Inhalt

VGH München, Beschluss v. 20.04.2023 – 24 CS 23.496
Titel:

Widerruf eine waffenrechtlichen Erlaubnis wegen Unzuverlässigkeit 

Normenkette:
WaffG, § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. b, § 36 WaffG § 45 Abs. 5
Leitsätze:
1. Für die Prognose der Zuverlässigkeit (BVerwG NJW 2018, 2812 = BeckRS 2018, 16788) zur Beibehaltung einer waffenrechtlichen Erlaubnis gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. b WaffG muss das Verhalten des Antragsstellers geprüft werden. Die personenbezogene behördliche Prognose ist gerichtlich vollständig überprüfbar (OVG Koblenz BeckRS 2018, 21731). Dabei setzt die Annahme der Unzuverlässigkeit voraus, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die betroffene Person mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden. Insbesondere die Verwendung des eigenen unveränderten Geburtsdatums (VG München BeckRS 2019, 32846) oder das eines Haushaltsangehörigen für ein Zahlenschloss am Waffenschrank ist regelmäßig sorgfaltswidrig und widerspricht der Annahme der Zuverlässigkeit. (Rn. 16 – 36, 28 und 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 45 Abs. 5 WaffG beseitigt die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage gegen den Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis wegen nachträglichen Wegfalls der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit. Das Interesse am Schutz des Lebens und der Gesundheit der Bevölkerung (VGH München BeckRS 2020, 36153) wiegt schwerer als der Rechtsanspruch des Betroffenen – hier auf Besitz der Waffe bis zur Hauptsachenentscheidung. (Rn. 39 – 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Interessenabwägung bei offenen Erfolgsaussichten, Widerruf einer Waffenbesitzkarte, Erledigung der Ungültigerklärung eines Jagdscheins, Prognose der Unzuverlässigkeit, Struktur einer Prognoseentscheidung, Indizienbeweis, Prognosemethode (Unterscheidung von Erfahrungssatz von Erfahrungswissen), Sorgfaltsanforderungen bei der Festlegung einer Zahlenkombination für einen Waffenschrank, keine Zurechnung von Fehlverhalten bei rechtmäßiger Verwahrungs- und Zugriffsgemeinschaft, Zahlenschloss, Geburtsdatum
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 10.02.2023 – M 7 S 22.1089
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10167

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 12.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Widerruf und die Ungültigerklärung seiner waffen- und jagdrechtlichen Erlaubnisse.
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Anlass des Bescheides war der Verlust eines Schalldämpfers des Antragstellers. Am 11. Mai 2021 zeigte die Ehefrau des Antragstellers, die ebenfalls über waffenrechtliche Erlaubnisse verfügt, beim Landratsamt als Waffenbehörde an, dass ihr ein Jagdgewehr, Munition und ein Schalldämpfer abhandengekommen seien. Die Gegenstände seien bei einem Einbruchsdiebstahl, der sich im Januar oder Februar 2021 in ihrem Wochenendhaus ereignet habe, aus dem Waffenschrank entwendet worden. Ihr sei der Verlust erst am 9. Mai 2021 aufgefallen. Anlässlich des Diebstahls, den sie am 25. Februar 2021 bei der Polizei angezeigt habe und die deshalb tags darauf eine Spurensicherung vorgenommen habe, habe sie den Waffenschrank nicht geöffnet, weil er verschlossen und unbeschädigt gewesen sei. Sie habe daher nicht angenommen, dass der Einbrecher Waffen entwendet habe. Anlässlich der daraufhin von der Polizei vorgenommenen Überprüfung des Waffenschranks am 14. Mai 2021 teilte der Antragsteller mit, dass auch ein Schalldämpfer von ihm abhandengekommen sei.
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Der Antragsteller nutzt den Waffenschrank zusammen mit seiner Ehefrau (Antragstellerin im Verfahren 24 CS 23.495); die beiden volljährigen Söhne des Ehepaars sind auch Jäger und haben ebenfalls rechtmäßigerweise Zugriff auf den Waffenschrank. Der Waffenschrank mit dem Widerstandsgrad I nach DIN/EN 1143-1 ist mit einem sechsstelligen Zahlencode gesichert; im fraglichen Zeitraum bestand die allen Familienmitgliedern bekannte Zahlenkombination aus dem Geburtsdatum einer der Söhne. Ausweislich einer Aussage des Antragstellers bei der Polizei könne der Zahlencode nur dreimal verkehrt eingegeben werden, danach sei der Schrank gesperrt und ließe sich nicht mehr ohne weiteres öffnen. Nach einmaliger Falschangabe sei der Schrank für drei Minuten gesperrt.
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Mit Bescheid vom 31. Januar 2022 widerrief das Landratsamt M. … (im Folgenden: Landratsamt) die dem Antragsteller erteilten waffenrechtlichen Erlaubnisse in Form dreier in den Jahren 2015 bis 2019 ausgestellten Waffenbesitzkarten und eines am 19. Dezember 2019 ausgestellten Europäischen Feuerwaffenpasses (Nr. 1) und erklärte den bis 31. März 2024 gültigen Jagdschein für ungültig (Nr. 2). Ferner verpflichtete es den Antragsteller, seine Waffen und die Munition einem Berechtigten zu überlassen oder sie unbrauchbar zu machen (Nr. 3) und die Originalausfertigungen der waffenrechtlichen Erlaubnisse und des Jagdscheins dem Landratsamt zu übergeben (Nr. 4). Die sofortige Vollziehung der Nummern 2, 3 und 4 des Bescheids wurde angeordnet (Nr. 5). Zur Begründung führt das Landratsamt aus, der Antragsteller habe sich als unzuverlässig erwiesen. Ein Verlust infolge des Diebstahls sei nicht eindeutig feststellbar. Der Schrank sei nicht aufgebrochen worden und es seien nur einzelne Waffen(bestandteile) und nicht der gesamte Inhalt des Schranks entwendet worden. Lege man ein Diebstahlsgeschehen zugrunde, so sei davon auszugehen, dass der Schrank nicht ordnungsgemäß gesichert gewesen sei; jedenfalls sei seine Schutzwirkung durch die Verwendung eines aus dem Geburtsdatum einer der Söhne bestehenden Codes aufgehoben worden. Dieser Verstoß gegen grundlegende Vorsichts- und Umgangsmaßregeln rechtfertige die Prognose, dass der Antragsteller auch künftig Waffen nicht sorgfältig verwahren werde.
