieser Vorschrift handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Welche Sorgfalt jeweils erfordert wird, ist ohne Rücksicht auf die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Betroffenen nach einem objektiven Maßstab zum Zeitpunkt der Verursachung des Schadens bzw. dem Zeitpunkt, zu dem eine Schadensabwendung in Betracht kam, zu beurteilen (vgl. BGH, NJW 2021, 1818 Rn. 32 m. w. N.; OLG Hamm, Beschluss vom 04.08.2022 – 21 U 106/21, BeckRS 2022, 19655 Rn. 10; Grüneberg/Grüneberg, 82. Auflage 2023, BGB, § 276 Rn. 15 f.). Fahrlässigkeit setzt unter anderem die Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit voraus. Ein Rechtsirrtum ist nur ganz ausnahmsweise unvermeidbar, wenn der Schuldner nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage mit einem Unterliegen im Rechtsstreit nicht zu rechnen brauchte. Es genügt zum Beispiel, wenn die zuständige Aufsichtsbehörde die Rechtsfrage zugunsten des Schuldners beantwortet hätte. In diesem Fall sind auch die sonst zu fordernden Erkundigungen des Schuldners über Bestand und Umfang seiner Verpflichtung entbehrlich und scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Schutzgesetz aus (vgl. BGH, NJW-RR 2017, 1004, 1005; OLG Hamm, Urteil vom 24.06.2022 – 30 U 90/21, BeckRS 2022, 18539 Rn. 66; OLG Hamm, Beschluss vom 04.08.2022 – 21 U 106/21, BeckRS 2022, 19655 Rn. 10).
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bb) Unter Beachtung dieser Grundsätze hat die Beklagte durch den Einbau eines sog. Thermofensters in das streitgegenständliche Fahrzeug nicht fahrlässig gehandelt. Das Kraftfahrt-Bundesamt ist und war gemäß § 2 Abs. 1 EG-FGV in Verbindung mit Art. 3 Nr. 29 und Art. 4 Abs. 4 und Abs. 2 der RL 2007/46/EG diejenige Behörde, die in Deutschland für die Einhaltung der unionsrechtlichen Vorgaben zu sorgen hat. Hätte die Beklagte das Kraftfahrt-Bundesamt um entsprechende Auskunft gebeten, hätte das Kraftfahrt-Bundesamt das von der Beklagten im Fahrzeug des Klägers verwendeten Thermofenster jedoch nicht als unzulässig beurteilt (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 24.06.2022 – 30 U 90/21, BeckRS 2022, 18539 Rn. 65 ff., 69 f.). Dieser Schluss ist im Hinblick auf das Thermofenster schon deshalb gerechtfertigt, weil dem Kraftfahrt-Bundesamt sowohl das Vorhandensein als auch die grundsätzliche Funktionsweise und die in diesem Zusammenhang geführte rechtliche Diskussion um den Motorschutz seit Jahren bekannt ist (vgl. BGH, VersR 2022, 1173 Rn. 25; OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 27.03.2023 – 14 U 292/22, BeckRS 2023, 5904 Rn. 8; OLG Hamm, Urteil vom 24.06.2022 – 30 U 90/21, BeckRS 2022, 18539 Rn. 70). Da das Verschulden nach objektiv-normativen Kriterien verkehrskreisbezogen festzustellen ist, ergibt sich eine Bewertung als pflichtwidrig insofern nicht. Die Beklagte trifft daher nicht der Vorwurf, sie habe das streitgegenständliche Fahrzeug unter fahrlässigem Verstoß gegen die genannten europarechtlichen Vorschriften mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Verkehr gebracht. Sie hätte jedenfalls in unvermeidbarem Verbotsirrtum gehandelt und einen Verstoß gegen die genannten Vorschriften auch bei Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht erkennen müssen (vgl. OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 27.03.2023 – 14 U 292/22, BeckRS 2023, 5904 Rn. 45 m. w. N.).
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2. Ein sittenwidriges Vorgehen der Beklagten kommt in Betracht, wenn deren verfassungsmäßig berufene Vertreter zumindest wussten, dass die Motoren des streitgegenständlichen Typs mit einer auf arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts abzielenden Prüfstanderkennungssoftware ausgestattet waren, und die von der Beklagten hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstandes mit diesem Motor versahen und in den Verkehr brachten (vgl. BGH, Urteil vom 21.12.2021 – VI ZR 875/20, BeckRS 2021, 44363 Rn. 11). Zwar kann bei Vorliegen weiterer Umstände auch die Funktionsweise einer Abschalteinrichtung, wenn sie nicht prüfstandsbezogen ist, Rückschlüsse auf eine als sittenwidrig zu bewertende Täuschungsabsicht der Beklagten zulassen (vgl. BGH, Beschluss vom 29.09.2021 – VII ZR 126/21, BeckRS 2021, 33038 Rn. 19). Umstände, die auf eine sittenwidrige Bewusstseinslage der Beklagten schließen ließen, werden vorliegend aber vom Kläger weder dargelegt noch sind diese ersichtlich.
