Inhalt

AG Rosenheim, Endurteil v. 02.02.2023 – 7 C 618/22
Titel:

Unzulässige Klage mangels Durchführung eines obligatorischen Schlichtungsverfahrens

Normenkette:
BaySchlichtG Art. 1 Nr. 2, Art. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Wohnsitz iSd Art. 1 Nr. 2 BaySchlichtG ist auch ein Zweitwohnsitz. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein nach dem Bayerischen Schlichtungsgesetz obligatorisch durchzuführendes Schlichtungsverfahren ist eine zwingende Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klage in Gestalt einer von Amts wegen zu prüfenden, besonderen Prozessvoraussetzung, die im Zeitpunkt der Klageerhebung vorliegen muss. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Obligatorisches Schlichtungsverfahren, Unterlassungsanspruch, Wohnsitz, Zweitwohnsitz, Zulässigkeit, Klage, Besondere Prozessvoraussetzung
Rechtsmittelinstanz:
LG Traunstein, Hinweisbeschluss vom 18.04.2023 – 5 S 372/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10344

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klagepartei trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagtenpartei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über einen Unterlassungsanspruch.
2
Der Kläger hat einen Zweitwohnsitz, für welchen er Zweitwohnungssteuer an die Gemeinde S.-Se. zahlt, in Se.. Der Kläger ist eigenen Angaben zufolge „ziemlich oft in der Gegend“. Frau T, eine gute Bekannte, zu der der Kläger regelmäßigen Kontakt pflegt und welche der Kläger auch in Zukunft weiterhin besuchen möchte, wohnt in einer Wohnung in einem Haus in der S.straße in 8 R. Am 20.11.2021 weilte der Kläger abends bei Frau T. Als von beiden bemerkt wurde, dass im auch für die anderen Bewohner zugänglichen Teil des Treppenhauses des Hauses zwei Fenster geöffnet waren, die Frau T. vorher schon einmal aufgrund der eintretenden Kälte geschlossen hatte, schloss der Kläger diese Fenster erneut. Es kam in der Folge zu einer Begegnung mit dem Beklagten im Treppenhaus. Der Kläger behauptet, dass der im Dachgeschoss des Hauses wohnende Beklagte zu ihm gesagt habe: „Was hast du hier zu suchen und lass‘ gefälligst das Fenster los!“, worauf der Kläger etwas erwidert habe. Der Beklagte habe weiter gesagt: „Du alter seniler Sack hast hier nichts zu suchen und hau besser ab!“.
3
Mit Schreiben vom 26.03.2022 forderte der Kläger den Beklagten zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf, welche zum Gegenstand hatte, dass der Beklagte den Kläger nicht mehr mit einem „alten senilen Sack oder sinngemäßen, ähnlich beleidigenden Ausdrücken zu beschimpfen“ sowie ihm gegenüber generell keine Beleidigungen auszusprechen und dem Kläger „künftig mit allgemein üblicher Höflichkeit zu begegnen“ hat.
4
Der Kläger ist der Ansicht, aufgrund des behaupteten Vorfalls ein Recht auf Unterlassung gegenüber dem Beklagten zu haben. Es bestehe Wiederholungsgefahr, dass er bei zukünftigen Besuchen seiner Bekannten erneut auf den Beklagten treffen und es dabei erneut zu Auseinandersetzungen kommen könne.
5
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, den Kläger einen „alten senilen Sack“ oder sinngemäß zu bezeichnen.
6
Der Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
7
Die Beklagtenpartei ist der Ansicht, dass die Klage mangels Durchführung eines Schlichtungsverfahrens nach dem Bayerischen Schlichtungsgesetz unzulässig sei, da sich die Wohnsitze beider Parteien im gleichen Landgerichtsbezirk befinden.
8
Die Parteien haben mit Schriftsatz vom 24.11.2022 bzw. vom 16.12.2022 einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt.
9
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird vollumfänglich auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.
