Titel:
Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens
Normenketten:
EMRK Art. 6 Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 4 S. 1
GKG § 198
Leitsätze:
1. Die Dauer eines Gerichtsverfahrens ist unangemessen, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 S. 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 2 Abs. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist nicht von festen Zeitvorgaben oder abstrakten Orientierungs- bzw. Anhaltspunkten auszugehen (vgl. BVerwG BeckRS 2018, 30198; BeckRS 2017, 142150). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die Angemessenheit der Verfahrensdauer kommt es auch darauf an, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eingetreten sind, vor dem Hintergrund des den Ausgangsgerichten insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind (vgl. BVerwG BeckRS 2021, 44060). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Überlastung eines Gerichts fällt – anders als unvorhersehbare Zufälle oder schicksalhafte Ereignisse – in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Es obliegt den Ländern, in ihrem Zuständigkeitsbereich für eine hinreichende materielle und personelle Ausstattung der Gerichte zu sorgen, damit diese ihrem Rechtsprechungsauftrag in einer Weise nachkommen können, die den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG genügt (vgl. BVerfG BeckRS 2012, 58227 mwN). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens, Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis, Grenzen des Gestaltungsspielraums des Ausgangsgerichts hinsichtlich der Verfahrensführung, Verzögerungsrüge, Rechtsmissbräuchliches „Dulde und liquidiere“ (verneint), Entschädigung, unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens, Entziehung der Fahrerlaubnis, Grenzen des Gestaltungsspielraums, Ausgangsgericht, dulde und liquidiere, Überlastung des Gerichts, immaterieller Nachteil
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10187
Tenor
I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.980,60 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 28. Oktober 2022 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Beklagte trägt sieben Zehntel und der Kläger drei Zehntel der Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Verfahrens beim Verwaltungsgericht München (Az. zunächst M 26 K 19.4140, später M 19 K 19.4140).
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Mit Bescheid vom 2. Mai 2019 hatte das Landratsamt A. dem Kläger unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis entzogen und ihn zur Abgabe des Führerscheins verpflichtet. Nach Zurückweisung des hiergegen erhobenen Widerspruchs mit Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 16. Juli 2019 ließ der Kläger durch seinen damaligen Prozessbevollmächtigten beim Verwaltungsgericht München mit Schriftsatz vom 14. August 2019 Klage erheben mit dem Antrag, den Bescheid und den Widerspruchsbescheid aufzuheben. Mit Schriftsatz vom 18. September 2019 begründete der damalige Klägerbevollmächtigte die Klage, worauf das Landratsamt mit Schreiben vom 27. September 2019 erwiderte.
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Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hatte das Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 19. Juni 2019 (Az. M 26 S 19.2516) abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, der Bescheid sei aller Voraussicht nach rechtmäßig. Die Fahrerlaubnisbehörde habe aufgrund der Nichtvorlage des von ihr zu Recht geforderten medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung des Klägers schließen dürfen. Nach Rücknahme der hiergegen zunächst erhobenen, aber innerhalb der Monatsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht begründeten Beschwerde hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 28. August 2019 (Az. 11 CS 19.1361) eingestellt.
4
Nach Übertragung der Zuständigkeit für das Ausgangsverfahren von der 26. auf die 19. Kammer zum 1. Januar 2022 bat die Berichterstatterin den Klägerbevollmächtigten mit Schreiben vom 18. Januar 2022 um Mitteilung bis 14. Februar 2022, ob noch Interesse an einer Fortführung des Verfahrens bestehe. Daraufhin erhob der nunmehrige Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 26. Januar 2022 Verzögerungsrüge mit dem Hinweis, die durch Umzug zuständig gewordene Fahrerlaubnisbehörde (Kreisverwaltung Rhein-Hunsrück) habe dem Kläger mitgeteilt, eine neue Fahrerlaubnis werde erst erteilt, wenn das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht abgeschlossen sei. Die Fahrerlaubnis sei auch für die berufliche Fortentwicklung des Klägers von Bedeutung. Die ihm zur Einsicht überlassenen Akten sandte der Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 11. Februar 2022 zurück und ergänzte sein Vorbringen mit Schriftsatz vom 19. April 2022. In der mündlichen Verhandlung am 27. April 2022 nahm er die Klage zurück, woraufhin das Verwaltungsgericht das Verfahren noch in der Sitzung eingestellt hat.
