Titel:
Zur Verwirkung des Rechts auf Widerruf der Freigabe eines Grundstücks für den allgemeinen Straßenverkehr
Normenketten:
VwGO § 108 Abs. 1, § 124 Abs. 2, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2
BGB § 242, § 903
Leitsätze:
1. Fehler hinsichtlich der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Ausgangsgerichts sind im Berufungszulassungsverfahren nur einer eingeschränkten Prüfung zugänglich. Der Rechtsmittelführer muss gute Gründe aufzeigen, dass die tatsächlichen Feststellungen des Ausgangsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufweisen. Die bloße Möglichkeit einer anderen Bewertung des Sachverhalts genügt dafür nicht. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Verwirkung ist anzunehmen, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung eines Anspruchs längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufungszulassung (abgelehnt), tatsächlich-öffentliche Verkehrsfläche, Widerruf der Freigabe für den öffentlichen Verkehr, Verwirkung (bejaht), Angriff auf die erstinstanzliche Beweiswürdigung (Zeugenaussagen) im Zulassungsverfahren
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 11.05.2022 – AN 10 K 19.02241, AN 10 K 21.00657
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10186
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Kläger begehrt die Feststellung seiner Berechtigung, den Teil einer über sein Grundstück verlaufenden Verkehrsfläche für die Allgemeinheit zu sperren.
2
Der Kläger ist seit 31. Mai 2016 Eigentümer des Grundstücks FlNr. …3 Gemarkung P. … Das dreieckige Grundstück misst 4 m2 und grenzt im Süden an die als Ortsstraße gewidmete „K. …straße“. Das Grundstück wird – gemeinsam mit einer Teilfläche des Grundstücks FlNr. … – als öffentliche Verkehrsfläche zur Einmündung von der „K. …straße“ in die Ortsstraße „S. …“ genutzt. Das Grundstück FlNr. …3 entstand im Jahr 2012 durch Abtrennung vom Grundstück FlNr. …2, das die Mutter des Klägers im Jahr 2007 erworben hatte. Die Abtrennung erfolgte wegen der Absicht der Beklagten, das Grundstück zu erwerben; über die Konditionen einer Veräußerung gelang in der Folge aber keine Einigung. Die Voreigentümerin B. des Grundstücks hatte es stets abgelehnt, die streitbefangene Verkehrsfläche zu veräußern. Im Jahr 1981 oder 1982 wurde die Straße „S. …“ asphaltiert; ob die Voreigentümerin B. der Asphaltierung zugestimmt hat, ist zwischen den Beteiligten streitig.
3
Die Mutter des Klägers ließ gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 27. Juli 2016 ankündigen, die Öffentlichkeit nach Ablauf von zwei Jahren von der Benutzung auszuschließen und verlangte die Entfernung des Asphaltbelags, um die Fläche einfrieden zu können. In der Folge sprach sie Betretungs- bzw. Befahrungsverbote aus.
4
Mit Bescheid vom 8. November 2019 verpflichtete die Beklagte den Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit, das Befahren des Grundstücks FlNr. …3 mit Fahrzeugen aller Art sowie das Betreten durch Fußgänger zu dulden, jegliche Maßnahmen zu unterlassen, die den Verkehr auf dieser Fläche einschränken oder behindern könnten sowie Maßnahmen Dritter, die die Nutzung der öffentlichen Straßenfläche FlNr. …3 einschränkten oder behinderten, zu beseitigen und die Benutzbarkeit als öffentliche Verkehrsfläche unverzüglich wiederherzustellen (vgl. dort Nr. 1 bis 3).
5
Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach erheben. Zudem beantragte er die gerichtliche Feststellung, berechtigt zu sein, das Grundstück FlNr. …3 für die Allgemeinheit zu sperren und der Allgemeinheit den Zugang, die Überfahrt und die anderweitige Benutzung dieses Grundstücks zu verbieten.
6
Mit Beschluss vom 23. Juni 2021 stellte der Senat die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid vom 8. November 2019 gerichteten Klage wieder her (Az. 8 CS 21.1245). Ob Voreigentümer ihr Recht auf Widerruf der Freigabe des Grundstücks für den öffentlichen Verkehr verwirkt haben, bedürfe weiterer gerichtlicher Aufklärung.
