Titel:
Verbot der Führung der Dienstgeschäfte
Normenketten:
BBG § 37, § 66 S. 1
BPolBG § 2
Leitsatz:
Die Parole „Sieg Heil“ während eines Einsatztrainings einer Polizeimeisteranwärterin kann als Dienstvergehen zu werten sein und Zweifel an ihrer persönlichen Eignung begründen, die eine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf und ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte rechtfertigen können. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Parole „Sieg Heil“, Verbot der Führung der Dienstgeschäfte, persönliche Eignung
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Beschluss vom 09.02.2023 – B 5 S 23.15
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10176
Tenor
I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 9. Februar 2023 – B 5 S 23.15 – wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin, die am 1. September 2021 zum Polizeimeisteranwärterin ernannt worden war, begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen ihre Zwangsbeurlaubung.
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Sie hatte während eines Einsatztrainings, bei der die Auszubildenden ihren Trainingspartner zu Boden bringen sollten, „Sieg Heil“ ausgerufen. Nach ihrer Anhörung wurde ihr am 5. Oktober 2022 mündlich die weitere Ausübung der Dienstgeschäfte gemäß § 66 BGB vorläufig untersagt. Mit Bescheid vom 14. Oktober 2022 bestätigte der Dienstvorgesetzte das Verbot und ordnete dessen sofortige Vollziehung an. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Antragstellerin habe durch den Ausruf das Ansehen der Bundespolizei und des Beamtentums in erheblichem Maße geschädigt, weil sie dadurch den Anfangsverdacht begründe, sie könne sich gemäß § 86a StGB strafbar gemacht haben. Zugleich bestehe der weitere Verdacht, sie könne gegen ihre Verfassungstreuepflicht und die beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht verstoßen haben. Ferner ergehe das Verbot zur Sicherstellung des ordnungsgemäßen Dienstbetriebs. Der Verbleib der Antragstellerin im Ausbildungsbetrieb sei vorrangig zum Schutz ihrer Anwärterkolleginnen und -kollegen sowie der Allgemeinheit, aber auch aus Gründen der Ansehenswahrung des Beamtentums und der Bundespolizei nicht vertretbar.
3
Die Antragstellerin, die nicht den Ausruf, aber die Kenntnis von seinem nationalsozialistischen Hintergrund bestreitet, hat hiergegen Widerspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden ist. Mit Verfügung vom 9. November 2022 wurde ein Disziplinarverfahren gegen die Antragstellerin eingeleitet und zunächst wegen eines – inzwischen nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellten – strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens ausgesetzt.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Verbotsverfügung wiederherzustellen, mit Beschluss vom 9. Februar 2023 abgelehnt.
5
Die Antragstellerin verfolgt mit ihrer rechtzeitig erhobenen Beschwerde den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz weiter. Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
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Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, aber unbegründet.
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Das Verwaltungsgericht ist – bei der im Eilverfahren angezeigten summarischen Prüfung – mit überzeugender Begründung zu dem Ergebnis gelangt, dass an der Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung vom 5./14. Oktober 2022 keine ernstlichen Zweifel bestehen und dass das Hauptsacheverfahren deshalb insoweit keine Aussicht auf Erfolg bietet. Die Gründe, die mit der Beschwerde fristgerecht geltend gemacht worden sind und auf deren Prüfung das Gericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 i.V.m. Satz 1 und 3 VwGO), rechtfertigen es nicht, die aufschiebende Wirkung des Hauptsacherechtsbehelfs wiederherzustellen.