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Der Antragsteller hat hiergegen am 11. Februar 2022 Klage erhoben (M 7 K 22.682), über die noch nicht entschieden ist. Den am 28. Februar 2022 gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 10. Februar 2023 abgelehnt. Nach summarischer Prüfung bestünden keine durchgreifenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids. Es fehle die erforderliche Zuverlässigkeit gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG, weil hinsichtlich des Antragstellers Tatsachen die Prognose rechtfertigten, dass er künftig mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werde.
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Der Antragsteller habe solche Tatsachen geschaffen, weil sein Schalldämpfer abhandengekommen sei. Die Erklärung des Verlusts mit dem Einbruchdiebstahl zu Beginn des Jahres 2022 stehe der Prognose nicht entgegen. Das Gericht habe bereits am Diebstahl erhebliche Zweifel. Es erscheine lebensfremd und unglaubhaft, dass unbekannte Täter einen Waffenschrank ohne das Hinterlassen von Aufbruchspuren öffnen, hieraus lediglich einzelne Waffen entwenden und den Waffenschrank anschließend wieder ordnungsgemäß versperren würden. Ebenso sei nur schwer nachvollziehbar, dass sich der Antragsteller nach dem Einbruch nicht umgehend von der Vollständigkeit des Inhalts des Waffenschranks überzeugt habe. Letztlich komme es auf das genaue Geschehen hinsichtlich des Abhandenkommens aber nicht an. Aus den genannten Umständen könne nur geschlossen werden, dass die Gegenstände aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Aufbewahrung abhandengekommen seien. Seien die Waffen nicht bei dem Einbruch, sondern anderweitig abhandengekommen, könne aus der Tatsache des Abhandenkommens erst recht auf eine nicht ordnungsgemäße Aufbewahrung und damit auf einen Verstoß gegen grundlegende Vorsichts- und Umgangsregeln geschlossen werden. Diese Schlussfolgerung gelte auch dann, wenn – wie hier – mehrere Personen zugriffsberechtigt seien (vgl. § 13 Abs. 8 AWaffV). Mit der Zulassung der gemeinschaftlichen Aufbewahrung sei keine Herabsetzung der Pflichten und des Verantwortlichkeitsmaßstabs des einzelnen Waffenbesitzers verbunden. § 36 Abs. 1 WaffG bezwecke, das Abhandenkommen oder die unbefugte Ansichnahme von Waffen durch Dritte zu verhindern; hiermit sei es nicht vereinbar, wenn sich im Falle eines ungeklärten Abhandenkommens mehrere Berechtigte durch den gegenseitigen Verweis auf ein mögliches Versäumnis des anderen von der jeweiligen eigenen Verantwortung für die Einhaltung der Aufbewahrungspflichten entledigen könnten.
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Darüber hinaus sei es ein Verstoß gegen grundsätzliche waffenrechtliche Sorgfaltspflichten, dass sich der Antragsteller nach dem Einbruch nicht von der Vollzähligkeit der in dem Waffenschrank gelagerten Gegenstände überzeugt habe. Aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls – Einbruch und insgesamt erhöhte Gefährdungssituation durch Aufbewahrung der Waffen in einem nicht dauernd bewohnten Wochenendhaus – habe eine Überprüfungspflicht bestanden. Denn da der Waffenschrank durch die Eingabe der korrekten Zahlenkombination auch von Dritten ohne Hinterlassen von Spuren hätte geöffnet und wieder geschlossen werden können, war ein Entwenden der darin gelagerten erlaubnispflichtigen Gegenstände – wenn auch wenig wahrscheinlich – nicht völlig ausgeschlossen.
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Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter. Er beantragt,
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den Beschluss vom 10. Februar 2023 abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich Ziffer 1. des Bescheides anzuordnen und bezüglich Ziffern 2., 3. und 4. des Bescheides wiederherzustellen.