7
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 11. Mai 2022 den Bescheid der Beklagten vom 8. November 2019 aufgehoben und die Klage im Übrigen (Feststellungsantrag) abgewiesen. Das Widerrufsrecht des Eigentümers sei verwirkt. Die Beweisaufnahme mit Zeugeneinvernahme habe ergeben, dass die Voreigentümerin B. der Asphaltierung im Jahr 1981/1982 zugestimmt habe; als Gegenleistung sei ihr ein Teil ihrer Grundstückszufahrt kostenfrei asphaltiert worden. Die Zustimmung sei von ihr und ihren Rechtsnachfolgern über Jahrzehnte nicht in Frage gestellt worden. Die gegenüber der Voreigentümerin eingetretene Verwirkung gelte auch gegenüber dem Kläger.
8
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter. Hinsichtlich der klagestattgebenden Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 8. November 2019 ist das Ersturteil rechtskräftig geworden.
9
A. Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht hinreichend dargelegt und liegen nicht vor (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 VwGO, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
10
I. Aus dem Vorbringen des Klägers ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
11
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 18.3.2022 – 2 BvR 1232/20 – NVwZ 2022, 789 = juris Rn. 23 m.w.N.; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 15). Bei der Beurteilung ist nicht auf einzelne Elemente der Urteilsbegründung, sondern auf das Ergebnis der Entscheidung abzustellen (vgl. BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426/17 – NVwZ 2021, 325 = juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838 = juris Rn. 9).
12
1. Ernstliche Zweifel an den wesentlichen Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts zeigt der Kläger nicht auf; seine Kritik an der Beweiswürdigung ist unberechtigt.
13
Mit seinem Zulassungsvorbringen, das Verwaltungsgericht habe die Aussagen der einvernommenen Zeugen falsch gewürdigt, wendet sich der Kläger gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Ausgangsgerichts. (Angebliche) Fehler der Sachverhalts- und Beweiswürdigung, die dem Überzeugungsgrundsatz gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügen muss, sind regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen (vgl. BVerwG, B.v. 2.3.2023 – 4 B 16.22 – juris Rn. 26; U.v. 27.9.2021 – 8 C 31.20 – BVerwGE 173, 282 = juris Rn. 13). Im Hinblick auf § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind derartige Fehler im Berufungszulassungsverfahren nur einer eingeschränkten Prüfung zugänglich. Für einen auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützten Zulassungsgrund genügt nicht allein der Vortrag, die Tatsachen seien anders als vom Verwaltungsgericht angenommen oder der Sachverhalt bzw. das Ergebnis einer Beweisaufnahme sei anders zu bewerten. Vielmehr muss der Rechtsmittelführer gute Gründe aufzeigen, dass die tatsächlichen Feststellungen des Ausgangsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufweisen; die bloße Möglichkeit einer anderen Bewertung des Sachverhalts genügt dafür nicht (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2020 – 8 ZB 19.193 – juris Rn. 15; B.v. 1.2.2023 – 16a DZ 22.2493 – juris Rn. 9; NdsOVG, B.v. 6.4.2020 – 2 LA 373/19 – juris Rn. 13; OVG NW, B.v. 30.3.2022 – 6 A 1776/20 – juris Rn. 8 f., jeweils m.w.N.). Ein solcher Mangel ist dem Zulassungsantrag nicht zu entnehmen.