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Mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2022 (Eingang am 14.10.2022) erhob der Klägerbevollmächtigte Klage beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit dem Antrag,
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den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger eine Entschädigung in Höhe von 2.400,- Euro sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 420,07 Euro, jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. Juli 2022, zu zahlen.
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Das weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht überdurchschnittliche schwierige Ausgangsverfahren habe insgesamt über zwei Jahre und acht Monate gedauert. 25 Monate (richtig wohl: 29 Monate) nach Erhebung der Klage habe sich die durch Kammerwechsel zuständig gewordene Richterin beim damaligen Prozessvertreter des Klägers nach dem aktuellen Sachstand erkundigt. Schon weit davor sei der Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht ausreichend aufbereitet gewesen und den Parteien in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden. Eine Terminierung hätte längst erfolgen können. Die Fahrerlaubnisbehörde habe zwar den Antrag des Klägers auf erneute Erteilung der Fahrerlaubnis entgegengenommen, die Bearbeitung jedoch abgelehnt, weil zunächst das Gerichtsverfahren abgeschlossen werden müsse. Für die lange Dauer des Verfahrens habe der Kläger somit keine Möglichkeit gehabt, eine neue Fahrerlaubnis zu beantragen. Dies habe seine berufliche Fortentwicklung behindert, worauf im Rahmen der Verzögerungsrüge hingewiesen worden sei. Im Vertrauen auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit habe der Kläger lange Zeit abgewartet. Eine Überlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit oder des konkreten Spruchkörpers müsse sich der Staat zurechnen lassen. Mit Schreiben vom 1. Juli 2022 an das Bayerische Staatsministerium der Justiz habe der Klägerbevollmächtigte unter Hinweis auf die überlange Verfahrensdauer die Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 2.400,- Euro und Ausgleich der außergerichtlichen Anwaltskosten verlangt. Von dort sei das Entschädigungsbegehren über das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration an das Verwaltungsgericht München abgegeben worden, welches eine Entschädigung mit Schreiben vom 25. Juli 2022 abgelehnt habe.
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Die Landesanwaltschaft Bayern hat in ihrer Erwiderung für den Beklagten die Auffassung vertreten, eine Verfahrensverzögerung sei nicht feststellbar. Mit der Verzögerungsrüge vom 26. Januar 2022 habe der Kläger so lange zugewartet, dass dies einem „Dulde und liquidiere“ gleichkomme, was bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer zu berücksichtigen sei. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Kläger die Verzögerung nicht sehr viel früher gerügt habe. Im Übrigen stehe dem Gericht hinsichtlich der Verfahrensführung ein Gestaltungsspielraum zu, der hinsichtlich der Bewertung des zwischen September 2019 und Januar 2022 verstrichenen Zeitraums zu berücksichtigen sei.
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Mit Schriftsätzen vom 23. November 2022 und 9. Januar 2023 haben die Verfahrensbeteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten einschließlich der Akten des Ausgangsverfahrens verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Entschädigungsklage, über die der Bayerische Verwaltungsgerichtshof gemäß § 173 Satz 2 VwGO i.V.m. § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG und § 101 Abs. 2 VwGO aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat nur teilweise Erfolg.
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1. Die Klage ist zulässig.
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Der Schriftsatz vom 13. Oktober 2022 ist am 14. Oktober 2022 nach Ablauf der sechsmonatigen Wartefrist seit Erhebung der Verzögerungsrüge vom 26. Januar 2022 (§ 198 Abs. 5 Satz 1 GVG) eingegangen. Die ebenfalls sechsmonatige, durch Einstellung des Verfahrens in der mündlichen Verhandlung am 27. April 2022 in Gang gesetzte Ausschlussfrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG ab Eintritt der Rechtskraft war im Zeitpunkt der Klageerhebung (§ 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO) noch nicht verstrichen.