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Zur Begründung trägt er, zuletzt mit Schriftsatz vom 19. April 2023, vor, die vom Beklagten und vom Verwaltungsgericht geäußerten Zweifel an dem Diebstahl könnten dadurch entkräftet werden, dass ein Teil der aus dem Waffenschrank entwendeten Gegenstände – wie der Antragsteller erst nach Erhalt des Beschlusses erfahren habe – im Rahmen einer strafrechtlichen Ermittlung in Österreich aufgefunden worden seien. Es sei daher von einem Diebstahlsgeschehen und nicht einem anderweitigen Verlust auszugehen. Aus dem bloßen Abhandenkommen der im Waffenschrank verschlossenen Gegenstände in Folge des Diebstahls könne nicht geschlossen werden, dass ein Aufbewahrungsverstoß des Antragstellers diesen ermöglicht oder auch nur erleichtert habe. Die Verwendung eines Zahlencodes, der aus dem Geburtstag eines der Söhne bestehe, sei nicht schon aus sich heraus sorgfaltswidrig, wenn – wie hier – alle Familienangehörigen rechtmäßigen Zugriff auf den Waffenschrank hätten. Es gäbe auch eine mögliche Erklärung für das unbeschädigte Öffnen; es sei möglich, dass der Einbrecher im Haus nach Dokumenten gesucht und Geburtsdaten von Familienmitgliedern ausprobiert habe. Soweit man in anderen Fällen aus dem Umstand des Abhandenkommens bei unbeschädigtem Waffenschrank auf einen sonstigen Sorgfaltspflichtverstoß schließen könne, sei dies jedenfalls dann nicht möglich, wenn ein Waffenschrank zulässigerweise von mehreren Personen genutzt werde. Denn die Unzuverlässigkeit sei personenbezogenen zu verstehen; sie müsse gerade dem Antragsteller nachgewiesen werden. Eine „Sippenhaft“ gebe es nicht. Zwar blieben die Sorgfaltsanforderungen nach § 36 WaffG auch bei gemeinschaftlicher Aufbewahrung für den einzelnen gleich; dies rechtfertige aber keine wechselseitige Haftung für nicht individuell nachgewiesene Verstöße. Es ergebe sich schließlich auch kein Verstoß gegen grundsätzliche waffenrechtliche Sorgfaltspflichten aus dem Umstand, dass der Antragsteller nach dem Bemerken des Einbruchs im Februar 2022 den Inhalt des Waffenschranks nicht überprüft habe. § 37 Abs. 3 WaffG knüpfe an die Kenntnis und nicht an ein Kennenmüssen an. Zudem hätte eine Nachschau den Verlust nicht vermieden; insoweit bestehe zwischen dem vorgeworfenen Unterlassen und der Zuverlässigkeit des Antragstellers kein Zusammenhang. Überdies sei es vom Gericht widersprüchlich, einerseits einen Diebstahl aus dem unbeschädigten Schrank für lebensfern zu halten, gleichzeitig aber zu verlangen, den Einbruch als Anlass zur Nachschau einzuordnen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen,
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und verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
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I. Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Im Ergebnis ist das Verwaltungsgericht in dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu Recht davon ausgegangen, dass vorliegend das öffentliche Vollzugsinteresse das Interesse des Antragstellers an der Anordnung und an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner in der Hauptsache erhobenen Klage überwiegt. Zwar erweisen sich – entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts – die Erfolgsaussichten der Klage als offen (1.), jedoch führt die in diesen Fällen vorzunehmende Interessenabwägung wegen der gesetzgeberischen Entscheidung für den Sofortvollzug zum Überwiegen des Vollzugsinteresses gegenüber dem Aussetzungsinteresse (2.).
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1. Die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren sind nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung offen. Unter Zugrundelegung der Ergebnisse der aktuellen polizeilichen Ermittlungen (a) steht bei summarischer Prüfung derzeit nicht fest, dass nachträglich Tatsachen eingetreten sind, die zur Versagung hätten führen müssen. Tatsache in diesem Sinne kann nicht das Abhandenkommen des Schalldämpfers als solches, sondern nur ein Verhalten des Antragstellers selbst sein, das sodann – im Falle des § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG – im Wege einer Prognose eine entsprechende hinreichende Wahrscheinlichkeit eines künftigen Verwahrverstoßes rechtfertigen muss (b). Vorliegend dürfte zwar ein dem Antragsteller vorwerfbares Verhalten vorliegen, es ist aber wegen der Besonderheiten des Einzelfalls derzeit noch nicht ausreichend sicher, ob dieses auch eine entsprechende Prognose rechtfertigt; insoweit steht es derzeit nicht fest, dass die Voraussetzungen von § 45 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b des Waffengesetzes (WaffG) i.d.F. d. Bek. vom 11. Oktober 2002 (BGBl I S. 3970), zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl I S. 1328) und § 18 Satz 1 des Bundesjagdgesetzes (BJagdG) i.d.F. d. Bek. vom 29. September 1976 (BGBl I S. 2849), zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl I S. 1328) i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 BJagdG i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG vorliegen (c).
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a) Die Ergebnisse der aktuellen polizeilichen Ermittlungen sind im vorliegenden Verfahren und für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids und damit des Beschlusses des Verwaltungsgerichts zu berücksichtigen, obwohl der maßgebliche Zeitpunkt für die Rechtmäßigkeitsbeurteilung der Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung ist (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.1994 – 1 C 31.92 – juris Rn. 33; OVG RhPf, U.v. 28.6.2018 – 7 A 11748/17 – juris Rn. 25). Denn die polizeilichen Ermittlungen bilden keine nachträglich eingetretene Tatsache, sondern haben nur nachträglich das Vorliegen einer damals schon vorhandenen Tatsache hervorgebracht, also die bereits damals bestehende Sachlage aufgehellt. Dem entsprechend geht der Senat gegenwärtig davon aus, dass der Schalldämpfer des Antragstellers bei dem Ende Februar 2022 angezeigten Einbruch entwendet wurde.
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b) Die Annahme der Unzuverlässigkeit setzt nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG voraus, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die betroffene Person mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren wird. Das Erfordernis der Zuverlässigkeit dient der Feinsteuerung von behördlichen Entscheidungen und soll Gefahren für die Allgemeinheit oder Dritte vermeiden (vgl. Gade, WaffG, 3. Aufl. 2022, § 5 Rn. 1; Knauff, Jura 2022, 1418/1418). Entsprechend dieser Funktion geht es nicht um die Sanktionierung von Fehlverhalten, sondern um die Gewährleistung künftig ordnungsgemäßen und insbesondere gefahrlosen und rechtstreuen Agierens. Somit verlangt die Zuverlässigkeitsprüfung, soweit der Gesetzgeber nicht anders entschieden hat (vgl. insoweit § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 WaffG), für die Handhabung des Merkmals der Zuverlässigkeit die Vornahme einer Prognose (vgl. BVerwG, B.v. 10.7.2018 – 6 B 79.18 – juris Rn. 6). Dabei unterliegt die behördliche Prognose der vollen gerichtlichen Kontrolle (vgl. OVG RhPf, U.v. 28.6.2018 – 7 A 11748/17 – juris Rn. 26).
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aa) Der konkrete Inhalt einer Prognose richtet sich nach dem jeweiligen materiellen Recht. Die Struktur einer Prognoseentscheidung ist indes immer die gleiche. Zunächst ist der zukünftige Sachverhalt bzw. Zustand zu identifizieren, auf dessen (Nicht-)Eintritt es kraft Gesetzes ankommt (Prognoseereignis). Sodann ist zu bestimmen, mit welcher Wahrscheinlichkeit dieses Ereignis (nicht) eintreten muss (darf). Schließlich bedarf es der Anwendung einer Prognosemethode, und zwar einer Anwendung auf gegenwärtig bekannte Tatsachen (sog. Prognosebasis), um einen zumindest validen Schluss auf den Eintritt oder Nichteintritt des Prognoseereignisses zu ziehen (vgl. zum Ganzen Bäcker in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. D Rn. 86 ff.; Riese in Schoch/Schneider, VwGO, Stand: 36. EL Februar 2019, § 114 Rn. 153; Ramsauer, NordÖR 2019, 157/163; Schönenbroicher in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 40 Rn. 124).