14
Das Verwaltungsgericht hat seine Überzeugung, die frühere Eigentümerin B. habe der Asphaltierung der Straße im Jahr 1981 oder 1982 zugestimmt, im Wesentlichen auf die Aussage des Zeugen R. gestützt. Dieser habe glaubhaft erklärt, die Zustimmung sei nach zähen Verhandlungen mit dem Bürgermeister abgegeben worden (vgl. UA S. 14; Sitzungsprotokoll des VG vom 25.1.2022 S. 6 f.). Der gegenteiligen Aussage des Ehemanns der Voreigentümerin (Zeuge B.) in der mündlichen Verhandlung am 4. Mai 2022 und in der – vom Vater des Klägers vorgefertigten – schriftlichen Erklärung vom 18. Januar 2022 (vgl. VG-Akte S. 206), hat es keinen ausschlaggebenden Beweiswert zugemessen. Der Zeuge B. habe insgesamt hinsichtlich des Beweisthemas einen sehr unsicheren Eindruck gemacht und auf Nachfragen oft ausweichend, leicht gereizt und häufig zunächst mit „Echofragen“ reagiert; seine Angaben seien zum Teil widersprüchlich (z.B. zur Kenntnis der Ehegatten von den Eigentumsverhältnissen) und sein Erinnerungsvermögen verblasst oder nicht zuverlässig (vgl. UA S. 17 ff.).
15
Mit ihrer Wertung, die Aussage des Zeugen R. sei nicht glaubhaft, nimmt die Klägerseite eine eigene Beweiswürdigung vor; augenscheinliche gedanklichen Lücken oder Ungereimtheiten der Beweiswürdigung zeigt sie damit nicht auf.
16
a) Dass der Zeuge R. keine Angabe zu bestimmten, vom Zulassungsantrag angeführten Modalitäten der Zustimmungserklärung gemacht hat (Erklärung durch einen [welchen?] oder beide Ehegatten, Zustimmung wann und bei welcher Gelegenheit erteilt, Adressat der Zustimmungserklärung, wozu genau wurde die Zustimmung erklärt), genügt dafür nicht. Nur weil sich die Zeugenaussage zu den von der Klägerseite thematisierten Einzelpunkten nicht verhielt, war ihr die Glaubhaftigkeit nicht abzusprechen. Der Zeuge R. hat die Vorgeschichte und das Zustandekommen der Zustimmung der früheren Eigentümerin B. mit einigen Detailkenntnissen vorgetragen. So berichtete er von mehreren Gesprächen der Voreigentümerin B. mit dem Bürgermeister; an einem davon habe er selbst teilgenommen. Nach zähen Verhandlungen und dem Entgegenkommen der Beklagten, einen Teil des klägerischen Grundstücks (Vorplatz zur Scheune) auf ihre Kosten zu asphaltieren (vgl. UA S. 14; Sitzungsprotokoll des VG vom 25.1.2022 S. 6 f.), habe sie im letzten Moment zugestimmt. Soweit der Kläger in der Schilderung des Zeugen R. weitere Einzelheiten vermisst, darf auch die lange Zeitspanne seit dem Jahr 1981 bzw. 1982 nicht unberücksichtigt bleiben.
17
b) Auch der Vorhalt, der Zeuge R. habe die Zustimmung nicht aus eigener Wahrnehmung bestätigen können, greift nicht durch. Der Zeuge vom Hörensagen ist kein von vornherein ungeeignetes Beweismittel, auch wenn dessen Aussage einer Entscheidung regelmäßig nur zugrunde gelegt werden kann, wenn es für das Vorliegen der Tatsache noch andere Anhaltspunkte gibt (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.2002 – 1 B 194.01 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 320 = juris Rn. 4; B.v. 6.12.1999 – 5 B 15.99 – juris Rn. 4; Kraft in Eyermann, VwGO, § 108 Rn. 19). Vorliegend hat es selbst der Zeuge B. für möglich erachtet, dass seine verstorbene Ehefrau zugestimmt hat; die Asphaltierung der Straße sei wegen des Lärms durch den früheren Pflasterbelag ja in ihrem Sinn gewesen (vgl. Sitzungsprotokoll des VG vom 4.5.2022 S. 5). Hinzu kommt, dass der Zeuge R. nicht als „unbeteiligter“ Zeuge vom Hörensagen angesehen werden kann, weil er als geschäftsleitender Beamter der Beklagten mit der streitbefangenen Angelegenheit befasst war und auch die Umsetzung von Erklärungen, die dem Bürgermeister gegenüber abgegeben wurden, zu seinen Dienstaufgaben gezählt hat.
