Inhalt

VGH München, Beschluss v. 20.04.2023 – 24 CS 23.251
Titel:

Prognose der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit nach Verstoß gegen waffenrechtliche Aufbewahrungsvorschriften in ehelicher Verwahrgemeinsachft

Normenketten:
WaffG § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. b, § 36, § 45 Abs. 2 S. 1
AWaffV § 13 Abs. 8
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Anders als § 5 Abs. 1 Nr. 1 WaffG stellt § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. b WaffG keine Fiktion dahingehend auf, dass aus bestimmtem Verhalten der Vergangenheit die Unzuverlässigkeit zwingend abzuleiten ist. Es besteht kein Automatismus in dem Sinne, dass ein nachgewiesener Verstoß unweigerlich eine negative Prognose ergibt. Insoweit lässt die Prognose auch Raum für die Annahme menschlicher Einsichtsfähigkeit und Verhaltensänderung. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Prognoseentscheidung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG ist entscheidend, ob die ermittelten Tatsachen nach aller Lebenserfahrung ein plausibles Risiko dafür begründen, dass der Betroffene künftig das prognoserelevante Verhalten (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG) begehen wird. Dabei ist zu beachten, dass eine Annahme der Wiederholung umso mehr gerechtfertigt ist, je mehr in dem nachgewiesenen Verhalten eine allgemeine Distanz des Betroffenen zu den gesetzlich, insbesondere waffenrechtlich begründeten (Sorgfalts-)Pflichten zum Ausdruck kommt; je geringfügiger der Verstoß ist, umso eher kann die schlichte Annahme einer Wiederholung verneint werden. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Verbleibt ein Schlüssel im Schloss des Munitionsschranks außerhalb konkreter Nutzungsvorgänge, so bildet dies einen Verwahrverstoß, der grundsätzlich in eine Unzuverlässigkeitsprognose gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG eingestellt werden kann. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Widerruf einer Waffenbesitzkarte, Prognose der Unzuverlässigkeit, Sorgfaltsanforderungen bei der Aufbewahrung von Waffen, keine Zurechnung von Fehlverhalten bei rechtmäßiger Verwahrungs- und Zugriffsgemeinschaft, Relevanz sorgfaltswidrigen „Vorverhaltens“, Indizienbeweis
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 16.01.2023 – RO 4 S 22.2877
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10156

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.625,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt insbesondere die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Widerruf ihrer waffenrechtlichen Erlaubnisse durch das Landratsamt C. … (im Folgenden: Landratsamt).
2
Die Antragstellerin ist als Sportschützin Inhaberin waffenrechtlicher Erlaubnisse in Form zweier im Juli 2019 ausgestellter Waffenbesitzkarten. Der Ehemann der Antragstellerin (Antragsteller im Verfahren 24 CS 23.253) ist ebenfalls Inhaber waffenrechtlicher Erlaubnisse. Die Antragstellerin und ihr Ehemann leben in häuslicher Gemeinschaft und bewahren Waffen und Munition gemeinschaftlich auf (§ 13 Abs. 8 AWaffV). Im gleichen Haushalt leben des Weiteren die drei Kinder der Eheleute im Alter zwischen 19 und 23 Jahren.
3
Anlass des Bescheides war eine durch das zuständige Amtsgericht angeordnete Durchsuchung der Wohnung der Antragstellerin anlässlich eines strafrechtlichen Verfahrens gegen ihren Sohn. Die Durchsuchung fand am 16. Februar 2022 statt. Im polizeilichen Bericht ist vermerkt, dass im Keller des Einfamilienhauses ein Langwaffentresor, Schutzklasse 0, Leergewicht 120 kg, gesichert mittels digitalem Zahlenschloss, verschlossen vorgefunden worden sei. Der Schrank sei nicht verankert und habe vom Unterzeichner des Vermerks alleine verschoben werden können. Neben dem Tresor sei auf dem Boden ein nicht verankerter, ausgesonderter Erste-Hilfe-Schrank aus Metall gestanden. Dieser sei zwar versperrt gewesen, jedoch habe außen der Schlüssel im Schloss gesteckt, im Inneren seien rund 640 Schuss verschiedener Munition gelagert worden. Auf Vorhalt habe der Ehemann angegeben, dass es ihn schockiere, dass der Schlüssel stecke, normalerweise sei dies nicht der Fall; er werde im Waffenschrank deponiert. Sowohl er als auch seine Ehefrau hätten Zugang zu dem Schrank. Wer den Schlüssel stecken ließ, habe er nicht sagen können. Ferner vermerkt der Bericht, dass der Keller über eine separate Eingangstüre von außen zugänglich sei; diese sei nach Aussage des Sohnes Tag und Nacht unversperrt.