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bb) In § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b Var. 2 WaffG hat der Gesetzgeber – anders als in § 5 Abs. 2 Nr. 5 – das maßgebliche Prognoseereignis abschließend definiert: die unsorgfältige Verwahrung von Waffen oder Munition. Ob im konkreten Einzelfall von einer unsorgfältigen Verwahrung konkrete Gefahren ausgingen, ist hingegen nicht maßgeblich. Für das Ergebnis der Prognose – ob also eine solche sorgfaltswidrige Verwahrung mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit künftig zu erwarten ist – dürfen als Prognosebasis ausweislich des Wortlatus (sämtliche) Tatsachen, mithin alle gegenwärtigen oder vergangenen Tatsachen zugrunde gelegt werden (vgl. VGH BW, B.v. 25.1.2023 – 6 S 1792/22 – juris Rn. 9). Eine Beschränkung der maßgeblichen Tatsachen enthält die Norm – im Gegensatz zum anders strukturierten § 5 Abs. 2 WaffG – nicht. Die Tatsachen müssen allerdings nach den allgemeinen Regeln den Schluss von der Gegenwart auf das „Verwahrungsverhalten“ strukturell zulassen; das setzt einen entsprechenden Bezug der Tatsache zur regulierten Tätigkeit voraus (vgl. Eifert, JuS 2004, 565/568), d.h. die Tatsache muss für die zu treffende zukunftsbezogene Beurteilung bedeutsam sein können (BVerwG, B.v. 12.10.1998 – 1 B 245.97 – juris Rn. 5; VGH BW, B.v. 25.1.2023 – 6 S 1792/22 – juris Rn. 9), sie muss aber nicht selbst einen Gesetzesverstoß begründen (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2016 – 21 CS 15.2466 – juris Rn. 16; enger insoweit Heller/Soschinka/Rabe, Waffenrecht, 4. Aufl. 2020, Rn. 758 f.). Die Tatsache hat die Behörde nachzuweisen (vgl. BayVGH, B.v. 8.4.2019 – 21 CS 18.728 – juris Rn. 15; OVG RhPf, B.v. 8.1.2018 – 7 B 11798/17 – juris Rn. 10).
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Die notwendige Wahrscheinlichkeit für das Eintreten des inkriminierten Verwahrverhaltens richtet sich im Waffenrecht als Materie des Sicherheitsrechts – das Regelungskonzept des Waffengesetzes ist strikt präventiv ausgerichtet und dient der Umsetzung grundrechtlicher Schutzpflichten (vgl. BVerwG, U.v. 28.1.2015 – 6 C 1.14 – juris Rn. 17) – nach der sog. Je-desto-Formel (vgl. allgemein Bäcker in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. D Rn. 101 m.w.N.). Da hiernach das mit jedem Waffenbesitz verbundene Sicherheitsrisiko möglichst gering gehalten werden soll (vgl. BVerwG, B.v. 2.11.1994 – 1 B 215.93 – juris Rn. 10) und von Waffen und Munition Gefahren für besonders hochrangige Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit ausgehen (vgl. SächsOVG, B.v. 13.9.2022 – 6 B 182/22 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 24.11.2017 – 21 CS 17.1531 – juris Rn. 14), sind die Anforderungen an die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Verwahrungsverstoßes nicht hoch. Es bedarf nicht etwa einer mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 28.1.2015 – 6 C 1.14 – juris Rn. 17; BVerwG, B.v. 2.11.1994 – 1 B 215.93 – juris Rn. 10), es genügt vielmehr eine gewisse (vgl. BVerwG, B.v. 2.11.1994 – 1 B 215.93 – juris Rn. 10; VGH BW, B.v. 25.1.2023 – 6 S 1792/22 – juris Rn. 9) bzw. hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 28.1.2015 – 6 C 1.14 – juris Rn. 17; BVerwG, B.v. 31.1.2008 – 6 B 4.08 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 16.5.2022 – 24 CS 22.737 – juris Rn. 12) für eine nicht ordnungsgemäße Verwahrung. Erst und nur unterhalb der Schwelle dieser niedrigen Wahrscheinlichkeit sind die gleichwohl unvermeidbaren Restrisiken hinnehmbar.
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cc) Da für die Bildung einer zukunftsbezogenen Erwartung individuellen Verhaltens in der Regel belastbare wissenschaftliche Erfahrungssätze (über Zusammenhänge zwischen Tatsachen und zukünftigem Verhalten) fehlen, genügt es als Prognosemethode heuristisch auf die Erfahrung abzustellen, dass Wiederholung den Verhaltenskanon des Menschen prägt (vgl. VG München, B.v. 19.7.2022 – M 2 S 22.2183 – Rn. 42; Eifert, JuS 2004, 565/568) und es insoweit grundsätzlich auch möglich ist, bei einmaligen Verhaltensweisen vom Vorliegen der erforderlichen gewissen bzw. hinreichenden Wahrscheinlichkeit auszugehen. Insoweit trifft es zu, wenn das Verwaltungsgericht davon ausgeht, dass bereits ein einmaliger Verstoß gegen die Aufbewahrungspflichten grundsätzlich die Feststellung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit – in Gestalt zu erwartender Verwahrungsverstöße im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG – rechtfertigen kann (vgl. BayVGH, B.v. 14.11.2016 – 21 ZB 15.648 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 4.11.2015 – 21 CS 15.2023 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 22.12.2014 – 21 ZB 14.1512 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 28.11.2013 – 21 CS 13.1758 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 2.10.2013 – 21 CS 13.1564 – juris Rn. 12).