10
Die Klage ist unzulässig, da das erforderliche Schlichtungsverfahren nach dem Bayerischen Schlichtungsgesetz nicht durchgeführt wurde.
I.
11
Es ist der sachliche Anwendungsbereich des Schlichtungsverfahrens gemäß Artikel 1 Nr. 2, Artikel 2 BaySchlG eröffnet.
12
Die Parteien streiten über Ansprüche wegen Verletzung der persönlichen Ehre, da klägerseits vorgetragen wird, von dem Beklagten als „alter seniler Sack“ bezeichnet und damit beschimpft, verächtlich gemacht oder herabgewürdigt wurde.
II.
13
Auch in örtlicher Hinsicht ist die Anwendbarkeit des Schlichtungsverfahrens gemäß Artikel 2 Abs. 1 BaySchlG eröffnet.
14
Beide Parteien haben einen Wohnsitz im gleichen Landgerichtsbezirk, im Landgerichtsbezirk Tr..
15
Dass es sich um einen Erstwohnsitz handeln muss, ist weder aus dem Gesetzeswortlaut noch der Zweckrichtung der Norm ersichtlich.
16
a) Das Wort „Wohnsitz“ als Überbegriff schließt jedenfalls begrifflich jede Art von Wohnsitz und damit auch den Zweitwohnsitz des mit Erstwohnsitz in D. wohnhaften Klägers mit ein.
17
b) Das Bayerische Schlichtungsverfahren verfolgt den Zweck der Entlastung der Gerichte aufgrund der in solchen Fällen oftmals bestehenden Unverhältnismäßigkeit der Kosten und des Aufwands des gerichtlichen Verfahrens zum wirtschaftlichen Wert des Streitgegenstands (Gesetzesbegründung des Bundestags BT-Drs.14/980, Seite 6). Weiter soll dem besonderen Schlichtungsbedürfnis zwischen Streitparteien, die in dauerhafter Beziehung stehen und weiterhin miteinander auskommen müssen, Rechnung getragen werden (Gesetzesbegründung a.a.O.).
18
Die Verfolgung dieser beiden Zwecke ist auch bei Zweitwohnsitzen sachdienlich. Insbesondere haben hier die Parteien ebenso Interesse an einem kostengünstigeren Verfahren und die Gerichte an Entlastung, insbesondere wenn, wie vorliegend, eine umfangreiche Beweisaufnahme mit Zeugeneinvernahme erforderlich wäre.
19
c) Auch das besondere Schlichtungsbedürfnis besteht bei nahe beieinander lebenden Menschen, wenn einer davon nur einen Zweitwohnsitz dort hat. Denn einen Zweitwohnsitz begründet man üblicherweise mit der Absicht dauerhaften und regelmäßigen Wiederkehrens, sodass auch hier von mehrmaligen zukünftigen Aufeinandertreffen ausgegangen werden kann. Der Kläger hat vorgetragen, „dass er ziemlich oft in der Gegend“ sei und, dass es sich bei der in R. wohnhaften Zeugin T. um eine gute Bekannte handle, die er weiterhin besuchen möchte.
20
Besonderes Gewicht erhält der Zweitwohnsitz des Klägers in S. weiterhin dadurch, dass insoweit nicht nur eine Anmeldung als Zweitwohnsitz erfolgte, sondern dass der Kläger am Zweitwohnsitz auch noch mit Steuern belastet wird, die er auch eigenen Angaben zufolge zahlt. Dies unterstreicht die besondere Verbindung des Klägers zu seinem Zweitwohnsitz, da er für diesen Zweitwohnsitz auch finanzielle Belastungen in Kauf nimmt.
21
d) Da sowohl R. als auch der Zweitwohnsitz des Klägers in Seebruck im selben Landgerichtsbezirk Traunstein liegen, ist der örtliche Anwendungsbereich eröffnet.
III.
22
Das Schlichtungsverfahren ist eine zwingende Voraussetzung der Klagezulässigkeit in Gestalt einer von Amts wegen zu prüfenden, besonderen Prozessvoraussetzung, die im Zeitpunkt der Klageerhebung vorliegen muss (BGH NJOZ 2013, 1816). Da jedenfalls bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung das Schlichtungsverfahren nicht durchgeführt wurde, war die Klage als unzulässig abzuweisen.
B.
23
Die Kostenentscheidung fußt auf § 91 Abs. 1 ZPO.
C.
24
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.
D.
25
Der Streitwert war gemäß § 3 ZPO festzusetzen.