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Das Landratsamt teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom 31. August 2022 unter Verweis auf die polizeilichen Beobachtungen mit, dass beabsichtigt sei, ihre waffenrechtlichen Erlaubnisse wegen fehlender Zuverlässigkeit zu widerrufen. Daraufhin äußerte sich die Antragstellerin dahingehend, dass die Munition rechtmäßig in einem dafür ausreichenden Stahl-/Blech-Behältnis verwahrt worden sei. Der Schlüssel habe in der Tür gesteckt, weil ein unmittelbarer Zugriff zum Verräumen der Munition zum Zeitpunkt der Durchsuchung erfolgt sei. Hinsichtlich der Zugangstüre zum Keller habe ihr Sohn bewusst fehlerhafte Angaben gemacht, um ihr zu schaden. Die Waffen seien ordnungsgemäß gelagert worden, einer Verankerung des Waffenschranks in der Wand bedürfe es nicht. Ausweislich eines Aktenvermerks erkundigte sich das Landratsamt am 27. Oktober 2022 telefonisch bei einem Polizisten, der an der Durchsuchung beteiligt gewesen war, zur damaligen Situation vor Ort.
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Mit Bescheid vom 14. November 2022 widerrief das Landratsamt die erteilten waffenrechtlichen Erlaubnisse (Nr. 1). Es verpflichtete die Antragstellerin, ihre Waffen und die Munition einem Berechtigten zu überlassen oder sie unbrauchbar zu machen und dies nachzuweisen (Nr. 2) sowie – für den Fall, dass die Schusswaffen und die Munition zunächst nur vorübergehend an berechtigte Personen überlassen werden – die endgültige Überlassung an empfangsbereite berechtigte Personen spätestens drei Monate nach Bestandskraft dieses Bescheides nachzuweisen (Nr. 3) sowie die Originalausfertigungen der waffenrechtlichen Erlaubnisse und des Jagdscheins dem Landratsamt zu übergeben (Nr. 5). Außerdem wurde die Sicherstellung angedroht für den Fall, dass die Überlassung oder Unbrauchbarmachung nicht fristgerecht nachgewiesen werden sollte (Nr. 4), ein Zwangsgeld für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Nr. 5 angedroht (Nr. 7), der Antragstellerin die Kostenlast auferlegt (Nr. 8) und eine Gebühr in Höhe von 100,00 EUR festgesetzt (Nr. 9).
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Die Antragstellerin hat am 15. Dezember 2022 hiergegen Klage erhoben (RO 4 K 22.2878), über die noch nicht entschieden ist, und einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Sie legte im Verfahren eine eidesstattliche Versicherung mit folgendem Inhalt vor: „Die Tatsache, dass der Schlüssel zu dem Behältnis an der Tür steckte, lag daran, dass ein unmittelbarer Zugriff zum Verräumen von Munition zum Zeitpunkt der Durchsuchung erfolgt ist. Deswegen steckte in diesem Moment der Schlüssel an der Tür. Des Weiteren ist es unzutreffend, dass die Zugangstüre von außen zum Keller Tag und Nacht nicht verschlossen ist.“
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Den Eilantrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 16. Januar 2023 weitgehend abgelehnt; nur die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Anordnung in Nummer 3 des Bescheids wurde wiederhergestellt. Nach summarischer Prüfung sei zwar davon auszugehen, dass es für das Gebot einer endgültigen Überlassung der Waffen und der Munition keine Rechtsgrundlage gebe, im Übrigen sei der Bescheid aber rechtmäßig. Es bestehe – mit Blick auf die Aufbewahrung der Munition – zumindest ein Verstoß der Antragstellerin gegen waffenrechtliche Aufbewahrungsvorschriften, der die Prognose der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit trage. Da ein Schlüssel im Schloss des Aufbewahrungsschrankes steckte, sei ein Zugriff auf die Munition durch unbefugte Dritte möglich gewesen. Der Vortrag, dass der Schlüssel steckte, weil Munition in zeitlichem Zusammenhang zur Hausdurchsuchung verräumt worden sei, sei unglaubhaft. Ungeachtet des Umstands, dass nach Aktenlage nicht klar sei, ob die Antragstellerin oder ihr Ehemann den Schlüssel habe stecken lassen, sei beiden ein waffenrechtlicher Verstoß vorzuwerfen. Die diesbezügliche Unkenntnis der Antragstellerin und des Ehemanns zeugten von einer Nachlässigkeit der beiden, die mit den Vorgaben des Waffenrechts nicht vereinbar sei. Die Frage, ob ein (weiterer) Verstoß auch deshalb vorliege, weil es durch die offenstehende Kellertür möglich gewesen wäre, den nicht verankerten Waffenschrank nebst den darin befindlichen Waffen zu entwenden, sei daher nicht mehr entscheidungserheblich.
