Inhalt

LG Traunstein, Hinweisbeschluss v. 18.04.2023 – 5 S 372/23
Titel:

Unzulässige Klage mangels Durchführung eines obligatorischen Schlichtungsverfahren

Normenketten:
EGZPO § 15a
BGB § 7
ZPO § 13
BaySchlichtG Art. 1 Nr. 2, Art. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Ein nach § 15a EGZPO erforderliches Schlichtungsverfahren kann nicht erst nach Erhebung der Klage noch durchgeführt werden. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es spielt keine Rolle für ein nach § 15a EGZPO obligatorischen Schlichtungsverfahren, ob dies Erfolg verspricht oder nicht. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Obligatorisches Schlichtungsverfahren, Durchführung, Klageerhebung, Besondere Prozessvoraussetzung, Unzulässigkeit
Vorinstanz:
AG Rosenheim, Endurteil vom 02.02.2023 – 7 C 618/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10345

Tenor

Die Kammer beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Rosenheim vom 02.02.2023, Az. 7 C 618/22, gemäß S 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Entscheidungsgründe

1
Wie das Erstgericht zutreffend ausführt ist die Klage gem. S. 15 a EGZPO unzulässig, da der Kläger vor Klageerhebung nicht das gem. Art. 1 Nr. 2 BaySchlichtG erforderliche Schlichtungsverfahren durchgeführt hat. Die vom Kläger behaupteten Äußerungen des Beklagten sind Gegenstand von Unterlassungsansprüchen wegen Verletzung der persönlichen Ehre des Klägers gem. S. 15 a Abs. 1 Nr. 3 EGZPO, Art. 1 Nr. 2 BaySchlichtG.
2
Der Kläger und der Beklagte haben ihren Wohnsitz auch im selben Landgerichtsbezirk (Art. 2 BaySchlG). Der Begriff des Wohnsitzes wird in S. 13 ZPO zwar genannt, aber nicht weiter definiert. Deshalb sind zur.Auslegung dieses Begriffs die in S. 7 BGB getroffenen Regelungen heranzuziehen. Ein Wohnsitz wird dann begründet, wenn ein Ort, an dem eine Unterkunft besteht, ständig zum Schwerpunkt des Lebens gemacht wird. Dabei ist es gem. S. 7 Abs. 2 BGB auch möglich, an mehreren Orten einen Wohnsitz inne zu haben. Artikel 2 Satz 1 BaySchlG ist insoweit weit auszulegen. Vorliegend hat der Kläger nach eigenem Vortrag einen Zweitwohnsitz in der Gemeinde S Bei der Auslegung des Wohnsitzbegriffs des Art. 2 BaySchlichtG ist zudem der Sinn und Zweck des obligatorischen Schlichtungsverfahrens heranzuziehen. Durch das Schlichtungsverfahren soll die konsensuale Streitbeilegung im Interesse der Parteien gefördert werden (Zöller, ZPO, 27. Auflage, S. 15 a EGZPO, Rn. 1). Der Gesetzgeber hat dabei die Erforderlichkeit eines Schlichtungsverfahrens nicht auf Streitigkeiten zwischen unmittelbaren Nachbarn begrenzt. Dies ergibt sich auch aus dem Erfordernis eines Wohnsitzes im gleichen Landgerichtsbezirk. Die Gemeinden R Ind SI liegen beide im Landgerichtsbezirk Traunstein.
3
Da das Schlichtungsverfahren nicht durchgeführt wurde, hat das Erstgericht die Klage zutreffend als unzulässig abgewiesen (BGH, Urteil vom 23. 11. 2004 – VI ZR 336/03, NJW 2005, 437).
4
Ein Schlichtungsverfahren kann auch nicht erst nach Erhebung der Klage noch durchgeführt werden. Dafür spricht der Wortlaut des 5 15a EGZPO. Danach kann durch Landesgesetz bestimmt werden, dass die Erhebung der Klage erst zulässig ist, nachdem die Streitschlichtung versucht worden ist. Diesen Wortlaut haben die Landesschlichtungsgesetze übernommen, so auch der hier einschlägige Art. 1 BaySchlG. Durch den Wortlaut wird zum Ausdruck gebracht, dass die Durchführung des Schlichtungsverfahrens nicht nur besondere Prozessvgraussetzung sein soll, die (erst) zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen muss, sondern dass schon die Erhebung der Klage nur dann zulässig ist, wenn das Schlichtungsverfahren bereits durchgeführt wurde (BGH, Urteil vom 23. 11. 2004 – VI ZR 336/03, NJW 2005, 437). Die Erhebung der Klage erfolgt nach S. 253 Abs. 1 ZPO durch Zustellung der Klageschrift. Das Schlichtungsverfahren muss also vor diesem Zeitpunkt bereits stattgefunden haben. Dies war vorliegend unstreitig nicht der Fall.
5
Prozessökonomische Überlegungen dürfen sich dabei nicht nur auf den gerichtlichen Prozess beziehen. Sicher erscheint es auf den ersten Blick wenig sinnvoll, eine Klage abzuweisen, wenn diese nach Durchführung des Schlichtungsverfahrens sogleich wieder erhoben werden kann. Prozessökonomische Überlegungen müssen im vorliegenden Zusammenhang aber die vom Gesetzgeber angestrebte Neuregelung des Verfahrensgangs unter Einschluss des zwingend vorgeschalteten Schlichtungsverfahrens in den Blick nehmen (BGH, Urteil vom 23. 11. 2004 – VI ZR 336/03, NJW 2005, 437). Bei dieser Sichtweise erweist sich die Zulassung einer Nachholung des Verfahrens als nachgerade kontraproduktiv und damit ersichtlich nicht prozessökonomisch (BGH, vom 23. 11. 2004 – VI ZR 336/03, NJW 2005, 437).
6
Sinn und Zweck auch des obligatorischen Güteverfahrens ist vielmehr die Vermeidung eines streitigen Verfahrens durch eine konsensuale Streitbeilegung, was zugleich zur Entlastung der Gerichte beitragen soll. Dass dieses Ziel nicht in jedem Fall erreicht werden kann, ist der gesetzlichen Konstruktion immanent. Die Parteien werden verpflichtet, das Verfahren zu durchlaufen, auch wenn sie (zunächst) nicht kompromissbereit sind (BGH, Beschluss vom 24.6.2021 – V ZB 22/20, NJW 2021, 2887). Der Termin vor der Gütestelle soll ihnen Gelegenheit geben, die eigene Position zu überdenken und die Möglichkeiten einer Einigung auszuloten, bevor ein unter Umständen zeitaufwändiger und kostenintensiver Rechtsstreit angestrengt wird (BGH, Beschluss vom 24.6.2021 – V ZB 22/20, NJW 2021, 2887). Es spielt daher keine Rolle, ob die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens Erfolg verspricht oder nicht.
7
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe (die Gerichtsgebühren ermäßigen sich in diesem Fall von 4,0 auf 2,0 (KV 1222)). Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.