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Gleichwohl darf bei Anwendung solchen Erfahrungswissens bzw. einer solchen Erfahrungstatsache nicht verkannt werden, dass hierdurch kein Erfahrungssatz im strengen Sinne begründet wird, der – im Unterschied zu einer Erfahrungstatsache – unzweifelhaft gilt und keine Ausnahmen kennt (vgl. BVerwG, U.v. 22.4.1994 – 8 C 29/92 – juris Rn. 23; BVerwG, B.v. 18.12.2019 – 10 B 14/19 –, juris Rn. 26; Kraft in Eyermann, VwGO, 22. Aufl. 2022, § 108 Rn. 32 f.; s. zu weiteren begrifflichen Differenzierungen auch Dawin in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand August 2022, § 108 Rn, 13 ff. (Stand April 2013)). Es besteht kein Automatismus in dem Sinne, dass ein nachgewiesener Verstoß unweigerlich eine negative Prognose ergibt (vgl. VG Ansbach, U.v. 3.12.2003 – AN 15 K 03.00325 – juris Rn. 29). Das wäre mit dem prospektiven Charakter des Zuverlässigkeitskriteriums unvereinbar. Anders als § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 WaffG stellt § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG keine Fiktion dahingehend auf, dass aus bestimmtem Verhalten der Vergangenheit die Unzuverlässigkeit zwingend abzuleiten ist. Insoweit lässt die Prognose auch Raum für die Annahme menschlicher Einsichtsfähigkeit und Verhaltensänderung. Insgesamt ist daher entscheidend, ob die ermittelten Tatsachen nach aller Lebenserfahrung ein plausibles Risiko dafür begründen, dass der Betroffene künftig das prognoserelevante Verhalten (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG) begehen wird (BVerwG, U.v. 28.1.2015 – 6 C 1.14 – juris Rn. 17). Hierbei ist zu beachten, dass eine Annahme der Wiederholung umso mehr gerechtfertigt ist, je mehr in dem nachgewiesenen Verhalten eine allgemeine Distanz des Betroffenen zu den gesetzlich, insbesondere waffenrechtlich begründeten (Sorgfalts-)Pflichten zum Ausdruck kommt; je geringfügiger der Verstoß ist, umso eher kann die schlichte Annahme einer Wiederholung verneint werden (zu Bagatellverstößen vgl. BVerwG, U.v. 22.10.2014 – 6 C 30.13 – juris Rn. 19; SächsOVG, B.v. 3.5.2022 – 6 B 118/22 – juris Rn. 11; OVG Hamburg, B.v. 7.8.2015 – 5 Bs 135/15 – juris Rn. 19 ff.; BayVGH, B.v. 31.7.2015 – 21 CS 15.1156 – juris Rn. 12).
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dd) Ergibt die Prognose die Unzuverlässigkeit des Betroffenen, ist die Behörde nach § 45 Abs. 1 WaffG zum Widerruf verpflichtet; Raum für Ermessens-, insbesondere Verhältnismäßigkeitsüberlegungen besteht nicht. Auch bei der Vornahme der Prognose selbst besteht für die Behörde strukturell kein Raum für Ermessen. Möglich ist allerdings, dass grundrechtliche (Verhältnismäßigkeits-)Überlegungen – etwa mit Blick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG – die Anforderungen an die einzelnen Prognoseschritte, beispielsweise an die „Dichte“ einer Tatsachengrundlage, steuern (in diese Richtung wohl auch Lehmann/v. Grotthuss in Lehmann, Aktuelles Waffenrecht, Werkstand Februar 2023, § 5 Rn. 5 (Stand Juni 2018)).
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c) Im vorliegenden Fall kommen als Tatsachen, die für die zu treffende zukunftsbezogene Beurteilung bedeutsam sein können, in Betracht: der Umstand der Entwendung aus dem Waffenschrank ohne Aufbruchspuren (aa), die unterlassene Nachschau nach der Feststellung eines Einbruchs in das Wochenendhaus (bb) und die Bildung des Zahlencodes für den Waffenschrank aus dem Geburtsdatum eines Familienmitglieds (cc).
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aa) (1) Es ist grundsätzlich plausibel, davon auszugehen, dass eine Entwendung von Waffen aus einem Waffenschrank ohne Vorliegen von Aufbruchspuren – was angesichts der neueren polizeilichen Erkenntnisse wohl derzeit angenommen werden kann – nicht ohne einen Verwahrverstoß gelingen kann (vgl. Rn. 25 des angefochtenen Beschlusses: „Der Antragsteller hat solche Tatsachen geschaffen, weil sein Schalldämpfer tatsächlich abhandengekommen ist“). Es liegt nahe, anzunehmen, dass etwa der Schrank nicht abgeschlossen war oder die Zahlenkombination im Umgriff des Einbruchsorts notiert gewesen ist – und damit ein Sorgfaltspflichtverstoß des Waffenbesitzers vorliegt. Soweit keine gegenläufigen Anhaltspunkte bestehen, kann also aus einem Abhandenkommen ein Verwahrverstoß geschlussfolgert werden, der sodann seinerseits als relevante Prognosetatsache ein Unzuverlässigkeitsurteil tragen kann (vgl. BayVGH, B.v. 8.4.2019 – 21 CS 18.728 – juris Rn. 16). Gegen eine insoweit indirekte Überzeugungsbildung vom Vorliegen eines Verwahrverstoßes mittels Indizienbeweises bestehen keine grundsätzlichen Bedenken (vgl. Kraft in Eyermann, VwGO, § 108 Rn. 43 ff.; Peters in Peters/Kukk/Ritgen, Der Beweis im Verwaltungsrecht, 2019, Teil E Rn 22). Der Diebstahl durch einen Dritten bildet hingegen nicht selbst bereits eine Prognosetatsache; denn § 36 Abs. 1 WaffG begründet keine Erfolgshaftung.