8
Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Rechtsschutzziel weiter. Sie beantragt,
den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 16. Januar 2023 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 14. November 2022 bezüglich der Ziffern 2, 4, 5 wiederherzustellen und bezüglich der Ziffern 1, 7, 8, 9 anzuordnen.
9
Zur Begründung trägt sie vor, ihr sei nicht vorzuwerfen, dass sie im Moment der Durchsuchung von den Verräumungsarbeiten nichts berichtet habe, da eine Durchsuchung keine gewöhnliche Situation sei. Ungeachtet dessen dürften aus nicht getätigten Äußerungen keine Schlussfolgerungen gezogen werden; vielmehr müsse die Behörde den Verstoß beweisen. Insoweit habe das Gericht die materielle Beweislast verkannt. Es könne auch nicht alleine aus der Tatsache, dass der Schlüssel im Behältnis steckte, ein Aufbewahrungsverstoß abgeleitet werden. Vielmehr sei dies zum Verräumen der Munition notwendig gewesen. Dass zum Zeitpunkt in dem man den Schlüssel in ein Schloss stecke, schon denklogisch jeder unbefugte Dritte theoretisch Zugriff nehmen könne, lasse sich nicht verhindern. Dass die Kellertüre unverschlossen gewesen sei, sei unschädlich.
10
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen und verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
12
I. Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Im Ergebnis ist das Verwaltungsgericht in dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu Recht davon ausgegangen, dass vorliegend das öffentliche Vollzugsinteresse das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung und an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer in der Hauptsache erhobenen Klage überwiegt, da bei summarischer Prüfung derzeit keine durchgreifenden Zweifel daran bestehen, dass nachträglich Tatsachen eingetreten sind, die zur Versagung der Erlaubnis hätten führen müssen (1. – 3.). Ungeachtet dessen ergibt auch eine Interessenabwägung ein Überwiegen des Vollzugsinteresses gegenüber dem Interesse der Antragstellerin an einer aufschiebenden Wirkung ihrer Klage (4.).
13
1. Nach § 45 Abs. 2 des Waffengesetzes i.d.F. d. Bek. vom 11. Oktober 2002 (WaffG, BGBl I S. 3970), zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl I S. 1328), ist eine Erlaubnis nach diesem Gesetz zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Dies ist dann der Fall, wenn sich die Antragstellerin im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses als unzuverlässig im Sinne von § 5 WaffG erweist. Das Erfordernis der Zuverlässigkeit dient der Feinsteuerung von behördlichen Entscheidungen und soll Gefahren für die Allgemeinheit oder Dritte vermeiden (vgl. Gade, WaffG, 3. Aufl. 2022, § 5 Rn. 1; Knauff, Jura 2022, 1418/1418). Entsprechend dieser Funktion geht es nicht um die Sanktionierung von Fehlverhalten, sondern um die Gewährleistung künftig ordnungsgemäßen und insbesondere gefahrlosen und rechtstreuen Agierens. Somit verlangt die Zuverlässigkeitsprüfung, soweit der Gesetzgeber nicht anders entschieden hat (vgl. insoweit § 5 Abs. 1 Nr. 1 WaffG), für die Handhabung des Merkmals der Zuverlässigkeit die Vornahme einer Prognose (vgl. BVerwG, B.v. 10.7.2018 – 6 B 79.18 – juris Rn. 6). Dabei unterliegt die behördliche Prognose der vollen gerichtlichen Kontrolle (vgl. OVG RhPf, U.v. 28.6.2018 – 7 A 11748/17 – juris Rn. 26).
14
Die Zuverlässigkeit fehlt nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b und c WaffG insbesondere dann, wenn hinsichtlich der Antragstellerin Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren wird, oder, dass sie Waffen oder Munition Personen überlassen wird, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind. Tatsache in diesem Sinne kann nur ein Verhalten der Antragstellerin selbst sein, das sodann im Wege einer Prognose die hinreichende Wahrscheinlichkeit – im Falle des § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG – eines künftigen Verwahrverstoßes oder – im Falle des § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c WaffG – einer künftigen unberechtigten Überlassung rechtfertigen muss.
15
2. Der konkrete Inhalt einer Prognose richtet sich nach dem jeweiligen materiellen Recht. Die Struktur einer Prognoseentscheidung ist indes immer die gleiche (vgl. insoweit ausführlich BayVGH, B.v. 20.4.2023 – 24 CS 23.495 – Rn. 21 f.).