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2. Die Klage ist jedoch nur teilweise begründet.
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Der Kläger hat für eine unangemessene Verfahrensdauer im Umfang von 17 Monaten Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Nachteils in Höhe von 1.700,- Euro und die hierfür angefallenen außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 280,60 Euro, jeweils zuzüglich der Prozesszinsen seit Rechtshängigkeit der Entschädigungsklage. Soweit er darüber hinaus eine Entschädigung für sieben weitere Monate in Höhe von 700,- Euro und die insoweit angefallenen vorgerichtlichen Anwaltskosten sowie eine frühere Verzinsung begehrt, hat seine Klage keinen Erfolg.
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a) Nach § 173 Satz 2 VwGO i.V.m. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet.
17
aa) Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG unangemessen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Maßgeblich zu berücksichtigen sind die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens, das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG) und die Prozessförderung durch das Gericht (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 2 WA 1.17 D – NJW 2019, 320 Rn. 26). Die Verfahrensdauer ist unangemessen, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist.
18
Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist nicht von festen Zeitvorgaben oder abstrakten Orientierungs- bzw. Anhaltspunkten auszugehen (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 a.a.O. Rn. 26; U.v. 14.9.2017 – 2 WA 2.17 D – BVerwGE 159, 366 Rn. 13). Angesichts der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren stießen solche Festlegungen an eine Komplexitätsgrenze. Sie könnten letztlich für die Angemessenheit im Einzelfall nicht aussagekräftig sein. Die Bandbreite der Verwaltungsprozesse reicht von sehr einfach gelagerten Verfahren bis zu äußerst aufwändigen Großverfahren (etwa im Infrastrukturbereich), die allein einen Spruchkörper über eine lange Zeitspanne binden können. Der Versuch, dieser Bandbreite mit Mittel- oder Orientierungswerten Rechnung zu tragen, ginge nicht nur am Einzelfall vorbei, sondern wäre auch mit dem Risiko belastet, die einzelfallbezogenen Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu verfehlen.
19
Für die Angemessenheit der Verfahrensdauer kommt es auch darauf an, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eingetreten sind, vor dem Hintergrund des den Ausgangsgerichten insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind (vgl. BVerwG, U.v. 27.2.2014 – 5 C 1.13 D – NVwZ 2014, 1523 Rn. 18; U.v. 11.7.2013 – 5 C 23.12 D – BVerwGE 147, 146 Rn. 37). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist. Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt. Dieses hat, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen. Es hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten – insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens – Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht – auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit – deshalb ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, B.v. 29.3.2005 – 2 BvR 1610/03 – NJW 2005, 3488; B.v. 1.10.2012 – 1 BvR 170/06 – NVwZ 2013, 789 jeweils m.w.N.). Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie – auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums – sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind. Art. 6 Abs. 1 EMRK fordert zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, U.v. 25.2.2000 – Nr. 29357/95 – NJW 2001, 211 Rn. 75).
