Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 04.05.2023 – 2 UF 244/22
Titel:

Akteneinsicht eines Beteiligten in ein vor dem Inkrafttreten des FamFG abgeschlossenen Kindschaftsverfahren

Normenketten:
FGG-RG Art. 111 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
FamFG § 13, § 41 Abs. 1 S. 2, § 58, § 63 Abs. 1
Leitsätze:
1. Beim Akteneinsichtsgesuch in ein abgeschlossenes Verfahren handelt es sich um ein selbständiges Verfahren iSd Art. 111 Abs. 2 FGG-RG. (Rn. 7)
2. Gegen die Ablehnung des nach § 13 FamFG zu beurteilenden Akteneinsichtsgesuchs ist die Beschwerde gem. §§ 58ff. FamFG statthaft. (Rn. 6)
3. Das Einsichtsgesuch eines Verfahrensbeteiligten in ein bereits abgeschlossenes Verfahren erfordert ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht, was glaubhaft zu machen ist. (Rn. 10)
1. Bei einem Akteneinsichtsgesuch nach § 13 FamFG in ein abgeschlossenes Kindschafsverfahren handelt es sich um ein selbständiges Verfahren iSd Art. 111 Abs. 2 FGG-RG und nicht um eine Zwischen- oder Nebenentscheidung. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gegen die Ablehnung des Einsichtsgesuchs eines Verfahrensbeteiligten in ein bereits abgeschlossenes Verfahren ist die Beschwerde gem. §§ 58 ff. FamFG statthaft. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Mit dem Einsichtsgesuch eines Verfahrensbeteiligten in ein bereits abgeschlossenes Verfahren ist auch ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht glaubhaft zu machen ist. (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Akteneinsichtsgesuch, abgeschlossenes Verfahren, FamFG, berechtigtes Interesse, Statthaftigkeit der Beschwerde
Vorinstanz:
AG Haßfurt, Beschluss vom 25.03.2022 – 1 F 581/07
Fundstellen:
FamRZ 2023, 1648
MDR 2023, 989
BeckRS 2023, 10253
LSK 2023, 10253