16
a) Für das Ergebnis der Prognose – ob also eine solche sorgfaltswidrige Verwahrung bzw. eine unberechtigte Überlassung mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit künftig zu erwarten ist – dürfen als Prognosebasis ausweislich des Wortlauts (sämtliche) Tatsachen, mithin alle gegenwärtigen oder vergangenen Tatsachen zugrunde gelegt werden (vgl. VGH BW, B.v. 25.1.2023 – 6 S 1792/22 – juris Rn. 9). Die Tatsachen müssen allerdings nach den allgemeinen Regeln den Schluss von der Gegenwart auf das „Verwahrungs-“ oder „Überlassungsverhalten“ strukturell zulassen; das setzt einen entsprechenden Bezug der Tatsache zur regulierten Tätigkeit voraus (vgl. Eifert, JuS 2004, 565/568), d.h. die Tatsache muss für die zu treffende zukunftsbezogene Beurteilung bedeutsam sein können (BVerwG, B.v. 12.10.1998 – 1 B 245.97 – juris Rn. 5; VGH BW, B.v. 25.1.2023 – 6 S 1792/22 – juris Rn. 9), sie muss aber nicht selbst einen Gesetzesverstoß begründen (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2016 – 21 CS 15.2466 – juris Rn. 16; enger insoweit Heller/Soschinka/Rabe, Waffenrecht, 4. Aufl. 2020, Rn. 758 f.). Die Tatsache hat die Behörde nachzuweisen (vgl. BayVGH, B.v. 8.4.2019 – 21 CS 18.728 – juris Rn. 15).
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b) Die notwendige Wahrscheinlichkeit für das Eintreten des inkriminierten Verhaltens ist mit Blick auf die bestehende Gefährdungslage nicht hoch. Es bedarf nicht etwa einer mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, es genügt vielmehr eine gewisse bzw. hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine nicht ordnungsgemäße Verwahrung oder eine nicht ordnungsgemäße Überlassung. Erst und nur unterhalb der Schwelle dieser niedrigen Wahrscheinlichkeit sind die gleichwohl unvermeidbaren Restrisiken hinnehmbar (vgl. insoweit BayVGH, B.v. 20.4.2023 – 24 CS 23.495 – Rn. 23 m.w.N.).
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c) Da für die Bildung einer zukunftsbezogenen Erwartung individuellen Verhaltens in der Regel belastbare wissenschaftliche Erfahrungssätze (über Zusammenhänge zwischen Tatsachen und zukünftigem Verhalten) fehlen, genügt es als Prognosemethode heuristisch auf die Erfahrung abzustellen, dass Wiederholung den Verhaltenskanon des Menschen prägt (vgl. VG München, B.v. 19.7.2022 – M 2 S 22.2183 – Rn. 42; Eifert, JuS 2004, 565/568). Es ist insoweit grundsätzlich auch möglich, bei einmaligen Verhaltensweisen vom Vorliegen der erforderlichen gewissen bzw. hinreichenden (Prognose-)Wahrscheinlichkeit auszugehen (vgl. BayVGH, B.v. 20.4.2023 – 24 CS 23.495 – Rn. 24 m.w.N.).
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Gleichwohl darf bei Anwendung von solchem Erfahrungswissen bzw. von einer solchen Erfahrungstatsache nicht verkannt werden, dass hierdurch kein Erfahrungssatz im strengen Sinne begründet wird, der – im Unterschied zu einer Erfahrungstatsache – unzweifelhaft gilt und keine Ausnahmen kennt (vgl. BVerwG, U.v. 22.4.1994 – 8 C 29/92 – juris Rn. 23; BVerwG, B.v. 18.12.2019 – 10 B 14/19 –, juris Rn. 26; Kraft in Eyermann, VwGO, 22. Aufl. 2022, § 108 Rn. 32 f.; s. zu weiteren begrifflichen Differenzierungen auch Dawin in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand August 2022, § 108 Rn, 13 ff. (Stand April 2013)). Es besteht – anders als das Verwaltungsgericht wohl meint (vgl. BA S. 11) – kein Automatismus in dem Sinne, dass ein nachgewiesener Verstoß unweigerlich eine negative Prognose ergibt (vgl. VG Ansbach, U.v. 3.12.2003 – AN 15 K 03.00325 – juris Rn. 29). Das wäre mit dem prospektiven Charakter des Zuverlässigkeitskriteriums unvereinbar. Anders als § 5 Abs. 1 Nr. 1 WaffG stellt § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG keine Fiktion dahingehend auf, dass aus bestimmtem Verhalten der Vergangenheit die Unzuverlässigkeit zwingend abzuleiten ist. Insoweit lässt die Prognose auch Raum für die Annahme menschlicher Einsichtsfähigkeit und Verhaltensänderung.