20
Der ab Eintritt der Entscheidungsreife zuzugestehende Gestaltungszeitraum ist im Einzelfall in Relation zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien zu bestimmen. Maßgeblich ist insoweit – genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände –, wie die Gerichte im Ausgangsverfahren die Lage aus ihrer Ex-ante-Sicht einschätzen durften. Das Ende des gerichtlichen Gestaltungszeitraums wird durch den Zeitpunkt markiert, ab dem ein (weiteres) Zuwarten auf eine verfahrensfördernde Entscheidung bzw. Handlung des Gerichts im Hinblick auf die subjektive Rechtsposition des Betroffenen auf eine angemessene Verfahrensdauer nicht mehr vertretbar ist, weil sich die (weitere) Verzögerung bei Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls als sachlich nicht mehr gerechtfertigt und damit als unverhältnismäßig darstellt. Es ist nicht mit dem Zeitpunkt gleichzusetzen, bis zu dem in jedem Fall von einer „optimalen Verfahrensführung“ des Gerichts auszugehen ist. Vielmehr setzt der Entschädigungsanspruch aus § 198 Abs. 1 GVG voraus, dass der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit beeinträchtigt worden ist, was eine gewisse Schwere der Belastung erfordert (vgl. BVerwG, U.v. 11.7.2013 a.a.O. Rn. 39). Auch hier hat in die Prüfung einzufließen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Verletzung des Rechts auf angemessene Verfahrensdauer weder in den gerichtlichen noch in den Verantwortungsbereich des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt, sondern den Verfahrensbeteiligten zuzurechnen ist. Verfahrensverzögerungen, die durch das Verhalten der Parteien entstanden sind, sind grundsätzlich nicht dem Gericht anzulasten. Umgekehrt kann sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen; vielmehr muss er alle notwendigen Maßnahmen treffen, damit Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Frist beendet werden können (vgl. BVerfG, B.v. 22.3.2018 – 2 BvR 289/10 – Vz 10/16 – juris Rn. 17; EGMR, U.v. 25.2.2000 a.a.O. Rn. 75). Die Überlastung eines Gerichts fällt – anders als unvorhersehbare Zufälle oder schicksalhafte Ereignisse – in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Es obliegt den Ländern, in ihrem Zuständigkeitsbereich für eine hinreichende materielle und personelle Ausstattung der Gerichte zu sorgen, damit diese ihrem Rechtsprechungsauftrag in einer Weise nachkommen können, die den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG genügt (vgl. BVerfG, B.v. 13.8.2012 – 1 BvR 1098/11 – BayVBl 2013, 210 Rn. 19 m.w.N.). Als strukturelle Mängel, die sich der Staat zurechnen lassen muss und die er zu beseitigen hat, haben in diesem Zusammenhang sowohl eine etwaige Überlastung des betroffenen Spruchkörpers als auch etwa längerfristige Erkrankungen eines Richters außer Betracht zu bleiben (vgl. BVerwG, U.v. 17.8.2017 – 5 A 2/17 D – NVwZ 2018, 909 Rn. 34).
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bb) Hiervon ausgehend erweist sich die Gesamtdauer des Ausgangsverfahrens in einem Umfang von 17 Monaten als unangemessen.
22
(1) Das Ausgangsverfahren betraf einen eher einfach gelagerten Fall aus dem Fahrerlaubnisrecht, der weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten aufweist.
23
Das Landratsamt hatte den Kläger nach Bekanntwerden eines rechtskräftigen Bußgeldbescheids wegen einer Teilnahme am Straßenverkehr nach Cannabiskonsum gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens aufgefordert und ihm gemäß § 11 Abs. 8 FeV die Fahrerlaubnis entzogen, nachdem er das Gutachten innerhalb der hierfür gesetzten Frist nicht beigebracht hatte. Hierbei handelt es sich um eine häufig vorkommende Fallkonstellation im Bereich des Fahrerlaubnisrechts. Dies gilt auch für den vom Kläger erhobenen, aber als nicht plausible Schutzbehauptung gewerteten Einwand, erst nach der Fahrt eine selbst gedrehte Zigarette geraucht zu haben, ohne gewusst zu haben, dass das Tabakgemisch möglicherweise Cannabis enthielt (zu einer ähnlichen Fallgestaltung z.B. VG Würzburg, B.v. 27.3.2020 – W 6 S 20.411 – juris Rn. 36 und BayVGH, B.v. 2.9.2020 – 11 CS 20.814 – juris; zur vergleichbaren Problematik des Nachtrunkeinwands und der Obliegenheit des Betroffenen zur glaubhaften Darlegung durch konkrete Angaben zuletzt BVerwG, U.v. 7.4.2022 – 3 C 9.21 – BVerwGE 175, 206 Rn. 45 f.). Auch der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 19. Juni 2019 im Eilverfahren (M 26 S 19.2516) lässt erkennen, dass die Entscheidung keinen besonderen Prüfungs- und Begründungsaufwand erforderte.