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Nach § 2 BPolBG in Verbindung mit § 66 Satz 1 BBG kann die oberste Dienstbehörde oder die von ihr bestimmte Behörde einer Beamtin oder einem Beamten aus zwingenden dienstlichen Gründen die Führung der Dienstgeschäfte verbieten (Zwangsbeurlaubung). Zwingende dienstliche Gründe in diesem Sinn sind gegeben, wenn bei weiterer Ausübung des Dienstes durch die Beamtin oder den Beamten auf dem bisherigen Dienstposten der Dienstbetrieb erheblich beeinträchtigt würde oder andere gewichtige dienstliche Nachteile ernsthaft zu besorgen wären (vgl. BVerwG, B.v. 19.11.1998 – 1 WB 36.98 – juris). Die zu befürchtenden Nachteile müssen so gewichtig sein, dass dem Dienstherrn die Führung der Dienstgeschäfte durch die Beamtin oder den Beamten bis zur abschließenden Klärung und Entscheidung nicht zugemutet werden kann (vgl. OVG NW, B.v. 17.6.2013 – 6 A 2586.12 – juris). Die Anordnung nach § 66 Satz 1 BBG hat nur vorläufigen Charakter, weil das Verbot gemäß § 66 Satz 2 BBG erlischt, wenn nicht bis zum Ablauf von drei Monaten gegen die Beamtin oder den Beamten ein Disziplinarverfahren oder ein sonstiges auf Rücknahme der Ernennung oder auf Beendigung des Beamtenverhältnisses gerichtetes Verfahren eingeleitet worden ist. Deshalb ist für eine Zwangsbeurlaubung keine erschöpfende Aufklärung des Sachverhalts erforderlich. Es genügt, wenn der zuständige Vorgesetzte aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse zu der begründeten Überzeugung gelangt, dass die dienstlichen Gründe ein sofortiges Handeln erfordern und das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte als zwingend erscheinen lassen (BayVGH, B.v. 12.3.2018 – 6 ZB 17.2316 – juris Rn. 10 m.w.N.).
9
Gemessen an diesem Maßstab begegnet das streitige Verbot, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, als vorläufige Maßnahme keinen durchgreifenden rechtlichen Zweifeln. Der Ausruf der Parole „Sieg Heil“ während eines Einsatztrainings im Ausbildungsbetrieb, den die Antragstellerin als solchen nicht bestreitet, dürfte im vorliegenden Fall zwar nicht den Straftatbestand des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllen, kann aber als Dienstvergehen zu werten sein und berechtigte Zweifel an der persönlichen Eignung begründen, die eine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf nach § 2 BPolBG in Verbindung mit § 37 Abs. 1 BBG rechtfertigen (vgl. im Einzelnen BayVGH, B.v. 2.5.2019 – 6 CS 19.481 – juris).
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Dabei besteht allerdings kein Automatismus zwischen Verwendung der in Rede stehenden Parole und Entlassung. Vielmehr kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Insoweit weist die Beschwerde durchaus nachvollziehbar darauf hin, dass es sich um einen einmaligen Vorfall gehandelt habe, keinerlei (anderweitigen) Anhaltspunkte für Zweifel an der Verfassungstreue bestünden, die Antragstellerin rechtsextremes Gedankengut entschieden ablehne, den Bedeutungsgehalt der Parole nicht gekannt und sich zudem umgehend entschuldigt habe. Auch in der konkreten Situation mag der Ausruf eher als Ausdruck jugendlicher Unbesonnenheit gewirkt haben. Denn nach den durchaus plausiblen Schilderungen der Antragstellerin sei bei einem Einsatztraining, bei dem Zweierteams den jeweiligen Partner mittels Frontrisses zu Boden bringen sollten, ein Auszubildender aus dem Nachbarteam zwischen die Antragstellerin und deren Trainingspartner gefallen. Der zweite Auszubildende aus dem Nachbarteam habe daraufhin „Sieg“ gerufen, worauf die Antragstellerin reflexartig mit „Sieg Heil“ geantwortet habe.
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Gleichwohl ist es rechtlich nicht zu beanstanden und frei von Ermessensfehlern, dass der Dienstherr den Ausruf einer offenkundig nationalsozialistischen Parole während einer Ausbildungsveranstaltung als zwingenden dienstlichen Grund ansieht, der Antragstellerin vorläufig das Führen der Dienstgeschäfte nicht zuletzt im Interesse der Aufrechterhaltung des Ausbildungsbetriebs bei der Bundespolizei und der Vermeidung von Nachahmungseffekten zu verbieten. § 66 BBG stellt (anders bei der vorläufigen Dienstenthebung nach § 38 BDG) nicht auf ein vorwerfbares Verhalten des Beamten ab, sondern auf die objektive Gefährdung des Dienstes. Die Vorschrift verlangt nicht, dass bereits Klarheit über den Grund für die Beeinträchtigung der dienstlichen Belange oder die weitere Verwendung besteht; vielmehr eröffnet das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte dem Dienstherrn die Möglichkeit, ohne Gefährdung der dienstlichen Interessen Ermittlungen anzustellen und eine solidere Grundlage für dauerhafte Entscheidungen zu gewinnen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
13
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).