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Insgesamt ist daher entscheidend, ob die ermittelten Tatsachen nach aller Lebenserfahrung ein plausibles Risiko dafür begründen, dass der Betroffene künftig das prognoserelevante Verhalten (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG) begehen wird (BVerwG, U.v. 28.1.2015 – 6 C 1.14 – juris Rn. 17). Hierbei ist zu beachten, dass eine Annahme der Wiederholung umso mehr gerechtfertigt ist, je mehr in dem nachgewiesenen Verhalten eine allgemeine Distanz des Betroffenen zu den gesetzlich, insbesondere waffenrechtlich begründeten (Sorgfalts-)Pflichten zum Ausdruck kommt; je geringfügiger der Verstoß ist, umso eher kann die schlichte Annahme einer Wiederholung verneint werden (zu Bagatellverstößen vgl. BVerwG, U.v. 22.10.2014 – 6 C 30.13 – juris Rn. 19; SächsOVG, B.v. 3.5.2022 – 6 B 118/22 – juris Rn. 11; OVG Hamburg, B.v. 7.8.2015 – 5 Bs 135/15 – juris Rn. 19 ff.; BayVGH, B.v. 31.7.2015 – 21 CS 15.1156 – juris Rn. 12).
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d) Der Weiteren ist zu beachten, dass bei einer personenbezogenen Prognose über künftiges Verhalten wesensmäßig nur eigene Verhaltensweisen des Betroffenen relevant sein können (vgl. in diese Richtung Gade, WaffG, § 5 Rn. 1; Papsthart in Steindorf, Waffenrecht, 11. Aufl. 2022, § 5 Rn. 8). Die Unzuverlässigkeit anderer, selbst nahestehender Personen rechtfertigt als solche nicht den Schluss auf die Unzuverlässigkeit eines anderen (vgl. VG Karlsruhe, U.v. 22.8.2018 – 4 K 3040/16 – juris Rn. 19). Eine wechselseitige Zurechnung von nachgewiesenen (Sorgfaltspflicht-)Verstößen ist auch unter den Beteiligten einer Verwahrungs- und Zugriffsgemeinschaft ebenso ausgeschlossen wie eine kollektive Gesamthaftung für unaufklärbare Verhaltensverantwortlichkeiten. Die Behörde muss dem Betroffenen selbst einen (Sorgfaltspflicht-)Verstoß nachweisen, der sodann als Prognosebasis herangezogen wird (vgl. insoweit ausführlich BayVGH, B.v. 20.4.2023 – 24 CS 23.495 – Rn. 29 ff.).
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Allerdings ist von der unzulässigen Konstruktion einer Prognosebasis im Wege der Zurechnung fremden Verhaltens die Anknüpfung einer Prognose an „schuldhaftes Vorverhalten“ zu unterscheiden. Im Rahmen des § 13 Abs. 8 der Allgemeinen Waffengesetz-Verordnung (AWaffV) i.d.F. d. Bek. vom 27. Oktober 2003 (BGBl I S. 2123), zuletzt geändert durch Verordnung vom 1. September 2020 (BGBl I S. 1977), ist zwar der Entschluss, eine Verwahrungs- und Zugriffsgemeinschaft einzugehen, grundsätzlich kein vorwerfbares Verhalten. Jedoch kann ein solcher Entschluss dann vorwerfbar sein, wenn er in Kenntnis von „Unzuverlässigkeitstatsachen“ eines Dritten geschlossen wird und der Betroffene daher davon ausgehen muss, dass seine Waffen nicht sorgfältig verwahrt werden. Ferner kann ein prognoserelevantes Vorverhalten auch in einem Unterlassen liegen. Es kann beispielsweise in Betracht kommen, einem Erlaubnisträger vorzuwerfen, er habe es unterlassen, gegen einen – ihm bekannt gewordenen – Sorgfaltspflichtverstoß eines Mitberechtigten vorzugehen. Die Pflicht zur Unterlassung der Verwahrungs- und Zugriffsgemeinschaft oder die Pflicht zur Intervention kann sich in diesen Fällen aus § 36 WaffG ergeben.