18
c) Die frühere langjährige Tätigkeit des Zeugen R. als Beamter der Beklagten hat das Verwaltungsgericht gewürdigt, darin aber keinen Interessenkonflikt erkannt, weil dessen Pensionierung viele Jahre zurückliege, sodass er beruflich mit den Streitigkeiten zwischen der Beklagten und der Familie des Klägers nicht mehr in Berührung gekommen sei (vgl. UA S. 15). Der pauschale Vorhalt des Klägers, es bestehe noch immer ein „besonderes Näheverhältnis“, setzt sich mit dieser Begründung des Ausgangsgerichts nicht hinreichend auseinander. Der Vortrag, die persönliche Beziehung des Zeugen R. zur Familie des Klägers sei während der gesamten Dauer des Dienstverhältnisses – vorsichtig ausgedrückt – „angespannt“ gewesen, bleibt im Ungefähren.
19
d) Die Zustimmung eines Eigentümers zur Asphaltierung, die zu einem rechtmäßigen Überbau geführt hat (vgl. BGH, U.v. 30.5.2008 – V ZR 184/07 – NJW 2008, 3122 = juris Rn. 7; Brückner in Münchner Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2023, § 912 Rn. 41 ff.) unterliegt auch keinem (Schrift-)Formerfordernis; dass die Zustimmung der Voreigentümerin B. nicht schriftlich dokumentiert wurde, ist deshalb ohne Belang.
20
e) Da das Verwaltungsgericht keine Beweislastentscheidung getroffen, sondern der Aussage des Zeugen R. in der mündlichen Verhandlung Glauben geschenkt hat, führt auch das Zulassungsvorbringen, die materielle Beweislast für die Verkehrsfreigabe treffe die Beklagte, nicht zum Erfolg (vgl. auch BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 33.18 – NVwZ 2020, 161 = juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 4.6.2020 – 6 ZB 20.647 – juris Rn. 5 f.).
21
2. Nicht ernstlich zweifelhaft ist auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Voreigentümerin B. habe das ihr zustehende Recht verwirkt, die Freigabe des streitbefangenen Grundstücks für den allgemeinen Straßenverkehr zu widerrufen.
22
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass eine Verwirkung nur anzunehmen ist, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung eines Anspruchs längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hängt von den konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls ab, die sich einer allgemeingültigen Klärung entziehen (stRspr, vgl. etwa BVerwG, B.v. 22.2.2023 – 9 B 17.22 – juris Rn. 4 m.w.N.).
23
a) Das sog. Zeitmoment ist vorliegend gegeben. Seit der Entstehung des Rechts zum Widerruf der stillschweigenden Verkehrsfreigabe sind Jahrzehnte verstrichen. Die Auffassung des Klägers, eine Zeitspanne von 35 Jahren reiche bei dinglichen Ansprüchen nicht zur Annahme der Verwirkung aus, überzeugt nicht. Eine feste zeitliche Grenze, bis zu deren Überschreitung ein materielles Recht nicht verwirkt sein kann, gibt es nicht (vgl. BVerwG, B.v. 15.1.2020 – 2 B 38.19 – IÖD 2020, 103 = juris Rn. 12; BGH, U.v. 15.12.2017 – V ZR 275/16 – WuM 2018, 236 = juris Rn. 20 m.w.N.). Im Übrigen sind Zeit-, Umstands- und Vertrauensmoment nicht präzise voneinander zu trennen; maßgeblich ist eine Gesamtbewertung aller zeitlichen und sonstigen Umstände (vgl. BVerwG, U.v. 30.8.2018 – 2 C 10.17 – BVerwGE 163, 36 = juris Rn. 22).
24
b) Ein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten, dass der Eigentümer sein Widerrufsrecht nicht mehr geltend machen würde, liegt ebenfalls vor.