25
Vorliegend kann das Verhalten der Beklagten – unabhängig von der Frage der Tatbestandswirkung der EG-Typgenehmigung – bei der gebotenen Gesamtbetrachtung mangels eines objektiv sittenwidrigen Handelns mit dem Ziel der Kostensenkung und Gewinnmaximierung nicht einer arglistigen Täuschung der Typgenehmigungsbehörde bzw. des Klägers als Fahrzeugerwerbers gleichgesetzt werden. Es ist weder ein objektiv sittenwidriges noch ein vorsätzliches Handeln der Beklagten dargetan. Allein aus der hier zu unterstellenden objektiven Unzulässigkeit der vom Kläger behaupteten Abschalteinrichtungen folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer (vgl. BGH, Beschluss vom 10.11.2021 – VII ZR 415/21, BeckRS 2021, 45434 Rn. 37). Die Darlegungen des Klägers gebieten keine andere rechtliche Beurteilung.
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a) Der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug des Klägers nach seinem Sachvortrag durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems gesteuert ist, die die Abgasreinigung an der Außentemperatur orientiert, reicht – auch wenn zugunsten des Klägers unter Berücksichtigung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom 21.03.2023 (C-100/21, NJW 2023, 1111) und vom 14.07.2022 (C-128/20, BeckRS 2022, 16622, C-134/20, BeckRS 2022, 16621, C-145/20, BeckRS 2022, 16620) in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt wird, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist – nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben (vgl. BGH, NJW 2021, 3721 Rn. 15 ff.; BGH, NJW 2021, 921 Rn. 19; BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 286/20, BeckRS 2021, 30338 Rn. 15 ff.; BGH, Urteil vom 20.07.2021 – VI ZR 1154/20, BeckRS 2021, 30885 Rn. 13). Die bloße Feststellung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne der europarechtlichen Vorgaben genügt für eine Haftung nach § 826 BGB nicht. Der Vortrag des Klägers in seiner Gegenerklärung vom 20.04.2023 rechtfertigt unter Berücksichtigung der dem Senat aus Parallelverfahren bekannten Stellungnahme des Kraftfahrt-Bundesamts zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 14.07.2022, demnach die Genehmigungspraxis des Kraftfahrt-Bundesamts die Maßstäbe des Europäischen Gerichtshofs, dass die volle Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems überwiegend gewährleistet sein muss, bereits gewährleistet, keine andere Beurteilung.
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b) Zu dem Umstand, weshalb die als Anlagen BK 2 und BK 3 vorgelegte Beweismittel nicht be-reits in der ersten Instanz vorgelegt werden konnte, fehlt es an einem Vortrag des Klägers. Insoweit liegt Nachlässigkeit im Sinne des § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO vor. Dem Kläger schadet insofern schon ein einfach fahrlässiger Verstoß gegen die prozessuale Sorgfaltspflicht (vgl. BGH, NJW-RR 2021, 56 Rn. 11).
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c) Die EG-Übereinstimmungsbescheinigung, die nicht an den Käufer adressiert ist, sondern ge-mäß § 6 Abs. 1 S. 1 EG-FGV lediglich dem Fahrzeug beizufügen ist, bestätigt nur, dass das individuelle Fahrzeug dem in der EG-Typengenehmigung beschriebenen Fahrzeugtyp entspricht (vgl. Art. 3 Nr. 36 der RL 2007/46/EG; Anhang IX der RL 2007/46/EG). Damit liegt jedoch keine Garantieerklärung im Sinne des § 443 BGB vor (vgl. OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 03.03.2023 – 19 U 222/22, BeckRS 2023, 3833 Rn. 68 ff.). Diese setzt als Willenserklärung ein rechtsverbindliches Angebot des Garantiegebers voraus (vgl. Grüneberg/Weidenkaff, BGB § 443 Rn. 5). Ob ein solcher Rechtsbindungswille vorliegt, ist durch Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Dabei ist im Hinblick auf eine EG-Übereinstimmungsbescheinigung kein garantieartiger Einstandswille der Beklagten für etwaige Sach- und Rechtsmängel gegenüber den zukünftigen Eigentümern oder Haltern des Fahrzeugs zu erkennen. Dies ergibt sich aus dem Zweck der EG-Übereinstimmungsbescheinigung, die lediglich dem Nachweis der Übereinstimmung nach §§ 6 Abs. 3 S. 1, 2 Nr. 7 FZV bei der erstmaligen Zulassung des Fahrzeugs für den öffentlichen Straßenverkehr dient. Dass der Hersteller über die gesetzliche Pflichterfüllung hinaus in besonderem Maße Vertrauen in Anspruch nehmen oder eine Zusicherung abgeben will, erschließt sich weder nach dem Text der Bescheinigung noch nach deren Zweck (vgl. OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 03.03.2023 – 19 U 222/22, BeckRS 2023, 3833 Rn. 68 m. w. N.).
29
d) Der Senat hat den Vortrag des Klägers im Schriftsatz vom 20.04.2023 im Hinblick auf ein vor-sätzliches Verhalten der Beklagten, zu Diskrepanzen zwischen Stickoxidemissionen unter Prüfstandbedingungen und unter normalen Betriebsbedingungen auf der Straße sowie zu einem Schadensersatzanspruch des Klägers gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 1 GWB, Art. 101 AEUV nochmals geprüft, aber aus den Gründen des Hinweisbeschlusses vom 15.02.2023 nicht für durchgreifend erachtet. Nachdem das Fahrzeug des Klägers unstreitig über keinen SCR-Katalysator verfügt, bedarf es keiner Auseinandersetzung mit dem insoweit erfolgten Vortrag des Klägers.
30
e) Mangels einer Haftung der Beklagten dem Grunde nach bedarf es keiner Entscheidung, ob dem Kläger ein Schadensersatzanspruch in der behaupteten Höhe zusteht.
31
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
32
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG, § 3 ZPO bestimmt. gez.