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e) Ergibt die Prognose die Unzuverlässigkeit des Betroffenen, ist die Behörde nach § 45 Abs. 1 WaffG zum Widerruf verpflichtet; Raum für Ermessens-, insbesondere Verhältnismäßigkeitsüberlegungen besteht nicht. Auch bei der Vornahme der Prognose selbst besteht für die Behörde strukturell kein Raum für Ermessen. Möglich ist allerdings, dass grundrechtliche (Verhältnismäßigkeits-)Überlegungen – etwa mit Blick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG – die Anforderungen an die einzelnen Prognoseschritte, beispielsweise an die „Dichte“ einer Tatsachengrundlage, steuern (in diese Richtung wohl auch Lehmann/v. Grotthuss in Lehmann, Aktuelles Waffenrecht, Werkstand Februar 2023, § 5 Rn. 5 (Stand Juni 2018)).
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3. Im vorliegenden Fall kann aus den dokumentierten Tatsachen in ihrer Gesamtheit zum Nachteil der Antragstellerin auf Verhaltensweisen geschlossen werden, die ein Unzuverlässigkeitsurteil mit ausreichender Wahrscheinlichkeit tragen.
25
a) Verbleibt ein Schlüssel im Schloss des Munitionsschranks außerhalb konkreter Nutzungsvorgänge, so bildet dies einen Verwahrverstoß, der grundsätzlich in eine Unzuverlässigkeitsprognose eingestellt werden kann. Der Senat geht derzeit nicht davon aus, dass der Schlüssel beim Eintreffen der Polizei nur deshalb im Schloss vorgefunden wurde, weil – wie die Antragstellerin vorträgt – just unmittelbar davor Munition verräumt worden sei. Der Senat hält diese Aussage für unglaubhaft, sie stellt eine Schutzbehauptung dar. Dies ergibt sich zum einen aus der Nachträglichkeit des Vortrags und zum anderen aus den Umständen, die im polizeilichen Durchsuchungsbericht festgehalten sind. Denn in dem Polizeibericht wird mitgeteilt, dass sich der Ehemann der Antragstellerin über den unverschlossenen Metallschrank erschreckt gezeigt habe, aber in einer anschließenden Diskussion zwischen den Eheleuten diese nicht hätten klären können, wer den Schlüssel stecken gelassen habe oder warum der Schlüssel gesteckt habe. Zu keiner Zeit sei zur Sprache gekommen, dass unmittelbar vor der Hausdurchsuchung Munition habe verwahrt werden sollen. An der Richtigkeit dieses Berichts hat der Senat keine Zweifel, auch die Antragstellerin erhebt insoweit keine Einwände. Dass vor Ort bei Erörterung der Auffindesituation weder die Antragstellerin noch ihr Ehemann mitgeteilt haben, dass unmittelbar vor der Durchsuchung Munition verräumt worden und dabei der Schlüssel benutzt worden sei, lässt aus Sicht des Senats nur die Annahme zu, dass die nachträgliche Behauptung als Schutzbehauptung zu werten ist. Die Erklärung der Antragstellerin, die unterlassene Mitteilung sei Folge der ungewöhnlichen Situation einer Hausdurchsuchung gewesen, erscheint nicht überzeugend. Eine ungewöhnliche Stresssituation mag erklären können, dass die Antragstellerin nicht von sich aus ungefragt eine Erklärung zu polizeilichen Feststellungen abgibt, auch wenn sich das für einen Dritten möglicherweise aufgedrängt hätte. Aber dass die Antragstellerin trotz einer Diskussion zwischen den Eheleuten und der Polizei vor Ort keine derartige Erklärung zum „Schlüsselfund“ abgegeben und den Sachverhalt nicht aufgeklärt hat, begründet die Annahme, dass die nunmehr angebotene Erklärung – trotz Abgabe einer eidesstaatlichen Versicherung – nicht der Wahrheit entspricht.
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b) Dass aus einem solchen tatsächlich vorgefundenen Zustand auf nicht näher aufgeklärte Handlungen der Antragstellerin geschlossen wird, die sodann in die Prognose eingestellt werden, ist rechtlich grundsätzlich zulässig. Es ist – entgegen der Annahme der Antragstellerin – kein Widerspruch zur bestehenden Beweislast der Behörde, wenn es nicht nötig ist, ein genaues Geschehen positiv nachzuweisen, an dessen Ende sich – bildlich formuliert – der Schlüssel im Schloss befunden hat. Denn dem Gericht steht es im Rahmen der Beweiswürdigung frei, sich vom Vorliegen eines prognoserelevanten (Fehl-)Verhaltens mittels Indizienbeweises zu überzeugen (vgl. Kraft in Eyermann, VwGO, § 108 Rn. 43 ff.; Peters in Peters/Kukk/Ritgen, Der Beweis im Verwaltungsrecht, 2019, Teil E Rn 22).
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c) Vorliegend stößt eine solche Schlussfolgerung allerdings auf rechtliche Schwierigkeiten, denen das Verwaltungsgericht nur im Ergebnis gerecht wird.