Tenor

1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Haßfurt vom 25.03.2022, Az. 1 F 581/07, wird zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 500,00 € festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1
Die Beschwerdeführerin wendet sich in einem abgeschlossenen Kindschaftsverfahren gegen die Versagung von Akteneinsicht durch Beschluss des Amtsgerichts Haßfurt vom 25.03.2022.
2
Das zugrundeliegende familiengerichtliche Verfahren, in welchem das Landratsamt – Jugendamt – … Maßnahmen zum Schutz des betroffenen Kindes K wegen einer psychischen Erkrankung der das Kind betreuenden Mutter angeregt hatte, endete nach Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 19.12.2007 und Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens in der Hauptsache durch Eintritt der Volljährigkeit des betroffenen Kindes am …2009, was durch Beschluss des Amtsgerichts vom 30.06.2009 klarstellend festgestellt worden ist. Die Beschwerdeführerin ist die Mutter des betroffenen Kindes. Sie hatte sich durchweg gegen den mit Beschluss vom 19.12.2007 angeordneten vorläufigen Entzug der elterlichen Sorge und die damit verbundene Fremdunterbringung des Kindes gewandt.
3
Am 19.03.2012 (vgl. Bl. 651 RS) hatte die Kindesmutter antragsgemäß Einsicht in die Gerichtsakte genommen.
4
Ihren neuerlichen Antrag auf Akteneinsicht vom 24.03.2022 hat das Amtsgericht Haßfurt mit Beschluss vom 25.03.2022 zurückgewiesen mit der Begründung, die Antragsgegnerin habe die Akten nach Abschluss des Verfahrens bereits eingesehen. Seither sei nichts Relevantes hinzugekommen. Ein berechtigtes Interesse an einer erneuten Akteneinsicht sei weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Gegen den der Kindesmutter formlos mitgeteilten Beschluss hat diese mit Schreiben vom 14.11.2022, eingegangen beim Amtsgericht Haßfurt am selben Tag, „Einspruch“ eingelegt und insbesondere ausgeführt, für klärende Ermittlungen sei ihre uneingeschränkte Akteneinsicht erforderlich. Mit weiteren Schreiben vom 16.01.2023 und 20.03.2023 samt Anlagen, vom Amtsgericht an das Beschwerdegericht weitergeleitet, hat sie ihr Begehren bezüglich Akteneinsicht aufrechterhalten. Ergänzend wird auf das schriftliche Beschwerdevorbringen Bezug genommen.
II.
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1. a) Das als Einspruch bezeichnete Rechtsmittel der Beschwerdeführerin vom 14.11.2022 ist als Beschwerde nach §§ 58 ff FamFG auszulegen, da es sich dabei um das statthafte Rechtsmittel gegen eine Entscheidung betreffend die Akteneinsicht eines Beteiligten in ein abgeschlossenes Kindschaftsverfahren handelt (vgl. Sternal in Sternal, FamFG, 21. Aufl., § 13 FamFG Rn 84).
7
Obwohl das zugrundeliegende Verfahren mit Volljährigkeit des betroffenen Kindes im Monat … 2009 und somit vor Inkrafttreten des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (= FamFG) am 01.09.2009 geendet hatte, ist auf das Akteneinsichtsgesuch der Beschwerdeführerin vom 24.03.2022 das aktuelle Recht anwendbar. Dies folgt aus Art. 111 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 S. 1 des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in der freiwilligen Gerichtsbarkeit (= FGG-RG). Danach ist altes Verfahrensrecht auch nach dem Inkrafttreten des FamFG weiterhin anzuwenden auf Verfahren, die bis zum Inkrafttreten des FamFG eingeleitet worden sind, wobei jedes gerichtliche Verfahren, das mit einer Endentscheidung abgeschlossen wird, ein selbständiges Verfahren in diesem Sinne darstellt. Um ein solches selbständiges Verfahren handelt es sich bei dem Akteneinsichtsgesuch der Beschwerdeführerin vom 24.03.2022. Denn damit wurde ein neuer Verfahrensgegenstand eröffnet, über den eine gesonderte Entscheidung zu treffen ist, welche einen Verfahrensgegenstand ganz oder teilweise erledigt (vgl. § 38 Abs. 1 S. 1 FamFG). So werden etwa Kostenfestsetzungsverfahren und Vollstreckungsverfahren als selbständige Verfahren im Sinne des Art. 111 Abs. 2 FGG-RG angesehen (vgl. Giers in Sternal, FamFG, 21. Aufl., Art. 111 FGG-RG Rn 5). Diese dienen einem vom ursprünglichen Verfahrensgegenstand unterscheidbaren Zweck, was auch auf das Akteneinsichtsgesuch der Beschwerdeführerin zutrifft, die laut ihrer Beschwerdeschrift vom 14.11.2022 auf die gewünschte Akteneinsicht klärende Ermittlungen stützen will. Dass es sich bei einem Akteneinsichtsgesuch in ein abgeschlossenes Verfahren lediglich um eine Zwischen- oder Nebenentscheidung handeln soll, auf die Art. 111 Abs. 2 FGG-RG nicht anwendbar sei (so OLG Frankfurt, 03.02.2011, FGPrax 2011, 260), überzeugt nicht. Denn insbesondere bei der Akteneinsicht in ein abgeschlossenes Verfahren wird ein eigenständiger, von der Wahrnehmung rechtlichen Gehörs bezogen auf den eigentlichen Verfahrensgegenstand des abgeschlossenen Verfahrens losgelöster Zweck verfolgt.
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b) Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Mangels förmlicher Zustellung der angegriffenen Entscheidung nach § 41 Abs. 1 S. 2 FamFG an die Beschwerdeführerin ist keine wirksame Bekanntgabe erfolgt, so dass die an sich gemäß § 63 Abs. 1 FamFG einzuhaltende Beschwerdefrist von einem Monat zu keinem Zeitpunkt begonnen hat.
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2. Die Beschwerde hat jedoch keinen Erfolg, denn die Beschwerdeführerin hat kein berechtigtes Interesse – zudem an einer erneuten Akteneinsicht – glaubhaft gemacht.
10
Es ist anerkannt, dass ein Einsichtsgesuch eines Verfahrensbeteiligten in ein bereits abgeschlossenes Verfahren hinsichtlich der Voraussetzungen dem Akteneinsichtsgesuch eines Dritten gleichgestellt ist und damit ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht glaubhaft zu machen ist, da ein Akteneinsichtsrecht ohne diese Voraussetzung allein der Prozessführung dient und daher mit endgültigem Verfahrensabschluss endet (vgl. BGH, 29.04.2015, NJW 2015, 1827, Juris Rn 10 und 11 zur Parallelvorschrift des § 299 ZPO). Einen nachvollziehbaren Grund für die Notwendigkeit der beantragten Akteneinsicht hat die Beschwerdeführerin auch im Beschwerdeverfahren nicht geltend und erst recht nicht glaubhaft (vgl. § 31 Abs. 1 FamFG) gemacht. Dass die Beschwerdeführerin, wie aus ihren Schreiben ersichtlich, sich durch das abgeschlossene Verfahren ungerecht behandelt fühlt und eine wie auch immer geartete Überprüfung anstrebt, reicht nicht aus. Ferner erfolgten keinerlei Ausführungen, weshalb nach der Akteneinsicht vom 19.03.2012 eine erneute Akteneinsicht erforderlich sein soll, zumal die Akte seit dem 19.03.2012 allein durch Schreiben der Beschwerdeführerin weiter angewachsen ist. Wiederholte Akteneinsichtsgesuche können unabhängig von der hier fehlenden Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses als rechtsmissbräuchlich einzustufen und zurückzuweisen sein (vgl. Sternal, a. a. O, § 13 FamFG Rn 24).
III.
11
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 84 FamFG. Die Festsetzung des Verfahrenswerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 40 Abs. 1, 42 Abs. 2 FamGKG.
12
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor, § 70 Abs. 2 FamFG, auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in Anbetracht der oben zitierten abweichenden Entscheidung des OLG Frankfurt vom 03.02.2011, welches die Anwendbarkeit des Art. 111 Abs. 2 FGG-RG in einem vergleichbaren Fall abgelehnt hat. Denn auch bei Anwendung des bis zum 31.08.2009 geltenden Rechts hätte es sich bei der Entscheidung über ein Akteneinsichtsgesuch in ein abgeschlossenes Verfahren um einen Akt der Rechtsprechung und nicht um einen Justizverwaltungsakt gehandelt, so dass sich an der jeweiligen Zuständigkeit im Instanzenzug nichts geändert hätte (vgl. §§ 621 Abs. 1 Nr. 1, 621a Abs. 1 ZPO a. F., 34, 64 Abs. 3 S. 1 2. HS FGG; BayObLG24.10.2019, FamRZ 2020, 621, Juris Rn 13).