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(2) Ein – gegebenenfalls mittels Indizien nachgewiesener – Verwahrverstoß als Basis einer Unzuverlässigkeitsprognose kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn er von demjenigen begangen wurde, dessen Zuverlässigkeit von der Behörde in Abrede gestellt wird. Der Schluss vom Abhandenkommen auf einen Verwahrverstoß darf insoweit nur zu einer Person „führen“. Gibt es hingegen – wie vorliegend – mehrere Verwahrungs- bzw. Zugriffsberechtigte, wird ein solcher Schluss regelhaft nicht möglich sein.
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Die Zuverlässigkeitsbeurteilung ist eine personenbezogene Prognose über künftiges Verhalten. Für diese Prognose können schon wesensmäßig nur eigene Verhaltensweisen des Betroffenen relevant sein (vgl. in diese Richtung Gade, WaffG, § 5 Rn. 1; Papsthart in Steindorf, Waffenrecht, 11. Aufl. 2022, § 5 Rn. 8). Die Unzuverlässigkeit anderer, selbst nahestehender Personen rechtfertigt als solche nicht den Schluss auf die Unzuverlässigkeit eines anderen (vgl. VG Karlsruhe, U.v. 22.8.2018 – 4 K 3040/16 – juris Rn. 19). Auch der Gesetzgeber geht davon aus, dass § 5 WaffG die Fälle des dem Betroffenen vorwerfbaren Handelns von denen nicht vorwerfbarer körperlicher Einschränkungen (§ 6 WaffG) unterscheidet (vgl. BT-Drs. 14/7758 S. 54). Damit ist eine wechselseitige Zurechnung von nachgewiesenen (Sorgfaltspflicht-)Verstößen unter den Beteiligten einer Verwahrungs- und Zugriffsgemeinschaft ebenso ausgeschlossen wie eine kollektive Gesamthaftung für unaufklärbare Verhaltensverantwortlichkeiten. Die Behörde muss dem Betroffenen selbst einen (Sorgfaltspflicht-) Verstoß nachweisen, der sodann als Prognosebasis herangezogen wird. Dies verdeutlich im Fall des § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG auch der Gesetzestext: „bei denen“; ähnliches gilt für § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a WaffG: „einzeln verfolgt“ (vgl. Papsthart in Steindorf, Waffenrecht, § 5 Rn. 52: „Einzelverfassungsfeind“; Gade, WaffG, § 5 Rn. 29a: „individuell zurechenbaren aktiven Betätigung“). Auch soweit die Rechtsprechung die Gruppenzugehörigkeit zur Begründung der Unzuverlässigkeit heranzieht (vgl. BVerwG, B.v. 15.2.2019 – 6 B 153.18 – juris Rn. 7) wird keine Verantwortung für fremdes Verhalten begründet. Es wird in der Mitgliedschaft (als eigenes Verhalten des Betroffenen) eine Tatsache gesehen, die aus bestimmten Gründen – insbesondere der „Prägekraft“ der Gruppe auf das Individuum – die Unzuverlässigkeitsprognose tragen kann (vgl. VG Karlsruhe, U.v. 22.8.2018 – 4 K 3040/16 – juris Rn. 19; Heller/Soschinka/Rabe, Waffenrecht, Rn. 758 f.). Vor diesem Hintergrund kann aus einer Verwahrungs- und Zugriffsgemeinschaft grundsätzlich keine durch wechselseitige Zurechnung begründete Verantwortungsgemeinschaft werden. Soweit im konkreten Fall die Vorgaben des § 13 Abs. 8 der Allgemeinen Waffengesetz-Verordnung (AWaffV) i.d.F. d. Bek. vom 27. Oktober 2003 (BGBl I S. 2123), zuletzt geändert durch Verordnung vom 1. September 2020 (BGBl I S. 1977) eingehalten werden, ist auch der Entschluss, eine solche Verwahrungs- und Zugriffsgemeinschaft einzugehen, kein vorwerfbares Verhalten, das in eine Unzuverlässigkeitsprognose eingestellt werden könnte.
29
Anders als das Verwaltungsgericht meint, ergibt sich die Möglichkeit der Zurechnung auch nicht aus dem Zweck des § 36 WaffG. Es ist richtig, dass mit der Zulassung der gemeinschaftlichen Aufbewahrung keine Herabsetzung des Verantwortlichkeitsmaßstabs des Einzelnen für die sichere Verwahrung verbunden ist. Es ist auch richtig, dass möglicherweise die im Zweifel schwierige Aufklärung individueller Verantwortlichkeiten bei einer Verwahrungs- und Zugriffsgemeinschaft und die daher bestehende Chance auf Entlastung durch wechselseitige „Schuldzuweisungen“ einem Einzelnen den Anreiz geben kann, das eigene Sorgfaltsniveau zu reduzieren. In einem solchen Fall kann § 36 WaffG seinen Zweck nicht verwirklichen. Das ist aber hinzunehmen; denn die Zweckerreichung einer Sorgfaltsmaßstäbe statuierenden Norm ist nur im Rahmen des bestehenden Zurechnungs- und Verantwortlichkeitsregimes möglich, kann dieses aber nicht durchbrechen. Erlaubt der Normgeber die gemeinschaftliche Verwahrung (vgl. § 13 Abs. 8 AWaffV), nimmt er jedenfalls sich hieraus ergebende Risiken infolge der herkömmlichen Zurechnungsgrenzen solange hin, bis er im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen Abweichendes normiert. In jedem Falle bleibt es ihm unbenommen, die gemeinschaftliche Verwahrung nicht mehr zuzulassen. Ungeachtet dessen ist es der zuständigen Behörde grundsätzlich möglich, im Wege der gegebenenfalls nachträglichen Auflage die gemeinschaftliche Verwahrung durch Anordnung einer „Einzel-Verwahrung“ zu untersagen, vgl. §§ 9 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 36 Abs. 6 WaffG; denn zur Gefahrenabwehr darf auch an die Aufbewahrungspflichten des Waffenbesitzers nach § 36 WaffG angeknüpft werden (vgl. ThürOVG, B.v. 10.3.2006 – 3 EO 946/05 – juris Rn. 49).