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aa) Es kommt nicht in Betracht, bei mehreren möglichen Verantwortlichen, wie es insbesondere bei einer rechtmäßigen Verwahrungs- und Zugriffsgemeinschaft der Fall ist, auf einen Nachweis einer Verhaltensverantwortlichkeit zu verzichten. Insoweit stößt die Beweiswürdigung mittels Indizien an Grenzen. Eine kollektive Gesamthaftung für unaufklärbare Verhaltensverantwortlichkeiten besteht nicht. Es greift auch zu kurz, anzunehmen, dass alleine die Unkenntnis der Antragstellerin sowie ihres Ehemanns darüber, von wem der Schlüssel stecken gelassen worden sei, von einer Nachlässigkeit sowohl der Antragstellerin als auch ihres Ehemanns zeuge, die mit den strengen Vorgaben des Waffenrechts und den dahinterstehenden hochrangigen Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit nicht vereinbar ist (BA S. 13). Denn bei der – hier nicht begründeten (siehe sogleich) – Annahme eines Augenblicksversagens eines der Ehegatten, könnte gerade dem anderen Ehegatten kein waffenrechtlich relevanter Vorwurf gemacht werden.
29
bb) Allerdings kann vorliegend von einem schuldhaften (Vor-)Verhalten der Antragstellerin ausgegangen werden, das die Prognose ihrer Unzuverlässigkeit rechtfertigt. Die vorliegenden Umstände in der Auffindesituation tragen die Annahme, dass der Umgang mit Waffen auf dem Grundstück der Antragstellerin nicht nur in einem einzigen, womöglich allein vom Ehegatten zu verantwortenden Augenblick sorgfaltswidrig war, sondern insgesamt ein „Dauerverhalten“ vorliegt, das den rechtlichen Anforderungen an einen sorgfältigen Umgang mit Waffen nicht ausreichend genügt und das die Antragstellerin, sollte sie es nicht selbst verursacht haben, doch zumindest kannte und hätte abstellen müssen.
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Nach den Angaben der Polizei war bereits vor Betreten des Hauses und Entdeckung des Munitionsschranks mit dem verbliebenen Schlüssel aufgefallen, dass die Kellertür, an der man vorbeikomme, wenn man zur Haustür gehe, offen gestanden habe. Diese Beobachtung ist ohne weiteres deshalb glaubhaft, weil die Polizisten – für den Fall, dass ein Betreten durch die Haustür zur Durchführung der Durchsuchung nicht möglich sein sollte – die Option eines Zugangs durch die Kellertüre besprochen haben wollen; das ist lebensnah. Im Kellerraum habe, so wird mitgeteilt, auch kein Licht gebrannt, es habe nichts darauf hingedeutet, dass unmittelbar vor ihrem Eintreffen jemand im Kellerraum gewesen sei. Auch wenn diese polizeiliche Beobachtung nicht ausschließt, dass die Türe nur einmalig offenstand ohne dass sich einer der Hausbewohner im Keller aufgehalten hat, so bildet dies ein Indiz dafür, dass bei beiden Ehegatten kein sonderlich ausgeprägtes Gefahrenbewusstsein hinsichtlich der deponierten Waffen bestand. Das Gefahrenbewusstsein wäre notwendig, weil ein direkter Kellerzugang von außen für Dritte, die illegal in das Gebäude eindringen wollen, besonders interessant ist; diese müssen nicht erst – risikobehaftet – den Wohnbereich aufbrechen und durchqueren, um an den Waffenaufbewahrungsort zu gelangen. Zieht man ferner in Betracht, dass der nicht übermäßig schwere Waffenschrank nicht an der Kellerwand befestigt war, erscheint eine Sicherung vor dem Zutritt von außen, der auch einen unbemerkten und spurenlosen Abtransport des Schranks erleichtert, besonders geboten. Dies gilt auch und gerade vor dem Hintergrund der polizeilichen Auffälligkeiten des im Haushalt lebenden Sohnes und der polizeilichen Erkenntnislage zum Besuch von jugendlichen Intensivtätern („Juits“, vgl. Bl. 8 BA). Das Gericht verkennt die damit für die Antragstellerin einhergehenden persönlichen Belastungen als Mutter nicht, die sie auch anschaulich dem Landratsamt geschildert hat; gleichwohl hat sie die damit bestehende Gefahrerhöhung bei der Aufbewahrung von Waffen zu berücksichtigen. Insoweit kann offen bleiben, ob und inwieweit der Aussage des Sohnes, derzufolge die Kellertür tags und nachts unverschlossen sei, Glauben zu schenken ist oder inwieweit die – sehr pauschale und nicht substantiierte – Behauptung der Antragstellerin, der Sohn habe vorsätzlich eine falsche Aussage getroffen, belastbar ist.