25
Das Verwaltungsgericht hat ein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten darauf gestützt, dass die Voreigentümerin B. im Jahr 1981 oder 1982 nicht nur der Anbringung eines kostenaufwendigen, langlebigen Straßenbelags zugestimmt, sondern dafür zudem eine Gegenleistung – die Asphaltierung des Garagenvorplatzes auf ihrem Grundstück – entgegengenommen hatte. In den darauffolgenden 22 bzw. 23 Jahren habe sie ihre Zustimmung nicht widerrufen oder sonst infrage gestellt (vgl. UA S. 20). Dies erweist sich unter Würdigung des Zulassungsvorbringens als rechtsfehlerfrei.
26
aa) Die Zustimmung der Voreigentümerin B. zur Asphaltierung stellt einen Umstand dar, der für die Beurteilung der Frage, ob die Beklagte infolge eines bestimmten Verhaltens darauf vertrauen durfte, dass diese ihr Widerrufsrecht nicht mehr ausübt, berücksichtigt werden durfte. Die Gegenauffassung des Zulassungsantrags, wonach dafür nur Umstände herangezogen werden dürften, die nach Erteilung der Zustimmung eingetreten sind, geht fehl. Die Klägerseite verkennt, dass das Recht zum Widerruf der Verkehrsfreigabe nicht erst mit der Zustimmung zur Asphaltierung entstanden ist, sondern bereits zuvor mit der stillschweigenden Duldung der Benutzung durch die Allgemeinheit (vgl. BayVGH, U.v. 26.4.2022 – 8 B 20.1655 – NVwZ-RR 2022, 657 = juris Rn. 63; U.v. 17.2.2003 – 11 B 99.3439 – juris Rn. 32; Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl. 2020, § 1 Rn. 13). Nach den hierzu im Wesentlichen übereinstimmenden Aussagen der Zeugen R. und B. hatte die Voreigentümerin B. die Nutzung des Grundstücks als Verkehrsfläche schon vor der Asphaltierung (vorher Kopfsteinpflaster) hingenommen (vgl. Sitzungsprotokoll des VG vom 4.5.2022 S. 4 f. [Zeuge B.] und vom 25.1.2022 S. 5 [Zeuge R.]). Das Verwaltungsgericht ist dem gefolgt (vgl. UA S. 20: „ein Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen, dass der asphaltierte Grundstücksteil auch in Zukunft auf unbestimmte Zeit als Straßenteil genutzt werden darf“).
27
bb) Die Beklagte hat auf ein dauerhaftes Einverständnis der (Vor-)Eigentümerin mit der verkehrlichen Nutzung der Straße vertraut und in diesem Vertrauen durch den Ausbau der Straße (Asphaltierung) erhebliche finanzielle Dispositionen getätigt. Darauf hat das Verwaltungsgericht abgestellt, ohne zu verkennen, dass allein aus dem Einverständnis mit der Benutzung durch die Allgemeinheit regelmäßig nicht auf eine Verwirkung des – aus dem Eigentumsrecht abgeleiteten – Widerrufsrechts geschlossen werden kann, auch wenn es über längere Zeit hinweg bestanden hat (UA S. 12; vgl. BayVGH, U.v. 26.4.2022 – 8 B 20.1655 – NVwZ-RR 2022, 657 = juris Rn. 67; BGH, U.v. 16.5.2014 – V ZR 181/13 – NVwZ-RR 2014, 712 = juris Rn. 21 f.). Bei der Subsumtion des vorliegenden Sachverhalts hat es sich an dieser Rechtsprechung orientiert, ohne davon abzuweichen. Die Zustimmung zur Asphaltierung einer Straße, die eine private tatsächlich-öffentlichen Verkehrsfläche miteinschließt oder auch nur die wissentliche Hinnahme eines solchen Straßenausbaus wiegt im Hinblick auf das bei der Straßenbaubehörde entstehende Vertrauen deutlich schwerer als die bloße Erlaubnis zur Nutzung durch den öffentlichen Verkehr. Hinzu kommt noch, dass die Voreigentümerin für ihre Zustimmung zur Asphaltierung ihrer Grundstücksteilfläche eine Gegenleistung – die Asphaltierung einer Teilfläche ihres Garagen- bzw. Scheunenvorplatzes – erhalten hatte (vgl. UA S. 20); diese Gegenleistung ist im Verhältnis zu der überbauten Fläche von nur 4 m2 auch nicht zu vernachlässigen. Nur am Rande und ohne dass dies für die Entscheidung über den Zulassungsantrag erheblich ist, hat sich die Beklagte zudem darauf berufen, den Fahrbahnbelag in den 1990er-Jahren erneuert zu haben, ohne dass sich die Voreigentümerin B. dem widersetzt habe (vgl. auch die Aussage des Zeugen R., Sitzungsprotokoll des VG vom 25.1.2022 S. 6).