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(3) Der Senat weist zur Vermeidung von Missverständnissen darauf hin, dass von der unzulässigen Konstruktion einer Prognosebasis im Wege der Zurechnung fremden Verhaltens die Anknüpfung einer Prognose an „schuldhaftes Vorverhalten“ – ähnlich wie in den Fallgruppen der Unzuverlässigkeit wegen Gruppenzugehörigkeit (vgl. BVerwG, B.v. 15.2.2019 – 6 B 153.18 – juris Rn. 7) – zu unterscheiden ist. Im Rahmen des § 13 Abs. 8 AWaffV ist zwar der Entschluss, eine Verwahrungs- und Zugriffsgemeinschaft einzugehen, grundsätzlich kein vorwerfbares Verhalten (vgl. oben). Jedoch kann ein solcher Entschluss dann vorwerfbar sein, wenn er in Kenntnis von „Unzuverlässigkeitstatsachen“ eines Dritten geschlossen wird und der Betroffene daher davon ausgehen muss, dass seine Waffen nicht sorgfältig verwahrt werden. Ferner kann ein prognoserelevantes Vorverhalten auch in einem Unterlassen liegen. Es kann beispielsweise in Betracht kommen, einem Erlaubnisträger vorzuwerfen, er habe es unterlassen, gegen einen – ihm bekannt gewordenen – Sorgfaltsverstoß eines Mitberechtigten vorzugehen. Die Pflicht zur Unterlassung der Verwahrungs- und Zugriffsgemeinschaft oder die Pflicht zur Intervention kann sich in diesen Fällen aus § 36 WaffG ergeben.
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(4) Vor diesem Hintergrund erscheint es derzeit offen, ob dem Antragsteller ein Sorgfaltspflichtverstoß, der das Abhandenkommen des Schalldämpfers erleichtert haben kann, nachzuweisen ist.
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bb) Offen erscheint ferner, ob die vom Antragsteller unstreitig unterlassene Nachschau nach dem Einbruch in das Wochenendhaus eine (Prognose-)Tatsache begründet, mit der sich eine gewisse Wahrscheinlichkeit für einen Aufbewahrungsverstoß im Sinne § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG darstellt. Abgesehen davon, dass es nicht widerspruchsfrei erscheint, wenn das Verwaltungsgericht – noch in Unkenntnis der zwischenzeitlichen polizeilichen Erkenntnisse – einerseits annimmt, dass das vorgetragene Geschehen (Diebstahl aus spurenlos aufgebrochenen Waffenschrank) lebensfremd und unglaubhaft sei (Rn. 27), andererseits es gerade dieses Geschehen zum Anknüpfungspunkt einer Nachschaupflicht nimmt (Rn. 32 u. 33), ist jedenfalls nicht ausreichend erkennbar, ob ein angenommener Verstoß auch in ausreichender Weise eine Distanz zu den bestehenden Sorgfaltspflichten zum Ausdruck bringt, der die herkömmliche Annahme der künftigen Wiederholung rechtfertigt.
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cc) Für die Bildung eines Zahlencodes, mit dessen Hilfe ein Waffenschrank geöffnet werden kann, gibt es keine spezifischen gesetzlichen Vorgaben. Allein die generalklauselartige Regelung in § 36 Abs. 1 WaffG bildet den Maßstab. Hiernach hat der Waffenbesitzer die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um zu verhindern, dass Gegenstände verloren gehen oder Dritte sie unbefugt an sich nehmen. Was erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. Papsthart in Steindorf, Waffenrecht, § 36 Rn. 9 ff. m.w.N.). Bei der Festlegung einer Zahlenkombination ist einerseits zu vermeiden, dass sie leichthin erraten oder „schnell“ ausprobiert werden kann (sechs Mal die gleiche Zahl od. ä.), andererseits ist es nicht fernliegend, eine für den Waffenbesitzer gut merkfähige Zahlenfolge zu wählen, um gerade die Notwendigkeit einer schriftlichen Fixierung zu vermeiden. Zu berücksichtigen sind auch sonstige Umstände des Einzelfalles, etwa wie viele verschiedene Zahlenkombinationen nach der Technik des Waffenschranks ausprobiert werden können, bevor das Schloss für einen bestimmten Zeitraum gesperrt wird.
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Vor diesem Hintergrund gehört es bei einem Einsatz eines Zahlencodes ohne weiteres zu den erforderlichen Vorkehrungen, die Werkseinstellung zu ändern (vgl. VG Münster, U.v. 9.9.2014 – 1 K 2949/13 – juris Rn. 12), den Code in keiner zugreifbaren Weise zu notieren und ihn auch nicht an Dritte weiterzugeben. Gibt es Haushaltsmitglieder, die nicht berechtigt sind, mit den verwahrten Waffen umzugehen, so müssen die Waffen vor diesen sicher verwahrt werden (vgl. VG Ansbach, U.v. 3.12.2003 – AN 15 K 03.00325 – juris Rn. 23). Deshalb dürfte die Verwendung des eigenen unveränderten Geburtsdatums (vgl. zum Geburtsdatum in rückwärtiger Reihenfolge VG München, B.v. 25.11.2019 – M 7 S 19.4360 – juris Rn. 36) oder des eines der Haushaltsangehörigen in diesen Fällen regelmäßig sorgfaltswidrig sein. Denn gerade diese kennen die Geburtsdaten untereinander und haben auch die Möglichkeit zum wiederholten Ausprobieren einer Zahlenkombination über einen langen Zeitraum, da sie sich rechtmäßig und unauffällig im Haushalt aufhalten können. Sind hingegen alle Haushaltsangehörigen zum Waffenumgang berechtigt, können die Erforderlichkeitsanforderungen insoweit modifiziert sein. Gleichzeitig kann die Aufbewahrung in einem Wochenendhaus die Anforderungen an die Bildung einer Zahlenkombination erhöhen, weil Dritte, die sich unberechtigten Zutritt verschafft haben, vielfach mehr Zeit zum Ausprobieren zur Verfügung haben, als in einer täglich genutzten Wohnung.