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Die skizzierte Gesamtsituation hat (auch) die Antragstellerin zu verantworten, jedenfalls dadurch, dass sie sie nicht erfolgreich abgestellt hat. Somit bilden die genannten Tatsachen auch hinsichtlich der Antragstellerin eine zulässige Prognosebasis. Mit Blick auf die Längerfristigkeit und das Gewicht dieses Verhaltens erscheint auch die Annahme des Verwaltungsgerichts gerechtfertigt, dass mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit einer Wiederholung entsprechender Verstöße in der Zukunft zu rechnen ist und deshalb von der Unzuverlässigkeit der Antragstellerin ausgegangen werden muss.
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4. Ungeachtet der gegenwärtig fehlenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids hat die Beschwerde auch deshalb keinen Erfolg, weil bei der gebotenen Interessenabwägung die differenzierte gesetzgeberische Wertung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 VwGO einerseits und § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO andererseits zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfG, B.v. 17.1.2017 – 2 BvR 2013/16 – Rn. 17). Aus diesem Grund überwiegt vorliegend das Vollzugsinteresse der Behörde das Suspensivinteresse der Antragstellerin.
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Während im Anwendungsbereich von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO bei der Interessenabwägung die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers für die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen bedeutsam wird, ist in Fällen der Nummern 1 bis 3 zu beachten, dass hier der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet hat und es deshalb besonderer Umstände bedarf, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen. Die Gerichte sind insoweit zu einer Einzelfallbetrachtung grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Umstände angehalten, die von den Beteiligten vorgetragen werden und die die Annahme rechtfertigen können, dass im konkreten Fall von der gesetzgeberischen Grundentscheidung ausnahmsweise abzuweichen ist. Daher sind die Folgen, die sich für die Antragstellerin mit dem Sofortvollzug verbinden, nur insoweit beachtlich, als sie nicht schon als regelmäßige Folge der gesetzlichen Anordnung des Sofortvollzugs in der gesetzgeberischen Grundentscheidung Berücksichtigung gefunden haben (vgl. BVerfG, B.v. 10.10.2003 – 1 BvR 2025/03 – juris Rn. 21 f.; SächsOVG, B.v. 4.7.2022 – 6 B 61/22 – juris; BayVGH, B.v. 16.5.2022 – 24 CS 22.737 – juris Rn. 18).
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b) Vorliegend beseitigt § 45 Abs. 5 WaffG von Gesetzes wegen die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage gegen den Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis wegen nachträglichen Wegfalls der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit. Der Gesetzgeber hielt in dieser Fallgruppe die Anordnung der sofortigen Vollziehung für dringend angezeigt (vgl. BT-Drs. 16/7717, S. 33). Hiervon ausgehend hat die Antragstellerin keine Gründe vorgetragen, die über die im Regelfall mit der Anordnung sofortiger Vollziehung verbundenen Umstände hinausreichen. Inmitten steht ausschließlich das Interesse am weiteren Waffenbesitz und der Möglichkeit der entsprechenden Weiternutzung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens. Dieses Interesse ist das typische Interesse, das der Gesetzgeber aber gerade mit Blick auf die besonderen Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit an einem sicheren und zuverlässigen Umgang mit Schusswaffen und daher dem Schutz überragender Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit der Bevölkerung bereits in seine Entscheidung für den gesetzlichen Sofortvollzug entsprechender waffenrechtlicher Anordnungen eingestellt hat. Es begründet daher keine besonderen Umstände, die eine Abweichung von dem gesetzlich angeordneten Sofortvollzug rechtfertigen; dies hat das Verwaltungsgericht auch zutreffend angenommen.
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c) Dieses öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug aus Gründen der Gefahrenabwehr besteht auch – wie regelmäßig – für die nicht vom gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug erfassten mit der Widerrufsentscheidung verbundenen notwendigen Anordnungen, die Waffen unbrauchbar zu machen oder sie einem Dritten zu übergeben (§ 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG) und für die Anordnung der Rückgabe von Erlaubnisurkunden (§ 46 Abs. 1 Satz 1 WaffG – vgl. BayVGH, B.v. 2.12.2020 – 24 CS 20.2211 – juris Rn. 29; B.v. 18.6.2020 – 24 CS 20.1010 – juris Rn. 25). Entsprechendes gilt auch für die übrigen Anordnungen, insbesondere die Androhung der Sicherstellung und der Androhung eines Zwangsgeldes (Nrn. 4 und 5 des Bescheids).
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III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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IV. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Nrn. 1.5 und 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 18. Juli 2013 und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).