28
cc) Ob der Beklagten bewusst war, dass die Zustimmung der Voreigentümerin zur Nutzung der privaten Fläche als öffentliche Straße widerruflich ist, bleibt ohne Belang. Maßgeblich ist, dass sie aufgrund des Verhaltens der Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass ihre Anstrengungen zum Straßenausbau nicht nutzlos sein werden.
29
c) Die Auffassung des Erstgerichts, die Verwirkung des Widerrufsrechts der Voreigentümerin wirke grundstücksbezogen gegenüber dem Kläger als Rechtsnachfolger (vgl. UA S. 21), greift der Zulassungsantrag nicht an. Sie entspricht im Übrigen der Rechtsprechung des Senats (vgl. BayVGH, B.v. 31.3.2005 – 8 ZB 04.2279 – NVwZ-RR 2005, 736 = juris Rn. 13; U.v. 26.2.2013 – 8 B 11.1708 – BayVBl 2013, 629 = juris Rn. 29; vgl. auch B.v. 14.5.2020 – 15 ZB 19.2263 – juris Rn. 21 m.w.N. [öffentliches Baunachbarrecht]; offengelassen BGH, B.v. 27.1.2022 – V ZB 90/20 – juris Rn. 12).
30
II. Der Zulassungsantrag zeigt auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
31
1. Der Kläger erachtet die Klärung des Sachverhalts als schwierig, weil er sich über viele Jahrzehnte erstrecke, die Beteiligten auf beiden Seiten (mehrfach) gewechselt hätten, die meisten der entscheidungserheblichen Tatsachen zwischen den Parteien strittig und die Erinnerung der Beteiligten im Laufe der Zeit verloren gegangen seien. Auf bestimmte tatsächliche Aspekte und die insoweit einschlägigen Passagen des angefochtenen Urteils geht der Zulassungsantrag nicht ein (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163 = juris Rn. 17). Die Sachverhaltsaufklärung ist auch nicht alleine deshalb unübersichtlich oder schwierig, weil Ereignisse mehrere Jahrzehnte zurückliegen und Zeugenaussagen zum Teil voneinander abweichen. Es ist Aufgabe des Gerichts, einander widersprechenden Aussagen im Rahmen der Sachverhalts- und Beweiswürdigung zu prüfen und zu bewerten, so dass alleine daraus keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten abgeleitet werden können (vgl. auch BayVGH, B.v. 2.12.2022 – 3 ZB 22.1075 – juris Rn. 38).
32
2. Auch in rechtlicher Hinsicht weist die Streitsache keine erheblichen Schwierigkeiten auf. Der Zulassungsantrag sieht besondere rechtliche Schwierigkeiten darin, dass die Voraussetzungen der Verwirkung des Rechts zum Widerruf einer Zustimmung zur Benutzung einer privaten Grundstücksfläche als öffentliche Verkehrsfläche bislang nicht abschließend geklärt seien. Damit zeigt er keine besonderen Schwierigkeiten der vorliegenden Rechtssache auf (vgl. zum Maßstab BayVGH, B.v. 3.11.2011 – 8 ZB 10.2931 – BayVBl 2012, 147 = juris Rn. 28). Im Übrigen lässt sich die Frage, ob die Voreigentümerin ihr Recht verwirkt hat, die erteilte Verkehrsfreigabe zu widerrufen, ohne nennenswerten Aufwand im Zulassungsverfahren klären (vgl. oben Rn. 12 ff.).
33
III. Die Berufung ist auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
34
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn eine konkrete, über den Einzelfall hinausgehende Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung bedarf (vgl. BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – BVerfGE 151, 173 = juris Rn. 33; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 20). Dies zeigt der Zulassungsantrag nicht auf.