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Ungeachtet möglicher Besonderheiten im Einzelfall dürfte die Verwendung des eigenen unveränderten Geburtsdatums oder des eines anderen Haushaltsangehörigen als Zahlenkombination auch dann sorgfaltswidrig sein, wenn alle Mitglieder der häuslichen Gemeinschaft auf den Waffenschrank zugreifen dürfen. Denn gerade das Geburtsdatum ist regelhaft auch außerhalb der häuslichen Gemeinschaft einem breiten Personenkreis bekannt; Freunde, entferntere Bekannte, Arbeitskollegen und viele andere Dritte kennen es häufig. Das Geburtsdatum dürfte daher nicht nur dann ungeeignet sein, wenn es den Zugriff von Mitbewohnern zu verhindern gilt, sondern auch dann, wenn – wie hier – (nur) Dritte vom Zugriff abgehalten werden müssen.
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Unklar ist allerdings im vorliegenden Fall, ob trotz der Annahme eines Sorgfaltspflichtverstoßes dieser die Annahme künftig (erneuten) Fehlverhaltens rechtfertigt.
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d) Andere Aspekte, die die Rechtmäßigkeit der Unzuverlässigkeitsprognose des Antragsgegners bereits jetzt ausreichend sicher erkennen lassen, bestehen nicht. Vor dem Hintergrund des zwischenzeitlichen polizeilichen Ermittlungsstandes zum Einbruchgeschehen kommt es jedenfalls nicht in Betracht, den vorliegenden Fall mit sonstigen Fällen des ungeklärten Verlusts gleich zu behandeln und anzunehmen, dass schon die Unaufklärbarkeit der tatsächlichen Hintergründe eines nachgewiesenen Abhandenkommens der erlaubnispflichtigen Gegenstände ein gefahrenabwehrrechtliches Restrisiko begründet, das bei der anzustellenden Zuverlässigkeitsprognose nicht hingenommen werden muss (Rn. 36 des angefochtenen Beschlusses unter Verweis auf NdsOVG, B.v. 19.4.2010 – 11 LA 389/09 – juris Rn. 3).
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2. Kann nach alldem keine abschließend verlässliche Aussage über die Rechtmäßigkeit des Bescheids des Antragsgegners getroffen werden, ist eine Interessenabwägung erforderlich (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 2.12.2020 – 24 CS 20.2211 – juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 18.6.2020 – 24 CS 20.1010 – juris Rn. 21 ff.).
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a) Bei dieser ist zum einen zu berücksichtigen, dass der Rechtsschutzanspruch des Betroffenen umso stärker ist und umso weniger zurückstehen darf, je gewichtiger die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahmen Unabänderliches bewirken (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 93), zum anderen die differenzierte gesetzgeberische Wertung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 VwGO einerseits und § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO andererseits (vgl. BVerfG, B.v. 17.1.2017 – 2 BvR 2013/16 – Rn. 17). Während im Anwendungsbereich von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO bei der Interessenabwägung die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers für die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen bedeutsam wird, ist in Fällen der Nummern 1 bis 3 zu beachten, dass hier der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet hat und es deshalb besonderer Umstände bedarf, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen. Die Gerichte sind insoweit zu einer Einzelfallbetrachtung grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Umstände angehalten, die von den Beteiligten vorgetragen werden und die die Annahme rechtfertigen können, dass im konkreten Fall von der gesetzgeberischen Grundentscheidung ausnahmsweise abzuweichen ist. Daher sind die Folgen, die sich für den Antragsteller mit dem Sofortvollzug verbinden, nur insoweit beachtlich, als sie nicht schon als regelmäßige Folge der gesetzlichen Anordnung des Sofortvollzugs in der gesetzgeberischen Grundentscheidung Berücksichtigung gefunden haben (vgl. BVerfG, B.v. 10.10.2003 – 1 BvR 2025/03 – juris Rn. 21 f.; SächsOVG, B.v. 4.7.2022 – 6 B 61/22 – juris; BayVGH, B.v. 16.5.2022 – 24 CS 22.737 – juris Rn. 18).
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b) Vorliegend beseitigt § 45 Abs. 5 WaffG von Gesetzes wegen die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage gegen den Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis wegen nachträglichen Wegfalls der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit. Der Gesetzgeber hielt in dieser Fallgruppe die Anordnung der sofortigen Vollziehung für dringend angezeigt (vgl. BT-Drs. 16/7717, S. 33). Hiervon ausgehend hat der Antragsteller keine Gründe vorgetragen, die über die im Regelfall mit der Anordnung sofortiger Vollziehung verbundenen Umstände hinausreichen. Inmitten steht ausschließlich das Interesse am weiteren Waffenbesitz und der Möglichkeit der entsprechenden Weiternutzung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens. Dieses Interesse ist das typische Interesse, das der Gesetzgeber aber gerade mit Blick auf die besonderen Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit an einem sicheren und zuverlässigen Umgang mit Schusswaffen und daher dem Schutz überragender Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit der Bevölkerung bereits in seine Entscheidung für den gesetzlichen Sofortvollzug entsprechender waffenrechtlicher Anordnungen eingestellt hat. Es begründet daher keine besonderen Umstände, die eine Abweichung von dem gesetzlich angeordneten Sofortvollzug rechtfertigen; dies hat das Verwaltungsgericht auch zutreffend angenommen.
41
c) Dieses öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug aus Gründen der Gefahrenabwehr besteht auch – wie regelmäßig – für die nicht vom gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug erfassten mit der Widerrufsentscheidung verbundenen notwendigen Anordnungen, die Waffen unbrauchbar zu machen oder sie einem Dritten zu übergeben (§ 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG) und für die Anordnung der Rückgabe von Erlaubnisurkunden (§ 46 Abs. 1 Satz 1 WaffG) – vgl. BayVGH, B.v. 2.12.2020 – 24 CS 20.2211 – juris Rn. 29; BayVGH, B.v. 18.6.2020 – 24 CS 20.1010 – juris Rn. 25.
42
II. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
43
III. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG unter Berücksichtigung der Nrn. 1.5, 20.3 und 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 18. Juli 2013 und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
44
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).