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(2) Die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger ist als vergleichsweise hoch zu bewerten.
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Gegenstand des Klageverfahrens war die Entziehung der Fahrerlaubnis. Durch diese sofort vollziehbare Maßnahme war die Mobilität des Klägers deutlich eingeschränkt. Daraus ergab sich ein berechtigtes Interesse an einer möglichst baldigen Entscheidung. Das war für das Ausgangsgericht bis zur Einreichung der Verzögerungsrüge auch ohne besondere Darlegung des Klägers erkennbar. Bei der Entziehung der Fahrerlaubnis liegt auf der Hand, dass das Verfahren für den jeweiligen Kläger in aller Regel von hoher Bedeutung ist und deshalb ein berechtigtes Interesse an einer baldigen Entscheidung besteht, sobald die Sache entscheidungsreif ist.
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Entgegen der Auffassung des Beklagten muss der Kläger sich auch nicht entgegenhalten lassen, dass er mit der Erhebung der Verzögerungsrüge und dem Hinweis auf die Dringlichkeit wegen seiner beruflichen Situation und den Umstand, dass eine neue Erteilung der Fahrerlaubnis erst nach Abschluss des Gerichtsverfahrens in Betracht kommt, bis zum 26. Januar 2022 zugewartet hat. Mit der Verzögerungsrüge hat der Klägerbevollmächtigte seiner Obliegenheit genügt, für die Verfahrensförderung zur Vermeidung einer Nichtberücksichtigung bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer auf Umstände hinzuweisen, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind (§ 198 Abs. 3 Satz 3 und 4 GVG). Abgesehen davon, dass es sich hierbei nicht um außergewöhnliche, sondern – wie ausgeführt – um falltypische Umstände handelt, kann die Verzögerungsrüge erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird (§ 198 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 GVG). Einen Zeitpunkt, zu dem die Rüge gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG spätestens erhoben sein muss, legt das Gesetz nicht fest. Daher ist der Zeitraum vor einer wirksam erhobenen Verzögerungsrüge grundsätzlich zeitlich unbefristet in die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer einzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 29.2.2016 – 5 C 31.15 D – NJW 2016, 3464 Rn. 33). Die Geduld eines Verfahrensbeteiligten, der eine Verzögerungsrüge nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt erhoben hat, soll nicht durch eine Kürzung seines Entschädigungsanspruchs „bestraft“ werden. Anders liegt es nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen, wenn sich das Verhalten des Betroffenen bei Würdigung der Gesamtumstände als ein rechtsmissbräuchliches „Dulde und Liquidiere“ darstellt (vgl. SächsOVG, U.v. 5.12.2022 – 11 F 5/20.EK – juris Rn. 33; NdsOVG, U.v. 23.2.2023 – 13 FEK 201/22 – juris Rn. 47 m.w.N.). Von einer solchen Fallgestaltung ist hier jedoch nicht auszugehen. Hinweise darauf, dass der Kläger die Verzögerungsrüge bewusst erst deutlich nach dem frühestmöglichen Zeitpunkt erhoben hat, um einen möglichst hohen Entschädigungsanspruch zu erlangen, sind nicht ersichtlich. Damit ist unschädlich und für die Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer ohne Bedeutung, dass der Kläger erst in der Verzögerungsrüge und nicht zu einem früheren Zeitpunkt auf seine berufliche Situation und das Verfahrenshindernis für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis hingewiesen hat.
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(3) Vom Eingang der Klage am 14. August 2019 bis zum Abschluss des Verfahrens durch Einstellung in der mündlichen Verhandlung am 27. April 2022 sind mehr als 32 Monate vergangen. Hiervon haben jedoch für die Beurteilung der Frage, in welchem Umfang die Verfahrensdauer unangemessen war, die Zeiträume außer Betracht zu bleiben, in denen das Gericht noch keine Entscheidung treffen konnte und in denen es das Verfahren gefördert hat. Sind in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten Verzögerungen eingetreten, bewirkt dies nicht zwingend die Unangemessenheit der Gesamtverfahrensdauer (BVerwG, U.v. 11.7.2013 – 5 C 23.12 D – BVerwGE 147, 146 Rn. 44).