35
Die vom Kläger angeführte Rechtsfrage, innerhalb welcher Zeitspanne der Eigentümer eines Grundstücks die Zustimmung zu dessen Nutzung für den allgemeinen Verkehr widerrufen kann, bezieht sich auf die Gesamtbewertung aller zeitlichen und sonstigen Umstände einer Verwirkung. Hierzu ist höchstrichterlich geklärt, dass es eine feste zeitliche Grenze nicht gibt (vgl. oben Rn. 23; BVerwG, B.v. 15.1.2020 – 2 B 38.19 – IÖD 2020, 103 = juris Rn. 12); die Frage lässt sich fallübergreifend weder bejahen noch verneinen und ist damit einer allgemein gültigen Klärung in einem Berufungsverfahren nicht zugänglich (vgl. BVerwG, B.v. 11.7.2019 – 3 B 15.18 – juris Rn. 17).
36
IV. Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) ist nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargetan.
37
Dieser Zulassungsgrund ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn der Rechtsmittelführer einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem von einem anderen in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gericht aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz ausdrücklich oder konkludent widersprochen hat (stRspr, vgl. nur BVerwG, B.v. 31.7.2020 – 3 B 4.20 – NJW 2020, 3401 = juris Rn. 25 zu § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die divergierenden Rechtssätze müssen einander gegenübergestellt und die entscheidungstragende Abweichung muss darauf bezogen konkret herausgearbeitet werden (vgl. BVerwG, B.v. 10.2.2022 – 8 B 3.22 – juris Rn. 5).
38
Diesen Anforderungen wird der Zulassungsantrag nicht gerecht. Der Kläger hat keinen divergierenden Rechtssatz des Ersturteils herausgearbeitet und diesem einen abstrakten Rechtssatz eines Divergenzgerichts gegenübergestellt. Soweit er anführt, das angefochtene Urteil stelle bei der Prüfung der Voraussetzungen einer Verwirkung des Widerrufsrechts in Abweichung von der Senatsentscheidung vom 20. (richtig: 23.) Juni 2021 (Az. 8 CS 21.1245 – Rn. 24) nicht auf die Umstände nach Erteilung der Zustimmung (Zeitpunkt der Entstehung des Widerrufsrechts), sondern auf die Zustimmung als solche ab, rügt er eine vermeintlich (vgl. oben Rn. 26) fehlerhafte Anwendung von Rechtssätzen, was den Darlegungsanforderungen einer Divergenzrüge nicht genügt (vgl. BVerwG, B.v. 11.2.2019 – 8 B 1.19 – ZOV 2019, 87 = juris Rn. 5).
39
V. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen, auf dem das Ersturteil beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
40
Die Grundsätze der Beweiswürdigung sind grundsätzlich dem sachlichen Recht zuzuordnen (vgl. dazu bereits oben Rn. 12 ff.). Deshalb ist die Einhaltung der aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO folgenden Verpflichtung nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter eine aus seiner Sicht fehlerhafte Verwertung des vorliegenden Tatsachenmaterials rügt, aus dem er andere Schlüsse ziehen will als die angefochtene Entscheidung. Ein die Annahme eines Verfahrensfehlers begründender Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann ausnahmsweise nur etwa dann anzunehmen sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet. Ein Verstoß gegen dieses Gebot liegt zudem vor, wenn ein Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätten aufdrängen müssen; in solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die Überzeugungsbildung und sogleich für die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 2.3.2022 – 6 C 7.20 – BVerwGE 175, 76 = juris Rn. 40; B.v. 11.7.2022 – 2 B 31.21 – juris Rn. 24 f.; BayVGH, B.v. 18.11.2022 – 10 ZB 21.2465 – juris Rn. 10; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 190).
41
Ein solcher Mangel liegt – wie oben aufgezeigt (vgl. Rn. 12 ff.) – nicht vor.
42
B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
43
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 43.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Gegenstand des Berufungszulassungsantrags ist nur noch der Feststellungsantrag.
44
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).