28
Der damalige Klägerbevollmächtigte hat die Klage zunächst ohne Begründung eingereicht und bereits bei Klageeingang wegen Arbeitsüberlastung um eine Frist zur Begründung bis 18. September 2019 gebeten. Mit der Erstzustellung vom 19. August 2019 hat das Gericht hierfür eine Frist von sechs Wochen eingeräumt. Mit Schriftsatz vom 18. September 2019 hat der damalige Klägerbevollmächtigte die Begründung eingereicht. Hierzu hat der Beklagte, vertreten durch das Landratsamt A., zeitnah mit Schriftsatz vom 27. September 2019 unter Vorlage der Behördenakte erwidert.
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Entscheidungsreif war die Verwaltungsstreitsache im Hinblick auf eine etwaige Replik des Klägers darauf auch ohne ausdrückliche Fristsetzung des Gerichts etwa einen Monat nach Eingang der Klageerwiderung, also mit Beginn des Monats November 2019. Ab diesem Zeitpunkt bis zur Mitteilung des Gerichts an den damaligen Klägerbevollmächtigten im Januar 2022 über die Abgabe des Verfahrens an die 19. Kammer und die Anfrage zum Sachstand sowie zur Bereitschaft, die Klage zurückzunehmen, hat das Gericht das Verfahren nicht gefördert. In dieser Zeit sind auch keine weiteren, das Verfahren verzögernden Schriftsätze des Klägers oder des Beklagten eingegangen. Auch das durch zwei Instanzen geführte Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz, dessen Ausgang für das Hauptsacheverfahren von maßgeblicher Bedeutung ist und während dessen Dauer grundsätzlich nicht von einer unangemessenen Verzögerung des Klageverfahrens auszugehen ist (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 20.9.2018 – OVG 3 A 3.18 – juris Rn. 8), war bereits vor der Erhebung der Klage im Ausgangsverfahren abgeschlossen.
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Erst die Anfrage der Berichterstatterin vom 18. Januar 2022 nach der Übernahme des Verfahrens durch die 19. Kammer des Verwaltungsgerichts kann als auf baldigen Abschluss des Verfahrens gerichtete Förderung angesehen werden. Ab diesem Zeitpunkt bis zur etwas mehr als drei Monate späteren Verfahrenseinstellung nach Rücknahme der Klage ist nicht mehr von einer weiteren, für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer maßgeblichen Verzögerung auszugehen. Vielmehr hat das Gericht das Verfahren in dieser Zeit durchgehend gefördert. Zunächst hatte der nunmehrige Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 26. Januar 2022 seine Bevollmächtigung angezeigt, Verzögerungsrüge erhoben und um Akteneinsicht gebeten, die ihm das Gericht nach Vorlage der Vollmacht gewährt hat. Nach Rückgabe der Akten mit Schreiben vom 11. Februar 2022 hat das Gericht zunächst nochmals zur Gewährung rechtlichen Gehörs zugewartet, ob eine weitere Äußerung eingeht, und dann nach Übertragung auf die Einzelrichterin mit Beschluss vom 22. März 2022 zeitnah am 30. März 2022 zur mündlichen Verhandlung am 27. April 2022 geladen. Eine weitere Äußerung des Klägerbevollmächtigten ging dann noch am 19. April 2022 bei Gericht ein.
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(4) Damit verbleibt ein Zeitraum von November 2019 bis Anfang Januar 2022, in dem das Gericht das Verfahren nicht gefördert hat.
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Allerdings ist für die Bemessung der dem Kläger zustehenden Entschädigung nicht dieser gesamte Zeitraum von mehr als 26 Monaten zugrunde zu legen. Vielmehr ist dem erstinstanzlichen Gericht – wie bereits ausgeführt – ein Gestaltungsspielraum zur Terminierung der mündlichen Verhandlung oder für einen richterlichen Hinweis zur Abgabe einer verfahrensbeendenden Erklärung einzuräumen, der hier unter Berücksichtigung der eher gering anzusetzenden tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache und der durchaus hohen Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger mit neun Monaten ab Eintritt der Entscheidungsreife anzusetzen ist. Nach dem Ende dieses Zeitraums, also mit Beginn des Monats August 2020, war die weitere Verzögerung einer verfahrensfördernden Entscheidung bzw. Handlung des Gerichts im Hinblick auf die subjektive Rechtsposition des Klägers auf eine angemessene Verfahrensdauer nicht mehr vertretbar, weil sie sich bei Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls als sachlich nicht mehr gerechtfertigt und damit als unverhältnismäßig darstellt. Die sich danach errechnende, sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des Klageverfahrens beträgt daher 17 Monate (August 2020 bis Dezember 2021), für die der Kläger Entschädigung beanspruchen kann.
33
b) Durch die überlange Verfahrensdauer hat der Kläger einen immateriellen Nachteil im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GVG erlitten, der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann.
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Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Ist nach den Umständen des Einzelfalls keine Wiedergutmachung auf andere Weise ausreichend, beträgt die Entschädigung 1.200,- Euro für jedes Jahr bzw. 100,- Euro für jeden Monat der Verzögerung, sofern das Gericht nicht aus Billigkeitsgründen einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzt (§ 198 Abs. 2 Satz 2 bis 4, Abs. 4 GVG).
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Der Kläger hat nach der vorliegend nicht widerlegten Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG einen Nachteil nichtvermögensrechtlicher Art erlitten. Es ist auch nicht ersichtlich, dass nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise, etwa durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ausreichend wäre und eine Entschädigung deshalb nicht oder nur in reduziertem Umfang beansprucht werden könnte (§ 198 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 GVG). Ob eine solche Feststellung ausreichend ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls (vgl. BVerwG, U.v. 27.2.2014 – 5 C 1.13 D – NVwZ 2014, 1523 Rn. 34 m.w.N.). Eine schlichte Feststellungsentscheidung erscheint hier jedoch mit Blick auf den Umfang der Verzögerung des eher einfach gelagerten Falls und der Bedeutung der Sache für den Kläger nicht ausreichend. Es sind auch weder Umstände dargelegt oder angezeigt, die nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG Anlass dafür geben würden, von dem gemäß § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG in der Regel für jedes Jahr der Verzögerung anzusetzenden Betrag von 1.200,- Euro bzw. 100,- Euro pro Monat abzuweichen. Die dem Kläger zum Ausgleich des immateriellen Nachteils zuzusprechende Entschädigungssumme für die unangemessene Verfahrensverzögerung von 17 Monaten beträgt somit insgesamt 1.700,- Euro.
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c) Dem Kläger steht darüber hinaus ein Entschädigungsanspruch zum Ausgleich des erlittenen materiellen Nachteils in Höhe von 280,60 Euro für die notwendigen Anwaltskosten der vorprozessualen Verfolgung des Begehrens zu.
37
Anspruchsgrundlage ist insoweit ebenfalls § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, der im Fall des Vorliegens seiner Voraussetzungen gebietet, zusätzlich zu einem immateriellen Nachteil auch für einen materiellen Nachteil angemessene Entschädigung zu leisten. Zwar besteht grundsätzlich keine Pflicht oder Obliegenheit, den Entschädigungsanspruch vor einer Klageerhebung gegenüber dem jeweils haftenden Rechtsträger außergerichtlich geltend zu machen. Gleichwohl sind die Verfahrensbeteiligten berechtigt, dies zu tun. Die notwendigen Anwaltskosten für die vorprozessuale Verfolgung des Entschädigungsanspruchs stellen daher eine Vermögenseinbuße und damit einen grundsätzlich zu entschädigenden materiellen Nachteil im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG dar (BVerwG, U.v. 27.2.2014 a.a.O. Rn. 40).
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Der Kläger hat jedoch nur Anspruch auf eine verminderte Geschäftsgebühr nach § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. VV-RVG Nr. 2300 (Anlage 1 zum RVG) und der Anlage 2 zu § 13 Abs. 1 RVG (vgl. BayVGH, U.v. 10.12.2015 – 23 A 14.2252 – juris Rn. 63). Die Reduzierung ergibt sich daraus, dass der geltend gemachte Entschädigungsanspruch, wie ausgeführt, nur in Höhe von 1.700,- Euro und nicht in der begehrten Höhe von 2.400,- Euro besteht. Außerdem sieht VV-RVG Nr. 2300 eine Gebühr von mehr als 1,3 nur vor, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Eine Begründung für die verlangte 1,5-fache Geschäftsgebühr hat der Klägerbevollmächtigte nicht angegeben, weshalb sie in diesem Umfang auch nicht zugesprochen werden kann.
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Die 1,3-fache Gebühr nach VV-RVG Nr. 2300 für die außergerichtliche Tätigkeit errechnet sich somit aus einem Betrag von 1.700,- Euro und beträgt damit (166,- Euro x 1,3 =) 215,80 Euro. Hinzu kommen 20,- Euro als Pauschale als Entgelt für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen nach Nr. 7002 VV-RVG und 19% Umsatzsteuer in Höhe von 44,80 Euro nach Nr. 7008 VV-RVG. Somit ergibt sich für die notwendigen Anwaltskosten der vorprozessualen Verfolgung des Entschädigungsanspruchs insgesamt ein Betrag von 280,60 Euro.
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Zwar wird diese Gebühr im Ergebnis gemäß Vorbemerkung 2.3 Abs. 4 der Anlage 1 zum RVG jedenfalls zur Hälfte (ohne Auslagenpauschale) auf die Verfahrensgebühr für die nachfolgende Klage angerechnet. Dennoch kann der Entschädigungsberechtigte zunächst die volle Summe im Klageweg geltend machen (BVerwG, U.v. 27.2.2014 a.a.O.; vgl. auch § 15a Abs. 1 RVG). Die Anrechnung ist dann bei der Höhe der Anwaltsgebühr für die Klage zu berücksichtigen.
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d) Eine Verzinsung kann der Kläger nur für den ihm zuzusprechenden Entschädigungsanspruch und auch insoweit nicht für den gesamten von ihm benannten Zeitraum, sondern erst ab Eintritt der Rechtshängigkeit verlangen.
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aa) Soweit der Entschädigungsanspruch begründet ist, hat der Kläger entsprechend § 291 i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2, § 247 BGB ab Eintritt der Rechtshängigkeit Anspruch auf Prozesszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (vgl. BVerwG, U.v. 27.2.2014 a.a.O. Rn. 46; Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 90 Rn. 14 ff.). Rechtshängigkeit trat hier mit der Zustellung der Klage nach Entrichtung des Kostenvorschusses am 28. Oktober 2022 ein (§ 90 Satz 2 VwGO, § 12a Satz 2 i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 GKG).
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bb) Der darüber hinaus geltend gemachte Anspruch auf Verzugszinsen ab dem 30. Juli 2022 gemäß § 288 Abs. 1 Satz 1, § 286 BGB besteht nicht. In Bezug auf den Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 GVG fehlt es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung über die Zahlung von Verzugszinsen. Eine Verzinsung des Entschädigungsbetrags kann somit im Verwaltungsprozess nur unter dem Gesichtspunkt der Prozesszinsen verlangt werden (vgl. BVerwG, U.v. 27.2.2014 a.a.O. Rn. 44 f.; BayVGH, U.v. 10.12.2015 – 23 A 14.2252 – juris Rn. 65). Daher war die auf eine frühere Verzinsung gerichtete Klage insoweit abzuweisen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 173 Satz 2 VwGO i.V.m. § 201 Abs. 2 GVG und § 709 ZPO.
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4. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.